V. Strafprozessrecht
8 Art. 382 StPO
- Die Frage der Verwertbarkeit von Verfahrenshandlungen bzw. Be-
weisabnahmen ist Bestandteil der richterlichen Beweiswürdigung.
Sachlich zuständig zur Beurteilung dieser Frage sind das ordentliche
Gericht im Hauptverfahren sowie allenfalls in der Folge das Beru-
fungsgericht. Die Beschwerdekammer ist jedoch unzuständig
(E.2.2.).
- Auf eine Beschwerde kann nur eingetreten werden, sofern und so-
lange der Beschwerdeführer ein rechtlich geschütztes Interesse an
der Aufhebung Änderung eines Entscheides hat. Verneint, so-
lange ohne Rechtsnachteil direkt bei der verfahrensleitenden Staats-
anwaltschaft die Wiederholung einer Einvernahme unter Wahrung
der Teilnahmerechte sowie im Zusammenhang mit einem Gutachten
Stellungnahmen eingereicht und Ergänzungsfragen beantragt wer-
den können (E. 2.3.3.2.).
Aus dem Entscheid des Obergerichts, Beschwerdekammer in Strafsachen,
vom 10. Januar 2012 i.S. I. S. gegen Staatsanwaltschaft Rheinfelden-
Laufenburg (SBK.2011.255)
2.
2.1.
In Ziffer 2 der Beschwerde stellt die Beschwerdeführerin den
Antrag, dass sämtliche bereits ergangenen Verfahrenshandlungen
bzw. Beweisabnahmen für nicht verwertbar zu erklären bzw. zu wie-
derholen seien.
2.2.
Die Frage der Verwertbarkeit von Verfahrenshandlungen bzw.
Beweisabnahmen ist Bestandteil der richterlichen Beweiswürdigung
und fällt somit auf den Zeitpunkt der Ausfällung des Sachurteils
durch das Gericht. Sachlich zuständig zur Beurteilung dieser Frage
ist folglich in erster Linie das erstinstanzliche Gericht im Hauptver-
fahren sowie allenfalls in der Folge das Berufungsgericht. Auch
diesbezüglich ist daher auf die Beschwerde nicht einzutreten.
2.3.
[...]
2.3.2.
Es trifft zu, dass die Staatsanwaltschaft im Laufe des Strafver-
fahrens verschiedene Verfahrensgrundsätze verletzt hat. Insbesondere
wurde der Beschwerdeführerin vor der Erteilung des Expertisenauf-
trags vom 5. September 2011 an das Strassenverkehrsamt des Kan-
tons Aargau sowie des Gutachterauftrags vom 19. September 2011 an
die Universität Bern, Institut für Rechtsmedizin, keine Gelegenheit
zur Stellungnahme gewährt und damit der von Art. 184 Abs. 3 StPO
garantierte Anspruch auf rechtliches Gehör missachtet. Weiter wurde
das vom 8. September 2011 datierte Ergebnis des Expertisenauftrags
an das Strassenverkehrsamt der Beschwerdeführerin nicht zur
Stellungnahme zugestellt, wie dies Art. 188 StPO von der Verfah-
rensleitung verlangt. Schliesslich wurde auch das der Beschwerde-
führerin zustehende Teilnahmerecht gemäss Art. 312 Abs. 2 i.V.m.
Art. 147 Abs. 1 StPO verletzt, da die Beschwerdeführerin nicht über
die geplante Einvernahme der Mutter der Beschwerdeführerin am
26. September 2011 orientiert wurde und in der Folge nicht daran
teilnehmen konnte.
2.3.3.
2.3.3.1.
Unabhängig von der materiellen Beurteilung kann jedoch nur
auf eine Beschwerde eingetreten werden, sofern und solange die
Beschwerdeführerin ein rechtlich geschütztes Interesse an der Auf-
hebung Änderung eines Entscheides hat (Art. 382 Abs. 1 StPO).
Vorausgesetzt ist dabei, dass die betreffende Person durch die ange-
fochtene Verfahrenshandlung unmittelbar in ihren Rechten betroffen,
d.h. beschwert ist (LIEBER, in: Kommentar zur Schweizerischen
Strafprozessordnung (StPO), Zürich 2010, N. 7 zu Art. 382 StPO;
SCHMID, Handbuch des Schweizerischen Strafprozessrechts, 2009,
Rz. 1458). Die Beschwer muss im Zeitpunkt des Rechtsmittelent-
scheides noch gegeben sein; es sei denn, es besteht ein öffentliches
Interesse an der Beurteilung des Rechtsmittels, weil sich in Zukunft
wieder eine ähnliche Situation ergeben könnte, ohne dass im Einzel-
fall rechtzeitig eine richterliche Prüfung möglich wäre (ZIEGLER, in:
Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2011,
N. 2 zu Art. 382 StPO; LIEBER, a.a.O., N. 13 zu Art. 382 StPO;
SCHMID, a.a.O.).
2.3.3.2.
Vorliegend ist die Aktualität des Rechtsschutzinteresses vollum-
fänglich zu verneinen, da die anwaltlich vertretene Beschwerdeführe-
rin jederzeit bei der Staatsanwaltschaft ihre vor der obergerichtlichen
Beschwerdekammer in Strafsachen gestellten Anträge ohne Rechts-
nachteil wiederholen kann. Namentlich steht es ihr offen, die
Stellung von Ergänzungsfragen zu den Gutachten zu beantragen
(worauf sie die Staatsanwaltschaft hinsichtlich des Gutachterauftrags
vom 19. September 2011 auch bereits hingewiesen hat) sowie
Stellung zum Ergebnis des Strassenverkehrsamts des Kantons Aar-
gau zu nehmen. Ebenfalls besteht die Möglichkeit, die Wiederholung
der Einvernahme der Mutter der Beschwerdeführerin unter Wahrung
der Teilnahmerechte zu verlangen. Schliesslich ist ein aktuelles
Rechtsschutzinteresse auch bei der von der Beschwerdeführerin ge-
rügten verweigerten Akteneinsicht zu verneinen, da die fraglichen
Akten der Beschwerdeführerin unbestrittenermassen mit Schreiben
der Staatsanwaltschaft vom 19. September 2011 zugestellt wurden.
Da zudem keine Anzeichen ersichtlich sind, wonach die Vorausset-
zungen für ein ausnahmsweises Absehen vom Erfordernis des ak-
tuellen Rechtsschutzinteresses vorliegen könnten, ist auch auf den
Antrag um Wiederholung von Verfahrenshandlungen bzw. Beweis-
abnahmen nicht einzutreten.