| Appellationsgericht als Verwaltungsgericht Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht |
AUS.2024.38
URTEIL
vom 31. Juli 2024
Beteiligte
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,
Spiegelgasse 12, Postfach, 4001 Basel
gegen
A____, geb. [...], von Algerien,
zurzeit im Gefängnis Bässlergut, Freiburgerstrasse 48, 4057 Basel
Gegenstand
Verfügung des Migrationsamtes vom 30. Juli 2024
betreffend Ausschaffungshaft (Art. 76 Abs. 1 AIG)
Sachverhalt
Der von den algerischen Behörden als algerischer Staatsangehöriger identifizierte und anerkannte A____ reiste soweit bekannt am 1. Oktober 2021 in die Schweiz ein und ersuchte um Asyl. Dieses wurde zufolge unkontrollierter Abreise durch das Staatssekretariat für Migration (SEM) am 22. Juni 2024 abgeschrieben. Mit Urteil des Strafgerichts Basel-Landschaft vom 6. April 2022 wurde A____ wegen mehrfachen Hausfriedensbruchs, mehrfachem teilweise versuchten Diebstahls und wegen mehrfacher Sachbeschädigung zu einer bedingt vollziehbaren Freiheitsstrafe von einem Jahr, unter Ansetzung einer Probezeit von 3 Jahren, verurteilt. Ausserdem wurde er für die Dauer von 7 Jahren des Landes verwiesen. Das Strafgericht Basel-Stadt verurteilte ihn mit Urteil vom 25. Oktober 2022 wegen versuchtem Diebstahl, Hausfriedensbruch sowie mehrfachem Verweisungsbruch zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von 16 Monaten und verwies ihn für 20 Jahre des Landes, wobei die Landesverweisung in Schengener Informationssystem (SIS) einzutragen ist. Mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt vom 25. Juni 2024 wurde er ausserdem wegen mehrfacher Übertretung gegen das Personenbeförderungsgesetz zu einer Busse von CHF 400.– verurteilt.
Am 12. Dezember 2023 wurde A____ im Rahmen eines Dublin Rücküberstellungsverfahren von Frankreich in die Schweiz rücküberstellt, wo er sich vom 19. Januar bis zum 30. Juli 2024 im Freiheitsentzug befand.
Am 30. Juli 2024 ist A____ zu Handen des Migrationsamts aus dem Freiheitsentzug entlassen worden. Das Migrationsamt hat mit Verfügung vom 30. Juli 2024 Ausschaffungshaft bis zum 29. Oktober 2024 angeordnet.
An der heutigen Gerichtsverhandlung ist A____ zur Sache befragt worden. Für sämtliche Depositionen wird auf das Protokoll verwiesen.
Erwägungen
1.
Gemäss Art. 80 Abs. 2 Ausländer-und Integrationsgesetz (AIG, SR 142.20) sind die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft spätestens nach 96 Stunden durch eine richterliche Behörde aufgrund einer mündlichen Verhandlung zu überprüfen. Diese Frist ist mit der heutigen Verhandlung und Haftüberprüfung eingehalten.
2.
Die Ausschaffungshaft setzt einen erstinstanzlichen Weg- Ausweisungsent-scheid eine erstinstanzliche Landesverweisung nach Artikel 66a 66abis Strafgesetzbuch (StGB, SR 311.0) Artikel 49a 49abis Militärstrafgesetzbuch (MStG, SR 321.0) voraus, dessen Vollzug mit der entsprechenden Festhaltung sichergestellt werden soll. Die Verfügung muss (noch) nicht in Rechtskraft erwachsen sein (BGE 140 II 409 E. 2.3.4; Zünd, in Spescha et al. [Hrsg.], Kommentar Migrationsrecht, 5. Auflage 2019, Art. 76 AIG N 1; Göksu, in: Handkommentar AIG, Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], Bern 2010, Art. 76 AIG N 2; Busslinger/Segessenmann, Ausschaffung im Dublin-Verfahren, in: Rechtsschutz bei Schengen Dublin, Breitenmoser/Gless/Lagodny [Hrsg.], Zürich/St. Gallen 2013, S. 207, 214). A____ ist rechtskräftig für 20 Jahre des Landes verwiesen worden. Ein Wegweisungstitel liegt damit vor.
3.
3.1 Nach den gesetzlichen Vorschriften kann ein Ausländer zur Sicherstellung des
Vollzugs eines eröffneten erstinstanzlichen Weg- Ausweisungsentscheids einer erstinstanzlichen Landesverweisung nach Art. 66a 66abis StGB Art. 49a oder 49abis MStG insbesondere in Haft genommen werden, wenn Gründe nach Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m. Art. 75 Abs. 1 lit. b, c, g, h i AIG vorliegen, so etwa, wenn gegen eine Einreisesperre für das Gebiet der Schweiz verstossen wird (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.V.m. Art. 75 Abs. 1 lit. c AIG). Ausserdem kann er in Haft genommen werden, wenn konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass er sich der Ausschaffung entziehen will, insbesondere weil er besonderen Mitwirkungspflichten nicht nachkommt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 AIG), wenn Untertauchensgefahr vorliegt (Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 3 und 4 AIG). Dies ist regelmässig der Fall, wenn der Ausländer bereits einmal untergetaucht ist, behördlichen Auflagen keine Folge leistet, hier straffällig geworden ist, durch erkennbar unglaubwürdige und widersprüchliche Angaben die Vollzugsbemühungen der Behörden zu erschweren versucht sonst klar zu erkennen gibt, dass er auf keinen Fall in sein Heimatland zurückzukehren bereit ist (BGE 128 II 241 E. 2.1 S. 243, 125 II 369 E. 3 b/aa S. 375). Untertauchensgefahr ist auch zu bejahen bei eigentlichen Täuschungsmanövern, um die Identität zu verschleiern bzw. die Papierbeschaffung zu erschweren (z.B. Verwendung gefälschter Papiere, Auftreten unter mehreren Namen). Das Gleiche gilt bei strafrechtlich relevantem Verhalten, ist bei einem straffällig gewordenen Ausländer doch eher als bei einem unbescholtenen davon auszugehen, er werde in Zukunft behördliche Anordnungen missachten (vgl. auch Art. 75 Abs. 1 lit. g und h AIG).
Die Beurteilung der Untertauchensgefahr beruht auf einer Prognose. Diese ist in erster Linie vom Haftgericht vorzunehmen und zu begründen, letzteres nicht zuletzt deshalb, da das Haftgericht den Ausländer im Rahmen der obligatorischen mündlichen Verhandlung befragt und von ihm einen persönlichen Eindruck erhält (vgl. Hugi Yar, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Ausländerrecht, Uebersax et al. [Hrsg.], 2. Auflage 2009, Rz. 10.94; Entscheid des Verwaltungsgerichts ZH VB.2014.00104 E. 4.3).
Die Ausschaffungshaft setzt nicht voraus, dass dem betroffenen Ausländer eine Ausreisfrist gesetzt wurde und er bereits Gelegenheit zur selbständigen Ausreise hatte, da er im Falle des Bestehens einer Untertauchensgefahr eine solche Frist zum Untertauchen nutzen könnte (Businger, Ausländerrechtliche Haft, in: Zürcher Studien zum öffentlichen Recht, Zürich/Basel/Genf 2015, S. 98).
3.2 Das Migrationsamt begründet die Haftanordnung mit dem Vorliegen von Untertauchensgefahr sowie mit dem Haftgrund der Verurteilung wegen eines Verbrechens. Dem ist zuzustimmen. Aufgrund seiner zweier Verurteilungen wegen Diebstählen ist der Haftgrund von Art. 76 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 i.v.m. Art. 75 Abs. 1 lit. h AIG gegeben. Gleichzeitig ist von Untertauchensgefahr auszugehen. Dies, weil A____ in der Vergangenheit mehrfach klar zum Ausdruck gebracht hat, dass er nicht in seine Heimat Algerien zurückkehren will, sich trotz mehrfacher Aufforderung nicht selbständig um den Erhalt von Reisedokumenten gekümmert hat, in der Vergangenheit bereits mehrfach untergetaucht ist (s. bspw. Rückführung von Frankreich in Schweiz) und gegenüber den Behörden eine Vielzahl von Aliasnamen angegeben hat (s. Strafregisterauszug, welcher eine Aufzählung von 10 «Falschpersonalien» enthält und wo er nach wie vor nicht unter dem korrekt geschriebenen Vornamen registriert ist). Insbesondere hat A____ in der Vergangenheit auch behauptet, palästinensischer Staatsangehöriger zu sein. Es ist offensichtlich, dass er in der Schweiz das Asylsystem missbraucht hat, um sich einen Aufenthalt zu ermöglichen und der Kleinkriminalität nachzugehen. Unter diesen Umständen ist nicht damit zu rechnen, dass er sich in Freiheit entlassen an behördliche Anweisungen hält und freiwillig seine Reise in das Heimatland antritt. Dass er nach wie vor nicht gewillt ist, die Gesetze zu respektieren, zeigen sodann auch seine Ausführungen an der Anhörung durch das Migrationsamt vom 30. Juli 2024, wo er angegeben hat, er wolle nach Italien Spanien. Dies, obwohl seine Landesverweisung im SIS einzutragen und ihm wohl im Strafgerichtsverfahren erklärt worden ist, dass die Landesverweisung damit für den ganzen Schengenraum Geltung entfaltet. Dass er auf keinen Fall die Schweiz freiwillig in Richtung Algerien verlassen wird, hat A____ sodann an der Gerichtsverhandlung nochmals ganz klar zum Ausdruck gebracht. Er hat sich nämlich erkundigt, ob es zwischen der Schweiz und Algerien ein Abkommen für Zwangsrückführungen gebe und angedeutet, dass er sich weigern wird, den Rückflug am 6. August 2024 anzutreten. Die Anordnung einer milderen Massnahme, wie etwa einer Eingrenzung einer Meldepflicht, kann seine Kooperation für die Ausschaffung angesichts seines renitenten Verhaltens klarerweise nicht sicherstellen. Gleichzeitig besteht ein erhebliches öffentliches Interesse am Vollzug der Landesverweisung des in der Schweiz wiederholt kriminell in Erscheinung getretenen A____. Die Anordnung der Haft ist demnach rechtmässig.
4.
4.1 Die Vorbereitungs- und die Ausschaffungshaft nach Art. 75 bis 77 AIG sowie die Durchsetzungshaft nach Art. 78 AIG dürfen zusammen in der Regel die maximale Haftdauer von sechs Monaten nicht überschreiten (Art. 79 Abs. 1 AIG). Weiter darf der Vollzug einer allfälligen Weg- Ausweisung nicht aus rechtlichen tatsächlichen Gründen undurchführbar sein (Art. 80 Abs. 6 lit. a AIG; BGE 127 II 168 E. 2c S. 171 f.). Schliesslich muss die zuständige Behörde ohne Verzug über die Aufenthaltsberechtigung des Ausländers entscheiden (Art. 75 Abs. 2 AIG, Beschleunigungsgebot) und die Haft als Ganzes verhältnismässig sein (vgl. BGE 130 II 56 E. 1S. 58 und BGE 125 II 369 E. 3a S. 374 f.).
4.2 A____ ist anerkannter Staatsbürger von Algerien und es ist davon auszugehen, dass ihm ein Laissez-passer ausgestellt wird. Das Migrationsamt hat bereits einen Flug zur freiwilligen Rückreise für den 6. August 2024 organisiert, womit es dem Beschleunigungsgebot nachgekommen ist. Aufgrund des bisherigen Verhaltens von A____ ist jedoch ungewiss, ob er den für ihn gebuchten Flug auch freiwillig antreten wird, andernfalls eine begleitete Rückreise organisiert werden muss. Aus diesem Grund rechtfertigt es sich, die Haft für die Dauer von 3 Monaten zu bestätigen. A____ hat es in der Hand, mittels kooperativen Verhaltens bereits in wenigen Tagen in sein Heimatland zurück zu kehren und die Haft damit zu beenden.
5.
Es werden keine Kosten erhoben (§ 4 Gesetz über den Vollzug der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, SG 122.300).
Demgemäss erkennt die Einzelrichterin:
://: Die über A____ angeordnete Ausschaffungshaft ist vom 30. Juli bis 29. Oktober 2024 rechtmässig und angemessen.
Es werden keine Kosten erhoben.
Mitteilung an:
- A____
- Migrationsamt
- Staatssekretariat für Migration
VERWALTUNGSGERICHT BASEL-STADT
Die Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
lic. iur. Barbara Grange
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Diese ist mit einem Antrag und einer Begründung zu versehen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
Der inhaftierte Ausländer kann einen Monat nach der Haftüberprüfung ein Haftentlassungsgesuch einreichen beim Verwaltungsgericht Basel-Stadt, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.
Hinweis
Dieses Urteil wurde dem Ausländer am heutigen Tag mündlich erläutert und schriftlich ausgehändigt.