| Appellationsgericht als Verwaltungsgericht Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht |
AUS.2024.33
URTEIL
vom 2. Juli 2024
Beteiligte
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,
Spiegelgasse 12, Postfach, 4001 Basel
gegen
A____, geb. [...] 1988, von Iran,
zur Zeit im Gefängnis Bässlergut,
Freiburgerstrasse 48, 4057 Basel
Gegenstand
Verfügung des Migrationsamtes vom 28. Juni 2024
betreffend Vorbereitungshaft nach Art. 76a AIG
(Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens)
Sachverhalt
Mit Entscheid vom 14. März 2014 wies das Bundesamt für Migration (heute: Staatssekretariat für Migration [SEM]) das Asylgesuch des iranischen Staatsangehörigen A____ (nachfolgend: Beurteilter), geboren am 12. August 1988, ab und wies den Beurteilten aus der Schweiz weg. Die hiergegen erhobene Beschwerde wies das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 14. Oktober 2015 ab. Der Beurteilte hätte die Schweiz in der Folge bis am 17. November 2015 verlassen müssen.
Am 18. Mai 2018 heiratete der Beurteilte die in der Schweiz niederlassungsberechtigte B____, mit welcher er eine gemeinsame Tochter, C____, geboren am [...] 2016, hat. Am 11. Juni 2018 stellte B____ ein Familiennachzugsgesuch für ihren Ehemann, welches sie am 26. Juni 2019 jedoch wieder zurückzog. Am 7. Mai 2019 wies das Migrationsamt Basel-Stadt den Beurteilten aus der Schweiz und den Schengenraum weg. Den hiergegen erhobenen Rekurs wies das Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD) mit Entscheid vom 27. Juni 2019 ab. Dieser Entscheid ist in Rechtskraft erwachsen, nachdem der dagegen erhobene Rekurs mit Verfügung des Verwaltungsgerichts vom 5. September 2019 zufolge Nichtbezahlung des Kostenvorschusses als erledigt abgeschrieben wurde.
Mit Urteil des Strafgerichts Basel-Stadt vom 11. Dezember 2019 wurde der bereits einschlägig vorbestrafte Beurteilte der mehrfachen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz sowie der Diensterschwerung schuldig gesprochen und zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten sowie zu einer Busse von CHF 400.– verurteilt und in Anwendung von Art. 66abis des Strafgesetzbuchs (StGB, SR 311.0) für fünf Jahres des Landes verwiesen. Nach seiner vorzeitigen, bedingten Entlassung aus dem Strafvollzug am 24. Dezember 2019 ordnete das Migrationsamt gleichentags für die Dauer von drei Monaten bis zum 24. März 2020 wegen Untertauchensgefahr eine Ausschaffungshaft über den Beurteilten an, welche die Einzelrichterin für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht (nachfolgend: Haftrichterin) mit Urteil vom 27. Dezember 2019 bestätigte (VGE AUS.2019.100 vom 27. Dezember 2019). Mit Verfügung vom 10. März 2020 verlängerte das Migrationsamt die Ausschaffungshaft bis zum 5. Mai 2020, entliess den Beurteilten am 17. März 2020 jedoch aufgrund der coronabedingten Notstandssituation aus der Haft.
Am 27. Juni 2024 sprach der Beurteilte am Schalter des Migrationsamts vor. Nachdem eine Kontrolle ergab, dass er mit einer Landesverweisung belegt ist, und sich des Weiteren ergab, dass er am 20. September 2021 in Heidelberg/Deutschland ein Asylgesuch gestellt hatte und in der Folge im Rahmen des Dublinverfahrens hätte am 28. Dezember 2021 in die Schweiz überstellt werden sollen, was jedoch aufgrund seines Untertauchens scheiterte, nahm das Migrationsamt ihn fest und ordnete am 28. Juni 2024 eine Dublin-Vorbereitungshaft von sieben Wochen bis zum 15. August 2024, 14:30 Uhr über ihn an. Der Beurteilte hat um gerichtliche Überprüfung der Haftanordnung ersucht. Der Entscheid ergeht im schriftlichen Verfahren unter Beizug der Vorakten.
Erwägungen
1.
Gemäss Art. 80a Abs. 3 des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG, SR 142.20) wird die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft in Dublin-Fällen auf Antrag der inhaftierten Person durch eine richterliche Behörde in einem schriftlichen Verfahren überprüft. Diese Überprüfung kann jederzeit beantragt werden. Die Frist, innert welcher die Überprüfung zu erfolgen hat, ist der genannte Bestimmung nicht zu entnehmen. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung richtet sich die zulässige Verfahrensdauer nach den Umständen des Einzelfalls. Als Richtschnur dazu hat allerdings die Frist von 96 Stunden nach Art. 80 Abs. 2 AIG zu gelten, welche nicht deutlich überschritten werden sollte (BGE 142 I 135 E. 3.1 S. 147; BGer 2C_620/2021 vom 14. September 2021 E. 3.1). Mit der heutigen Überprüfung der Haft wird diese Frist eingehalten.
2.
In Anwendung von Art. 64a Abs. 1 AIG erlässt das Staatssekretariat für Migration (SEM) eine Wegweisungsverfügung gegen eine Person, sofern die Zuständigkeit zur Durchführung eines Asyl- und Wegweisungsverfahrens gemäss der Dublin-III-Ver-ordnung einem anderen Dublin-Staat zukommt. Vorliegend ist, da der für eine Rückübernahme in Frage kommende Dublin-Staat Deutschland noch anzufragen, ob einer Rückübernahme zugestimmt wird (s. unten E. 3.5). Das Vorliegen eines Wegweisungstitels ist für die Vorbereitungshaft nach Dublin-Verfahren deshalb nicht notwendig.
3.
3.1 Die zuständige Behörde kann die betroffene ausländische Person gemäss Art. 76a Abs. 1 AIG zur Sicherstellung der Wegweisung in den für das Asylverfahren zuständigen Dublin-Staat in Haft nehmen, wenn im Einzelfall konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich diese der Durchführung der Wegweisung entziehen will (lit. a), die Haft verhältnismässig ist (lit. b) und sich weniger einschneidende Massnahmen nicht wirksam anwenden lassen (lit. c). Art. 76a Abs. 2 AIG normiert Gründe, welche als konkrete Indizien befürchten lassen, die betroffene Person werde sich der Wegweisung entziehen. Es handelt sich um objektive gesetzliche Kriterien für die Annahme von Fluchtgefahr. Die angegebenen Haftgründe decken sich über weite Strecken mit den Haftgründen der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft nach den Art. 75 f. AIG (Botschaft zur Weiterentwicklung des Dublin/Eurodac-Besitzstands vom 7. März 2014, BBl S. 2675 ff., 2702; Baumann/Göksu, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, Zürich/St. Gallen 2022, Rz 81). Ob eine erhebliche Fluchtgefahr tatsächlich besteht, bedarf zusätzlich der Prüfung im Einzelfall (Zünd, in: Spescha et al. [Hrsg.], Kommentar Migrationsrecht, 5. Auflage, Zürich 2019, Art. 76a AIG N 3; Bau-mann/Göksu, a.a.O., Rz 80; Hugi Yar, Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht, in: Uebersax et al. [Hrsg.], Ausländerrecht, 3. Auflage, Basel 2022, Rz 12.151). Die betroffene Person kann während der Vorbereitung des Entscheids über die Zuständigkeit für das Asylgesuch für maximal sieben Wochen in Haft genommen werden (Art. 76a Abs. 3 lit. a AIG). Das Dublin-Verfahren kommt auch zur Anwendung, wenn der Betroffene in der Schweiz keinen Asylantrag gestellt hat, dies aber in einem anderen Dublinvertragsstaat getan hat (Botschaft zur Weiterentwicklung des Dublin/Eurodac-Besitzstands, a.a.O., S. 2702; Baumann/Göksu, a.a.O., Rz 76; AGE AUS.2016.24 vom 14. März 2016 E. 2.3).
3.2 Das Migrationsamt stützt die angeordnete Haft auf Art. 76a Abs. 2 lit. b AIG, wonach eine Person in Dublin-Vorbereitungshaft genommen werden kann, wenn ihr Verhalten im Ausland in der Schweiz darauf schliessen lässt, dass sie sich behördlichen Anordnungen widersetzt. Dem ist zuzustimmen. Der Beurteilte ist schon mehrfach aus der Schweiz weggewiesen worden, ohne dass er sich an diese Anordnungen gehalten hätte. Nach der rechtskräftigen Abweisung seines Asylgesuchs hätte er die Schweiz bis am 17. November 2015 verlassen müssen. Er blieb jedoch im Land und versuchte seinen illegalen Aufenthalt hier zu legalisieren. Nach dem Rückzug eines früheren Familiennachzuggesuchs seiner (nunmehr getrennt lebenden) Ehefrau wurde der Beurteilte mit Verfügung des Migrationsamts vom 7. Mai 2019 (bestätigt durch den Rekursentscheid des JSD vom 27. Juni 2019) erneut aus der Schweiz wie auch aus dem Schengenraum weggewiesen. Nach seiner Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von elf Monaten und der Auferlegung einer Landesverweisung von fünf Jahren (Urteil des Strafgerichts vom 11. Dezember 2019) und der bald darauf folgenden vorzeitigen Entlassung aus dem Strafvollzug am 24. Dezember 2019 wurde er gleichentags vom Migrationsamt für drei Monate, d.h. bis zum 24. März 2020, in Ausschaffungshaft genommen, am 17. März 2020 jedoch wegen der coronabedingten Notstandssituation aus der Haft entlassen. Der Beurteilte will sich gemäss seinen Angaben (Befragungsprotokoll vom 28. Juni 2024, S. 2) trotz seiner schengenweit geltenden Wegweisung seither in Deutschland und England aufgehalten haben. Als ihm nach Einreichung eines Asylgesuchs in Deutschland am 20. September 2021 die Überstellung in die Schweiz drohte, tauchte er unter. Ungeachtet seiner fünfjährigen Landesverweisung ist der Beurteilte nun wieder in die Schweiz eingereist, notabene ohne gültige Reisepapiere und Visum. Durch sein gesamtes Verhalten macht er in fortgesetzter Weise deutlich, dass er jegliche behördlichen Anordnungen missachtet. Es besteht somit eine erhebliche Gefahr, dass der Beurteilte im Falle seiner Freilassung untertauchen würde.
3.3 Gemäss den anfänglichen Abklärungen des Migrationsamts hielt sich der Beurteilte am 26. Juni 2024 zunächst im Bundesasylzentrum Basel auf. Er will dort ein Asylgesuch gestellt haben. Nach Auskunft des Bundesasylzentrums vom 1. Juli 2024 ist er vor der daktyloskopischen Erfassung indessen dort wieder verschwunden, womit es an einem Asylgesuch fehlt. Auf Nachfrage des Migrationsamts hat der Beurteilte heute jedoch erklärt, ein Asylgesuch stellen zu wollen. An der Rechtmässigkeit der Dublin-Vorbereitungshaft ändert dies freilich nichts. Denn damit wäre die Untertauchensgefahr auch gemäss Art. 76a Abs. 2 lit. f AIG zu bejahen. Nach dieser Bestimmung besteht eine Untertauchensgefahr, wenn sich die betreffende Person rechtswidrig in der Schweiz aufhält, ein Asylgesuch einreicht und damit offensichtlich bezweckt, den drohenden Vollzug einer Wegweisung zu vermeiden. Es ist aufgrund der unmittelbaren zeitlichen Nähe zu seiner Inhaftierung augenscheinlich, dass der Beurteilte sein Asylgesuch vorliegend einzig stellt, um sich damit der Überstellung nach Deutschland zu entziehen.
3.4 Aufgrund seines über Jahre demonstrierten Verhaltens, sich immer wieder nicht um behördliche Anordnungen und Vorschriften zu scheren, ist nicht ersichtlich, wie eine mildere Massnahme, etwa eine Eingrenzung auf ein bestimmtes Gebiet des Kantons und/oder eine engmaschige Meldepflicht den Beurteilten dazu bringen könnte, sich zwecks Rückführung nach dem zuständigen Dublin-Staat Deutschland in Freiheit den hiesigen Behörden zur Verfügung zu halten. Er ist letztlich ohne jegliche gelebten Bezüge zur Schweiz. Dass er etwa eine gefestigte Beziehung zu seiner Tochter C____ und seiner Ehefrau leben würde, hat er weder bei seiner Festnahme noch bei seiner Befragung durch das Migrationsamt geltend gemacht. Der Beurteilte ist, wie seine Reiserei deutlich macht, vielmehr an keinen Ort gebunden.
3.5 Die Dublin-Vorbereitungshaft ist zulässig für die Dauer von maximal 7 Wochen (Art. 76a Abs. 3 lit. a AIG). Die Inhaftnahme bis zur Abklärung der Zuständigkeit für das Asylverfahren und zur Sicherung der späteren Wegweisung ist damit rechtmässig und angemessen. Das Migrationsamt hat noch am gleichen Tag, an welchem es die Vorbereitungshaft angeordnet hat, der zuständigen Bundesbehörde (Dublin Office) beim SEM die für die Einleitung des Rückübernahmegesuchs benötigten Unterlagen übermittelt. Im Übrigen wird es in Zusammenarbeit mit den Bundesbehörden für eine beförderliche Behandlung der Angelegenheit zu sorgen haben, damit das Übernahmeverfahren sobald wie möglich abgeschlossen werden kann.
4.
Es werden keine Gerichtskosten erhoben (§ 4 des Gesetzes über den Vollzug der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht [SG 122.300]).
Demgemäss erkennt der Einzelrichter:
://: Die über A____ angeordnete Dublin-Vorbereitungshaft vom 28. Juni 2024, 14:30 Uhr, bis 15. August 2024, 14:30 Uhr, ist rechtmässig und angemessen.
Es werden keine Kosten erhoben.
Das Migrationsamt wird angewiesen, A____ das vorliegende Urteil in einer für ihn verständlichen Sprache zu eröffnen.
Mitteilung an:
- A____
- Migrationsamt
- Staatssekretariat für Migration
VERWALTUNGSGERICHT BASEL-STADT
Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
Dr. Alexander Zürcher
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Diese ist mit einem Antrag und einer Begründung zu versehen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
Bestätigung
Dieses Urteil wurde A____ durch das Migrationsamt
in _________________ Sprache eröffnet.
Datum: Uhrzeit:
Unterschrift Beurteilter:
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Unterschrift Migrationsamt:
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