| Appellationsgericht als Verwaltungsgericht Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht |
AUS.2024.43
URTEIL
vom 16. August 2024
Beteiligte
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,
Spiegelgasse 12, Postfach, 4001 Basel
gegen
A____, geb. [...] 2001, von Algerien
zur Zeit im Gefängnis Bässlergut,
Freiburgerstrasse 50, 4057 Basel
Gegenstand
Verfügung des Migrationsamtes vom 14. August 2024
betreffend Anordnung Durchsetzungshaft (Art. 78 AIG)
Sachverhalt
Der (nach seinen Angaben) algerische Staatsangehörige A____ (nachfolgend: Beurteilter), geb. [...] 2001, reiste am 21. November 2019 in die Schweiz ein und stellte gleichentags ein Asylgesuch. Das Staatssekretariat für Migration (SEM) lehnte dieses Gesuch mit Entscheid vom 22. Januar 2020 und wies ihn mit einer Ausreisefrist am Tag nach Ablauf der Beschwerdefrist von 7 Arbeitstagen aus der Schweiz weg. Ablehnung und Wegweisung wurden am 3. Februar 2020 rechtskräftig. Am 7. April 2020 wurde der Kanton Basel-Stadt mit dem Vollzug der Wegweisung beauftragt. Unmittelbar nach Abschluss des Asylverfahrens wurden, nachdem der Beurteilte ohne einschlägige Papiere eingereist war, seitens der Schweizer Behörden der Identifizierungsabklärungen aufgenommen, namentlich bei den algerischen, tunesischen und marokkanischen Behörden. Diese Bemühungen blieben jedoch erfolglos. Nachdem der Beurteilte wiederholt, aber vergeblich aufgefordert worden war, bei seiner Identifizierung und der Beschaffung von Reisepapieren mitzuwirken, wurde er am 13. August 2024 von der Kantonspolizei Basel-Stadt im Auftrag des Migrationsamts anlässlich einer Vorsprache festgenommen. Nach Befragung und Gewährung des rechtlichen Gehörs hat das Migrationsamt am 14. August 2024 eine Durchsetzungshaft bis zum 12. September, 14:40 Uhr angeordnet. Am 16. August 2024 hat vor dem Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (nachfolgend: Haftrichter) unter Beizug eines Dolmetschers und in Anwesenheit des zuständigen Mitarbeiters des Migrationsamts eine mündliche Verhandlung stattgefunden. Dabei ist der Beurteilte befragt worden. Auf seine Ausführungen wie auch diejenigen des Mitarbeiters des Migrationsamts wird auf das Protokoll verwiesen. Das vorliegende Urteil einschliesslich der Rechtsmittelbelehrung ist dem Beurteilten mündlich erläutert und schriftlich ausgehändigt worden.
Erwägungen
1.
Die erstmalige Anordnung der Durchsetzungshaft ist spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen (Art. 78 Abs. 4 des Ausländer- und Integrationsgesetzes [AIG, SR 142.20]). Diese Frist ist mit der heutigen gerichtlichen Verhandlung eingehalten.
2.
2.1 Der Beurteilte hat im Zusammenhang mit seiner Befragung durch das Migrationsamt eine Rechtsvertretung für die gerichtliche Verhandlung gewünscht, zugleich aber angegeben, diese Rechtsvertretung selber suchen zu wollen. Bis vor der Verhandlung hat sich beim Haftrichter keine Vertretung gemeldet. Wie sich aus den nachfolgenden Erwägungen ergibt, bestand für den Haftrichter auch kein Anlass, dem Beurteilten einen unentgeltlichen Rechtsbeistand beizugeben.
2.2 Die bedürftige Partei hat gestützt auf Art. 29 Abs. 3 Satz 2 der Bundesverfassung (BV, SR 101) einen Anspruch darauf, dass ihr auf Gesuch hin ein unentgeltlicher Rechtsvertreter bestellt wird, falls dies zur Wahrung ihrer Rechte notwendig erscheint; nach Art. 31 Abs. 2 Satz 2 BV muss jede Person, welcher die Freiheit entzogen wird, die Möglichkeit haben, ihre Rechte – in einer den Umständen angemessenen, wirksamen Weise – geltend zu machen. Dem Ausländer droht bei der Haftverlängerung nach drei Monaten eine schwere Freiheitsbeschränkung, die für ihn mit rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden ist, denen er – auf sich selber gestellt – mangels Kenntnis der Sprache und der hiesigen Verhältnisse nicht gewachsen ist. Die wirksame Geltendmachung seiner Rechte setzt deshalb spätestens in diesem Verfahrensabschnitt voraus, dass einem Antrag auf unentgeltliche Verbeiständung entsprochen wird (BGE 139 I 206 E. 3.2.3; BGer 2C_526/2016 vom 30. Ju-ni 2016 E. 2.1). Vorliegend geht es um die Überprüfung einer ausländerrechtlich motivierten Haft, die erstmals und bloss für die Dauer von einem Monat angeordnet worden ist. Wie die summarische provisorische Würdigung der Akten nach deren Eingang gezeigt hat (was sich heute auch bestätigt hat), bietet der vorliegende Fall keine besonderen tatsächlichen rechtlichen Schwierigkeiten, die einer anwaltlichen Vertretung bedurft hätten. Es konnte daher im Rahmen der richterlichen Überprüfung der erstmaligen Haftanordnung davon abgesehen werden, von Amtes wegen eine anwaltliche Vertretung für den Beurteilten zu bestellen.
2.3 Der Beurteilte hat auf entsprechende Frage heute angegeben, dass der Rechtsbeistand, dem ihm von privater Seite her in Aussicht gestellt worden sei, sich bis heute bei ihm nicht gemeldet habe. Vielleicht werde sich dieser bei ihm morgen melden (Verhandlungsprotokoll, S. 2 f.). Die heutige Verhandlung kann unabhängig davon durchgeführt werden. Sollte sich die betreffende Person noch beim Beurteilten melden, steht es ihm frei, ein Haftentlassungsgesuch zu stellen, das vom Haftrichter überprüft werden muss. Im Rahmen dieses Verfahrens könnte er auch seine Vertretungsrechte wahrnehmen. Das Haftentlassungsgesuch kann jederzeit gestellt werden (BGE 140 II 409 E. 2.2).
3.
3.1 Hat eine ausländische Person ihre Pflicht zur Ausreise aus der Schweiz innerhalb der ihr angesetzten Frist nicht erfüllt und kann die rechtskräftige Weg- Ausweisung aufgrund ihres persönlichen Verhaltens nicht vollzogen werden, so darf sie in Durchsetzungshaft genommen werden, um der Ausreisepflicht Nachachtung zu verschaffen, sofern die Anordnung der Ausschaffungshaft nicht zulässig ist keine andere, mildere Massnahme zum Ziel führt (Art. 78 Abs. 1 AIG).
Die Durchsetzungshaft setzt voraus, dass der Vollzug der Aus- Wegweisung wegen des persönlichen Verhaltens des Ausländers nicht durchführbar ist. Es bedarf zum einen eines Zusammenhangs zwischen dem Verhalten des Ausländers und dem Vollzugshindernis und es muss zum anderen der Ausländer in der Lage sein, die von ihm verschuldete Undurchführbarkeit zu beseitigen. Hat die betroffene Person keinen Einfluss auf die Umstände der Undurchführbarkeit der Wegweisung, darf die Durchsetzungshaft nicht angeordnet werden (Baumann/Göksu, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Zürich/St. Gallen 2022, Rz 103; Businger, Ausländerrechtliche Haft, Zürich 2015, S. 199). Die Anordnung von Durchsetzungshaft kommt immer nur dann in Frage, wenn die Voraussetzungen der Ausschaffungshaft nicht (mehr) gegeben sind und keine mildere Massnahme zur Verfügung steht. Die Subsidiarität der Durchsetzungshaft zeigt auf, dass die Behörden trotz renitenten Verhaltens einer ausländischen Person ihrerseits alle Vorkehrungen treffen müssen, um eine Aus- Wegweisung auch gegen den Willen des betroffenen Ausländers vollziehen zu können. Erst nach Ausschöpfung sämtlicher Mittel kann, wenn der Vollzug gleichwohl nicht gelingt, als letztes Mittel Durchsetzungshaft angeordnet werden (Baumann/Göksu, a.a.O., Rz 104; Businger, a.a.O., S. 205).
3.2 Der Beurteilte wurde mit dem abschlägigen Asylentscheid des SEM vom 22. Januar 2020 rechtskräftig aus der Schweiz weggewiesen. Seither bemühen sich die schweizerischen Behörden darum, die Identität des Beurteilten, der sich als algerischer Staatsangehöriger ausgibt, durch die zuständigen Behörden Algeriens bestätigen zu lassen. Diese Abklärungen verliefen bislang indessen allesamt im Sande. Am 19. Februar 2020 stellte das SEM beim algerischen Generalkonsulat ein erstes Identifikationsgesuch. Ein Jahr darauf, am 24. Februar 2021, teilte das SEM mit, dass der Beurteilte bis anhin nicht habe identifiziert werden können. Es würden "neue Elemente" benötigt, damit die Identifikationsabklärungen durch die zuständigen Behörden wieder aufgenommen werden könnten. Es würden mithin weitere Angaben zu seiner Identität und falls möglich eine Freiwilligenerklärung des Beurteilten benötigt. Am 25. August 2021 stellte das SEM bei den algerischen Behörden ein weiteres Identifikationsgesuch, das ebenso ergebnislos verlief (Schreiben des SEM vom 21. Januar 2022). Da das Identifikationsverfahren mit Algerien in der Folge geändert wurde (Identifikation via Fingerabdrücke im NIST-Format), stellte das SEM am 27. Juli 2023 einen dritten Identifikationsantrag an die algerischen Behörden, welcher bis dato immer noch hängig bzw. unbeantwortet ist (E-Mails des SEM vom 29. April 2024 und 12. August 2024). In gleicher Weise wurden auch bei den zuständigen Behörden Tunesiens (Gesuch vom 14. September 2021) und Marokkos (vgl. E-Mail des SEM vom 18. August 2022) Identifikationsgesuche eingereicht, die nach entsprechenden Angaben des SEM ebenso ohne positives Ergebnis blieben (E-Mails SEM vom 5. Juli 2023 und 29. April 2024). Weitere Bemühungen der schweizerischen Behörden zur Identitätsabklärung erscheinen infolgedessen aussichtslos, solange der Beurteilte hierbei nicht mitwirkt. Der Beurteilte ist seit seiner Wegweisung wiederkehrend, aber umsonst aufgefordert worden, nähere Angaben zu seiner Identität zu machen und Identitätspapiere (oder Kopien davon) beizubringen. Er hat in der Vergangenheit unmissverständlich und wiederholt zu verstehen gegeben, trotz seiner gesetzlichen Mitwirkungspflichten nicht kooperieren zu wollen. In der jüngsten Befragung durch das Migrationsamt am 14. August 2024 ist er trotz Androhung einer Durchsetzungshaft im Falle der fortgesetzten Weigerung nicht von seiner Weigerung abgerückt ("Das ist gut, dann mache ich Pause im Gefängnis." [Befragungsprotokoll, S. 5]). Auch heute hat der Beurteilte deutlich gemacht, unter keinen Umständen in seine Heimat zurückkehren zu wollen (Verhandlungsprotokoll, S. 4). Die mit dem Vollzug der Wegweisung betrauten Behörden sehen keine weiteren Möglichkeiten, seine (wahre) Identität zu ermitteln, solange er hierbei nicht mithilft (Verhandlungsprotokoll, S. 5). Seine Ausschaffung scheitert letztlich – zumindest für den Moment – einzig daran, dass er nicht bereit ist nähere Angaben zu seiner (behaupteten) Identität zu machen bzw. zwecks Papierbeschaffung Kontakt mit seiner Familie in der Heimat und/oder seinen heimatlichen Behörden aufzunehmen. Möglicherweise verheimlicht der Beurteilte auch seine wahre Identität. Jedenfalls ergeben sich aufgrund verschiedener Geburtsdaten in den Akten entsprechende Zweifel an seinen Angaben (vgl. Asylentscheid SEM vom 22. Januar 2020: Aliasidentität "geb. [...] 2004" und Mitteilung des Centre de coopération policière Genève vom 18. August 2020 betr. Registrierung des Beurteilten bei den französischen Behörden: "[...]2003"). Da unter den geschilderten Umständen – auch weil die algerischen Behörden seit über einem Jahr keine Antwort auf das dritte Identifikationsgesuch geben – die Anordnung einer Ausschaffungshaft nicht möglich ist, bleibt einzig die Durchsetzungshaft, um den Beurteilten zur Mitwirkung bei der Ermittlung bzw. Verifizierung seiner (angeblichen) Identität und der Beschaffung von Reisepapieren zu bewegen.
3.3 Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung muss jeweils aufgrund der Umstände im Einzelfall beurteilt werden, ob die Durchsetzungshaft (noch) geeignet bzw. erforderlich erscheint und nicht gegen das Übermassverbot verstösst (BGE 134 I 92 E. 2.3.2 und 133 II 97 E. 2.2; Hugi Yar, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Uebersax et al. [Hrsg.], Ausländerrecht, 3. Auflage, Basel 2022, Rz 12.132). Dabei ist dem Verhalten des Betroffenen, den die Papierbeschaffung allenfalls erschwerenden objektiven Umständen sowie dem Umfang der von den Behörden bereits getroffenen Abklärungen Rechnung zu tragen und zu berücksichtigen, wieweit der Ausländer es tatsächlich in der Hand hat, die Festhaltung zu beenden, indem er seiner Mitwirkungs- bzw. Ausreisepflicht nachkommt (BGE 134 I 92 E. 2.3.2 und 134 II 201 E. 2.2.2). Das mutmassliche künftige Verhalten des Betroffenen ist gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung jeweils aufgrund sämtlicher Umstände abzuschätzen. Ein erklärtes konsequent unkooperatives Verhalten bildet dabei nur einen unter mehreren zu berücksichtigenden Gesichtspunkten, andernfalls die Festhaltung umso weniger angeordnet werden könnte, je renitenter sich die betroffene Person zeigt und je stärker sie versucht, ihre Ausschaffung zu hintertreiben (BGE 134 I 92 E. 2.3.2).
Die vorliegend angeordnete Durchsetzungshaft erweist sich angesichts der bestehenden Umstände als verhältnismässig. Der Beurteilte hat bislang beharrlich die Mitwirkung an der Ermittlung bzw. Verifizierung seiner Identität verweigert. Es ist ihm aber ohne Weiteres möglich und zumutbar, Kontakt mit den heimatlichen Behörden zwecks Bestätigung seiner Identität und Erhalt von Reisepapieren aufzunehmen. Ebenso ist es ihm möglich und zuzumuten, seine Familie diesbezüglich zu kontaktieren. Seit viereinhalb Jahren weiss der Beurteilte, dass er die Schweiz verlassen und in seine Heimat zurückkehren muss. Seit viereinhalb Jahren hat er diesbezüglich nichts unternommen. Im Gegenteil, er foutiert sich regelrecht um seine Ausreisepflicht und macht sich über die schweizerischen Behörden lustig ("Ihr müsst zuerst herausfinden woher ich stamme und dann werden wir sehen. Es ist wie ein Spiel, Sie müssen herausfinden woher ich stamme, Algerien, Tunesien Marokko." [Befragungsprotokoll vom 14. August 2024, S. 2]). Um seine Identifizierung wieder aufnehmen und zwecks Ausschaffung Reisepapiere beschaffen zu können, bleibt nur die Anordnung einer Durchsetzungshaft. Ein milderes Mittel als die Inhaftierung, namentlich die Freilassung, kommt nicht in Frage, weil der Beurteilte die Freiheit nicht genutzt hat, freiwillig auszureisen, obschon er hierzu genügend Zeit gehabt hätte. Der Beurteilte hat es selber in der Hand, mitzuwirken und damit seine Inhaftierung abzukürzen. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse am Vollzug der Wegweisung, umso mehr als der Beurteilte in der Vergangenheit verschiedentlich strafrechtlich aufgefallen ist (vgl. Behördenstrafregisterauszug vom 29. April 2024 mit fünf Verurteilungen [Strafbefehle]) und damit auch eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellt. Die erstmalige Anordnung der Durchsetzung von einem Monat erweist sich unter diesen Umständen in jeder Hinsicht als angemessen (zur maximalen Haftdauer vgl. Art. 79 AIG).
3.4 Die angeordnete Durchsetzungshaft bis zum 12. September 2024 erweist sich nach dem Gesagten als recht- und verhältnismässig.
4.
Für das Gerichtsverfahren werden keine Kosten erhoben (§ 4 Gesetz über den Vollzug der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, SG 122.300).
Demgemäss erkennt der Einzelrichter:
://: Die über A____ angeordnete Durchsetzungshaft wird bestätigt bis zum 12. September 2024, 14:40 Uhr.
Es werden keine Kosten erhoben.
Mitteilung an:
- A____
- Migrationsamt Basel-Stadt
- Staatssekretariat für Migration
VERWALTUNGSGERICHT BASEL-STADT
Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
Dr. Alexander Zürcher
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Diese ist mit einem Antrag und einer Begründung zu versehen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
Hinweis
Dieses Urteil wurde dem Ausländer am heutigen Tag mündlich erläutert und schriftlich ausgehändigt.