| Appellationsgericht Einzelgericht |
BES.2023.154
ENTSCHEID
vom 18. April 2024
Mitwirkende
lic. iur. Marc Oser
und a.o. Gerichtsschreiberin MLaw Stephanie Vögtli
Beteiligte
A____, geb. [...] Beschwerdeführer
[...] Beschuldigter
vertreten durch [...], Rechtsanwalt,
[...]
gegen
Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Beschwerdegegnerin
Binningerstrasse 21, 4001 Basel
Gegenstand
Beschwerde gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft
vom 31. Oktober 2023
betreffend erkennungsdienstliche Erfassung
Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft führt gegen A____ (nachfolgend Beschwerdeführer) ein Strafverfahren wegen des Verdachts auf Betrug und Urkundenfälschung (Verfahrensnummer VT.[...]). Mit Verfügung vom 31. Oktober 2023 ordnete die Staatsanwaltschaft die erkennungsdienstliche Erfassung (Feststellung der Körpermerkmale und Herstellung von Abdrücken von Körperteilen) des Beschwerdeführers an. Als Begründung wurde angegeben, die angeordneten Massnahmen seien für die Identifizierung der betroffenen Person notwendig. Die Verfügung vom 31. Oktober 2023 wurde dem Beschwerdeführer am 21. November 2023 eröffnet.
Gegen diese Verfügung hat der Beschwerdeführer, vertreten durch [...], Rechtsanwalt, mit Eingabe vom 29. November 2023 Beschwerde beim Appellationsgericht erhoben. Darin beantragt er, es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Staatsanwaltschaft anzuweisen, allenfalls bereits entnommene daktyloskopische Abdrücke, fotografische Aufnahmen, festgestellte äussere körperliche Merkmale sowie Messungen und Handschriftproben zu vernichten und allfällige diesbezügliche Unterlagen und Registraturhinweise zu löschen. Weiter sei für das vorliegende Beschwerdeverfahren die amtliche Verteidigung zu bewilligen. Die Staatsanwaltschaft hat sich innert zweifach erstreckter Frist mit Stellungnahme vom 4. März 2024 vernehmen lassen und beantragt, auf die Beschwerde sei nicht einzutreten, eventualiter sei sie abzuweisen; unter o/e-Kostenfolge. Hierzu hat der Beschwerdeführer am 7. März 2024 unter Aufrechterhaltung seiner Anträge repliziert.
Der vorliegende Entscheid ist aufgrund der Akten (einschliesslich der von der Staatsanwaltschaft elektronisch eingereichten Verfahrensakten) ergangen. Die Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich – soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind – aus den nachfolgenden Erwägungen.
Erwägungen
1.
1.1 Am 1. Januar 2024 traten die revidierten Bestimmungen der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) in Kraft. Gemäss Art. 453 Abs. 1 StPO (unverändert belassen) werden Rechtsmittel gegen Entscheide, die vor Inkrafttreten der neuen Regelungen gefällt wurden, nach bisherigem Recht beurteilt. Die vorliegend angefochtene Verfügung datiert vom 31. Oktober 2023, weshalb die dagegen erhobene Beschwerde nach den bis am 31. Dezember 2023 geltenden Bestimmungen der StPO zu beurteilen ist.
1.2 Gemäss Art. 393 Abs. 1 lit. a der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) unterliegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Polizei und der Staatsanwaltschaft der Beschwerde an die Beschwerdeinstanz. Zuständiges Beschwerdegericht ist das Appellationsgericht als Einzelgericht (§ 88 Abs. 1 und § 93 Abs. 1 Ziff. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG 154.100]), welches mit freier Kognition urteilt (Art. 393 Abs. 2 StPO). Der Beschwerdeführer ist durch die verfügte Zwangsmassnahme unmittelbar berührt und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an deren Aufhebung bzw. Änderung, womit seine Beschwerdelegitimation gegeben ist (Art. 382 Abs. 1 StPO). Die Beschwerde ist nach Art. 396 StPO form- und fristgemäss eingereicht worden, sodass auf sie einzutreten ist.
2.
2.1 In seiner Beschwerde hält der Beschwerdeführer fest, die erkennungsdienstliche Erfassung müsse einem erkennbaren Zweck dienen und verhältnismässig sein und sie sei so zu begründen, dass für die betroffene Person nachvollziehbar sei, wozu die Massnahme diene und inwiefern sie verhältnismässig sei. Die in der Verfügung vom 31. Oktober 2023 aufgeführte Kurzbegründung, wonach der Beschwerdeführer eines Deliktes beschuldigt werde und die erkennungsdienstliche Erfassung für die Identifizierung der betroffenen Person notwendig sei, genüge den Anforderungen offenkundig nicht. Es sei nicht nachvollziehbar, wozu die erkennungsdienstliche Erfassung im konkreten Fall diene und weshalb sie verhältnismässig sein solle (act. 2).
2.2 Die Staatsanwaltschaft hält dem entgegen, im Befehl für die erkennungsdienstliche Erfassung vom 31. Oktober 2023 werde festgestellt, dass der Beschwerdeführer eines Delikts beschuldigt werde. Gleichentags sei der Beschuldigte festgenommen und durch die verfahrensleitende Staatsanwältin mit den gegen ihn erhobenen Vorwürfen ein erstes Mal ausführlich konfrontiert worden, weshalb ihm die Gründe für die erkennungsdienstliche Erfassung bei der Aushändigung des Befehls am 21. November 2023 (anlässlich einer weiteren Einvernahme) und demzufolge nach mehrmaligem Vorhalten der Vorwürfe klar gewesen sein müsse. Die angeordneten Massnahmen seien, wie dem Befehl entnommen werden könne, mit der Notwendigkeit der Identifizierung des Beschwerdeführers begründet worden. Da dieser eines Delikts beschuldigt werde, sich zum Zeitpunkt der Aushändigung des Befehls in Untersuchungshaft befunden habe und bereits mehrfach zu den ihm vorgeworfenen mutmasslich strafbaren Handlungen befragt worden sei, stehe ausser Zweifel, dass er sehr wohl über die Gründe seiner erkennungsdienstlichen Erfassung Bescheid gewusst habe. Die angeordneten Massnahmen seien überdies als verhältnismässig zu qualifizieren (act. 14).
2.3 Der Beschwerdeführer entgegnet dem in seiner Replik, er sei am 31. Oktober 2023 verhaftet worden und habe rund drei Monate in Haft verbracht. Er sei längst identifiziert. Es bleibe auch nach der Stellungnahme der Staatsanwaltschaft unklar, wozu die angeordnete Massnahme diene und inwiefern sie geeignet und erforderlich sei, einen sinnvollen Zweck zu erfüllen. Eine Auseinandersetzung mit der Zulässigkeit der angefochtenen Massnahme sei unter diesen Umständen nicht möglich, wobei es an der Staatsanwaltschaft gewesen wäre, wenigstens im vorliegenden Beschwerdeverfahren die Zulässigkeit der Massnahme zu begründen (act. 18).
3.
Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, namentlich der Begründungspflicht, hinsichtlich der angefochtenen Verfügung geltend.
3.1 Die erkennungsdienstliche Erfassung ist gemäss Art. 260 Abs. 3 Satz 1 StPO schriftlich anzuordnen und kurz zu begründen. An die Begründungsdichte dürfen jedoch keine übermässigen Anforderungen gestellt werden, was bereits durch die gesetzliche Formulierung zum Ausdruck kommt, welche lediglich eine «kurze» Begründung fordert. Wie umfassend diese Begründung sein muss, kann nicht mit einer allgemein gültigen Formel umschrieben werden (vgl. AGE BES.2023.60 vom 29. September 2023 E. 2.1.2, BES.2021.54 vom 29. November 2021 E. 2.4, BES.2021.84 vom 21. Oktober 2021 E. 2.1, BES.2018.216 vom 7. Juni 2019 E. 3; Weber, in: Basler Kommentar, 3. Auflage 2023, Art. 199 StPO N 6). Nach der Rechtsprechung muss die Begründung einer erkennungsdienstlichen Erfassung auf die konkrete Situation des Einzelfalls Bezug nehmen (vgl. AGE BES.2023.60 vom 29. September 2023 E. 2.1.2, BES.2021.54 vom 29. November 2021 E. 2.4, BES.2020.186 vom 5. März 2021 E. 3.3, BES.2020.23 vom 18. Mai 2020 E. 2.2.4, BES.2019.158 vom 17. Dezember 2019 E. 3.3, BES.2017.209 vom 14. August 2019 E. 4.3, BES.2018.148 vom 12. Februar 2019 E. 2.3).
Ob eine genügende Begründung vorliegt, beurteilt sich nicht nur aufgrund des Anordnungsdokuments. Zu berücksichtigen ist auch die übrige Aufklärung, die gegenüber dem Betroffenen anlässlich der Eröffnung des Befehls geleistet und dokumentiert wird. So werden namentlich die Bekanntgaben in einer gleichzeitig durchgeführten Einvernahme berücksichtigt. Entscheidend ist, ob für die betroffene Person insgesamt genügend klar erkennbar ist, was ihr vorgeworfen wird und weshalb die Massnahmen durchgeführt werden (vgl. AGE BES.2023.60 vom 29. September 2023 E. 2.1.2, BES.2022.26 vom 17. Mai 2023 E. 2.2, BES.2021.54 vom 29. November 2021 E. 2.4, BES.2020.186 vom 5. März 2021 E. 3.3, BES.2019.18 vom 5. August 2019 E. 3.3.1, BES.2019.82 vom 30. Juli 2019 E. 3.2, BES.2018.206 vom 5. Juni 2019 E. 3.4, BES.2018.213 vom 23. April 2019 E. 3.3).
3.2 Im Befehl für die erkennungsdienstliche Erfassung vom 31. Oktober 2023 führt der verfügende Kriminalkommissär im Rahmen einer «Kurzbegründung» an, der Beschwerdeführer werde «eines Deliktes beschuldigt». Als Straftatbestand wird «Betrug, Urkundenfälschung, begangen am 2022 - 2023, in Basel» angegeben. Die Massnahmen seien «notwendig für die Identifizierung der betroffenen Person» (act. 1).
Die Verfügung vom 31. Oktober 2023 wurde dem Beschwerdeführer gemäss den übereinstimmenden Ausführungen des Beschwerdeführers und der Staatsanwaltschaft anlässlich einer Einvernahme vom 21. November 2023 persönlich übergeben und mündlich eröffnet (vgl. act. 1, «Empfangsbestätigung»; Beschwerde, act. 2; Stellungnahme Staatsanwaltschaft, act. 13 f.). Aufgrund der Akten muss jedoch festgestellt werden, dass der Befehl für die erkennungsdienstliche Erfassung dem Beschwerdeführer offenbar vor einer Einvernahme des Mitbeschuldigten B____ und nicht etwa anlässlich nach einer eigenen Einvernahme ausgehändigt wurde (Zeit Aushändigung 14:10 Uhr, act. 1; Beginn Einvernahme B____ 14:23 Uhr, elektronische Vorakten der Staatsanwaltschaft ZS1.123). Soweit aus den Akten ersichtlich, kam es am 21. November 2023 zu keiner weiteren Einvernahme. Die Aushändigung des Befehls fand demzufolge nicht bei einer gleichzeitig durchgeführten Einvernahme des Beschwerdeführers statt und er wurde dort auch nicht ausführlich mit den Tatvorwürfen konfrontiert. Einvernahmen mit dem Beschwerdeführer wurden vielmehr am 1. November 2023 (elektronische Vorakten der Staatsanwaltschaft ZS1.87), am 16. November 2023 (elektronische Vorakten der Staatsanwaltschaft ZS1.104) und am 25. Januar 2024 (elektronische Vorakten der Staatsanwaltschaft ZS4.35) durchgeführt.
Aus der vorliegenden Aktenlage erschliesst sich zusätzlich und im Wesentlichen auch nicht, inwiefern die erkennungsdienstliche Erfassung des Beschwerdeführers insbesondere zur Identifizierung der betroffenen Person, aber auch der Sachverhaltsermittlung der untersuchten Tatvorwürfe (obwohl ohnehin nicht als Grund angegeben) beitragen soll. Die Täterschaft des Beschwerdeführers bzw. dessen Identität ist bezüglich beider Fallkomplexe (desjenigen betreffend die [...] AG sogar unbestrittenermassen, elektronische Vorakten der Staatsanwaltschaft ZS5.3 f.) gegeben. Es geht im Übrigen vorliegend hauptsächlich um die Erstellung von fingierten bzw. gefälschten Rechnungen. Es wird insgesamt nicht genügend klar, aus welchen Gründen die Feststellung der Körpermerkmale und die Herstellung von Abdrücken der Körperteile des Beschwerdeführers angezeigt gewesen wären. Die Begründung des angefochtenen Befehls ist demzufolge ungenügend, wodurch das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt wurde. Die Staatsanwaltschaft unterlässt es im Übrigen auch, die Notwendigkeit bzw. die Erforderlichkeit und Geeignetheit der Feststellung von Körpermerkmalen und der Herstellung von Abdrücken im vorliegenden Beschwerdeverfahren näher zu begründen. Es ist nach wie vor nicht nachvollziehbar, inwiefern die erkennungsdienstliche Erfassung zur Feststellung der Identität des Beschwerdeführers beitragen soll.
4.
4.1 Die Beschwerde ist nach dem Erwogenen gutzuheissen und die angefochtene Verfügung vom 31. Oktober 2023 ist aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft ist anzuweisen, die in diesem Zusammenhang bereits erhobenen Daten zu vernichten bzw. zu löschen.
4.2 Bei diesem Ausgang des Verfahrens werden keine Kosten erhoben (Art. 428 Abs. 1 StPO).
4.3 Dem Beschwerdeführer ist die amtliche Verteidigung zu bewilligen. Dem amtlichen Verteidiger ist eine Entschädigung aus der Gerichtskasse auszurichten. Mangels Einreichung einer Honorarnote ist der geleistete Aufwand zu schätzen. Für die Eingaben vom 29. November 2023 und vom 7. März 2024 erscheint ein Aufwand von drei Stunden angemessen. Daraus ergibt sich ein Verteidigungshonorar in Höhe von CHF 600.– (einschliesslich Auslagen), zuzüglich 7,7 % MWST von CHF 46.20.
Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):
://: In Gutheissung der Beschwerde wird der Befehl für die erkennungsdienstliche Erfassung vom 31. Oktober 2023 aufgehoben. Die Staatsanwaltschaft wird angewiesen, die in diesem Zusammenhang bereits erhobenen Daten zu vernichten bzw. zu löschen.
Für das Beschwerdeverfahren werden keine Kosten erhoben.
Dem amtlichen Verteidiger, [...], wird für das Beschwerdeverfahren ein Honorar von CHF 600.– (einschliesslich Auslagen), zuzüglich 7,7 % MWST von CHF 46.20, insgesamt somit CHF 646.20, aus der Gerichtskasse ausgerichtet.
Mitteilung an:
- Beschwerdeführer
- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt
APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT
Der Präsident Die a.o. Gerichtsschreiberin
lic. iur. Marc Oser MLaw Stephanie Vögtli
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer diplomatischen konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.