2011 Verwaltungsrechtspflege 243
XIII. Verwaltungsrechtspflege
57 Rechtsverzögerungsbeschwerde Verlegung der Verfahrens- und Parteikosten bei gegenstandslos geworde- ner Rechtsverzögerungsbeschwerde
Urteil des Verwaltungsgerichts, 1. Kammer, vom 20. Oktober 2011 in Sachen M. (WBE.2011.289).
Sachverhalt
Im Rahmen einer beim Departement Volkswirtschaft und Inne-
res (DVI) hängigen Beschwerde gegen eine Entzugsverfügung des
Strassenverkehrsamtes des Kantons Aargau ersuchte der Beschwer-
deführer beim DVI um einen separaten Entscheid betreffend die Wie-
dererteilung der aufschiebenden Wirkung. Mit Rechtsverzögerungs-
beschwerde beantragte er in der Folge vor Verwaltungsgericht, das
DVI sei anzuweisen, über seinen Antrag auf Erteilung der aufschie-
benden Wirkung umgehend zu entscheiden. Während des verwal-
tungsgerichtlichen Instruktionsverfahrens erliess das DVI einen Zwi-
schenentscheid bezüglich aufschiebende Wirkung.
Aus den Erwägungen
II.
Mit Zwischenentscheid vom 1. September 2011 wies das DVI
den Antrag auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung für die Dauer
des Beschwerdeverfahrens ab, wodurch das vorliegende Beschwer-
deverfahren gegenstandslos geworden ist (AGVE 2004, S. 273 f.;
AGVE 2000, S. 307 f.; vgl. auch das Urteil des Bundesgerichts vom
10. September 2008 [9C_624/2008]).
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III.
1.
1.1.
Nachfolgend ist über die Verlegung der Verfahrens- und Partei-
kosten zu befinden. Gemäss § 31 Abs. 2 Satz 1 und § 32 Abs. 2
VRPG werden im Beschwerdeverfahren die Verfahrens- und Partei-
kosten in der Regel nach Massgabe des Unterliegens und Obsiegens
auf die Parteien verlegt. Gemäss § 13 Abs. 2 lit. e VRPG ist die Vor-
instanz Partei. Den Behörden werden allerdings Verfahrenskosten
nur auferlegt, wenn sie schwerwiegende Verfahrensmängel begangen
oder willkürlich entschieden haben (§ 31 Abs. 2 Satz 2 VRPG). Wer
sein Rechtsmittel zurückzieht auf andere Weise dafür sorgt, dass
das Verfahren gegenstandslos wird, gilt als unterliegende Partei.
Wird ein Verfahren ohne Zutun einer Partei gegenstandslos, sind die
Verfahrenskosten und die Parteikosten nach den abgeschätzten
Prozessaussichten zu verlegen aus Billigkeitsgründen ganz oder
teilweise dem Gemeinwesen zu belasten (§ 31 Abs. 3 und § 32
Abs. 3 VRPG).
1.2.
In Fällen von Rechtsverzögerung Rechtsverweigerung ist
es jeweils die Behörde, die dafür sorgt, dass das Verfahren gegen-
standslos wird, indem sie den Entscheid in der Hauptsache fällt. Bei
rein formeller Betrachtung und Anwendung der hiervor zitierten ge-
setzlichen Bestimmungen würde dies bedeuten, dass die verfügende
Behörde stets unterliegende Partei wäre, und der Kostenentscheid
somit stets zu Gunsten des Beschwerdeführers lauten würde; dies
selbst dann, wenn ein Beschwerdeführer eine völlig aussichtslose
Beschwerde betreffend Rechtsverweigerung Rechtsverzögerung
eingereicht hätte. Somit könnten Rechtsverzögerungsbeschwerden
ohne jedes Kostenrisiko eingereicht werden. Eine solche Regelung
der Kostenfrage bei Rechtsverzögerungs- bzw. Rechtsverweige-
rungsbeschwerden wäre unbefriedigend.
1.3.
§ 31 Abs. 3 Satz 1 und § 32 Abs. 3 Satz 1 VRPG, wonach der-
jenige, der dafür sorgt, dass das Verfahren gegenstandslos wird, kos-
tenpflichtig wird, umfasst zwar vom Wortlaut her den vorliegenden
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Sachverhalt, widerspricht jedoch nach dem eben Ausgeführten der
inneren Teleologie (Zielsetzung; Sinn und Zweck) des Gesetzes. Die
besagte Rechtsnorm kann folglich nicht unbesehen angewandt wer-
den; vielmehr rechtfertigt sich gestützt auf die hiervor ausgeführten
Überlegungen eine teleologische Reduktion, bei welcher der Anwen-
dungsbereich einer Rechtsnorm (in casu § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 32
Abs. 3 Satz 1 VRPG) so beschränkt wird, dass Sachverhalte, die
nach dem Wortlaut der Norm an sich erfasst würden, von der Anwen-
dung der Norm ausgeschlossen werden. Nach Vornahme der teleolo-
gischen Reduktion in Bezug auf § 31 Abs. 3 Satz 1 und § 32 Abs. 3
Satz 1 VRPG ist nun nachfolgend zu prüfen, nach welchen Regeln
die Kostenverteilung bei gegenstandslos gewordenen Rechtsverzöge-
rungsbeschwerden vorzunehmen ist.
1.4.
Dass gegenstandslos gewordene Rechtsverzögerungsbeschwer-
den im Hinblick auf die Kostenverteilung einen Spezialfall bilden,
hat das Verwaltungsgericht bereits unter Geltung des Gesetzes über
die Verwaltungsrechtspflege vom 9. Juli 1968 (aVRPG), welches
sich nicht ausdrücklich über die Frage der Verfahrenskosten und der
Parteientschädigung in Verfahren ohne Sachentscheid geäussert hat-
te, erkannt (AGVE 2000, S. 307). Unter Geltung des aVRPG war ge-
mäss einem Grundsatzentscheid des Verwaltungsgerichts aus dem
Jahr 1982 die Kostenverteilung regelmässig nach dem formellen
Ausgang, d. h. nach den Grundsätzen von § 33 Abs. 2 und § 36
aVRPG (Obsiegen/Unterlie-gen), erfolgt, wenn ein Verfahren ohne
Sachentscheid erledigt wurde. Um stossende Ergebnisse zu verhin-
dern, richtete sich nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichts
in Ausnahmefällen der Kostenentscheid auch nach dem Verursacher-
prinzip (AVGE 1989, S. 276 f.; 1990, S. 324).
Das Verwaltungsgericht hat unter der Geltung des aVRPG in
AGVE 2000, S. 307, in Bezug auf die Frage der Kostenverteilung bei
gegenstandslos gewordenen Rechtsverzögerungsbeschwerden mit
Verweis auf AGVE 1989, S. 318, festgehalten, dass in derartigen
Fällen die Kostentragung weder nach dem Grundsatz, dass diese dem
formellen Ausgang des Verfahrens folgt, noch nach dem ausnahms-
weise anzuwendenden Verursacherprinzip, wenn der materielle Aus-
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gang klar anders liegt als der formelle, zu erfolgen habe. In solchen
Fällen sei vielmehr zu prüfen, ob die Beschwerde im Zeitpunkt ihrer
Einreichung begründet war bzw. ob der Beschwerdeführer den
Vorwurf der Rechtsverzögerungsbeschwerde zu Recht erhoben hat.
1.5.
Die unter der Rechtsprechung zum aVRPG entwickelten
Grundsätze, wonach entscheidendes Kriterium für die Kostenvertei-
lung war, ob die Beschwerde im Zeitpunkt ihrer Einreichung begrün-
det war bzw. ob der Beschwerdeführer den Vorwurf der Rechtsver-
zögerungsbeschwerde zu Recht erhoben hat, sind folgerichtig und
gelten nach wie vor. Sie entsprechen zudem der heutigen Regelung
in § 31 Abs. 3 Satz 2 bzw. § 32 Abs. 3 Satz 2, wonach die Verfah-
rens- und Parteikosten nach den abgeschätzten Prozessaussichten zu
verlegen sind, wenn ein Verfahren ohne Zutun einer Partei gegen-
standslos wird. Mit Blick auf die hiervor ausgeführten Feststellungen
und Überlegungen betreffend Besonderheiten von gegenstandslos
gewordenen Rechtsverzögerungs- Rechtsverweigerungsbe-
schwerden drängt sich im Sinne der inneren Teleologie des Gesetzes
die analoge Anwendung dieser Bestimmungen auf. Dies rechtfertigt
sich umso mehr, als dass betreffend Verfahrenskosten bei gegen-
standslos gewordenen Rechtsverzögerungs- Rechtsverweige-
rungsbeschwerden die Prozessaussichten ohnehin zu prüfen sind, um
beurteilen zu können, ob die Behörde einen schwerwiegenden Ver-
fahrensmangel begangen hat (§ 31 Abs. 2 Satz 2 VRPG).
1.6.
Im Übrigen findet sich eine entsprechende Regelung im Bun-
desgesetz vom 4. Dezember 1947 über den Bundeszivilprozess
(BZP; SR 273). Für Fälle, in denen ein Rechtsstreit gegenstandslos
gewordenen ist, bestimmt Art. 72 BZP, dass diesfalls das Gericht mit
summarischer Begründung über die Prozesskosten auf Grund der
Sachlage vor Eintritt des Erledigungsgrundes entscheidet. Auch das
Bundesgericht wählt bei einem gegenstandslos gewordenen Rechts-
streit das selbe Vorgehen gestützt auf Art. 71 BGG i.V.m. Art. 72
BZP und stellt demgemäss bei der Beurteilung der Kosten- und Ent-
schädigungsfolgen in erster Linie auf den mutmasslichen Ausgang
des Prozesses ab (siehe z.B. BGE 118 Ia 488, Erw. 4a, das
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Urteil des Bundesgerichts vom 26. Mai 2009 [2C.45/2009], Erw. 3).
Das Bundesgericht hat diesbezüglich ausgeführt, es gehe dabei nicht
darum, die Prozessaussichten im einzelnen zu prüfen und dadurch
weitere Umtriebe zu verursachen; vielmehr müsse es bei einer knap-
pen Beurteilung der Aktenlage sein Bewenden haben (erwähntes
Urteil des Bundesgerichts vom 26. Mai 2009).
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