| Appellationsgericht als Verwaltungsgericht Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht |
AUS.2024.17
URTEIL
vom 11. März 2024
Beteiligte
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,
Spiegelgasse 12, 4001 Basel
gegen
A____, von Algerien
zurzeit in Haft im Gefängnis Bässlergut,
Freiburgerstrasse 48, 4057 Basel
Gegenstand
Verfügung des Migrationsamts vom 8. März 2024
betreffend Vorbereitungshaft nach Art. 76a AIG (Haft im Rahmen des Dublin-Verfahrens)
Sachverhalt
Der aus Algerien stammende A____ (Beurteilter) wurde am 7. März 2024, 23.00 Uhr, bei der Ausreise nach Frankreich durch eine Patrouille des Grenzwachtkorps einer Kontrolle unterzogen. Anlässlich dieser legitimierte sich der Beurteilte mit einer totalgefälschten portugiesischen Identitätskarte. Bei der Systemabfrage wurde zudem festgestellt, dass A____ im Schengener Informationssystem (SIS) von den niederländischen Behörden «zur Einreiseverweigerung nach Art. 24» und von den österreichischen Behörden mit «Wegweisung eines Drittstaatsangehörigen nach Art. 3» ausgeschrieben ist. Er wurde deshalb vorläufig festgenommen und in der Folge dem Migrationsamt Basel-Stadt übergeben. Dieses verfügte am 8. März 2024 eine Vorbereitungshaft im Dublin-Verfahren nach Art. 76a des Ausländer- und Integrationsgesetzes (AIG, SR 142.20) von sieben Wochen, woraufhin der Beurteilte gleichentags um eine richterliche Überprüfung der angeordneten Haft ersuchte.
Erwägungen
1.
Gemäss Art. 80a Abs. 3 AIG wird die Rechtmässigkeit und Angemessenheit der Haft in Dublin-Fällen auf Antrag der inhaftierten Person durch eine richterliche Behörde in einem schriftlichen Verfahren überprüft. Diese Überprüfung kann jederzeit beantragt werden. Die Frist, innert welcher die Überprüfung zu erfolgen hat, ist der Bestimmung nicht zu entnehmen. Das Bundesgericht hat indessen darauf hingewiesen, dass als Richtschnur die für die Überprüfung der ausländerrechtlichen Haft in Art. 80 Abs. 2 AIG festgelegten 96 Stunden zu gelten haben (vgl. dazu BGE 142 I 135 E. 3.3; BGer 2C_457/2023 vom 15. September 2023 E. 4.3, 2C_620/2021 vom 14. September 2021 E. 3.1). Mit der heutigen Überprüfung der Haft wird diese Frist ohne weiteres eingehalten.
2.
2.1 Die zuständige Behörde kann die betroffene ausländische Person gemäss Art. 76a Abs. 1 AIG zur Sicherstellung der Wegweisung in den für das Asylverfahren zuständigen Dublin-Staat in Haft nehmen, wenn im Einzelfall konkrete Anzeichen befürchten lassen, dass sich diese der Durchführung der Wegweisung entziehen will (lit. a; vgl. nachfolgend E. 2.2), die Haft verhältnismässig ist (lit. b; vgl. nachfolgend E. 2.4) und sich weniger einschneidende Massnahmen nicht wirksam anwenden lassen (lit. c; vgl. nachfolgend E. 2.3). Art. 76a Abs. 2 AIG normiert Gründe, welche als konkrete Indizien befürchten lassen, die betroffene Person werde sich der Wegweisung entziehen. Als Anzeichen dafür, dass sich die betroffene Person der Durchführung der Wegweisung entziehen will, wird insbesondere deren Verhalten in der Schweiz im Ausland, welches darauf schliessen lässt, dass sie sich behördlichen Anordnungen widersetzt (Art. 76a Abs. 2 lit. b) das Betreten des Gebiets der Schweiz trotz Einreiseverbots (sowie fehlende Möglichkeit der sofortigen Wegweisung), angeführt. Es handelt sich um objektive gesetzliche Kriterien für die Annahme von Fluchtgefahr. Die angegebenen Haftgründe decken sich über weite Strecken mit den Haftgründen der Vorbereitungs- und Ausschaffungshaft nach den Art. 75 f. AIG (Botschaft zur Weiterentwicklung des Dublin/Eurodac-Besitzstandes vom 7. März 2014 S. 2675 ff., 2702). Ob eine erhebliche Fluchtgefahr tatsächlich besteht, bedarf zusätzlich der Prüfung im Einzelfall (Zünd, in: Kommentar Migrationsrecht, Spescha et al. [Hrsg.], 5. Auflage 2019, Art. 76a AIG N 3). Die betroffene Person kann während der Vorbereitung des Entscheids über die Zuständigkeit für das Asylgesuch für maximal sieben Wochen in Haft genommen werden (Art. 76a Abs. 3 lit. a AIG). Das Dublin-Verfahren kommt auch zur Anwendung, wenn der Betroffene – wie vorliegend – in der Schweiz keinen Asylantrag gestellt hat, dies aber in einem anderen Dublinvertragsstaat getan hat (Botschaft zur Weiterentwicklung des Dublin/Eurodac-Besitzstandes vom 7. März 2014 S. 2675 ff., 2702; VGE AUS.2019.75 vom 22. Oktober 2019 E. 2.1).
2.2
2.2.1 Wie sich aus dem EURODAC-Trefferformular ergibt, hat der im SIS auch mit dem Alias-Namen [...] verzeichnete Beurteilte – am 3. August 2015 in Österreich um Asyl ersucht (eigenen Angaben zufolge soll er im Jahr 2014 nach Frankreich gekommen sein; nach einer Woche sei er nach Deutschland gegangen, wo er als Minderjähriger in einem Kinderheim untergebracht worden sein soll und ein Jahr geblieben sei; weil es ihm in Deutschland nicht gefallen habe, sei er nach Österreich gereist). Gemäss eigenen Angaben hat er dort einen ablehnenden Entscheid erhalten und ist – behördliche Weisungen ignorierend und mutmasslich den Vollzug seiner Wegweisung nach Algerien verhindernd – nach Belgien weitergereist, wo er mehrere Jahre ohne gültigen Aufenthaltstitel gelebt haben will. Auch in Luxemburg habe er sich ohne gültigen Aufenthaltstitel aufgehalten. Gemäss EURODAC-Trefferformular hat der Beurteilte sodann am 24. Januar 2020 auch in den Niederlanden ein Asylgesuch gestellt. Das Ergebnis dieses Verfahrens hat er jedoch nicht abgewartet und ist in der Folge selbständig – erneut behördliche Weisungen ignorierend – nach Deutschland gereist, wo er abermals erkennungsdienstlich behandelt wurde (2. September 2020). Obwohl er keinen Reisepass auf sich trug und auch kein Visum für die Einreise in die Schweiz vorweisen konnte, ist er nunmehr, ein schengenweites Einreiseverbot missachtend, im Wissen um die Einreisevoraussetzungen – mit einer zugegebenermassen totalgefälschten portugiesischen Identitätskarte – in die Schweiz eingereist. Gemäss seinen Angaben anlässlich der Befragung beim Migrationsamt beabsichtige er bei einer Haftentlassung, sofort nach Belgien weiterzureisen.
2.2.2 Nach dem Gesagten ist auszuschliessen, dass sich der offenbar hochmobile und sich um behördliche Anordnungen regelrecht foutierende Beurteilte im Falle seiner Freilassung einem geordneten Verfahren (= in der Schweiz abwarten, bis klar ist, in welches Land er zurückkehren kann/muss) unterziehen würde. Vielmehr ist anzunehmen, dass er entgegen den behördlichen Anordnungen weiterhin rechtswidrig im Schengen-Raum umherreisen (insbesondere wie beabsichtigt nach Belgien) bzw. untertauchen würde und damit für die Behörden nicht mehr greifbar wäre.
2.3 Es stellt sich im Weiteren die Frage, ob ein milderes Mittel als Haft vorhanden ist, welches ein Untertauchen des Beurteilten wirksam verhindern könnte. A____ verfügt über keinerlei Beziehungen zur Schweiz. In dieser Situation erscheint der Anreiz für den Beurteilten, die Freiheit nach dem vorstehend Erwogenen für eine erneute Weiterreise zu missbrauchen bzw. in der Schweiz unterzutauchen, hoch. Eine regelmässige Meldepflicht könnte den offensichtlich hochmobilen Beurteilten kaum davon abhalten. Darüber hinaus besitzt er auch keinen Reisepass, der für die Dauer des Verfahrens beim Migrationsamt hinterlegt werden könnte, wobei ihn das Fehlen eines solchen ohnehin nicht davon abgehalten hat, zu reisen. Vielmehr hat er sich gefälschter Identitätspapiere bedient. Die Haft ist somit zur Sicherstellung des weiteren Verfahrens notwendig.
2.4 Anhaltspunkte, welche die Haft des Beurteilten als unverhältnismässig erscheinen lassen würden, werden von diesem nicht vorgebracht und sind auch nicht ersichtlich, zumal es sich bei ihm um einen jungen, gesunden Mann handelt und er anlässlich seiner Befragung vom 8. März 2024 beim Migrationsamt auch zu Protokoll gegeben hat, dass es ihm gesundheitlich gut gehe. Auch ist die Anordnung der Vorbereitungshaft für die maximal mögliche Dauer von sieben Wochen (Art. 76a Abs. 3 lit. a AIG) nicht zu beanstanden, da zunächst die Zuständigkeit des Rückübernahmestaates (mutmasslich Österreich, Holland Deutschland) zu prüfen ist und das Staatssekretariat für Migration (SEM) anschliessend die Wegweisung verfügen muss. Das Migrationsamt ist jedoch gehalten, auch im weiteren Fortgang des Verfahrens das Beschleunigungsgebot zu wahren. Zudem hat es zu prüfen, ob der Beurteilte allenfalls nicht zu seiner Ehefrau (in der Befragung vom 8. März 2024 sprach der Beurteilte davon, dass er in Belgien heiraten werde bzw. er wolle zu seiner Ehefrau gehen), zurückkehren kann.
3.
Die Vorbereitungshaft im Rahmen des Dublin-Verfahrens erweist sich nach dem Gesagten als rechtmässig und angemessen. Für das vorliegende Verfahren werden keine Kosten erhoben (§ 4 des Gesetzes über den Vollzug der Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht [SG 122.300]).
Demgemäss erkennt der Einzelrichter:
://: Die über A____ angeordnete Vorbereitungshaft ist für sieben Wochen, das heisst vom 7. März 2024 bis zum 24. April 2024, rechtmässig und angemessen.
Es werden keine Kosten erhoben.
Der Entscheid ist A____ in einer für ihn verständlichen Sprache durch das Migrationsamt zu eröffnen.
Mitteilung an:
- A____
- Migrationsamt Basel-Stadt
- Staatssekretariat für Migration
VERWALTUNGSGERICHT BASEL-STADT
Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
Dr. Beat Jucker
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Diese ist mit einem Antrag und einer Begründung zu versehen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
Der inhaftierte Ausländer kann einen Monat nach der Haftüberprüfung ein Haftentlassungsgesuch einreichen beim Verwaltungsgericht Basel-Stadt, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.