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Urteil Sozialversicherungsgericht (BS - AH.2020.4 (SVG.2021.79))

Zusammenfassung des Urteils AH.2020.4 (SVG.2021.79): Sozialversicherungsgericht

Die Beschwerdeführerin war von 1995 bis 2016 bei der Beschwerdegegnerin als abrechnungspflichtige Arbeitgeberin tätig und verwendete fiktive Rechnungen, um Schwarzarbeiter zu entlohnen. Die Eidgenössische Steuerverwaltung stellte dies fest, woraufhin die Beschwerdegegnerin eine Nachtragsabrechnung für Sozialabgaben forderte. Die Beschwerdeführerin legte Einspruch ein, der abgewiesen wurde. Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt entschied, dass die Verjährungsfrist für die Nachforderung bereits abgelaufen war, da die Beitragsforderung aus strafbaren Handlungen resultierte. Die Beschwerde wurde daher gutgeheissen, der Einspracheentscheid aufgehoben und die Beschwerdegegnerin zur Zahlung einer Parteientschädigung verpflichtet.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AH.2020.4 (SVG.2021.79)

Kanton:BS
Fallnummer:AH.2020.4 (SVG.2021.79)
Instanz:Sozialversicherungsgericht
Abteilung:
Sozialversicherungsgericht Entscheid AH.2020.4 (SVG.2021.79) vom 23.09.2020 (BS)
Datum:23.09.2020
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:Verjährung einer Nachforderung für Sozialversicherungsbeiträge bereits eingetreten
Schlagwörter: Rechnung; Urkunde; Rechnungen; Bericht; Einsprache; Einspracheentscheid; Verjährung; Beiträge; Urkunden; Sozialversicherungsgericht; Forderung; Verfahren; Schwarzarbeit; Verjährungsfrist; Recht; Parteien; Basel; Verfügung; Basel-Stadt; Schwarzarbeiter; Bundesgesetzes; Zahlung; Arbeitgeber; Recht; Hinweis; Entscheid; Bundesgericht; Beschwerdeantwort; Höhe
Rechtsnorm: Art. 10 AHVG ;Art. 110 StGB ;Art. 14 AHVG ;Art. 16 AHVG ;Art. 24 ATSG ;Art. 251 StGB ;Art. 42 BGG ;Art. 47 BGG ;Art. 5 AHVG ;Art. 51 AHVG ;Art. 6 AHVG ;Art. 64 AHVG ;Art. 8 AHVG ;Art. 87 AHVG ;Art. 95 BGG ;
Referenz BGE:117 IV 169; 117 IV 38; 119 IV 57; 121 IV 131; 131 IV 125; 138 IV 130; 138 IV 135;
Kommentar:
Félix Frey, Hans-Jakob Mosimann, Susanne Bollinger, Ort, Art. 16 OR AHVG, 2018

Entscheid des Verwaltungsgerichts AH.2020.4 (SVG.2021.79)

Sozialversicherungsgericht

des Kantons Basel-Stadt



URTEIL


vom 23. September 2020



Mitwirkende


Dr. G. Thomi (Vorsitz), C. Müller, lic. phil. D. Borer

und Gerichtsschreiberin MLaw K. Zimmermann



Parteien


A____

[...]

vertreten durch lic. iur. B____, Advokat, [...]

Beschwerdeführerin


Ausgleichskasse Basel-Stadt

Wettsteinplatz1, Postfach, 4001Basel

Beschwerdegegnerin


Gegenstand


AH.2020.4

Einspracheentscheid vom 20. März 2020

Verjährung einer Nachforderung für Sozialversicherungsbeiträge bereits eingetreten



Tatsachen

I.

a) Die Beschwerdeführerin war vom 1. Juli 1995 bis 31. Dezember 2016 bei der Beschwerdegegnerin als abrechnungspflichtige Arbeitgeberin angeschlossen und hatte gestützt auf Art. 64 AHVG Sozialversicherungsbeiträge mit der Beschwerdegegnerin abzurechnen.

b) In den Jahren 2006 bis 2009 verbuchte die Beschwerdeführerin fiktive Rechnungen der [...] Gesellschaften [...] und [...] als Aufwand und verwendete das zur Begleichung dieser fiktiven Rechnungen bezogene Bargeld grösstenteils dazu, um im Betrieb beschäftigte Schwarzarbeiter zu entlöhnen. Dieser Sachverhalt wurde von der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) untersucht (vgl. Bericht der ESTV vom [...] [nachfolgend: Bericht], Beschwerdebeilage/BB 3) und ist soweit unbestritten.

c) Mit Schreiben vom 8. Oktober 2019 erstattete die ESTV bei der Beschwerdegegnerin eine Meldung betreffend Schwarzarbeit (Beschwerdeantwortbeilage/AB 1) und ersuchte die Beschwerdegegnerin um nachträgliche Festsetzung der geschuldeten Sozialabgaben sowie um Erstattung einer Strafanzeige (a.a.O.). Daraufhin verfügte die Beschwerdegegnerin am 29. Oktober 2019 eine Nachtragsabrechnung für die Abrechnungsperiode vom 1.Januar 2006 bis 31. Dezember 2008 im Umfang von insgesamt CHF [...] (Nachtragsverfügung, AB 2) und erstattete am 18. November 2019 bei der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt Anzeige (Strafanzeige, AB 3).

d) Eine von der Beschwerdeführerin am 29. November 2019 gegen die Nachtragsabrechnung erhobene Einsprache (BB 5) wurde von der Beschwerdegegnerin mit Einspracheentscheid vom 20. März 2020 abgewiesen.

II.

a) Mit Beschwerde vom 22. April 2020 werden beim Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt folgende Rechtsbegehren gestellt:

1. Der Einspracheentscheid vom 20. März 2020 sowie die Verfügung vom 29. Oktober 2019 der Beschwerdegegnerin seien aufzuheben.

2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten der Beschwerdegegnerin.

Verfahrensantrag:

Allfällige dieser Beschwerde nicht beigelegte Verfahrensakten seien bei den betreffenden Behörden anzufordern und für dieses Verfahren hinzuzuziehen.

b) Mit Beschwerdeantwort vom 7. Juli 2020 beantragt die Beschwerdegegnerin die Beschwerde sei abzuweisen, eventualiter sei das vorliegende Verfahren bis zum Abschluss des Strafverfahrens zu sistieren.

c) Die Beschwerdeführerin reicht keine Replik ein.

III.

Innert Frist hat keine der Parteien die Durchführung einer Hauptverhandlung verlangt. Am 23. September 2020 findet die Urteilsberatung durch die Kammer des Sozialversicherungsgerichts statt.

Entscheidungsgründe

1.

1.1. Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt ist gemäss Art. 57 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) in Verbindung mit § 82 Abs. 1 des basel-städtischen Gerichtsorganisationsgesetzes vom 3. Juni 2015 (GOG; SG 154.100) und § 1 Abs. 1 des kantonalen Sozialversicherungsgerichtsgesetzes vom 9. Mai 2001 (SVGG; SG 154.200) in sachlicher Hinsicht als einzige kantonale Instanz zur Beurteilung der vorliegenden Beschwerde zuständig. Die örtliche Zuständigkeit ergibt sich aus Art. 84 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; SR 831.10).

1.2. Da auch die übrigen formellen Voraussetzungen erfüllt sind, ist auf die rechtzeitig erhobene Beschwerde einzutreten.

2.

2.1. Angefochten ist der Einspracheentscheid vom 20. März 2020, worin die mit Verfügung vom 29. Oktober 2019 erfolgte Nachzahlung von AHV-Beiträgen für den Zeitraum von 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2008 in der Höhe von CHF[...] (inkl. Zinsen) geschützt wurde. 2.2. Die Beschwerdeführerin ist dagegen der Auffassung die Nachforderung für den Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2008 sei bereits verjährt (vgl. Beschwerde, S. 4 f.). 2.3. Streitig und zu prüfen ist somit, ob sich der angefochtene Einspracheentscheid mit Blick auf die Beschwerde halten lässt.

3.

3.1. Gemäss Art. 14 Abs. 1 AHVG sind die Beiträge vom Einkommen aus unselbständiger Erwerbstätigkeit bei jeder Lohnzahlung in Abzug zu bringen und vom Arbeitgeber zusammen mit dem Arbeitgeberbeitrag periodisch zu entrichten. Erfüllungsschuldner für die ganze Beitragsforderung ist somit ausschliesslich der Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer muss sich dabei jedoch einen Lohnabzug im Umfang der Hälfte der geschuldeten AHV/IV/EO/ALV-Beiträge gefallen lassen (Art. 5 AHVG in Verbindung mit Art. 51 Abs. 1 AHVG). 3.2. Erhält eine Ausgleichskasse Kenntnis davon, dass ein Beitragspflichtiger keine Beiträge zu niedrige Beiträge bezahlt hat, so hat sie die Nachzahlung der geschuldeten Beiträge zu verlangen und nötigenfalls durch Verfügung festzusetzen. Vorbehalten bleibt Art. 16 Abs. 1 AHVG (Art. 39 Abs. 1 der Verordnung über die Alters- und Hinterlassenenversicherung vom 31. Oktober 1947 [AHVV; SR 831.101]). 3.3. Nach der Regelung von Art. 16 Abs. 1 AHVG können Beiträge, welche nicht innert fünf Jahren nach Ablauf des Kalenderjahres, für welches sie geschuldet sind, durch Erlass einer Verfügung geltend gemacht werden, nicht mehr eingefordert entrichtet werden (Satz 1). In Abweichung von Art. 24 Abs. 1 ATSG endet die Verjährungsfrist für Beiträge von Arbeitnehmern ohne beitragspflichtigen Arbeitgeber (Art. 6 AHVG), von Selbständigerwerbenden (Art. 8 AHVG) und von Nichterwerbstätigen (Art. 10 AHVG) erst ein Jahr nach Ablauf des Kalenderjahres, in welchem die massgebende Steuerveranlagung rechtskräftig wurde (Satz 2). Wird eine Nachforderung aus einer strafbaren Handlung hergeleitet, für welche das Strafrecht eine längere Verjährungsfrist festsetzt, so ist diese Frist massgebend (Satz 3). 3.4. Gemäss Art. 97 Schweizerisches Strafgesetzbuch vom 21. Dezember 1937 (StGB, SR 311) gelten für die Verfolgungsverjährung 15 Jahre, wenn die zugrundeliegende Tat mit einer Freiheitsstrafe von mehr als drei Jahren bedroht ist zehn Jahre, wenn die zugrundeliegende Tat mit Freiheitsstrafe von drei Jahren bedroht ist (Art. 97 Abs. 1 lit. b und c StGB).

4.

4.1. Vorliegend hat die Beschwerdegegnerin im interessierenden Zeitraum vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2008 mehrere Schwarzarbeiter beschäftigt, wie sie selber zugibt. Zwischen den Parteien umstritten und nachfolgend zu prüfen ist lediglich, ob bezüglich der Nachforderung der AHV-Beiträge für die Abrechnungsperiode vom 1. Januar 2006 bis 31. Dezember 2008 die Verjährung gemäss Art. 16 Abs. 3 AHVG eingetreten ist. Die Höhe der geltend gemachten Beiträge wird vorliegend nicht bestritten (vgl. implizit die Beschwerde). 4.2. Wie bereits ausgeführt (vgl. E. 3.3 vorstehend) kann sich die fünfjährige Festsetzungsverjährungsfrist verlängern, wenn sich die Beitragsforderung aus einer strafbaren Handlung herleitet. In diesen Fällen ist die längere, vom Strafrecht vorgesehene Verjährungsfrist massgebend. Dabei muss für die fristverlängernde strafbare Handlung kein Strafurteil vorliegen; die AHV-Behörde kann vorfrageweise darüber befinden, ob sich die Nachforderung aus einer strafbaren Handlung herleitet. An den Nachweis sind aber die gleichen Anforderungen zu stellen wie im Strafverfahren. Ist ein Strafurteil ergangen, so ist dieses für die AHV-Behörde verbindlich (Félix Frey/Hans-Jakob Mosimann/Susanne Bollinger, AHVG/IVG Kommentar, Ort, 2018, Art. 16 AHVG N3). Im vorliegenden Fall wurde zwar Strafanzeige erstattet. Eine Anklageerhebung eine Verfahrenseinstellung fand indes, soweit ersichtlich, bislang nicht statt. Das Sozialversicherungsgericht ist daher befugt, den Streitpunkt hinsichtlich der Verjährung vorfrageweise zu beurteilen. 4.3. 4.3.1. Im vorliegenden Fall kommen als Straftatbestände aus dem Steuerrecht die Steuerhinterziehung und der Steuerbetrug in Betracht. 4.3.2. Bei der vollendeten Steuerhinterziehung beträgt die Verjährungsfrist gemäss Art. 184 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die direkte Bundessteuer vom 14.Dezember 1990 (DBG, SR 642.11) und Art. 58 Abs. 2 lit. b des Bundesgesetzes über die Harmonisierung der direkten Steuern der Kantone und Gemeinden (Steuerharmonisierungsgesetz, StHG, SR 642.14) zehn Jahre, sodass die mit Verfügung vom 29. Oktober 2019 festgesetzten AHV-Beträge für die Geschäftsperioden 2006-2008 bereits verjährt sind, wie dies bereits im Bericht der ESTV zutreffend festgehalten wurde (vgl. Bericht, S. 44). 4.3.3. Beim Steuerbetrug gilt gemäss Art.189 DBG eine 15-jährige Verjährungsfrist, welche im Zeitpunkt der Verfügung noch nicht abgelaufen war. Allerdings ergibt sich aus dem Bericht der ESTV vom 21. August 2019 in Bezug auf den darin geprüften Steuerbetrug, dass im konkreten Fall für die Jahre 2006 bis 2009 keine Jahresabschlüsse vorhanden sind (vgl. Bericht, S. 48, wo lediglich unwahre Jahresrechnungen für die Steuerjahre 2009-2010 sowie 2012-2013 erwähnt werden). Da in den Jahren 2006-2008 die Veranlagung aufgrund Ermessen (amtliche Einschätzung) erfolgte (vgl. Bericht, S. 9) ergibt sich, dass in diesen Jahren von der Beschwerdeführerin keine Steuererklärungen eingereicht wurden. Ohne das Einreichen einer Steuererklärung kann aber auch keine Betrugshandlung und damit auch kein Steuerbetrug vorliegen. Diese wird sodann auch von der Beschwerdegegnerin anerkannt (vgl. Einspracheentscheid, BB3, S. 1). Darauf ist vorliegend abzustellen. Lediglich der Vollständigkeit halber ist zu bemerken, dass selbst wenn davon auszugehen wäre, dass die Beschwerdeführerin eine Buchhaltung erstellt und eine Revision stattgefunden hätte, die falschen Rechnungen nicht aufgefallen wären, da sich diese Rechnungen nicht in der Lohnbuchhaltung befanden. 4.4. 4.4.1. Damit stellt sich nur noch die Frage, ob vorliegend der Straftatbestand im Sinne von Art. 251 StGB erfüllt wurde, da diesfalls eine 15-jährige Verjährungsfrist zu Anwendung kommen würde. 4.4.2. Gemäss Art. 251 Abs. 1 StGB wird eine Person, welche in der Absicht, jemanden am Vermögen an anderen Rechten zu schädigen sich einem andern einen unrechtmässigen Vorteil zu verschaffen, eine Urkunde fälscht verfälscht, die echte Unterschrift das echte Handzeichen eines andern zur Herstellung einer unechten Urkunde benützt eine rechtlich erhebliche Tatsache unrichtig beurkundet beurkunden lässt, eine Urkunde dieser Art zur Täuschung gebraucht, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren Geldstrafe bestraft.

4.4.3. Der Straftatbestand umfasst in Ziff. 1 Abs. 2 zunächst die Fälle, in denen der Täter eine unechte Urkunde herstellt (Urkundenfälschung im engeren Sinne und sog. "Blankettfälschung"). Darüber hinaus fallen darunter aber auch die Fälle, in denen der Täter eine echte aber inhaltlich unrichtige Urkunde herstellt (Falschbeurkundung). Über Ziff. 1 Abs. 3 werden die Fälle erfasst, in denen der Täter von einer unechten unwahren Urkunde Gebrauch macht.

4.5. 4.5.1. Die Beschwerdegegnerin bejahte im angefochtenen Einspracheentscheid den Tatbestand der Urkundenfälschung und machte unter Hinweis auf den Bericht der ESTV vom [...] geltend, dass für die Besorgung der "Geschäfte" mit den Schwarzarbeitern falsche Urkunden erstellt worden seien, und dass die Beteiligten sich an der Sache auch noch persönlich bereichert hätten, weshalb wohl auch noch Vermögensdelikte vorliegen würden (Einspracheentscheid, BB 3, S. 1). 4.5.2. Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen einer Urkundenfälschung im Wesentlichen mit dem Hinweis, dass es den hergestellten unwahren (fiktiven) Rechnungen an der Urkundenqualität fehle. Nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung gemäss BGE 138 IV 135 werde mit einer falschen Rechnung lediglich die Erklärung abgegeben, dass eine Forderung bestehe ohne darüber eine Aussage zu treffen, ob diese Forderung zu Recht zu Unrecht bestehe (Beschwerde, S. 6). 4.5.3. Die Beschwerdegegnerin ist dagegen der Ansicht, im besagten Entscheid werde primär die Frage erörtert, ob und wann der Aussteller einer Gefälligkeitsrechnung eine Falschbeurkundung begehe. Vorliegend stehe aber nicht die Strafbarkeit des Rechnungsstellers, sondern diejenige des buchführungsverantwortlichen Organs der Beschwerdeführerin in Frage. Die Beschwerdeführerin (handelnd durch C____) habe selbst zugegeben, dass sie unter Verwendung und Verbuchung von fiktiven Rechnungen eigentliche Lohnzahlungen an Schwarzarbeiter kaschiert habe (Beschwerdeantwort, S. 3). Daher würden die als Belege der eigenen Buchhaltung dienenden fiktiven Rechnungen ohne weiteres Urkunden darstellen (vgl. a.a.O.). 4.6. 4.6.1. Der Auffassung der Beschwerdegegnerin kann vorliegend aus mehreren Gründen nicht gefolgt werden. 4.6.2. Insofern als die Beschwerdegegnerin von den verdeckten Gewinnausschüttungen an das Aktionariat (vgl. dazu die Ausführungen im Bericht auf S. 24 und 46) auf das Vorliegen von Vermögensdelikten schliesst, ist darauf hinzuweisen, dass es sich bei Rechnungen grundsätzlich um blosse Behauptungen des Rechnungsstellers handelt. Da Rechnungen weder bestimmt noch geeignet sind, Tatsachen von rechtlicher Bedeutung zu beweisen, stellen sie im Regelfall keine Urkunden im Sinne von Art. 110 Abs. 4 StGB dar (Christof Riedo/Donat Riedo, Strafbare Falschbeurkundung bei Rechnungsstellung, Bemerkungen im Anschluss an BGE 138 IV 130, in: BR 2013, S. 10 mit Hinweis auf BGE 131 IV 125, E. 4.2; 126 IV 68, E. 2; 125 IV 23, E. 2a; 121 IV 131, E. 2c; 117 IV 35, E. 2b; BGer 6B_60/2012 (12.9.2012), E. 1.5; vgl. auch die Regeste von BGE 138 IV 130, wonach Rechnungen im Verhältnis zwischen Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger nur unter besonderen Umständen als Urkunden anzusehen sind, da sie in der Regel blosse Behauptungen des Ausstellers über die vom Empfänger geschuldete Leistung enthalten). Vor diesem Hintergrund ist das Ausstellen einer falschen Rechnung in der Regel ohne strafrechtliche Relevanz. Beispielhaft sei an dieser Stelle darauf verwiesen, dass das Bundesgericht eine Falschbeurkundung bei einer Rechnung für eine nicht ausgeführte Reparatur verneint hat (vgl. BGE 117 IV 38 f.). Das Gleiche gilt für fiktive Rechnungen im Zusammenhang mit einem Scheidungsverfahren (BGE 121 IV 131) sowie fiktive Rechnungen im Zusammenhang mit Geschäften einer renommierten Kunstgalerie (BGer 6B_1096/2015 E. 3.5; weitere Beispiele bei Stefan Trechsel/Lorenz Erni in: Stefan Trechsel/Mark Pieth (Hrsg). Schweizerisches Strafgesetzbuch, Praxiskommentar, 3. Aufl., Zürich/St. Gallen 2018, Art. 251 StGB N 9). 4.6.3. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn einer Rechnung aufgrund der konkreten Umstände im Einzelfall eine erhöhte Glaubwürdigkeit zukommt (Christof Riedo/ Donat Riedo, a.a.O., mit Hinweisen). So bejahte die Rechtsprechung die Urkundenqualität bei einem von einem Arzt unrichtig ausgestellten Krankenschein (BGE 117 IV 169 f. m.H.) sowie für vom bauleitenden Architekten bestätigte falsche Rechnungen (BGE 119 IV 57). In Anbetracht der konkreten Umstände des vorliegenden Falles ist eine erhöhte Glaubwürdigkeit der falschen Rechnungen zu verneinen. 4.7. Insofern als die Beschwerdegegnerin darauf verweist, dass die fiktiven Rechnungen auch für nichtfiskalische Zwecke erstellt worden seien, mithin mit dem Zweck, Lohnzahlungen an Schwarzarbeiter zu kaschieren und sich damit der Beitragspflicht zu entziehen (vgl. Beschwerdeantwort, S. 3 mit Hinweisen) ist darauf hinzuweisen, dass dieses strafrechtlich relevante Verhalten bereits mit Art. 87 AHVG als lex specialis zu Art. 251 StGB erfasst wird. Die dortige Strafandrohung beträgt indes lediglich Geldstrafe bis 180 Tagessätze so dass sich im vorliegenden Fall eine Verlängerung der Verjährungsfrist nicht darauf stützen lässt. 4.8. Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass die ESTV im Bericht vom [...] selber davon ausgegangen ist, die aufgrund der Schwarzarbeit geschuldeten Sozialabgaben und Quellensteuern für die Jahre 2006-2009 seien bereits verjährt (vgl. die Tabelle unter Ziffer 3.4.4 auf S. 33 des Berichts).

5.

5.1. Die Beschwerde ist in Folge der obigen Ausführungen gutzuheissen und der Einspracheentscheid vom 20. März 2020 ist aufzuheben. 5.2. Das Verfahren ist kostenlos. 5.3. Die obsiegende Beschwerdeführerin hat gegenüber der Beschwerdegegnerin einen Anspruch auf Ersatz der Parteikosten. Diese werden durch das Gericht festgesetzt (Art. 61 lit. g ATSG). Das Sozialversicherungsgericht geht bei der Bemessung der Parteientschädigung für anwaltlich vertretene Beschwerdeführende in durchschnittlichen Verfahren mit doppeltem Schriftenwechsel im Sinne einer Faustregel von einem Honorar in Höhe von CHF 3300.00 (inklusive Auslagen) zuzüglich Mehrwertsteuer aus. Bei einfacheren komplizierteren Verfahren kann dieser Ansatz entsprechend erhöht reduziert werden. Der vorliegende Fall betraf zwar lediglich einen einfachen Schriftenwechsel ist aber leicht überdurchschnittlicher Natur, weshalb ein Honorar und somit eine Parteientschädigung in Höhe von CHF3300.00 (inklusive Auslagen) zuzüglich Mehrwertsteuer von 7,7% als angemessen erscheint.

Demgemäss erkennt das Sozialversicherungsgericht:

://: In Gutheissung der Beschwerde wird der Einspracheentscheid vom 20. März 2020 aufgehoben.

Das Verfahren ist kostenlos.

Die Beschwerdegegnerin bezahlt der Beschwerdeführerin eine Parteientschädigung von CHF 3300.00 (inkl. Auslagen) zuzüglich Mehrwertsteuer von 7,7% von CHF 254.10.


Sozialversicherungsgericht BASEL-STADT


Der Präsident Die Gerichtsschreiberin


Dr. G. Thomi MLaw K. Zimmermann





Rechtsmittelbelehrung

Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz, BGG]). Die Beschwerdefrist kann nicht erstreckt werden (Art. 47 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegründe sind in Art. 95 ff. BGG geregelt.

Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, in dreifacher Ausfertigung zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat den Anforderungen gemäss Art. 42 BGG zu genügen; zu beachten ist dabei insbesondere:

a) Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten;

b) in der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt;

c) die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat, ebenso der angefochtene Entscheid.







Geht an:

- Beschwerdeführerin
-
Beschwerdegegnerin

- Bundesamt für Sozialversicherungen


Versandt am:



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