E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Appellationsgericht (BS - DGS.2023.9)

Zusammenfassung des Urteils DGS.2023.9: Appellationsgericht

In dem vorliegenden Fall ging es um ein Ausstandsbegehren gegen den Strafgerichtspräsidenten im Zusammenhang mit einem Strafverfahren wegen versuchter Tötung. Die Gesuchstellerin beantragte, dass der Strafgerichtspräsident aufgrund des Anscheins von Befangenheit in den Ausstand treten solle. Das Appellationsgericht Basel-Stadt entschied jedoch, dass die E-Mail-Kommunikation zwischen dem Strafgerichtspräsidenten und einem Zeugen lediglich organisatorisch-verfahrensleitender Natur war und keinen Ausstandsgrund darstellte. Das Ausstandsbegehren wurde abgewiesen, und die Gesuchstellerin wurde zur Zahlung der Verfahrenskosten in Höhe von CHF 600.- verpflichtet.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts DGS.2023.9

Kanton:BS
Fallnummer:DGS.2023.9
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung: Einzelgericht
Appellationsgericht Entscheid DGS.2023.9 vom 10.10.2023 (BS)
Datum:10.10.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Gericht; Zeuge; Gerichts; Gerichtspräsident; Zeugen; Ausstand; E-Mail; Desinteresse; Verfahren; Verfahren; Gerichtspräsidenten; Desinteresseerklärung; Aussage; Gericht; Aussagen; Akten; Anklage; Sinne; Verfahrens; Verfahrens; Recht; Befangenheit; Stellung; Verteidigung; Situation; Anschein; ünden
Rechtsnorm: Art. 104 StPO ;Art. 140 StPO ;Art. 142 StPO ;Art. 147 StPO ;Art. 149 StPO ;Art. 157 StPO ;Art. 177 StPO ;Art. 3 StPO ;Art. 42 BGG ;Art. 48 BGG ;Art. 58 StPO ;Art. 6 StPO ;
Referenz BGE:136 I 207; 141 IV 178; 147 III 89;
Kommentar:
Keller, Donatsch, Schweizer, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2020

Entscheid des Verwaltungsgerichts DGS.2023.9



Geschäftsnummer: DGS.2023.9 (AG.2023.631)
Instanz: Appellationsgericht
Entscheiddatum: 10.10.2023 
Erstpublikationsdatum: 13.02.2024
Aktualisierungsdatum: 19.09.2024
Titel: Ausstandsbegehren gegen des Strafgerichtspräsidenten (BGer 7B_913/2023 vom 26. August 2024)
 
 

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht

 

 

DGS.2023.9

 

ENTSCHEID

 

vom 10. Oktober 2023

 

 

Mitwirkende

 

lic. iur. Marc Oser   

und Gerichtsschreiber MLaw Lukas von Kaenel

 

 

 

Beteiligte

 

A____, geb. [...]                                                                Gesuchstellerin

[...]  

vertreten durch [...], Advokat,

[...]   

 

 

Gegenstand

 

Ausstandsbegehren gegen den Strafgerichtspräsidenten

 

(im Verfahren [...])

 


Sachverhalt

 

Gegen A____ ist am Strafgericht Basel-Stadt ein Verfahren wegen versuchter Tötung zum Nachteil ihres langjährigen ehemaligen Konkubinatspartners B____ (nachfolgend Zeuge) hängig. Am 1. November 2022 wurde der Zeuge durch den verfahrensleitenden Strafgerichtspräsidenten [...] (nachfolgend Strafgerichtspräsident) via E-Mail in Zusammenhang mit der von jenem unterzeichneten Desinteresseerklärungen kontaktiert und zusammenfassend angefragt, ob er – nachdem der Fall als Offizialdelikt ohnehin gerichtlich beurteilt werden müsse – daran festhalte, seine Aussagen zu verweigern. Der Zeuge antwortete gleichentags ebenfalls via E-Mail, er sei gerne bereit, als Zeuge vorgeladen zu werden und auszusagen. Weiter hielt er fest, dass er zur Geltendmachung der Opferschutzrechte Bedenkzeit wünsche.

 

Mit Schreiben vom 9. November 2022 stellte A____ (nachfolgend Gesuchstellerin), vertreten durch [...], bezugnehmend auf den aufgeführten E-Mailverkehr das Begehren an das Strafgericht, der verfahrensleitende Strafgerichtspräsident habe zufolge des Anscheins von Befangenheit in den Ausstand zu treten. Ferner sei die E-Mail des Zeugen vom 1. November 2022 aufgrund offenkundiger Unverwertbarkeit des Beweismittels aus den Akten zu weisen. Das Strafverfahren sei bis zum Abschluss des Ausstandsverfahrens zu sistieren. Mit Verfügung vom 11. November 2022 überwies das Strafgericht das Ausstandsbegehren inklusive separater Stellungnahme des Strafgerichtspräsidenten vom 11. November 2022 zur Beurteilung an das Appellationsgericht Basel‑Stadt, wies den Antrag auf Aktenentfernung bzgl. der E-Mail des Zeugen vom 1. November 2022 ab und hiess den Antrag auf Sistierung des Strafverfahrens bis zum rechtskräftigen Abschluss des Ausstandsverfahrens durch das Appellationsgericht gut. Auf die gegen die Verfügung betreffend Abweisung des Antrags auf Aktenentfernung erhobene Beschwerde ist das Appellationsgericht mit Entscheid vom 17. Juli 2023 nicht eingetreten (vgl. BES.2022.176 vom 17. Juli 2023). Die Gesuchstellerin hat mit Eingabe vom 23. August 2023 auf die Stellungnahme des Strafgerichtspräsidenten repliziert, wobei sie an ihrem Ausstandsgesuch festhält. Der vorliegende Entscheid ist aufgrund der Akten ergangen. Die Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich, soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen.

 

 

Erwägungen

 

1.

1.1      Gemäss Art. 58 der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) hat eine Partei, welche den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen will, der Verfahrensleitung ein entsprechendes Gesuch zu stellen. Die betroffene Person nimmt dazu Stellung. Über Ablehnungsgesuche gegen das Strafgericht einzelne seiner Mitglieder entscheidet gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO ohne weiteres Beweisverfahren und endgültig die Beschwerdeinstanz. Im Kanton Basel-Stadt übt das Appellationsgericht als Einzelgericht die Funktion des Beschwerdegerichts aus (§ 4 Abs. 1 lit. c des Gesetzes über die Einführung der Schweizerischen Strafprozessordnung [EG StPO, SG 257.100] in Verbindung mit § 93 Abs. 1 Ziff. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG 154.100]).

 

1.2      Die Gesuchstellerin ist als beschuldigte Person im gegen sie geführten Strafverfahren Partei (Art. 104 Abs. 1 StPO) und somit gemäss Art. 58 Abs. 1 StPO zur Stellung eines Ausstandsbegehrens legitimiert.

 

1.3

1.3.1   Ein Ausstandsgesuch ist «ohne Verzug» zu stellen, sobald die den Ausstand verlangende Partei vom Ausstandsgrund Kenntnis hat (Art. 58 Abs. 1 StPO). Wer einen Ausstandsgrund nicht unverzüglich nach dessen Kenntnisnahme geltend macht, verwirkt den Anspruch auf seine spätere Anrufung (BGE 136 I 207 E. 3.4 S. 211 mit Hinweisen; BGer 1B_274/2013 vom 19. November 2013 E. 4.1, 1B_13/2013 vom 17. April 2013 E. 4). Der Ausstand ist mithin so früh wie möglich, d.h. innert weniger Tage nach Kenntnisnahme des Ausstandsgrundes, zu verlangen. Nach der Rechtsprechung gilt ein Ausstandsgesuch, das sechs bis sieben Tage nach Kenntnis des Ausstandsgrundes eingereicht wird, noch als rechtzeitig (BGer 6B_882/2008 vom 31. März 2009 E. 1.3). Als verspätet hat das Bundesgericht jedoch Ausstandsgesuche erachtet, mit deren Einreichung während zwei drei Wochen (BGer 1P.457/2006 vom 19. September 2006 E. 3.1) respektive rund vier bzw. sechs Wochen seit Kenntnis des Ausstandsgrundes zugewartet worden war (BGer 6B_192/2013 vom 10. Dezember 2013 E. 2.3, 1B_499/2012 vom 7. November 2012 E. 2.3).

 

1.3.2   Die Gesuchstellerin stützt sich in ihrem Begehren auf die E-Mail des Strafgerichtspräsidenten an den Zeugen vom 1. November 2022. Diese hat sie gemäss eigenen Angaben auf der Akten-CD, welche ihr mit Verfügung vom 2. November 2022 zugestellt wurde, entdeckt. Wann genau sie davon Kenntnis erlangte, ergibt sich nicht aus den Akten, kann aber offenbleiben, zumal das rund eine Woche nach Versand der E-Mail eingereichte Ausstandsbegehren vom 9. November 2022 ungeachtet dessen als rechtzeitig anzusehen ist. Auf das Ausstandsgesuch ist folglich einzutreten.

 

2.

2.1      Die Gesuchstellerin begründet ihr Gesuch (vgl. act. 4) primär mit der E-Mail des Strafgerichtspräsidenten an den Zeugen vom 1. November 2022. Es handle sich dabei um eine informelle Kontaktnahme per E-Mail ohne Rechtsbelehrung auch sonstige formelle Hinweise, was im Strafverfahren unzulässig sei. Zudem hätte die Anfrage ohnehin in Form der Verfügung erfolgen und den Parteien als solche separat zugestellt werden müssen und nicht mit der Masse der gesamten Verfahrensakten. So habe nämlich die erhebliche Wahrscheinlichkeit bestanden, dass die Verteidigung die E-Mail zu spät entdecke.

 

In Bezug auf den Inhalt der fraglichen E-Mail fasst die Gesuchstellerin sodann zusammen, der Strafgerichtspräsident habe dem Zeugen geschrieben, dass dessen unterzeichnete Desinteresseerklärungen von der Staatsanwaltschaft angesichts des Vorgefallenen nicht habe akzeptiert werden können. Versuchte Tötung sei ein schwerwiegendes Offizialdelikt. Der Strafgerichtspräsident sei der Ansicht, dass auch der Zeuge zu Wort kommen solle, zumal dieser und die Gesuchstellerin, was die Tatumstände anbelange, verschiedene Aussagen gemacht hätten und sie noch nie konfrontiert worden seien. Daher beabsichtigte er, den Zeugen vorzuladen. Überdies habe er aus dessen Desinteresseerklärung eine gewisse Ambivalenz gespürt. Es bestehe die Vermutung, dass die am 23. Februar 2022 unterzeichnete Erklärung von der Verteidigung der Gesuchstellerin vorgefertigt gewesen sei. Psychologisch geschickt stelle der Strafgerichtspräsident zudem die Behauptung auf, die Situation hätte sich insofern verändert, als tatsächlich Anklage erhoben worden sei und der Vorfall zwingend gerichtlich aufgearbeitet werden müsse. Aufgrund des ambivalenten Verhaltens und der neuen Situation habe er infrage gestellt, ob der Zeuge tatsächlich die Aussagen verweigern wolle. Er wäre allerdings froh, wenn der Zeuge mitteilen könne, wie dieser darüber denke. Der Zeuge sei nicht verpflichtet an seiner Erklärung festzuhalten.

 

Mit dieser E-Mail übe der Strafgerichtspräsident als Instruktionsrichter des Strafgerichts in unzulässiger Weise Einfluss auf den Zeugen aus. Dies, indem er die soeben geschilderten Angaben geäussert und vom Zeugen eine Antwort erwartet habe, ohne diesen überhaupt nur ansatzweise gemäss StPO belehrt zu haben. Insbesondere indem er die unwahre Behauptung aufstelle, dass sich die Situation durch die Anklageerhebung geändert habe, die Sache nun zwingend gerichtlich aufgearbeitet werden müsse und der Zeuge an seine abgegebene Desinteresseerklärung nicht gebunden sei, erwecke er den Anschein der Befangenheit. So verlasse er mit dieser informellen Kontaktaufnahme mit einem Zeugen die Rolle des korrekten Richters und schlüpfe in diejenige des Staatsanwalts. Zudem habe er mit diesen unwahren und irreführenden Angaben eine Täuschung im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO vorgenommen, was ebenfalls den Anschein der Befangenheit begründe.

 

2.2      Der Strafgerichtspräsident entgegnet in seiner Stellungnahme (vgl. act. 2), der Grund für die Kontaktaufnahme mit dem Zeugen sei gewesen, dass er von diesem habe erfahren wollen, ob er angesichts der Anklageerhebung und der bevorstehenden Gerichtsverhandlung weiterhin an der Desinteresseerklärung und insbesondere an seiner Erklärung, er werde bei künftigen Befragungen die Aussagen verweigern, festhalte. Er habe dies einerseits getan, weil er für die Planung der Zeitdauer der Gerichtsverhandlung habe wissen wollen, ob der Zeuge, wenn er ihn vorlade, Aussagen machen würde; andererseits habe er aus dem Aktenstudium eine gewisse Ambivalenz bei ihm gespürt, ob er nun wirklich nicht mehr an diesem Strafverfahren gegen seine ehemalige Lebenspartnerin interessiert sei. Er habe deshalb – seiner richterlichen Aufklärungspflicht nachkommend – entschieden, dem Zeugen die aktuelle Verfahrenssituation darzulegen und ihn darauf aufmerksam zu machen, dass er an seine Desinteresseerklärung bzw. an seine Erklärung, dass er keine Aussagen mehr machen würde, nicht gebunden sei. Zudem habe er ihn darüber informiert, dass es die Möglichkeit der indirekten Befragung im Gerichtssaal gebe, und er habe ihm nochmals in Erinnerung gerufen, dass er sich bei der Opferberatungsstelle kostenlos beraten lassen könne. Inwiefern er dadurch in unzulässiger Weise Einfluss auf den Zeugen genommen habe, ihn sogar im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO getäuscht haben solle, erschliesse sich ihm beim besten Willen nicht und entbehre jeder Grundlage. Der Zeuge sei anwaltlich nicht vertreten und kenne sich in Strafverfahren nicht aus, wie er im Laufe des Verfahrens immer wieder betont habe.

 

Die gespürte Ambivalenz hinsichtlich der Desinteresseerklärung erklärt der Strafgerichtspräsident sodann folgendermassen: Die erste (und einzige) formelle Befragung des Zeugen habe am Nachmittag des 25. Dezember 2021 nach der inkriminierten Tat noch im Spitalzimmer stattgefunden. Am Ende dieser Einvernahme habe der Zeuge geäussert, dass er die Gesuchstellerin nicht als eine Gefahr für die Öffentlichkeit und auch nicht für sich sehe. Er habe zu Protokoll gegeben, er wolle nicht, dass die Gesuchstellerin dafür hart bestraft werde, sondern vielmehr, dass ihr geholfen werde. Sie solle so rasch wie möglich aus der Haft entlassen werden. Am 6. Januar 2022 habe er sodann gegenüber der Kriminalpolizei angegeben, dass er grundsätzlich kein Interesse an der Weiterführung des Strafverfahrens habe. Er würde eine Desinteresseerklärung unterschreiben. Er habe diese aber an mehrere Bedingungen (Rückzug der Strafanzeige der Gesuchstellerin gegen ihn selbst und Verkauf des Landteils der Beschuldigten an ihn) geknüpft. Gleichentags noch habe er dann eine von der Kriminalpolizei formulierte Desinteresseerklärung ohne Bedingungen unterschrieben. Bereits am nächsten Tag habe er sich schriftlich wieder bei der Kriminalpolizei gemeldet. Er habe die Bedingungen seiner Desinteresseerklärung abändern wollen und dezidiert angegeben, dass er gegenüber der Gesuchstellerin keine Gewalt angewendet habe. Er habe zudem gewünscht, dass das Gericht dringend eine Psychotherapie für die Gesuchstellerin anordne, welche diese auch durchziehen müsse. Er habe sich auch gegen die Notwehrargumentation der Gesuchstellerin respektive des Verteidigers gewehrt. Es gebe eine Täterin und ein Opfer. Er lasse sich nicht zu einem Mittäter machen. Am 25. November 2022 habe der Zeuge in einer E‑Mail an den Verteidiger der Gesuchstellerin angegeben, es sei Fakt, dass die Gesuchstellerin in bestimmten Situationen in der Lage sei, Taten mit lebensbedrohlichem Potential zu begehen. Er wünsche daher ein Rayonverbot für die Gesuchstellerin hinsichtlich seines Hauses in [...] und seines Gartens in [...]. Dann sei er bereit, eine Desinteresseerklärung zu unterzeichnen. Unerwähnt habe er dabei gelassen, dass er bereits ein solche Erklärung unterschrieben habe. Weiter habe der Zeuge erwähnt, er habe das Gefühl, dass sich die Gesuchstellerin als Opfer sehe und wenig Einsicht betreffend ihre Schuld vorhanden sei. Sie scheine das Ganze zu bagatellisieren. Es handle sich immerhin um einen Mordversuch. Zudem habe er einmal mehr betont, er wünsche, dass die Beschuldigte vom Gericht eine psychotherapeutische Behandlung erhalte. Per 23. Februar 2022 habe der Zeuge sodann ein Schreiben mit dem Titel «Rückzug des Strafantrags und Desinteresse-Erklärung» unterzeichnet. Darin habe er bestätigt, dass er kein Interesse an einer Bestrafung der Gesuchstellerin habe. Er wolle mit dem Strafverfahren nichts mehr zu tun haben und werde seine Aussagen im Falle einer allfälligen künftigen Befragung auch konsequent verweigern. Aufgrund des Layouts sei dabei ziemlich offensichtlich, dass diese Erklärung vom Verteidiger vorgefertigt worden sei. Es werde damit aber in keiner Weise angemerkt auch nur insinuiert, dass der Zeuge dabei vom Verteidiger beeinflusst worden sei. Die zuständige Staatsanwältin habe diese Desinteresserklärung zur Kenntnis genommen, sei aber der Ansicht gewesen, dass ein Offizialdelikt vorliege, bei welchem die beantragte Einstellung des Verfahrens nicht angezeigt sei. Dies habe die Staatsanwältin mit der Ankündigung des Abschlusses der Untersuchung per 18. März 2022 parteiöffentlich gemacht. Am 27. April 2022 habe sich der Zeuge dann per E-Mail bei der Staatsanwältin gemeldet. Er habe geschrieben, dass er immer wieder gefragt werde, wie es nun weitergehe. Er wolle von der Staatsanwältin wissen, was sie ihm über das Verfahren sagen könne, ob es eine Anklageschrift gebe, ob er diese einsehen könne, was konkret auf ihn zukommen werde und schliesslich ob es eine Gegenüberstellung/Konfrontation gebe. Die Staatsanwältin habe die E-Mail gleichentags beantwortet und dabei auch das Beweisantragsrecht der Verteidigung erwähnt. Daraufhin habe der Zeuge gefragt, ob er sich in Bezug auf die Beweisanträge der Verteidigung auch äussern dürfe. Die Staatsanwältin habe dann per 11. August 2022 Anklage gegen die Gesuchstellerin wegen versuchter Tötung erhoben.

 

Der Strafgerichtspräsident merkt dazu an, es könne ihm angesichts dieses Ablaufs und vor allem des Verhaltens des Zeugen nicht verübelt werden, wenn er von einer Ambivalenz spreche, was das Desinteresse am Verfahren anbelange. Aus seiner Sicht sei es unklar gewesen, ob die am 6. Januar 2022 und am 23. Februar 2022 unterschriebenen Desinteresseerklärungen nun nach Anklageerhebung und Überweisung des Falles an das Strafgericht für den Zeugen noch aktuell seien. Die Anklageerhebung wegen versuchter Tötung stelle zudem eine neue Situation dar, weil die Absicht der Betroffenen, die ganze Angelegenheit unter sich gütlich zu einigen, fehlgeschlagen sei und sich jetzt die Gesuchstellerin gegen die in dieser Angelegenheit wohl schwerwiegendste Anklage zu verantworten habe. Es werde daher notwendig sein, dass die Tatumstände vor Gericht genauer beleuchtet würden. Die Gesuchstellerin gesteht den inkriminierten Messerstich als solchen zwar ein, ihre Angaben zu den Tatumständen und zu der Vorgeschichte würden indes von den Ausführungen des Zeugen abweichen. Eine Konfrontation habe im Vorverfahren nicht stattgefunden, weshalb eine solche im Gerichtssaal nachzuholen sein werde. In Anbetracht dessen sehe er nicht ein, inwiefern seine Ausführungen in der vom Verteidiger monierten E-Mail den Zeugen unrichtig, täuschend sonstwie psychologisch manipulierend gewesen sein sollten. Er habe den Zeugen weder über die Sache selbst befragt, noch ihn gebeten, sich zur Anklage und der rechtlichen Qualifikation der Staatsanwaltschaft zu äussern. Aus diesem Grund müsse er den Zeugen auch nicht im Sinne von Art. 177 StPO belehren. Er habe ihm keine Konsequenzen angedroht, für den Fall, dass er keine Aussagen mache. Im Übrigen sei die Kommunikation per E-Mail mit Verfahrensbeteiligten im Rahmen eines Strafverfahrens zulässig. Die Wahl des Kommunikationsmittels habe letztlich davon abgehangen, dass er vom Zeugen relativ zeitnah habe wissen wollen, ob dieser nun gedenke, Aussagen zu machen, damit er die Planung der Gerichtsverhandlung habe abschliessen können. Der Zeuge habe auch mit der Staatsanwältin und dem Verteidiger über E‑Mail kommuniziert. Die Antwort sei innert weniger Stunden gekommen. Es sei zwar immer noch eine Ambivalenz zu spüren. Der Zeuge habe aber klar angegeben, dass er Aussagen machen werde, ob in direkter in indirekter Konfrontation mit der Gesuchstellerin wisse er noch nicht. In seiner Antwort habe er sich nicht zum Vorfall selbst geäussert, sondern lediglich über das Verfahren als solches und die möglichen Konsequenzen für die Gesuchstellerin. Insofern sei nicht ersichtlich, was an dieser E-Mail-Antwort nicht verwertbar wäre. Letztlich sei es nur um Organisatorisches gegangen.

 

2.3      Die Gesuchstellerin bringt replikweise (vgl. act. 10) vor, Kontaktnahmen durch Gerichtspersonen auf informellen Weg respektive ausserhalb der Parteiöffentlichkeit seien nicht nur grundsätzlich problematisch, sondern sogar in prinzipieller Weise unzulässig. Die informelle Kontaktaufnahme durch den Strafgerichtspräsidenten sei mit einem unparteiischen Gericht und einem fairen Verfahren im Sinne von Art. 6 Ziff. 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK, SR 0.101) unvereinbar. Dies gelte umso mehr, als der Strafgerichtspräsident vorliegend unzweifelhaft versuche, den Zeugen zu einer Aussage zu bewegen. Dass die vom Strafgerichtspräsidenten in der fraglichen E-Mail geäusserten Angaben den Anschein der Befangenheit entstehen lassen würden, illustriere sich insbesondere an der umgekehrten Konstellation: In all den Fällen, in welchen Zeugen keine Desinteresseerklärung abgäben, würden diese vom Strafgericht nicht kontaktiert und auch nicht per E-Mail zur Aussage eingeladen. In all diesen Fällen erfolge nicht nur keinerlei Kontaktnahme, sodass die betreffenden Zeugen einfach von der Strafgerichtskanzlei mittels Vorladung zur Hauptverhandlung aufgeboten würden. Im Gegenteil würden die betreffenden Zeugen vom Strafgerichtspräsidenten nicht – erst recht nicht im Wege informeller E-Mails ausserhalb der Parteiöffentlichkeit – angeschrieben und darauf hingewiesen, dass sie auch die Möglichkeit hätten, von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch zu machen. Daraus erhellt sich der offenkundige Anschein, dass der Strafgerichtspräsident seine Rolle der Unparteilichkeit verlassen habe und sich vom Zeugen einen Sinneswandel im Sinne einer Bestätigung der belastenden Aussagen wünsche, was er diesem mit irreführenden Behauptungen schmackhaft machen wolle. Dies bestätige der Gerichtspräsident in seiner Stellungnahme, wenn er die Kontaktaufnahme mit seiner richterlichen Aufklärungspflicht zu begründen versuche. Damit mache sich der Strafgerichtspräsident explizit zum Anwalt des Zeugen. Dies zeige sich insbesondere auch daran, dass er dessen Aussagen, er sei nicht anwaltlich vertreten, völlig unkritisch Vertrauen schenke. Fakt sei indes, dass sich der Zeuge schon sehr früh anwaltlich habe beraten lassen, was aus eingereichten E‑Mail‑Auszügen hervorgehe. Hinzu komme, dass es die sog. richterliche Aufklärungspflicht gar nicht gebe. Der Untersuchungsgrundsatz gemäss Art. 6 StPO lasse die in Art. 3 und 4 StPO geregelten Grundsätze unberührt. Erst recht gelte dies in Bezug auf Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Ausser Frage stehe, dass das richterliche Hauptverfahren vollumfänglich parteiöffentlich sei. Ein richterliches Aktivwerden ausserhalb der Parteiöffentlichkeit führe unweigerlich zu einem Anschein der Befangenheit des Gerichts. Ausserdem werde die staatliche Aufklärungspflicht im Zürcher Kommentar im Kontext von Art. 145 und Art. 157 StPO thematisiert und mit einer Einvernahmepflicht gleichgesetzt. Einvernahmen seien aber gerade nicht informell, sondern als formalisierte Beweiserhebungen im Rahmen des gerichtlichen Hauptverfahrens stets parteiöffentlich durchzuführen. Auch die richterliche Fürsorgepflicht, die der Strafgerichtspräsident möglicherweise meine, könne hier nicht zum Zuge kommen, da diese sich gemäss BGer 6B_1217/2013 vom 18. Februar 2014 E. 2 zum einen nur auf die Prozessparteien erstrecke – und dies sei der Zeuge angesichts der mehrfach abgegebenen Desinteresseerklärungen gerade nicht –, und zum anderen das Gericht verpflichte, den Rechtsunkundigen auf Verfahrensfehler hinzuweisen, welche in casu gerade nicht zur Debatte stünden.

 

Ungeachtet dessen werde mit der Desinteresseerklärung im Falle von Offizialdelikten zum Ausdruck gebracht, dass auf die Stellung als Privatkläger verzichtet werde. Der Verzicht auf diese Rechtsstellung sei endgültig und zweifellos verbindlich. Damit entpuppe sich die Behauptung des Strafgerichtspräsidenten, wonach der Zeuge nicht an seine abgegebene Desinteresseerklärung gebunden sei, als unwahr. Ebenso unwahr wie irreführend sei die Behauptung, wonach sich die Situation mit der Anklageerhebung geändert habe. Allen Beteiligten sei von Anfang an bewusst gewesen, dass bei einem Offizialdelikt wie dem vorliegenden die Wahrscheinlichkeit einer Einstellung durch die Staatsanwaltschaft, welche nach dem Grundsatz in dubio pro duriore anzuklagen habe, eher gering sei. Es sei daher allen Beteiligten von Beginn weg klar gewesen, dass es mit grosser Wahrscheinlichkeit zu einer Anklageerhebung kommen würde. Daher hätten die beiden gleichlautenden Desinteresseerklärungen auch den Passus enthalten, der Zeuge wolle mit dem Strafverfahren nichts mehr zu tun haben und werde seine Aussagen im Falle einer allfälligen künftigen Befragung konsequent verweigern. Der Zeuge sei im Rahmen der getroffenen Vereinbarung und der abgegebenen Desinteresseerklärungen von einem erfahrenen Strafverteidiger beraten gewesen. Wenn der Strafgerichtspräsident an den nach geschlossener Vereinbarung und abgegebener Desinteresseerklärung offenkundig nicht mehr vertretenen Zeugen herantrete und die unwahren Behauptungen aufstelle, er sei an seine abgegebene Desinteresseerklärung nicht mehr gebunden und die Situation habe sich nun massgeblich verändert, begehe er dadurch eine Täuschung im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO.

 

Schliesslich ergebe sich die Befangenheit des Strafgerichtspräsidenten auch aus dessen angeblichen Motiv für die informelle Kontaktnahme. Vorgeblich habe er den Zeugen lediglich kontaktiert, um zwecks Planungsabschluss der Gerichtsverhandlung in Erfahrung zu bringen, ob dieser nun Aussagen mache nicht. Sollte die Kontaktnahme einzig diesen Zweck verfolgt haben, so hätte ein einfacher Zweizeiler genügt. Stattdessen schreibe der Strafgerichtspräsident ein ausführliches E-Mail von rund einer A4-Seite. Er erwecke damit offenkundigerweise den Anschein, dass er den Zeugen von seinem Vorhaben, keine Aussagen zu machen, abbringen wolle. Ausserdem frage sich, wie der Strafgerichtspräsident die Planung der Verhandlung abschliessen könne, wenn er zu diesem Zeitpunkt nicht einmal die Verteidigung zur Stellung von Beweisanträgen aufgefordert habe. Der Strafgerichtspräsident setze schon seit Jahren die Verhandlung und den entsprechenden Zeitplan im Anschluss an das von ihm durchgeführte Aktenstudium fest, noch bevor er die Verteidigung zur Stellung von Beweisanträgen einlade. Ganz offensichtlich fälle der Strafgerichtspräsident die Urteile somit schon nach dem Aktenstudium und lasse sich davon nur noch ausnahmsweise abbringen. In casu sei das vorliegend zur Debatte stehende E‑Mail an den Zeugen als vorgezogener Teil der Hauptverhandlung anzusehen, ohne dass die Verteidigung auch nur ansatzweise eine Mitwirkungsmöglichkeit gehabt habe. Dies illustriere das Rollenverständnis des Strafgerichtspräsidenten in exemplarischer Weise. Die Verteidigung sei lediglich aus legitimatorischen Gründen da.

 

3.

3.1      Gemäss Art. 30 Abs. 1 der Bundesverfassung (BV, SR 101) und Art. 6 Ziff. 1 EMRK hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht ohne Einwirken sachfremder Umstände beurteilt wird. Die Garantie des verfassungsmässigen Richters wird verletzt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken, ohne dass für die Ablehnung verlangt wäre, dass die Richterperson tatsächlich befangen ist (vgl. dazu BGE 141 IV 178 E. 3.2.1, 140 III 221 E. 4.1; BGer 1B_315/2020 vom 23. September 2020 E. 5.1; Keller, in: Donatsch et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 2020, Art. 56 StPO N 31 ff.). In Konkretisierung dieser grundrechtlichen Garantien hat gemäss Art. 56 StPO eine in einer Strafbehörde tätige Person unter anderem dann in den Ausstand zu treten, wenn sie im Sinne einer Generalklausel «aus anderen Gründen» befangen sein könnte (lit. f). Das subjektive Empfinden einer Partei ist bei der Beurteilung solcher Umstände nicht massgebend. Vielmehr müssen die Umstände bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit Voreingenommenheit begründen (vgl. BGE 147 III 89 E. 4.1, 140 I 240 E. 2.2, 139 I 121 E. 5.1). Die den Ausstand begründenden Tatsachen sind glaubhaft zu machen (Art. 58 Abs. 1 StPO). Die blosse Behauptung eines Ausstandsgrundes pauschale, vage Andeutungen genügen nicht. Es muss eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Anschein der Befangenheit sprechen. Ein strikter Nachweis die urkundliche Bescheinigung der den Ausstand begründenden Tatsachen sind aber nicht erforderlich (Boog, a.a.O., Art. 58 StPO N 4; Keller, a.a.O., Art. 58 N 11).

 

3.2      Materielle und prozessuale Rechtsfehler sind in erster Linie im Rechtsmittelverfahren zu rügen und lassen sich grundsätzlich nicht als Begründung für den Ausstand heranziehen. Nur krasse und wiederholte Verfahrensfehler, die einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen, sich einseitig zu Lasten einer Prozesspartei auswirken und eine auf fehlende Distanz und Neutralität beruhende Haltung vermitteln, vermögen eine Vorbefassung im Sinne des Gesetzes zu begründen (vgl. BGE 141 IV 178 E. 3.2.3, 114 la 153 E. 3b/bb; BGer 1B_269/2019 vom 9. Dezember 2019 E. 4.4.1; AGE DGS.2022.19 vom 14. Dezember 2022 E. 4.2, DGS.2020.6 vom 29. Juli 2020 E. 2.2.3.2, DGS.2019.34 vom 19. November 2020 E. 2).

 

4.

Umstritten und zu prüfen ist vorliegend, ob die E-Mail des Strafgerichtspräsidenten an den Zeugen vom 1. November 2022 eine den Ausstand begründende Tatsache darstellt.

 

4.1      Diesbezüglich gilt es zunächst darauf hinzuweisen, dass sich das Appellationsgericht in einem kürzlich ergangenen und unangefochten gebliebenen Entscheid vom 17. Juli 2023 bereits mit dem vorliegend in Frage stehenden E-Mail-Verkehr auseinandergesetzt hat. Das Appellationsgericht erwog dabei, es sei zwar richtig, dass nach Eröffnung eines Strafverfahrens die Befragungen aller Personen grundsätzlich stets in Form von Einvernahmen nach Art. 142 ff. StPO zu erfolgen hätten und es unzulässig sei, die im Rahmen des Strafverfahrens zu befragenden Personen ausserhalb der von Art. 142 ff. StPO vorgesehenen formellen Rahmenbedingungen informell zu befragen, um verfahrensrelevante Informationen zu gewinnen (Häring, in: Basler Kommentar StGB, 4. Aufl. 2019, Vor Art. 142-146, N 9b; Schmid/Jositsch, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 3. Aufl., Zürich 2017, N 803, 807 ff.; OGer GL OG.2017.00024 vom 15. Dezember 2017 E. III.B.4.d). Es handle sich bei der in Frage stehenden E-Mail-Kommunikation allerdings lediglich um eine Anfrage des Strafgerichtspräsidenten um Auskunft über die Aussagebereitschaft des Zeugen und dessen allfälligen Wunsch nach Opferschutzmassnahmen während der Verhandlung (Art. 149 ff. StPO). Die vorliegend umstrittene E-Mail des Zeugen beinhalte keine relevanten Einlassungen in der Sache. Die Anfrage des Strafgerichtspräsidenten um Auskunft zum Festhalten an der Erklärung des Zeugen und dessen Antwort via E-Mail würden keine formelle Einvernahme im Sinne von Art. 142 ff. StPO darstellen. Vielmehr handle es sich dabei um Kommunikation organisatorisch‑verfahrensleitender Natur zur allgemeinen Planung der Gerichtsverhandlung. Dem instruierenden Strafgerichtspräsidenten obliege es, im Rahmen seiner Aufklärungspflicht Zeugen über den Ablauf und die Zusammenhänge der Verhandlung mit der Befragung zu informieren und die Verhandlung zu planen. Bei Kommunikationen organisatorisch‑verfahrensleitender Natur ohne Beweisfunktion erübrige sich auch die Notwendigkeit einer Rechtsmittelbelehrung von Zeugen nach Art. 141 in Verbindung mit Art. 177 StPO sowie der Gewährung von Teilnahmerechten anderer Parteien gemäss Art. 147 StPO, da es sich nicht um die Erhebung von Beweismitteln im Sinne von Art. 142 ff. StPO handle. Aus der in Frage stehenden E‑Mail‑Kommunikation ergäben sich weder Anhaltspunkte für eine Aufforderung des Strafgerichtspräsidenten zur Stellungnahme des Zeugen in der Sache, noch ergebe sich eine solche aus dessen Antwort-E-Mail. Die Grundsätze der Fairness des Verfahrens, des rechtlichen Gehörs und der Aktenvollständigkeit könnten bei informellen Kommunikationen zwischen den am Verfahren beteiligten Personen beispielsweise durch einen Aktenvermerk gewahrt werden. Mit der Aufnahme des E-Mail-Verlaufs in die Akten sei der Strafgerichtspräsident den Anforderungen an eine transparente Dokumentation organisatorisch-verfahrensleitender Kommunikation nachgekommen, womit die besagten Grundsätze gewahrt worden seien (vgl. zum Ganzen BES.2022.176 vom 17. Juli 2023 E. 1.2).

 

4.2      Auf diese Erwägungen ist auch für das vorliegende Verfahren abzustellen. Entgegen der Ansicht der Gesuchstellerin ist das Vorgehen des Strafgerichtspräsidenten betreffend die Kontaktnahme mit dem Zeugen somit nicht als unzulässig zu bezeichnen und kann daraus folglich auch kein Ausstandsgrund abgeleitet werden, zumal dafür nach dem Gesagten gar krasse und wiederholte Verfahrensfehler vorausgesetzt wären (vgl. oben E. 3.2).

 

Hinsichtlich der weiteren Vorbringen der Gesuchstellerin ist zudem Folgendes anzumerken: Die genaue Vertretungssituation des Zeugen während des Verfahrens ergibt sich nicht aus den Akten. Es ist jedenfalls davon auszugehen, dass er zum Teil und insbesondere auch zum Zeitpunkt der Kontaktnahme durch den Strafgerichtspräsidenten nicht anwaltlich vertreten war. So lässt auch die im von der Gesuchstellerin eingereichten E-Mail vom 14. Februar 2022 gewählte Formulierung «weil ich [der Zeuge] mich auch noch von einem Anwalt konsultieren liess» darauf schliessen, dass er nicht permanent anwaltliche Unterstützung hatte. Dass der Strafgerichtspräsident in Anbetracht dessen und des zu Recht als ambivalent bezeichneten Verhaltens des Zeugen sicherstellen wollte, dass dieser in Kenntnis aller relevanten Umstände ist, ist nicht zu beanstanden. Entgegen der Ansicht der Gesuchstellerin ist aus dem von ihr zitierten Bundesgerichtsentscheid nämlich nicht abzuleiten, dass die gerichtliche Fürsorgepflicht ausschliesslich auf Parteien im formellen Sinne zur Anwendung gelangt. Die aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren abgeleitete Aufklärungs-, Frage- und Fürsorgepflicht bezieht sich gemäss Art. 3 StPO auf alle Verfahrensbeteiligten, namentlich auch Zeugen (vgl. Art. 105 Abs. 1 lit. c StPO). Auch bei Zweifeln an der Gültigkeit einer Desinteresseerklärung, beispielsweise weil der Rückzug bzw. der Verzicht möglicherweise nicht in Kenntnis aller relevanten Umstände nicht eindeutig ergangen ist, haben die Behörden ihrer prozessualen Fürsorgepflicht nachzukommen (Lieber, in: Donatsch et al. [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl., Zürich 2020, Art. 120 StPO N 1). Vorliegend hat der Strafgerichtspräsident entgegen dem Vorbringen der Gesuchstellerin aber gar nicht behauptet, dass der Zeuge nicht an seine abgegebene Desinteresseerklärung in Bezug auf seinen (fehlenden) Status als Privatkläger gebunden sei. Aus dem Kontext der betreffenden Stelle in der E-Mail ergibt sich vielmehr, dass er sich dabei auf die Erklärung betreffend Aussageverweigerung bezogen hat, an welche der Zeuge nicht gebunden sei. So schreibt der Strafgerichtspräsident: «Nun hat sich die Situation insofern verändert, als tatsächlich Anklage erhoben wurde und der Vorfall zwingend gerichtlich aufgearbeitet werden muss. Aufgrund [I]hres ambivalenten Verhaltens und dieser neuen Situation frage ich mich, ob Sie daran festhalten, die Aussagen zu verweigern, was ich faktisch nicht verhindern könnte. Ich wäre froh, wenn Sie mir Bescheid geben könnten, wie Sie darüber denken. Sie sind nicht verpflichtet, an Ihrer Erklärung festzuhalten. Es würde mir bei der Planung der Verhandlung aber helfen». Dass die Äusserung, der Zeuge sei nicht verpflichtet, an seiner Erklärung festzuhalten, sich eigentlich auf den Verzicht auf die Konstituierung als Privatkläger bezogen haben soll, ist angesichts dieser klaren Formulierung nicht ersichtlich. Mit der veränderten Situation der Anklageerhebung war zudem offensichtlich gemeint, dass das Verfahren für den Zeugen damit trotz dessen bekundetem Desinteresse noch nicht erledigt ist und dies obschon er in seiner Desinteresseerklärung vom 23. Februar 2022 festhielt, er wolle mit dem Strafverfahren nichts mehr zu tun haben. Mithin ist darin auch keine Täuschung im Sinne von Art. 140 Abs. 1 StPO ersichtlich, zumal der besagten E-Mail gemäss dem Entscheid BES.2022.176 vom 17. Juli 2023 ohnehin kein Beweiswert zukommt, weshalb eine verbotene Beweiserhebungsmethode gar nicht vorliegen kann.

 

Schliesslich vermag die Gesuchstellerin auch aus der Länge der E-Mail keine Befangenheit des Strafgerichtspräsidenten abzuleiten. Gleiches gilt für die ausgebliebene Vorladung eines Entlastungszeugen. Die Verteidigung hat weiterhin die Möglichkeit, einen entsprechenden Beweisantrag zu stellen. Auch die allgemeine Kritik der Gesuchstellerin an der Praxis des Strafgerichtspräsidenten hinsichtlich der Planung der Hauptverhandlung noch vor der Einladung zum Stellen von Beweisanträgen begründet keinen Ausstandsgrund, zumal dieser Ablauf dem üblichen und seit jeher praktizierten Vorgehen am Strafgericht entspricht. Inwiefern der Strafgerichtspräsident mit diesem Vorgehen offenbaren soll, dass er sein Urteil bereits gefällt habe, ist nicht ersichtlich.

 

4.3      Die Gesuchstellerin vermag demnach nicht, eine – mehrere – den Ausstand begründende Tatsache(n) glaubhaft zu machen. Insbesondere sind auch keine wiederholten materiellen und prozessualen Rechtsfehler seitens des Strafgerichtspräsidenten ersichtlich, die einer schweren Amtspflichtverletzung gleichkommen, sich einseitig zu Lasten einer Prozesspartei auswirken und eine auf fehlende Distanz und Neutralität beruhende Haltung vermitteln würden.

 

5.

Nach dem Gesagten ist das Ausstandsgesuch abzuweisen. Bei diesem Ausgang trägt die Gesuchstellerin die Kosten des Verfahrens mit einer Entscheidgebühr von CHF 600.–, einschliesslich Auslagen (Art. 59 Abs. 4 StPO; § 33 Gerichtsgebührenreglement [GGR, SG 154.810]).

 

 

Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):

 

://:        Das Ausstandsbegehren wird abgewiesen.

 

Die Gesuchstellerin trägt die Kosten des Ausstandsverfahrens mit einer Gebühr von CHF 600.–, einschliesslich Auslagen.

 

Mitteilung an:

-       Gesuchstellerin

-       Strafgerichtspräsident [...]

 

APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT

 

Der Präsident                                                            Der Gerichtsschreiber

 

 

lic. iur. Marc Oser                                                      MLaw Lukas von Kaenel

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung

 

Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer diplomatischen konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.

 

Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Vertretung der Privatklägerschaft können gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).

 



 
Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.