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Urteil Verwaltungsgericht (AG - AGVE 2013 69)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2013 69: Verwaltungsgericht

Der Text behandelt die rechtlichen Regelungen bezüglich gerichtlicher Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit im Kanton Aargau, insbesondere in Bezug auf die Protokollierung von Ausschlagungserklärungen bei Erbschaften. Es wird diskutiert, wie Gesetzeslücken gefüllt werden können und welche Verfahrensregelungen gelten sollen. Es wird auch auf die Zuständigkeiten der Behörden und Gerichte eingegangen, sowie auf die Protokollierung von Ausschlagungen und mögliche rechtliche Konsequenzen. Der Richter des Obergerichts, Abteilung Zivilgericht, hat entschieden, dass die Protokollierung von Ausschlagungserklärungen bei Stillschweigen anderer Erben nicht erforderlich ist.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AGVE 2013 69

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2013 69
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:-
Verwaltungsgericht  Entscheid AGVE 2013 69 vom 20.08.2013 (AG)
Datum:20.08.2013
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:69 Art. 1 lit. b ZPO; Gerichtliche Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit1. Januar 2011 fehlt im Aargau eine Verfahrensregelung für diejenigen Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit, für welche nicht das Bundesrecht, aber das kantonale Recht eine richterliche Behörde vorschreibt. Die bestehende...
Schlagwörter: örde; Protokoll; Ausschlagungs; Recht; Behörde; Protokollierung; Verfahren; Erbschaft; Erben; Ausschlagungserklärung; Verfahrens; Zivilprozess; Gerichtsbarkeit; Entscheid; Kanton; Erblassers; Anordnung; Obergericht; Anordnungen; Bundesrecht; Annahme; Basel; SchKG; Zivilprozessrecht; Abteilung
Rechtsnorm: Art. 1 ZGB ;Art. 193 KG ;Art. 566 ZGB ;Art. 567 ZGB ;Art. 570 ZGB ;Art. 571 ZGB ;Art. 573 ZGB ;
Referenz BGE:114 II 220; 122 I 253; 136 III 178; 139 III 225;
Kommentar:
Bühler, Frank, Kommentar zur aargauischen Zivilprozessordnung, 1998

Entscheid des Verwaltungsgerichts AGVE 2013 69

2013 Zivilprozessrecht 381

[...]

69 Art. 1 lit. b ZPO; Gerichtliche Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbar-
keit
- Seit der Aufhebung der aZPO mit Inkrafttreten der ZPO am
1. Januar 2011 fehlt im Aargau eine Verfahrensregelung für diejeni-
gen Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit, für welche nicht das Bun-
desrecht, aber das kantonale Recht eine richterliche Behörde vor-
schreibt. Die bestehende Gesetzeslücke ist dahingehend zu schliessen,
dass für alle gerichtlichen Anordnungen der freiwilligen Gerichts-
barkeit die Bestimmungen der schweizerischen ZPO, insbesondere
des summarischen Verfahrens i.S.v. Art. 248 ff., gelten, wobei diese -
2013 Obergericht, Abteilung Zivilgericht 382

sofern nicht das Bundes-, sondern das kantonale Recht eine gerichtli-
che Behörde vorschreibt - kantonales Recht darstellen.

Art. 570 Abs. 3 ZGB; Ausschlagung der Erbschaft, Protokollierung
- Es besteht keine gesetzliche Grundlage und kein Bedürfnis dafür,
dass die Protokollierungsbehörde bei Gelegenheit der Protokollie-
rung von Ausschlagungserklärungen bei Stillschweigen anderer Er-
ben ausdrücklich deren vorbehaltlosen Erwerb der Erbschaft fest-
stellt.

Aus dem Entscheid des Obergerichts, 3. Zivilkammer, vom 20. August 2013
in Sachen A. M.-W. et al. (ZSU.2013.185).



1.
1.1.
Angefochten ist ein Entscheid des Gerichtspräsidiums be-
treffend Protokollierung der Ausschlagungserklärung i.S.v. Art. 570
Abs. 3 ZGB. Dabei handelt es sich um einen Akt der freiwilligen
(nichtstreitigen) Gerichtsbarkeit (BGE 114 II 220 Erw. 1).
1.2.
1.2.1.
Die ZPO regelt gemäss Art. 1 lit. b auch das Verfahren für ge-
richtliche Anordnungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Das Bun-
desgericht hat in BGE 139 III 225 (Erw. 2) entschieden, dass Art. 1
lit. b ZPO nur dort gilt, wo das Bundesrecht selbst eine gerichtliche
Behörde vorschreibt. In den übrigen Bereichen der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit, in welchen die Kantone in der Bezeichnung der zustän-
digen Behörde frei sind, wenden diese weiterhin kantonales Verfah-
rensrecht an, wobei die Kantone eine eigene Regelung aufstellen
oder auf eine bestimmte Verfahrensordnung verweisen können. De-
ren Normen stellen diesfalls aber nicht Bundesrecht, sondern kanto-
nales Recht dar.

2013 Zivilprozessrecht 383

1.2.2.
Bei der Entgegennahme und Protokollierung der Ausschla-
gungserklärung sind die Kantone frei in der Bezeichnung der zustän-
digen Behörde (Art. 570 Abs. 1 ZGB i.V.m. Art. 54 Abs. 1 SchlT
ZGB). Der Kanton Aargau hat diese Zuständigkeit dem Gerichtsprä-
sidenten übertragen (§ 72 EG ZGB). Das aargauische Zivilrechts-
pflegegesetz vom 18. Dezember 1984 (aZPO, SAR 221.100), das für
die Entgegennahme und Protokollierung der Ausschlagungserklärung
das summarische Verfahren vorsah (§ 72 EG ZGB i.V.m. § 300
Abs. 1 aZPO; Bühler/Edelmann/Killer, Kommentar zur aargauischen
Zivilprozessordnung, Aarau/Frankfurt am Main/Salzburg 1998,
N. 5/33 zu § 300 aZPO), wurde mit Inkrafttreten der schweizerischen
ZPO am 1. Januar 2011 aufgehoben. Damit fehlt heute im Aargau
eine Verfahrensregelung für diejenigen Akte der freiwilligen Ge-
richtsbarkeit, für die nicht das Bundesrecht, aber das kantonale Recht
eine richterliche Behörde vorschreibt.
1.2.3.
Eine Gesetzeslücke ist vom Richter nach der Regel zu füllen,
die er als Gesetzgeber aufstellen würde, wobei er bewährter Lehre
und Überlieferung folgt (Art. 1 Abs. 2 ZGB). Die zu treffende Rege-
lung muss sich widerspruchslos in das bestehende Gesetzesrecht und
dessen Wertungen einfügen. Bestehende Lücken können auch auf
dem Weg der Analogie geschlossen werden, indem die bestehende
gesetzliche Lösung einer vergleichbaren Frage sinngemäss auf die
ungelöste Frage übertragen wird (BGE 5A_235/2007 Erw. 3,
m.w.H.). Diese im materiellen Zivilrecht für die Lückenfüllung ent-
wickelten Grundsätze gelten analog auch für das Prozessrecht
(BGE 122 I 253 Erw. 6a).
Im Aargau bietet sich als bestehendes gesetzliches Verfahrens-
recht das aargauische Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege vom
4. Dezember 2007 (VRPG) an. Allerdings ist zu beachten, dass für
diejenigen Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit, für die
das Bundesrecht eine richterliche Behörde vorschreibt, die Bestim-
mungen des summarischen Verfahrens der ZPO gelten (Art. 248 lit. e
ZPO). Bereits unter der Geltung der aargauischen Zivilprozessord-
nung waren die richterlichen Anordnungen der freiwilligen Gerichts-
2013 Obergericht, Abteilung Zivilgericht 384

barkeit dem summarischen Verfahren unterstellt (Erw. 1.2.2. hievor).
Schliesslich ist der Zivilrichter mit den zivilprozessualen Regeln bes-
ser vertraut als mit denjenigen des Verwaltungsprozesses. Es er-
scheint daher sinnvoll und sachgerecht, die bestehende Gesetzes-
lücke dahingehend zu schliessen, dass für alle gerichtlichen Anord-
nungen der freiwilligen Gerichtsbarkeit die Bestimmungen der
schweizerischen ZPO, insbesondere des summarischen Verfahrens
i.S.v. Art. 248 ff., gelten, wobei diese - sofern nicht das Bundes-,
sondern das kantonale Recht eine gerichtliche Behörde vorschreibt -
kantonales Recht darstellen.
(...)
2.
Die Vorinstanz hielt im angefochtenen Entscheid fest, die Aus-
schlagungserklärungen von J. R. W. und von J. S.-W. seien innert der
Frist von Art. 567 ZGB erfolgt und zu protokollieren (Art. 570 Abs.
3 ZGB). Zudem stellte sie im Dispositiv des Entscheids fest, dass die
Erbschaft des M. W. von den Beschwerdeführerinnen vorbehaltlos
angetreten worden sei.
Die Beschwerdeführerinnen setzen sich gegen diese Feststel-
lung zur Wehr. (...)
3.
3.1.
Mit dem Tode des Erblassers erwerben die Erben die Erbschaft
als Ganzes. Forderungen, das Eigentum, die beschränkten dinglichen
Rechte und der Besitz des Erblassers gehen unter Vorbehalt der ge-
setzlichen Ausnahmen ohne Weiteres auf sie über, und die Schulden
des Erblassers werden zu persönlichen Schulden der Erben (Art. 560
ZGB). Sowohl die gesetzlichen wie auch die eingesetzten Erben ha-
ben jedoch die Befugnis, die Erbschaft, die ihnen zugefallen ist, in-
nert Frist (Art. 567 f. ZGB) auszuschlagen (Art. 566 Abs. 1 ZGB).
Eine Frist für die Annahme der Erbschaft ist mit Ausnahme der in
den Art. 574 und 575 ZGB umschriebenen Fälle nicht vorgesehen
(Häuptli, Praxiskommentar Erbrecht, 2. Aufl., Basel 2011, N. 6 zu
Art. 566 ZGB). Die Annahme tritt nach unbenütztem Ablauf der Aus-
schlagungsfrist ein (Art. 571 Abs. 1 ZGB), es sei denn, die Zahlungs-
unfähigkeit des Erblassers im Zeitpunkt seines Todes sei amtlich
2013 Zivilprozessrecht 385

festgestellt offenkundig. In diesem Fall wird die Ausschlagung
vermutet (Art. 566 Abs. 2 ZGB).
Ausschlagungs- und wohl auch Annahmeerklärungen im Sinne
der Art. 566 Abs. 2 ZGB, 574 ZGB und 575 ZGB sind von der nach
kantonalem Recht zuständigen Behörde zu protokollieren (Art. 570
Abs. 3 ZGB; Schwander, Basler Kommentar zum ZGB, Band II,
4. Aufl., Basel 2011, N. 12 zu Art. 570 ZGB). Dieses Protokoll ver-
folgt reine Informationszwecke und dient als Beweis für die Abgabe
und den Zeitpunkt der Ausschlagungs- bzw. Annahmeerklärung, ent-
faltet aber keine rechtsbegründende Wirkung (BGE 5A_578/2009
Erw. 2.2; AGVE 2001 Nr. 3 S. 34 f., m.w.H.; Schwander, a.a.O.,
N. 14 zu Art. 570 ZGB). Selbst wenn eine Ausschlagungserklärung
zurückgewiesen wird, bleibt es dem betroffenen Erben mit anderen
Worten unbenommen, sich auf die erklärte Ausschlagung zu berufen,
sollte er für Erbschaftsschulden belangt werden, und ungeachtet der
Protokollierung der Ausschlagungserklärung steht den Gläubigern
des Erblassers die Möglichkeit offen, gegen einen Erben vorzugehen,
der die Ausschlagung erklärt hat (BGE 5A_578/2009 Erw. 2.2.).
Gemäss Art. 193 Abs. 1 Ziff. 1 SchKG hat die zuständige Be-
hörde den Konkursrichter zu benachrichtigen, wenn alle Erben die
Erbschaft ausgeschlagen haben die Ausschlagung zu vermuten
ist. Im Falle einer Ausschlagungsvermutung infolge offenkundiger
oder amtlich festgestellter Überschuldung i.S.v. Art. 566 Abs. 2 ZGB
ist daher eine summarische materielle Prüfung durch die zuständige
Behörde unumgänglich (Häuptli, a.a.O., N. 4 zu Art. 573 ZGB). Ob
tatsächlich eine Überschuldung vorliegt, entscheidet alsdann der
Konkursrichter (Brunner/Boller, in: Staehelin/Bauer/Staehelin
[Hrsg.], Kommentar zum SchKG, 2. Aufl., Basel 2010, N. 14 zu
Art. 193 SchKG), wobei die Erben gegen eine allfällige Konkurser-
öffnung Beschwerde erheben können (BGE 5P.182/2001 Erw. 2; Ent-
scheid des Obergerichts des Kantons Zürich vom 14. Juni 1978, in:
SJZ 1979 S. 147 f.). Im Kanton Aargau ist sowohl für die Entgegen-
nahme und Protokollierung der Ausschlagungserklärungen und die
Benachrichtigung des Konkursrichters wegen vermuteter Ausschla-
gung wie auch für die anschliessende Anordnung der konkursamtli-
chen Liquidation der ausgeschlagenen bzw. überschuldeten Erbschaft
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der Gerichtspräsident am letzten Wohnsitz des Erblassers zuständig
(Art. 570 ZGB i.V.m. § 72 EG ZGB; Art. 251 lit. a ZPO i.V.m. § 6
Abs. 1 lit. b EG ZPO). Seine diesbezüglichen Entscheide ergehen im
summarischen Verfahren als Geschäfte der freiwilligen Gerichtsbar-
keit (betreffend Protokollierung der Ausschlagungserklärung siehe
oben Erw. 1; betreffend Anordnung der konkursamtlichen Erb-
schaftsliquidation: Art. 251 lit. a ZPO; Brunner/Boller, a.a.O., N. 13
f. zu Art. 193 SchKG). Solche Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit
stehen Verwaltungsverfügungen nahe und erwachsen nur beschränkt
in materielle Rechtskraft. Es kann auf sie zurückgekommen werden,
wenn sich die tatsächlichen Verhältnisse nachträglich verändert ha-
ben. Sie können überdies aufgehoben abgeändert werden, wenn
sie sich nachträglich als unrichtig erweisen, sofern nicht gesetzliche
Vorschriften Gründe der Rechtssicherheit entgegenstehen
(AGVE 1996 Nr. 3 S. 28 ff. Erw. 1b; BGE 136 III 178 Erw. 5.2;
Habscheid, Schweizerisches Zivilprozess- und Gerichtsorganisati-
onsrecht, Basel 1990, S. 80; Guldener, Schweizerisches Zivilprozess-
recht, 3. Aufl., Zürich 1979, S. 45). Kommt die Behörde, welche die
Ausschlagungserklärungen protokolliert, aufgrund der ihr vorliegen-
den Akten zum Schluss, abgesehen von den ihr vorliegenden Aus-
schlagungserklärungen sei die Ausschlagung der übrigen Erben zu
vermuten, hat sie darüber nach dem Gesagten das Konkursgericht zu
benachrichtigen. Das setzt eine Feststellung der Protokollierungsbe-
hörde voraus, ob diese Ausschlagung zu vermuten ist (anders noch:
AGVE 2007 Nr. 1 S. 23 f.). Demgegenüber besteht keine gesetzliche
Grundlage und kein Bedürfnis dafür, dass die Protokollierungsbehör-
de bei Gelegenheit der Protokollierung von Ausschlagungserklärun-
gen bei Stillschweigen anderer Erben ausdrücklich deren vorbe-
haltlosen Erwerb der Erbschaft feststellt. Die Beschwerde ist somit
insofern gutzuheissen, als Ziff. 2 des angefochtenen Entscheids, mit
der eine solche Feststellung getroffen wurde, aufzuheben ist.
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