Zusammenfassung des Urteils AL.2018.10 (SVG.2019.3): Sozialversicherungsgericht
Ein Beschwerdeführer, vertreten durch lic. iur. B__, hat gegen die Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt geklagt, um eine Insolvenzentschädigung in Höhe von Fr. 4110.-- zurückzufordern. Der Beschwerdeführer hatte offene Lohnforderungen gegenüber seiner ehemaligen Arbeitgeberin, der Firma D__ AG, geltend gemacht. Trotz einer vorbehaltlosen Auskunft der Beschwerdegegnerin, dass sein Anspruch nicht verwirkt sei, entschied das Gericht, dass die Auszahlung zu Unrecht erfolgt sei. Der Beschwerdeführer hatte die 60-tägige Frist zur Geltendmachung seines Anspruchs verpasst, wodurch sein Anspruch auf Insolvenzentschädigung verwirkt wurde. Das Gericht wies die Beschwerde ab und entschied, dass die Rückforderung der Auszahlung gerechtfertigt sei.
Kanton: | BS |
Fallnummer: | AL.2018.10 (SVG.2019.3) |
Instanz: | Sozialversicherungsgericht |
Abteilung: |
Datum: | 22.10.2018 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Rückforderung einer zufolge Verwirkung unrechtmässig ausgerichteten Insolvenzentschädigung |
Schlagwörter: | Insolvenzentschädigung; Arbeit; Frist; Anspruch; Recht; Leistung; Konkurs; Vorakte; Auskunft; Vertrauen; Rückforderung; Verfügung; Recht; Sozialversicherung; Arbeitgeber; Entscheid; Einsprache; Voraussetzung; IE-Tatbestand; Auszahlung; Verhalten; Sozialversicherungsgericht; Basel; Einspracheentscheid; Voraussetzungen; Bundesgericht; Verfügungen; Verwirkung; Lohnforderungen |
Rechtsnorm: | Art. 169 KG ;Art. 25 ATSG ;Art. 38 ATSG ;Art. 42 BGG ;Art. 47 BGG ;Art. 51 AVIG;Art. 53 ATSG ;Art. 53 AVIG;Art. 58 AVIG;Art. 9 BV ;Art. 95 AVIG;Art. 95 BGG ;Art. 97 AHVG ; |
Referenz BGE: | 111 Ib 116; 123 V 106; 123 V 108; 126 V 139; 129 V 110; 130 V 407; 131 V 196; 137 II 182; |
Kommentar: | Kieser, ATSG-Kommentar, Art. 53 ATSG, 2015 |
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt
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URTEIL
vom 22. Oktober 2018
Mitwirkende
Dr. G. Thomi (Vorsitz), P. Kaderli, Dr. med. C. Karli
und Gerichtsschreiberin lic. iur. H. Hofer
Parteien
A____
vertreten durch lic. iur. B____
Beschwerdeführer
Öffentliche Arbeitslosenkasse Basel-Stadt
Hochstrasse37, Postfach 3759, 4002Basel
vertreten durch Amt für Wirtschaft und Arbeit, C____, Hochstrasse37, Postfach, 4002Basel
Beschwerdegegnerin
Gegenstand
AL.2018.10
Einspracheentscheid vom 27. Februar 2018
Rückforderung einer zufolge Verwirkung unrechtmässig ausgerichteten Insolvenzentschädigung
Tatsachen
I.
a) Der Beschwerdeführer war von April 2015 bis Juni 2015 bei der Firma D____ AG angestellt und durch deren Vermittlung für verschiedene Baufirmen im Einsatz. Mit Unterstützung der Gewerkschaft E____ machte er in Folge gegenüber der ehemaligen Arbeitgeberin ausstehende Lohnforderungen geltend. Mit Entscheid GS 2016.9 vom 2. Juni 2016 verurteilte das Arbeitsgericht Basel-Stadt die D____ AG zur Zahlung von ausstehenden Löhnen in der Höhe von Fr. 4477.65 an den Beschwerdeführer und beseitigte den von dieser erhobenen Rechtsvorschlag (Vorakte 18), worauf der Beschwerdeführer das Vollstreckungsverfahren fortsetzte und am 10. November 2016 ein Konkursbegehren stellte, auf welches das Zivilgericht mit Entscheid KB.2016.446 vom 6. Dezember 2016 mangels Leistung des Kostenvorschusses nicht eintrat (Vorakte 22).
b) Am 27. Februar 2017 ging bei der Beschwerdegegnerin ein Antrag auf Insolvenzentschädigung ein (Vorakte 23). Von dieser erhielt der Beschwerdeführer daraufhin die Auskunft, seine Anmeldung sei verspätet erfolgt. Es sei jedoch noch nichts verloren, da ein Insolvenzentschädigungstatbestand (nachfolgend: IE-Tatbestand) gegeben sein werde, sobald das Gericht die Gesellschaft auflöse und die Liquidation nach den Vorschriften des Konkurses anordne (Mail vom 30. März 2017, Vorakte 25). Nachdem das Zivilgericht am 30. Mai 2017 die Liquidation der D____ AG nach den Vorschriften über den Konkurs angeordnet hatte und die Beschwerdegegnerin sich mit den nötigen Unterlagen dokumentiert hatte, kam es am 24. August 2017 zur Auszahlung einer Insolvenzentschädigung in der Höhe von Fr. 4110.-- (Vorakte 27).
c) Am 7. Dezember 2017 eröffnete die Beschwerdegegnerin dem Beschwerdeführer mittels Verfügung, die bezogene Leistung sei zu Unrecht ausgerichtet worden und müsse zurückgefordert werden. Weiterhin vertreten durch die Gewerkschaft E____ erhob der Beschwerdeführer dagegen Einsprache (vom 16. Januar 2018, Vorakte 30), die mit Einspracheentscheid vom 27. Februar 2018 abgewiesen wurde (Vorakte 31).
II.
Nunmehr vertreten durch den Advokaten B____ erhebt der Beschwerdeführer am 16. April 2018 Beschwerde gegen den Einspracheentscheid und ersucht um dessen Aufhebung. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ersucht er um Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Beschwerde.
Die Beschwerdegegnerin schliesst mit Beschwerdeantwort vom 28. Juni 2018 auf Abweisung der Beschwerde.
Der Beschwerdeführer hält am 17. September 2018 replicando an seinen Beschwerdeanträgen fest.
III.
Innert Frist hat keine der Parteien die Durchführung einer mündlichen Parteiverhandlung verlangt. Am 22. Oktober 2018 findet die Urteilsberatung der Kammer des Sozialversicherungsgerichts statt.
Entscheidungsgründe
1.
1.1. Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt ist gemäss Art. 56 Abs. 1 und Art. 57 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG, SR 830.1) in Verbindung mit § 82 Abs. 1 des basel-städtischen Gerichtsorganisationsgesetzes vom 3. Juni 2015 (GOG, SG 154.100) und § 1 Abs. 1 des kantonalen Sozialversicherungsgerichtsgesetzes vom 9. Mai 2001 (SVGG, SG 154.200) zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde sachlich zuständig. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts ergibt sich aus Art. 100 Abs. 3 des Bundesgesetzes über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 25. Juni 1982 (AVIG, SR 837.0) in Verbindung mit Art. 128 sowie Art. 119 Abs. 1 lit. a der Verordnung über die obligatorische Arbeitslosenversicherung und die Insolvenzentschädigung vom 31. August 1983 (AVIV, SR 837.02).
1.2. Da - unter Berücksichtigung des Fristenstillstands gemäss Art. 38 Abs. 4 lit. a ATSG - auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten.
3.1.2. Ferner ist eine Leistung in der Sozialversicherung nach ständiger bundesgerichtlicher Rechtsprechung nur zurückzuerstatten, wenn in verfahrensrechtlicher Hinsicht entweder die für die (prozessuale) Revision die für die Wiedererwägung erforderlichen Voraussetzungen erfüllt sind. Gemäss Art. 53 Abs. 1 ATSG müssen formell rechtskräftige Verfügungen und Einspracheentscheide in Revision gezogen werden, wenn die versicherte Person der Versicherungsträger nach deren Erlass erhebliche neue Tatsachen entdeckt Beweismittel auffindet, deren Beibringung zuvor nicht möglich war. Nach Art. 53 Abs. 2 ATSG kann der Versicherungsträger auf formell rechtskräftige Verfügungen Einspracheentscheide zurückkommen, wenn diese zweifellos unrichtig sind und wenn ihre Berichtigung von erheblicher Bedeutung ist. Den formell rechtskräftigen Verfügungen gleichgestellt sind auch die im formlosen Verfahren ergangenen Entscheide, soweit sie eine mit dem Ablauf der Beschwerdefrist bei formellen Verfügungen vergleichbare Rechtsbeständigkeit erreicht haben (Kieser, ATSG-Kommentar, 2015, Art. 53 Rz. 19 und 46). Für die Verwaltung ist die Rechtsbeständigkeit diesfalls nach Ablauf einer Zeitspanne eingetreten, welche der Rechtsmittelfrist bei formellen Verfügungen entspricht. Zu einem späteren Zeitpunkt bedarf demnach das Zurückkommen auf eine faktische Verfügung eines Rückkommenstitels in Form einer Wiedererwägung einer prozessualen Revision, während vor Ablauf dieser Frist eine Rückforderung zufolge unrichtiger Leistungserbringungen ohne Bindung an die Voraussetzungen für einen Rückkommenstitel möglich ist (BGE 129 V 110, mit Hinweisen).
4.3.2. Die Beschwerdegegnerin stützt sich zur Begründung ihrer Rückforderung hauptsächlich auf eine Verwaltungsweisung des Seco (AVIG-Praxis IE Rz. B30), wonach eine im Rahmen der Nachlassstundung nicht rechtzeitig geltend gemachte Forderung anlässlich eines weiteren IE-Ereignisses nicht erneut geltend gemacht werden kann. Im Lichte der dargelegten Rechtsprechung und Doktrin vermag der Standpunkt des Beschwerdeführers, wonach diese Ausschliesslichkeit nur im Verhältnis zwischen den IE-Tatbeständen gemäss Art. 58 AVIG auf der einen Seite und Art. 51 AVIG auf der anderen Seite bestehe, nicht zu überzeugen. Es sind vielmehr jegliche Konstellationen von IE-Tatbeständen möglich, bei denen vor Eintritt des ersten Tatbestandes entstandene Forderungen, die nicht rechtzeitig geltend gemacht wurden, im Rahmen des zweiten Ereignisses zufolge Verwirkung nicht mehr entschädigungsfähig sind. Anders verhielte es sich nur, wenn durch fortgesetzte Arbeit im Rahmen eines weiterhin bestehenden Arbeitsverhältnisses in der Zwischenzeit neue ungedeckt gebliebene Lohnansprüche entstanden wären. Bei dieser Sachlage würde die spätere Konkurseröffnung einen neuen Versicherungsfall auslösen (vgl. Burgherr, a.a.O. S. 82). Das ist vorliegend nicht der Fall. Damit ist erstellt, dass die Anspruchsvoraussetzungen anlässlich der gerichtlich angeordneten Liquidation der ehemaligen Arbeitgeberin nach den Vorschriften des Konkurses im Mai 2017 nicht gegeben waren. Die Auszahlung der Insolvenzentschädigung in der Höhe von Fr. 4110.-- am 24. August 2017 (Vorakte 27) ist damit zweifellos zu Unrecht im Sinne von Art. 53 Abs. 2 ATSG erfolgt. Eine korrekte Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen hätte zu einem anderen Ergebnis, nämlich zur Verweigerung der Auszahlung, geführt. Die Berichtigung ist folglich von erheblicher Bedeutung (vgl. Kieser, ATSG-Kommentar, 2015, Art. 53, Rz 57), womit die Wiedererwägungsvoraussetzungen erfüllt sind.
Demgemäss erkennt das Sozialversicherungsgericht:
://: Die Beschwerde wird abgewiesen.
Das Verfahren ist kostenlos.
Die ausserordentlichen Kosten werden wettgeschlagen.
Sozialversicherungsgericht BASEL-STADT
Der Präsident Die Gerichtsschreiberin
Dr. G. Thomi lic. iur. H. Hofer
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz, BGG]). Die Beschwerdefrist kann nicht erstreckt werden (Art. 47 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegründe sind in Art. 95 ff. BGG geregelt.
Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, in dreifacher Ausfertigung zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat den Anforderungen gemäss Art. 42 BGG zu genügen; zu beachten ist dabei insbesondere:
a) Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten;
b) in der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt;
c) die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat, ebenso der angefochtene Entscheid.
Geht an:
- Beschwerdeführer
- Beschwerdegegnerin
- seco
Versandt am:
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