Zusammenfassung des Urteils AUS.2019.98 (AG.2020.1): Appellationsgericht
A____, alias B____, aus Algerien hat ein Asylgesuch in der Schweiz gestellt, welches abgeschrieben wurde. Er wurde wegen Diebstahl und Sachbeschädigung verurteilt und zu einer Freiheitsstrafe verurteilt. Nach verschiedenen Delikten wurde er des Landes verwiesen. Das Migrationsamt verhängte Ausschaffungshaft, die vom Einzelrichter bestätigt wurde. A____ beantragte die Haftentlassung, die jedoch abgelehnt wurde. Das Migrationsamt verlängerte die Haft, da A____ nicht bereit war, in sein Heimatland zurückzukehren. Der Einzelrichter bestätigte die Verlängerung der Haft bis April 2020, da keine Vollzugshindernisse vorlagen. Die Gerichtskosten belaufen sich auf CHF 1184.70.
Kanton: | BS |
Fallnummer: | AUS.2019.98 (AG.2020.1) |
Instanz: | Appellationsgericht |
Abteilung: |
Datum: | 20.12.2019 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Verlängerung der Ausschaffungshaft (BGer 2C_15/2020 vom 6. Februar 2020) |
Schlagwörter: | Beurteilte; Migration; Irland; Migrationsamt; Behörde; Aufenthalt; Beurteilten; Behörden; Irischen; Aufenthalts; Basel; Einzelrichter; Ausschaffungshaft; Gericht; Verhandlung; Algerien; Urteil; Tochter; Ausländer; Basel-Stadt; Gefängnis; Verlängerung; Diebstahl; Haftentlassung; Vollzug; Antwort; ültig |
Rechtsnorm: | Art. 69 AIG ;Art. 75 AIG ;Art. 76 AIG ;Art. 78 AIG ;Art. 79 AIG ; |
Referenz BGE: | 125 II 369; 127 II 168; 130 II 56; |
Kommentar: | - |
Appellationsgericht des Kantons Basel-Stadt als Verwaltungsgericht Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im |
AUS.2019.98
URTEIL
vom 20. Dezember 2019
Beteiligte
Migrationsamt des Kantons Basel-Stadt,
Spiegelgasse 12, Postfach, 4001 Basel
gegen
A____, alias B____,
von Algerien,
zurzeit: c/o Gefängnis Bässlergut,
Freiburgerstr.48, 4057Basel
vertreten durch [...] Advokat,
[...]
Gegenstand
Verfügung des Migrationsamtes vom 13. Dezember 2019
betreffend Verlängerung der Ausschaffungshaft
Sachverhalt
Den Akten zufolge hat A____, von Algerien, alias B____, [...] von Algerien, am 21. Januar 2019 ein Asylgesuch in der Schweiz gestellt. In der Folge wurde eine unkontrollierte Abreise verzeichnet und das Asylgesuch abgeschrieben. Am 13. Februar 2019 wurde er im Strafbefehlsverfahren wegen mehrfachem Diebstahl, Sachbeschädigung und mehrfachem geringfügigem Missbrauch einer Datenverarbeitungsanlage zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 180 Tagen, mit einer Probezeit von 4 Jahren, und einer Busse von CHF 1000.- verurteilt. Am 12. März 2019 wurde er an der Gerbergasse von der Fasnachtspatrouille der Polizei festgenommen, und anschliessend wurde er in Untersuchungshaft versetzt. Das Strafgericht hat A____ am 15. Mai 2019 des Diebstahls und des rechtswidrigen Aufenthalts schuldig erklärt und die genannte Vorstrafe vom 13. Februar 2019 vollziehbar erklärt; es hat auf eine Gesamtfreiheitsstrafe von 10 Monaten erkannt und ihn gestützt auf Art. 66abis StGB für 3 Jahre des Landes verwiesen. Dieses Urteil ist rechtskräftig. Am 1. Oktober 2019 wurde er aus dem Strafvollzug bedingt entlassen. Das Migrationsamt hat am 2. Oktober 2019 Ausschaffungshaft für 3 Monate bis 1. Januar 2020 über ihn verfügt, welche Haft der Einzelrichter mit Urteil AUS.2019.68 vom 2. Oktober 2019 bestätigt hat. A____ hat mit Schreiben vom 31. Oktober 2019 (Eingang: 5. November 2019) die Haftentlassung beantragt, welches Gesuch der Einzelrichter mit Urteil AUS.2019.79 vom 13. November 2019 abgewiesen hat. Am 13. Dezember 2019 hat das Migrationsamt die Verlängerung der Haft um 3 Monate bis 1. April 2020 verfügt. Die Überprüfung der Haftverlängerung durch den Einzelrichter hat am 20. Dezember 2019 im Gefängnis Bässlergut anlässlich einer mündlichen Verhandlung stattgefunden. Der Vertreter von B____ beantragt dessen Haftentlassung, unter o/e Kostenfolge bzw. unentgeltlicher Verbeiständung.
Erwägungen
1.
Hinsichtlich der Gründe, die zur Bestätigung der Anordnung der Ausschaffungshaft geführt haben, wird auf das Urteil AUS.2019.68 vom 2. Oktober 2019 E.2 verwiesen. Hier wird daran erinnert, dass gegen den Beurteilten ein rechtskräftiger und eröffneter Landesverweis vorliegt, und dass aufgrund mehrfacher Verurteilung wegen Diebstahls der Haftgrund der Verurteilung wegen eines Verbrechens gegeben ist. Mit der Verwendung mehrerer Identitäten ist auch Untertauchensgefahr gegeben, dies umso mehr, als der Beurteilte sich ausdrücklich gegen den Wegeweisungsvollzug nach Algerien stellt und Irland nicht bereit ist, ihn wieder aufzunehmen.
2.
2.1 Die Vorbereitungs- und die Ausschaffungshaft nach Art. 75 bis 77 AIG sowie die Durchsetzungshaft nach Art. 78 AIG dürfen zusammen in der Regel die maximale Haftdauer von sechs Monaten nicht überschreiten (Art. 79 Abs. 1 AIG), was vorliegend nicht der Fall ist. Weiter darf der Vollzug einer allfälligen Weg- Ausweisung nicht aus rechtlichen tatsächlichen Gründen undurchführbar sein (Art. 80 Abs. 6 lit. a AuG; BGE 127 II 168 E. 2c S. 171 f.). Schliesslich hat die zuständige Behörde ohne Verzug über die Aufenthaltsberechtigung des Ausländers zu entscheiden (Art. 75 Abs. 2 AIG), und sind die für den Vollzug der Weg- Ausweisung oder der Landesverweisung nach Artikel 66a 66abis StGB Artikel 49a 49abis MStG notwendigen Vorkehren umgehend zu treffen (Art. 76 Abs. 4 AIG, Beschleunigungsgebot). Die Haft als Ganzes muss verhältnismässig sein (vgl. BGE 130 II 56 E. 1 S. 58 und BGE 125 II 369 E. 3a S. 374 f.). Die genannten Kriterien gelten sowohl im Falle einer Haftverlängerung als auch bei der Prüfung eines Haftentlassungsgesuchs (BGer 2A.363/2004 vom 6. Juli 2004, E. 2.1).
2.2 Der Beurteilte hatte anlässlich der Haftrichterverhandlung vom 2. Oktober 2019 eine bis dahin nicht aktenkundige Identität bekannt gegeben, nämlich B____. Er hat geltend gemacht, nach Irland gehen zu wollen, wo seine Ex-Ehefrau und seine Tochter leben würden.
Grundsätzlich ist der Beurteilte berechtigt, in das Land seiner Wahl auszureisen, sofern dies rechtlich und tatsächlich möglich ist (Art. 69 Abs. 2 AIG; Andreas Zünd, in: Migrationsrecht, 5. Aufl., Zürich 2019, Art. 69 AIG N 6). Der Beurteilte weigert sich, nach Algerien auszureisen, was er bereits in der Verhandlung vom 13. November 2019, seither auch gegenüber dem Migrationsamt und nun anlässlich der heutigen Verhandlung erneut bestätigt hat - lieber bliebe er hier im Gefängnis. Das Migrationsamt und das SEM haben Abklärungen in Irland getätigt und in verschiedenen Etappen ausführliche Antwort erhalten. Der Beurteilte ist den Irischen Behörden bekannt. Er ist dort 1996 eingereist und hat um Asyl ersucht, was 1998 verweigert worden ist. Dieser Entscheid wurde 1999 von der Beschwerdeinstanz bestätigt, worauf der Beurteilte in Edinburgh (Scotland) ebenfalls um Asyl ersucht hat; er wurde nach Irland rücküberstellt. Im Jahr 2000 hat er C____ geheiratet, welcher Ehe 2001 eine Tochter entsprungen ist. Gestützt auf die Heirat hat der Beurteilte eine bis 2007 gültige Aufenthaltsbewilligung erhalten. 2002 wurde die Ehe getrennt und 2007 geschieden. Die Aufenthaltsbewilligung wurde zunächst bis 2009 verlängert, dann wegen des Strafregisters aber nicht mehr. Seither hatte der Beurteilte keine rechtliche Aufenthaltsbewilligung mehr für Irland. 2010 wurde dem Beurteilten die Einreise für Belgien verweigert, da er sich mit einem gefälschten französischen Pass ausgewiesen hat. 2011 wurde er in Stranraer (Scotland) kontrolliert und konnte sich nicht ausweisen; er wurde zurück nach Irland verbracht. Er hat auch gestützt auf seine Vaterschaft eines Irischen Kindes ein Gesuch um Aufenthalt und Arbeitsbewilligung gestellt, welches aber abgewiesen wurde. Der Beurteilte wurde verschiedentlich verurteilt und inhaftiert, und zwar u.a. häufig wegen Fahrens in angetrunkenem Zustand, Diebstahls, Sachbeschädigung und Waffenbesitz. Der Führerschein wurde ihm für 10 Jahre entzogen.
Die Irischen Behörden haben zudem Kopien von Identitätspapieren aufgelegt, so etwa von drei Algerischen Pässen, ausgestellt in London und gültig bis 2006 resp. 2011 resp. 2015, die Heiratsurkunde aus dem Jahr 2000 (notabene unter einem weiteren Aliasnamen des Beurteilten, nämlich D____) sowie ein Visum von 2008.
Dieses Ergebnis der Abklärungen hat der Sachbearbeiter des Migrationsamtes dem Beurteilten am 7. November 2019 eröffnet und auch den Schluss daraus, dass der Beurteilte nicht nach Irland reisen kann, weil er dort über keinen Aufenthalt verfügt. Der Beurteilte ist aber offenbar der Auffassung, er habe eine bis 2020 gültige Sozialbewilligung, welche seine Tochter besorgen könne; anlässlich der Verhandlung vom 13. November 2019 hat er daran festgehalten, Kontakt zur Tochter und zur Irischen Behörde zu haben, deren Antwort er erwartet. Seit jener Verhandlung hat der Beurteilte eine Health Service Executive Karte, gültig bis "04-19", aufgelegt. Das SEM hat dem Migrationsamt auf deren Vorlage hin mit E-Mail vom 2. Dezember 2019 beschieden, dass keine Möglichkeit für eine Rückführung nach Irland bestehe, was nach den vorstehend dargestellten, umfangreichen Antworten der Irischen Behörden ebenso nachvollziehbar ist - eine abgelaufene Krankenkassenkarte kann zum vornherein nicht zum Aufenthalt in einem Staat berechtigen, zumal die zuständigen Behörden den Aufenthalt aktuell eben gerade verweigern - wie die Auffassung des Migrationsamtes, ein vom Beurteilten ebenfalls neu aufgelegtes Schreiben der Irischen Behörden vom 4. November 2008 ermögliche ihm keine aktuelle Rückkehr nach Irland, denn dieses 11 Jahre alte Schreiben belegt einzig die ja bereits bekannte Tatsache, dass er damals über einen Aufenthaltstitel für Irland verfügt hatte. Wie dargelegt, lässt sich daraus für die heutige Situation indessen nichts zugunsten des Beurteilten ableiten. Angesichts der vorliegenden, umfangreichen Auskünfte der Irischen Behörden ist das SEM im Übrigen auch nicht gehalten, diesbezüglich noch weitere Nachforschungen anzustellen, weil, wie dargestellt, die Irischen Behörden die Frage bereits (negativ) beantwortet haben. Es steht dem Beurteilten andererseits weiterhin frei, allenfalls entsprechende Dokumente zu organisieren und ins Gefängnis zukommen zu lassen; sofern sich aus solchen Dokumenten ernsthaft eine aktuelle Aufenthaltsberechtigung des Beurteilten in Irland ableiten lassen können sollte, würden das SEM und das Migrationsamt gehalten sein, entsprechende Schritte zu unternehmen.
Eine Ausreisemöglichkeit nach Irland hat sich also bislang nicht ergeben. Die Auskunft der Irischen Behörden illustriert dagegen, dass sich der Beurteilte nicht an behördliche Anordnungen hält, und es ist noch eine weitere Aliasidentität bekannt geworden sowie das Verwenden gefälschter Papiere, womit sich die Annahme von Untertauchensgefahr weiter erhärtet hat.
2.3 Rechtliche tatsächliche Vollzugshindernisse sind nicht ersichtlich. Mildere Massnahmen zur Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs als die angeordnete Haft sind ebensowenig ersichtlich, da der Beurteilte nicht in seine Heimat auszureisen bereit ist und bei der Papierbeschaffung nicht kooperiert. Das Beschleunigungsgebot ist gewahrt, nachdem das Migrationsamt beim SEM um Vollzugsunterstützung und dieses am 14. August 2019 bei den algerischen Behörden um Anerkennung des Beurteilten und um ein Laissez-Passer für ihn nachgesucht haben; laut Einschätzung des SEM kann es bis zu 6 Monate dauern, bis mit einer Antwort zu rechnen ist. Am 5. November 2019 wurden den Algerischen Behörden die neu bekannt gewordenen Passnummern weitergereicht. Der Beurteilte hat es selber in der Hand, die Haft zu verkürzen, indem er seinen Mitwirkungspflichten nachkommt. Die Verlängerung der Ausschaffungshaft um 3 Monate ist somit recht- und verhältnismässig und zu bestätigen. Daran ändert die an der heutigen Verhandlung bekannt gewordene Erkrankung der Tochter an Diabetes ebensowenig wie deren Pläne, in der Schweiz Medizin studieren zu wollen, denn (auch) daraus lässt sich derzeit kein Aufenthaltstitel für den Beurteilten in der Schweiz in Irland ableiten.
3.
Das Verfahren ist kostenlos. Der unentgeltliche Vertreter ist gemäss geltend gemachtem Aufwand zu entschädigen.
Demgemäss erkennt der Einzelrichter:
://: Die über A____, alias B____, angeordnete Verlängerung der Ausschaffungshaft ist bis 1. April 2020 rechtmässig.
Das Verfahren ist kostenlos.
A____, alias B____, wird für das vorliegende Verfahren die unentgeltliche Verbeiständung mit Advokat [...] bewilligt und diesem ein Honorar von CHF 1100.- zuzüglich 7,7 % Mehrwertsteuer zu CHF 84.70, somit total CHF 1184.70 aus der Gerichtskasse ausgerichtet.
Mitteilung an
- Beurteilter
- Rechtsvertretung
- Migrationsamt Basel-Stadt
- Staatssekretariat für Migration
VERWALTUNGSGERICHT BASEL-STADT
Der Einzelrichter für Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht
Dr. Peter Bucher
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann unter den Voraussetzungen von Art. 82 ff. des Bundesgerichtsgesetzes (BGG) innert 30 Tagen Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten erhoben werden. Die Beschwerdeschrift ist fristgerecht dem Bundesgericht, 1000 Lausanne 14, einzureichen. Diese ist mit einem Antrag und einer Begründung zu versehen. Die Beschwerde hat keine aufschiebende Wirkung.
Der inhaftierte Ausländer kann einen Monat nach der Haftüberprüfung ein Haftentlassungsgesuch einreichen beim Verwaltungsgericht Basel-Stadt, Bäumleingasse 1, 4051 Basel.
Hinweis
Dieses Urteil wurde dem Ausländer und auch seinem Vertreter am heutigen Tag mündlich erläutert und schriftlich ausgehändigt.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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