Zusammenfassung des Urteils IV.2017.202 (SVG.2018.284): Sozialversicherungsgericht
Die Beschwerdeführerin, eine Mutter von zwei Kindern, hatte Anspruch auf Invalidenrente und Kinderrenten, die jedoch ab August 2016 eingestellt wurden, da das Praktikum ihrer Tochter nicht als Ausbildung anerkannt wurde. Die IV-Stelle forderte zu viel bezahlte Kinderrenten zurück, da die Tochter die Ausbildung abgebrochen hatte. Nach mehreren Verfahrensinstanzen entschied das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt, dass die Kinderrente zu Recht eingestellt und die zu viel bezahlten Leistungen zurückgefordert wurden. Die Beschwerde wurde abgewiesen, und die Beschwerdeführerin muss die Gerichtskosten tragen.
Kanton: | BS |
Fallnummer: | IV.2017.202 (SVG.2018.284) |
Instanz: | Sozialversicherungsgericht |
Abteilung: |
Datum: | 26.06.2018 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Anspruch auf Kinderrente verneint, da Praktikum keine Ausbildung darstellt; Rückforderung einer Kinderrente rechtmässig, da sich das Kind infolge Abbruchs der Lehre nicht mehr in Ausbildung befand, die relative einjährige Verwirkungsfrist wurde nach Art. 25 Abs. 2 ATSG gewahrt. |
Schlagwörter: | Ausbildung; Kinder; Kinderrente; Tochter; Praktikum; Verfügung; IV-Akte; Basel; Hotel; Recht; Rückerstattung; Anspruch; Rückerstattungsverfügung; Leistung; IV-Stelle; Verfügungen; Rückforderung; Lehrstelle; Kauffrau; Lehrverhältnis; Akten; Bundesgericht; Kinderrenten; Basel-Landschaft; Recht; Sozialversicherungsgericht; Basel-Stadt; Lehre; Leistungen |
Rechtsnorm: | Art. 15 BBG;Art. 25 AHVG ;Art. 25 ATSG ;Art. 31 ATSG ;Art. 42 BGG ;Art. 47 BGG ;Art. 95 BGG ; |
Referenz BGE: | 118 V 218; 139 V 122; 140 V 314; 140 V 521; 141 V 473; |
Kommentar: | - |
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt
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URTEIL
vom 26. Juni 2018
Mitwirkende
Dr. A. Pfleiderer (Vorsitz), lic. iur. A. Lesmann-Schaub, Dr. med. C. Karli
und Gerichtsschreiberin lic. iur. A. Gmür
Parteien
A____
vertreten durch lic. iur. B____
Beschwerdeführerin
IV-Stelle Basel-Stadt
Rechtsdienst, LangeGasse7, Postfach, 4002Basel
Beschwerdegegnerin
Gegenstand
IV.2017.202
Verfügungen vom 14. September 2017
Anspruch auf Kinderrente verneint, da Praktikum keine Ausbildung darstellt; Rückforderung einer Kinderrente rechtmässig, da sich das Kind infolge Abbruchs der Lehre nicht mehr in Ausbildung befand, die relative einjährige Verwirkungsfrist wurde nach Art. 25 Abs. 2 ATSG gewahrt.
Tatsachen
I.
Die 1962 geborene Beschwerdeführerin, Mutter von zwei Kindern, meldete sich am 4. Oktober 2005 zum Bezug von Leistungen der Eidgenössischen Invalidenversicherung (IV-Stelle Basel-Stadt, Beschwerdegegnerin) an (IV-Akte 1). Nach erfolgten Abklärungen sprach die IV-Stelle Basel-Stadt der Beschwerdeführerin mit Verfügungen vom 31. Mai 2007 und 9. Januar 2008 - ausgehend von einem Invaliditätsgrad von 87% - eine ganze Rente sowie Kinderrenten für die beiden Kinder ab 1. September 2005 zu (vgl. IV-Akten 28 und 32). Dies bestätigte sie letztmals mit Verfügungen vom 21. November, 26. November und 5. Dezember 2013, wobei ab August 2011 nur noch für die Tochter C____ eine Kinderrente ausgerichtet wurde (IV-Akten 50 und 54-55). Mit Verfügung 1 vom 27. Januar 2017 teilte die IV-Stelle Basel-Landschaft der Beschwerdeführerin mit, ab August 2016 bestehe kein Anspruch auf eine Kinderrente zur Invalidenrente, da das gegenwärtig von der Tochter absolvierte Praktikum nicht als Ausbildung anerkannt werde (IV-Akte 167, S. 6). Mit Rückerstattungsverfügung 2 vom 27. Januar 2017 forderte die IV-Stelle Basel-Landschaft zudem zu viel ausbezahlte Kinderrenten von März bis August 2016 in Höhe von Fr. 4428.-- zurück. Zur Begründung führte sie an, der Lehrvertrag der Tochter sei per 29. Februar 2016 aufgelöst worden. Somit habe sich die Tochter ab diesem Zeitpunkt nicht mehr in Ausbildung befunden (IV-Akte 167, S. 26). Schliesslich forderte die IV-Stelle Basel-Landschaft mit am gleichen Tag ergangener Rückerstattungsverfügung 3 und gleichlautender vorerwähnter Begründung zu viel ausbezahlte Kinderrenten von März bis August 2016 in Höhe von Fr.4032.-- von der Beschwerdeführerin zurück. Denn die dem Vater des Kindes zustehende Kinderrente sei auf das Bankkonto der Beschwerdeführerin überwiesen worden, folglich schulde sie die zu Unrecht ausbezahlten Leistungen (IV-Akte 167, S. 8). Dagegen erhob die Beschwerdeführerin beim Kantonsgericht Basel-Landschaft, Abteilung Sozialversicherungsgericht, am 31. März 2017 Beschwerde (IV-Akte 167, S. 9-11). Die IV-Stelle Basel-Landschaft teilte mit Beschwerdeantwort vom 23. Mai 2017 mit, sie anerkenne mangels örtlicher Zuständigkeit des Kantonsgerichts Basel-Landschaft die Beschwerde gegen die Verfügungen 1 und 2, nicht dagegen gegen die Verfügung 3 (IV-Akte 167, S. 12 und S. 14ff.). Mit Beschluss vom 4. August 2017 schrieb die Präsidentin des Kantonsgerichts Baselland zufolge Beschwerdeanerkennung das Verfahren ab und hob die angefochtene Verfügung vom 27. Januar 2017 [recte: angefochtenen Verfügungen 1 und 2 vom 27. Januar 2017] auf (IV-Akte 167, S. 14-17). Am 14. September 2017 bestätigte die IV-Stelle Basel-Stadt die Verfügungen 1 und 2 der IV-Stelle Basel-Landschaft vom 27. Januar 2017 und erliess Verfügungen mit gleichlautendem Inhalt (Beschwerdebeilage 1 und 2).
II.
Dagegen erhebt die Beschwerdeführerin am 16. Oktober 2017 Beschwerde. Sie beantragt, es sei die Verfügung vom 14. September 2017 betreffend Einstellung der Kinderrente ab August 2016 aufzuheben. Weiter sei die Rückerstattungsverfügung vom 14. September 2017 betreffend der Kinderrente aufzuheben.
Mit Beschwerdeantwort vom 8. Dezember 2017 schliesst die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde.
Mit Replik vom 16. Februar 2018 und Duplik vom 22. März 2018 halten die Parteien an den gestellten Rechtsbegehren fest.
III.
Nachdem keine der Parteien die Durchführung einer Parteiverhandlung verlangt, findet am 26. Juni 2018 die Urteilsberatung durch die Kammer des Sozialversicherungsgerichts statt.
Entscheidungsgründe
1.
1.1. Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt ist als einzige kantonale Instanz zuständig zum Entscheid über die vorliegende Streitigkeit (§ 82 Abs. 1 des Gesetzes vom 3. Juni 2015 betreffend die Organisation der Gerichte und der Staatsanwaltschaft [Gerichtsorganisationsgesetz], GOG; SG 154.100). Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus Art. 69 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 19. Juni 1959 über die Invalidenversicherung (IVG; SR 831.20).
1.2. Da auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde einzutreten.
Beendet ist die Ausbildung gemäss Art. 49ter Abs. 1 AHVV mit einem Berufs- Schulabschluss. Die Ausbildung gilt in Anwendung von Art. 49ter Abs. 2 AHVV auch als beendet, wenn sie abgebrochen unterbrochen wird wenn ein Anspruch auf eine Invalidenrente entsteht. Nicht als Unterbrechung im Sinne von Absatz 2 gelten die folgenden Zeiten, sofern die Ausbildung unmittelbar danach fortgesetzt wird: a. übliche unterrichtsfreie Zeiten und Ferien von längstens 4 Monaten; b. Militär- Zivildienst von längstens 5 Monaten; c. gesundheits- schwangerschaftsbedingte Unterbrüche von längstens 12 Monaten (Art. 49ter Abs. 3 AHVV; vgl. auch BGE 141 V 473, E. 3).
3.3. Nach Art. 25 Abs. 1 Satz 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) sind unrechtmässig bezogene Leistungen zurückzuerstatten. Der Rückforderungsanspruch erlischt mit dem Ablauf eines Jahres, nachdem die Versicherungseinrichtung davon Kenntnis erhalten hat, spätestens aber mit dem Ablauf von fünf Jahren nach der Entrichtung der einzelnen Leistung. Wird der Rückerstattungsanspruch aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist vorsieht, so ist diese Frist massgebend (vgl. Art. 25 Abs. 2 ATSG).Weiter ist aufgrund der Aktenlage nicht erwiesen, es habe eine faktische Notwendigkeit für das Praktikum bestanden. Zum einen hat die Beschwerdeführerin nicht substantiiert dargelegt, dass das Praktikum beim Hotel E____ notwendig für die anschliessende Ausbildung zur Kauffrau war. Denn in den Akten fehlt es an einer Zusicherung des zukünftigen Lehrbetriebs, die Tochter werde nur bei Eignung nach Abschluss des Praktikums eine Lehrstelle im betreffenden Betrieb erhalten (vgl. E. 3.2). Zum anderen spricht auch die Tatsache, dass die Tochter das Praktikum im Hotel E____ absolvierte, die Lehrstelle jedoch im Hotel D____ und damit in einem anderen Betrieb angetreten hat, gegen die Erforderlichkeit eines Praktikums für die anschliessende Ausbildung zur Kauffrau. Denn aus den Akten ist nicht ersichtlich, inwiefern die Tochter zuerst ihre Eignung für die angestrebte Ausbildung im Hotel D____ durch das Praktikum im Hotel E____ unter Beweis stellen musste. Zwar ist mit der Beschwerdeführerin einig zu gehen, dass die Suche nach einer Lehrstelle durch das Praktikum im Hotel E____ möglicherweise vereinfacht und die Anstellungschancen erhöht wurden. Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung liegt jedoch keine Ausbildung vor, wenn das Kind lediglich eine praktische Tätigkeit ausübt, um sich dabei einige Branchenkenntnisse und Fertigkeiten anzueignen, um die Anstellungschancen bei schwieriger Beschäftigungssituation zu verbessern um eine Berufswahl zu treffen (BGE 140 V 314, E. 3.2 mit Hinweisen).
4.4. Als Zwischenergebnis kann somit festgehalten werden, dass das Praktikum der Tochter als Réceptionistin im Hotel E____ vom 8. August 2016 bis 7. August 2017 (IV-Akte 167, S. 25-26) nicht als Ausbildung im Sinne des Gesetzes angesehen werden kann. Somit hat die Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 14. September 2017 zu Recht ab August 2016 einen Anspruch der Beschwerdeführerin auf eine Kinderrente verneint.Nach dem unter E. 5.2. Dargelegten hat die Tochter der Beschwerdeführerin zwar die Berufsschule bis Ende Juni 2016 besucht, sie hat jedoch die Suche nach einer neuen Lehrstelle nicht unverzüglich an die Hand genommen. In den Akten finden sich im Zeitraum von März bis Juli 2016 lediglich fünf Bewerbungen, wobei die Tochter diese ausschliesslich im Juni und Juli 2016 tätigte. Aus diesem zeitlichen Ablauf kann nicht geschlossen werden, sie hätte sich sofort nach Auflösung des Lehrvertrags am 29. Februar 2016 ernsthaft um eine neue Lehrstelle bemüht. Hinzu kommt, dass aufgrund der Bewerbungen nicht eindeutig erstellt ist, ob sie ihr Lehrziel nie aufgegeben hat und allenfalls einen Branchenwechsel vornehmen wollte (Urteil des Bundesgerichts vom 20. März 2014 [8C_916/2013], E. 4). Vor diesem Hintergrund ist davon auszugehen, dass sie die Ausbildung im Sinne von Art. 49ter Abs. 2 AHVV abgebrochen hat und die Tochter sich bis zu einer allfälligen Wideraufnahme derselben nicht mehr in Ausbildung befand. Damit ist der Entscheid der Beschwerdegegnerin, die Tochter habe sich von März bis August 2016 nicht in Ausbildung befunden, zu schützen.
5.4. Zusammenfassend ergibt sich, dass sich die Tochter von März bis August 2016 nicht in Ausbildung befunden hat. Die Kinderrente wurde der Beschwerdeführerin somit für die Zeit vom 1. März bis 31. August 2016 zu Unrecht ausgerichtet.Wie oben dargelegt, hatte die Beschwerdegegnerin erstmals im August 2016 Kenntnis vom Lehrabbruch der Tochter der Beschwerdeführerin (IV-Akte 167, S. 25). Jedoch erfuhr sie erst im Januar 2017, dass das Lehrverhältnis bereits per 29. Februar 2016 aufgelöst worden ist (vgl. Brief vom 16. Januar 2017 betreffend Auflösung des Lehrverhältnisses, IV-Akte 167, S. 21f. und Beschwerdeantwort vom 28. November 2017, S. 3). Damit waren der Beschwerdegegnerin erst im Januar 2017 alle im konkreten Einzelfall erheblichen Umstände zugänglich, aus deren Kenntnis sich der Rückforderungsanspruch dem Grundsatz nach und in seinem Ausmass gegenüber einer bestimmten rückerstattungspflichtigen Person ergibt (Urteil des Bundesgerichts vom 8. August 2017 [8C_262/2017], E. 3.1. mit Hinweisen). Der Beginn der Verwirkungsfrist ist daher auf Januar 2017 festzulegen. Mit der Rückerstattungsverfügung vom 14. September 2017 hat die Beschwerdegegnerin somit die relative einjährige Verwirkungsfrist nach Art. 25 Abs. 2 Satz 1 ATSG gewahrt.
Demgemäss erkennt das Sozialversicherungsgericht:
://: Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Beschwerdeführerin trägt die ordentlichen Kosten, bestehend aus einer Gebühr von Fr. 800.--.
Die ausserordentlichen Kosten werden wettgeschlagen.
Sozialversicherungsgericht BASEL-STADT
Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin
Dr. A. Pfleiderer lic. iur. A. Gmür
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz, BGG]). Die Beschwerdefrist kann nicht erstreckt werden (Art. 47 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegründe sind in Art. 95 ff. BGG geregelt.
Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, in dreifacher Ausfertigung zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat den Anforderungen gemäss Art. 42 BGG zu genügen; zu beachten ist dabei insbesondere:
a) Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten;
b) in der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt;
c) die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat, ebenso der angefochtene Entscheid.
Geht an:
- Beschwerdeführerin
- Beschwerdegegnerin
- Bundesamt für Sozialversicherungen
Versandt am:
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