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Urteil Appellationsgericht (BS - HB.2023.41)

Zusammenfassung des Urteils HB.2023.41: Appellationsgericht

A____ befindet sich in Sicherheitshaft aufgrund schwerwiegender Anklagepunkte wie Geldwäscherei, Betrug, Vergewaltigung, und weiteren Delikten. Er beantragt seine Freilassung oder alternative Haftentlassung mit Auflagen. Das Appellationsgericht bestätigt die Sicherheitshaft für 6 Monate bis zum 1. März 2024 und weist die Beschwerde ab. Die Gerichtsgebühr beträgt CHF 600.-. Der Beschwerdeführer ist männlich.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts HB.2023.41

Kanton:BS
Fallnummer:HB.2023.41
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung: Einzelgericht
Appellationsgericht Entscheid HB.2023.41 vom 08.11.2023 (BS)
Datum:08.11.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Gericht; Flucht; Sicherheit; Anklage; Beschwerdeführers; Freiheit; Kollusions; Handlungen; Sicherheitshaft; Kollusionsgefahr; Person; Untersuchungs; Verfahren; Landesverweis; Anordnung; Freiheitsstrafe; Schweiz; Landesverweisung; Verteidigung; Bundesgericht; Sachverhalt; Anklageschrift; Entscheid; Verhalten; Aussage
Rechtsnorm: Art. 189 StGB ;Art. 212 StPO ;Art. 221 StPO ;Art. 222 StPO ;Art. 237 StPO ;Art. 396 StPO ;Art. 42 BGG ;Art. 48 BGG ;Art. 66a StGB ;Art. 66b StGB ;Art. 86 StGB ;
Referenz BGE:127 IV 106; 129 IV 113; 137 IV 122; 138 IV 113;
Kommentar:
Donatsch, Weder, 21. Auflage , Art. 189 StGB, 2022

Entscheid des Verwaltungsgerichts HB.2023.41



Geschäftsnummer: HB.2023.41 (AG.2023.686)
Instanz: Appellationsgericht
Entscheiddatum: 08.11.2023 
Erstpublikationsdatum: 04.07.2024
Aktualisierungsdatum: 04.07.2024
Titel: Anordnung von Sicherheitshaft wegen Flucht- und Kollusionsgefahr (BGer 7B_985/2023 vom 4. Januar 2024)
 
 

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht

 

 

HB.2023.41

 

ENTSCHEID

 

vom 8. November 2023

 

 

Mitwirkende

 

lic. iur. Marc Oser und Gerichtsschreiberin lic. iur. Barbara Grange

 

 

 

Beteiligte

 

A____, geb. […]                                                            Beschwerdeführer

c/o Untersuchungsgefängnis Basel-Stadt                             Beschuldigter

Innere Margarethenstrasse 18, 4051 Basel

vertreten durch […], Advokat,

[…]

 

gegen

 

Staatsanwaltschaft Basel-Stadt                            Beschwerdegegnerin

Binningerstrasse 21, 4001 Basel   

 

 

Gegenstand

 

Beschwerde gegen eine Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts

vom 21. September 2023

 

betreffend Anordnung von Sicherheitshaft

wegen Flucht- und Kollusionsgefahr

 


Sachverhalt

 

A____ befand sich seit dem 16. Juni 2021 in Untersuchungshaft und befindet sich seit dem 15. September 2023 in Sicherheitshaft. Dies nachdem die Staatsanwaltschaft mit Einreichung der Anklageschrift vom 15. September 2023 gegen ihn die Anklage wegen gewerbs- und bandenmässiger Geldwäscherei, Teilnahme an gewerbs- und bandenmässigem Betrug, mehrfacher Vergewaltigung, mehrfacher sexueller Nötigung, sexueller Handlungen mit Kindern, Pornografie, mehrfacher Urkundenfälschung, Bestechung, Begünstigung, Anstiftung zum Amtsmissbrauch, mehrfacher Fälschung von Ausweisen, gewerbs- und bandenmässiger Widerhandlung gegen das Geldspielgesetz sowie Widerhandlung gegen das Waffengesetz beim Strafgericht anhängig machte und gleichzeitig um Anordnung von Sicherheitshaft beim Zwangsmassnahmengericht (ZMG) ersuchte. Das ZMG hat die Sicherheitshaft mit Verfügung vom 21. September 2023 für die Dauer von 6 Monaten bis zum 1. März 2024 angeordnet. Gegen diesen Entscheid hat A____ mit Eingabe vom 2. Oktober 2023 Beschwerde beim Appellationsgericht eingereicht. Er lässt seine unverzügliche Freilassung aus der Haft beantragen, eventualiter die Haftentlassung unter Auferlegung von Ersatzmassnahmen, namentlich von einer wöchentlichen Meldepflicht, der Hinterlegung seiner Reisepapiere und der Auferlegung einer angemessenen Kautionszahlung. Dies alles unter o/e- Kostenfolge, wobei ihm auch für das Beschwerdeverfahren die amtliche Verteidigung zu gewähren sei.

 

Mit Stellungnahme vom 10. Oktober 2023 beantragt die Staatsanwaltschaft die Abweisung der Beschwerde soweit auf diese einzutreten sei, unter o/e- Kostenfolge.

 

Mit Replik vom 6. November 2023 lässt der Beschwerdeführer an seinen Anträgen festhalten.

 

Der vorliegende Entscheid ist im schriftlichen Verfahren unter Beizug der Vorakten ergangen. Auf die Einzelheiten des Sachverhalts sowie der Parteistandpunkte wird, soweit für den Entscheid von Relevanz, in den nachfolgenden Erwägungen eingegangen.

 

 

Erwägungen

 

1.

Die verhaftete Person kann Entscheide des ZMG über die Anordnung und Verlängerung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft mit Beschwerde bei der Beschwerdeinstanz anfechten (Art. 393 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 222 StPO). Zuständiges Beschwerdegericht ist das Appellationsgericht als Einzelgericht (§ 88 Abs. 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 Ziff. 1 Gerichtsorganisationsgesetz [GOG, SG 154.100]). Das Rechtsmittel ist innert zehn Tagen nach Eröffnung des Entscheids schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz einzureichen (Art. 396 Abs. 1 StPO). Die vorliegende Beschwerde ist form- und fristgerecht erhoben worden, weshalb darauf einzutreten ist. Die Kognition des Beschwerdegerichts ist frei und nicht auf Willkür beschränkt (Art. 393 Abs. 2 StPO).

 

2.

2.1      Die Anordnung und Aufrechterhaltung der Sicherheitshaft ist nach Art. 221 Abs. 1 StPO zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens Vergehens dringend verdächtig ist und überdies Flucht-, Kollusions- Fortsetzungs- bzw. Wiederholungsgefahr besteht. Nach Art. 221 Abs. 2 StPO ist Haft auch bei Ausführungsgefahr zulässig. Die Haft muss zudem verhältnismässig sein. Sie ist aufzuheben, sobald Ersatzmassnahmen zum gleichen Ziel führen (Art. 197 Abs. 1 lit. c, Art. 212 Abs. 2 lit. c StPO) und darf nicht länger dauern als die zu erwartende Freiheitsstrafe (Art. 212 Abs. 3 StPO).

 

2.2     

2.2.1   Wie dargelegt, ist das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer seit dem Einreichen der Anklageschrift am 15. September 2023 beim Strafgericht anhängig. Mit Vorliegen der Anklageschrift und Anklageerhebung ist praxisgemäss der dringende Tatverdacht als gegeben zu erachten (vgl. statt vieler: AGE HB.2013.33 vom 4. Juli 2013 E. 2.2; BGer 1B_234/2011 vom 30. Mai 2011 E. 3.2), wie bereits die Vorinstanz richtigerweise ausführt. Der Beschwerdeführer lässt nun allerdings monieren, die objektive Beweislage spreche gegen jeglichen Tatverdacht betreffend die angeklagte mehrfache Vergewaltigung und/oder die mehrfache sexuelle Nötigung. Die Staatsanwaltschaft bausche diesbezüglich mit zusätzlichen Strafvorwürfen die Anklage unnötig und rechtswidrig auf. Auch ergäbe sich aus dem bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers nichts, was einen konkreten Anhaltspunkt für die Annahme begründe, er würde im Falle seiner Entlassung auf B____ Einfluss nehmen.

 

2.2.2   Dieser Argumentation des Beschwerdeführers kann nicht gefolgt werden. Er übersieht offensichtlich, dass er zu den angeklagten Strafvorwürfen betreffend Sexualdelikte mehrmals einvernommen wurde und ihm die nun angeklagten Sachverhalte (teilweise mehrfach) vorgehalten wurden (Einvernahmen des Beschwerdeführers vom 14. Februar 2023, act. 8350 ff., vom 30. August 2023, act. 8423 ff. und vom 11. September 2023, act. 8458.2 ff.). Die zweite und dritte Einvernahme zu diesen Tatvorwürfen erfolgten je nach den Einvernahmen des mutmasslichen Opfers, B____. Dieses wurde am 15. Mai 2023 (act. 8387 ff.) und am 6. September 2023 je als Auskunftsperson und in Anwesenheit des Beschwerdeführers sowie seiner amtlichen Verteidigung befragt. Die Aussagen von B____ sind dem Beschwerdeführer mithin bestens bekannt, weshalb er beispielsweise um deren Antwort auf die Frage weiss, ob sie (in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 2018) freiwillig nach Olten und ins Hotel nach Egerkingen (wo es zwischen B____ und dem Beschwerdeführer unbestrittenermassen zu sexuellen Handlungen kam) gefahren sei. Diese lautet gemäss dem auch vom Beschwerdeführer unterzeichneten Einvernahmeprotokoll: «Nein. Auch das erste Mal…als ich ins Auto stieg und die Handlungen im Auto, die habe ich nicht freiwillig gemacht. Auch alle Handlungen im Hotel – ich wurde dazu gezwungen» (act. 8448). Sämtliche Einvernahmen von B____ und dem Beschwerdeführer erfolgten sodann vor dem Hintergrund der sichergestellten Chatnachrichten zwischen diesen zwei Personen, welche das Appellationsgericht bereits für sich allein genommen in einem vorgehenden den Beschwerdeführer betreffenden Haftbeschwerdeverfahren als äusserst belastend erachtete (HB.2022.70 E. 3.2.5). Es ist insgesamt nicht ersichtlich, weshalb der Beschwerdeführer die nun ausgearbeitete Anklageschrift und ihren diesbezüglichen Inhalt als unnötig und gar rechtswidrig erachtet, eine Behauptung, welche er im Übrigen auch gar nicht weiter begründet. Wie das Sachgericht vor dem Hintergrund der Depositionen von B____ und den sichergestellten Chatverläufen, die vom Beschwerdeführer getätigten Behauptungen, sämtliche sexuellen Handlungen mit der damals 14-jährigen B____ seien einvernehmlich verlaufen und er sei davon ausgegangen, dass diese bereits 16 Jahre alt sei, entscheiden wird, ist selbstredend zum heutigen Zeitpunkt nicht bekannt. Zu behaupten, die objektive Beweislage spreche gegen jeglichen Tatverdacht ist gleichwohl vermessen. Davon abgesehen beschränkt sich der Tatkomplex der angeklagten Sexualstraftaten nicht auf die Vorwürfe betreffend das mutmassliche Opfer B____, sondern kommen weitere Sachverhaltsbeschriebe und Strafvorwürfe betreffend den Miteinbezug der jüngeren Schwester von B____ in die sexuellen Handlungen, die Herstellung von harter Pornografie zum Nachteil der Schwestern sowie der Besitz von illegalen pornografischen Bildern von Kindern hinzu. Dabei handelt es sich insgesamt um äusserst schwerwiegende Strafvorwürfe, umso mehr als der Beschwerdeführer einschlägig vorbestraft ist (Strafregisterauszug act. 7 ff.). Hinzu kommen die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen und alles andere als im Bagatellbereich liegenden Wirtschafts- bzw. Vermögensdelikte sowie die schweren Anschuldigungen betreffend Bestechungshandlungen, Anstiftung zum Amtsmissbrauch etc. während der bereits ausgestandenen aktuellen Haft. Diesbezüglich behauptet noch nicht einmal der Beschwerdeführer, es bestehe eine objektiv ungenügende Beweislage für eine Anklageerhebung. Es besteht folglich ein für die Anordnung von Sicherheitshaft genügender Tatverdacht hinsichtlich aller angeklagten Delikte.

 

2.3

2.3.1   Weiter bestreitet der Beschwerdeführer das Vorliegen der vom ZMG bejahten Kollusionsgefahr. Auch hier bezieht er sich auf die Depositionen von B____, welche keinen hinreichenden Tatverdacht begründen würden, sowie die sichergestellten Videoaufnahmen betreffend die sexuellen Handlungen zwischen dem Beschwerdeführer und B____ in der Nacht vom 14. auf den 15. Juni 2018, welche die behauptete Einvernehmlichkeit der sexuellen Handlungen zwischen B____ und dem Beschwerdeführer nach Ansicht des Beschwerdeführers beweisen sollen. Ausserdem bedürfe die Annahme von Kollusionsgefahr der ernsthaften Befürchtung, der Beschwerdeführer könnte auf Zeugen Beweismittel einwirken, die theoretische Möglichkeit allein reiche nicht aus. Aus dem bisherigen Verhalten des Beschwerdeführers ergebe sich nichts, was einen konkreten Anhaltspunkt für die Annahme liefere, er würde im Falle seiner Entlassung auf B____ Einfluss nehmen. Nach Abschluss des Vorverfahrens bedürfte diese Haftgrund einer besonders sorgfältigen Überprüfung, die das ZMG vermissen lasse. Je präziser der Sachverhalt bereits habe abgeklärt werden können, desto höhere Anforderungen seien an den Nachweis von Kollusionsgefahr zu stellen.

 

2.3.2   Das Bundesgericht führt im von der Verteidigung zitierten Bundesgericht zur Kollusionsgefahr aus: «Gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 237 Abs. 1 StPO ist Untersuchungshaft respektive die Anordnung von Ersatzmassnahmen zulässig, wenn ernsthaft zu befürchten ist, die beschuldigte Person könnte Personen beeinflussen auf Beweismittel einwirken, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen. Die strafprozessuale Haft wegen Kollusionsgefahr soll verhindern, dass die beschuldigte Person die Freiheit dazu missbrauchen würde, die wahrheitsgetreue Abklärung des Sachverhalts zu vereiteln zu gefährden. Konkrete Anhaltspunkte für Kollusionsgefahr können sich nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts namentlich ergeben aus dem bisherigen Verhalten des Beschuldigten im Strafprozess, aus seinen persönlichen Merkmalen, aus seiner Stellung und seinen Tatbeiträgen im Rahmen des untersuchten Sachverhaltes sowie aus den persönlichen Beziehungen zwischen ihm und den ihn belastenden Personen. Bei der Frage, ob im konkreten Fall eine massgebliche Beeinträchtigung des Strafverfahrens wegen Verdunkelung droht, ist auch der Art und Bedeutung der von Beeinflussung bedrohten Aussagen bzw. Beweismittel, der Schwere der untersuchten Straftaten sowie dem Stand des Verfahrens Rechnung zu tragen. Nach Abschluss der Strafuntersuchung bedarf der Haftgrund der Kollusionsgefahr einer besonders sorgfältigen Prüfung» (BGE 137 IV 122 E. 4.2).

 

2.3.3   Dass die Aussagen von B____ für den Beschwerdeführer belastende Inhalte haben, wurde bereits dargelegt (s. oben E. 2.2.2). Daran ändern auch die aktenkundigen Videoaufnahmen über das Treffen in einem Hotelzimmer in […] nichts, schliesslich sagte B____ nicht aus, sie sei durch unmittelbare Gewalt zu sexuellen Handlungen gezwungen worden (s. bspw. Aussage act. 8448: «[...] Er wurde nicht handgreiflich gewalttätig. Ich habe mich auch nicht gewehrt, aber es war unschön […] »), sondern sie habe sich aus Angst, der Beschwerdeführer würde Fotos und Videos von ihr anderen Personen zugänglich machen und wegen seiner körperlichen und altersbedingten Überlegenheit, zu den Handlungen genötigt gesehen (s. bspw. Aussagen act. 8451: «Dass er handgreiflich mir gegenüber werden könnte. Ich war 14, hatte kein Auto, war irgendwo in […], wo ich vorher noch nie war. Ich überlegte mir wohl auch, dass ich irgendwie noch nach Hause kommen muss. Ich machte mir so viele Gedanken darüber, was passieren könnte, wenn ich nicht das mache, was er mir sagt», act. 8449: « […] Ich hatte aber Angst vor ihm, weil er mir drohte, dass er die Bilder und Videos herumschicken wird […] »). Selbstredend sind das Ausüben von Druck bzw. das Drohen und das Vorliegen einer körperlichen sowie altersbedingten Überlegenheit im Zusammenhang mit den Vorwürfen der sexuellen Nötigung und/oder Vergewaltigung von Relevanz (Weder, in: Donatsch [Hrsg.], StGB/JStG Kommentar, 21. Auflage 2022, Art. 189 StGB N 9 f.). Gleichzeitig ist damit zu rechnen, dass das Strafgericht B____ nochmals vor den Schranken befragen wird, um sich einen eigenen Eindruck von ihr und ihren Depositionen zu verschaffen sowie sich möglicherweise zusätzlich stellende Fragen zu den Sachverhalten zu klären. Dies ist bei angeklagten Sexualdelikten regelmässig der Fall, weil bei Delikten, bei denen den Aussagen der beteiligten Personen ein grosses Gewicht zukommt, der persönliche Eindruck des Gerichts (auch) von Bedeutung ist. Der Beschwerdeführer hat damit ein grosses Interesse daran, auf B____ einzuwirken, um eine Milderung ihrer Aussagen zu erreichen, insbesondere was die Erkennbarkeit ihres Alters zum inkriminierten Zeitpunkt sowie die fragliche Freiwilligkeit ihrer Handlungen anbelangt. Dass der Beschwerdeführer manipulativ auf Menschen einzuwirken und sie für seine Zwecke zu gewinnen weiss, belegen die während seiner Untersuchungshaft hinzugekommenen mutmasslichen Straftaten betreffend den angeklagten Tatkomplex «UG Waaghof» (Anklageschrift S. 22) aufs Eindrücklichste. Ausserdem macht B____ wie dargelegt geltend, sie habe aufgrund einer vom Beschwerdeführer geschaffenen Zwangssituation in die sexuellen Handlungen mit ihm sowie in das Herstellen von mutmasslich verbotenen pornographischen Aufnahmen eingewilligt bzw. sich nicht dagegen gewehrt, was zeigt, dass diesen Vorwürfen ein manipulatives Verhalten des Beschwerdeführers inhärent ist. Damit ist nicht nachvollziehbar, wie seine Verteidigung zum Schluss gelangen kann, aus dem Verhalten des Beschwerdeführers gegenüber B____ sowie aus seinem Verhalten während der Untersuchungshaft ergäben sich keinerlei Hinweise, dass er im Falle seiner Freilassung auf B____ einwirken würde. Das Gegenteil ist der Fall und eine sorgfältige Prüfung des Haftgrundes der Kollusionsgefahr muss bei dieser Aktenlage geradezu beispielhaft zu einer Bejahung desselben führen. Kollusionsgefahr ist folglich gegeben und sämtliche Argumente des Beschwerdeführers erweisen sich als unbehelflich.

 

2.4

2.4.1   Da das Vorliegen eines Haftgrunds für die Anordnung von Untersuchungs- Sicherheitshaft ausreicht, ist die Fluchtgefahr grundsätzlich nicht mehr zwingend zu überprüfen. Da die Vorinstanz diese allerdings ebenfalls bejaht hat und der Beschwerdeführer deren Vorliegen bestreitet, werden vollständigkeitshalber Ausführungen dazu gleichwohl gemacht. Fluchtgefahr gemäss Art. 221 Abs. 1 lit. a StPO liegt immer dann vor, wenn ernsthafte Anhaltspunkte eine gewisse Wahrscheinlichkeit belegen, dass sich die beschuldigte Person, wenn sie in Freiheit wäre, dem Strafverfahren der zu erwartenden Sanktion durch Flucht ins Ausland ein Untertauchen im Inland entziehen würde. Bei der Prüfung, ob Gründe für eine Fluchtgefahr in diesem Sinne vorliegen, sind neben der Schwere der drohenden Sanktion die gesamten konkreten Verhältnisse, insbesondere die familiären und sozialen Bindungen der beschuldigten Person, ihre berufliche und finanzielle Situation, Alter, Gesundheit, Reise- und Sprachgewandtheit sowie ihre Kontakte zum Ausland massgebend (BGer 1B_364/2017 vom 12. September 2017 E. 2.2, 1B_283/2016 vom 26. August 2016; Forster, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger, Basler Kommentar StPO, 3. Auflage 2023, Art. 221 StPO N 5).

 

2.4.2   Der Beschwerdeführer vertritt zusammengefasst und sinngemäss die Ansicht, ihm drohe - nachdem er sich nun bereits seit 2 ¼ Jahren in Untersuchungs- bzw. Sicherheitshaft und er lediglich eine Zusatzstrafe zum Urteil des Bundesgerichts BGer 6B_ 1156/2021 vom 26. August 2022 zu erwarten habe – kein langer noch zu erstehender Freiheitsentzug mehr. Schliesslich habe er einen erheblichen Teil der zu erwartenden Freiheitsstrafe von maximal 5 Jahren (aufgrund der Anrechnung der bereits ausgestandenen Haft: Art. 51 Strafgesetzbuch [StGB. SR 311.0]) bereits verbüsst. Dies unter der Annahme, dass ihm die vorzeitige, bedingte Entlassung gewährt wird. Auch sei aufgrund der Gesamtumstände nicht damit zu rechnen, dass er sich künftig auf der Flucht vor der Schweizer Justiz befinden wolle. Dies weil alle seinen nahen Verwandten in der Schweiz im grenznahen Deutschland wohnen würden und er eine kranke, in der Schweiz lebende Mutter habe, mit welcher er im Falle seiner Entlassung aus der Haft Zeit verbringen und die er pflegen wolle. Seine Beziehung zur Türkei habe aufgrund des dort lebenden Vaters bestanden, dieser sei aber kurz vor der Verhaftung des Beschwerdeführers gestorben. Replicando führt er zusätzlich aus, er habe grosses Interesse daran, sich nach Ablauf der bereits rechtskräftigen und einer allfälligen neuen Landesverweisung, wieder in der Schweiz und im EU-Raum aufhalten zu können, weil sich hier seine Familie aufhalte. Aus all diesen Gründen sei eine Flucht nicht in seinem Interesse.

 

2.4.3   Mit diesen Argumenten übersieht der Beschwerdeführer nicht nur, dass ihm angesichts der vielen und schweren Anklagevorwürfe, welche gemäss Antrag der Staatsanwaltschaft vor der Kammer des Strafgerichts verhandelt werden, durchaus eine Freiheitsstrafe von (weit) über 5 Jahren drohen könnte. Nicht mit Gewissheit vorausgesagt werden kann sodann, ob ihm im Falle der Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe die vorzeitige bedingte Entlassung gewährt wird, schliesslich ist eine solche vom Verhalten im Strafvollzug abhängig (Art. 86 Abs. 1 StGB). Ebenso wenig berücksichtigt er, dass gegen ihn zwischenzeitlich der Straf- und Schuldspruch zu 20 Monaten Freiheitsstrafe und ein 5-jähriger Landesverweis mit Eintragung im Schengener Informationssystem (SIS) wegen versuchter schwerer Körperverletzung und wegen Angriffs, in Rechtskraft erwachsen ist, nachdem seiner Beschwerde an das Bundesgericht keinerlei Erfolg beschieden war (BGer 6B_ 1156/2021 vom 26. August 2022). Die anzurechnende Untersuchungshaft hierzu beträgt im Übrigen einzig 46 Tage (s. Urteilsdispositiv AGE SB.2019.18). Sodann ist im Falle von Schuldsprüchen im laufenden Strafverfahren wohl entgegen den Ausführungen der Verteidigung keine Zusatzstrafe, sondern lediglich eine teilweise Zusatzstrafe zu bilden. Dies im Falle einer Verurteilung im Tatkomplex «Vergewaltigung, sexuelle Nötigung, strafbare Handlungen gegen die sexuelle Integrität von Kindern sowie harte Pornographie» der Anklageschrift, und möglicherweise zu Anklagepunkten im ersten Fallkomplex «internationaler Anlagebetrug». Dies weil im Rahmen der Bildung einer Zusatzstrafe nur diejenige(n) Straftat(en) in Frage kommen, die vor der erstinstanzlichen Beurteilung eines anderen Delikts anderer Delikte, begangen wurde(n). Vorliegend wurde der Beschwerdeführer erstmals mit Urteil des Strafgerichts vom 22. November 2018 wegen (versuchter) schwerer Körperverletzung verurteilt. Damit kommen einzig vor diesem Datum begangene Delikte für die Bildung einer Zusatzstrafe in Frage (Ackermann, in: Niggli/Wiprächtiger, Basler Kommentar Strafrecht I, 4. Auflage 2019, Art. 49 N 135 f.: «Strittig ist, ob auf den Ausfällungszeitpunkt, den Eröffnungszeitpunkt gar erst den Rechtskraftzeitpunkt abzustellen ist. Das BGer vertritt die Linie "Ausfällung" [BGE 138 IV 113, 116 f.; 130 IV 101, 105; BGer, KassH, 10. 11. 2006, 6S.237/2006, E. 2.2.2, spricht von "Urteilsausfällung"; BGE 129 IV 113, 116 von "sobald das Urteil gefällt worden ist"; BGE 127 IV 106, 109 von "verurteilt, wenn das Urteil gefällt worden ist" ] »). Ohnehin wird das Sachgericht zu beurteilen haben, ob es sich beim Fallkomplex «internationaler Anlagebetrug» nicht um eine Einheit infolge Tathandlungszusammenhang handelt und wie damit umzugehen ist (vgl. Ackermann, a.a.O., Art. 49 N 166). Sodann droht im Falle der Ausfällung einer zweiten Landesverweisung wegen Straftaten gemäss Art. 66a StGB möglicherweise eine Landesverweisung von 20 Jahren (Art. 66b Abs. 1 StGB). Die Lebensplanung des Beschwerdeführers, er könne die Zeit nach seiner Entlassung aus einer allfällig drohenden Freiheitsstrafe und nach Ablauf der Dauer der Landesverweisung bei seiner Mutter und seinen Angehörigen in der Schweiz in angrenzenden Ländern verbringen, ist angesichts der bereits rechtskräftigen Landesverweisung und der möglicherweise zu erwartenden zweiten Landesverweisung im Rahmen der aktuell angeklagten Delikte zumindest zum aktuellen Zeitpunkt eher unrealistisch, zumal ihm aufgrund der SIS-Ausschreibung auch ein Aufenthalt im grenznahen Ausland nicht möglich sein wird. Sodann mag es sein, dass er heute eine Rückkehr in die Schweiz in ein Land der EU nach Ablauf von mindestens 5 Jahren Landesverweisung in Erwägung zieht. Allerdings wird auch ihm klar sein, dass sich in wenigen Jahren viel im Leben eines Menschen verändern kann und er sich während der Dauer der Landesverweisung eventuell ein neues Leben in seiner Heimat anderswo aufbauen, mithin seine behaupteten aktuellen Pläne nicht mehr verfolgen wird. Gleichzeitig sind seine tatsächlichen Bezüge zu der Schweiz und ihren Nachbarländern lediglich behauptet und keineswegs mit Sicherheit erstellt. Jedenfalls geht sein Bezug zur Heimat Türkei mit Sicherheit über die vormalige Kontaktpflege zum Vater hinaus. Dazu kann grundsätzlich auf die Ausführungen der Vorinstanz sowie auf diejenigen im Haftentscheid HB.2022.70 (E. 3.3.2) verwiesen werden kann. Insbesondere besitzt er in der Türkei ein Ferienhaus, pflegt rege Beziehungen dorthin (die vorgeworfenen Vermögensdelikte stehen gemäss Anklageschrift damit im Zusammenhang), verfügt über türkische Bankkonti und spricht die Landessprache fliessend. Es besteht mit anderen Worten für ihn kein Grund, sich in Freiheit entlassen zwingend der Schweizer Justiz zu stellen. Die Fluchtgefahr ist vielmehr als evident und massiv einzuschätzen, umso mehr als ihm, wie bereits dargelegt, durchaus eine über 5 Jahre hinausgehende Freiheitsstrafe erwarten könnte.

 

2.4.4   Sodann vermag eine Ausweissperre eine Flucht ins Ausland nicht zu verhindern, schliesslich konnten beim Beschwerdeführer eine gefälschte serbische Identitätskarte und ein serbischer Führerschein, nicht lautend auf seinen Namen jedoch mit seinem Passfoto, sichergestellt werden. Ob er diese selber erstellt hat hat erstellen lassen, ist entgegen den Ausführungen der Verteidigung unerheblich. Jedenfalls hat er offenbar Kontakte, die ihm gefälschte Papiere zu verschaffen vermögen. Nicht genügen kann angesichts der grossen Fluchtgefahr auch die Auflage einer regelmässigen Meldepflicht, da erst bei einem ersten Auslassen der Meldepflicht auffallen würde, dass der Beschwerdeführer untergetaucht bzw. geflüchtet sein könnte. Ebenfalls nicht zielführend ist die Hinterlegung einer Kaution. Betreffend die dubiose Herkunft der bei ihm sichergestellten Vermögenswerte kann auf die Erwägungen im Haftentscheid HB.2022.70 (E. 3.4) verwiesen werden. Stützt man diesbezüglich tatsächlich auf die Angaben von C____ ab, bleibt festzustellen, dass der Beschwerdeführer in der Lage ist, von seinen Kollegen problemlos grosse Mengen Geld und teure Uhren zu erhalten. Damit ist er wohl auch fähig, eine allfällig mit legal erworbenem Geld bezahlte Kaution durch ein Familienmitglied, diesem Familienmitglied schnellstens wieder zurück zu zahlen und dieses schadlos zu halten. Ohnehin ist aufgrund der nebulösen Vermögens- und Einkommensverhältnisse des Beschwerdeführers nicht möglich festzulegen, was für eine Geldsumme genügen könnte, um ihn von einer Flucht abzuhalten. Sodann müsste der Beschwerdeführer notwendigerweise vor Festlegung einer Kaution offenlegen, wer diese stellen würde, schliesslich sind die Beziehung des Beschwerdeführers zu dieser Person sowie auch deren Einkommens- und Vermögenssituation massgebend (Martin/Vogel, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO/JStPO, 3. Auflage 2023, Art. 238 StPO N 11 ff.). Es ist insgesamt ohnehin nicht ersichtlich, wie das Hinterlegen einer Kaution den Beschwerdeführer von der Flucht vor einem Prozess abhalten soll, bei dem ihm möglicherweise eine jahrelange Freiheitsstrafe und eine viele Jahre dauernde Landesverweisung drohen. Allein die drohende Landesverweisung zeigt auf, dass er alles andere als ein zwingendes Interesse an einem korrekten Verhalten im Strafverfahren hat.

 

Sodann vermag eine Kaution die Kollusionsgefahr nicht zu verhindern. Aber auch die Auferlegung einer Kontaktsperre (Art. 237 Abs. 2 lit. g StPO) bietet angesichts des grossen Interesses des Beschwerdeführers an einem Einwirken auf zukünftige Aussagen von B____ zu wenig Sicherheit. Dies auch weil die Verletzung einer Kontaktsperre bekannterweise nicht überwacht und damit verhindert werden, sondern höchstens im Nachhinein sanktioniert werden kann. Da der Beschwerdeführer sich von Regeln offenbar wenig vorschreiben lässt (s. Tatkomplex der Anklageschrift «UG Waaghof»: der zugestandene Gebrauch eines Mobiltelefons in der Untersuchungshaft ist in jedem Fall eine Verletzung der Gefängnisregeln während der Untersuchungshaft) ist das Risiko einer Verletzung der Kontaktsperre zu hoch. Bezeichnenderweise schlägt der Beschwerdeführer eine solche noch nicht einmal vor.

 

Damit sind keine milderen Mittel zur Verhinderung einer Kollusions- und Fluchtgefahr gegeben, weshalb die Anordnung von Haft verhältnismässig ist. Dass die Verhältnismässigkeit auch in Bezug auf die Dauer der zu erwartenden Freiheitsstrafe gewahrt ist, ergibt sich sodann aus der Gesamtheit aller Ausführungen in diesem Urteil zur Schwere der Delikte sowie zur deswegen möglichen Verurteilung zu einer weit über die Dauer der Untersuchungs- und Sicherheitshaft hinausgehenden Freiheitsstrafe.

 

3.         Damit unterliegt der Beschwerdeführer im vorliegenden Beschwerdeverfahren vollständig. Aus den vorgehenden Erwägungen ergeht sodann deutlich, dass seine Beschwerde als von Anfang aussichtslos bezeichnet werden muss, weshalb ihm die amtliche Verteidigung im Beschwerdeverfahren nicht bewilligt wird (BGer 7B_485/2023 vom 11. September 2023 E. 4.3, 1B_232/2023 vom 30. Mai 2023 E. 4.1). Die Gerichtsgebühr wird auf CHF 600.– festgelegt. Für die Einzelheiten wird auf das Dispositiv verwiesen.

 

 

Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):

 

://:        Die Beschwerde wird abgewiesen und die Anordnung von Sicherheitshaft für die vorläufige Dauer von 6 Monaten bis zum 1. März 2024 bestätigt.

 

Das Gesuch um Bewilligung der amtlichen Verteidigung wird abgewiesen.

 

Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren beträgt CHF 600.– und wird der Staatsanwaltschaft als verfahrensleitender Behörde in Rechnung gestellt. Die definitive Regelung der Kostenauflage wird dem Endentscheid vorbehalten.

 

Mitteilung an:

-       Beschwerdeführer

-       Staatsanwaltschaft Basel-Stadt

-       Zwangsmassnahmengericht Basel-Stadt

 

APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT

 

Der Präsident                                                            Die Gerichtsschreiberin

 

 

lic. iur. Marc Oser                                                      lic. iur. Barbara Grange

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung

 

Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer diplomatischen konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.

 

Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Vertretung der Privatklägerschaft können gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).

 



 
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