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Urteil Appellationsgericht (BS - BES.2022.160)

Zusammenfassung des Urteils BES.2022.160: Appellationsgericht

Die Beschwerdeführenden, die die Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren gegen die Beschwerdegegner 2 und 3 angefochten haben, haben Recht bekommen. Das Gutachten IRM St. Gallen wurde als mangelhaft und ungenügend bewertet, da wichtige Aspekte nicht behandelt wurden. Die offenen Fragen sollen mittels eines Ergänzungsgutachtens oder Obergutachtens geklärt werden, und das Verfahren wird wieder aufgenommen. Die Beschwerdeführenden erhalten keine Kosten auferlegt, da ihnen die unentgeltliche Prozessführung gewährt wurde. Der Rechtsvertreter wird angemessen entschädigt. Der Entscheid kann beim Bundesgericht angefochten werden, und die amtliche Verteidigung kann beim Bundesstrafgericht Beschwerde einlegen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts BES.2022.160

Kanton:BS
Fallnummer:BES.2022.160
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung: Einzelgericht
Appellationsgericht Entscheid BES.2022.160 vom 13.09.2023 (BS)
Datum:13.09.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Gutachten; Gallen; Spital; Staat; Staatsanwaltschaft; Lunge; Lungen; Lungenentzündung; Entlassung; Beschwerdeführende; Beschwerdeführenden; Einstellung; Einstellungsverfügung; Einstellungsverfügungen; Beschwerdegegner; Operation; Zeitpunkt; Gutachter; Ursache; Behandlung; Herzkreislaufstillstand; Austritt; Entscheid; Todes; Verfahren; ässig
Rechtsnorm: Art. 10 StPO ;Art. 121 StPO ;Art. 42 BGG ;Art. 48 BGG ;Art. 9 BV ;
Referenz BGE:146 IV 114;
Kommentar:
Donatsch, Schmid, Lieber, Jositsch, Kommentar zur StPO, 2020

Entscheid des Verwaltungsgerichts BES.2022.160



Geschäftsnummer: BES.2022.160 (AG.2023.717)
Instanz: Appellationsgericht
Entscheiddatum: 13.09.2023 
Erstpublikationsdatum: 02.07.2024
Aktualisierungsdatum: 02.07.2024
Titel: Einstellungsverfügungen (BGer 7B_1019/2023 + 7B_1026/2023 vom 26.02.2024)
 
 

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht

 

 

BES.2022.160

 

ENTSCHEID

 

vom 22. November 2023

 

 

Mitwirkende

 

lic. iur. Marc Oser und Gerichtsschreiberin lic. iur. Barbara Grange

 

 

 

Beteiligte

 

A____                                                                      Beschwerdeführerin 1

B____                                                                         Beschwerdeführer 2

C____                                                                         Beschwerdeführer 3

[...]  

vertreten durch [...] Advokat,

[...]

vertreten durch [...], Advokatin,

[...]    

 

gegen

 

Staatsanwaltschaft Basel-Stadt                         Beschwerdegegnerin 1

Binningerstrasse 21, 4001 Basel

 

D____                                                                       Beschwerdegegner 2

[...]                                                                                         Beschuldigter

 

E____                                                                       Beschwerdegegner 3

[...]                                                                                         Beschuldigter

vertreten durch [...], Advokat,

[...]   

 

 

Gegenstand

 

Beschwerde gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft

vom 5. Oktober 2022

 

betreffend Einstellungsverfügungen

 


Sachverhalt

 

Mit je einer Einstellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 5. Oktober 2022 wurde das Verfahren gegen Dr. med. D____ (nachfolgend: Beschwerdegegner 2) sowie gegen PD Dr. med. E____ (nachfolgend: Beschwerdegegner 3) wegen des Verdachts auf fahrlässige Tötung von †F____ aufgrund seiner im [...]spital vom 16. Januar 2019 bis zu seinem Spitalaustritt am 21. Februar 2019 erhaltenen ärztlichen Behandlung eingestellt, die Aufhebung diverser beschlagnahmter Gegenstände und Unterlagen aufgehoben und deren teilweise Retournierung an das [...]spital angeordnet, der Verbleib des Einsatzprotokolls der Sanität vom 3. April 2019 bei den Akten verfügt, die Zivilklage auf den Zivilweg verwiesen und PD Dr. med. E____ eine Parteientschädigung von total CHF 2'186.30 (inklusive Auslagen und MWST) zugesprochen bzw. die Überweisung dieses Betrages an dessen Verteidiger angeordnet sowie die Kosten des Verfahrens dem Staat auferlegt.

 

Gegen diese zwei Einstellungsverfügungen haben die Ehefrau des Verstorbenen, A____, sowie seine beiden Söhne B____ und C____ (nachfolgend: die Beschwerdeführenden) gemeinsam mit Beschwerdeschrift vom 21. Oktober 2022 Beschwerde einreichen lassen. Sie beantragen die Aufhebung der beiden Einstellungsverfügungen und die Fortsetzung der Strafuntersuchung wegen fahrlässiger Tötung, unter o/e- Kostenfolge, wobei den drei Beschwerdeführenden die unentgeltliche Rechtspflege zu bewilligen sei. In verfahrensrechtlicher Hinsicht beantragen sie die Anfechtung der zwei Einstellungsverfügungen in einem vereinten Beschwerdeverfahren zu behandeln. Mit Instruktionsverfügung vom 28. Oktober 2022 ist die Behandlung der Anfechtung der zwei Einstellungsverfügungen in einem Beschwerdeverfahren festgestellt worden.

 

Mit Beschwerdeantwort vom 28. November 2022 beantragt die Staatsanwaltschaft die vollumfängliche Abweisung der Beschwerde, unter o/e-Kostenfolge.

 

Mit ergänzender Stellungnahme vom 13. Februar 2023 lässt der Beschwerdegegner 3 die Abweisung der Beschwerde unter o/e- Kostenfolge beantragen.

 

Mit Instruktionsverfügung vom 10. Januar 2023 ist festgestellt worden, dass der Beschwerdegegner 2 keine ergänzende Stellungnahme eingereicht hat.

 

Mit Instruktionsverfügung vom 16. März 2023 ist den Beschwerdeführenden die unentgeltliche Rechtspflege bewilligt worden.

 

Mit Replik vom 19. Juni 2023 halten die Beschwerdeführenden an der Beschwerde sowie an den gestellten Rechtsbegehren vollumfänglich fest.

 

Mit Duplik vom 11. Juli 2023 lässt der Beschwerdegegner 3 am Antrag der Beschwerdeabweisung festhalten.

 

Der vorliegende Entscheid ist unter Beizug der Vorakten im schriftlichen Verfahren ergangen. Für die Einzelheiten des Sachverhalts und der Parteistandpunkte wird, soweit für den Entscheid von Relevanz, auf die nachfolgenden Erwägungen verwiesen.

 

 

Erwägungen

 

1.

Gegen Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft kann innert 10 Tagen schriftlich und begründet Beschwerde erhoben werden (Art 322 Abs. 2 i.V.m. Art. 396 Abs. 1 Strafprozessordnung [StPO; SR 312.0]). Zur Beschwerde legitimiert ist jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung eines Entscheides hat (Art. 382 Abs. 1 StPO). Unter dem Begriff «Partei» im Sinne von Art. 104 und 105 StPO kann nebst der beschuldigten Person, der Staatsanwaltschaft und der Privatklägerschaft auch jede andere am Verfahren beteiligte Person verstanden werden, sofern sie sich am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt hat bzw. von diesem berührt ist und ein rechtlich geschütztes Interesse geltend machen kann (vgl. Lieber, in: Donatsch et al. [Hrsg.], Kommentar zur StPO, 3. Auflage 2020, Art. 382 N 2; Jositsch/Schmid, Praxiskommentar StPO, 4. Auflage 2022, Art. 382 N. 1 f.; AGE BE.2011.126 bzw. 127 vom 25. November 2011). Die Beschwerdeführenden haben sich rechtzeitig als Straf- und Zivilkläger konstituiert und sind durch die Verfahrenseinstellungen grundsätzlich selbst und unmittelbar in eigenen Interessen tangiert, da das angezeigte Delikt zum Nachteil ihres Angehörigen (Ehemann resp. Vater) begangen worden sein soll (zur Rechtsnachfolge Angehöriger einer verstorbenen und mutmasslich durch eine Straftat geschädigten Person als Straf- und Zivilkläger im Strafverfahren s. Art. 121 StPO; AGE BES.2020.175 vom 23. November 2020 E. 1.3.). Entsprechend haben sie ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung der Einstellungsverfügungen und sind somit zur Beschwerdeerhebung legitimiert. Auf die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist folglich einzutreten. Das Beschwerdegericht überprüft den Entscheid mit voller Kognition (Art. 393 Abs. 2 StPO). Zuständig für die Beurteilung der Beschwerde ist das Einzelgericht des Appellationsgerichts (§ 88 Abs. 1 und § 93 Abs. 1 Ziff. 1 Gerichtsorganisationsgesetz [GOG, SG 154.100]).

 

2.

2.1      Hintergrund der ursprünglich gegen «Unbekannt» eröffneten Strafuntersuchung ist der Umstand, dass †F____, geboren am [...], am 21. Februar 2019, dem Tag seiner Entlassung aus dem [...]spital, bei sich zu Hause einen Herzkreislaufstillstand erlitt, reanimiert und notfallmässig ins Universitätsspital Basel (USB) verbracht werden musste, wo er am 27. Februar 2019 verstarb. Dies nachdem er sich im [...]spital am 16. Januar 2019 einer geplanten Operation im Bauchbereich unterzogen hatte und am 26. Januar 2019 aufgrund von Komplikationen während des postoperativen Genesungsprozesses ein zweites Mal hatte operiert werden müssen. Der Arztbericht des USB vom 26. Februar 2019 (wohl: 27. Februar 2019) bezeichnet die am 21. Februar 2019 erfolgte Reanimation als «Out-Of-Hospital Reanimation» und hält berichtsabschliessend fest: « […] Aufgrund des unmittelbaren zeitlichen Zusammenhangs des Austritts aus dem [...]spital mit der Reanimationspflichtigkeit liegt für uns bei Versterben ein aussergewöhnlicher Todesfall vor».

 

2.2      Aufgrund dieser Einschätzung der Ärzteschaft des USB erfolgte am 25. Februar 2019 (wohl: 27. Februar 2019) die Meldung eines aussergewöhnlichen Todesfalls durch das Institut für Rechtsmedizin (IRM) bei der Staatsanwaltschaft. Diese ordnete am 27. Februar 2019 die Obduktion des Leichnams von †F____ an. Gemäss Aktennotiz der Staatsanwaltschaft vom 28. Februar 2019 stellte das IRM als Todesursache eine «massive eitrige Lungenentzündung» sowie eine «chronische Lungenerkrankung mit Überblähung der Lunge, dadurch Herzvorschäden» fest. Weiter ist in der Aktennotiz festgehalten: «Operationszustand: Gallenblase und Gallengang entfernt / Nähte im Operationsbereich alle dicht / kein Austritt von Eiter Galle». Als Fazit hält die Aktennotiz fest: «Es gibt keinen Hinweis für einen Zusammenhang zwischen operativer Behandlung und Tod» sowie «Eine toxikologische Untersuchung ist nicht nötig».

 

2.3      Die Staatsanwaltschaft verfügte via behördlicher Rechtshilfe am 26. März 2019 die Herausgabe des Einsatzprotokolls der Sanität Basel-Stadt betreffend †F____ vom 21. Februar 2019. Mit Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl vom 24. Juni 2020 ordnete sie die Beschlagnahme der Krankenakte von †F____ sowie die Durchsuchung von Aufzeichnungen beim [...]spital an. Mit Durchsuchungs- und Beschlagnahmebefehl desselben Tags wurden auch die Akten der auf die Behandlung im [...]spital folgenden medizinische Betreuung im USB eingefordert.

 

2.4      Auf Verlangen der Beschwerdeführerin 1 wurde mit Datum vom 12. Juni 2019 ein Sektionsprotokoll und Kurzgutachten (nachfolgend: Kurzgutachten IRM) durch das IRM erstellt. Dieses stellte eine natürliche Todesart und als Todesursache eine Lungenentzündung fest. Im näheren Beschreib der Todesart wird unter anderem festgehalten: «Nach den Befunden der Obduktion der Leiche des 57 Jahre alt gewordenen Herrn †F____ verstarb dieser an einer Lungenentzündung bei chronischer Vorschädigung von Lunge und Herz auf natürliche Weise.[…].Inwieweit die Lungenentzündung schon bei Entlassung aus dem […]spital bestanden hat sich erst nach der Reanimation in der Woche bis zum Eintritt des Todes entwickelt hat, kann nicht genau gesagt werden. Laut Rettungsprotokoll waren die Lungen im Rahmen der Reanimation beidseits belüftet, was dagegen spricht, dass die Lungenentzündung bereits zu diesem Zeitpunkt relevant war». Als möglicher Grund für den kurz nach der Entlassung aus dem Spital erfolgten Herz-Kreislaufstillstand wird ausgeführt: «Während des stationären Aufenthaltes zeigten sich bei Herrn F____ wiederholt EKG-Veränderungen, die zum Auftreten von Herzrhythmusstörungen führen können. Beim ersten Aufenthalt auf der Intensivstation wurde eine verlängerte sogenannte QT-Zeit gemessen. Diese Veränderung der Herzstromkurve ist mit dem Auftreten des sogenannten plötzlichen Herztodes assoziiert. Beim zweiten Aufenthalt auf der Intensivstation kam es zu regelmässigen zusätzlichen elektrischen Herzaktionen (sog. Extrasystolen, Bigeminus), die als Hinweis auf einen organischen Herzmuskelschaden gewertet werden. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass durch die zusätzliche Herzbelastung infolge der Mobilisation bei der Entlassung plötzliche Rhythmusstörungen den Herzkreislaufstillstand ausgelöst haben» (Kurzgutachten IRM S. 16). Nach telefonischer Mittelung der Staatsanwaltschaft an die Beschwerdeführerin 1, das Kurzgutachten IRM habe keinen Hinweis auf ärztliches Verschulden ergeben, wurde dieser nahegelegt, im Falle des Festhaltens an einer ärztlichen Fehlbehandlung mit Hilfe eines Anwalts Strafanzeige einzureichen (Aktennotiz Staatsanwaltschaft vom 5. Juli 2019).

 

2.5      Mit Schreiben vom 28. November 2019 reichten die Beschwerdeführenden Strafanzeige wegen fahrlässiger Tötung von †F____ ein. Diese richtet sich gegen die behandelnden Ärzte des [...]spitals, insbesondere gegen die Beschwerdegegner 2 und 3, da diese beiden Fachpersonen federführend für die Behandlung von †F____ gewesen sein sollen. Mit der Strafanzeige wurde Antrag gestellt auf die Erstellung eines polydisziplinären Gutachtens durch ein universitäres Institut ausserhalb der Region Basel. Dieses Gutachten müsse von Fachärzten in den Bereichen Gastroenterologie, Kardiologie und Infektiologie erstellt werden.

 

2.6      Mit Auftrag der Staatsanwaltschaft vom 7. Juli 2020 wurde Prof. Dr. [...], Fachbereich forensische Medizin, als Mitarbeiter des IRM St. Gallen mit der Erstellung eines Gutachtens betraut. Es wurden die folgenden Fragen gestellt: «1. Wurde der Patient lege artis behandelt? 2. Insbesondere: Wurden aus ärztlicher Sicht Sorgfaltspflichten missachtet? 3. Wenn ja, war dies adäquat kausal für den Tod? 4. Haben Sie weitere Bemerkungen? ». Mit Schreiben vom 31. Juli 2020 wurde seitens der Beschwerdeführenden Antrag auf Ablehnung des beauftragten Gutachters gestellt und verlangt, es sei für die Gutachtenserstellung Prof. Dr. [...], vom Universitären Institut der Klinik Freiburg im Breisgau (DE), Klinik für Innere Medizin (Gastroenterologie, Hepatologie, Endokrinologie und Infektiologie), zu beauftragen. Mit Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 20. August 2020 wurde der Ablehnungsantrag abgewiesen und den Beschwerdeführern die Frist zur Einreichung von Ergänzungsfragen erstreckt. Die gegen diese Verfügung erhobene Beschwerde der Beschwerdeführerin 1 wurde mit Entscheid des Appellationsgerichts vom 23. November 2020 (BES.2020.175) abgewiesen. Dem im Rahmen dieser Beschwerde von der Beschwerdeführerin 1 vorgebrachten Argument, der beauftragte Gutachter verfüge nicht über die notwendige Fachkompetenz, um ein Fachgutachten im Bereich der Inneren Medizin zu erstellen, wurde im Entscheid entgegengehalten, der Gutachter sei ausdrücklich ermächtigt, weitere Fachpersonen für die Erstellung des Gutachtens beizuziehen (E. 3.1).

 

2.7      Daraufhin erstellte der beauftragte Gutachter ein Gutachten mit Datum vom 13. Januar 2022 (nachfolgend: Gutachten IRM St. Gallen). Nebst den von der Staatsanwaltschaft gestellten Fragen (s. oben E 2.6.) wurden darin weitere 45 von Seiten der Beschwerdeführenden gestellte Fragen beantwortet. Gestützt auf die Erkenntnisse des Gutachtens IRM St. Gallen ergingen die vorliegend angefochtenen Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft vom 5. Oktober 2022.

 

3.

3.1      Die Beschwerdeführenden monieren zusammengefasst, das Gutachten IRM St. Gallen sei nicht nachvollziehbar. Der Gutachter könne mangels Expertise die Frage nach der Sorgfaltsverletzung im [...]spital gar nicht beantworten. Da er immer von der Todesursache Lungenentzündung ausgegangen sei, könne er auch keinen Zusammenhang zur Behandlung im [...]spital erkennen. Die Ursache für die Abschaltung der lebenserhaltenden Maschine (im USB) sei die «hypoxische Enzelopathie» (wohl: Enzephalopathie) gewesen, welche Folge des Herzkreislaufstillstandes gewesen sei. Der Gesundheitszustand des Verstorbenen bei seinem Austritt aus dem [...]spital werde im Gutachten IRM St. Gallen nicht anhand objektiver Laborwerte und Befunde aus dem [...]spital dem USB beurteilt, sondern anhand der Tatsache, dass er auf zwei Beinen das [...]spital habe verlassen können. Es gäbe diverse Zeugen, welche den schwachen Gesundheitszustand von †F____ zu diesem Zeitpunkt bestätigten könnten. Aufgrund der vorhandenen Laborwerte sei davon auszugehen, dass †F____ zum Zeitpunkt des Spitalaustrittes extrem hohe Leukozytenwerte aufgewiesen habe, welche auf ein Infektionsgeschehen hindeuten würden, das im [...]spital übersehen worden sei. Im [...]spital seien in den vier Spitalaufenthaltstagen vor der Entlassung von †F____ am 21. Februar 2019 keine Laborwerte mehr abgenommen worden, um abzuklären, ob eine Entlassung überhaupt indiziert sei. Der frühere Hausarzt des Verstorbenen, Dr. med. [...], vermute aufgrund der ihm bekannten Unterlagen, dass ein septischer Schock als Ursache des Herzkreislaufstillstandes am 21. Februar 2019 in Frage komme. Diese Hypothese werde im Gutachten IRM St. Gallen überhaupt nicht geprüft. Ausserdem sei anzunehmen, dass der beauftrage Gutachter nicht Einsicht in alle vorhandenen Krankenunterlagen habe nehmen können, da er sich zu gewissen Inhalten der Krankenakte nicht äussere.

 

Damit beanstanden die Beschwerdeführenden im Wesentlichen, dass sich das Gutachten IRM St. Gallen nicht mit dem schwierigen postoperativen Verlauf der Behandlung von †F____ im […]spital auseinandersetze und die Frage nicht beantworte, ob †F____ zu früh aus dieser Behandlung und allenfalls mit Anzeichen eines nicht genügend beendeten bzw. allenfalls bereits wieder infektiösen Heilungsverlaufs nach Hause bzw. in die Rehabilitation entlassen wurde. Mithin stellen sie (nebst anderem) die Frage, ob zum Zeitpunkt seiner Entlassung aus dem [...]spital am 21. Februar 2019 nicht Anzeichen vorlagen, die weitere medizinische Abklärung vor der Entlassung zur Folge hätte haben müssen und ob die entsprechende Unterlassung ursächlich für den Herzkreislaufstillstand vom 21. Februar 2019 sein könnte. Insoweit beanstanden sie das Gutachten IRM St. Gallen als ungenügend und halten die Frage nach einer allfälligen ärztlichen Sorgfaltspflichtverletzung zu diesem Zeitpunkt als nicht beantwortet.

 

3.2      Demgegenüber stellt sich die Staatsanwaltschaft zusammengefasst auf den Standpunkt, es gäbe keinen Grund vom lege artis erstellten Gutachten IRM St. Gallen abzuweichen. †F____ sei wegen einer Lungenentzündung verstorben. Die direkt-kausale Verursachung dieser Lungenentzündung durch eine sorgfaltspflichtwidrige Behandlung Unterlassung seitens des Behandlungspersonals des [...]spitals sei nicht nachweisbar, da mangels feingeweblicher Untersuchung nicht mehr festgestellt werden könne, ob die Lungenentzündung bereits bei der Entlassung aus dem [...]spital bestanden habe erst danach entstanden sei. Dasselbe gelte für den Herzkreislaufstillstand, der zur Einweisung ins USB geführt habe. Auch hier lasse sich keine direkte Kausalität mit einer etwaigen Sorgfaltspflichtverletzung des Personals des [...]spitals nachweisen. Vielmehr kämen dafür alternativ verschiedene Ursachen in Frage, welche jede für sich allein, Grund für den Herzkreislaufstillstand sein könnte, wie bspw. die vorbestehende Herzproblematik des Verstorbenen alternativ eine Infektion. Dieses Risiko trage der Patient gemäss Patientenaufklärung allerdings selbst, sofern die Infektion korrekt, aber letztlich erfolglos, behandelt worden sei. Gegen eine Infektion spreche allerdings, dass †F____ zum Zeitpunkt seiner Entlassung keine Infektionszeichen aufgewiesen habe, mobil gewesen sei und normale Blutdruckwerte gezeigt habe. Darüber hinaus sei die Vorhersehbarkeit eines unerwarteten Herzkreislaufstillstands und dessen Vermeidbarkeit nicht nachweisbar. Dies habe insbesondere für allfällige Unterlassungen zu gelten, wozu auch eine zu frühe Entlassung aus der Obhut des Spitales zu zählen habe.

 

3.3      Der Beschwerdegegner 3 lässt zusammengefasst ausführen, weshalb es sich beim gewählten Gutachter um die geeignete Fachperson zur Beantwortung der gutachterlichen Fragestellung handle. Dieser verfüge als Rechtsmediziner über die Kompetenz, analytisch und rekonstruierend medizinische Verläufe zu ermitteln. Auch bestünde kein Hinweis darauf, dass das [...]spital nicht alle verfügbaren Unterlagen der Krankenakte ausgehändigt habe. Sodann könne nicht geleugnet werden, dass †F____ entsprechend den Ausführungen der Staatsanwaltschaft an einer Vorerkrankung des Herzens gelitten habe. Zudem sei seine Lungenfunktion infolge Übergewichts eingeschränkt gewesen. Entsprechend habe eine Prädisposition des Verstorbenen bestanden, welche «selbst bei geringer Anstrengung, bei einem Verschlucken (Aspiration von Nahrung Erbrochenem) mit starker Hustenfolge aber "rhythmogen", das heisst infolge einer Herzrhythmusstörung, zu einem Kreislaufzusammenbruch führen konnte». Darauf nehme das Gutachten IRM St. Gallen Bezug. Es werde daraus abgeleitet, dass der Kreislaufkollaps am ehesten mit der Prädisposition des Verstorbenen im Zusammenhang stehe. Der Kollaps sei jedoch nicht vorhersehbar gewesen. Die Beschwerdeführenden würden dem Anschein nach davon ausgehen, dass die Staatsanwaltschaft annehme, nur wenn das [...]spital eine Ursache für die letztlich tödliche Lungenentzündung gesetzt habe, könne es für das Versterben von †F____ verantwortlich gemacht werden. Dem sei aber nicht so. Die Staatsanwaltschaft hebe im Gegenteil und in Anlehnung an das Gutachten IRM St. Gallen hervor, dass der Herzkreislaufstillstand «initial» für den Tod gewesen sei und frage entsprechend und korrekterweise nach dessen Ursache. Die Staatsanwaltschaft weise darauf hin, dass im Gutachten IRM St. Gallen unter anderem eine Aspiration als Ursache für den Kreislaufzusammenbruch genannt werde. Als wahrscheinlichste Ursache werde im Gutachten IRM St. Gallen allerdings eine Herzrhythmusstörung vor dem Hintergrund der bei †F____ bestehenden, krankhaften Vergrösserung des Herzmuskels erachtet. Die Behauptung der Beschwerdeführenden, aufgrund des Todes von †F____ kurz nach seinem Austritt aus dem [...]spital müsse zwingend angenommen werden, er sei in einem ungenügend erholten Zustand entlassen worden, werde vom Gutachten IRM St. Gallen und den verfügbaren Arztberichten in Abrede gestellt. Das Gutachten IRM St. Gallen stelle gestützt auf die Krankenakten fest, dass †F____ nicht infolge eines allgemeinen Schwächezustands eines spezifischen Leidens, das übersehen worden sei, gestorben sei. Vielmehr erkläre das Gutachten IRM St. Gallen den Kreislaufzusammenbruch «am ehesten plausibel mit dem beeinträchtigen Vorzustand des Herzens». Es sei auch nicht richtig, dass sich das Gutachten IRM St. Gallen nicht mit einem möglichen septischen Schock als mögliche Ursache des Kreislaufkollapses auseinandersetze. Der Gutachter komme allerdings auf Basis des Berichts des USB zum Schluss, dass zum Zeitpunkt des Kreislaufzusammenbruchs keine Entzündung bestanden habe, welche diesen ausgelöst haben könnte.

 

4.

Bei †F____ kam es gemäss dem Gutachten IRM St. Gallen sowie den darin zitierten Krankenakten nach dem geplanten Eingriff an den Gallengängen am 16. Januar 2019 zu einer Anastomoseninsuffizienz, welche am 26. Januar 2019 diagnostiziert worden sei und zu einem zweiten operativen Eingriff geführt habe. Bei dieser Komplikation handle es sich um eine «typische Komplikation bei Hohlorgan-Anastomosen mit einer Auftretenswahrscheinlichkeit von bis zu 30 bis 40 % in der hepatobiliären und pankreatischen Chirurgie». Nebst einer intraoperativen Fehlanlage, für welche es im konkreten Fall keine Hinweise gäbe, kämen vorallem entzündungs- und mangeldurchblutungsbedingte Wiedereröffnungen der Nahtstellen in Betracht. Im gegebenen Fall sei der Austritt von Verdauungsenzymen im Bereich der Anschlussstelle der Bauchspeicheldrüse die wahrscheinlichste Ursache für die erlittene Komplikation, welche nicht per se auf eine unsachgemäss durchgeführte Operation schliessen lasse (Gutachten IRM St. Gallen S. 18). Verstorben sei †F____ infolge einer Lungenentzündung. Aus rechtsmedizinischer Sicht stelle sich deshalb die Frage, ob die Lungenentzündung bereits zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem […]spital bestanden habe und durch entsprechende Abklärungen hätte erkannt werden können ob die Entzündung erst nach der dokumentierten Einatmung von Fremdmaterial (Aspiration) im Rahmen des beschriebenen Kreislaufkollapses entstanden sei. Da keine postmortalen feingeweblichen Untersuchungen vorgenommen worden seien, lasse sich diese Frage anhand postmortaler Untersuchungen nicht mehr beantworten. In den Krankenunterlagen des [...]spitals sei für den Vorabend der Entlassung als wesentliche Auffälligkeit eine Temperaturerhöhung auf 37.9 °C beschrieben, die mit Medikamenten behandelt worden sei. Eine solche Temperaturerhöhung könne Ausdruck einer Entzündungsreaktion im Körper sein. Sie sei jedoch zu unspezifisch, weshalb allein aufgrund des Vorliegens einer Temperaturerhöhung nicht auf eine sich entwickelnde Lungenentzündung geschlossen werden könne. Andere klinische Symptome, die Hinweis auf eine bestehende Lungenentzündung gewertet werden müssten, seien nicht dokumentiert. Damit könne anhand der zur Verfügung stehenden klinischen Informationen aus der Sicht ex post nicht der Nachweis erbracht werden, dass die Lungenentzündung zum Zeitpunkt der Entlassung bereits vorhanden gewesen sei. Diese Schlussfolgerung werde gestützt von der Tatsache, dass in der im Anschluss an den Kreislaufzusammenbruch und die Reanimation im USB erstellten computertomographischen Bildgebung keine Lungenentzündung, sondern vor allem Minderbelüftungen und Speisebrei in den Atemwegen beschreiben seien. Es sei folglich aus rechtsmedizinischer Sicht plausibler, dass die postmortal diagnostizierte Lungenentzündung als Komplikation der in den Akten dokumentierten Aspiration entstanden und somit kausal mit dem Kreislaufkollaps verknüpft sei (Gutachten IRM St. Gallen S. 19).

 

Betreffend die Frage, wie der Kreislaufkollaps mit Reanimationspflichtigkeit während des Transports zu erklären sei, seien mehrere Hypothesen zu prüfen. Wie bereits dargelegt, sei eine zu diesem Zeitpunkt bereits bestehende Lungenentzündung weniger plausibel, als deren Verursachung durch die Aspiration. Ausserdem sei eine derartige Verschlechterung des Gesundheitszustandes durch eine beginnende Lungenentzündung nicht ohne Weiteres erklärbar. Eine alternative Erklärung für den Kreislaufzusammenbruch würden die Veränderungen am Herzmuskel darstellen. Insbesondere bei Überschreiten des kritischen Herzgewichts (im vorliegenden Fall um fast 200 g), als auch bei den beschriebenen Elektrokardiogramm-Auffälligkeiten steige die Wahrscheinlichkeit maligner Herzrhythmusstörungen, die zu einem plötzlichen Herzkreislaufstillstand führen könnten (Gutachten IRM St. Gallen S. 20).

 

Dem Gutachten IRM St. Gallen sowie den darin enthaltenen Auszügen aus den Krankenakten und weiteren aktenkundigen Krankenunterlagen ist weiter zu entnehmen, dass bei †F____ bereits im Jahr 2005 eine offene Cholezystektomie (Entfernung der Gallenblase) mit Gallengangrevision und Konkrementextraktion in Belgrad (SRB) durchgeführt, deren postoperativer Verlauf aufgrund einer Dünndarmperforation (Riss der Dünndarmwand) und galliger Peritonitis schwierig verlief (vgl. auch infektiologischer Konsiliarbericht des USB vom 2. Februar 2019, wo ein «Status nach offener Cholezystektomie 2005 in Belgrad [….] mit postoperativer Anastomoseninsuffizienz und galliger Peritonitis [Revisionslaparatomie]» festgehalten wird). Nachdem es bei der Operation im [...]spital vom 16. Januar 2019 wiederum zu einer Anastomoseninsuffizienz gekommen und deswegen am 26. Januar 2019 ein weiterer Eingriff (Revisionslaparotomie) notwendig wurde, musste sich †F____ aufgrund der damit einhergehenden Infektion einer Antibiotikatherapie unterziehen und wurde er in Kontaktisolation gepflegt (s. Bericht über das infektiologische Folgekonsil vom 29. Januar 2019 S. 4: «Kontaktisolation weiter»). Ausserdem war †F____ offenbar Diabetiker (Diabetes mellitus Typ II) und hatte eine Herzvorerkrankung, was im Rahmen der Hospitalisierung und der Operationen ebenfalls zu beachten war (vgl. Verlegungsbericht USB vom 26. Februar 2019 S. 3).

 

5.

5.1      Das Gericht würdigt Gutachten grundsätzlich frei (Art. 10 Abs. 2 StPO). In Fachfragen darf es davon indes nicht ohne triftige Gründe abweichen, und Abweichungen müssen begründet werden. Auf der anderen Seite kann das Abstellen auf eine nicht schlüssige Expertise bzw. der Verzicht auf die gebotenen zusätzlichen Beweiserhebungen (vgl. Art. 189 lit. a StPO) gegen das Verbot willkürlicher Beweiswürdigung (Art. 9 BV) verstossen (BGE 146 IV 114 E. 2.1; 142 IV 49 E. 2.1.3,  141 IV 369 E. 6.1 ). Ein Gutachten stellt namentlich dann keine rechtsgenügliche Grundlage dar, wenn gewichtige, zuverlässig begründete Tatsachen Indizien die Überzeugungskraft des Gutachtens ernstlich erschüttern. Das trifft etwa zu, wenn der Sachverständige die an ihn gestellten Fragen nicht beantwortet, wenn er seine Erkenntnisse und Schlussfolgerungen nicht begründet diese in sich widersprüchlich sind wenn die Expertise sonst wie an Mängeln krankt, die derart offensichtlich sind, dass sie auch ohne spezielles Fachwissen erkennbar sind (BGE 142 IV 49 E.2.1.3, 141 IV 369 E. 6.1).

 

5.2      Es fällt auf, dass das Gutachten IRM St. Gallen die Fragen nach Anzeichen betreffend einen allfällig nicht komplikationslos und möglicherweise zum wiederholten Mal infektiös verlaufenden Heilungsprozess im Operationsbereich bei †F____ zum Zeitpunkt seiner Entlassung aus dem [...]spital nicht beantwortet. Dies obwohl aufgrund der Krankenunterlagen feststeht, dass bei †F____ die letzten vier Tage vor seiner Entlassung keine Entzündungsparameter im Blut mehr nachkontrolliert wurden und obwohl am Abend vor seinem Austritt bei ihm eine erhöhte Körpertemperatur gemessen wurde. Gemäss Patientenverlaufsbericht fühlte er sich am 20. Februar 2019 um 19.36 Uhr nämlich fiebrig und erhielt deswegen 1 g Dafalgan, ein Heilmittel, das schmerzlindernd und fiebersenkend wirkt (https://compendium.ch/ product/73168-dafalgan-brausetabl-1-g/mpro). Gleichwohl hatte er bei der um 21.20 Uhr desselben Abends gemessenen Temperaturkontrolle eine erhöhte Körpertemperatur von 37.9 C. Ausserdem erhielt er am 21. Februar 2019 um 00.04 eine Tablette Ibuprofen (Dosierung nicht erfasst), wiederum ein Medikament, das schmerzlindernd und fiebersenkend wirkt (https://compendium.ch/ product/1448024-ibuprofen-mylan-filmtabl-400-mg/mpro; Patientenverlaufsbericht 20. Februar 2019). Gleichzeitig deutet der im Gutachten IRM St. Gallen zusammengefasste Austrittsbericht des USB vom 13. März 2019 darauf hin, dass möglicherweise ein ungenügender Heilungsverlauf im Operationsgebiet am Tag des Austritts aus dem [...]spital vorlag. Diesem ist zur im USB am 21. Februar 2019 stattgefundenen Bildgebung mittels Computertomograph (CT) zu entnehmen: « […] Postoperativer Status nach biliodigestiver Anastomose mit zum 2. Februar 2019 zunehmender Organisation einer bis 6 cm messender Kollektion im Gallenblasenbett und regrediertem Pneumoperitoneum. Deutliche Zeichen der lokalen peritonealen Reizung/Peritonitis. Inhomogen aufgetriebene hochgezogene Y-Roux-Schlinge. DD: residuell postoperativ ödematös, DD: ischämisch mit beginnender billiodigestiver Anastomoseninsuffizienz. Zwischenzeitlich in das Duodenum dislozierter vormals in den DHC reichender Stent […].» (Gutachten IRM St. Gallen S. 13). Aus Laiensicht einen vergleichbaren Schluss lassen die Feststellungen des im Gutachten IRM St. Gallen zusammengefassten Sektionsprotokolls und Kurzgutachten des IRM vom 12. Juni 2019 zu, wo zum Zustand des Operationsgebietes Folgendes festgehalten wird: « […] Es zeigen sich flächenhafte Verklebungen des Netzes und der Darmschlingen mit der Bauchwand im Operationsgebiet. Die Darmschlingen mit schwärzlichen Auflagerungen. Die Bauchwand auf der rechten Seite zeigt schmutzig graue, kleinfleckig akzentuierte Verfärbungen. Die Dünndarmschlingen weisen untereinander strangförmige Verwachsungen auf. Der Zwölffingerdarm ist End-zu-Seit mit einer Dünndarmschlinge (Jejunum) verbunden. Die Nahtstellen erscheinen primär dicht verschlossen. Bei weiterer Präparation und Zug auf die Verbindungsstelle reisst der Nahtbereich auseinander. Das abgesetzte Ende des Dünndarms ist unter dem Dickdarm zur Leberpforte hochgelegt. In der Umgebung zeigen sich reichlich fädige Verklebungen. Bei Präparation zur Leberpforte entleert sich braun-rötliche, trübe, übelriechende Flüssigkeit. Das angrenzende Gewebe ist zundrig verändert und schwärzlich verfärbt […] » (Gutachten IRM St. Gallen S. 15 f.). Gleichzeitig waren gemäss Hämatogramm der Labormedizin des USB vom 21. Februar 2019 die Entzündungswerte im Blut von †F____ wenige Stunden nach seinem Austritt aus dem [...]spital erhöht. Diese beschriebenen Befunde erscheinen angesichts der dargelegten fiebrigen Reaktion von †F____ im Vorfeld seiner Entlassung aus dem [...]spital und vor dem Hintergrund seiner Vorerkrankungen nicht irrelevant, finden allerdings keine Besprechung und Einordnung im Gutachten IRM St. Gallen. Konkret bleibt die Frage, weshalb nach dem 16. Februar 2019 keine Kontrollen der Blutwerte im [...]spital vorgenommen wurden (Frage 36) im Gutachten IRM St. Gallen unbeantwortet. Der Gutachter beschränkt sich vielmehr auf die Aussage «Weshalb die Werte nach dem 16. Februar 2019 nicht weiter kontrolliert wurden, entzieht sich der Kenntnis des Gutachters». Offen bleibt damit auch, ob das Unterlassen der weiteren Kontrolle von Blutlaborwerten angesichts des äusserst schwierigen postoperativen Genesungsprozesses und der notwendigen Relaparatomie nach der ersten, geplanten Operation aus fachlicher Sicht korrekt erscheint nicht. Dementsprechend wird auch die Frage, ob die ab dem 19. Februar 2019 festgestellte, erhöhte Körpertemperatur, auf welche mit fiebersenkenden Mitteln reagiert wurde, nicht Anlass hätte geben sollen, die mögliche Ursache dieses Symptoms zu ermitteln und eine mögliche Infektion in Erwägung zu ziehen (Frage 39), wie folgt beantwortet: «Eine erhöhte Körpertemperatur Fieber (über 38 °C Körpertemperatur, je nach Messmethode und Ort) ist ein unspezifisches Allgemeinsymptom, das eine Vielzahl verschiedener Ursachen haben kann. Eine Infektion ist eine wichtige Differentialdiagnose, an die gedacht werden muss. Ob eine Temperaturerhöhung, die sich nach der Gabe von Paracetamol und Ibuprofen normalisiert, eine zwingende Indikation für eine Verlängerung des stationären Aufenthalts mit Suche nach einem Infektfokus darstellt, lässt sich mit rechtsmedizinischer Expertise nicht abschliessend beantworten» (Gutachten IRM St. Gallen S. 27 f.). Mithin bleibt die Frage, ob bei der gegebenen Ausgangslage und dem auftretenden Fieber nicht doch nochmals Entzündungswerte hätten kontrolliert und der Patient nach einem infektiösen Vorgang im Bauchraum hätte untersucht werden müssen sowie ob dies als Sorgfaltspflichtverletzung zu gelten hätte, im Gutachten IRM St. Gallen offen. Da der Gutachter dazu ausführt, dies sei «mit rechtsmedizinischer Expertise» nicht zu beantworten, liegt nahe, dass es mit spezifischen Kenntnissen - möglicherweise aus den Fachbereichen der Viszeralchirurgie und Infektiologie oder aber einem anderen Fachbereich - beantwortet werden kann. Als Folge dieser Auslassungen wird im Gutachten IRM St. Gallen nicht thematisiert, ob die Hypothese des Hausarztes von †F____, ein septischer Schock könnte zum Herzkreislaufversagen am Tag des Austritts aus dem [...]spital geführt haben, zutreffend sein könnte und wie diese im Vergleich zu anderen Hypothesen einzuordnen wäre (vgl. Gutachten IRM St. Gallen S. 28).

 

5.3      Aus den Erwägungen ergeht, dass im Gutachten IRM St. Gallen relevante Aspekte zu den Umständen des Versterbens von †F____ nicht behandelt werden. Damit ist das Gutachten IRM St. Gallen mangelhaft und keine rechtsgenügende Grundlage für die Einstellung der Strafverfahren gegen die Beschwerdegegner 2 und 3. Vielmehr ist die Beschwerde gegen die Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft gutzuheissen und die noch offenen Fragen sind mittels Erstellenlassens eines Ergänzungsgutachtens aber eines Obergutachtens zu klären, mithin ist das Verfahren wieder aufzunehmen.

 

6.

Damit obsiegen die Beschwerdeführenden, weshalb ihnen keine Kosten aufzuerlegen sind. Ihnen wurde die unentgeltliche Prozessführung gewährt und ihr Rechtsvertreter hat seine Honorarnote eingereicht. Zu entschädigen ist im Rahmen der gewährten unentgeltlichen Prozessführung der angemessene anwaltliche Aufwand. Vorliegend wurde eine rund 16 Seiten umfassende Beschwerdeschrift sowie eine fast ebenso lange Replikschrift eingereicht. Auch wenn zusätzlich die Eingaben der Gegenparteien zu studieren waren, erscheint der betriebene anwaltliche Aufwand von über 35 Stunden übermässig und ist pauschal auf einen angemessenen Aufwand von 20 Stunden zu kürzen. Geschuldet ist ausserdem der für die unentgeltliche Verbeiständung übliche Stundenansatz von CHF 200.–. Übernommen werden auch die geltend gemachten 2.5 Arbeitsstunden eines Volontärs einer Volontärin zu einem Stundenansatz von CHF 130.–. Für die Einzelheiten wird auf das Dispositiv verwiesen.

 

 

Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):

 

://:        Die Beschwerde gegen die Einstellungsverfügungen der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren UT.[...] vom 5. Oktober 2022 wird gutgeheissen und die Sache zur weiteren Sachverhaltsabklärung (Erstellung eines Ergänzungsgutachtens Obergutachtens) an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.

 

Für das Beschwerdeverfahren werden keine Kosten erhoben.

 

Dem Rechtsvertreter der Beschwerdeführenden, [...], wird zufolge Gewährung der unentgeltlichen Rechtspflege ein Honorar von CHF 4'325.– und ein Auslagenersatz von CHF 522.90, zuzüglich 7,7 % MWST von CHF 333.–, aus der Gerichtskasse bezahlt.

 

Mitteilung an:

-       Beschwerdeführende 1 bis 3 (alle vertreten durch [...], Advokat)

-       Staatsanwaltschaft Basel-Stadt

-       Beschwerdegegner 1 und 2

 

APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT

 

Der Präsident                                                            Die Gerichtsschreiberin

 

 

lic. iur. Marc Oser                                                      lic. iur. Barbara Grange

 

 

 

 

Rechtsmittelbelehrung

 

Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer diplomatischen konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.

 

Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Vertretung der Privatklägerschaft können gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).

 



 
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