Zusammenfassung des Urteils BES.2020.69 (AG.2020.282): Appellationsgericht
Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt hat einen Lieferwagen beschlagnahmt, der einem Beschwerdeführer gehört, der mehrfach ohne Führerausweis gefahren ist. Der Beschwerdeführer hat gegen diese Verfügung Beschwerde eingelegt, die jedoch abgewiesen wurde. Das Gericht entschied, dass die Beschlagnahme des Lieferwagens gerechtfertigt war, da der Beschwerdeführer wiederholt gegen Verkehrsregeln verstossen hat und die Sicherheit der Öffentlichkeit gefährden könnte. Die Kosten des Verfahrens in Höhe von CHF 500.- wurden dem Beschwerdeführer auferlegt.
Kanton: | BS |
Fallnummer: | BES.2020.69 (AG.2020.282) |
Instanz: | Appellationsgericht |
Abteilung: |
Datum: | 23.04.2020 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Beschlagnahmebefehl |
Schlagwörter: | Verfügung; Staatsanwaltschaft; Lieferwagen; Führerausweis; Strassenverkehr; Motorfahrzeug; Gericht; Einziehung; Basel; Motorfahrzeugs; Entscheid; Kommentar; Recht; Strassenverkehrsgesetz; Verkehr; Verfahrens; Basel-Stadt; Untersuchung; Führerausweisentzugs; Zwangsmassnahme; Auflage; Beschlagnahme; Verkehrsregel; Sicherheit; Massnahme; Fahrzeug; Appellationsgericht; Einzelgericht |
Rechtsnorm: | Art. 382 StPO ;Art. 385 StPO ;Art. 393 StPO ;Art. 396 StPO ;Art. 42 BGG ;Art. 428 StPO ;Art. 48 BGG ;Art. 69 StGB ;Art. 90a SVG ;Art. 91a SVG ; |
Referenz BGE: | 130 IV 143; 137 IV 249; |
Kommentar: | Keller, Basler 2.Auflage , Art. 385 Abs. 1; Art. 385 StPO, 2014 |
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt Einzelgericht |
BES.2020.69
ENTSCHEID
vom 23. April 2020
Mitwirkende
lic. iur. Gabriella Matefi
und Gerichtsschreiber Dr. Beat Jucker
Beteiligte
A____, geb. [...] Beschwerdeführer
[...] Beschuldigter
gegen
Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Beschwerdegegnerin
Binningerstrasse 21, 4001 Basel
Gegenstand
Beschwerde gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft
vom 5. März 2020
betreffend Beschlagnahmebefehl
Sachverhalt
Die Staatsanwaltschaft führt gegen A____ (Beschwerdeführer) eine Strafuntersuchung wegen mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs, Nichtbefolgen polizeilicher Weisungen, nicht fristgemässer Adressänderung im Fahrzeugausweis sowie Diensterschwerung. Mit Verfügung vom 5. März 2020 beschlagnahmte sie in diesem Zusammenhang den vom Beschwerdeführer gehaltenen Lieferwagen [...].
Gegen diese Verfügung richtet sich die Beschwerde vom 11. März 2020, mit der A____ sinngemäss beantragt, die zur Diskussion stehende Verfügung aufzuheben und ihm den beschlagnahmten Lieferwagen herauszugeben. Die Staatsanwaltschaft ersucht mit Stellungnahme vom 23. März 2020 um kostenfällige Abweisung der Beschwerde. An Stelle einer Replik hat der Beschwerdeführer am 3. April 2020 zusätzliche Akten eingereicht.
Der vorliegende Entscheid ist aufgrund der Akten (einschliesslich der von der Staatsanwaltschaft eingereichten Verfahrensakten) ergangen. Die Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich - soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind - aus den nachfolgenden Erwägungen.
Erwägungen
1.
1.1 Gemäss Art. 393 Abs. 1 lit. a der Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) unterliegen Verfügungen der Staatsanwaltschaft der Beschwerde an die Beschwerdeinstanz. A____ ist durch die angeordnete Zwangsmassnahme unmittelbar berührt und hat ein rechtlich geschütztes Interesse an ihrer Aufhebung, womit die Beschwerdelegitimation gegeben ist (Art. 382 Abs. 1 StPO). Zuständiges Beschwerdegericht ist das Appellationsgericht als Einzelgericht (§§ 88 Abs. 1 und 93 Abs. 1 Ziff. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG 154.100]). Die Kognition des Beschwerdegerichts ist frei und somit nicht auf Willkür beschränkt (Art. 393 Abs.2 StPO).
1.2 Beschwerden sind gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO innert zehn Tagen schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz einzureichen. Bei einer rechtsunkundigen Person werden an die Begründungspflicht praxisgemäss keine allzu strengen Anforderungen gestellt. Allerdings muss auch ein juristischer Laie zumindest sinngemäss angeben, inwiefern er den angefochtenen Entscheid für unrichtig respektive fehlerhaft hält, andernfalls die Eingabe zur Verbesserung innerhalb kurzer Frist zurückzuweisen ist (Art. 385 Abs. 1 und 2 StPO; vgl. dazu Ziegler/Keller, in: Basler Kommentar, 2.Auflage 2014, Art. 385 StPO N 1, 3; AGE BES.2016.109 vom 19. Juli 2016 E. 1.2, BES.2013.10 vom 23. Januar 2014 E. 1.3).
1.3 Der Beschwerdeführer macht mit seiner Beschwerde unter Beigabe von Arztberichten geltend, er sei seit 30 Jahren fahrtauglich. Die Kantonspolizei Basel-Stadt beschlagnahme seit über zwei Jahren gesetzeswidrig seinen Führerausweis. Nun [mit der angefochtenen Verfügung] beschlagnahme sie auch noch gesetzwidrig seinen Lieferwagen, den er im Übrigen für seinen Beruf dringend benötige. Ob A____ seine Beschwerde damit rechtsgenüglich begründet hat, kann offenbleiben, da die Beschwerde - wie nachfolgend zu zeigen sein wird - ohnehin abzuweisen ist. Es bleibt darauf hinzuweisen, dass im vorliegenden Entscheid «bloss» darüber zu befinden ist, ob die Staatsanwaltschaft den Lieferwagen des Beschwerdeführers zu Recht beschlagnahmt hat. Die Ausführungen betreffend Fahrtauglichkeit gehen - wie dem Beschwerdeführer mit Verfügung der Verfahrensleiterin vom 25. März 2020 mitgeteilt worden ist - an der Sache vorbei und sind für das Beschwerdeverfahren deshalb unbeachtlich.
2.
2.1 Voraussetzungen der Beschlagnahme als Zwangsmassnahme sind die Eröffnung einer Strafuntersuchung (Art.309 Abs.1 lit.b StPO), eine gesetzliche Grundlage (Art.197 Abs.1 lit.a StPO), ein hinreichender Tatverdacht (Art.197 Abs.1 lit.b StPO) und die Wahrscheinlichkeit, dass die beschlagnahmten Gegenstände im Verlauf des Strafverfahrens zu einem der in Art.263 Abs.1 StPO genannten Zwecke gebraucht werden (Heimgartner, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber (Hrsg.), Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Auflage, Zürich 2014, Art.263 N4, 12 und 22). Gemäss dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit dürfen Zwangsmassnahmen nur soweit in fremde Rechtssphären eingreifen, wie die Strafuntersuchung es unbedingt nötig macht. Dementsprechend kann eine Beschlagnahme nur angeordnet werden, wenn die angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (Art.197 Abs.1 lit.c StPO). Die Staatsanwaltschaft hat sie aufzuheben, sobald ihr Grund wegfällt (Art.267 Abs.1 StPO).
2.2 Beschlagnahmt werden können gemäss Art.263 Abs.1 StPO Gegenstände und Vermögenswerte, wenn sie voraussichtlich als Beweismittel gebraucht werden (lit.a), wenn sie zur Sicherstellung von Verfahrenskosten, Geldstrafen, Bussen und Entschädigungen gebraucht werden (lit.b), wenn sie den Geschädigten zurückzugeben sind (lit.c) wenn sie einzuziehen sind (lit.d). Gemäss der angefochtenen Verfügung stützt sich die Staatsanwaltschaft auf Art. 263 Abs. 1 lit. a, b und d StPO.
3.
3.1 Der Beschwerdeführer wurde zwei Mal in flagranti erwischt, wie er den von ihm gehaltenen Lieferwagen [...] trotz Entzugs des Führerausweises gelenkt hat. Es ist damit ohne weiteres von einem hinreichenden Tatverdacht bezüglich mehrfachen Führens eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs auszugehen. Da die Staatsanwaltschaft mit der streitgegenständlichen Verfügung eine Zwangsmassnahme angeordnet hat, braucht auch nicht länger über die Eröffnung einer Strafuntersuchung referiert zu werden (Art. 309 Abs.1 lit. b StPO).
3.2 Gemäss Art. 90a Abs. 1 des Strassenverkehrsgesetzes (SVG, SR 741.01) kann das Gericht die Einziehung eines Motorfahrzeugs anordnen, wenn damit in skrupelloser Weise eine grobe Verkehrsregelverletzung begangen wurde und der Täter durch die Einziehung von weiteren groben Verkehrsregelverletzungen abgehalten werden kann. Die Norm wurde am 1. Januar 2013 im Rahmen des Handlungsprogramms «Via sicura» neu in das Strassenverkehrsgesetz eingefügt. Art. 90a SVG setzt die Verletzung einer Verkehrsregel voraus. Die Verletzung von Bestimmungen, die keine Verkehrsregeln enthalten, wie beispielsweise die Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit (Art. 91a SVG) der dem Beschwerdeführer vorgeworfene Tatbestand des Führens eines Motorfahrzeugs trotz Führerausweisentzugs (Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG), bildet keine Grundlage für eine Einziehung nach Art. 90a SVG. Indes bleibt eine Einziehung gestützt auf Art.69 des Strafgesetzbuches (StGB, SR 311.0) möglich (Jeanneret, Via sicura: le nouvel arsenal pénal, in: Strassenverkehr 2/2013, S. 3 ff., 41; Weissenberger, Kommentar Strassenverkehrsgesetz und Ordnungsbussengesetz, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2015, Art.90a SVG N 16; vgl.auch Thommen, in: Ackermann [Hrsg.], Kommentar Kriminelles Vermögen - Kriminelle Organisationen, Band I, Zürich 2018, Art. 69 StGB N 184 ff.). Ob diese Voraussetzungen erfüllt sind, ist nachfolgend zu prüfen.
3.3
3.3.1 Nach Art. 69 Abs. 1 StGB verfügt die Strafrichterin ohne Rücksicht auf die Strafbarkeit einer Person die Einziehung von Gegenständen, die zur Begehung einer Straftat gedient haben bestimmt waren die durch eine Straftat hervorgebracht worden sind, wenn diese Gegenstände die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit die öffentliche Ordnung gefährden. Die Sicherungseinziehung ist eine sachliche Massnahme zum Schutz der Allgemeinheit vor rechtsgutgefährdender (Wieder-)Verwendung von gefährlichen Gegenständen. Das Gericht hat im Sinne einer Gefährdungsprognose zu prüfen, ob es hinreichend wahrscheinlich ist, dass der Gegenstand in der Hand des Täters in der Zukunft die Sicherheit von Menschen, die Sittlichkeit die öffentliche Ordnung gefährdet (BGE 130 IV 143 E. 3.3.1 S. 149 mit Hinweisen).
3.3.2 Der Beschwerdeführer ist mehrfach einschlägig vorbestraft und hat am 22.Februar 2020 - nachdem er bereits am 7. Dezember 2019 diesbezüglich von der Polizei in flagranti angehalten worden war - erneut ein Motorfahrzeug gelenkt, ohne über einen Führerausweis zu verfügen (letzterer wurde ihm mit Verfügung vom 24.Januar 2018 für unbestimmte Zeit bzw. mit Verfügung vom 17. Januar 2020 für immer entzogen). Diese massive Unbelehrbarkeit bzw. Uneinsichtigkeit macht ohne weiteres wahrscheinlich, dass A____ seinen Lieferwagen in naher Zukunft erneut lenken könnte, ohne über den erforderlichen Führerausweis zu verfügen und damit die öffentliche Ordnung sogar die Sicherheit von Menschen gefährdet.
3.4
3.4.1 Es ist zwar nicht auszuschliessen, dass sich der Beschwerdeführer (allenfalls mit Hilfe des Verwertungserlöses) einen neuen Lieferwagen beschaffen könnte. Da für ihn die Hürde, ein sofort verfügbares Fahrzeug trotz Entzugs des Führerausweises zu benutzen, indes tiefer liegt, als wenn er zuerst ein neues Fahrzeug kaufen und einlösen muss, ist die Einziehung zumindest geeignet, weitere Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz zu verzögern zu erschweren. Kommt dazu, dass die Sicherungseinziehung eines Motorfahrzeugs unter dem Aspekt der Geeignetheit nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung namentlich dann in Betracht fällt, wenn sich der Halter ungeachtet eines gegen ihn ausgesprochenen Führerausweisentzugs immer wieder ans Steuer gesetzt und mit seinem Fahrzeug am öffentlichen Verkehr teilgenommen hat (BGE 137 IV 249 E. 4.5.2 S. 256 ff.; BGer 1B_168/2012 vom 8. Mai 2012 E.2; vgl. auch Baumann, in: Basler Kommentar, 4. Auflage 2019, Art. 69 N 15).
3.4.2 Es ist auch keine mildere Massnahme ersichtlich, um den Beschwerdeführer von einem neuerlichen Verstoss gegen das Strassenverkehrsgesetz abzuhalten, zumal ihm der Führerausweis bereits auf unbestimmte Zeit bzw. mit Verfügung vom 17.Januar 2020 für immer entzogen worden ist, er sich jeweils aber trotzdem nicht davon abhalten liess, ein Motorfahrzeug zu lenken. Darüber hinaus überwiegt das öffentliche Interesse an der Sicherheit im Strassenverkehr die privaten Interessen des Beschwerdeführers - auch wenn er den Lieferwagen offenbar beruflich benötigt - deutlich.
3.5 Es ist nach dem Gesagten wahrscheinlich, dass die Strafrichterin den zur Diskussion stehenden Lieferwagen im Sinne von Art. 69 Abs. 1 StGB einziehen wird. Dessen strafprozessuale Beschlagnahme erweist sich für die Dauer des Verfahrens daher als zulässig (Art.263 Abs. 1 lit. d StPO). Damit muss nicht näher darauf eingegangen werden, ob der Lieferwagen auch als Beweismittel (Art. 263 Abs. 1 lit. a StPO) bzw. zur Kostendeckung (Art. 263 Abs.1 lit. b StPO) beschlagnahmt werden könnte, wobei es festzuhalten gilt, dass die Staatsanwaltschaft ihre Verfügung diesbezüglich nicht einmal ansatzweise begründet hat.
4.
Die Beschwerde erweist sich nach dem Gesagten als unbegründet und ist deshalb abzuweisen, soweit überhaupt darauf einzutreten ist. Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer dessen Kosten mit einer Gebühr von CHF 500.- zu tragen (Art. 428 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 21 Abs.2 des Gerichtsgebührenreglements [GGR, SG 154.810]).
Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):
://: Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist.
Der Beschwerdeführer trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit einer Gebühr von CHF 500.- (einschliesslich Auslagen).
Mitteilung an:
- Beschwerdeführer
- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt
APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT
Die Präsidentin Der Gerichtsschreiber
lic. iur. Gabriella Matefi Dr. Beat Jucker
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht zu dessen Handen der Schweizerischen Post einer diplomatischen konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.
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