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Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:SB.2015.102 (AG.2016.215)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid SB.2015.102 (AG.2016.215) vom 05.02.2016 (BS)
Datum:05.02.2016
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Anordnung einer stationären psychiatrischen Behandlung im Sinne von Art. 59 Abs. 1 des StGB (in Anwendung von Art. 375 Abs. 1 StPO)
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 135 StPO ; Art. 19 StGB ; Art. 375 StPO ; Art. 382 StPO ; Art. 42 BGG ; Art. 48 BGG ; Art. 56 StGB ; Art. 59 StGB ; Art. 69 StGB ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

[...]...]

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Ausschuss



SB.2015.102


URTEIL


vom 5. Februar 2016



Mitwirkende


lic. iur. Christian Hoenen (Vorsitz),

MLaw Jacqueline Frossard, lic. iur. Bettina Waldmann

und Gerichtsschreiberin Dr. Patrizia Schmid




Beteiligte


A____, geb. [...] Berufungskläger

[...] Beschuldigter


vertreten durch lic. iur. [...], Advokatin

[...]

gegen


Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Berufungsbeklagte

Binningerstrasse21, 4001 Basel


Privatkläger

B____

C____

[...]

[...]

Gegenstand


Berufung gegen ein Urteil des Strafdreiergerichts

vom 17. Juni 2015 betreffend Anordnung einer stationären psychiatrischen Behandlung im Sinne von Art. 59 Abs. 1 des StGB (in Anwendung von Art. 375 Abs. 1 StPO)



Sachverhalt


Mit Urteil vom 17. Juni 2015 hat das Strafgericht Basel-Stadt entschieden, dass A____ bei den zu beurteilenden Taten vom 25. April 2011 und 27. Januar 2015 die objektiven und subjektiven Merkmale der einfachen Körperverletzung bzw. der mehrfachen Drohung in rechtswidriger Weise erfüllt habe, jedoch schuldunfähig im Sinne von Art. 19 Abs. 1 StGB sei. Vom Vorwurf der mehrfachen Drohung im Anklagepunkt AS I.2. wurde A____ aus formellen Gründen freigesprochen. In Anwendung von Art. 375 Abs. 1 StPO wurde eine stationäre psychiatrische Behandlung im Sinne von Art. 59 Abs. 1 und 3 StGB angeordnet. Die beschlagnahmten Gegenstände wurden nach Art. 69 Abs. 1 StGB eingezogen. Mit Beschluss vom selben Datum wurde die verfügte Sicherheitshaft zur Sicherung des Strafvollzugs aufrechterhalten.


Gegen dieses Urteil hat A____, vertreten durch lic. iur. [...], am 16. November 2015 Berufung erklärt und begründet. Er lässt beantragen, das vorinstanzliche Urteil sei teilweise aufzuheben, der Berufungskläger vom Vorwurf der einfachen Körperverletzung sowie der mehrfachen Drohung freizusprechen und eine ambulante Massnahme für ihn anzuordnen - wobei letzteres wohl im Sinne eines Eventualantrags gemeint ist. Weder die Staatsanwaltschaft noch die Privatkläger haben Anschlussberufung erklärt oder beantragt, es sei auf die Berufung nicht einzutreten. Die Staatsanwaltschaft hat sich am 15. Dezember 2015 vernehmen lassen und beantragt die Abweisung der Berufung. Mit Verfügung vom 17. Dezember 2015 wurde die Berufungsantwort der Staatsanwaltschaft der Verteidigung und den Privatklägern zur Kenntnis zugestellt. Die Privatkläger haben innert Frist keine Berufungsantwort eingereicht.


Die Verteidigung hat sodann die unverzügliche Entlassung des Berufungsklägers aus der Sicherheitshaft resp. dem vorzeitigen Strafvollzug beantragt. Die Staatsanwaltschaft hat sich zu diesem Gesuch geäussert und die Fortführung der Haft bis zur zweitinstanzlichen Verhandlung beantragt. Mit Verfügung vom 23. November 2015 hat der instruierende Appellationsgerichtspräsident das Haftentlassungsgesuch unter Hinweis auf die beförderliche Ansetzung der Verhandlung abgewiesen.


Die Verteidigung des Berufungsklägers hat weiter die Verfahrensanträge gestellt, es sei dessen Cousin als Auskunftsperson zur Hauptverhandlung zu laden und es seien die IV-Akten des Berufungsklägers beizuziehen.


Mit Verfügung vom 13. Januar 2016 hat der instruierende Appellationsgerichtspräsident die genannten Verfahrensanträge - unter dem Vorbehalt eines anderslautenden Entscheids des Gerichts - abgewiesen. Die beantragte amtliche Verteidigung mit lic. iur. [...] wurde dem Berufungskläger auch für das zweitinstanzliche Verfahren bewilligt.

An der Verhandlung des Appellationsgerichts vom 5. Februar 2016 ist der Berufungskläger befragt worden und sind seine Verteidigerin sowie die Staatsanwältin zum Vortrag gelangt. Für sämtliche Ausführungen wird auf das Verhandlungsprotokoll verwiesen. Die Einzelheiten und Standpunkte der Parteien ergeben sich, soweit sie für den nachfolgenden Entscheid von Bedeutung sind, aus dem angefochtenen Urteil und den nachfolgenden Erwägungen.



Erwägungen


1.

1.1 Gegen Urteile des Strafgerichts kann gemäss Art. 398 Abs. 1 der Strafprozessordnung (StPO, SR. 312.0) Berufung erhoben werden. Zur Beurteilung der Berufung ist gemäss § 18 Abs. 1 des Gesetzes über die Einführung der Schweizerischen Strafprozessordnung (EG StPO, SG 257.100) in Verbindung mit § 73 Ziff. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes (GOG, SG 154.100) der Ausschuss des Appellationsgerichts zuständig.


1.2 Der Beschuldigte ist durch das angefochtene Urteil beschwert und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an dessen Aufhebung oder Änderung (Art. 382 Abs.1 StPO). Er ist damit zur Erhebung eines Rechtsmittels legitimiert. Die Berufung ist form- und fristgerecht eingereicht worden, so dass darauf einzutreten ist.


2.

Wie erwähnt hat die Verteidigung in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Anträge auf Anhörung seines Cousins sowie auf Beizug der IV-Akten gestellt. Beide Anträge werden abgelehnt: Wie zu zeigen sein wird, ist die Befragung des Cousins nicht geeignet, um zu belegen, dass eine stationäre Massnahme für die Behandlung des Berufungsklägers nicht notwendig ist. Gleich verhält es sich mit dem Beizug der IV-Akten (s. dazu unten E. 4.1).

3.

3.1. Die Vorinstanz hat es nach einer Würdigung der divergierenden Aussagen des Berufungskläger und des Opfers als erstellt erachtet, dass der Berufungskläger am 25. April 2011 den in Birsfelden am Rhein entlang spazierenden B____ angespuckt und diesem grundlos die Faust ins Gesicht geschlagen habe. Das Opfer habe dadurch einen Nasenbeinbruch und diverse Schürfwunden erlitten. Weiter habe der Berufungskläger am 27. Januar 2015 bei seiner Heimkehr in die Asylunterkunft an der Horburgstrasse die dort anwesenden Securitas-Mitarbeiter D____ und E____ beschimpft und bedroht. Die Vorinstanz kam zum Schluss, damit habe der Berufungskläger die objektiven und subjektiven Elemente der einfachen Körperverletzung zum Nachteil des B____ und der mehrfachen Drohung zum Nachteil der Securitiy-Mitarbeitern D____ und E____ erfüllt.


3.2

3.2.1 In Bezug auf den Vorfall vom 25. April 2011 macht die Verteidigung geltend, die Vorinstanz habe zu Unrecht auf die Aussagen des Opfers B____ abgestellt, welches widersprüchliche Angaben zum Tathergang gemacht habe. So habe es anlässlich seiner Einvernahme am 9. Februar 2015 ausgesagt, der Berufungskläger habe es mit Hurensohn angesprochen und danach zugeschlagen. An die laut Polizeirapport gemachte Aussage, der Berufungskläger habe es angespuckt, habe sich das Opfer aber nicht mehr erinnern können. Im Gegensatz dazu habe der Berufungskläger immer gleich ausgesagt: Er habe stets angegeben, er habe lediglich vor sich auf den Boden gespuckt. Das Opfer habe sich dadurch provoziert gefühlt und ihn deshalb angegriffen, wobei es ihn mit einer Eisenstange auf den Kopf geschlagen habe. Da der Berufungskläger die Geschehnisse trotz seiner Krankheit auch vier Jahre später stets gleich geschildert habe, sei davon auszugehen, dass seine Aussagen glaubhaft seien. Auf diese sei deshalb abzustellen. Mit ihrem Vorgehen, so die Verteidigung, habe die Vorinstanz den Grundsatz in dubio pro reo verletzt (Berufungsbegründung S. 4/5).


3.2.2 Dem kann jedoch nicht gefolgt werden. Zwar trifft zu, dass das Opfer laut im Polizeirapport festgehaltenen Angaben gesagt hat, es sei vom Berufungskläger angespuckt worden, während es das Anspucken in der Einvernahme erst auf Nachfrage des Ermittlungsbeamten bestätigt hat und auch noch anfügte, er habe es mit Hurensohn beschimpft. Diese Divergenzen, welche Details betreffen, können jedoch ohne weiteres mit dem Zeitablauf von immerhin vier Jahren erklärt werden. Sie vermögen die Glaubwürdigkeit der Angaben des Opfers deshalb nicht grundsätzlich zu erschüttern. Demgegenüber ist die vom Berufungskläger vorgetragene Fassung offensichtlich lebensfremd. Insbesondere ist darauf hinzuweisen ist, dass er gemäss Polizeirapport vollkommen unverletzt war und explizit keine Spuren vom angeblichen Schlagen mit einer Eisenstange auf seinen Kopf aufwies. Seine diesbezüglichen Erklärungen sowohl in der Verhandlung des Strafgerichts als auch vor Appellationsgericht - er sei halt anders, sein Gesicht werde erst nach 2-3 Tagen angeschwollen bzw. blau (erstinstanzliches Protokoll S. 9, act 382; zweitinstanzliches Protokoll S.2) -, vermögen ebenso wenig zu überzeugen. Demgegenüber ist der Nasenbeinbruch des Opfers zweifelsfrei dokumentiert (act. 112). Entgegen der Ansicht des Berufungsklägers bestehen somit keine ernsthaften Zweifel an der Darstellung des Opfers. Die Vorinstanz hat deshalb zu Recht auf diese abgestellt.


3.2.3 Weshalb, wie die Verteidigung weiter geltend macht, die Einvernahme vom 28. Januar 2015 betreffend den Vorfall mit den Securitas-Mitarbeitern mangels Übersetzung und Anwesenheit des Verteidigers nicht verwertbar sein soll, ist sodann nicht ersichtlich. Zum einen waren die Voraussetzungen für die notwendige Verteidigung vor dem Vorliegen des forensisch-psychiatrischen Gutachtens nicht offensichtlich erkennbar. Ferner gab der Berufungskläger genau dieselbe Geschehensvariante noch einmal in der Hauptverhandlung des Strafgerichts - diesmal in Anwesenheit eines Dolmetschers - und auch vor dem Appellationsgericht wieder, womit der Einwand, er habe die Fragestellung in der Einvernahme vom 28. Januar 2015 mangels Übersetzung nicht verstanden, widerlegt ist. Der weiter vorgebrachte Einwand der Verteidigung, es habe eine Notwehrsituation vorgelegen, muss gemäss den vorstehenden Erwägungen ebenfalls als abwegig bezeichnet werden. Die Vorinstanz ist somit zu Recht zum Schluss gelangt, dass der Berufungskläger den Tatbestand der einfachen Körperverletzung sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht erfüllt hat.


3.3

3.3.1 In Bezug auf den Vorfall der mehrfachen Drohung vom 27. Januar 2015 hat es die Vorinstanz als erstellt erachtet, dass der Berufungskläger bei seiner Heimkehr in die Asylunterkunft den Securitas-Mitarbeitern vorgeworfen habe, sie würden unbefugt in seine Wohnung eindringen und sein Essen vergiften. In der Folge habe er sie auch beschimpft und ihnen gedroht, er werde sie alle umbringen. Schliesslich sei er mit einem Messer auf dem Balkon erschienen, um seine Drohung zu untermauern.


3.3.2 Die Verteidigung macht auch in diesem Punkt geltend, die Vorinstanz sei von einem falschen Sachverhalt ausgegangen. Zwar bestreite der Berufungskläger die verbale Auseinandersetzung nicht (vgl. Einvernahme vom 28. Januar 2015, act. 176). Er habe jedoch keine Drohgebärden mit einem Messer gemacht, sondern sei lediglich rein zufällig - da er sich gerade einen Fisch habe zubereiten wollen - mit dem Messer in der Hand auf die Terrasse getreten. Es sei zudem abwegig, dass sich die an das Verhalten des Berufungsklägers gewöhnten Securitas-Mitarbeiter dadurch bedroht gefühlt hätten. Nicht belegt seien auch die Schneidbewegungen vor dem Hals des Berufungsklägers (Berufungsbegründung S. 8).


3.3.3 Die Argumentation der Verteidigung überzeugt nicht. E____ hat an der Hauptverhandlung des Strafgerichts die gegenüber ihm und seinem Kollegen ausgesprochene Drohung konkretisiert, indem er angab, der Berufungskläger habe wörtlich gesagt, er schliesse sich dem IS an (erstinstanzliches Protokoll S. 12). D____ gab an, der Berufungskläger habe sich nach diesem Ausspruch unmittelbar in seine Wohnung gegeben, wo er danach mit einem Messer in der Hand, welches er drohend in ihre Richtung gehalten habe, auf dem Balkon erschienen sei (erstinstanzliches Protokoll S. 14). E____ gab auf Nachfrage an, das mit dem Balkon habe nicht er selbst, sondern sein Arbeitskollege gesehen, welcher ihm aber sofort gesagt habe, er solle deswegen die Polizei rufen (erstinstanzliches Protokoll S. 12).


Wie die Vorinstanz zu Recht erwogen hat, sind die Aussagen der beiden Opfer glaubhaft: Sie belasten den Berufungskläger nicht übermässig und sind grösstenteils übereinstimmend und schlüssig. Dass, wie die Verteidigung moniert, nur eines der Opfer die Szene mit dem Balkon selbst gesehen habe, tut dem keinen Abbruch, wird doch auch dieser Umstand von beiden gleich geschildert. Die Version des Berufungsklägers, er habe sich rein zufällig mit einem Messer auf den Balkon begeben, ist dagegen - gerade in Anbetracht der unbestrittenermassen vorangegangenen verbalen Auseinandersetzung - nicht als glaubwürdig einzustufen.


Im Gegensatz zur Behauptung der Verteidigung ist weiter davon auszugehen, dass die Securitas-Mitarbeiter die Drohung spätestens mit dem Vorzeigen des Messers ernst nahmen. Dies wird von beiden denn auch so geschildert (vgl. Auss. D____: Ich dachte uh oh, jetzt passiert was, erstinstanzliches Protokoll S. 14, act 387; Auss. E____, die Angst war schon da, ich war nervös und das Adrenalin war da, erstinstanzliches Protokoll S. 12, act. 385). Dabei spielt es keine Rolle, ob der Berufungskläger Schnittbewegungen vor dem Hals gemacht hat oder nicht: Zwar ist richtig, dass die in der Einvernahme vom 4. Februar 2015 erwähnten Bewegungen vor dem Hals des Berufungsklägers in der Hauptverhandlung des Strafgerichts nicht mehr erwähnt werden (vgl. erstinstanzliches Protokoll, act 387). Für die Frage, ob eine Drohung gegenüber den Securitas-Mitarbeitern erfolgt ist oder nicht, ist dieser Umstand aber nur von untergeordneter Bedeutung: Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, hat der Berufungskläger seinen Drohungen in jedem Fall allein schon durch das Zücken des Messers Nachdruck verliehen. Die Opfer haben denn auch beide angegeben, sie hätten Angst gehabt wegen dem Messer und sich bedroht gefühlt. So hat E____ gesagt, es sei diesmal anders gewesen, und weiter ausgeführt: Es war ein Messer im Spiel und wir mussten uns schützen (act. 385). Beide Opfer gaben an, aus diesem Grund hätten sie auch die Polizei gerufen (vgl. Einvernahme D____ vom 6. Februar 2015, act 203; Einvernahme E____ vom 4. Februar 2015, act. 195; Angaben in Hauptverhandlung, act.385). Dem entspricht, dass die Opfer gemäss Akten bereits mindestens einmal zuvor durch die die von einer unbekannten Person akquirierte Polizei auf die damals rein verbalen Drohungen durch den Berufungskläger angesprochen worden waren, jedoch geantwortet hatten, sie hätten keine Angst und auch die Polizei nicht gerufen (act. 164f., 242 f,. vgl. auch Auss. D____, act 206: Eigentlich gab es jeden Tag Drohungen, das ist bei ihm normal). In diesem Zusammenhang ist nicht zuletzt auf die zahlreichen Einträge betreffend Drohungen im Journal der Securitas hinzuweisen, welche offenbar dank der hohen Toleranzschwelle der Securitas stets ohne Konsequenz blieben.


Zusammenfassend ist mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass auf die Angaben der beiden Securitas-Mitarbeiter abzustellen ist und diese sich vom Berufungskläger auch ernsthaft bedroht gefühlt haben. Die rechtliche Qualifikation der mehrfachen Drohung ist deshalb zu Recht erfolgt.


3.4 Nach dem Gesagten sind die durch die Vorinstanz zu Grunde gelegten Sachverhalte und die entsprechenden rechtlichen Qualifikationen zu bestätigten.


4.

Die Vorinstanz hat den Berufungskläger als schuldunfähig i.S. von Art. 19 Abs. 1 StGB eingestuft. Dies wird in der Berufung nicht bestritten. Die Verteidigung beanstandet jedoch das forensisch-psychiatrische Gutachten (nachfolgend E 4.1) und die Erforderlichkeit einer stationären Massnahme (nachfolgend E 4.2).



4.1

4.1.1 In Bezug auf das Gutachten wird geltend gemacht, dieses weise diverse Widersprüche auf. So werde einerseits von einer eher hohen Wahrscheinlichkeit eines Risikos und andererseits davon geredet, dass der Berufungskläger anscheinend wiederholt Messer mitgeführt habe (Berufungsbegründung S. 9). Da der Berufungskläger beim genannten Vorfall mit einem Messer vor 9 Jahren selbst schwer verletzt worden sei, sei diese Aussage zu relativieren. Auch könne die Prognose bezüglich seines zukünftigen Gewaltverhaltens nicht unbesehen als negativ bezeichnet werden, da ihm einerseits nur zwei Gewaltdelikte angelastet würden und er andererseits in der Vergangenheit trotz der Tatsache, dass er von Nothilfe und ohne Wohnsitz gelebt habe, nicht gewalttätig geworden sei (a.a.O.). Ebenfalls zu relativieren sei die Aussage, der Berufungskläger sehe sein Gegenüber immer als feindlich an, habe er doch zu seinem Cousin durchaus eine enge Beziehung.


4.1.2 Die zitierten Vorbringen der Verteidigung vermögen nichts daran zu ändern, dass die Vorinstanz das Gutachten mit Recht als überzeugend würdigte. Dass zusammen mit der Vorstrafe - welche immerhin wegen einer versuchten schweren Körperverletzung erfolgte - nur zwei eigentliche Körperverletzungsdelikte vorliegen, vermag an der zutreffenden Einschätzung der Gutachterin, es bestehe beim Berufungskläger die Gefahr erneuter Straftaten, nichts zu ändern. Ferner ist nicht zu beanstanden, dass die Gutachterin den Einsatz eines Messers als problematisch bezeichnete: Es kann diesbezüglich auf die Vorstrafe - wo ebenfalls ein Messer im Spiel war -, die Drohung gegenüber den beiden Securitas-Mitarbeitern und auf eine frühere, folgenlos gebliebene Requisition im Zusammenhang mit einem Messer im Jahr 2014 (vgl. Gutachten S.6/7) verwiesen werden. Allein der Umstand, dass der Berufungskläger offenbar eine gewisse Beziehung zu seinem Cousin pflegt, vermag das von der Gutachterin ausgemachte Grundmuster, dass der Berufungskläger sein Gegenüber jeweils als feindlich einschätze und es als Bedrohung empfinde, nicht zu erschüttern. Die Gutachterin hat denn auch in der Hauptverhandlung des Strafgerichts festgehalten, der Berufungskläger habe ihr gegenüber angegeben, er traue selbst seinem Cousin nicht mehr (act. 379). Festzuhalten ist weiter, dass sich die Wahndynamik sogar auf seinen langjährigen Hausarzt bezog, gab er doch bei der zweiten Untersuchung der Gutachterin gegenüber an, der Hausarzt sei eine fremde Person, die sich als Arzt ausgebe, und er wolle nicht mehr zu diesem gehen (vgl. Gutachten S. 25). Ergänzend für das von der Gutachterin festgestellte fremdaggressive Verhalten kann auf den oben erwähnten Securitas-Rapport über diverse andere Vorfälle verwiesen werden.


Dass, wie die Verteidigung geltend macht, das wahnhafte Verhalten vor allem in Zeiten ohne Arbeitsmöglichkeit des Berufungsklägers festzustellen sei, vermag das Gutachten ebenfalls nicht zu erschüttern. Der Berufungskläger hat keine Arbeit, und eine Arbeitsmöglichkeit ist derzeit auch nicht ersichtlich. Weshalb es für diese Beurteilung des Beizugs der IV-Akten bedürfen soll, ist nicht nachvollziehbar. Somit wird auch dieser Beweisantrag abgelehnt.


4.1.3 Nach dem Gesagten hat die Vorinstanz somit zu Recht auf das Gutachten abgestellt.


4.2

4.2.1 Die Verteidigung macht weiter geltend, die von der Vorinstanz angeordnete stationäre Massnahme sei unverhältnismässig. Durch die Relativierung des Gutachtens sei ein Risiko tätlich-aggressiven Verhaltens gerade nicht erstellt. Eine ambulante Massnahme genüge für die Behandlung des Berufungsklägers.


4.2.2 Gemäss Art. 56 Abs. 1 StGB ist eine Massnahme anzuordnen, wenn eine Strafe allein nicht geeignet ist, der Gefahr weiterer Delikte zu begegnen, wenn zudem ein Behandlungsbedürfnis des Täters besteht oder die öffentliche Sicherheit dies einfordert und wenn schliesslich die Voraussetzungen der jeweiligen konkreten Bestimmung - Art. 59-61, 63 0der 64 StGB ­- erfüllt sind. Weiter ist nach Art. 56 Abs. 2 StGB zu beachten, dass der Eingriff in die Persönlichkeitsrechte des Beurteilten im Hinblick auf die Wahrscheinlichkeit und Schwere weiterer Straftaten verhältnismässig erscheinen muss. Dieses Prinzip ist in allen Bereichen des Massnahmenrechts zu beachten (Trechsel/Pauen Borer, in: Trechsel/Pieth (Hrsg.), Praxiskommentar StGB, 2. Auflage, Art. 56 N 6). Bei der neben der Geeignetheit und Erforderlichkeit zu prüfenden Verhältnismässigkeit im engeren Sinne sind die Schwere des Eingriffs in die Freiheitsrechte des Betroffenen einerseits und sein Behandlungsbedürfnis sowie die Schwere und Wahrscheinlichkeit künftiger Straftaten andererseits zu berücksichtigen (a.a.O., m.H. auf BGer 6B_596/2011, E. 3.2).


4.2.3 Vorliegend kam die Vorinstanz zum Schluss, die Voraussetzungen für eine stationäre Massnahme seien gegeben. Dabei stützt sie sich auf das Gutachten, welches festhält, der Berufungskläger leide an einer schweren psychischen Störung, wobei unbehandelt von einem hohen Rückfallrisiko für Drohungen aber auch für tätlich-aggressives Verhalten auszugehen sei. Aus forensisch-psychiatrischer Sicht lägen die Voraussetzungen für eine Massnahme vor. Da der Berufungskläger keinerlei Krankheitseinsicht zeige und seine soziale Situation prekär sei - weder habe er eine Wohnung noch eine Arbeit -, sei nur eine stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB als aussichtsreich zu betrachten (Gutachten S. 34/35). Diesen Erwägungen ist zuzustimmen. Nach Meinung des Gutachtens ist eine stationäre Massnahme zur Behandlung des Berufungsklägers und Vermeidung weiterer Delikte klar indiziert und besteht insbesondere keine Möglichkeit einer milderen Massnahme. So hat die Gutachterin auch in der Hauptverhandlung noch einmal betont, eine ambulante Massnahme sei nicht erfolgsversprechend (act. 378). Weiter überzeugt auch die Begründung der Verteidigung, weshalb auf eine stationäre Massnahme zu verzichten sei, nicht: Die Behauptung, die Wahndynamik des Berufungsklägers lasse sich auch im Rahmen eines zweimonatigen stationären Vorlaufs vor einer ambulanten Therapie verringern, und es lasse sich in dieser Zeit ein Krankheitsverständnis erarbeiten, entbehrt jeglicher Grundlage und lässt sich nicht nachvollziehen.


Entgegen den Ausführungen in der Berufungsbegründung liegt auch nicht bloss ein hinzunehmendes querulatorisches Verhalten des Berufungsklägers vor, sondern es besteht, wie die Gutachterin festhält, ein hohes Risiko für tätlich-aggressives Verhalten. Dabei äusserte die Gutachterin in der Hauptverhandlung des Strafgerichts auch die Befürchtung, es sei denkbar, dass der Berufungskläger in der Wahndynamik ein Messer einsetze, und führte aus: Wenn wir eine hohe Wahndynamik haben, dann sind auch alle Emotionen angeheizt, und die Handlungsimpulse sind auch sehr heftig und werden nicht mehr reflektiert (erstinstanzliches Protokoll, act. 380). In diesem Zusammenhang hielt sie weiter fest, sie würde es nicht überbewerten, ob er tatsächlich diese Bewegung mit dem Messer an der Kehle gemacht hat. Darauf kann es somit, entgegen der Ansicht der Berufungsklägerin (s. oben E. 3.3.), auch hier nicht ankommen. Ergänzend ist festzuhalten, dass aus dem Zusammenhang und in Anbetracht der Vortat sowie der Verletzung von B____ die Bezeichnung tätlich nicht im Sinne einer juristischen Qualifikation zu verstehen ist.


4.2.4 Nach dem Gesagten ist das Verhältnismässigkeitsprinzip bei der Anordnung einer stationären Massnahme gegenüber dem Berufungskläger gewahrt.


4.3 Gemäss den obigen Ausführungen ist festzuhalten, dass die vorliegende Massnahme sowohl geeignet als auch erforderlich im Sinne des Gesetzes ist. Weiter ist sie auch verhältnismässig im engeren Sinne. Damit sind sämtliche Voraussetzungen für eine stationäre Massnahme gemäss Art. 59 StGB gegeben.


5.

Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Berufungskläger dessen Kosten zu tragen. Zufolge Gewährung der unentgeltlichen Verteidigung gehen diese zu Lasten des Staates und ist der Verteidigung ein Honorar aus der Gerichtskasse zu entrichten. Mit ihrer Honorarnote vom 8. Februar 2016 macht die Verteidigerin einen relativ hohen Aufwand von 23,33 Stunden à CHF 200.- (inkl. Hauptverhandlung) sowie Auslagen von CHF 41.20, insgesamt CHF 4707.85, geltend. Dies erscheint angesichts der Umstände des Falles gerade noch vertretbar, so dass der Verteidigung ein Honorar gemäss Aufstellung, zuzüglich MWST, zu entrichten ist. Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt vorbehalten.



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Ausschuss):


://: Es wird festgestellt, dass folgende Punkte des Urteils des Strafdreiergerichts vom 17. Juni 2015 in Rechtskraft erwachsen sind:


- Freispruch im Anklagepunkt AS 1.2 vom Vorwurf der mehrfachen Drohung


- Beschluss über die beschlagnahmten Gegenstände


- Entschädigung der amtlichen Verteidigung


A_____ hat die objektiven und subjektiven Tatbestandsmerkmale der einfachen Körperverletzung und der mehrfachen Drohung in rechtswidriger Weise erfüllt, war jedoch schuldunfähig im Sinne von Art. 19 Abs. 1 des Strafgesetzbuches.


Es wird in Anwendung von Art. 375 Abs. 1 der Strafprozessordnung eine stationäre psychiatrische Behandlung im Sinne von Art. 59 Abs. 1 des Strafgesetzbuches angeordnet.


Es werden keine Verfahrenskosten erhoben.


Der amtlichen Verteidigerin im Kostenerlass, lic. iur. [...], wird aus der Gerichtskasse ein Honorar von CHF 4707.85 (inkl. Auslagen), zuzüglich 8 % MWST von CHF 376.60, insgesamt CHF 5084.50, ausgerichtet. Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt vorbehalten.


Mitteilung an:

- lic. iur. [...] im Doppel (für sich und den Berufungskläger)

- Staatsanwaltschaft

- Justiz- und Sicherheitsdepartement, Abteilung Strafvollzug

- Privatkläger

- Strafgericht

- Strafregister-Informationssystem VOSTRA

- Gutachterin



APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT



Der Präsident Die Gerichtsschreiberin

lic. iur. Christian Hoenen Dr. Patrizia Schmid

Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Vertretung der Privatklägerschaft können gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).




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