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Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:HB.2020.9 (AG.2020.248)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid HB.2020.9 (AG.2020.248) vom 27.04.2020 (BS)
Datum:27.04.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Anordnung der Sicherheitshaft bis zum 8. Juli 2020
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 220 StPO ; Art. 225f StPO ; Art. 227 StPO ; Art. 231 StPO ; Art. 31 BV ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 397 StPO ; Art. 42 BGG ; Art. 428 StPO ; Art. 48 BGG ; Art. 51 StGB ;
Referenz BGE:126 I 68; 134 I 140; 135 I 279; 143 IV 160;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht



HB.2020.9


ENTSCHEID


vom 29. April 2020



Mitwirkende


lic. iur. Gabriella Matefi

und Gerichtsschreiberin lic. iur. Barbara Grange




Beteiligte


A____, geb. [...] Beschwerdeführer

Wohnort unbekannt

c/o Gefängnis Bässlergut,

Freiburgerstrasse 48, 4057Basel

vertreten durch [...], Advokatin,

[...]

gegen


Einzelgericht des Strafgerichts Basel-Stadt Beschwerdegegnerin

Schützenmattstrasse 20, 4009 Basel


Gegenstand


Beschwerde gegen eine Verfügung des Einzelgerichts in Strafsachen

vom 15. April 2020


betreffend Anordnung der Sicherheitshaft bis zum 8. Juli 2020



Sachverhalt


Mit Urteil des Einzelgerichts des Strafgerichts vom 15. April 2020 wurde A____ der rechtswidrigen Einreise, des rechtswidrigen Aufenthalts sowie der Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung schuldig erklärt und zu 120 Tagen Freiheitstrafe verurteilt. Noch am selben Tag hat A____ gegen diesen Entscheid die Berufung angemeldet.


Ebenfalls am 15. April 2020 ordnete der Gerichtspräsident für die vorläufige Dauer von 80 Tagen die Sicherheitshaft bis zum 8. Juli 2020 an. Gegen diese Verfügung hat A____ noch am gleichen Tag Beschwerde eingereicht. Er beantragt die Aufhebung der Haftverfügung vom 15. April 2020 und dementsprechend die regulär vorgesehene Entlassung aus dem Strafvollzug per 20. April 2020, wo er sich zurzeit im Vollzug der mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft vom 17. April 2019 verhängten Freiheitsstrafe von 120 Tagen wegen mehrfacher rechtswidriger Einreise, rechtswidrigem Aufenthalt, Erwerbstätigkeit ohne Bewilligung und Fälschung von Ausweisen befindet. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragt er die Gewährung der aufschiebenden Wirkung sowie die Einräumung eines Replikrechts im Falle des Eingangs einer Beschwerdeantwort.


Mit Vernehmlassung vom 20. April 2020 beantragt die Staatsanwaltschaft die kostenpflichtige Abweisung der Beschwerde.


Mit Beschwerdeantwort vom 21. April 2020 beantragt das Einzelgericht des Strafgerichts die Abweisung der Beschwerde.


Mit Replik vom 24. April 2020 hält der Beschwerdeführer an seinem Antrag um Aufhebung der Sicherheitshaft fest.


Dieser Entscheid ergeht unter Beizug der Vorakten im schriftlichen Verfahren.



Erwägungen

1.

Die Beschwerde ist zulässig gegen Verfügungen und Beschlüsse der erstinstanzlichen Gerichte. Ausgenommen vom Beschwerderecht sind grundsätzlich verfahrensleitende Entscheide (Art. 393 Abs. 1 lit. b Strafprozessordnung [StPO, SR 312.0]). Bei der Sicherheitshaft handelt es sich um eine Zwangsmassnahme. Deren Anordnung ist anfechtbar (vgl. Guidon, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, 2. Auflage 2014, Art. 393 N 12). Der Beschwerdeführer ist als Adressat der Verfügung zur Beschwerde legitimiert. Auf die rechtzeitig und formgültig eingereichte Beschwerde (Art. 396 Abs. 1 StPO) ist einzutreten. Das Beschwerdegericht beurteilt diese mit voller Kognition (Art. 393 Abs. 2 StPO). Zuständig zur Beurteilung der Beschwerde ist das Einzelgericht des Appellationsgerichts (§ 93 Abs. 1 Ziff. 1 Gerichtsorganisationsgesetz [GOG, SG 154.100]). Über die Beschwerde wird im schriftlichen Verfahren befunden (Art. 397 Abs. 1 StPO).


2.

Der Beschwerdeführer hat in verfahrensrechtlicher Hinsicht die Erteilung der aufschiebenden Wirkung beantragt. Die aufschiebende Wirkung kann von Amtes wegen oder auf Antrag hin erteilt werden. Ausdrücklich darüber entscheiden muss die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz die Frage allerdings nur, wenn sie die aufschiebende Wirkung erteilt; sonst wird Letztere konkludent verweigert (Guidon, Die Beschwerde gemäss StPO, Unter besonderer Berücksichtigung der Rechtsprechung zur Beschwerde nach dem Bundesgesetz vom 15. Juni 1934 über die Bundesstrafrechtspflege, Zürich/St. Gallen 2011, N 496).


3.

Nach Art. 231 Abs. 1 StPO entscheidet das erstinstanzliche Gericht mit dem (Straf)urteil, ob eine verurteilte Person in Sicherheitshaft zu setzen oder zu behalten ist. Möglich ist dies zur Sicherung des Strafvollzugs (Art. 231 Abs. 1 lit. a StPO) und im Hinblick auf das Berufungsverfahren (Art. 231 Abs. 1 lit. b StPO).

Der Beschwerdeführer wurde am 15. April 2020 erstinstanzlich verurteilt. Mindestens bis zum 20.April 2020 befand er sich im Strafvollzug. Ob eine vorzeitige bedingte Entlassung (Art. 86 Abs. 1 Strafgesetzbuch [StGB, SR 311.0]) aus diesem Strafvollzug zwischenzeitlich verfügt worden ist, lässt sich den Akten nicht entnehmen. Zum Zeitpunkt der Anordnung der Sicherheitshaft am 15. April 2020 war jedenfalls von dieser Möglichkeit auszugehen. Eine erstmalige Anordnung von Sicherheitshaft im Falle der Entlassung des Beschwerdeführers aus dem Strafvollzug nur 5 Tage nach Ergehen des neuen Strafurteils gestützt auf Art. 231 Abs. 1 StPO durch das erstinstanzliche Gericht muss folglich zulässig sein. Auch ist mit der Erklärung der Berufung durch den Beschwerdeführer unmittelbar nach der Eröffnung des Strafurteils vom 15. April 2020 die Verfahrensleitung (noch) nicht auf das Berufungsgericht übergegangen. Dies geschieht erst nach Eingang der Akten und des begründeten Strafurteils beim Berufungsgericht (Forster, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, 2. Auflage 2014, Art. 232 N 1).


4.

4.1 Der Beschwerdeführer lässt eine Verletzung des rechtlichen Gehörs rügen. Die Staatsanwaltschaft habe an der Strafgerichtsverhandlung vom 15. April 2020 nicht teilgenommen und keinen Antrag auf Anordnung der Sicherheitshaft gestellt. Mit dem Strafurteil sei zudem keine Sicherheitshaft gemäss Art. 231 Abs. 1 StPO angeordnet worden. Erst einige Stunden nach der Hauptverhandlung habe der Gerichtspräsident mit einer separaten Verfügung die Sicherheitshaft angeordnet. Der Beschwerdeführer habe sich nie dazu äussern können. Die Anordnung der Sicherheitshaft sei allein deswegen aufzuheben.


4.2 Der Gerichtspräsident führt in der Beschwerdeantwort aus, es sei zutreffend, dass der Beschwerdeführer in der Strafverhandlung nicht explizit auf die Möglichkeit einer Haftanordnung zwecks Sicherung des Vollzugs der unbedingten Freiheitsstrafe hingewiesen worden sei. Er habe vergessen, zumindest die Verteidigung auf die beabsichtige Haftanordnung aufmerksam zu machen. Dies wohl deshalb, weil die Anordnung von Sicherheitshaft zur Sicherung des Strafvollzugs bei einem Ausländer, gegen den ein Einreisverbot für das Gebiet der Schweiz bestehe, und der die Schweiz im Falle seiner Freilassung umgehend zu verlassen habe, offensichtlich sei. Anlässlich der Urteilsberatung sei die Frage nach der Haftanordnung aber nicht vergessen worden. Aus technischen Gründen sei die Aushändigung einer schriftlichen Haftanordnung unmittelbar mit der Strafurteilseröffnung nicht möglich gewesen. Da sich der Beschwerdeführer indessen ohnehin bis zum 20. April 2020 im Strafvollzug befunden habe, sei es ihm unbedenklich erschienen, die Haftanordnung erst ein paar Stunden später zu eröffnen. Auch habe der Beschwerdeführer an der Hauptverhandlung kaum Aussagen gemacht und habe seine Verteidigerin zu allem, was auch für die Haftanordnung von Relevanz sei, in ihrem Plädoyer ausführlich Stellung genommen.


4.3 Der Anspruch auf rechtliches Gehör im Falle von Freiheitsentzug ist grundrechtlich verankert. Jede Person, der die Freiheit entzogen wird, muss die Möglichkeit haben, ihre Rechte geltend zu machten (Art. 31 Abs. 2 Bundesverfassung [BV, SR 101]). Wer in Untersuchungshaft genommen wird, hat Anspruch darauf, unverzüglich einer Richterin oder einem Richter vorgeführt zu werden. Das Gericht hat zu entscheiden, ob die Person in Haft bleibt oder freigelassen wird. Das Urteil hat innert angemessener Frist zu erfolgen (Art. 31 Abs. 3 BV). Art. 231 Abs. 1 StPO ermöglicht dem erstinstanzlichen Gericht die Anordnung von Sicherheitshaft (s. oben E. 3). Dabei kann es sich um die Verlängerung einer bestehenden Sicherheitshaft (Art. 220 Abs. 2 StPO) handeln, aber auch um die erstmalige Anordnung einer solchen (Hug/Scheidegger, a.a.O., Art. 231 N 4). Art. 231 Abs. 1 StPO enthält keine eigenen Vorschriften zum Verfahren. Für die erstmalige Anordnung von Haft gelten in analoger Anwendung sinngemäss die Regeln des Haftverfahrens vor dem Zwangsmassnahmengericht, namentlich Art. 225f. StPO (Forster, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, 2. Auflage 2014, Art. 231 N 3). Diese sehen eine persönliche Anhörung durch das Gericht vor.


4.4 Da der Beschwerdeführer sich bis mindestens am 20. April 2020 im Strafvollzug für den Vollzug der im 2019 angeordneten Freiheitsstrafe befand oder möglicherweise immer noch befindet, bestand im aktuellen Strafverfahren bis zum Zeitpunkt einer (bedingten) Entlassung aus dem Strafvollzug kein Anlass zur Anordnung von Haft, da die Anwesenheit des Beschwerdeführers durch den Strafvollzug sicher gestellt wurde oder wird. Mit der Verfügung des Gerichtspräsidenten vom 15. April 2020 ist demnach erstmals in diesem Strafverfahren Haft angeordnet worden, weshalb dem Gesagten nach eine persönliche Anhörung des Beschwerdeführers unabdingbar ist. Wie der Strafgerichtspräsident zugesteht, fand diese Anhörung nicht statt und ging sodann auch die Eröffnung vergessen, welche zumindest mündlich unmittelbar nach der Urteilseröffnung hätte erfolgen können, da der Gerichtspräsident den Entscheid nach eigenen Angaben im Rahmen der Urteilsberatung des Strafurteils bereits gefasst hatte. Dass der Beschwerdeführer bzw. seine Verteidigerin im Zusammenhang mit dem Strafverfahren Äusserungen tätigten, die auch für die Beurteilung der Notwendigkeit von Haft von Relevanz sind, kann daran nichts ändern. Der Beschwerdeführer und seine Verteidigung müssen sich vielmehr explizit zum Hinweis einer drohenden Haft äussern können (vgl. Urteil der Obergerichts Bern vom 3. April 2018 [BK 18 100] in: CAN 2018 Nr. 59 S. 179 ff. E. 3.3). Das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers wurde folglich verletzt.


4.5 Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs kann ausnahmsweise geheilt werden, sofern die Kognition der Rechtsmittelinstanz nicht eingeschränkt ist, dem Beschwerdeführer kein Nachteil erwächst und seine Parteirechte nicht in besonders schwerwiegender Weise verletzt wurden (BGE 135 I 279 E. 2.6.1; BGE 134 I 140 E. 5.5; BGE 126 I 68 E. 2). Dies ist im Haftbeschwerdeverfahren der Fall, wenn eine bestehende Haft verlängert wird, weil dafür in der Regel das schriftliche Verfahren vorgesehen ist (Art. 227 Abs. 6 StPO) und die kantonale Beschwerdeinstanz die Beschwerde mit umfassender Kognition prüft (vgl. BGer 1B_143/2015 vom 5. Mai 2015 E. 3.3). Demgegenüber ist bei der erstmaligen Anordnung der Haft die persönliche Anhörung zwingend. Allerdings hat die dadurch erfolgte Verletzung des rechtlichen Gehörs grundsätzlich nicht eine Aufhebung der Haft zur Folge, sondern führt sie zu einer Kassation des angefochtenen Entscheids mit der Anweisung, die Haftverhandlung (allenfalls unter Vorgabe einer kurzen Frist) nachzuholen. Da das Beschwerdegericht aber zum Schluss kommt, dass die Anordnung der Sicherheitshaft sich nicht rechtfertigt, käme eine Rückweisung des Verfahrens an das Strafgericht einem formalistischen Leerlauf gleich (vgl. Urteil des Obergerichts Bern vom 03. April 2018, a.a.O., S. 179 ff. E. 3.5). Es ergeht deshalb ein reformatorischer Beschwerdeentscheid.


5.

5.1 Der Strafgerichtspräsident begründet die Anordnung der Sicherheitshaft für die Absicherung des Strafvollzugs mit dem Bestehen einer Fluchtgefahr. Gegen den Beschwerdeführer läge ein noch bis zum 20. April 2022 geltendes Einreiseverbot vor. Zwar habe er an der Hauptverhandlung vorgebracht, mit einer ausländischen Staatsangehörigen in der Schweiz, welche ein Kind erwarte, eine Beziehung zu führen. Er beabsichtige diese Frau zu heiraten. Darüber hinaus habe er aber keinen Bezug zur Schweiz. Aufgrund der mit Strafurteil vom 15. April 2020 angeordneten Freiheitsstrafe von 120 Tagen sei ernsthaft zu befürchten, dass er untertauche, um sich dem Strafvollzug respektive einem Berufungsverfahren zu entziehen, zumal er die Schweiz im Falle seiner Freilassung umgehend verlassen müsse.


5.2 Demgegenüber lässt der Beschwerdeführer darlegen, der einzige Grund, weshalb er in die Schweiz zurückgekehrt ist, sei die Beziehung zu seiner schwangeren Verlobten. Diese sei in der Vergangenheit Opfer häuslicher Gewalt geworden, weshalb sie im Januar 2017 ihren vormaligen Ehemann verlassen habe und ins Frauenhaus beider Basel gezogen sei. Die Scheidung vom vormaligen Ehemann sei Ende 2019 erfolgt. Das Paar warte auf Dokumente aus dem Kosovo, um die Vorbereitung der Eheschliessung einzuleiten. Die Verlobte des Beschwerdeführers sei mit dem gemeinsamen Kind hoch schwanger. Aufgrund der aktuellen Corona Situation sei eine Ausreise zurzeit auch gar nicht möglich. Beigelegt wurden eine Niederlassungsbescheinigung der Gemeinde [...] betreffend die Verlobte des Beschwerdeführers vom 10. März 2020, eine Bestätigung des Migrationsamts Basel-Landschaft über das Aufenhaltsrecht der Verlobten bis vorläufig am 17. Juli 2020 und ein Schreiben der Verlobten vom 23. April 2020, mit welchem diese beteuert, dass der Beschwerdeführer der Kindsvater sei, mit welchem sie seit August 2017 eine Beziehung führe. In den Strafakten findet sich ausserdem eine ärztliche Bescheinigung der Schwangerschaft der Verlobten. Als voraussichtlicher Geburtstermin wurde der 11. Mai 2020 berechnet.


5.3 Die Annahme von Fluchtgefahr setzt ernsthafte Anhaltspunkte dafür voraus, dass die beschuldigte Person sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entziehen könnte. Im Vordergrund steht dabei eine mögliche Flucht ins Ausland, denkbar ist jedoch auch ein Untertauchen im Inland. Bei der Bewertung, ob Fluchtgefahr besteht, sind die gesamten konkreten Verhältnisse zu berücksichtigen. Es müssen Gründe bestehen, die eine Flucht nicht nur als möglich, sondern als wahrscheinlich erscheinen lassen. Die Schwere der drohenden Strafe ist zwar ein Indiz für Fluchtgefahr, genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Miteinzubeziehen sind die familiären und sozialen Bindungen, die berufliche und finanzielle Situation und die Kontakte zum Ausland. Selbst bei einer befürchteten Reise in ein Land, welches die beschuldigte Person grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte, ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen. Die Wahrscheinlichkeit einer Flucht nimmt in der Regel mit zunehmender Verfahrens- bzw. Haftdauer ab, da sich auch die Dauer des allenfalls noch abzusitzenden strafrechtlichen Freiheitsentzugs mit der bereits geleisteten prozessualen Haft, die auf die mutmassliche Freiheitsstrafe anzurechnen wäre (Art. 51 StGB), kontinuierlich verringert (zum Ganzen: BGE 143 IV 160 E. 4.3 S. 166 f. mit Hinweisen).


5.4 Der Beschwerdeführer wurde mit dem Strafurteil vom 15. März 2020 zu einer Freiheitsstrafe von 120 Tagen verurteilt. Das Urteil ist nicht rechtskräftig, da er dagegen die Berufung erklärt hat. Die geltend gemachte Beziehung zu seiner schwangeren Verlobten wirft aufgrund der Akten einige Fragen auf. So ist festzustellen, dass die Empfängnis wohl im Spätsommer oder Herbst 2019 stattgefunden haben muss. Zu diesem Zeitpunkt will sich der Beschwerdeführer gar nicht in der Schweiz aufgehalten haben (act. 16). Dies muss einerseits aber nicht zwingend der Wahrheit entsprechen. Andererseits könnte das Kind auch im Ausland gezeugt worden sein. Darauf, dass der Beschwerdeführer wegen seiner Verlobten wieder in die Schweiz eingereist ist, deutet der Umstand, dass er sie anlässlich seiner Festnahme am 22. Januar 2020 als seine Ehefrau angegeben hat. Insbesondere aber die Beteuerung der Verlobten, es handle sich beim Ungeborenen um das Kind des Beschwerdeführers und der von ihr geäusserte Wunsch, dass er ihr bei der Geburt beistehe und in der ersten Zeit nach der Geburt bei der Familie anwesend sein solle, lassen zumindest eine tiefe Verbindung zwischen ihr und dem Beschwerdeführer glaubhaft erscheinen. Dies legt den Willen des Beschwerdeführers nahe, seiner Verlobten in der Zeit um die Geburt und in den ersten Lebenswochen des Kindes beizustehen. Dass er einem für eine Familie so tiefgreifenden und wichtigen Ereignis aufgrund einer drohenden Freiheitsstrafe von 120 Tagen nicht beiwohnen will, erscheint unwahrscheinlich. Von einer Fluchtgefahr aufgrund der drohenden Freiheitsstrafe ist deshalb nicht auszugehen. Der Haftgrund der Fluchtgefahr in Bezug auf das hängige Strafverfahren bzw. wegen der drohenden Freiheitsstrafe besteht deshalb für die nächste Zeit nicht. Das Berufungsverfahren kann mit einer Haft bis zum 8. Juli 2020 ohnehin nicht gesichert werden, da ein Entscheid des Berufungsgerichts innerhalb dieses Zeitraums erfahrungsgemäss nicht ergeht.

6.

Dies ändert allerdings nichts daran, dass der Beschwerdeführer über kein Aufenthaltsrecht in der Schweiz verfügt und gegen ihn sogar eine noch rund zwei Jahre geltende Einreisesperre besteht. Er ist deshalb zu Handen des Migrationsamts aus der angeordneten Sicherheitshaft zu entlassen. Inwieweit und bis wann dem Vollzug der Wegweisung die aktuellen Grenzschliessungen wegen der Corona Pandemie entgegenstehen, wird durch das Migrationsamt zu prüfen sein. Ob Untertauchensgefahr im Sinne der Voraussetzungen für die Anordnung von ausländerrechtlicher Haft (s. Art. 75 ff. Ausländer- und Integrationsgesetz [AIG, SR 142.20]) besteht, ist ebenfalls in einem allfälligen ausländerrechtlichen Haftverfahren zu überprüfen.


7.

Damit obsiegt der Beschwerdeführer im Beschwerdeverfahren, weshalb er dessen Kosten nicht zu tragen hat (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die amtliche Verteidigung ist ihm auch für das Beschwerdeverfahren zu gewähren. Die dafür eingereichte Honorarnote wird betreffend den geltend gemachten Zeitaufwand und die Auslagen für die Beantragung von Hafturlaub gekürzt, da dieser Vorgang nichts mit dem laufenden Beschwerdeverfahren zu tun hat. Insgesamt erweisen sich die geltend gemachten Aufwendungen als für ein Beschwerdeverfahren aussergewöhnlich hoch. Aufgrund der erfolgten Verletzung des rechtlichen Gehörs sind der Zeitaufwand und die Auslagen für eine Besprechung mit dem Beschwerdeführer im Gefängnis Bässlergut aber nicht zu beanstanden.


Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):


://: A____ ist in Gutheissung der Beschwerde nach seiner Entlassung aus dem Strafvollzug (Vollzug der Freiheitsstrafe von 120 Tagen gemäss Strafbefehl der Staatsanwaltschaft BS vom 17. April 2019) unverzüglich aus der mit Verfügung vom 15. April 2020 vom Strafgericht Basel-Stadt angeordneten Sicherheitshaft zu Handen des Migrationsamts Basel-Stadt zu entlassen.


Es werden keine Gerichtskosten erhoben.


Der amtlichen Verteidigerin, [...], werden für das Beschwerdeverfahren ein Honorar von CHF 1'934.- und ein Auslagenersatz von CHF 143.65, zuzüglich 7.7% MWST von CHF 160.-, aus der Gerichtskasse ausbezahlt.


Mitteilung an:

- Beschwerdeführer

- Strafgericht

- Staatsanwaltschaft

- Migrationsamt Basel-Stadt

- Justiz- und Sicherheitsdepartement, Abteilung Strafvollzug

- Kantonspolizei Basel-Stadt, Haftleitstelle


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Die Präsidentin Die Gerichtsschreiberin

lic. iur. Gabriella Matefi lic. iur. Barbara Grange


Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Vertretung der Privatklägerschaft können gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).



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