Zusammenfassung des Urteils AH.2017.6 (SVG.2018.46): Sozialversicherungsgericht
Die Ausgleichskasse Basel-Stadt hat eine Schadenersatzforderung gegen den Beschwerdeführer geltend gemacht, da dieser als verantwortliches Organ einer Firma für den entstandenen Schaden haftet. Nachdem eine Verrechnung mit der AHV-Rente des Beschwerdeführers vorgenommen wurde, hat dieser dagegen Einsprache erhoben. Das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt hat entschieden, dass die Verrechnung rechtmässig war, da die Schadenersatzforderung rechtzeitig geltend gemacht wurde und nicht verjährt ist. Der Einspracheentscheid wurde bestätigt, die Beschwerde abgewiesen und das Verfahren als kostenlos erklärt.
Kanton: | BS |
Fallnummer: | AH.2017.6 (SVG.2018.46) |
Instanz: | Sozialversicherungsgericht |
Abteilung: |
Datum: | 11.10.2017 |
Rechtskraft: |
Leitsatz/Stichwort: | Verjährung einer Schadenersatzforderung gemäss Art. 52 AHVG verneint, Verrechnung mit AHV-Rente gemäss Art. 20 Abs. 2 AHVG ist zulässig.(BGer 9C_235/2018 Urteil vom 2.7.18) |
Schlagwörter: | Schaden; Schadenersatz; Schadenersatzforderung; Bundes; Verjährung; Verrechnung; Verfügung; Sozialversicherung; Rente; Beschwerdeführers; Einsprache; Ausgleichskasse; AHV-Rente; Verjährungsfrist; Basel; Einspracheentscheid; Höhe; Bundesgericht; Sozialversicherungsgericht; Basel-Stadt; Unterbrechung; Hinweis; Recht; Tilgungsplan; Hinweisen; Schadenersatzverfügung; Vollstreckungsfrist; Bundesgesetzes |
Rechtsnorm: | Art. 120 OR ;Art. 135 OR ;Art. 137 OR ;Art. 16 AHVG ;Art. 20 AHVG ;Art. 42 BGG ;Art. 47 BGG ;Art. 52 AHVG ;Art. 60 OR ;Art. 84 AHVG ;Art. 95 BGG ; |
Referenz BGE: | 115 V 342; 125 V 321; 131 V 4; 134 III 591; 135 V 74; 136 III 96; 136 V 286; 140 V 314; |
Kommentar: | - |
Sozialversicherungsgericht des Kantons Basel-Stadt
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URTEIL
vom 11. Oktober 2017
Mitwirkende
Dr. G. Thomi (Vorsitz), lic. iur. M. Prack Hoenen, lic. iur. R. Schnyder
und Gerichtsschreiberin lic. iur. A. Gmür
Parteien
A____
vertreten durch B____
Beschwerdeführer
Ausgleichskasse Basel-Stadt Arbeitgeberkontrolle
Wettsteinplatz1, Postfach, 4001Basel
Beschwerdegegnerin
Gegenstand
AH.2017.6
Einspracheentscheid vom 20. April 2017
Verjährung einer Schadenersatzforderung gemäss Art. 52 AHVG verneint, Verrechnung mit AHV-Rente gemäss Art. 20 Abs. 2 AHVG ist zulässig.
Tatsachen
I.
Nachdem über die C____ mit Sitz in D____ am 6. Juni 2006 der Konkurs eröffnet und am 5. Juli 2006 mangels Aktiven wieder eingestellt wurde (vgl. Online-Handelsregisterauszug des Kantons Basel-Stadt), machte die Beschwerdegegnerin mit Verfügung vom 10. November 2006 eine Schadenersatzforderung in Höhe von Fr. 67008.85 gegenüber dem Beschwerdeführer geltend. Zur Begründung führte sie an, aufgrund der Organhaftung gemäss Art. 52 des Bundesgesetzes vom 20. Dezember 1946 über die Alters- und Hinterlassenenversicherung (AHVG; SR 831.10) hafte der Beschwerdeführer als verantwortliches Organ der C____ gegenüber der Ausgleichskasse Basel-Stadt für den entstandenen Schaden (vgl. Beschwerdeantwortbeilage 3 [AB 3]). In der Folge wurde mit dem Beschwerdeführer und dessen Ehefrau ein Tilgungsplan zur Begleichung der Schadenersatzforderung vereinbart (vgl. Tilgungsplan vom 11. Januar 2007, Kontoauszug der C____ in Liquidation sowie Dossier-Auszüge C____ in Liq. betreffend Tilgungspläne und Ratenaufschübe sowie Mahnungen, AB 9-11). Mit Verfügung vom 4. Juli 2016 teilte die Beschwerdegegnerin mit, sie werde die ausstehende Schadenersatzforderung in Höhe von Fr. 23958.85 gemäss den Schadenersatzverfügungen Nr. 06/39 und 06/40 mit einem Teil der AHV-Rente des Beschwerdeführers in Höhe von Fr. 500.-- verrechnen (AB 1). Dagegen wehrte sich der Beschwerdeführer mit Einsprache vom 5. September 2016 (AB 4) und ergänzender Begründung vom 9.Dezember 2016 (AB 5). Mit Einspracheentscheid vom 20. April 2017 wies die Beschwerdegegnerin die Einsprache ab und hielt an der Verrechnungsverfügung vom 4. Juli 2016 fest (Beschwerdebeilage [BB] 2).
II.
Dagegen hat der Beschwerdeführer am 18. Mai 2017 beim Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt Beschwerde erhoben. Darin beantragt er, es sei der Einspracheentscheid vom 20. April 2017 und die diesem zugrunde liegende Verfügung vom 4. Juli 2016 aufzuheben und es sei festzustellen, dass die vorgenommene Verrechnung mit der AHV-Rente des Beschwerdeführers unrechtmässig sei. In verfahrensrechtlicher Hinsicht wird beantragt, es sei der Beschwerde wieder die aufschiebende Wirkung zu erteilen.
Mit Beschwerdeantwort vom 21. Juni 2017 schliesst die Beschwerdegegnerin auf Abweisung der Beschwerde.
Mit Replik vom 21. August 2017 hält der Beschwerdeführer an den in der Beschwerde gestellten Rechtsbegehren fest.
III.
Nachdem die Parteien auf eine mündliche Parteiverhandlung verzichtet hatten, fand am 11. Oktober 2017 die Urteilsberatung durch die Kammer des Sozialversicherungsgerichts statt.
Entscheidungsgründe
1.
1.1. Art. 84 AHVG sieht in Abweichung von Art. 58 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 6. Oktober 2000 über den Allgemeinen Teil des Sozialversicherungsrechts (ATSG; SR 830.1) eine besondere Zuständigkeit bei Beschwerden gegen Verfügungen und Einspracheentscheide kantonaler Ausgleichskassen vor. Vorliegend ist der Einspracheentscheid vom 20. April 2017 der Ausgleichskasse Basel-Stadt angefochten. Folglich ist das Sozialversicherungsgericht Basel-Stadt örtlich zuständig.
1.2. Die sonstigen formellen Voraussetzungen der Beschwerde sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist folglich einzutreten.
Gemäss Art. 135 Ziff. 1 OR kann die Verjährung durch Anerkennung der Forderung von Seiten des Schuldners eintreten. Eine Anerkennungshandlung nach Art. 135 Ziff. 1 OR setzt keinen auf Unterbrechung der Verjährung gerichteten Willen voraus. Als Anerkennung mit Unterbrechungswirkung gilt jedes Verhalten des Schuldners, das der Gläubiger nach Treu und Glauben im Verkehr als Bestätigung auffassen darf, dass die rechtliche Verpflichtung des Schuldners grundsätzlich bestehe. Die Anerkennung der grundsätzlichen Schuldpflicht genügt. Sie braucht sich nicht auf einen bestimmten Betrag zu beziehen (vgl. Urteil des Bundesgerichts vom 29. Januar 2014 [4A_404/2013], E. 4.1 mit Hinweis auf BGE 134 III 591 E. 5.2.1; 119 II 368 E. 7b S. 378 f.; 110 II 176 E. 3 S. 180 f.). Gemäss Art. 135 Ziff. 2 OR kann die Verjährung durch Unterbrechungshandlungen des Gläubigers unterbrochen werden. Namentlich durch Schuldbetreibung, durch Schlichtungsgesuch, durch Klage Einrede vor einem staatlichen Gericht einem Schiedsgericht sowie durch Eingabe im Konkurs. Bei der Anwendung dieser Regelungen im Rahmen von Art. 52 AHVG ist zu beachten, dass im Unterschied zum Privatrecht, wo die Verjährung nur durch die in Art. 135 Ziff. 1 und 2 OR genannten Handlungen unterbrochen werden kann, alle Akte, mit denen die Schadenersatzforderung gegenüber dem Schuldner in geeigneter Weise geltend gemacht wird, verjährungsunterbrechende Wirkung haben (vgl. 135 V 74, E. 4.2.1 mit Hinweisen).
Aus den Akten ist ersichtlich, dass die Beschwerdegegnerin am 19. Juli 2006 aus dem Kantonsblatt Nr. 55 erfahren hatte, dass der Konkurs über die C____ am 5. Juli 2006 mangels Aktiven wieder eingestellt werden musste (AB 3). Dementsprechend hatte sie ab diesem Zeitpunkt Kenntnis vom Schaden. In der Folge erliess die Beschwerdegegnerin am 10. November 2006 eine Schadenersatzverfügung gemäss Art. 52 AHVG (AB 2). Am 11. Januar 2007 vereinbarte die Beschwerdegegnerin einen Tilgungsplan mit dem Beschwerdeführer (AB 9). Am 29. März 2007 erfolgte erstmals eine Zahlung des Beschwerdeführers an die Schadenersatzforderung. In der Folge leistete der Beschwerdeführer mehrere Ratenzahlungen. Gemäss dem Kontoauszug der C____ bezahlte der Beschwerdeführer letztmals am 8. April 2015 eine Rate in Höhe von Fr. 500.-- (AB 10). Weiter ist dem Dossier-Auszug der C____ betreffend Tilgungsplan zu entnehmen, dass die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer am 24. Februar 2016 bezüglich der Bezahlung der Rate letztmals mahnte (AB 11). Am 4. Juli 2016 verfügte die Beschwerdegegnerin die Verrechnung der Schadenersatzforderung mit der AHV-Rente des Beschwerdeführers (AB 1). Am 15. Dezember 2016 leitete die Beschwerdegegnerin die Betreibung für die ausstehende Schadenersatzforderung in Höhe von Fr. 23958.85 ein (AB 12). Schliesslich erging am 20. April 2017 der angefochtene Einspracheentscheid (BB 2). Gesamthaft betrachtet haben sowohl der Beschwerdeführer als auch die Beschwerdegegnerin mehrere verjährungsunterbrechende Handlungen unternommen. Damit wurde die ab 19. Juli 2006 laufende zweijährige Verjährungsfrist mehrmals unterbrochen bzw. verlängert, so dass die Schadenersatzforderung im Zeitpunkt des Erlasses der Verrechnungsverfügung am 4. Juli 2016 im Sinne von Art. 52 Abs. 3 AHVG nicht verjährt war. Dies gilt auch für das vorliegende Beschwerdeverfahren (BGE 135 V 74, E. 4.2.2). Dem Dargelegten zufolge ist die Verrechnung der Schadenersatzforderung mit der AHV-Rente des Beschwerdeführers somit rechtmässig. Die Verfügung vom 4. Juli 2016 als auch der Einspracheentscheid vom 20. April 2016 sind zu schützen.
3.7. Selbst wenn gestützt auf BGE 131 V 4 davon ausgegangen wird, es bestehe für Schadenersatzforderungen gemäss Art. 52 AHVG eine 10-jährige Vollstreckungsverwirkung, ändert dies nichts an der Beurteilung der Sachlage. Die Rechtsprechung zur Vollstreckungswirkung im Zusammenhang mit Art. 52 AHVG hat sich in Anlehnung an Art. 16 Abs. 2 AHVG entwickelt (ZAK 1991, S. 129, E. 2c). In BGE 131 V 4 hat das Bundesgericht zwar von der analogen Anwendung von Art. 16 Abs. 2 AHVG Abstand genommen. Es ist indes davon auszugehen, dass sich diese Rechtsprechung lediglich auf die Fristdauer bezieht. Nunmehr beträgt die hierbei zu beachtende Frist nicht mehr in Analogie zu Art. 16 Abs. 2 Satz 1 AHVG fünf Jahre, sondern in Analogie zu Art. 137 Abs. 2 OR zehn Jahre. Dies begründet das Bundesgericht im Wesentlichen damit, dass Schadenersatzforderungen oft fünf- sechsstellige Summen ausmachen und deshalb häufig nicht innert einer fünfjährigen Frist abbezahlt werden können, so dass die Ausgleichskasse wiederum eines Teils ihrer Ansprüche verlustig gehen und der Zweck der Schadloshaltung demnach nur teilweise erreicht würde (BGE 131 V 4, E. 3.4). In Berücksichtigung dieser Rechtsprechung sowie der Tatsache, dass die Regelung der Verwirkungsfrist im Zusammenhang mit der Schadenersatzforderung auf Art. 16 Abs. 2 AHVG gründet (ZAK 1991, S. 129, E. 2c mit Hinweisen), sind deshalb für die Vollstreckungsverwirkung einer rechtskräftigen Schadenersatzforderung die Sätze 2-5 von Art. 16 Abs. 2 AHVG weiterhin analog anwendbar. Diese Auslegung entspricht auch der Lehrmeinung sowie den Weisungen des Bundesamtes für Sozialversicherungen (vgl. Marco Reichmuth, Die Haftung des Arbeitgebers und seiner Organe nach Art. 52 AHVG, § 15 N 1270 sowie Rz 8077 WBB). Gemäss Art. 16 Abs. 2 Satz 3 AHVG endet die Vollstreckungsfrist mit Abschluss des Schuldbetreibungs- Konkursverfahren, sofern dieses bei Ablauf der Vollstreckungsfrist hängig war. Vorliegend würde die 10-jährige Vollstreckungsfrist, da die Verfügung im November 2006 ergangen ist, im Dezember 2016 enden. Die Beschwerdegegnerin leitete am 15. Dezember 2016 die Betreibung für die ausstehende Schadenersatzforderung ein (AB 12). Damit wäre die Schadenersatzforderung aufgrund des hängigen Schuldbetreibungsverfahrens noch nicht erloschen. Gleiches ergibt sich aus Art. 16 Abs. 2 Satz 5 AHVG. Danach können bei Entstehung des Rentenanspruchs nicht erloschene Beitragsforderungen in jedem Fall noch verrechnet werden. Die Schadenersatzforderung vom 10. November 2006 war zum Zeitpunkt der Verrechnungsverfügung vom 4. Juli 2016 bzw. der Entstehung des Rentenanspruchs des Beschwerdeführers jedenfalls noch nicht erloschen, so dass eine Verrechnung zulässig war. Zusammenfassend lässt sich daher festhalten, dass die Verrechnung der Schadenersatzforderung mit der AHV-Rente des Beschwerdeführers auch unter Berücksichtigung einer allfälligen 10-jährigen Verwirkungsfrist rechtmässig wäre.Demgemäss erkennt das Sozialversicherungsgericht:
://: Die Beschwerde wird abgewiesen.
Das Verfahren ist kostenlos.
Die ausserordentlichen Kosten werden wettgeschlagen.
Sozialversicherungsgericht BASEL-STADT
Der Präsident Die Gerichtsschreiberin
Dr. G. Thomi lic. iur. A. Gmür
Rechtsmittelbelehrung
Gegen diesen Entscheid kann innert 30 Tagen nach der Eröffnung der vollständigen Ausfertigung beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht werden (Art. 100 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 17. Juni 2005 über das Bundesgericht [Bundesgerichtsgesetz, BGG]). Die Beschwerdefrist kann nicht erstreckt werden (Art. 47 Abs. 1 BGG). Die Beschwerdegründe sind in Art. 95 ff. BGG geregelt.
Die Beschwerdeschrift ist dem Bundesgericht, Schweizerhofquai 6, 6004 Luzern, in dreifacher Ausfertigung zuzustellen. Die Beschwerdeschrift hat den Anforderungen gemäss Art. 42 BGG zu genügen; zu beachten ist dabei insbesondere:
a) Die Beschwerdeschrift ist in einer Amtssprache abzufassen und hat die Begehren, deren Begründung mit Angabe der Beweismittel und die Unterschrift zu enthalten;
b) in der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt;
c) die Urkunden, auf die sich die Partei als Beweismittel beruft, sind beizulegen, soweit die Partei sie in Händen hat, ebenso der angefochtene Entscheid.
Geht an:
- Beschwerdeführer
- Beschwerdegegnerin
- Bundesamt für Sozialversicherungen
Versandt am:
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