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Urteil Appellationsgericht (BS)

Kopfdaten
Kanton:BS
Fallnummer:BES.2018.193 (AG.2019.483)
Instanz:Appellationsgericht
Abteilung:
Appellationsgericht Entscheid BES.2018.193 (AG.2019.483) vom 25.06.2019 (BS)
Datum:25.06.2019
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 113 StPO ; Art. 197 StPO ; Art. 206 StPO ; Art. 207 StPO ; Art. 255 StPO ; Art. 260 StPO ; Art. 382 StPO ; Art. 387 StPO ; Art. 393 StPO ; Art. 396 StPO ; Art. 42 BGG ; Art. 48 BGG ; Art. 60 StPO ;
Referenz BGE:136 I 87; 141 IV 87; 144 IV 127;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Appellationsgericht

des Kantons Basel-Stadt

Einzelgericht



BES.2018.193


ENTSCHEID


vom 25. Juni 2019



Mitwirkende


lic. iur. Christian Hoenen

und Gerichtsschreiber Dr. Nicola Inglese




Beteiligte


A____ Beschwerdeführer

[...] Beschuldigter

vertreten durch [...], Advokat,

[...]


gegen

Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Beschwerdegegnerin

Binningerstrasse 21, 4001 Basel


Gegenstand


Beschwerde gegen eine Verfügung der Staatsanwaltschaft

vom 6. November 2018


betreffend Vorladung zur erkennungsdienstlichen Behandlung


Sachverhalt


Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt führt gegen A____ gestützt auf die Anzeige einer ehemaligen Praktikantin vom 23. Mai 2018 ein Strafverfahren wegensexuellerBelästigungen. In diesem Zusammenhang erhielt A____ am 6. November 2018 eine schriftliche Vorladung für eine erkennungsdienstliche Behandlung.


Mit Eingabe vom 11. November 2018 hat [...], Advokat, namens A____ (Beschwerdeführer) dagegen Beschwerde erhoben mit dem Antrag, es sei die Vorladung vom 6. November 2018 zur erkennungsdienstlichen Behandlung kostenfällig aufzuheben. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wurde u.a. beantragt, dass der Beschwerde die aufschiebende Wirkung zuzuerkennen und deshalb die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt, Kriminalpolizei, superprovisorisch und damit sofort anzuweisen sei, den Beschwerdeführer während der Dauer des Beschwerdeverfahrens keiner erkennungsdienstlichen Behandlung oder Abnahme eines Wangenschleimhautabstrichs (WSA) zu unterwerfen. Mit instruktionsrichterlicher Verfügung vom 12. November 2018 wurde dem Verfahrensantrag entsprochen. Mit Eingabe vom 31. Dezember 2018 beantragt die Staatsanwaltschaft, dass auf die Beschwerde nicht einzutreten sei, eventualiter sei sie abzuweisen. Der Beschwerdeführer lässt mit Replik vom 1.Februar 2019 an den Anträgen seiner Beschwerde festhalten und die Honorarnote seines Rechtsvertreters einreichen. Die Einzelheiten der Parteistandpunkte ergeben sich, soweit sie für den Entscheid von Bedeutung sind, aus den nachfolgenden Erwägungen.



Erwägungen


1.

1.1 Streitig ist in formeller Hinsicht, ob und inwiefern ein beschwerdefähiges Anfechtungsobjekt besteht und auf die Beschwerde einzutreten ist.


1.1.1 Die Staatsanwaltschaft macht im Wesentlichen geltend, dass die angefochtene Verfügung eine polizeiliche Vorladung sei und noch keine von der Staatsanwaltschaft verfügte hoheitliche Zwangsmassnahme zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorliege. Letztere sei erst nach dem Vollzug anfechtbar, und die polizeiliche Vorladung sei mangels Zwangscharakters nicht beschwerdefähig. Zwangsmassnahmen sollten als Verfahrenshandlungen angesehen werden, welche erst nach dem Vollzug mit Beschwerde anfechtbar seien. Demgegenüber stellt sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, dass die angefochtene Vorladung eine individuelle Anordnung darstelle. Sie enthalte die Androhung der Vorladung, welche auf zwei erzwingbare Rechtswirkungen, das Erscheinen sowie die erkennungsdienstliche Behandlung, gerichtet sei. Die angefochtene Vorladung sei als von der Staatsanwaltschaft angeordnet zu betrachten, andernfalls sie mangels Zuständigkeit der unterzeichnenden Kriminalpolizei nichtig wäre.


1.1.2 Gemäss Art. 393 Abs. 1 lit. a der Schweizerischen Strafprozessordnung (StPO, SR 312.0) unterliegen Verfügungen und Verfahrenshandlungen der Polizei, Staatsanwaltschaft und Übertretungsstrafbehörden der Beschwerde an die Beschwerdeinstanz. Zur Beschwerdelegitimation wird vorausgesetzt, dass der Betroffene von dieser unmittelbar berührt ist und ein rechtlich geschütztes Interesse an ihrer Änderung hat (Art. 382 Abs. 1 StPO).


1.1.3

1.1.3.1 Aus den Akten erhellt, dass der Beschuldigte mit Schreiben vom 6.November 2018 unter Anführung des Grunds der erkennungsdienstlichen Erfassung vorgeladen wurde. In der Rechtsmittelbelehrung der Vorladung wird auf Art. 205, 206, 316 und 355 StPO und damit auf die Ordnungsbusse und die polizeiliche Vorführung im Säumnisfall hingewiesen. Diesbezüglich ist festzuhalten, dass bereits mit der Vorladung eine anfechtbare Beschwer besteht, da diese auf ein Erscheinen und allenfalls auch auf weitere Massnahmen - und somit auf die Grundrechte tangierende staatliche Eingriffe - abzielt und im Säumnisfall ein Nachteil droht (vgl. Guidon, Die Beschwerde gemäss Schweizerischer Strafprozessordnung, Diss., Zürich 2011, N106, Keller, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur StPO, 2.Auflage, Zürich 2014, Art.393 N15; BStGer BB.2006.56 vom 23.Oktober 2006 E.1.1f.). Obwohl die Vorladungen teilweise formal als blosse "Bitte" erscheinen, tritt der Staat auch hier hoheitlich auf und besteht eine Pflicht zur faktischen Kooperation, muss der Adressat der polizeilichen Vorladung bei Nichtbefolgen mit einer zwangsweisen Vollstreckung rechnen (vgl. im Kontext von Bankeditionen Isenring/Kessler, Strafprozessuale "Bank-Editionen": Die Rechtlosigkeit des Kontoinhabers und der beschuldigten Person, in: AJP 2012, S. 322, 324). Die Druck- bzw. Zwangssituation besteht umso mehr, als die Rechtsfolgen der Säumnis schriftlich angedroht werden. Vorladungen sind in der StPO systematisch unter dem 5. Titel geregelt und gelten denn auch gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung als Zwangsmassnahmen (BGer 6B_912/2013 vom 4. November 2014 E. 1.1.4). Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft wird insofern auch im Schrifttum zu Recht darauf aufmerksam gemacht, dass polizeiliche Vorladungen gemäss Art.206 StPO, und nicht erst die polizeiliche Vorführung nach Art. 207 StPO, im Säumnisfall beschwerdefähig sind (Guidon, in: Basler Kommentar, 2. Auflage 2014, Art. 393 StPO N 8; Rüegger, in: Basler Kommentar, 2. Auflage 2014, Art. 206 StPO N 7; Weder, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur StPO, 2.Auflage, Zürich 2014, Art. 201 N 56 und 206 N 15). Vorliegend wurde gegenüber dem Beschwerdeführer mit der Vorladung das Erscheinen zur erkennungsdienstlichen Behandlung angeordnet und ein Nachteil im Säumnisfall angedroht, womit in Bezug auf die Vorladung ein beschwerdefähiges Anfechtungsobjekt besteht. Damit ist jedoch noch nicht gesagt, dass die Vorladung im Rahmen einer Beschwerde per se auch unter allen erdenklichen Aspekten - namentlich etwa im Hinblick auf die Rechtmässigkeit ihres Grunds - überprüft werden kann.


1.1.3.2 Die Beschwerde richtet sich inhaltlich primär gegen die Anordnung der erkennungsdienstlichen Erfassung und nicht gegen die Regelung der Modalitäten. Fraglich ist, ob auch diesbezüglich ein Anfechtungsobjekt besteht.


Die Polizei, die Staatsanwaltschaft und die Gerichte, in dringenden Fällen ihre Verfahrensleitung, können die erkennungsdienstliche Erfassung anordnen (Art. 260 Abs.2 StPO). Diese wird in einem schriftlichen, kurz begründeten Befehl angeordnet. In dringenden Fällen kann sie mündlich angeordnet werden, ist aber nachträglich schriftlich zu bestätigen und zu begründen (Art. 260 Abs. 3 StPO). Es ist aktenkundig, dass ein vom Kriminalkommissär unterzeichneter und mit Rechtsmittelbelehrung versehener Befehl vom 29. Oktober 2018 betreffend die erkennungsdienstliche Erfassung (Feststellung Körpermerkmale und Herstellung Abdrücke von Körperteilen) am 5. November 2018 von der Polizei mündlich eröffnet wurde. Dieser Befehl, welcher dem Beschwerdeführer offenbar nachträglich nicht ausgehändigt wurde, ist in den Akten in schriftlicher Form abgelegt und enthält eine Rechtsmittelbelehrung betreffend die Beschwerde sowie den Hinweis, dass die Massnahme im Auftrag der Staatsanwaltschaft erfolgt.


Im Schrifttum findet sich die Auffassung, dass bereits die polizeilich angeordnete erkennungsdienstliche Erfassung der Beschwerde zugänglich sei. Handelt die Polizei im Auftrag der Staatsanwaltschaft, sei eine erneute Anordnung jedenfalls nicht notwendig (Werlen, in: Basler Kommentar, 2.Auflage 2014, Art.260 StPO N7). Diese Ansicht braucht hier nicht abschliessend erörtert zu werden. Unbestritten und aktenkundig ist nämlich, dass der Beschwerdeführer sich der erkennungsdienstlichen Behandlung widersetzte. Wie dieser replicando zutreffend anführt, hält Art. 260 Abs. 4 StPO fest, dass im Falle der Weigerung, sich der Anordnung zur erkennungsdienstlichen Erfassung der Polizei zu unterziehen, die Staatsanwaltschaft zu entscheiden hat. In der Aktennotiz vom 5. November 2018 ist diesbezüglich festgehalten, dass der fallführende Staatsanwalt vor der Befragung des Beschuldigten angab, dass die Anordnung sicher durchgeführt werden solle. Die erkennungsdienstliche Erfassung hätte gegenüber dem Beschuldigten demnach in der Folge grundsätzlich auch direkt vollzogen werden können.


Gemäss Art. 387 StPO kommt der Beschwerde dem Grundsatz nach keine aufschiebende Wirkung zu und hat sich die beschuldigte Person grundsätzlich den gesetzlich vorgesehenen Zwangsmassnahmen zu unterziehen (Art. 113 Abs. 1 StPO). Strafprozessuale Verfügungen und Verfahrenshandlungen bleiben damit nach der Erhebung des Rechtsmittels vollstreckbar, sofern im Sinne von Art. 387 StPO die Verfahrensleitung oder die Rechtsmittelinstanz nicht etwas anderes anordnen oder abweichende gesetzliche Bestimmungen vorliegen. Der Vollzug der streitgegenständlichen erkennungsdienstlichen Erfassung wurde aber nach telefonischer Rücksprache mit der Staatsanwaltschaft aufgeschoben, und es sollte mit der Vorladung hierfür ein neuer Termin angeordnet werden (vgl. die Aktennotizen vom 5.und 6. November 2018). Mit Schreiben vom 6.November 2018 wurde der Beschuldigte denn auch unter Angabe des Grunds der erkennungsdienstlichen Erfassung zum Vollzug neu vorgeladen. Diese Vorladung ist von der Detektiv-Korporalin unterzeichnet worden, auf dem Briefkopf ist aber die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt angeführt. Zwar ist nicht ersichtlich, ob mit der Vorladung vom 6. November 2018 auch der schriftliche Befehl zur erkennungsdienstlichen Erfassung nochmals zugestellt wurde, was vorliegend aber für die Frage der Anfechtbarkeit nicht entscheidend ist. Wenn die Staatsanwaltschaft den Befehl am 5.und 6. November 2018 angeordnet bzw. abgesegnet hat, kann sie sich nicht darauf berufen, sie habe sich mit dem Befehl erstmals im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens auseinandergesetzt und die im Rahmen des polizeilichen Ermittlungsverfahrens verfügte erkennungsdienstlichen Erfassung noch nicht im Sinne von Art. 60 Abs. 4 StPO bestätigt. Sie macht in ihrer Stellungnahme vom 31.Dezember 2018 auch gar nicht geltend, dass die Aktennotizen falsche Angaben enthalten würden oder die Staatsanwaltschaft die erkennungsdienstliche Erfassung anders begründet hätte. Die Staatsanwaltschaft kommt in ihrer Stellungnahme vom 31. Dezember 2018 - entgegen vorgängiger Ausführungen - zusammenfassend selber zum Schluss, dass ein begründeter Befehl zur erkennungsdienstlichen Behandlung vorliege, welcher von einer kompetenten Person verfügt worden sei. Ihre Argumentation in Bezug auf die Eintretensfrage zieht teilweise an der Sache vorbei. Damit ist im Lichte der Verfahrensgeschichte spätestens die Vorladung zur erkennungsdienstlichen Erfassung vom 6.November 2018 als Befehl zur erkennungsdienstlichen Erfassung der Staatsanwaltschaft anzurechnen und anfechtbar.


1.1.4 Der Beschwerdeführer ist nach dem Gesagten von der angefochtenen Vorladung zur erkennungsdienstlichen Erfassung berührt und zur Beschwerde legitimiert.


1.2 Die Beschwerde ist gemäss Art. 396 Abs. 1 StPO innert Frist von 10 Tagen schriftlich und begründet bei der Beschwerdeinstanz einzureichen. Auf die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist daher einzutreten. Zur Beurteilung zuständig ist das Appellationsgericht als Einzelgericht (§ 88 Abs. 1 in Verbindung mit § 93 Abs. 1 Ziff. 1 des Gerichtsorganisationsgesetzes [GOG, SG 154.100]), das nach Art. 393 Abs. 2 StPO mit freier Kognition urteilt.


2.

Streitgegenstand ist in materieller Hinsicht die Frage, ob der Befehl für die Anordnung zur erkennungsdienstlichen Erfassung des Beschwerdeführers rechtmässig ist. Erweist sich die erkennungsdienstliche Massnahme als unzulässig, wäre somit auch die entsprechende Vorladung unrechtmässig. Zu prüfen ist daher die Rechtsmässigkeit der geplanten erkennungsdienstlichen Massnahme.


2.1 Bei der erkennungsdienstlichen Erfassung werden die Körpermerkmale einer Person festgestellt und Abdrücke von Körperteilen genommen (Art. 260 Abs. 1 StPO). In der Praxis umfasst sie heute meistens das Fotografieren des Kopfes der Zielperson, die Erfassung eines Signalementes (Geschlecht, Grösse, Gewicht, Statur, Alter, Hautfarbe allenfalls detailliert erfasst; zusätzlich besondere Merkmale wie körperliche Defekte, Narben, Tätowierungen, Brillenträger etc.) sowie die Abnahme von Fingerabdrücken, standardmässig von allen zehn Fingern, den Handballen und Handkanten. Zulässig wäre aber auch die Erstellung von Ganzkörperfotografien und von Abdrücken anderer Körperteile, wie Ohren, Füsse und Zähne, sowie - im Zusammenhang mit biometrischen Daten künftig wahrscheinlich bedeutsam - die Erfassung der Struktur der Iris, der sog. Netzhaut-Scan. In Einzelfällen kann auch eine Vermessung einer Person (mit dem Ziel des Vergleichs mit Fotografien von Straftätern, z.B. aus technischen Überwachungen und Radarkontrollen) angezeigt sein; auch sie fällt unter den Anwendungsbereich von Art. 260 StPO (Hansjakob, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur StPO, 2. Auflage, Zürich 2014, Art.260 N 1).


Mit der erkennungsdienstlichen Erfassung wird die Abklärung von Personen zur Zuordnung und zum Ausschluss bereits begangener und zukünftiger Straftaten bezweckt. Mit der Massnahme können auch Irrtümer bei der Identifikation einer Person und die Verdächtigung Unschuldiger verhindert werden. Sie kann auch präventiv wirken und damit zum Schutz Dritter beitragen (BGer 1B_324/2013 vom 24. Januar 2014 E. 3.3, 1B_57/2013 vom 2. Juli 2013 E. 2.3, 1B_685/2011 vom 23. Februar 2012 E. 3.4, publ. in: SJ 2012 I S. 440). Erkennungsdienstliche Massnahmen und die Aufbewahrung der Daten können das Recht auf persönliche Freiheit (Art. 10 Abs. 2 der Bundesverfassung [BV, SR 101]) und auf informationelle Selbstbestimmung (Art.13 Abs. 2 BV und Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention [EMRK, SR 0.101]; BGE 136 I 87 E. 5.1 S. 101; 128 II 259 E. 3.2 S. 268; je mit Hinweisen) berühren. Dabei ist von einem leichten Grundrechtseingriff auszugehen (BGE 144 IV 127 E. 2.1 S. 133; 134 III 241 E. 5.4.3 S. 247; 128 II 259 E. 3.3 S. 269 f.). Einschränkungen von Grundrechten bedürfen nicht nur einer gesetzlichen Grundlage, sondern müssen auch durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein (Art. 36 Abs. 1-3 BV). Art. 255 StPO erlaubt nicht die routinemässige Entnahme von DNA-Proben und deren Analyse. Dies konkretisiert Art. 197 Abs. 1 StPO. Danach können Zwangsmassnahmen nur ergriffen werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (lit. b), die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (lit. c) und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (lit. d).


Nach der Rechtsprechung ist die Erstellung eines DNA-Profils, das nicht der Aufklärung der Straftaten eines laufenden Strafverfahrens dient, nur dann verhältnismässig, wenn erhebliche und konkrete Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die beschuldigte Person in andere - auch künftige - Delikte verwickelt sein könnte. Dabei muss es sich allerdings um Delikte von einer gewissen Schwere handeln (vgl. BGE 141 IV 87 E1.3 und 1.4 S.90ff.; BGer 1B_13/2019 und 1B_14/2019 vom 12.März 2019 jeweils E.2.2; 1B_244/2017 vom 7.August 2017 E.2.2 und 1B_274/2017 vom 6.März 2017 E.2.1; je mit Hinweisen). Das Dargestellte gilt auch für die erkennungsdienstliche Erfassung gemäss Art. 260 Abs. 1 StPO, mit dem Unterschied, dass diese auch für Übertretungen angeordnet werden kann (BGer 1B_244/2017 vom 7. August 2017 E. 2.1). Zu berücksichtigen ist auch, ob die beschuldigte Person vorbestraft ist (vgl. BGer 1B_381/2015 vom 23. Februar 2016 E. 3.5); trifft dies nicht zu, schliesst das die Erstellung eines DNA-Profils oder einer erkennungsdienstlichen Massnahme jedoch nicht aus, sondern es fliesst als eines von vielen Kriterien in die Gesamtabwägung ein und ist entsprechend zu gewichten (BGer 1B_13/2019 und 1B_14/2019 vom 12. März 2019 jeweils E. 2.2). Dass es bezüglich allfälliger künftiger Straftaten keinen hinreichenden Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 StPO geben kann, steht der Erstellung eines DNA-Profils und damit umso mehr einer erkennungsdienstlichen Massnahmen nach Art. 260 Abs. 1 StPO im Hinblick auf derartige Delikte demnach nicht entgegen. Ein solcher Verdacht muss zwar hinsichtlich der Tat bestehen, die Anlass zur Massnahme gibt (vgl. Schmid/Jositsch, StPO Praxiskommentar, 3. Auflage, Zürich 2018, Art. 255 N 2). In Bezug auf allfällige künftige Straftaten genügen aber Anhaltspunkte im genannten Sinn (vgl. zum Ganzen den zur Publikation in der amtlichen Sammlung vorgesehenen BGer 1B_17/2019 vom 24. April 2019 E.3.4). Es ist insofern anhand der Umstände im Einzelfall eine Prognose anzustellen, ob der Beschwerdeführer inskünftig Delikte begehen könnte, welche mit den aus der erkennungsdienstlichen Massnahme resultierten Daten aufgedeckt werden könnten. So schützte das Bundesgericht auch die Erstellung eines DNA-Profils, obwohl die betroffene Person nicht vorbestraft war, wobei es in Bezug auf den in jenem Verfahren relevanten Verdacht auf Raub und Einbruchdiebstähle festhielt, dass es sich häufig um Wiederholungstaten handle (BGer 1B_324/2013 vom 24. Januar 2014 E.3.3). Ebenfalls ohne Vorliegen von Vorstrafen schützte das Bundesgericht die Erstellung eines DNA-Profils in einem Entscheid vom 15. April 2014. In jenem Fall wurde der Beschuldigte verdächtigt, vor zwei damals zehnjährigen Mädchen sein Geschlechtsteil entblösst zu haben. Das Bundesgericht erwog, bei den möglichen künftigen Straftaten handle es sich nicht um Bagatellen, zumal jedenfalls nach dem bisherigen Stand der Ermittlungen nicht ausgeschlossen erscheine, dass der Beschwerdeführer auch sexuelle Handlungen mit Kindern begehen könnte. Damit bestehe an den umstrittenen Massnahmen ein gewichtiges öffentliches Interesse. Sie seien als verhältnismässig zu beurteilen, zumal mildere Massnahmen, die den gleichen Zweck erfüllen könnten, nicht ersichtlich seien. Zudem würden sie nur leicht in die Grundrechte des Beschwerdeführers eingreifen und seien diesem somit zumutbar (OGer TG, in: RBOG 2016 Nr. 31 E. 3c.bb.bbb mit Hinweis auf BGer 1B_277/2013 vom 15. April 2014 E. 4.3.3).


2.2 Der Beschwerdeführer bringt vor, dass die Anordnung zur erkennungsdienstlichen Behandlung nicht begründet worden sei und mithin den Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör verletze.


2.2.1 Gemäss Art. 260 Abs. 3 Satz 1 StPO ist die erkennungsdienstliche Erfassung, wie erwähnt (E. 1.1.3.2), schriftlich anzuordnen und kurz zu begründen. An die Begründungsdichte dürfen jedoch keine übermässigen Anforderungen gestellt werden, was bereits durch die Formulierung von Art. 260 Abs. 3 Satz 1 StPO zum Ausdruck kommt, worin lediglich eine kurze Begründung gefordert wird. Wie umfassend sie sein muss, kann nicht mit einer allgemein gültigen Formel umschrieben werden (vgl. AGE BES.2017.136 vom 19. Dezember 2017 E. 2.3.1). Das Appellationsgericht hatte aber in ähnlichen Fällen bereits die Gelegenheit, festzuhalten, dass im Rahmen der Begründung der erkennungsdienstliche Erfassungen gemäss Art. 260 Abs. 3 StPO auf den konkreten Fall einzugehen und, wenn auch nur kurz, aufzuzeigen ist, welche Überlegungen zur Anordnung der Zwangsmassnahme geführt haben (AGE BES.2018.222 vom 11. März 2019 E. 4.1, BES.2018.182 vom 14. Februar 2019 E. 2, BES.2018.148 vom 12. Februar 2019 E. 2.3).


2.2.2

2.2.2.1 Anlass des laufenden Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer ist die Anzeige einer ehemaligen Praktikantin, wonach der als Betriebsleiter tätige Beschwerdeführer dieser gegen deren Willen am 14.Mai 2018 die Schulter und die Wade massiert haben soll. Der am 29.Oktober 2019 begründete Befehl zur erkennungsdienstlichen Erfassung enthält neben den Personalien des Beschwerdeführers (Betroffene Person) unter der Rubrik Straftatbestand einen Hinweis auf Sexuelle Belästigungen. Als angeordnete Massnahme wird festgehalten: Erkennungsdienstliche Erfassung: Feststellung Körpermerkmale und Herstellung Abdrücke von Körperteilen (Art.260 Abs.1 StPO) (vgl. oben E.1.1.3.2). In einer Kurzbegründung wird schliesslich textbausteinartig angemerkt: Die betroffene Person wird eines Delikts beschuldigt. Die Massnahmen sind für die Identifizierung sowie Sachverhaltsabklärungen beziehungsweise für allfällige spätere Verfahren sachdienlich und notwendig. Mit diesem allgemein gehaltenen Hinweisen wird in keiner Weise auf die konkrete Situation des vorliegenden Falles eingegangen. Es wird nicht erklärt, inwiefern eine erkennungsdienstliche Erfassung für die Aufklärung der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Straftaten erforderlich erscheint oder sich im Hinblick auf allfällige spätere Verfahren aufgedrängt haben soll. Dadurch wird das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers in schwerer Weise verletzt (vgl. AGE BES.2018.222 vom 11.März 2019 E. 4.1, BES.2018.182 vom 14. Februar 2019 E. 2).


2.2.2.2 Die Staatsanwaltschaft hat in ihrer Vernehmlassung vom 31. Dezember 2018 nachträglich erklärt, dass dem Beschwerdeführer vorgeworfen werde, mehrfach sexuell motivierte Handlungen zum Nachteil einer minderjährigen Praktikantin begangen zu haben. Aufgabe des polizeilichen Ermittlungsverfahrens sei es u.a. den genauen Tatvorwurf, der sich prima vista von Tätlichkeiten über sexuelle Belästigung bis zu sexuellen Handlungen mit Abhängigen erstrecken könne, abzuklären. Bei der Kriminalpolizei der Staatsanwaltschaft seien diverse Anzeigen mit unbekannter Täterschaft vorhanden. Die Massnahme solle nicht für den konkreten Fall, sondern zur Aufklärung weiterer Fälle dienen, bei welchen unbekannte Männer jüngere Frauen sexuell belästigt oder angegangen hätten. Der Beschwerdeführer solle erkennungsdienstlich behandelt werden, damit in künftigen Verfahren die Fotos des Beschwerdeführers (sollte er dem Signalement ungefähr entsprechen) allfälligen Geschädigten im Rahmen einer Fotokonfrontation (zusammen mit diversen weiteren, bei der [Staatsanwaltschaft] gespeicherten Fotos) vorgelegt werden könnten. Demgegenüber solle keine WSA zur Erstellung eines DNA-Profils durchgeführt werden. Aus den Akten erhellt und ist im Grundsatz unbestritten, dass der Beschwerdeführer gegenüber der damals minderjährigen Anzeigestellerin, welche im Betrieb des Beschwerdeführers auch im Hinblick auf eine künftige Lehrstelle als Praktikantin angestellt und ihm unterstellt war, einen über das normale Arbeitsverhältnis hinausgehenden Kontakt hatte und dabei offensichtlich regelmässig die Distanz hat vermissen lassen, welche von einem Vorgesetzten erwartet werden darf. So ist auch unbestritten, dass der Beschwerdeführer der Anzeigestellerin körperlich nahe kam, indem er ihr den Nacken massierte. Dem könnte durchaus strategischen Charakter zur Begehung von sexueller Belästigung bis zu sexuellen Handlungen mit Abhängigen beigemessen werden. Angesichts dieser Umstände ist die Annahme der Staatsanwaltschaft nicht von der Hand zu weisen, dass eine gewisse Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschwerdeführer in Delikte mit einer sexuellen Komponente verwickelt sein bzw. sich in solche Delikte verwickeln könnte, die den Strafverfolgungsbehörden noch unbekannt sind und zu deren Aufklärung eine erkennungsdienstliche Erfassung beitragen könnte. Sexuelle Belästigungen im beruflichen Umfeld, namentlich von Berufsschülerinnen, ist ein häufiges Phänomen mit der Tendenz zur Wiederholungstat (vgl. Sexuelle Belästigung in der Berufsbildung, Basel 2006, S. 6, abrufbar unter: https://www.bs.ch/publikationen/gleichstellung/sexuelle-belaestigung-in-der-berufsbil-dung.html, besucht am 25. Juni 2019). Bei solchen möglichen künftigen Straftaten handelt es sich nicht um Bagatellen. Angesichts des Verdachts einer Anlasstat, könnte auch von einem routinemässigen Vorgehen durch die Staatsanwaltschaft keine Rede sein. Es ist aber nicht von Bedeutung, dass die durch die Staatsanwaltschaft in ihrer Vernehmlassung nachgelieferte - im Übrigen immer noch knapp gehaltene - Begründung der Anordnung der Zwangsmassnahmen auf den ersten Blick zu überzeugen vermag. Eine schwere Verletzung des rechtlichen Gehörs kann im Beschwerdeverfahren durch Nachschieben der Begründung in der Vernehmlassung der Staatsanwaltschaft nicht geheilt werden (vgl. AGE BES.2018.222 vom 11.März 2019 E. 4.1, BES.2018.182 vom 14. Februar 2019 E. 2).


2.3 Zusammenfassend wird die Beschwerde gutgeheissen und die Sache an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen, welche entweder eine ausreichend begründete Verfügung zur erkennungsdienstlichen Erfassung zu erlassen oder auf die Massnahme zu verzichten hat.

3.

Bei diesem Verfahrensausgang werden keine ordentlichen Kosten erhoben und hat der anwaltlich vertretene Beschwerdeführer Anspruch auf eine Parteientschädigung zulasten der Gerichtskasse. Das Gericht behält sich aber vor, inskünftig in analogen Fällen unter der Annahme der Gehörsverletzung die Verfahrenskosten der Staatsanwaltschaft aufzuerlegen. Der Verteidiger des Beschwerdeführers macht einen angemessenen Aufwand von 8,9167 Stunden für seine Bemühungen im vorliegenden Verfahren geltend. Insgesamt liegt juristisch ein durchschnittlicher Fall ohne besondere Schwierigkeit vor. Es rechtfertigt sich folglich eine Kürzung des Stundenansatzes von CHF 320.- auf CHF 250.-. Hinzu kommen geltend gemachte Auslagen von 176 Stück Kopiaturen in Höhe von jeweils CHF 1.- sowie Porto-Kosten in Höhe von CHF 30.-. Daraus ergibt sich eine Parteientschädigung von insgesamt CHF 2435.20 (inkl. Auslagen) zuzüglich 7,7 % MWST in Höhe von CHF 187.50.



Demgemäss erkennt das Appellationsgericht (Einzelgericht):


://: Die Beschwerde wird gutgeheissen und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.


Für das Beschwerdeverfahren werden keine Kosten erhoben.


Dem Beschwerdeführer wird für das Beschwerdeverfahren eine Parteientschädigung von CHF 2435.20 (inkl. Auslagen) zuzüglich 7,7 % MWST in Höhe von CHF 187.50 aus der Gerichtskasse zugesprochen.


Mitteilung an:

- Beschwerdeführer

- Staatsanwaltschaft Basel-Stadt


APPELLATIONSGERICHT BASEL-STADT


Der Präsident Der Gerichtsschreiber

lic. iur. Christian Hoenen Dr. Nicola Inglese

Rechtsmittelbelehrung


Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 78 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen seit schriftlicher Eröffnung Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerdeschrift muss spätestens am letzten Tag der Frist beim Bundesgericht (1000 Lausanne 14) eingereicht oder zu dessen Handen der Schweizerischen Post oder einer diplomatischen oder konsularischen Vertretung der Schweiz im Ausland übergeben werden (Art. 48 Abs. 1 BGG). Für die Anforderungen an den Inhalt der Beschwerdeschrift wird auf Art. 42 BGG verwiesen. Über die Zulässigkeit des Rechtsmittels entscheidet das Bundesgericht.



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