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Urteil Appellationsgericht (BS - DGS.2023.19)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:DGS.2023.19
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung: Einzelgericht
Appellationsgericht Entscheid DGS.2023.19 vom 22.03.2024 (BS)
Datum:22.03.2024
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Zusammenfassung:Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen A____ und ihren Ehemann C____ wegen des Verdachts auf Menschenhandel. Die Verfahrensleiter sind Staatsanwalt D____ und Detektiv E____. Die Gesuchsteller wurden festgenommen und aus der Untersuchungshaft entlassen. Es gab Beschwerden über die Einvernahme der Auskunftsperson F____, die vom Appellationsgericht gutgeheissen wurden. Die Staatsanwaltschaft lehnte das Ausstandsbegehren ab und überliess die Verfahrensakten dem Appellationsgericht. Die Gesuchsteller beantragten die amtliche Verteidigung im Ausstandsverfahren. Der Entscheid basiert auf den Akten und beinhaltet eine detaillierte Würdigung der vorgebrachten Vorwürfe und des Verfahrensablaufs. Der Richter entschied, dass die Vorwürfe unbegründet sind und wies das Ausstandsgesuch ab.
Schlagwörter: Ausstand; Einvernahme; Akten; Gesuch; Verfahren; Staatsanwalt; Gericht; Gesuchsteller; Verteidigung; Opfer; Verfahrens; Verfahren; Staatsanwalts; Recht; Staatsanwaltschaft; Person; Ausstandsgesuch; Detektiv; Dolmetscher; Über; Personen; Stellung; Untersuchung; Menschenhandel; Stellungnahme; Beweis
Rechtsnorm: Art. 100 StPO ; Art. 305 StPO ; Art. 42 BGG ; Art. 48 BGG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
Keller, Donatsch, Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung, Art. 59 OR, 2020
Entscheid


Geschäftsnummer: DGS.2023.19 (AG.2024.214)
Instanz: Appellationsgericht
Entscheiddatum: 22.03.2024 
Erstpublikationsdatum: 13.06.2024
Aktualisierungsdatum: 13.06.2024
Titel: Ausstandsgesuche
 
 

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht

 

 

DGS.2023.19

DGS.2023.20

 

ENTSCHEID

 

vom 22. März 2024

 

 

Mitwirkende

 

lic. iur. Christian Hoenen   

und Gerichtsschreiber Dr. Urs Thönen

 

 

 

Beteiligte

 

A____, geb. [...]                                                                 Gesuchstellerin

[...]

vertreten durch [...], Advokat,

dieser substituiert durch B____

und [...],

[...]

 

C____, geb. [...]                                                                    Gesuchsteller

[...]

vertreten durch [...], Advokatin,

[...]   

 

 

Gegenstand

 

Ausstandsgesuche gegen den Verfahrensleiter und den Haupt­sach-

bearbeiter im Strafverfahren wegen Verdachts auf Menschenhandel

 


Sachverhalt

 

Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt ermittelt gegen A____ und ihren Ehemann C____ wegen des Verdachts auf Menschenhandel. Die Verfahren werden getrennt geführt. Verfahrensleiter ist Staatsanwalt D____. Hauptsachbearbeiter ist Detektiv E____.

 

Den beiden Gesuchstellern wird vorgeworfen, ein Beschäftigungssystem aufgebaut zu haben, in welchem sie überwiegend aus Indien stammende Arbeitnehmer unter Ausnützung ihrer Zwangslage im Heimatland in ihr Restaurant in Basel verbracht und dort ausgebeutet haben sollen. Die Gesuchsteller wurden am 12. Dezember 2022 festgenommen und durch das Beschwerdegericht am 2. März 2023 aus der Untersuchungshaft entlassen (AGE HB.2023.8 und 9).

 

Anlässlich der Einvernahme der Auskunftsperson F____ vom 5. Mai 2023 wurde das Teilnahmerecht gegenüber der Verteidigung in indirekter Form (mittels audiovisueller Übertragung in den Nebenraum) gewährt. Das Appellationsgericht hiess die dagegen eingereichten Beschwerden beider Gesuchsteller gut und ordnete die Wiederholung der Einvernahme der Auskunftsperson an (AGE BES.2023.81 und 82 vom 23. Oktober 2023).

 

Am 10. Mai 2023 beantragten beide Gesuchsteller bei der Staatsanwaltschaft den Ausstand von Staatsanwalt D____ und Detektiv E____. Am 16. Mai 2023 überwies die Staatsanwaltschaft das Gesuch dem Appellationsgericht und beantragte die kostenfällige Abweisung, ohne auf die zahlreichen Beanstandungen der Gesuchsteller einzugehen. Zudem überliess die Staatsanwaltschaft dem Ausstandsgericht die Verfahrensakten in elektronischer Form.

 

Die Gesuchsteller hielten mit Replik vom 14. August 2023 an ihren Anträgen fest und beantragten überdies die Gewährung der amtlichen Verteidigung für das Ausstandsverfahren.

 

Mit Verfügung vom 11. Oktober 2023 wurde den abgelehnten Personen eine Nachfrist gesetzt, um sich zu den einzelnen Vorbringen der Gesuchstellenden zu äussern, was diese (innert erstreckter Frist) mit Stellungnahmen vom 24. November 2023 (Staatsanwalt D____) und 31. Oktober 2023 (Detektiv E____) taten. Die Gesuchsteller haben (ebenfalls innert erstreckter Frist) am 5. Februar 2024 repliziert. Das Appellationsgericht hat zudem die Videoaufnahme der von den Gesuchstellenden beanstandeten Einvernahme vom 22. Dezember 2022 beigezogen.

 

Der vorliegende Entscheid ist aufgrund der Akten ergangen. Die Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich, soweit sie für den vorliegenden Entscheid von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen.

 

 

Erwägungen

 

1.         Formelles

 

1.1      Gemäss Art. 58 der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) hat eine Partei, welche den Ausstand einer in einer Strafbehörde tätigen Person verlangen will, der Verfahrensleitung ein entsprechendes Gesuch zu stellen. Die betroffene Person nimmt dazu Stellung. Über Ablehnungsgesuche gegen die Staatsanwaltschaft einzelne ihrer Mitglieder entscheidet gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO ohne weiteres Beweisverfahren und endgültig die Beschwerdeinstanz. Im Kanton Basel-Stadt übt das Appellationsgericht als Einzelgericht die Funktion des Beschwerdegerichts aus (§ 93 Abs. 1 Ziff. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG 154.100]).

 

Detektiv E____ ist Angehöriger der Kriminalpolizei. Ausstandgesuche gegen Mitglieder der Polizei sind gemäss Art. 59 Abs. 1 lit. a StPO an die Staatsanwaltschaft zu richten. Diese entscheidet «endgültig», weshalb insoweit keine Zuständigkeit des Beschwerdegerichts besteht. D____ ist Leitender Staatsanwalt und Chef der Kriminalpolizei, die gemäss dem «Basler Modell» der Staatsanwaltschaft angegliedert ist (§§ 9 und 10 des Gesetzes über die Einführung der Schweizerischen Strafprozessordnung [EG StPO, SG 257.100]; Fabbri, Polizeiliche Ermittlung staatsanwaltschaftliche Untersuchung – ist das die Frage? Abgrenzungen im Vorverfahren nach Schweizerischer Strafprozessordnung, in: BJM 2013 S. 165 ff., 175; BGer 6B_810/2017 vom 9. November 2017 E. 2.4.3 f.). Die Bemängelung von Handlungen des Detektivs im Ausstandsgesuch ist jedenfalls zulässig, soweit er als Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft in der Strafuntersuchung gegen die gesuchstellenden Personen gehandelt hat (Keller, in: Donatsch et al. [Hrsg.], Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Auflage, Zürich 2020, Art. 59 N 5; AGE BES.2022.109 vom 29. November 2022 E. 1.1).

 

1.2      Das Ausstandsgericht entscheidet grundsätzlich «ohne weiteres Beweisverfahren» (Art. 59 Abs. 1 StPO). Entsprechend stellen die Stellungnahme der vom Ausstandsgesuch betroffenen Personen sowie die Replik der Gesuchstellenden grundsätzlich die einzigen Beweismittel dar, die im Ausstandsverfahren zu erheben sind. Bei Ausstandsgründen der vorliegenden Art schliesst das Gesetz aber die Erhebung weiterer Beweismittel nicht kategorisch aus (BGer 1B_254/2022 vom 14. Dezember 2022 E. 5.3.1 mit Hinweisen).

 

Namentlich wenn in einem umfangreichen, lange andauernden Strafverfahren eine Vielzahl von Beanstandungen erhoben wird, ist es dem Ausstandsgericht weder möglich noch zumutbar, diesen Beanstandungen in der Art eines Sachgerichts nachzugehen. Es ist vielmehr Sache der Parteien, sich zu den Beanstandungen einlässlich zu äussern und damit das Ausstandsgericht in die Lage zu versetzen, den Befangenheitsvorwurf zu beurteilen. Dies ist notwendig, weil nach der Rechtsprechung ein Ausstand «aus anderen Gründen» (Art. 56 lit. f StPO) gegeben ist, wenn nach objektiver Betrachtung «besonders krasse» «ungewöhnlich häufige» Fehlleistungen der Untersuchungsleitung vorliegen, welche «bei gesamthafter Würdigung» eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zulasten einer der Prozessparteien auswirken (BGer 1B_144/2021 vom 30. August 2021 E. 4.2 mit Hinweis auf BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; 138 IV 142 E. 2.3; 125 I 119 E. 3e; 115 Ia 400 E. 3b; BGer 1B_620/2020 vom 23. Februar 2021 E. 3.3). Auch wenn eine Befangenheit auf Stufe Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei «nicht leichthin anzunehmen» und wenn die Parteien gegen beanstandete Verfahrenshandlungen «primär die Rechtsmittel auszuschöpfen» haben (statt Ausstandsgesuche zu stellen), so benötigt das Ausstandsgericht in solchen Fällen doch die Darlegungen beider Parteien, um die von der Rechtsprechung vorgeschriebene «gesamthafte Würdigung» vornehmen zu können (BGer 1B_144/2021 vom 30. August 2021 E. 4.2 mit Hinweis auf BGE 143 IV 69 E. 3.2; 114 Ia 153 E. 3b/bb; BGer 1B_327/2020 vom 30. September 2020 E. 3.2).

 

Wie in der Verfügung vom 11. Oktober 2023 erläutert, bestanden vorliegend solche Verhältnisse: Die vorliegenden Strafverfahren nahmen vor mehr als einem Jahr ihren Anfang (Strafanzeige vom 7. Dezember 2022). Die Verfahrensakten umfassen inzwischen 2’838 Aktenseiten (Gesuchstellerin) bzw. 2’852 Aktenseiten (Gesuchsteller). Von einer materiellen Stellungnahme der abgelehnten Personen konnte daher nicht abgesehen werden. Zudem wurde die Videoaufnahme einer Einvernahme beigezogen, um den Ausstandsvorwurf aufgrund objektiver Anhaltspunkte beurteilen zu können.

 

1.3      Der Ausstand ist gemäss Art. 58 Abs. 1 StPO «ohne Verzug», d.h. innert weniger Tage nach Kenntnisnahme des Ausstandsgrundes zu verlangen. Nach der Rechtsprechung gilt ein Ausstandsgesuch, das sechs bis sieben Tage nach Kenntnis des Ausstandsgrundes eingereicht wird, noch als rechtzeitig (AGE DGS.2022.11 vom 15. Dezember 2022 E. 1.2.1 mit Hinweis auf BGer 6B_882/2008 vom 31. März 2009 E. 1.3). Hingegen ist ein Zuwarten während mehrerer Wochen nicht zulässig (BGer 1B_469/2019 vom 21. November 2019 = Praxis 2020 Nr. 18 E. 2.1; BGer 1B_149/2019 vom 3. September 2019 E. 2.3 mit Hinweisen). Gemäss den Kommentierungen ist bei mehreren Vorkommnissen, die erst zusammen den Ausstandsgrund erfüllen, auf das letzte Vorkommnis abzustellen («letzter Tropfen», der das Fass zum Überlaufen bringt; vgl. Keller, a.a.O., Art. 58 N 3). Es handelt sich um eine Ausnahmekonstellation, welche ein Zurückkommen auf frühere Umstände zur Darstellung eines Gesamtbildes der betreffenden Justizperson ausnahmsweise zulässt (Jositsch/Schmid, StPO Praxiskommentar, 4. Auflage 2023, Art. 58 N 2). Mass-geblich ist, dass die isolierte Geltendmachung der früheren Tatsachen die Stellung eines Ausstandsbegehrens nicht hätte rechtfertigen können (Boog, in: Basler Kommentar StPO, 3. Auflage 2023, Art. 58 N 7). Ob eine solche Konstellation vorliegt, die das Zuwarten bis zum «letzten Tropfen» erlaubt, ist demnach im Einzelfall nach Treu und Glauben zu beurteilen.

 

Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist es entsprechend dem Prinzip von Treu und Glauben und dem Verbot des Rechtsmissbrauchs nicht zulässig, formelle Rügen, die in einem früheren Prozessstadium hätten geltend gemacht werden können, bei ungünstigem Ausgang erst später vorzubringen (BGE 135 III 334 E. 2.2 S. 336 mit Hinweisen). Allerdings kann bei Ausstandsgründen, die eine Gesamtwürdigung voraussetzen, nicht erwartet werden, dass eine Partei jeden einzelnen potentiellen Verfahrensmangel für sich vorsorglich anficht, um sich die Möglichkeit eines späteren Ausstandsgesuchs zu sichern. Bei solchen Konstellationen ist es «nicht ausgeschlossen», auf unbeanstandet gebliebene Mängel zurückzukommen, sofern neue Umstände hinzugetreten sind und diese nicht bloss vorgeschoben werden (BGer 1B_246/2020 vom 22. Dezember 2020 E. 5.2.2).

 

Das vorliegende Ausstandsgesuch zielt auf eine Gesamtbetrachtung ab, wobei die durch Detektiv E____ durchgeführte Einvernahme F____ vom 5. Mai 2023 «das Fass zum Überlaufen gebracht» habe. In Bezug auf diese Einvernahme ist das Gesuch rechtzeitig gestellt worden. Mit den Beschwerdeentscheiden BES.2023.81 und 82 vom 23. Oktober 2023 steht fest, dass Detektiv E____ der Verteidigung zu Unrecht eine bloss indirekte (statt direkte) Teilnahme an dieser Einvernahme gewährte. Damit liegt ein Verfahrensfehler vor, welcher zwar inzwischen korrigiert wurde, aber im Rahmen des Kumulationsvorwurfs das Rückkommen auf frühere Vorgänge ermöglicht. Auf das Ausstandsgesuch ist demnach einzutreten.

 

1.4      Im Ausstandsverfahren ist das Beweismass des Glaubhaftmachens massgeblich (Art. 58 Abs. 1 StPO). Der Begriff der Glaubhaftmachung verlangt mehr als eine blosse Behauptung, aber keinen vollen Beweis (vgl. BGE 144 II 65 E. 4.2.2; 140 III 16 E. 2.2.2) Dies bedeutet im strafprozessualen Ausstandsverfahren, dass die blosse Behauptung eines Ausstandsgrundes nicht genügt. Vielmehr muss aufgrund objektiver Anhaltspunkte der Eindruck einer gewissen Wahrscheinlichkeit für den Anschein der Befangenheit sprechen. Ausstandsgründe sind von Amtes wegen abzuklären, aber der Gesuchsteller hat, soweit möglich, allfällige Beweisurkunden einzureichen (Boog, a.a.O., Art. 58 N 4).

 

1.5      Da sich die beiden Ausstandsgesuche im Wesentlichen auf die gleichen Vorwürfe beziehen und in engem sachlichen Zusammenhang stehen, rechtfertigt es sich, die Verfahren DGS.2023.19 und 20 zusammenzulegen und die Gesuche in einem Entscheid zu behandeln. Wenn auf die Akten der Staatsanwaltschaft Bezug genommen wird, werden diese (soweit nicht anders ausgewiesen) nach den elektronischen Dateien im Verfahren DGS.2023.19 zitiert. Diese sind in 10 PDF-Dateien gegliedert, die als «Teile» bezeichnet und nach der elektronischen Seitenzahl zitiert werden.

 

2.         Parteivorbringen und Ausgangslage

 

2.1      Die Gesuchstellenden rügen zahlreiche Verfehlungen, die im Strafverfahren begangen worden seien und jedenfalls in ihrer Kumulation bei gesamthafter Würdigung eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellten. Zunächst hätten Staatsanwalt D____ und Detektiv E____ den Beschuldigten und ihrer Verteidigung bei den ersten Einvernahmen am 12. und 13. Dezember 2022 keine Teilnahmerechte gewährt. «Offenbar» sei auch F____ am 23. April 2023 unter Missachtung der Teilnahmerechte einvernommen worden. Sodann seien die Beschuldigten sowie die Verteidigung in sämtlichen Einvernahmen in einen Nebenraum «verbannt» worden, wo sie die Einvernahmen lediglich per Video hätten verfolgen können. «Das Fass zum Überlaufen» gebracht habe, dass die Verteidigung – in Abwesenheit der Beschuldigten – an der Einvernahme von F____ vom 5. Mai 2023 wiederum bloss im Nebenraum per Videoübertragung habe teilnehmen können. Dabei seien der Verteidigung Einwände nur auf Nachfragen und per Zuschaltung aus dem Nebenraum erlaubt worden. Als der Anwaltssubstitut bzw. Volontär B____ anlässlich der Einvernahme von Herrn G____ vom 22. Dezember 2022 aufgrund der Dringlichkeit des Einwandes nicht habe auf die Erlaubnis warten können, sei ihm beschieden worden, dass die Verfahrensleitung bei Wiederholung der selbstbestimmten Einwanderhebung der amtlichen Verteidigung das Mandat entziehen würde (vgl. Videoaufnahme der Einvernahme, 1:29:00-1:29:50). «Diverse Male» sei die Erlaubnis für einen Einwand verweigert worden, ohne dies jedoch zu protokollieren. Sodann seien die Namen der eingesetzten Dolmetscher in sämtlichen Einvernahmen anonymisiert und der Verteidigung bis heute nicht mitgeteilt worden. Zudem bestünden Fragen bezüglich der Befangenheit eingesetzter Dolmetscher, da diese offenbar zahlreiche Verfahrensbeteiligte kennen würden und teilweise gar zusammen mit einvernommenen Personen in den Ferien gewesen seien. Was die Befragten angehe, so seien «diverse Personen» von Staatsanwalt D____ und Sachbearbeiter E____ geradezu in eine Opferrolle gedrängt worden, indem sie ihnen eine Unterbringung in einem Schutzhaus und somit mit dem Opferstatus verbundene Privilegien in Aussicht gestellt hätten. Namentlich die Herren H____, F____ und I____ seien zu Unrecht als Opfer von Menschenhandel dargestellt worden. Weiter wird die «miserable Aktenführung» durch die Staatsanwaltschaft bemängelt (Akten nicht paginiert, kein Inhaltsverzeichnis). Sodann hätten die Beamten sogar die Gesuchstellerin ins Gefängnis angerufen, wobei das Gespräch lediglich in einer Aktennotiz vom 19. Dezember 2022 festgehalten worden sei und völlig unklar bleibe, was besprochen worden sei. Schliesslich habe «offenbar» der Gesuchsteller während rund 30 Stunden bis zum Ende seiner Einvernahme am 13. Dezember 2022 keine Nahrung erhalten. Insgesamt hätten sowohl der staatsanwaltliche Verfahrensleiter als auch der federführende polizeiliche Sachbearbeiter in den Ausstand zu treten, zumal aus externer Perspektive nicht auseinandergehalten werden könne, welche Arbeitsteilung vorgenommen worden sei. 

 

2.2      Der abgelehnte Staatsanwalt D____ macht geltend, die Strafverfolgungsbehörden seien sowohl durch die nationalen Erlasse als auch die völkerrechtlichen Übereinkommen zur Bekämpfung von Menschenhandel verpflichtet (dritter «Nationaler Aktionsplan gegen Menschenhandel» des Bundesrates, NAP 2023-2027) und seien zu sorgfältigen Abklärungen rund um das Opfer, dessen wirksamen Schutz sowie zur opferzentrierten Betreuung verpflichtet, unabhängig davon, ob es sich um den Vorwurf der Arbeitsausbeutung der sexuellen Ausbeutung handle. Im vorliegenden Fall hätten sich die Opfer in einer sehr schwierigen und vulnerablen Situation befunden, in der ihnen eine innere Entscheidungsfreiheit weitestgehend gefehlt habe. Der Staatsanwalt betont, er sei in seiner über 25-jährigen Tätigkeit als Staatsanwalt noch nie mit einem Fall befasst gewesen, in dem die Opfer derart unter Druck gesetzt worden seien. Es seien Beweismittel verschwunden und die Beschuldigten seien offensichtlich gewarnt worden. Ein Mann namens J____ habe die Rechtsbeistände der Opfer angerufen und auch mehrfach versucht, diese direkt zu kontaktieren und zu beeinflussen. Demgegenüber sei das Strafverfahren zu jedem Zeitpunkt professionell und mit der notwendigen Neutralität geführt worden. Die formelle Übergabe an die Verfahrensleitung der Allgemeinen Abteilung sei am 27. Juni 2023 erfolgt. Es sei nicht Sache des Ausstandsgerichts, die Verfahrensführung in der Art einer Aufsichtsbehörde zu überprüfen. Verfahrensfehler seien in erster Linie im Beschwerdeverfahren geltend zu machen. Das Ausstandsgesuch enthalte neben einer Vielzahl – grossmehrheitlich absolut – haltloser Vorwürfe auch diverse Formulierungen und Ausdrücke wie «manipulativ» «miserabel», die aus Sicht des Staatsanwalts nicht angemessen erschienen und seiner Erwartung zuwiderliefen, dass Ausstandsgründe in einem sachlichen Ton und nicht mittels persönlicher Unterstellungen und Beleidigungen dargelegt würden.

 

2.3      Der abgelehnte Detektiv E____ macht geltend, er habe die Hauptsachbearbeitung des Verfahrens am 4. Januar 2023 übernommen. Am 23. April 2023 habe keine Einvernahme von F____ stattgefunden. Dieser sei vielmehr in den Räumlichkeiten des Amtes für Wirtschaft und Arbeit angehört und anschliessend in ein Schutzhaus verbracht worden. Eine parteiöffentliche Einvernahme sei sodann auf den 5. Mai 2023 terminiert worden. Detektiv E____ bestreitet, dass er die Einvernahme G____ vom 22. Dezember 2022 durchgeführt habe. Bezüglich der Einvernahme I____ vom 17. Februar 2023 verweist er auf den Eintrag im Einvernahmeprotokoll (S. 4), wonach der Einwand des Verteidigers, Volontär B____, dem Zeugen übersetzt worden sei. Für weitere ähnliche Einwände sei der Verteidiger auf den Schluss der Einvernahme verwiesen worden. Es habe den Anschein gemacht, dass durch die Einwände der Verteidigung das Aussageverhalten des Zeugen habe beeinflusst werden sollen. Sodann habe anlässlich der Einvernahme F____ vom 5. Mai 2023 die Auskunftsperson zuerst aussprechen dürfen, was länger gedauert habe, als erwartet. Der Einwand sei aus Versehen untergegangen. Detektiv E____ bestreitet schliesslich vehement, die Auskunftspersonen in eine «Opferrolle» gedrängt zu haben. Die Unterbringung in Schutzhäusern haben deren Schutz und Auffindbarkeit gedient. Er sei verpflichtet gewesen, H____ über die Möglichkeiten der Opferhilfe zu orientieren. F____ habe weder über einen Wohnsitz noch über finanzielle Mittel verfügt, weshalb er in einem Schutzhaus untergebracht worden sei. Im Gesamtkontext sei vermutet worden, dass auch I____ Geschädigter sein könnte.

 

3.        Würdigung der Vorbringen 

 

Zu prüfen ist vorliegend, ob die Gesuchsteller bei objektiver Betrachtung «besonders krasse» «ungewöhnlich häufige» Fehlleistungen der Untersuchungsleitung glaubhaft machen, welche «bei gesamthafter Würdigung» eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen und sich einseitig zu ihren Lasten auswirken. Dabei ist zu berücksichtigen, dass auf Stufe Staatsanwaltschaft und Kriminalpolizei nicht jedes Missgeschick bereits eine Befangenheit darstellt und dass die Parteien für Reklamationen gegen Verfahrenshandlungen «primär die Rechtsmittel auszuschöpfen» haben (hiervor E. 2.1).

 

3.1      Als Auslöser der Ausstandsgesuche nennen die Gesuchsteller die Einvernahme von F____ vom 5. Mai 2023 (Akten Teil 10 S. 68 ff.). Sie erheben auch Vorwürfe im Zusammenhang mit einer angeblich vorangegangenen Einvernahme derselben Person vom 23. April 2023.

 

Die räumliche Abtrennung der Verteidigung anlässlich der Einvernahme vom 5. Mai 2023 war ein Fehler, der im Beschwerdeverfahren korrigiert wurde (AGE BES.2023.81 und 82 vom 23. Oktober 2023). Allerdings handelt es sich dabei nicht um einen «besonders krassen» Fehler, da die Parteien persönlich nicht anwesend waren, ihnen gegenüber also keine Feindschaft manifestiert wurde. Den Verteidigern wurde die Teilnahme als solche gewährt, einfach auf indirektem statt auf direktem Wege. Die audiovisuelle Verbindung war intakt. Zudem hat die Staatsanwaltschaft in der ergänzten Stellungnahme (S. 4) signalisiert, ihr Vorgehen entsprechend den Erwägungen der Beschwerdeentscheide BES.2023.81/82 zu überprüfen und anzupassen. Sie zeigt sich damit gewillt, ihren unzulässigen Standpunkt abzuändern, was ebenfalls als Zeichen für ihre Unbefangenheit zu werten ist (vgl. BGE 138 IV 142 E. 2.4).

 

Insoweit unterscheidet sich der vorliegende Fall vom Präjudiz BGer 1B_375/2017 vom 7. Februar 2018 (E. 4.2 und 4.8), in dem die Einvernahmen gänzlich ohne die Parteien durchgeführt wurden. Die Zeugen wurden sogar ohne jegliche Kenntnis der anderen Parteien einvernommen, was viel krasser ist als eine bloss indirekte Teilnahme. Sodann wurde den Opfern nicht bloss die gesetzlichen Schutzmassnahmen gewährt (hiernach E. 3.6.6), sondern ungesetzliche Privilegien im Austausch mit belastenden Aussagen versprochen, was ebenfalls einer Kategorie von deutlich schwereren Fehlleistungen zuzuordnen ist. Im Vergleichsfall wurden die Parteirechte der Beschuldigten in systematischer Weise schwer verletzt (keinerlei Teilnahme, auch nicht indirekt; Einvernahme von mindestens 5 Personen, ohne die Verteidigung zu informieren; Versprechung gegenüber Zeugen, die weit über die üblichen Schutzvorkehrungen hinausgehen). Im vorliegenden Verfahren gibt es indessen weder Hinweise, dass strafprozessuale Befragungen ohne Wissen der Parteien durchgeführt worden sind, noch Anhaltspunkte für die Versprechung unrechtmässiger Privilegien.

 

3.2      Es wurden alle Einvernahmen seit Dezember 2022 mit einer räumlichen Abtrennung mittels Videoschaltung durchgeführt, womit sich eine – freilich unzutreffende – Gewohnheit eingestellt hatte (Ausstandsgesuch Gesuchstellerin Ziff. 6; Ausstandsgesuch Gesuchsteller Ziff. 5), gegen welche die Verteidigung bereits früher ein Rechtsmittel hätte einlegen können. Es ist offensichtlich, dass die Staatsanwaltschaft nicht aus Feindschaft gegenüber den Gesuchstellern, sondern aus – mit Blick auf die Teilnahmerechte übertriebener – Sorge um unbeeinflusste Einvernahmen handelte. Die Staatsanwaltschaft hat im vorliegenden Verfahren konkrete Belege für Druckversuche und Bedrohungen gegenüber den Opferzeugen bzw. ihren Familien eingereicht. In der Aktennotiz vom 13./20. September 2023 sind insgesamt 15 Bedrohungsmeldungen verzeichnet (Ausstandsakten act. 9, Beilage 3). Gerade auch der Befragte F____ stellte gegen beide Gesuchstellenden explizit Strafanzeige und gab zu Protokoll, dass er im Zusammenhang mit dem vorliegenden Strafverfahren seit einer Woche anonyme Anrufe erhalte. Er hatte dies bereits vor der Befragung gegenüber der Opferschutzorganisation belegt (E-Mail von [...], Trafficking.ch, vom 2. Mai 2023; Akten Teil 10 S. 65 f.). Auch die Vorwürfe gegen den genannten J____ finden in den Akten eine Stütze. Er wurde von der Staatsanwaltschaft am 1. Februar 2023 schriftlich verwarnt, weil er versucht habe, die Geschädigten und deren Rechtsbeistände zu kontaktieren (Akten Teil 2 S. 131). Ob die Gesuchsteller diese Einflussnahmen zu vertreten haben, ist im vorliegenden Verfahren nicht zu entscheiden. Jedenfalls zeigt diese Dokumentation, dass die Staatsanwaltschaft nicht aus Feindschaft gegenüber den Parteien, sondern aus sachlich begründeter Sorge um wahrheitsbasierte, unbeeinflusste Aussagen handelte.

 

Weiter ist daran zu erinnern, dass das Bundesgericht in Fällen von Menschenhandel schon empfindliche Einschränkungen gegenüber den beschuldigten Personen und der Verteidigung zugelassen hat, ohne einen Ausstandsgrund zu bejahen (BGer 1B_128/2021 vom 10. Mai 2021 E. 3.2). So spricht es nach dem Bundesgericht nicht für eine tiefe Feindschaft, wenn eine Staatsanwältin sich weigert, einen Polizeirapport aus den Strafakten zu entfernen und den Beschuldigten die Akteneinsicht zu gewähren, wenn sie die Einvernahme des Opferzeugen in indirekter Konfrontation durchführt (Beschuldigter, Verteidigung und Privatklägervertretung im Nebenraum) der Anwältin erst nach mehrfachem Bitten eine Toilettenpause gewährt, bei der sie sich sogar durch die Gerichtsschreiberin begleiten lassen muss. Auch die Verweigerung der nochmaligen Gelegenheit für Ergänzungsfragen an den Zeugen, die erst während der Lektüre des Protokolls aufgekommen sind, vermochte keinen Ausstand zu begründen (BGer 1B_128/2021 vom 10. Mai 2021 E. 3.2). Dieses Präjudiz illustriert, dass die Emotionalität, die zwischen den Ermittlungsbeamten und der Verteidigung in Einvernahmesituationen aufkommen kann, nicht notwendigerweise zu einem Ausstand führt.

 

3.3      Was sodann die behauptete Einvernahme von F____ vom 23. April 2023 angeht, so führt Detektiv E____ aus, an diesem Datum habe keine Einvernahme stattgefunden. Vielmehr sei F____ in den Räumlichkeiten des Amts für Wirtschaft und Arbeit (AWA) angehört und anschliessend in ein Schutzhaus verbracht worden (ergänzte Stellungnahme S. 1).

 

Diese Ausführungen lassen sich aufgrund der Verfahrensakten objektivieren. Gemäss der Aktennotiz von Detektiv E____ vom 25. April 2023 wurde das AWA von Herrn F____ kontaktiert (Akten Teil 10 S. 48). Dieser sei am 20. April 2023 beim AWA zum Gespräch erschienen. Gemäss der Aktennotiz des AWA vom 21. April 2023 gab es ein erstes Treffen mit F____ im Besprechungsraum am Standort des AWA, bei dem [...], Teamleiter Schwarzarbeitsbekämpfung, und Detektiv E____ anwesend waren. Es handelt sich dabei um ein Gespräch des AWA im Verwaltungsverfahren. Eine fehlerhafte Handlung im Strafverfahren, für das die abgelehnten Personen verantwortlich wären, ist nicht erkennbar.  

 

3.4      Die Gesuchsteller beanstanden sodann im Zusammenhang mit den Übersetzungen, dass die Namen der Dolmetscher in sämtlichen Einvernahmen «anonymisiert» und der Verteidigung bis heute nicht mitgeteilt worden seien. Sodann bestünden Fragen bezüglich der Befangenheit der Dolmetscher, da diese offenbar zahlreiche Verfahrensbeteiligte kennen würden und teilweise gar zusammen mit einvernommenen Personen in den Ferien gewesen seien.

 

Zum Anonymisierungsvorwurf macht der Staatsanwalt geltend (ergänzte Stellungnahme S 4), es habe der Verteidigung zu jedem Zeitpunkt freigestanden, die Bekanntgabe der Namen von Dolmetschern bei der Verfahrensleitung begründet zu beantragen, worüber mit beschwerdefähiger Verfügung entschieden worden wäre. Dieser Ansicht kann gefolgt werden. Die Dolmetscher können aufgrund der Personalnummer identifiziert werden, die jeweils auf der Titelseite der Einvernahmeprotokolle ausgewiesen wird (vgl. Einvernahme K____ vom 19. Dezember 2022, Akten Teil 6 S. 266; Einvernahme H____ vom 8. Februar 2023, Akten Teil 8 S. 2). Dass die Dolmetschernamen anlässlich der Befragungen nicht einfach offengelegt werden, ist angesichts der dokumentierten Druckversuche (hiervor E. 3.2) nachvollziehbar.  

 

Der zweite Vorwurf steht im Zusammenhang mit den Sprachkenntnissen der Gesuchstellenden (Einvernahme K____ vom 19. Dezember 2022, geführt durch Detektiv-Korporal L____, Einvernahmeprotokoll S. 2; Akten Teil 6 S. 267 f.). Der Verteidiger wünscht einen Englischdolmetscher, ansonsten er sich eine Beschwerde vorbehalte. Der Dolmetscher sagt, er kenne die Beschuldigten, sie sprächen einwandfrei Tamilisch. Es geht dabei offensichtlich um die Kenntnis ihrer Sprachfähigkeit. Nach einer Unterbrechung der Einvernahme wird der Dolmetscher zu seiner Beziehung zu den Gesuchstellern gefragt. Gemäss seinen Angaben kennt er sie flüchtig. Er habe das Restaurant [...] zweimal besucht und mit den Gesuchstellern jeweils ein kurzes Gespräch geführt. Von einer besonderen Freundschaft Nähe­beziehung kann demnach keine Rede sein. Auch ist nicht bekannt, dass die Verteidigung ihre Ankündigung, womöglich Beschwerde einzulegen, wahrgemacht hätte. Insoweit ist in der durch den Ermittlungsbeamten L____ geführten Einvernahme vom 19. Dezember 2022 kein Fehler erkennbar.

 

Der dritte Vorwurf betrifft die durch Detektiv E____ geführte Einvernahme H____ vom 8. Februar 2023 (Akten Teil 8 S. 3). Detektiv E____ nahm das Ablehnungsgesuch der Verteidigerin gegen den Dolmetscher entgegen und klärte es ab. Der Dolmetscher sagte, er kenne die Auskunftsperson von seiner Arbeit im Aufnahmezentrum für Asylbewerber. Er mache gelegentlich für ihn Übersetzungen und es gebe einen gemeinsamen Kollegen, der sie beide in die Ferien eingeladen habe. Danach wurde die Einvernahme zur Ausstandsklärung unterbrochen. Die Rücksprache mit Staatsanwalt D____ ergab, dass eine Ausstandsproblematik nur bestehe, wenn zwischen Dolmetscher und Auskunftsperson eine Freundschaft, Feindschaft eine Abhängigkeit bestehe, welche Einfluss auf die Übersetzung haben könnte. Dies werde im vorliegenden Fall nicht gesehen, weshalb die Einvernahme mit dem anwesenden Dolmetscher fortgesetzt werde (Einvernahmeprotokoll S. 3). Die Verfahrensleitung hat nach Abklärung der Gründe demnach keine Gefahr für eine verfälsche Übersetzung gesehen.

 

Dieses Ergebnis ist diskutabel. Es lässt sich nicht erkennen, ob es sich um Ferien in einer grösseren Gruppe handelt, die kein besonderes Näheverhältnis begründet, nicht. Dies wäre bedeutsam, weil nach der Rechtsprechung gemeinsame Ferien eines (im gleichen Verfahren tätigen) Richters und Verteidigers einen Ausstandsgrund darstellen können (BGer 1B_55/2015 vom 17. August 2015 E. 4). Die Ausstandsgründe nach Art. 56 StPO gelten auch für Übersetzerinnen und Übersetzer sowie für Sachverständige (Art. 68 Abs. 5 i.V.m. Art. 183 Abs. 3 StPO; BStGer BB.2024.3 vom 31. Januar 2024 E. 2.5; OGer Zürich SB220007 vom 21. März 2023 E. 3.2; Chaix, Récusation et actes interdits, in: JdT 2016 II S. 54 ff., 56; Donatsch, Erste Erfahrungen mit dem Beweisrecht, in: forumpoenale 4/2012 S. 235 ff., 238). Das Näheverhältnis wäre also näher abzuklären und es wäre zu erörtern, ob die Ausstandsregeln für Dolmetscher genau mit jenen für Richter übereinstimmen ob die sinngemässe Anwendung auf die Übersetzerfunktion zu Modifikationen führt. Immerhin hat sich die Verfahrensleitung einer Ausstandsprüfung nicht verweigert, sondern die Einvernahme unterbrochen, die Ausstandsfrage geprüft und sie mit Blick auf den sprachlich-übersetzerischen Schwerpunkt verneint. Die Verteidigung hat dagegen kein Rechtsmittel ergriffen.

 

In diesem Zusammenhang ist an die Rechtsprechung zu erinnern, dass gegen beanstandete Verfahrenshandlungen primär die zur Verfügung stehenden Rechtsmittel auszuschöpfen sind (BGE 143 IV 69 E. 3.2; BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; 138 IV 142 E. 2.3; BGer 1B_567/2022 vom 12. Juni 2023 E. 3), also ein Ausstandsgesuch gegen den Dolmetscher an die Beschwerdeinstanz (analog Art. 59 Abs. 1 lit. b StPO und BGer 1B_488/2011 vom 2 Dezember 2011 E. 1.2; Jositsch/Schmid, a.a.O. Art. 59 N 5) allenfalls eine Beschwerde gegen den protokollierten Entscheid der Staatsanwaltschaft an das Bundesgericht einzureichen ist (analog Art. 59 Abs. 1 lit. a StPO). Es kann jedenfalls nicht angehen, das Ausstandsgesuch gegen die Verfahrensleitung zu richten, wenn die genannten Befangenheitsgründe in der Person des Dolmetschers erfüllt sind. Dass die Verfahrensleitung die Einvernahme unterbrochen und zum Ausstandsgesuch Stellung genommen hat, spricht für eine ernsthafte Prüfung des Anliegens, womit ihrerseits kein Anschein der Befangenheit erkennbar ist.

 

3.5      Die Gesuchsteller beanstanden, dass die Verfahrensleitung diverse entlastende Beweise nicht in die Akten aufgenommen habe. Die Aktenführung der Staatsanwaltschaft sei «miserabel». So habe sie sich lange Zeit gesträubt, die Akten zu paginieren ein Inhaltsverzeichnis zu erstellen. Gewisse Dokumente in den Akten seien faktisch unauffindbar. Die Staatsanwaltschaft (ergänzte Stellungnahme S. 5) macht geltend, bei den – erst kürzlich eingeführten – automatisierten Aktenverzeichnissen könne es vorkommen, dass versehentlich ein Aktenstück nicht noch nicht aufgeführt ist, insbesondere bei einem umfangreichen Aktenbestand wie hier. Sämtliche Aktenstücke seien elektronisch vorhanden und könnten mit Suchbegriffen rasch und einfach aufgefunden werden, ohne dass dafür ein Aktenverzeichnis notwendig wäre.

 

Was zunächst entlastende Dokumente angeht, so kann die Verteidigung diese jederzeit, auch noch vor Strafgericht, zu den Akten geben. Um welche Dokumente im Einzelnen gestritten wird, ist nicht genügend substanziiert und kann im Ausstandsverfahren offen bleiben. Die Gesuchsteller haben als Ausfluss ihres Gehörsanspruchs jedenfalls das Recht, Beweisanträge zu stellen und die Aufnahme von Aktenstücken zu beantragen (Art. 107 Abs. 1 lit. e StPO). Sie können namentlich bei Abschluss der Untersuchung Beweisanträge stellen und diese nötigenfalls im Hauptverfahren vor Strafgericht wiederholen (Art. 318 Abs. 2 StPO). Insoweit bestehen prozessuale Handhaben zur Klärung von Streitfragen, so dass über die Aktenführung nicht im Ausstandsverfahren gestritten werden muss.

 

Was sodann die Paginierung der Akten und die Erstellung des Aktenverzeichnisses angeht, existiert eine reichhaltige Praxis des Beschwerdegerichts. Mit Schreiben vom 20. Februar 2023 wurde der Verteidigung ein Aktenverzeichnis und ein Verfahrensprotokoll zustellt. Volontär B____ hat daraufhin am 23. Februar 2023 beanstandet, dass keine Paginierung der Akten vorgenommen wurde (Akten Teil 1 S. 69 ff.). Er bemängelt zu Recht die fortlaufende Paginierung, welche sich aus der Vorschrift über die «fortlaufende Erfassung» der Akten gemäss Art. 100 Abs. 2 StPO ergibt (AGE BES.2022.57 vom 8. Dezember 2022 E. 3.1.2, BES.2021.96 vom 21. März 2022 E. 2.4). Allerdings steht der Verteidigung auch hier ein Beschwerderecht zu, das allfälligen Ausstandsgesuchen grundsätzlich vorgeht (BGE 143 IV 69 E. 3.2; BGE 143 IV 69 E. 3.2; 141 IV 178 E. 3.2.3; 138 IV 142 E. 2.3; BGer 1B_567/2022 vom 12. Juni 2023 E. 3). Die Gesuchsteller hätten daher gegen die Aktenführung Beschwerde einlegen müssen. 

 

Bedeutend ist aber, dass keine Verweigerung der Akteneinsicht erfolgte. Die Akten wurden der Verteidigung in elektronischer Form zugänglich gemacht. Mangelhaft ist einzig deren Paginierung. Das Ausstandsgericht konnte sich bei der Bearbeitung des vorliegenden Entscheids vergewissern, dass der effektive Aktenzugang möglich ist. Ein schwerer Fehler eine Feindschaft, welche etwa auf die Hintertreibung der Akteneinsicht gerichtet wäre, ist nicht erkennbar. Da die Akteneinsicht im Wesentlichen gewährt wurde und effektiv möglich war, konnte auch kein Anschein der Befangenheit entstehen. 

 

3.6      Die Gesuchsteller listen zahlreiche weitere Beanstandungen auf, welche indessen am vorliegenden Gesamtbild nichts zu ändern vermögen. Diese Vorbringen sind als unberechtigt auszuscheiden, da sie gar keinen Fehler erkennen lassen auch nicht anscheinsweise an der Integrität der Verfahrensleitung Zweifel erwecken.

 

3.6.1   So erfolgten die Einvernahmen der Opfer und Auskunftspersonen vom 12. und 13. Dezember 2023, an denen die Gesuchsteller noch nicht teilnehmen konnten, soweit ersichtlich, bevor diesen die wesentlichen Vorhaltungen gemacht worden sind. Die beiden Gesuchsteller wurden am 13. Dezember 2022 ab 10.00 Uhr einvernommen (Akten Teil 6 S. 197, 208, 209) und mit Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 15. Dezember 2023 in Untersuchungshaft versetzt. Es ist nach der Rechtsprechung zulässig, dass die allerersten Einvernahmen der Opfer durchgeführt werden, bevor die konkreten Vorhalte den beschuldigten Personen eröffnet werden können (BGer 6B_1092/2022 vom 9. Januar 2023 E. 2.2; AGE SB.2020.70 vom 17. November 2023 E. 2.2.3; SB.2020.116 vom 19. Dezember 2022 E. 2.3.3; BES.2012.‌108 vom 3. Januar 2013 E. 4.2.2). Insoweit ist kein Fehler erkennbar. 

 

3.6.2   Das Telefonat von Kriminalkommissär M____ – der vom Ausstandsgesuch nicht betroffen ist – richtete sich gemäss den Darlegungen der Staatsanwaltschaft (ergänzte Stellungnahme S. 5) an das Personal des Untersuchungsgefängnisses. Es diente organisatorischen Abklärungen betreffend Sprachkompetenz und war somit sachlich begründet. Diese Angaben lassen sich durch die Aktennotiz von Kriminalkommissär M____ vom 19. Dezember 2022 objektivieren (Akten Teil 6 S. 265). Es gibt keine Hinweise, dass der Kriminalkommissär den direkten Kontakt mit den Gesuchstellern gesucht diese gar zu beeinflussen versucht hat. Überdies wurde die Abklärung durch Kriminalkommissär M____ und nicht die abgelehnten Personen getätigt, so dass diesen auch insoweit keine Anhaltspunkte für Feindschaft gegenüber den Parteien angelastet werden können. 

 

3.6.3   Der Vorwurf, die abgelehnten Personen hätten den Gesuchsteller hungern lassen, wird im Ausstandsverfahren erstmals erhoben. Er stützt sich auf eine Angabe des Gesuchstellers in seiner ersten Einvernahme vom 13. Dezember 2022, die während mehr als vier Monaten folgenlos geblieben ist (Einvernahmeprotokoll S. 2, Akten Teil 6 S. 210). Der abgelehnte Staatsanwalt weist den Vorwurf in der ergänzten Stellungnahme (S. 5) mit Bestimmtheit zurück und bezeichnet ihn als «absurd». Es ist tatsächlich schwer vorstellbar, dass die Verteidigung nach einem derart krassen Vorgang wie einem Nahrungsentzug während vier Monaten untätig geblieben und erst mit dem Ausstandsgesuch aktiv geworden wäre. Die Verteidigung hat an der besagten Einvernahme vom 13. Dezember 2022 teilgenommen und hätte damals zweifellos sofort bei der Gefängnisleitung interveniert, um derart vitale Interessen ihrer Mandantschaft pflichtgemäss zu wahren. Sie hätte den Vorwurf mit Sicherheit auch vor dem Zwangsmassnahmengericht genannt, zu dessen Aufgabe es gerade gehört, über die Rechtmässigkeit von Freiheitsentzügen zu befinden. Die Verhandlung vor dem Zwangsmassnahmengericht fand nur zwei Tage später, am 15. Dezember 2022, statt (Akten Gesuchsteller, Verfahren DGS.2023.20, Teil 2 S. 31 ff.). Indessen ist jegliche Reaktion unterblieben, so dass zum einen der Wahrheitsbezug der damaligen Behauptung des Gesuchstellers stark bezweifelt werden und zum andern das Zuwarten der Verteidigung mit der Bezugnahme auf die damalige Aussage als treuwidrig gewertet werden muss. Jedenfalls bestehen keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass die abgelehnten Personen dem Gefängnis aufgetragen hätten, den Gesuchsteller auf Diät zu setzen. 

 

3.6.4   Zur Beurteilung des Vorwurfs der Drohung mit dem Mandatsentzug in der Einvernahme der Auskunftsperson G____ vom 22. Dezember 2022 stützen sich die Gesuchsteller auf eine Videoaufnahme (Ausstandsakten act. 10), welche das Ausstandsgericht beigezogen und gewürdigt hat. Der abgelehnte Untersuchungsbeamte E____ wendet in seiner ergänzten Stellungnahme zutreffend ein, dass er diese Einvernahme nicht durchgeführt habe. Gemäss Verfahrensprotokoll hat Detektiv-Korporal L____ die Fragen gestellt, weshalb der Vorwurf gar nicht an die Adresse der vorliegend abgelehnten Personen gerichtet ist. Schon aus diesem Grund erweist sich das Vorbringen im vorliegenden Zusammenhang als untauglich.

 

Eine weitere Relativierung ergibt sich aufgrund der von beiden Gesuchstellenden genannten Videoaufnahme (ab Spielzeit 1:28:53). Die Einvernahme wird zunächst in einer ruhigen Atmosphäre geführt. Die Fragen und Antworten werden von einem Dolmetscher übersetzt. Die Auskunftsperson antwortet in ruhigem Ton. Mitten im Satz fällt Volontär B____ der Auskunftsperson ins Wort. In aufgebrachtem Tonfall drängt er auf eine Protokollierung. Der Untersuchungsbeamte L____ lässt diese Unterbrechung nicht zu, indem er auf die frühere Erklärung der Regeln verweist. Dann fügt er an: «Sonst wird man einen anderen Anwalt einsetzen... Entschuldigung.»

 

Es entspricht einer allgemeinen Regel des Anstands, dass man einen Befragten, der das Wort erhalten hat, den Satz beenden lässt. Der Untersuchungsbeamte hat dem Einwurf der Verteidigung zu Recht Grenzen gesetzt, und den Befragten ausreden lassen. Einzig mit dem Verweis auf einen anderen Anwalt ist er zu weit gegangen. Dies ist jedoch in der Hitze des Gefechts passiert und ist als Reaktion auf den Einwurf des Volontärs zu relativieren. Wer sich das Recht herausnimmt, anderen ins Wort zu fallen, darf sich gegenüber einer Zurechtweisung nicht allzu empfindlich zeigen. Die Reaktion des Untersuchungsbeamten L____ richtet sich eindeutig gegen den Fehltritt des Volontärs und vermag keinerlei Anhaltspunkte von Feindschaft gegenüber den Gesuchstellenden, geschweige denn ein Fehlverhalten der vorliegend abgelehnten Beamten D____ und E____ zu belegen.

 

3.6.5   Die Gesuchsteller machen geltend, I____ sei in der Einvernahme von 17. Februar 2023 in die Rolle eines Opfers gedrängt worden. Zudem sei der Verteidigung nach einem anfänglichen Einwand die Erlaubnis für weitere Einwände erst ca. eine Stunde später gewährt worden, was eine wirksame Kontrolle verunmöglicht habe. 

 

Der Untersuchungsbeamte E____ macht in seiner Stellungnahme vom 31. Oktober 2023 (S. 1) geltend, im Einvernahmeprotokoll (S. 4) sei ersichtlich, dass der Einwand des Verteidigers dem Zeugen übersetzt worden sei. Da der Verteidiger kurze Zeit später in ähnlicher Sache einen Einwand vorgebracht habe, sei er auf das Fragerecht am Schluss der Einvernahme verwiesen worden. Ihm, E____, sei es geschienen, dass durch die Einwände das Aussageverhalten des Zeugen habe beeinflusst werden sollen.

 

Gestützt auf die Eindrücke des genannten Videoausschnitts der Einvernahme vom 22. Dezember 2022 (hiervor E. 3.6.4) scheint es durchaus möglich, dass Volontär B____ auch bei dieser Einvernahme etwas forsch aufgetreten ist, so dass sich die Sorge um das Gesprächsklima bzw. die Aussagebereitschaft des Zeugen nicht als unbegründet erweist. Im Unterschied zur Einvernahme vom 22. Dezember 2022 wurde die Einvernahme I____ vom 17. Februar 2023 tatsächlich von Detektiv E____ durchgeführt (Akten Teil 8 S. 139 ff.). Dem Einvernahmeprotokoll lässt sich entnehmen, dass der Befragte – ein ehemaliger Manager des Restaurants und aktueller Besitzer eines Geschäftswagens – die Gesuchstellenden nicht belasten will, aber Angst um seine Familie hat. Er fürchtet, dass im Anschluss an seine Aussagen auf seine Familie – in der Schweiz in Sri Lanka – Einfluss genommen werde könnte. Einflussnahmen im Umfeld des vorliegenden Strafverfahrens sind dokumentiert (hiervor E. 3.2), so dass der Untersuchungsbeamte allen Grund hatte, für ein gutes Gesprächsklima zu sorgen. Hinweise für das beanstandete Drängen in eine Opferrolle sind nicht ersichtlich. Weiter lässt sich dem Einvernahmeprotokoll entnehmen, dass die Einwände der Verteidigung mehrfach protokolliert wurden (S. 2, 4, 7, 17, 24, 34) und die Verteidiger am Ende der Einvernahme auch Fragen stellen konnten (S. 35-38). Der Vorwurf, dass der Befragte in eine Opferrolle gedrängt worden und der Verteidigung keine Gelegenheit für Einwände und Fragen gewährt worden sei, erweist sich demnach als unbegründet.

 

3.6.6   Nicht gefolgt werden kann den Gesuchstellern sodann in ihrem Angriff auf die Opferschutzmassnahmen und die E-Mails der Opferhilfe, die zu den Akten genommen wurden. So liefert die E-Mail der Opferhilfe an den Untersuchungsbeamten E____ vom 15. Februar 2023 keine Anhaltspunkte für einen Ausstand. Mit dieser E-Mail erhielt Detektiv E____ eine Anfrage von der Opferhilfe zur konkreten Situation eines mutmasslichen Geschädigten, worin kein Fehler erkennbar ist. 

 

Weiter verweist der abgelehnte Staatsanwalt in der ergänzten Stellungnahme (S. 1 und Beilage) auf den Nationalen Aktionsplan des Bundesrats gegen Menschen­handel 2023–2027 (https://www.newsd.admin.ch/newsd/message/attachments/ 83436.pdf). Dieser ist im Lichte des geltenden Rechts heranzuziehen, welches Menschenhandel zur Arbeitsausbeutung unter Strafe stellt. Gemäss diesem amtlichen Dokument (S. 5) bildet es eine Aufgabe der Strafverfolgung, bei Anzeichen auf Menschenhandel die Täterinnen und Täter zu ermitteln und Massnahmen zum Schutz der Opfer einzuleiten. Weiter wird ausgeführt (S. 8), dass Opfer von Menschenhandel oftmals durch Drohungen davon abgehalten würden, sich zu wehren und sich bei den Behörden zu melden, geschweige denn in Strafverfahren auszusagen. Die Zusammenarbeit mit den spezialisierten Opferschutzstellen sei zentral. Als Beispiel für Erscheinungsformen von Menschenhandel wird explizit die Ausbeutung von Männern genannt, welche im Gast- und Baugewerbe arbeiten (S. 9). Sodann erklärt der Bundesrat die wirksame Bekämpfung strafbarer Arbeitsausbeutung zum strategischen Ziel (S. 19). Insgesamt führt der Aktionsplan sehr anschaulich vor Augen, dass die Strafverfolgungsbehörde bereits unter geltendem Recht zur Verfolgung des Menschenhandels zur Arbeitsausbeutung und diesbezüglich auch zum Opferschutz verpflichtet sind. Es fällt übrigens auf, dass der vorliegende Sachverhalt in der genannten Branche des Gastgewerbes angesiedelt ist.

 

Rechtliche Schutzpflichten gegenüber Opfern ergeben sich im Übrigen auch aus der Europäischen Menschenrechtskonvention (vgl. Schultz, Die Bedeutung von Art. 4 EMRK für die Verfolgung von Menschenhandel zwecks Ausbeutung der Arbeitskraft, in: forumpoenale 3/2021, S. 200, 201 f.). Weiter ist daran zu erinnern, dass die Strafverfolgungsbehörden gemäss Art. 305 StPO zur Information des Opfers gehalten sind, und dies gemäss dem Gesetzeswortlaut im umfassenden Sinne (Traub, in: Gomm/Zehntner [Hrsg.], Opferhilferecht, 4. Auflage, Bern 2020, Art. 305/330 StPO N 10; Riedo/Boner, in: Basler Kommentar StPO, 3. Auflage 2023, Art. 305 N 11). Opferhilfe ist nach dem Willen des Gesetzgebers unabhängig davon zu leisten, ob gegen die Tatverdächtigen ermittelt wurde diese sich schuldhaft verhalten haben nicht (Art. 1 Abs. 1 lit. a und b des Opferhilfegesetzes [OHG, SR 312.5]). Die Gewährung einer Notunterkunft ist eine gesetzlich vorgesehene Massnahme (Art. 14 Abs. 1 OHG). Demnach ist Opferhilfe im Sinne des Gesetzes schlicht eine Rechtspflicht und darf nicht als Vorverurteilung gewertet werden. Insgesamt ist die vorliegende Kritik am behördlichen Umgang mit den Opfern nicht geeignet, die Befangenheit der Ermittlungsbehörden zu begründen. Auch diesbezüglich müssen sich die beiden abgelehnten Beamten nichts vorwerfen lassen.

 

3.7      Zusammenfassend ist in der Gesamtwürdigung festzuhalten, dass ein Ausstandsverfahren gegen den genannten Dolmetscher wegen gemeinsam verbrachter Ferien und eine Beschwerde zwecks fortlaufender Paginierung der Akten durchaus aussichtsreich gewesen wären. Allerdings können in beiden Fällen keine schweren Fehler, die eine Voreingenommenheit Feindschaft gegenüber den Parteien erkennen lassen, festgestellt werden. Es handelt sich vielmehr um Unregelmässigkeiten, wie sie gerade in umfangreichen Verfahren mit zahlreichen Verfahrensbeteiligten (mehrere Beschuldigte und Verteidiger, viele zu befragende Personen) und mit tausenden von Aktenseiten vorkommen können. Diese sind zu berichtigen, ohne dass die Verantwortlichen der Verfahrensleitung in den Ausstand zu treten haben. Das­selbe gilt für die bloss indirekte (statt direkte) Teilnahme der Verteidigung an der Befragung vom 5. Mai 2023, welche das Beschwerdegericht korrigiert hat (AGE BES.2023.81 und 82 vom 23. Oktober 2023). Ähnliches gilt für die Verlängerung der Untersuchungshaft, die primär in der Verantwortung des Zwangsmassnahmengerichts liegt, einer unabhängigen, gerichtlichen Instanz, die den Antrag der Staatsanwaltschaft bewilligte. Dieser Gerichtsentscheid wurde in zweiter Instanz ebenfalls korrigiert (AGE HB.2023.8 und 9 vom 2. März 2023). Selbst wenn der Staatsanwaltschaft mehrere Fehler unterlaufen, begründet dies nach der Rechtsprechung nicht notwendigerweise einen Ausstand, wie das Bundesgericht erst kürzlich in einem Basler Fall deutlich gemacht hat (BGer 1B_144/2021 vom 30. August 2021, in Aufhebung von AGE DGS.2020.22 vom 17. Februar 2021).

 

Die hier behandelten Unregelmässigkeiten können, in Anbetracht der überjährigen Verfahrensdauer, aber nicht als «ungewöhnlich häufig» und in Anbetracht ihrer Bedeutung im Gesamtbild nicht als «besonders krass» bezeichnet werden. Bei gesamthafte Würdigung ergibt sich vielmehr, dass die Verfahrensführung trotz gewisser Unregelmässigkeiten weder von krassen Fehlern noch von Einseitigkeit Feindschaft gegenüber den Verfahrensparteien geprägt war. So wurden die Teilnahmerechte an sich gewährt, aber in der falschen, indirekten Modalität. Die Akteneinsicht wurde ermöglicht, wobei die elektronischen Akten unpaginiert geblieben bzw. nur mit elektronischen Seitenzahlen versehen sind. Das Ausstandsgesuch gegen den Dolmetscher wurde behandelt, aber die Nähe der Bekanntschaft mit der Auskunftsperson ungenügend abgeklärt. Bedeutend ist auch, dass die Staatsanwaltschaft eine Vielzahl von Kollusionshandlungen dokumentierte, womit sie Anhaltspunkte für eine straffe Verfahrensführung belegen kann. Überdies entspricht es dem gesetzlichen Auftrag, auch für den Opferschutz besorgt zu sein. Insgesamt reichen die Anhaltspunkte für den Anschein einer Befangenheit nicht aus. 

 

4.         Kosten

 

Nach dem Gesagten sind beide Ausstandsgesuche abzuweisen. Bei diesem Ausgang tragen die Gesuchstellerin und der Gesuchsteller je eine Entscheidgebühr von CHF 600.–, einschliesslich Auslagen (Art. 59 Abs. 4 StPO; § 33 Gerichtsgebührenreglement [GGR, SG 154.810]). Der amtlichen Verteidigung wird jeweils ein Honorar gemäss Kostennote ausgerichtet, wobei die Auslagen im Umfang von § 23 Abs. 1 des Honorarreglements (HoR, SG 291.400) und die Volontärsstunden zu CHF 133.33 abgegolten werden (AGE SB.2020.113 vom 30. Mai 2023 E. 9.3, SB.2018.97 vom 25. Juni 2019 E. 6.2).

 

 

Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):

 

://:        Die Ausstandsbegehren werden abgewiesen.

 

Die Gesuchstellerin und der Gesuchsteller tragen die Kosten des Ausstandsverfahrens mit einer Gebühr von je CHF 600.–, einschliesslich Auslagen.

 

Dem amtlichen Verteidiger [...] wird ein Honorar von CHF 977.75, zuzüglich Auslagenpauschale von CHF 30.– und 7,7 % Mehrwertsteuer von CHF 77.60, somit total CHF 1’085.35, aus der Gerichtskasse zugesprochen.

 

Der amtlichen Verteidigerin [...] wird Honorar von CHF 2'664.–, zuzüglich Auslagen von CHF 61.80 und Mehrwertsteuer von insgesamt CHF 211.55 (7,7 % auf CHF 2'312.30 sowie 8,1 % auf CHF 33.50), somit total CHF 2'937.35, aus der Gerichtskasse zugesprochen.

 

Mitteilung an:

-          Gesuchstellerin

-          Gesuchsteller

-          Staatsanwalt D____

-          Detektiv E____ 

 

APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT

 

Der Präsident                                                            Der Gerichtsschreiber

 

 

lic. iur. Christian Hoenen                                         Dr. Urs Thönen

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung

 

Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer diplomatischen konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.

 

Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Vertretung der Privatklägerschaft können gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).

 



 
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