E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:BES.2019.258 (AG.2020.300)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid BES.2019.258 (AG.2020.300) vom 18.05.2020 (BS)
Datum:18.05.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Rechtsverzögerung / Rechtsverweigerung
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 101 StPO ; Art. 102 StPO ; Art. 107 StPO ; Art. 108 StPO ; Art. 146 StPO ; Art. 147 StPO ; Art. 154 StPO ; Art. 2 BV ; Art. 265 StPO ; Art. 29 BV ; Art. 298d StPO ; Art. 300 StPO ; Art. 306 StPO ; Art. 307 StPO ; Art. 308 StPO ; Art. 309 StPO ; Art. 312 StPO ; Art. 382 StPO ; Art. 393 StPO ; Art. 40 StGB ; Art. 42 BGG ; Art. 48 BGG ; Art. 5 StPO ; Art. 7 StPO ;
Referenz BGE:124 I 139; 130 IV 56; 133 IV 158; 139 IV 25; 141 IV 220; 143 IV 397; 143 IV 457; 143 IV 49;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht



BES.2019.258


ENTSCHEID


vom 18. Mai 2020



Mitwirkende


lic. iur. Liselotte Henz

und Gerichtsschreiber Dr. Peter Bucher




Beteiligte


A____ Beschwerdeführerin

[...] Privatklägerin / Opfer

vertreten durch [...], Advokatin,

[...]

gegen


Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Beschwerdegegnerin 1

Binningerstrasse21, 4001Basel


B____ Beschwerdegegner 2

[...] Beschuldigter

vertreten durch [...], Advokatin,

[...]



Gegenstand


Beschwerde gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft

vom 29. November 2019


betreffend Rechtsverweigerung / Rechtsverzögerung; Akteneinsicht und Teilnahmerechte im Vorverfahren



Sachverhalt


Am 14. Juni 2019, 17.20 Uhr, erstattete A____, zusammen mit ihrer Mutter bei der Polizeiwache Clara gegen ihren früheren Freund B____, Anzeige wegen Vergewaltigung mit Tatzeit vom 10./11. November 2018 (also 7 Monate nach dem Ereignis). Sie sei wegen dem Übergriff seit Dezember 2018 beim Jugendpsychiater in Behandlung. Seit dem 18. April 2019 sei sie stationär auf der Jugendpsychiatrischen Abteilung [...]. B____ habe seit dem Vorfall, den er zugebe, immer wieder den Kontakt zu ihr gesucht, obwohl sie von ihm nichts mehr wissen wolle. So sei er am Tag ihrer Anzeige an der [...] erschienen und habe sie auf den Knien gebeten, mit ihm zu sprechen. Das sei ihr nun definitiv zu viel und sie habe keinen anderen Ausweg mehr gesehen, als zur Polizei zu gehen und eine Anzeige zu machen. Sie fühle sich von ihm belästigt und wolle, dass er sie in Ruhe lasse. Sie werde auch beim Zivilgericht noch Fernhaltemassnahmen beantragen.


Am 2. Juli 2019 meldete sich die Jugendanwaltschaft bei der Anzeigestellerin für eine Opferbefragung mit Video. Auf Grund eines Aufenthaltes der Anzeigestellerin in einem Lager wurde als Befragungstermin der 10. Juli 2019 vereinbart. Ebenfalls am 2.Juli 2019 setzte sich die Jugendanwaltschaft mit der Opferhilfe Basel-Stadt (Triangel) in Verbindung und informierte diese über die bevorstehende Befragung von A____. Dabei teilte die Jugendanwaltschaft mit, dass sie für das Mädchen bereits eine Anwältin, Frau Rechtsanwältin [...], organisiert habe, welche auch prüfen werde, ob beim Zivilgericht allenfalls Fernhaltemassnahmen beantragt werden sollten. Am 3. Juli 2019 wurde die Rechtsanwältin von der Jugendanwaltschaft über die bevorstehende Befragung informiert. Die Rechtsanwältin sicherte die Begleitung der Anzeigestellerin bei der Befragung zu und kündete gleichzeitig an, dass sie diverse Chatverläufe zwischen dem Beanzeigten und der Mutter des Opfers sowie einer Kollegin des Opfers, die vom Beanzeigten kontaktiert worden sei, zur Befragung mitbringen werde. Am 10. Juli 2019 wurde auf der Jugendanwaltschaft die standardisierte Erstbefragung mit Videoaufzeichnung in Anwesenheit der Opferanwältin durchgeführt. Im Anschluss an die Befragung wurden die von der Anwältin eingereichten Chatverläufe zu den Akten genommen. Es handelt sich um 25 Seiten, welche teils in rumänischer, teils in englischer Sprache abgefasst sind.


Mit Eingabe vom 4. September 2019 zeigte die Rechtsanwältin mit einer per 8. Juli 2019 unterzeichneten Vollmacht die Rechtsvertretung des Opfers und dessen Konstituierung als Privatklägerin an. Ferner beantragte sie die Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege sowie Akteneinsicht. Am 5. September 2019 teilte ihr der [...] Kriminalpolizei, Staatsanwalt C____, unter anderem mit, dass zurzeit keine Akteneinsicht gewährt und ohne entsprechende Belege auch keine unentgeltliche Rechtspflege bewilligt werde. Am 11. November 2019 wandte sich die Opferanwältin per E-Mail erneut an Staatsanwalt C____ und wünschte über den Verfahrensstand informiert zu werden. Mit E-Mail vom gleichen Tag hat er ihr geantwortet, dass die Befragung des Beschuldigten B____ noch nicht stattgefunden habe. Mit Eingabe vom 13. November 2019 monierte die Opferanwältin, dass die Staatsanwaltschaft aufgrund der Aussagen ihrer Klientin noch immer kein Verfahren gegen den Beschuldigten eingeleitet habe, obwohl ein schweres Delikt zur Debatte stehe. Sie beantragte erneut, die Untersuchung zu eröffnen und ihr die Teilnahmerechte zu gewähren. Für den Fall, dass dem nicht entsprochen werden sollte, verlangte sie eine beschwerdefähige Verfügung. Mit Antwort (in Verfügungsform, aber ohne Rechtsmittelbelehrung und zugestellt mit A-Post) vom 14. November 2019 teilte Staatsanwalt C____ der Opfervertreterin mit, die Teilnahmerechte und die Akteneinsicht zu verweigern, solange der Beschuldigte noch nicht befragt worden sei. Mit eingeschriebener Eingabe vom 25. November 2019 wandte sich die Rechtsanwältin erneut an Staatsanwalt C____ und ersuchte ihn um eine anfechtbare Verfügung. Am 29. November 2019 verfügte Staatsanwalt C____: "Die Akteneinsicht der Privatklägerschaft wird bewilligt und die Teilnahmerechte werden gewährt, sobald der Verfahrensstand die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 101 StPO erfüllt (namentlich nach der ersten staatsanwaltschaftlichen Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise)." Diese Verfügung ist mit einer Rechtsmittelbelehrung versehen.


Gegen diese Verfügung richtet sich die vorliegende, durch die Opferanwältin eingereichte Beschwerde vom 9. Dezember 2019. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung der angefochtenen Verfügung vom 29. November 2019, die Feststellung, dass die Kriminalpolizei im Vorverfahren eine Rechtsverzögerung bzw. Rechtsverweigerung begangen habe, und die Anweisung der Kriminalpolizei, das staatanwaltliche Untersuchungsverfahren zu eröffnen und ohne Verzug zum Abschluss zu bringen; unter o/e Kostenfolge zu Lasten der Staatsanwaltschaft.


Den Akten kann entnommen werden, dass am 11./12. Dezember 2019 wieder eine Ermittlungshandlung vorgenommen wurde (Auftrag zur Übersetzung der eingereichten Chatverläufe).


Mit Verfügung der verfahrensleitenden Appellationsgerichtspräsidentin vom 18. Dezember 2010 ging die Beschwerde zur Kenntnis und Stellungnahme mit Frist bis zum 17. Januar 2020 an die Staatsanwaltschaft.


Am 20. Dezember 2019 hat die zuständige Sachbearbeiterin der Gruppe Sexualdelikte beim Zivilgericht nachgefragt, ob inzwischen für den Beschuldigten ein Annäherungsverbot beantragt worden sei, was nicht der Fall war. Ebenfalls wurden Abklärungen zu polizeilichen Vorgängen in Bezug auf den Beschuldigten getätigt, es wurde nach allfälligen Requisitionen gesucht und solche wurden gefunden.


Nachdem am 3. Januar 2020 bei der Kriminalpolizei die Übersetzung der Chats eingegangen war, wurde der Beschuldigte auf Grund eines Festnahmebefehls des Kriminalkommissärs D____ vom 7. Januar 2020 am 8. Januar 2020 um 06.30 Uhr von der Kantonspolizei festgenommen. Noch am gleichen Tag wurde der Beschuldigte zur Sache und zur Person befragt. Dabei erklärte er, dass er in der [...] in Behandlung sei. Ferner kontaktierte die Mutter des Beschuldigten während der Befragung die Kriminalpolizei und erklärte, dass ihr Sohn psychisch krank sei, Medikamente benötige und überdies am Nachmittag einen Termin in der [...] habe. Nach der Befragung wurde der Beschuldigte um 16.45 Uhr wieder auf freien Fuss gesetzt und der Mutter übergeben.


Der Beschuldigte stellt den Sachverhalt anders dar als die Privatklägerin. Er will den Geschlechtsverkehr nicht gegen ihren Willen vollzogen haben. Sie soll ihm auch nicht zu erkennen gegeben haben, dass sie diesen nicht gewollt habe.


Mit Eingabe vom 17. Januar 2020 hat sich Staatsanwalt C____ zur Beschwerde vernehmen lassen. Er listet in seiner Vernehmlassung die bis anhin getätigten Ermittlungshandlungen chronologisch auf und kommt zum Schluss, dass der Kriminalpolizei weder eine Verfahrensverzögerung noch eine Rechtsverweigerung vorgeworfen werden könne. Ferner stellt er sich auf den Standpunkt, dass das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren mit Verfügung vom 29. November 2019 eröffnet worden sei. Er verlangt folglich, dass auf die Beschwerde nicht einzutreten bzw. diese eventualiter abzuweisen sei. Die Beschwerdeführerin bleibt mit Replik vom 17. Februar 2020 bei ihrem Standpunkt, ebenso der Staatsanwalt mit Duplik vom 19. März 2020.


Den Beschuldigten in das vorliegende Verfahren einzubeziehen erschien nicht opportun, da es ihn nicht direkt betrifft. Er wird indessen in den Verteiler aufgenommen.


Der vorliegende Entscheid ist aufgrund der Akten ergangen. Die Einzelheiten des Sachverhalts und der Standpunkte ergeben sich, soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen.


Erwägungen


1.

1.1 Gemäss Art.393 Abs.1 lit.a in Verbindung mit Art.20 Abs.1 lit.b der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR312.0) unterliegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Staatsanwaltschaft der Beschwerde an die Beschwerdeinstanz. Mittels Beschwerde gerügt werden können gemäss Art.393 Abs.2 lit.a StPO unter anderem eine Rechtsverweigerung und -verzögerung. Beschwerdefähig sind diesfalls auch Unterlassungen der Staatsanwaltschaft. Für die Beurteilung zuständig ist das Appellationsgericht als Einzelgericht (§88 Abs.1 in Verbindung mit §93 Abs.1 Ziff.1 des Gerichtsorganisationsgesetzes; GOG, SG154.100), das gemäss Art.393 Abs.2 StPO mit freier Kognition urteilt. Beschwerden wegen formeller Rechtsverweigerung oder Rechtsverzögerung wie die vorliegende sind an keine Rechtsmittelfrist gebunden (Art.396 Abs.2 StPO; Guidon, Basler Kommentar StPO, 2.Auflage 2014, Art.396 N17f.). Die vorliegende Beschwerde wird im schriftlichen Verfahren behandelt (Art.397 Abs.1 StPO).

1.2 Im Rahmen einer Rechtsverzögerungsbeschwerde ist die Verfahrensrüge zu prüfen, die von einer Partei verlangten Untersuchungs- bzw. Verfahrenshandlungen seien von der zuständigen Strafbehörde mit unbegründeter Verzögerung vorgenommen worden, das heisst, nicht innerhalb der Zeitspanne, die nach der Natur der Sache (und unter angemessener Berücksichtigung der Geschäftslast der Strafbehörde) bundesrechtskonform erschien, nachdem die rechtsuchende Partei zuvor bei der Strafbehörde entsprechend interveniert hatte (BGer1B_4/2017 vom 3. März 2017 E.3.4; 1B_124/2016 vom 12. August 2016 E.5.5; 1B_322/2015 vom 4. März 2016 E.4; AGE BES.2020.48 vom 19. März 2010 E. 1).


1.3 Mit Beschwerde können Rechtsverletzungen, einschliesslich Überschreitung und Missbrauch des Ermessens, Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung, die unvollständige und unrichtige Feststellung des Sachverhalts sowie Unangemessenheit gerügt werden (Art. 393 Abs. 2 StPO).


1.4 Zur Beschwerde legitimiert ist jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat (Art. 382 Abs. 1 StPO). Die Beschwerdeführerin ist als Adressatin der angefochtenen Verfügung zur Beschwerde legitimiert.


1.5 Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft ergibt sich das aktuelle Rechtsschutzinteresse der Beschwerdeführerin auch daraus, dass mit einer verspäteten Einleitung des staatsanwaltlichen Untersuchungsverfahrens die Verletzung von Parteirechten, insbesondere von Teilnahmerechten und des Akteneinsichtsrechts einher gehen kann, wie sich nachfolgend ergibt. Zulässige Beschwerdegründe sind insbesondere auch die Verweigerung der Akteneinsicht (Art. 101 StPO), Einschränkungen des rechtlichen Gehörs (Art. 107 f. StPO), die Verweigerung der Teilnahme bei Beweisabnahmen (Art. 147 StPO) sowie die Verweigerung der Eröffnung einer staatsanwaltlichen Untersuchung (Art. 309 StPO) (Guidon, in: Basler Kommentar, a.a.O., Art. 393 StPO N 10, 11). Anspruch auf Verfahrensbeschleunigung hat die beschuldigte Person, aber auch die Privatklägerschaft (vgl. BGer 6B_1014/2016 vom 24. März 2017, E. 1.3.1). Auf die form- und fristgerecht eingereichte Beschwerde ist einzutreten.


2.

2.1 Die Beschwerdeführerin beruft sich auf das in Art. 29 Abs. 1 BV, Art. 5 Abs. 1 StPO, Art. 2 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK statuierte Beschleunigungsgebot. Die Behörden seien verpflichtet, das Strafverfahren voranzutreiben. Eine Pflicht zum Tätigwerden entstehe mit Einreichung einer Strafanzeige. Ab diesem Zeitpunkt gelte die Pflicht der Strafverfolgungsbehörde, die Strafanzeige nach Massgabe der anwendbaren Vorschriften zu bearbeiten, bei Bestehen eines genügenden Anfangsverdachts ein Vorverfahren einzuleiten (Art. 300 StPO) und dieses unter den Voraussetzungen von Art. 309 StPO auch weiterzuführen. Vorliegend sei die Staatsanwaltschaft im Vorverfahren VT.2019.14291 über vier Monate untätig geblieben. Seit der Einvernahme der Beschwerdeführerin am 8. Juli 2019 seien keine weiteren Verfahrensschritte unternommen worden. Die Staatsanwaltschaft selber führe aus, dass weder der Beschuldigte einvernommen noch andere Beweise erhoben worden seien. Damit sei die Staatsanwaltschaft ihrer Aufgabe gemäss Art. 306 Abs. 2 lit. a und b StPO, Beweise zu sichern und die geschädigte wie auch die beschuldigte Person einzuvernehmen, nicht nachgekommen. Das polizeiliche Ermittlungsverfahren soll lediglich die Entscheidungsgrundlage liefern, um baldmöglichst den Entscheid über die Eröffnung der Strafuntersuchung fällen zu können (Hürlimann, 151; Schmid, Handbuch [2013] N 1216). Diesen Entscheid hätte die Beschwerdegegnerin bereits seit Langem fällen können und auch müssen. Dass die Beschwerdegegnerin bereits im Sommer 2019 das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren hätte eröffnen müssen, ergebe sich bereits aus dem Umstand, dass der Vorwurf einer Vergewaltigung im Raum stehe. Bei einer Vergewaltigung handle es sich um eine schwere Straftat im Sinne von Art. 307 Abs. 1 StPO, bei Vorliegen welcher die Polizei verpflichtet sei, unverzüglich die Staatsanwaltschaft zu informieren und das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren zu eröffnen. Dies habe die Staatsanwaltschaft unterlassen. Spätestens mit der detaillierten Aussage der Beschwerdeführerin anlässlich der Einvernahme am 8. Juli 2019 habe sich im Weiteren ein dringender Tatverdacht manifestiert und weitere polizeiliche Ermittlungen obsolet gemacht. Aus Art. 307 Abs. 3 i.V.m. Art. 307 Abs. 4 lit. a StPO folge, dass Orientierungspflicht der Polizei bestehe, wenn tatsächliche Anhaltspunkte auf die Begehung einer strafbaren Handlung hinwiesen, d.h. ein konkreter Tatverdacht vorliege und sich gegen eine bestimmte Person richte. Seien die der Polizei vorliegenden Hinweise genügend konkret, bleibe für polizeiliche Ermittlungen (aber auch für staatsanwaltschaftliche Vorabklärungen) kein Raum mehr. Es müsse (auch gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO) zwingend eine Strafuntersuchung eröffnet werden (Hürlimann, 108). Die Staatsanwaltschaft scheine die Eröffnung eines staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahrens aus nicht nachvollziehbaren Gründen verhindern zu wollen. Einerseits habe die Staatsanwaltschaft mit ihrer monatelangen Untätigkeit das Verfahren in missbräuchlicher Art verzögert. Andererseits verhalte sie sich rechtsverweigernd, indem sie es entgegen klaren gesetzlichen Vorschriften unterlasse, den nächsten Verfahrensschritt einzuleiten. Im Weiteren habe die Beschwerdeführerin bereits mehrfach ein explizites Gesuch gestellt, gestützt auf Art. 309 StPO die Untersuchung zu eröffnen. Auch dieses Gesuch habe die Staatsanwaltschaft bis heute nicht behandelt. So führe die Staatsanwaltschaft in ihrer Verfügung vom 29. November 2019 lediglich aus, dass die Akteneinsicht der Privatkläger bewilligt werde und die Teilnahmerechte gewährt würden, sobald der Verfahrensstand die gesetzlichen Voraussetzungen nach Art. 101 StPO erfülle. Einen Entscheid betreffend das Gesuch der Beschwerdeführerin auf Eröffnung des staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahrens habe die Staatsanwaltschaft bis heute nicht gefällt. Auch damit habe die Staatsanwaltschaft eine Rechtsverweigerung begangen. Im Weiteren erwecke die Staatsanwaltschaft mit ihrer Formulierung den Eindruck, als ob sie die Mitwirkungsrechte der Beschwerdeführerin so lang als möglich beschneiden wolle. Dies, obwohl das polizeiliche Ermittlungsverfahren auch aufgrund der mangelnden Teilnahmerechte so schnell wie möglich abgeschlossen werden müsse.


2.2 Die Staatsanwaltschaft entgegnet dem, dass aufgrund der ständigen Ermittlungs- und Untersuchungshandlungen, des seit dem 14. Juni 2019 (zum Zeitpunkt der Beschwerdeerhebung somit keine sechs Monate) dauernden Vorverfahrens sowie der entsprechenden Verfügungen der Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft als strafprozessual polizeiliche Behörde (Art. 306 f. StPO, §§ 9 und 10 EG StPO [SG 257.100]) sowie der "formellen" Staatsanwaltschaft (Art. 308 ff. StPO, § 11 EG StPO) wie auch den Unterlassungen der Beschwerdeführerin im Vorverfahren es an den Voraussetzungen für eine Rechtsverweigerungs- oder Verzögerungsbeschwerde fehle.


Die Staatsanwaltschaft listet die "materielle Chronologie des Vorverfahrens" so auf:


- 14.06.2019: Anzeige des Delikts, welches am 10./11. November 2018 begangen worden sein soll;

- 17.06.2019: Eingang der Anzeige bei der Kriminalpolizei;

- 27.06.2019: Auftrag an die Jugendanwaltschaft zur Befragung des Opfers im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens (Art. 306 StPO, § 9 EG StPO);

- 10.07.2019: Videobefragung des Opfers durch eine spezialisierte Opferbefragerin. Im Rahmen dieser Befragung habe die Rechtsbeiständin der Beschwerdeführerin angegeben, über einen USB-Stick mit Chatauszügen zu verfügen, welchen sie der Verfahrensleitung zukommen lassen würde (Bericht zur Videobefragung vom 10.07.2019, Seite 4). Bis dato sei dieser USB-Stick noch nicht bei der Verfahrensleitung eingegangen;

- Ab dem 11.07.2019: Einarbeitung der Sachbearbeiterin unter Beachtung der Prioritäten (Art. 5 Abs. 2 StPO, wonach aktuelle Haftfälle vordringlich behandelt werden müssten);

- 05.09.2019: Beantwortung eines Schreibens der Opfervertreterin im Rahmen des laufenden polizeilichen Ermittlungsverfahrens (Art. 306 StPO, § 9 und 10 EG StPO);

- 11.11.2019: Beantwortung eines E-Mails der Opfervertreterin im Rahmen des laufenden polizeilichen Ermittlungsverfahrens (Art. 306 StPO, § 9 und 10 EG StPO);

- 14.11.2019: Beantwortung eines Schreibens der Opfervertreterin im Rahmen des laufenden polizeilichen Ermittlungsverfahrens (Art. 306 StPO, § 9 und 10 EG StPO);

- 29.11.2019: Eröffnung der Untersuchung gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO (ohne Begründung und ohne Eröffnung, Art. 309 Abs. 3 StPO) und staatsanwaltschaftliche Verfügung, wonach die Teilnahmerechte und die Akteneinsicht des Opfers nach Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen (Art. 101 und Art. 147 StPO) gewährt würden;

- 11.12.2019: Auftrag an eine Übersetzerin, die vorhandenen Chats zu übersetzen bzw. auf Richtigkeit zu prüfen;

- 12.12.2019: Abklärungen zu den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten;

- 20.12.2019: Abklärung, ob die vom Opfer in Aussicht gestelltem zivilrechtlichen Massnahmen ergriffen wurden (negativ);

- 20.12.2019: Eingang der Rechtsverweigerungs- und Verzögerungsbeschwerde;

- 02.01.2020: Ermittlungen zur Vorbereitung der Festnahme- und Durchsuchungsaktion;

- 03.01.2020: Eingang der Übersetzungen;

- 08.01.2020: Festnahme und Befragung des Beschuldigten, erkennungsdienstliche Behandlung sowie Hausdurchsuchung und Beschlagnahme von Beweismitteln;

- 08.01.2020: Ausdehnung des Verfahrens auf Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz;

- 09.01.2020: Auftrag zur Auswertung der beschlagnahmten elektronischen Datenträger sowie weitere Ermittlungshandlungen.


Die Staatsanwaltschaft führt weiter aus, es bestünden zwei Verletzungsarten des Beschleunigungsgebots; die Gesamtheit des Verfahrens nehme zu viel Zeit in Anspruch, oder die einzelnen Abschnitte des Verfahrens dauerten zu lange (BGer 6S_74/2007 vom 6. Februar 2008 E. 3.2). Eine Rechtsverzögerung liege demnach vor, wenn die Behörden bei objektiver Betrachtung des Einzelfalls in der Lage gewesen wären, das Verfahren oder den Verfahrensabschnitt innert wesentlich kürzerer Zeit abzuschliessen (Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, Rz 147). Dies sei vor allem dann zu bejahen, wenn die Behörde im Verfahren über mehrere Monate hinweg untätig gewesen sei oder durch unnötige Massnahmen Zeit verschwendet habe. Dass hingegen eine einzelne Verfahrenshandlung zu einem früheren Zeitpunkt hätte vorgenommen werden können, verletze das Beschleunigungsgebot für sich allein gesehen noch nicht (BGE 130 IV 56 f. = Pra 94/2005 Nr. 10, 76 f., 124 I 144 = Pra 87/1998 Nr. 117, 668; werden (Donatsch, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, Art. 5 N 9). Bei der Frage nach der Vertretbarkeit der Dauer eines Verfahrens sei auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen. Diese Umstände würden im Allgemeinen eine Gesamtbetrachtung gebieten, welche insbesondere der Schwere des Tatvorwurfs, der Komplexität des Sachverhalts, den gebotenen Untersuchungshandlungen, der Dringlichkeit der Sache, dem Verhalten der beschuldigen Person, wie aber auch der weiteren Parteien und der zuständigen Behörden Rechnung trage (BGE 130 IV 56 f. = Pra 94/2005 Nr. 10, 76 f.; BGE 124 I 139 E.2c S. 142 = Pra 87 Nr. 117). Es sei immer im Sinne dieser Gesamtbetrachtung zu prüfen, ob die Strafbehörden das einzelne Verfahren innert angemessener Frist geführt hätten. Da man von der Strafbehörde nicht verlangen könne, dass sie sich ständig um eine einzige Angelegenheit kümmere, sei es unvermeidlich, dass es in einem Verfahren gewisse tote Zeiten gebe. Wenn diese nicht von wirklich schockierender Dauer seien, zähle die oben erwähnte Gesamtwürdigung. Intensive Zeitperioden mit Aktivitäten könnten daher einen Ausgleich rechtfertigen, wenn das Dossier wegen anderer Angelegenheiten zeitweise beiseitegelassen werde (BGE 130 IV 56 f. = Pra 94/2005 Nr. 10, 76 f.; BGE 124 I 139 E.2c S. 142 = Pra 87 Nr. 117). Als krasse Zeitlücke, welche eine Sanktion aufdränge, gelte etwa eine Untätigkeit von 13 oder 14 Monaten im Stadium der Untersuchung, eine Frist von vier Jahren für den Entscheid über eine Beschwerde gegen eine Anklagehandlung oder eine Frist von zehn oder elfeinhalb Monaten für die Weiterleitung eines Falles an die Beschwerdeinstanz (vgl. BGE 143 IV 49 E. 1.8.2; 143 IV 373 E. 1.3.1; 133 IV 158 E. 8; 130 I 269 E. 3.1; 130 I 312 E. 5.1 f.; Urteil 6B_175/2018 vom 23. November 2018 E. 2.2; je mit Hinweisen). Vorliegend sei die Anzeige über ein halbes Jahr nach der angeblichen Tat erstattet worden, weshalb auf die in der Regel bei möglichen Sexualdelikten nötigen Sofortmassnahmen verzichtet worden sei. Die Opferbefragung habe zeitnah zur Anzeigeerstattung stattgefunden. Da es sich nicht um einen Haftfall gehandelt habe und aufgrund des Sachverhalts (Sexualdelikt im Rahmen einer Beziehung ohne offensichtliche Gefahr einer Fortsetzung, keine weiteren Haftgründe) keine sofortige Festnahme der möglichen Täterschaft angezeigt gewesen sei, sei die Einreichung der von der Opfervertreterin in Aussicht gestellten weiteren Beweismittel abgewartet worden, um vollständig dokumentiert die Befragung der beschuldigten Person vorzubereiten. Ausserdem hätten in der zweiten Jahreshälfte von denselben Verfahrensleitern und Sachbearbeitern mehrere Haftfälle im Bereich des Sexualstrafrechts wie auch des Menschenhandels vordringlich bearbeitet werden müssen. Als die von der Opfervertreterin in Aussicht gestellten Beweismittel (welche allenfalls zur Erhärtung des Tatverdachts oder auch zur Entlastung der beschuldigten Person hätten beitragen können) weiterhin nicht eingegangen seien, sei aufgrund der vorhandenen Aktenlage die staatsanwaltschaftliche Untersuchung eröffnet und das Verfahren weiter vorangetrieben worden. Mit der Festnahme und Befragung anfangs Januar 2020 habe das Verfahren soweit bearbeitet werden können, dass ein baldiger Abschluss des Vorverfahrens in Betracht gezogen werden könne. Die von der Beschwerdeführerin monierte (wenn, dann von ihr selbstverschuldete, höchstens kurze) Untätigkeit sei nicht gegeben bzw. die nötigen und geforderten Untersuchungshandlungen und -massnahmen seien teilweise bereits vor oder kurz nach der Einreichung der Beschwerde vorgenommen worden.

2.3 Eine besondere Bedeutung hat das Rechtsverzögerungsverbot im Strafrecht. Gemäss dem in Art. 5 Abs. 1 StPO, Art. 29 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK statuierten Beschleunigungsgebot sind die Behörden verpflichtet, das Strafverfahren voranzutreiben. Ziel des Beschleunigungsgebots ist es primär zu verhindern, dass die beschuldigte Person unnötig lange über die gegen sie erhobenen Vorwürfe im Unwissen belassen und den Belastungen eines Strafverfahrens ausgesetzt wird (Summers, Basler Kommentar a.a.O., Art.5 StPO N1; Häfelin/Müller/Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich 2016, Rz. 1046; statt vieler BGE 133 IV 158 E. 8 S. 170). Verletzungen des Beschleunigungsgebots manifestieren sich nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung in einer zu langen Dauer entweder der Gesamtheit des Verfahrens oder einzelner Verfahrensabschnitte (BGer 6B_605/2014 vom 22. Dezember 2014 E. 2.2). Die Beurteilung der angemessenen Verfahrensdauer entzieht sich starren Regeln; vielmehr ist jeweils eine Gesamtwürdigung der fallspezifischen Umstände vorzunehmen. Neben dem Verhalten der Strafverfolgungsbehörde sind auch weitere Faktoren, wie der Umfang und die Komplexität des Falles, das Verhalten der in die Untersuchung involvierten Personen und die Schwere der zu untersuchenden Delikte, zu berücksichtigen (Summers, a.a.O., Art.5 StPO N7). Insbesondere kann von den Strafbehörden nicht verlangt werden, dass sie sich ständig mit einem Fall beschäftigen. Es ist unvermeidlich, dass ein Verfahren Zeiten aufweist, während denen nichts unternommen wurde. Dabei können Perioden intensiver Untersuchungshandlungen die Tatsache aufwiegen, dass das Dossier wegen anderer Fälle zeitweise zurückgestellt wurde. Eine Rechtsverzögerung liegt demnach vor, wenn die Strafverfolgungsbehörde bei objektiver Betrachtung des Einzelfalls in der Lage gewesen wäre oder dies hätte sein müssen, das Verfahren oder den Verfahrensabschnitt innert wesentlich kürzerer Zeit abzuschliessen. Dies ist insbesondere in Fällen zu bejahen, in denen die Behörde über mehrere Monate untätig geblieben ist oder durch unnötige Massnahmen Zeit verschwendet hat (Wohlers, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, Kommentar zur StPO, 2.Auflage, Zürich 2014, Art.5 N9; AGE BES.2017.79 vom 12. September 2017 E.2.2, BES.2017.56 vom 27.April 2017 E.4.1; BES.2018.25 vom 12. April 2018 E. 2.2).


2.4 Die Begründung der Staatsanwaltschaft ist insoweit nachvollziehbar. Sie ist angesichts der erst ein halbes Jahr nach dem Delikt erstatteten Anzeige umgehend tätig geworden und zur Opferbefragung geschritten. Im Unterschied zu anderen, zeitnah beanzeigten Delikten wurde keine Dringlichkeit, etwa für Zwangsmassnahmen, festgestellt, und andere hängige, aber dringlichere Fälle wurden vorgezogen. Wenn auch das Argument der Staatsanwaltschaft des Abwartens von der Opferanwältin in Aussicht gestellter Dokumentationen vorgeschoben wirkt und die von der Staatsanwaltschaft als Verfahrenshandlungen aufgelisteten Antworten auf Anfragen der Opferanwältin eher ein Vertrösten derselben als wirkliche Verfahrenshandlungen darstellen, so sind doch zwischen der Befragung des Opfers am 10. Juli 2019 und der nächsten eigentlichen Verfahrenshandlung (Übersetzungsauftrag betreffend Chats) vom 11. Dezember 2019 fünf Monate vergangen. Dies erscheint zwar lang, in Anbetracht der Umstände aber nicht überlang. Anschliessend ist die Staatsanwaltschaft dann zügig zu Werke gegangen. Weder für einen Teil des Verfahrens noch für dessen Gesamtheit ist daher von einer Rechtsverzögerung im üblichen Sinn auszugehen.

3.

3.1 Die Beschwerdeführerin rügt indessen ausdrücklich die Verletzung ihrer Teilnahmerechte infolge des nicht eröffneten staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahrens und versteht die von ihr beanstandete Rechtsverzögerung bzw. -verweigerung zuvorderst in diesem Sinn. Ihrer Auffassung nach hätte das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren im Sommer 2019 eröffnet werden müssen, da ab dann eine Vergewaltigung im Raum gestanden sei und diesbezüglich ein dringlicher Tatverdacht bestanden habe.


3.2 Gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO eröffnet die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung, wenn sich aus den Informationen und Berichten der Polizei, aus der Strafanzeige oder aus ihren eigenen Feststellungen ein hinreichender Tatverdacht ergibt. Zudem eröffnet die Staatsanwaltschaft gemäss lit. c derselben Bestimmung eine Untersuchung, wenn sie im Sinne von Art. 307 Abs. 1 StPO durch die Polizei informiert worden ist. Dieser Art. 307 Abs. 1 StPO lautet: "Die Polizei informiert die Staatsanwaltschaft unverzüglich über schwere Straftaten sowie über andere schwer wiegende Ereignisse. Die Staatsanwaltschaften von Bund und Kantonen können über diese Informationspflicht nähere Weisungen erlassen."


Der Beschwerdeführerin ist insoweit zu folgen, dass mit der ausführlichen, von der Jugendanwaltschaft durchgeführten und auf Video aufgezeichneten Opferaussage vom 10. Juli 2019 und den damals aufgelegten Chatverläufen ein dringender Tatverdacht im Sinn von Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO gegeben und somit zu jenem Zeitpunkt die Voraussetzungen für die Eröffnung der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung gegeben waren.


3.3 Die Staatsanwaltschaft hält dafür, mit ihrer Verfügung vom 29. November 2019 die Untersuchung eröffnet zu haben, zumal dies formlos geschehen könne. Der Beschwerdeführerin ist indessen darin zu folgen, dass schon aus dem Wortlaut dieser Verfügung in keiner Weise hervorgeht, dass die Staatsanwaltschaft die Untersuchung im Sinne von Art. 309 StPO eröffnet hätte; ein Hinweis auf diese Gesetzesbestimmung findet sich darin ebenfalls nicht. Im Gegenteil werden mit dieser Verfügung die den Parteien grundsätzlich zustehenden Teilnahmerechte erst "gewährt, sobald der Verfahrensstand die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 101 StPO erfüllt (namentlich nach der ersten staatsanwaltschaftlichen Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise)". Damit wird die von der Staatsanwaltschaft bereits in ihren Schreiben vom 5. September 2019, E-Mail vom 11. November 2019 und Schreiben vom 14. November 2019 statuierte Verweigerung der Akteneinsichts- und Teilnahmerechte faktisch unverändert weiter geführt, während im staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahren den Parteien diese Rechte grundsätzlich zustehen (Art. 147 StPO; dazu nachstehend Ziff. 4). Die Verfügung vom 29. November 2019 ist somit in keiner Weise als Eröffnung der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung erkennbar.


Inwiefern die Staatsanwaltschaft nach dem mehrmaligen Ersuchen der Opferanwältin um Eröffnung der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung mit dieser (notabene tatsächlich eröffneten) Verfügung vom 29. November 2019 die staatsanwaltschaftliche Untersuchung "ohne Begründung und ohne Eröffnung, Art. 309 Abs. 3 StPO" (Wortlaut der vorstehend zitierten Chronologie der Staatsanwaltschaft) eröffnet haben will oder eröffnet haben sollte, ohne darin die Eröffnung der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung auch nur zu erwähnen, ist nicht nachvollziehbar.


Indessen ist die Staatsanwaltschaft bei ihrer Auffassung zu behaften, das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren eröffnet zu haben.


3.4 Die Staatsanwaltschaft stellt sich auf den Standpunkt, die unverzügliche Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft gemäss Art. 307 Abs. 1 StPO diene dazu, dass diese ihre Leitungsfunktion im Vorverfahren gerade bei schweren Delikten wirksam wahrnehmen könne: "Durch die spezielle Behördenstruktur in Basel-Stadt, wonach die Kriminalpolizei eine Abteilung der Staatsanwaltschaft ist, diese aber trotzdem gesetzlich befugt ist, das polizeiliche Ermittlungsverfahren durchzuführen (§ 9 EG StPO, vgl. hierzu APE BE.2011.116 vom 23.02.2012) und ihr ein solches auch zusteht, wird dieser Grundsatz über die Ansprüche der StPO hinaus vorbildlich und ganz im Sinne des nationalen Gesetzgebers gelebt (vgl. hierzu Bürge, Polizeiliche Ermittlung und Untersuchung, S. 16). Dass dieses schweizweit einmalige System gerade bei der Eröffnung der Untersuchung (ohne Handwechsel, wie sonst schweizweit nötig) für Aussenstehende gewisse Unklarheiten aufwirft, ist der einzige erkennbare, kleine Nachteil dieses effizienten Systems, welcher aber durch die aktenkundige und datierte Eröffnungsverfügung aufgehoben wird. Beim angeführten Art. 307 Abs. 1 StPO handelt es sich um eine Ordnungsvorschrift, bei deren Verletzung durch die Polizei vorgenommene Verfahrenshandlungen, vorab Einvernahmen, gültig und verwertbar bleiben (Schmid/Jositsch, StPO Praxiskommentar, 3. Aufl., Art. 307 N 1). Im Zusammenhang mit den rechtmässigen Beschränkungen des Akteineinsichts- und Teilnahmerechts ist nicht ersichtlich, welchen Nachteil eine Verschiebung der Eröffnung der Untersuchung nach vorne oder hinten für das Opfer haben sollte. Gemäss Art. 307 Abs. 1 Satz 2 StPO erlassen die Kantone (i.d.R. die Staatsanwaltschaften) eine Regelung, über welche Delikte die Staatsanwaltschaft durch die Polizei unverzüglich informiert werden muss. Die Begriffe einer schweren Straftat und eines schwerwiegenden Ereignisses sind auslegungsbedürftig, womit den Kantonen ein gewisser Spielraum eingeräumt wird (Bürge, a.a.O., S. 106). Der Deliktskatalog ist eng zu halten, ansonsten kein Platz mehr für ein polizeiliches Ermittlungsverfahren bleibt (wobei selbst bei Tötungsdelikten polizeiliche Ermittlungen noch möglich sind bzw. sein müssen, vgl. BGE 6B_422/2017). Da die Leitungsfunktion der 'formellen' Staatsanwaltschaft im Vorverfahren im Sinne der StPO in Basel-Stadt viel umfassender ist als in allen anderen Kantonen und sie somit von Beginn weg das Prozessrisiko bei strafprozessualen Fehlern der (Kriminal-)Polizei nicht nur zu tragen, sondern sogar zu verantworten hat, ist eine unverzügliche Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft gemäss Art. 307 Abs. 1 StPO mit den entsprechenden Konsequenzen nur für Delikte vorgesehen, welche mit Freiheitsstrafe ohne Obergrenze bzw. gemäss Art. 40 StGB von 20 Jahren oder lebenslänglicher Freiheitsstrafe bestraft werden können sowie für andere schwerwiegende Ereignisse, welche definitionsgemäss dann keine Delikte sind (z.B. Brandfälle und Explosionen mit Toten etc.), möglicherweise aber später erst strafrechtlich relevant werden könnten. Der Tatbestand der Vergewaltigung fällt somit in Basel-Stadt nicht in den Katalog der 'meldepflichtigen' Fälle gemäss Art. 307 Abs. 1 StPO. Dies im Einklang mit einem Teil der Lehre, welche Vergewaltigungen auch nicht unter die meldepflichtigen schweren Delikte subsumiert (Bürge, a.a.O. S.107, Rüegger, a.a.O., Art. 307 N 2). Somit entfällt auch die zwingende Eröffnung der Untersuchung gemäss Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO. Wobei anzumerken ist, dass selbst bei meldepflichtigen Fällen der Staatsanwaltschaft ein zeitlicher Spielraum zwischen Mitteilung und Eröffnung zusteht (BSK StPO, Omlin, Art. 309 N 21) und auch der Gesetzestext keine 'unverzügliche' Eröffnung fordert, ganz im Gegensatz zur vorangehenden Meldung gemäss Art. 307 Abs. 1 StPO, welche tatsächlich unverzüglich zu erfolgen hat."


3.5 Die von der Staatsanwaltschaft angesprochene baselstädtische Kompetenzordnung ist in EG StPO (SG 257.100) verankert, allerdings bloss in den Grundzügen und anhand von Delegationsnormen: Gemäss § 7 Abs. 1 (Befugnis der Kantonspolizei zur Ermittlung von Übertretungen und Vergehen) führt die "Die Kantonspolizei das polizeiliche Ermittlungsverfahren bei den ihr durch Verordnung zugewiesenen Übertretungen und Vergehen." Gemäss § 8 Abs. 1 sind "die anderen Strafverfolgungsbehörden berechtigt, im späteren Verlauf des Verfahrens nach Bedarf die Kantonspolizei beizuziehen." Gemäss § 9 (Befugnis von Abteilungen der Staatsanwaltschaft zur Durchführung des polizeilichen Ermittlungsverfahrens) Abs. 1 führen "die Kriminalpolizei, die Abteilung Wirtschaftsdelikte und die Jugendanwaltschaft das polizeiliche Ermittlungsverfahren, soweit dieses Gesetz keine anderen Zuständigkeiten festlegt." Gemäss § 11 (Befugnis der Abteilungen der Staatsanwaltschaft zur Durchführung des Untersuchungsverfahrens) Abs. 1 haben "alle Abteilungen der Staatsanwaltschaft die Befugnis, das Untersuchungsverfahren durchzuführen."


Die Ausführungsbestimmungen finden sich in der Verordnung über die Zusammensetzung, Organisation und Befugnisse der Staatsanwaltschaft (SG 257.120). Laut § 1 (Organisation) umfasst die Staatsanwaltschaft die Geschäftsleitung, die Erste Staatsanwältin oder den Ersten Staatsanwalt und deren beziehungsweise dessen Stab, die Kriminalpolizei, die Allgemeine Abteilung, die Abteilung Wirtschaftsdelikte, die Jugendanwaltschaft und die Strafbefehlsabteilung. Gemäss § 11 (Organisation) Abs. 1 steht der Kriminalpolizei eine Leitende Staatsanwältin oder ein Leitender Staatsanwalt vor. Ihr beziehungsweise ihm sind die nötige Anzahl Staatsanwältinnen und Staatsanwälte zugewiesen. Laut § 12 (Kriminalkommissärinnen und Kriminalkommissäre) Abs. 1 führen Kriminalkommissärinnen und Kriminalkommissäre in den ihnen zugewiesenen Verfahren unter der Leitung der zuständigen Staatsanwältin oder des zuständigen Staatsanwalts mit dem ihnen in der Fachgruppe oder im Pikett unterstellten Detektivpersonal die ersten polizeilichen Ermittlungen sowie Untersuchungen durch. Gemäss § 12 Abs. 2 sind sie für Führung, Einsatz und Ausbildung ihrer Fachgruppe verantwortlich.


3.6 Es existiert keine kantonale baselstädtische Ausführungsnorm zur Definition des Begriffs "schwere Straftaten" im Sinne von Art. 307 Abs. 1 StPO. Die Polizei braucht die Staatsanwaltschaft aber auch gar nicht im Sinne von Art. 307 Abs. 1 StPO zu informieren, zumal wie soeben dargestellt im Kanton Basel-Stadt (anders als in den übrigen Kantonen sonst üblich und auf welche diese Bestimmung eigentlich zugeschnitten ist) ja gar nicht die Polizei das sogenannte "polizeiliche" Ermittlungsverfahren führt, sondern entgegen der Begrifflichkeit die Staatsanwaltschaft. Wie sie richtig ausführt, hat die Staatsanwaltschaft das polizeiliche Ermittlungsverfahren denn auch selber zu verantworten. Folglich ist die Staatsanwaltschaft ohnehin umfassend über die "polizeilichen" Ermittlungsverfahren informiert. Insoweit ist Art.307 Abs. 1 StPO im Kanton Basel-Stadt obsolet und der Begriff der "schweren Straftaten" bedarf im Kanton Basel-Stadt keiner Definition. Ob der Gesetzgeber gestützt auf diese organisatorischen Besonderheiten naheliegenderweise und bewusst auf die Begriffsdefinition verzichtet hat, braucht hier nicht weiter vertieft zu werden. Soweit die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt also selber ein "polizeiliches" Ermittlungsverfahren führt, hat sie als informiert im Sinne der Art. 309 Abs. 1 lit. a und c StPO zu gelten (vgl. auch AGE BES.2014.176 vom 9. März 2015 insb. E. 4.2.3) und hat sie eine Untersuchung zu eröffnen, sobald die darin normierten Voraussetzungen erfüllt sind. Dass dies vorliegend per 10. Juli 2019 der Fall war, wurde vorstehend (Ziff. 3.2) bereits festgehalten und wird nachstehend weiter zu vertiefen sein.


3.7 Dass die Staatsanwaltschaft über das von ihr geführte "polizeiliche" Ermittlungsverfahren stets bestens informiert war, illustriert gerade der vorliegende Fall:


- Am 5. September 2019 wurde der Opferanwältin unter dem Briefkopf "Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt / Kriminalpolizei" und über der Signatur "Staatsanwaltschaft Basel-Stadt / C____ / [...] Kriminalpolizei" unter anderem mitgeteilt, (Ziff. 2) "Das Verfahren befindet sich im Stadium der polizeilichen Ermittlung und wird von der Fachgruppe 5 der Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt geführt (Art. 306 StPO, § 9 EG StPO)"; (Ziff. 3) "Verfahrensleiter des polizeilichen Ermittlungsverfahrens ist Herr Kriminalkommissär D____"; (Ziff. 5) "Weitere Teilnahmerechte sind erst im Stadium der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung vorgesehen (Art. 147 StPO)"; (Ziff. 6) "In diesem Verfahrensstadium kann die Akteneinsicht verweigert werden, was hiermit gemacht wird (Art. 101 StPO)".

- Die E-Mail Anfrage der Opferanwältin vom 11. November 2019 zum Verfahrensstand hat Staatsanwalt C____ selbigentags mit E-Mail beantwortet: "Die polizeiliche Befragung ist noch ausstehend [ ]."

- Die schriftliche Anfrage der Opferanwältin vom 13. November 2019 mit Aufforderung zur Eröffnung des Verfahrens nach Art. 309 StPO sowie mit Ersuchen um eine anfechtbare Verfügung wurde tags darauf wiederum unter dem Briefkopf "Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt / Kriminalpolizei" und über der Signatur "Staatsanwaltschaft Basel-Stadt / C____ / [...] Kriminalpolizei" beantwortet. Sie wurde auf die EG StPO verwiesen, darauf, dass "die Kantone selbständig regeln, welche Tatbestände in die Informationspflicht von Art. 307 StPO fallen", und ihr wurde beschieden, dass ihr "derzeit keine Teilnahmerechte" zustünden, "da sich die Teilnahmerechte gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung an den Regeln zur Akteneinsicht orientieren".

- Das nochmalige Ersuchen der Opferanwältin vom 25. November 2019 um eine anfechtbare Verfügung wurde am 29. November 2019 erneut unter dem Briefkopf "Staatsanwaltschaft des Kantons Basel-Stadt / Kriminalpolizei" beantwortet, diesmal aber unter dem Titel einer Verfügung und insbesondere unter der Signatur "Staatsanwaltschaft Basel-Stadt / C____ / Staatsanwalt [...]".


Wenn nun vorliegend C____ argumentiert, er habe in seiner Eigenschaft als "formelle" Staatsanwaltschaft keine Untersuchung eröffnet, weil die Information im Sinne von Art. 307 Abs. 1 bzw. Art. 309 Abs. 1 lit. a oder c StPO aus dem "polizeilichen" Ermittlungsverfahren - welches er ja als "[...] Kriminalpolizei" der Staatsanwaltschaft ebenfalls selber verantwortet - noch nicht geflossen sein soll, erscheint diese Argumentation absurd: C____ selber bekleidet ja gleichzeitig beide Funktionen in Personalunion und es ist bei der gegebenen Organisation nicht nur grundsätzlich, sondern darüber hinaus auch bei dieser konkreten personellen Besetzung nicht ersichtlich, welchen Informationsflusses es da noch bedürfte. Folglich ist dem gemäss seiner Ausdrucksweise "formellen" Staatsanwalt C____ die Information aus dem "polizeilichen" Ermittlungsverfahren nicht nur aufgrund der besonderen baselstädtischen Organisationsstruktur zuzurechnen, sondern er war tatsächlich stets umfassend informiert und hatte gestützt darauf ein staatsanwaltliches Untersuchungsverfahren zu eröffnen, sobald sich ein hinreichender Tatverdacht ergab (Art. 309 Abs. 1 lit. a StPO), also vorliegend am 10. Juli 2019.


An jenem 10. Juli 2019 fand die Einvernahme des Opfers durch die Jugendanwaltschaft statt. Gleich wie die Kriminalpolizei ist im Übrigen auch die Jugendanwaltschaft im Kanton Basel-Stadt Teil der Staatsanwaltschaft (vorstehend Ziff. 3.5) und das Gesagte gilt auch für sie (vgl. AGE BES.2014.176 vom 19. März 2015 insb.E. 4.2.3).


Schliesslich erscheint auch bemerkenswert, dass der vom [...] Kriminalpolizei und Staatsanwalt [...] C____ bereits im Schreiben vom 5. September 2019 an die Opferanwältin als Leiter des Verfahrens bezeichnete Kriminalkommissär D____ dann auch nachgängig der gemäss Auffassung des Staatsanwalts am 29.November 2019 erfolgten Eröffnung des staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahrens weiter mit der Sache betraut war, indem er etwa am 7. Januar 2020 den Festnahmebefehl gegen den Beschuldigten erliess. Damit erhärtet sich das Ergebnis weiter, dass infolge faktischer Personalunion der mit dem "polizeilichen" Ermittlungsverfahren und dem staatsanwaltlichen Untersuchungsverfahren betrauten Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft die Informationen zum Verfahren bei der Staatsanwaltschaft stets vorhanden waren.


3.8 Wie erwähnt, braucht für den Kanton Basel-Stadt der in Art. 307 Abs. 1 StPO verankerte Begriff "schwere Verbrechen" nicht normiert zu werden, weil diese Bestimmung mit der hiesigen Kompetenzordnung insoweit ohnehin obsolet ist. Nebenbei sei dennoch angemerkt, dass selbst in dem Fall, dass dem Begriff irgendwelche Bedeutung zukäme, dem Staatsanwalt nicht gefolgt werden könnte. Er stellt sich auf den Standpunkt, eine "unverzügliche Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft gemäss Art. 307 Abs. 1 StPO mit den entsprechenden Konsequenzen" sei "nur für Delikte vorgesehen, welche mit Freiheitsstrafe ohne Obergrenze bzw. gemäss Art. 40 StGB von 20 Jahren oder lebenslänglicher Freiheitsstrafe bestraft werden können sowie für andere schwerwiegende Ereignisse, welche definitionsgemäss dann keine Delikte sind [ ]". "Der Tatbestand der Vergewaltigung fällt somit in Basel-Stadt nicht in den Katalog der 'meldepflichtigen' Fälle gemäss Art. 307 Abs. 1 StPO." Nachdem vorliegend fundamentale Verfahrensrechte auf dem Spiel stehen, wäre für eine derart einschränkende Auslegung des Art. 307 StPO eine genügende gesetzliche Grundlage erforderlich. Im vorliegenden Fall ist aber wie ebenfalls bereits dargestellt überhaupt keine Rechtsgrundlage für die vom Staatsanwalt behauptete Auslegung ersichtlich und er selber benennt auch keine solche. Seine im vorliegenden Verfahren als Partei vorgetragene Behauptung einer entsprechenden Praxis genügt dem Legalitätsprinzip nicht. Die Tragweite des Begriffs "schwere Verbrechen" wäre also auf dem Auslegungsweg zu ermitteln, wobei durchaus die Botschaft des Bundesrats als Ausgangspunkt dienen könnte, worauf immerhin die Monographie "Das Polizeiliche Ermittlungsverfahren" des Autorentrios Albertini/Fehr/Voser (Polizeiliche Ermittlung, Zürich etc. 2008) referenziert. Bemerkenswerterweise war einer der drei Herausgeber und zugleich einer der Autoren (Voser) bis Ende Mai 2017 baselstädtischer Staatsanwalt und Chef der Kriminalpolizei. Auf S. 557 des Werkes findet sich als Zitat aus der Botschaft, dass unter den Begriff der "schweren Verbrechen" auf jeden Fall auch Vergewaltigungen fallen (vgl. auch Landshut/Bosshard, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, a.a.O., Art. 307 N 7; Omlin, in: Basler Kommentar, a.a.O., Art. 309 StPO N 39). Das Thema braucht aber, wie dargestellt, nicht weiter vertieft zu werden, weil in Basel-Stadt aufgrund der vom Gesetzgeber so gewollten Behördenorganisation die Staatsanwaltschaft ohnehin umfassend über die "polizeilichen" Ermittlungsverfahren orientiert ist, da sie sie selber führt.


4.

4.1 Die Eröffnung des staatsanwaltlichen Untersuchungsverfahrens ist Ausfluss des Verfolgungszwangs im Sinn von Art. 7 StPO (Riedo/Fiolka, in: Basler Kommentar zur StPO, a.a.O., Art. 7 N 1). Werden polizeiliche Ermittlungen vorgenommen, obschon die Untersuchung bereits hätte eröffnet werden müssen, kann es zur Missachtung von Parteirechten kommen. Die Einleitung der Strafuntersuchung hat Auswirkungen auf die Rechtsstellung der Verfahrensbeteiligten. Die Verfahrenseröffnung stellt die Schwelle dar, mit derer Überschreiten die Parteirechte ihre vollständige Ausprägung erlangen, d.h. Akteneinsichtsrecht gemäss Art. 101, Teilnahmerechte bei Beweiserhebungen gemäss Art. 147. Die Teilnahmerechte gemäss Art. 147 StPO gelten im polizeilichen Ermittlungsverfahren nicht. Die im schweizerischen Recht verankerte formelle Eröffnung ist aufgrund der ihr zukommenden Wirkung aus rechtsstaatlicher Sicht eine elementare Prozesshandlung. Mit der klaren Zäsur zwischen Ermittlungs- und Untersuchungsverfahren soll auch die Gefahr, dass eine starke Verlagerung der eigentlichen Strafuntersuchung in die Phase des Ermittlungsverfahrens stattfindet, begegnet werden (Landshut/Bosshard, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, a.a.O., Art. 309 N. 2a, 3).


Gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO haben die Parteien das Recht, bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte anwesend zu sein und einvernommenen Personen Fragen zu stellen. Laut Abs. 3 dieser Bestimmung können die Partei oder ihr Rechtsbeistand die Wiederholung der Beweiserhebung verlangen, wenn der Rechtsbeistand oder die Partei ohne Rechtsbeistand aus zwingenden Gründen an der Teilnahme verhindert waren. Auf eine Wiederholung kann verzichtet werden, wenn sie mit unverhältnismässigem Aufwand verbunden wäre und dem Anspruch der Partei auf rechtliches Gehör, insbesondere dem Recht, Fragen zu stellen, auf andere Weise Rechnung getragen werden kann. Laut Abs. 4 dieser Bestimmung dürfen Beweise, die in Verletzung dieser Bestimmungen erhoben worden sind, nicht zulasten der Partei verwertet werden, die nicht anwesend war.


Auch bei der Einzeleinvernahme gemäss Art. 146 Abs. 1 StPO gilt der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit (Donatsch/Hansjakob/Lieber, a.a.O., Art. 146 N 2 StPO). Laut Art.101 Abs. 1 StPO können die Parteien spätestens nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise durch die Staatsanwaltschaft die Akten des Strafverfahrens einsehen, dies unter Vorbehalt von Art. 108 StPO. Die Staatsanwaltschaft macht nun geltend, sie könne auch in Verfahren ohne Mitbeschuldigte die Teilnahmerechte der Parteien beschränken und stützt sich dabei auf das Bundesgerichtsurteil BGer 6B_256/2017 vom 13. September 2018. Darin hat das Bundesgericht zunächst seine Praxis zum Thema zusammengefasst: "1.2.1. Das Bundesgericht hat sich im Grundsatzentscheid 139 IV 25 umfassend mit der Tragweite sowie allfälligen Beschränkungen des in Art. 147 StPO garantierten Teilnahmerechts bei Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft und die Gerichte auseinandergesetzt. Es hat unter Heranziehung der Botschaft und in Übereinstimmung mit der herrschenden Lehre festgehalten, dass im Untersuchungs- und Hauptverfahren gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO der Grundsatz der Parteiöffentlichkeit bei Beweiserhebungen durch Staatsanwaltschaft und Gerichte umfassend zur Anwendung gelangt. Auch bei Einvernahmen, die die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft durchführt, stehen den Verfahrensbeteiligten die Verfahrensrechte zu, die ihnen bei Einvernahmen durch die Staatsanwaltschaft zukommen (Art. 312 Abs. 2 StPO). Beweise, die in Verletzung dieser Bestimmung erhoben worden sind, dürfen gemäss Art. 147 Abs. 4 StPO nicht zulasten der Partei verwertet werden, die nicht anwesend war (Botschaft vom 21. Dezember 2005 zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts, BBl 2006 1187 Ziff. 2.4.1.3; BGE 139 IV 25 E. 4.2 S.29 f.). Im Hinblick auf allfällige Einschränkungen der ab dem Zeitpunkt der Durchführung der Untersuchung durch die Staatsanwaltschaft grundsätzlich umfassend gewährten Parteirechte hat das Bundesgericht klargestellt, dass der Gesetzgeber gegenüber der früheren Rechtslage das Teilnahme- und Fragerecht der Parteien, namentlich der beschuldigten Person, bei Beweiserhebungen als Ausgleich zu der in der schweizerischen StPO geschaffenen dominanten Stellung der Staatsanwaltschaft als Herrin des Vorverfahrens und der eingeschränkten Abnahme von (im Vorverfahren ordnungsgemäss erhobenen) Beweisen durch die erkennenden Gerichte bewusst gestärkt und ausgeweitet hat. Einschränkungen der Parteirechte (insbesondere des in Art. 147 Abs. 1 StPO konkretisierten Anspruchs auf rechtliches Gehör) bedürfen einer ausreichend klaren gesetzlichen Grundlage und müssen verhältnismässig sein, weshalb sie nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen der Art. 108, Art.146 Abs. 4 und Art. 149 Abs. 2 lit. b StPO vorläufig eingeschränkt werden können. Ausnahmen von der Parteiöffentlichkeit und damit einhergehende Beschränkungen der Teilnahmerechte sind zurückhaltend und unter Beachtung des Verhältnismässigkeitsgrundsatzes anzuwenden (vgl. BBl 2006 1164 Ziff. 2.4.1.4; BGE 139 IV 25 E. 5.3). Das Bundesgericht hat betont, dass die nach kantonalem Verfahrensrecht häufig vorgesehene blosse Möglichkeit einer abstrakten 'Gefährdung des Verfahrensinteresses' durch rechtmässiges prozesstaktisches Verhalten der Parteien und insbesondere beschuldigter Personen nach der Konzeption der StPO für sich allein nicht mehr genüge, 'um das rechtliche Gehör vor allem in der Anfangsphase des Vorverfahrens einzuschränken' (BGE 139 IV 25 E. 5.2.2 und 5.5.4.1; vgl. auch BBl 2006 1164 Ziff. 2.4.1.4). Das Bundesgericht hatte sich in BGE 139 IV 25 zudem mit der Frage einer möglichen Beschränkung des nach Art. 147 Abs. 1 StPO gewährten Teilnahme- und Fragerechts bei mehreren Mitbeschuldigten und der in diesem Zusammenhang von Strafverfolgungsbehörden und einem Teil der Lehre geäusserten Kritik, die gesetzliche Regelung von Art. 147 StPO könne in Kollektivfällen zu Effizienzverlusten der Strafuntersuchung und zu gewissen prozessualen Ungleichbehandlungen von Mitbeschuldigten führen, zu befassen. Es stellte klar, dass das Teilnahme- und Fragerecht nach Art. 147 Abs. 1 StPO von der Gegenüberstellung im Sinne von Art. 146 Abs. 2 StPO als Ausnahme vom Grundsatz der getrennten Einvernahmen zu unterscheiden ist. Die beschuldigte Person kann als Partei im gegen sie geführten Strafverfahren gestützt auf Art. 147 Abs. 1 StPO grundsätzlich an sämtlichen Beweiserhebungen teilnehmen. Das Teilnahme- und Fragerecht gilt auch für Einvernahmen von im gleichen Verfahren mitbeschuldigten Personen und wird nicht durch Art. 146 StPO betreffend getrennte Einvernahmen und Gegenüberstellung eingeschränkt. Das Bundesgericht hat die im Leitentscheid 139 IV 25 aufgestellten Grundsätze mehrmals bestätigt (BGE 143 IV 457 E. 1.6.1, 397 E. 3.3.2; 141 IV 220 E. 4.3; 140 IV 172 E.1.2.1)."


"1.2.2. Das Bundesgericht wies in BGE 139 IV 25 zudem darauf hin, dass eine Kohärenz zwischen den inhaltlich konnexen Bestimmungen betreffend Akteneinsicht und Teilnahme an Beweiserhebungen anzustreben ist. Im Anfangsstadium der Untersuchung ist deshalb bei der Auslegung von Art. 147 StPO auch der sachlich eng damit zusammenhängenden Bestimmung von Art. 101 Abs. 1 StPO betreffend Akteneinsicht Rechnung zu tragen, wonach die Parteien spätestens nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der übrigen wichtigsten Beweise durch die Staatsanwaltschaft die Akten des Strafverfahrens einsehen können; Art.108 StPO bleibt vorbehalten (BGE 139 IV 25 E. 5.5.2). Es liess die von ihm aufgeworfene Frage, ob die Staatsanwaltschaft in teleologischer Reduktion von Art. 147 Abs. 1 StPO und in analoger Anwendung von Art. 101 Abs. 1 StPO im Einzelfall bei Vorliegen sachlicher Gründe, namentlich einer konkreten Kollusionsgefahr aufgrund noch nicht erfolgter Vorhalte bei Mitbeschuldigten, eine vorläufige Beschränkung der Parteiöffentlichkeit prüfen kann, explizit offen. Die blosse Möglichkeit einer abstrakten Gefährdung des Verfahrensinteresses durch rechtmässiges prozesstaktisches Verhalten rechtfertigt hingegen noch keinen Ausschluss von der Einvernahme (BGE 139 IV 25 E. 5.5.4 ff. mit Hinweisen; vgl. auch: BGE 141 IV 220 E. 4.4)."


Unter Ziff. 2. hat das Bundesgericht erwogen: "2.1. Die Einvernahme des Privatklägers als Auskunftsperson hat nach den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz stattgefunden, als die Untersuchung bereits von der Beschwerdegegnerin geführt wurde. Das Bundesgericht bestätigt seine bisherige Rechtsprechung, dass die Strafuntersuchung als eröffnet gilt, sobald sich die Staatsanwaltschaft mit dem Straffall befasst und selber erste Untersuchungshandlungen vornimmt. Der in Art. 309 Abs. 3 StPO erwähnten Eröffnungsverfügung kommt lediglich deklaratorische Wirkung zu (BGE 143 IV 397 E. 3.4.2; 141 IV 20 E. 1.1.4; je mit Hinweisen). Die Strafuntersuchung wurde im vorliegenden Verfahren aufgrund der von der Beschwerdegegnerin angeordneten Zwangsmassnahmen (vgl. Art. 196 - Art. 298d StPO) in Form der am 22. April 2014 an das Universitätsspital Basel erlassenen 'Editionsverfügung' gemäss Art. 265 StPO eröffnet. Dass die Beschwerdegegnerin die Verfahrenseröffnung formell erst am 20. Oktober 2014, mithin mehr als zwei Monate nach der vorläufigen Festnahme des Beschwerdeführers verfügte, ändert an der faktischen Verfahrenseröffnung nichts."


"2.2.1. Die in BGE 139 IV 25 in Erwägung gezogene Möglichkeit einer Beschränkung der Teilnahmerechte bei Ersteinvernahmen von Mitbeschuldigten in analoger Anwendung von Art. 101 Abs. 1 StPO im Anfangsstadium der strafrechtlichen Untersuchung hat sich in der Praxis mittlerweile faktisch etabliert; hieran ist festzuhalten. Die von der Rechtsprechung aus Art. 101 Abs. 1 StPO abgeleitete analoge Beschränkung der Teilnahmerechte der beschuldigten Person bis zu deren erster Einvernahme ist zudem nicht auf Verfahren mit mehreren beschuldigten Personen beschränkt. Die Staatsanwaltschaft kann demnach das den Parteien nach Eröffnung der staatsanwaltlichen Untersuchung gemäss Art. 147 Abs. 1 StPO umfassende Teilnahme- und Mitwirkungsrecht an Beweiserhebungen nicht nur unter den gesetzlichen Voraussetzungen der Art. 108 Abs. 1, Art. 146 Abs. 4 oder Art. 149 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO beschränken, sondern in analoger Anwendung der Grundsätze von Art. 101 Abs. 1 StPO im Einzelfall prüfen, ob sachliche Gründe für eine vorläufige Beschränkung der Parteiöffentlichkeit bestehen."


"2.2.2. Ob das nach Art. 147 Abs. 1 StPO garantierte Teilnahme- und Fragerecht in analoger Anwendung unter den Voraussetzungen von Art. 101 Abs. StPO vorübergehend zu beschränken ist, entscheidet die Verfahrensleitung (vgl. Art. 102 Abs. 1 StPO entsprechend). Bei ihrem Entscheid hat sie, wie bei den gesetzlich ausdrücklich geregelten Eingriffsmöglichkeiten nach Art. 108 Abs. 1, Art. 146 Abs. 4 oder Art.149 Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 107 Abs. 1 lit. b StPO, dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit (vgl. BGE 139 IV 25 E. 5.3) und der gesetzlichen Grundkonzeption der StPO mit gegenüber der früheren Rechtslage gestärkten Partei- und Teilnahmerechten Rechnung zu tragen (vgl. BGE 141 IV 220 E. 4.3.1 f.; 139 IV 25 E. 5.3; je mit zahlreichen Hinweisen). Das durch den Gesetzgeber angestrebte Gleichgewicht zwischen den Parteien ist zu wahren. Einschränkungen der Teilnahmerechte sind nur aus sachlichen Gründen und zurückhaltend vorzunehmen, zumal der in älteren Strafprozessordnungen häufig erst nach Abschluss der Untersuchung gewährte Anspruch auf Akteneinsicht nach Auffassung des Gesetzgebers nicht mehr im Einklang mit einer zeitgemässen Auffassung über die Verfahrensrechte der Parteien steht. Beschränkungen der Teilnahmerechte bei Beweiserhebungen erfordern - wie beim Akteneinsichtsrecht auch - regelmässig erneute Beweiserhebungen, was gerade bei Einvernahmen sowohl der Prozessökonomie als auch dem Opferschutz entgegensteht (BBl 2006 1161 Ziff. 2.2.8.9). Die Ermittlung der materiellen Wahrheit ist nur mit Beweismitteln möglich, die rechtlich zulässig sind, d.h. die prozessual ordnungsgemäss erhoben wurden (vgl. Art. 139 Abs. 1, Art. 147 Abs. 1 und 4 StPO). Eine Beschränkung der Teilnahmerechte kann namentlich verfügt werden, wenn im Hinblick auf noch nicht erfolgte Vorhalte eine konkrete Kollusionsgefahr gegeben und dadurch der Untersuchungszweck gefährdet ist. Hingegen rechtfertigt die blosse Möglichkeit einer abstrakten 'Gefährdung des Verfahrensinteresses' durch rechtmässiges prozesstaktisches Verhalten nach dem Willen des Gesetzesgebers und der bundesgerichtlichen Rechtsprechung noch keinen Ausschluss von Beweiserhebungen (vgl. BBl 2006 1161, 1164 Ziff. 2.2.8.9; BGE 139 IV 25 E. 5.5.4.1)."


4.2 Der Staatsanwalt gibt sich in seiner Vernehmlassung "erstaunt, dass die Beschwerde gegen die Verfügung vom 29. November 2019 ergriffen wurde, werden darin die Anträge der Beschwerdeführerin doch gutgeheissen."


Die Verfügung hat folgenden Wortlaut: "Die Akteneinsicht der Privatklägerschaft wird bewilligt und die Teilnahmerechte werden gewährt, sobald der Verfahrensstand die gesetzlichen Voraussetzungen von Art. 101 StPO erfüllt (namentlich nach der ersten staatsanwaltschaftlichen Einvernahme der beschuldigten Person und der Erhebung der wichtigsten Beweise)." Ungeachtet der spitzfindigen Wortklauberei hat der Staatsanwalt der Opferanwältin damit und bis dato die ihr in diesem Verfahrensstadium grundsätzlich zustehende Akteneinsicht und die Teilnahmerechte gemäss Art.147 StPO verweigert. Wenn die Opferanwältin aus jener Formulierung schliesst, das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren sei noch gar nicht eröffnet, so ist dies nachvollziehbar, zumal eine Eröffnung des staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahrens aus der Verfügung nicht hervorgeht (vgl. vorstehend Ziff. 3.3).


Zu prüfen ist somit, ob für die Beschränkung der Akteneinsicht und der Parteirechte gemäss Art. 147 StPO sachliche Gründe vorliegen, ob die Einschränkung verhältnismässig ist, ob der gesetzlichen Grundkonzeption der StPO mit gegenüber der früheren Rechtslage gestärkten Partei- und Teilnahmerechten, also einer zeitgemässen Auffassung von Parteirechten und insbesondere dem Opferschutz Rechnung getragen wird. Der in der genannten Verfügung selektiv (es fehlt ausgerechnet das im vorliegenden Zusammenhang bedeutsame Wort "spätestens") zitierte Gesetzeswortlaut des Art. 101 StPO stellt für sich allein keine genügende Begründung für die vorliegende Einschränkung der Parteirechte dar.


4.3 Gemäss der vorstehend zitierten, von der Staatsanwaltschaft aufgestellten Chronologie des Verfahrens hatte die Opferanwältin namentlich keine Akteneinsicht und keine Gelegenheit zur Teilnahme an den nach der Befragung des Opfers vorgenommenen Untersuchungshandlungen der Staatsanwaltschaft (insbesondere an der Einvernahme des Beschuldigten).


Zunächst ist davon auszugehen, dass entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft keine Beeinflussung des Anzeige stellenden Opfers zu befürchten steht (anders als etwa in AGE BES.2015.13/15 vom 26. Mai 2015), da dessen ausführliche Videoeinvernahme bereits am 10. Juli 2019 stattgefunden hat und seit diesem Datum keine Gefahr mehr besteht, dass es die Aussagen an (vom Beschuldigten) Gehörtes anpassen könnte. Mitbeschuldigte sind keine einzuvernehmen und Einschränkungen des rechtlichen Gehörs im Sinne von Art. 108 StPO sind nicht ersichtlich. Vorliegend ist das Opfer aufgrund seines Alters ein Kind und gelten die Grundsätze gemäss Art.154 ff. StPO, so namentlich, dass im ganzen Verfahren nicht mehr als zwei Einvernahmen erfolgen sollen (Art. 154 Abs. 4 StPO) und Konfrontationseinvernahmen stark eingeschränkt sind. Die Argumentation der Staatsanwaltschaft, dass die Akteneinsicht auch deshalb zu unterbleiben habe, weil zuerst noch andere wichtige Beweise erhoben werden müssten, zu welchen vor allem eine zweite teilnahmeberechtigte Befragung des Opfers zähle (S. 4 der Vernehmlassung), zielt somit ins Leere. Eine zweite Befragung mit Teilnahmerecht wird damit wohl erst anlässlich der erstinstanzlichen Hauptverhandlung stattfinden. Art. 154 Abs. 5 StPO sieht zwar eine zweite (staatsanwaltschaftliche) Einvernahme ausnahmsweise vor, allerdings nur, wenn dies im Interesse der Ermittlungen unumgänglich ist. Ein solches Interesse ist nach Auswertung der Chats, insbesondere jenes vom 20. Juni 2019, 11:54 Uhr, wohl zu verneinen, da sich aus diesem durchaus ein Eingeständnis seitens des Beanzeigten ableiten lässt, so dass eine indirekte Konfrontation mit der Möglichkeit, Ergänzungsfragen zu stellen, ohne weiteres im Rahmen der erstinstanzlichen Hauptverhandlung wird stattfinden können. Dass der Beanzeigte anlässlich seiner ersten Befragung von seinem früheren, in den Chats angedeuteten Eingeständnis abgewichen ist, wird das dannzumal zuständige Sachgericht zu würdigen haben.


Sachliche Gründe für die Verweigerung der Akteneinsicht und der Teilnahmerechte liegen somit nicht vor, und insbesondere der Opferschutz steht solcher Verweigerung klar entgegen. Zumindest der Opfervertreterin hätte die Teilnahme an der Befragung des Beschuldigten zugestanden und es hätte ihr Akteneinsicht gewährt werden müssen. Wie sich vorstehend ergeben hat, bestand seit der Befragung des Opfers am 10. Juli 2019 Anlass, das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren gestützt auf Art. 309 StPO zu eröffnen, und damit standen der Opfervertreterin die Akteneinsichts- und Teilnahmereche ebenfalls ab jenem Zeitpunkt zu. Bis heute hat ihr der Staatsanwalt diese Rechte nicht gewährt.


Laut Staatsanwaltschaft steht nun der Abschluss des Vorverfahrens bevor. Das bedeutet im Ergebnis, dass der Opferanwältin während des gesamten staatsanwaltschaftlichen Untersuchungsverfahrens keine Akteneinsicht und keine Teilnahmerechte gewährt worden sind. Das ist mit einer zeitgemässen Auffassung von Parteirechten nicht vereinbar.


4.4 Die mit der Beschwerde angefochtene Verfügung vom 29. November 2019 hat sich bis hierhin als mehrfach missverständlich und falsch erwiesen. Sie ist daher antragsgemäss aufzuheben. Die Staatsanwaltschaft ist in sinngemässer Gutheissung von Ziff. 3 der Anträge zwar nicht anzuweisen, das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren im Verfahren VT.2019.1491 zu eröffnen, aber immerhin auf ihrer Auffassung zu behaften, dass dieses eröffnet ist. Laut Angaben der Staatsanwaltschaft steht der Abschluss des Vorverfahrens bevor, sodass insofern von einer Abmahnung der Staatsanwaltschaft in zeitlicher Hinsicht abzusehen ist. Der Antrag Ziff.2 auf Feststellung einer Rechtsverweigerung/Rechtsverzögerung ist im von der Beschwerdeführerin gerügten Sinn gutzuheissen und es ist die Verletzung der Akteneinsichts- und Teilnahmerechte der Beschwerdeführerin festzustellen.


5.

Ungeachtet dieser teilweise Umformulierungen der Anträge im Dispositiv dringt die Beschwerdeführerin in der Sache weitestgehend durch. Die Staatsanwaltschaft hat somit die Kosten des Verfahrens zu tragen und die Beschwerdeführerin angemessen zu entschädigen. Von der Erhebung von Kosten ist abzusehen. Da die Staatsanwaltschaft (noch) keine unentgeltliche Rechtspflege bewilligt hat, berechnet sich die Parteientschädigung nach dem Überwälzungstarif von CHF 250.-. Da keine Kostennote der Rechtsvertreterin aufliegt, wird der angemessene Aufwand praxisgemäss geschätzt. Für die Beschwerdeschrift und die Replik ist von knapp 10 Stunden angemessenem Aufwand auszugehen und die Entschädigung ist auf CHF 2'500.- (einschliesslich Auslagen) festzulegen, zuzüglich 7,7 % MWST.



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):


://: In Gutheissung der Beschwerde wird die Verfügung der Staatsanwaltschaft vom 29. November 2019 aufgehoben.


Die Staatsanwaltschaft wird darauf behaftet, dass das staatsanwaltschaftliche Untersuchungsverfahren im Verfahren VT.2019.1491 eröffnet ist.


Es wird festgestellt, dass die Staatsanwaltschaft die Akteneinsichts- und Teilnahmerechte der Beschwerdeführerin verletzt hat.


Es werden keine Kosten erhoben.


Die Staatsanwaltschaft hat die Beschwerdeführerin mit CHF 2'500.- (einschliesslich Auslagen) zzgl. 7,7 % MWST zu CHF 192.50, somit total CHF2'692.50 zu entschädigen.


Mitteilung an:

- Beschwerdeführerin

- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt

- Beschuldigter


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Die Präsidentin Der Gerichtsschreiber

lic. iur. Liselotte Henz Dr. Peter Bucher

Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.


Die amtliche Verteidigung und die unentgeltliche Vertretung der Privatklägerschaft können gegen einen allfälligen Entscheid betreffend ihre Entschädigung für das zweitinstanzliche Verfahren gemäss Art. 135 Abs. 3 lit. b der Strafprozessordnung (StPO) innert 10 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde beim Bundesstrafgericht (Viale Stefano Franscini 7, Postfach 2720, 6501 Bellinzona) erheben (vgl. dazu Urteil des Bundesgerichts 6B_360/2014 vom 30. Oktober 2014).



Wollen Sie werbefrei und mehr Einträge sehen? Hier geht es zur Registrierung.

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.

SWISSRIGHTS verwendet Cookies, um Inhalte und Anzeigen zu personalisieren, Funktionen für soziale Medien anbieten zu können und die Zugriffe auf der Website analysieren zu können. Weitere Informationen finden Sie hier: Datenschutz