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Urteil Verwaltungsgericht (AG)

Kopfdaten
Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2011 55
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsgericht
Verwaltungsgericht Entscheid AGVE 2011 55 vom 21.04.2011 (AG)
Datum:21.04.2011
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:AGVE - Lawsearch Cache - AGVE 2011 2 S. 231 2011 Einbürgerungen 231 XI. Einbürgerungen 55 Einbürgerungsverfahren Die Einhaltung...
Schlagwörter:
Rechtsnorm: Art. 365 StGB ; Art. 369 StGB ; Art. 371 StGB ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:-
Entscheid
2011 Einbürgerungen 231

XI. Einbürgerungen



55 Einbürgerungsverfahren - Die Einhaltung des Erfordernisses der Beachtung der schweizeri- schen Rechtsordnung kann nicht gestützt auf aus dem Strafregister entfernte Einträge verneint werden (Erw. 4.2.3.2). - Bei noch nicht entfernten, aber auf dem Privatauszug nicht mehr er- scheinenden, Strafregistereinträgen ist eine Abwägung zwischen der Schwere der Tat und der abgelaufenen Zeitdauer anzustellen (Erw. 4.2.3.3). - Auch die Häufung von Strassenverkehrsdelikten kann ein Hinweis darauf sein, dass der Bürgerrechtsbewerber das Erfordernis der Be- achtung der schweizerischen Rechtsordnung nicht erfüllt (Erw. 4.2.4).
Urteil des Verwaltungsgerichts, 2. Kammer, vom 21. April 2011 in Sachen K. (WBE.2011.13).

Aus den Erwägungen
4.2.3.
4.2.3.1.
Der Umstand, dass ein Gesuchsteller einen oder mehrere Straf-
registereinträge aufweist, kann ein Indiz für eine mangelhafte Beach-
tung der schweizerischen Rechtsordnung darstellen, zumal ein Straf-
registereintrag in der Regel eine gewisse Mindestschwere des Delikts
voraussetzt (vgl. zu den Voraussetzungen für einen Eintrag im Straf-
register Art. 3 Abs. 1 VOSTRA-Verordnung [SR 331]; auch Über-
tretungen werden ab einer Bestrafung mit einer Busse von mehr als
Fr. 5'000.00 oder gemeinnütziger Arbeit von mehr als 180 Stunden
im Strafregister verzeichnet; vgl. Art. 3 Abs. 1 lit. c VOSTRA-Ver-
ordnung). Auch wenn Delikte zu einem Eintrag im Strafregister ge-
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führt haben, stellt sich jedoch die Frage, ob dann, wenn seit der Tat
schon eine erhebliche Zeit verstrichen ist, nicht doch eine gute Pro-
gnose über das zukünftige Verhalten gestellt werden kann und des-
halb das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechts-
ordnung als erfüllt zu betrachten ist. In diesem Sinn wird zum Teil
verlangt, dass jedenfalls aus Unterlagen bekannte, aber im Straf-
register nicht mehr enthaltene Strafen prinzipiell auch nicht mehr
zum Nachteil der Bewerberin bzw. des Bewerbers verwendet werden
dürfen (vgl. dazu KARL HARTMANN/LAURENT MERZ, Einbürgerung,
Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts, in: PETER
UEBERSAX/BEAT RUDIN/THOMAS HUGI YAR/ THOMAS GEISER,
Ausländerrecht [Handbücher für die Anwaltspraxis], 2. Aufl.,
Basel 2009, § 12 Rz. 12.19 S. 598).
4.2.3.2.
Das seit dem 1. Januar 2007 in Kraft stehende Strafregisterrecht
(vgl. Art. 365 ff. StGB sowie die VOSTRA-Verordnung) sieht für die
Entfernung von Strafregistereinträgen sehr lange Mindestfristen vor
(mindestens 10 Jahre sogar bei Übertretungen; vgl. Art. 369 Abs. 3
StGB). Hat sich eine Gesuchstellerin bzw. ein Gesuchsteller während
so langer Fristen nichts mehr (d.h. auch keine nicht eintragungsfähi-
gen Delikte) zu Schulden kommen lassen, so dürfte es nicht haltbar
sein, das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechts-
ordnung zu verneinen, da Art. 369 Abs. 7 StGB ausdrücklich be-
stimmt, dass entfernte Urteile dem Betroffenen nicht mehr entgegen-
gehalten werden dürfen; zwischen Strafrecht und Bürgerrecht besteht
insoweit grundsätzlich eine weitgehende Wertungskongruenz (vgl.
aber immerhin die bundesgerichtliche Praxis im Migrationsrecht;
Urteil vom 4. Dezember 2009 [2C_43/2009] Erw. 3.3.1. mit Hinwei-
sen).
4.2.3.3.
Angesichts der sehr langen Fristen für eine Entfernung von
Strafregistereinträgen stellt sich umgekehrt die Frage, ob es nicht
unverhältnismässig sein kann, einer Gesuchstellerin bzw. einem Ge-
suchsteller generell die Aufnahme ins Bürgerrecht innerhalb von
zehn oder mehr Jahren seit einer entsprechenden Eintragung zu ver-
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wehren, d.h. die Dauer der Eintragung generell als Sperrfrist für eine
Einbürgerung anzusehen.
Das neue Strafregisterrecht kennt neben dem Einsichtsrecht je-
des Betroffenen in seinen vollständigen Eintrag (Art. 370 Abs. 1
StGB) das Recht auf Ausstellung eines Auszugs aus dem Strafre-
gister (sog. Strafregisterauszug für Privatpersonen [Privatauszug];
vgl. Marginale von Art. 371 StGB). Auf dem Privatauszug erschei-
nen Eintragungen wegen Übertretungen nur im Ausnahmefall
(Art. 371 Abs. 1 StGB: wenn gleichzeitig ein Berufsverbot verhängt
wurde). Urteile, die eine Strafe enthalten, werden nicht mehr in den
Auszug aufgenommen, wenn zwei Drittel der für die Entfernung
nach Art. 369 StGB massgebenden Dauer abgelaufen sind. Auch Ein-
tragungen, welche eine bedingte oder teilbedingte Strafe enthalten,
erscheinen nicht mehr im Auszug, wenn der Verurteilte sich bis zum
Ablauf der Probezeit bewährt hat (Art. 371 Abs. 3 und 3bis StGB;
diese Vorschriften ersetzen der Sache nach zum Teil die altrechtliche
Regelung betreffend Löschung von Strafregisterauszügen; vgl. dazu
PATRICK GRUBER, in: MARCEL ALEXANDER NIGGLI/HANS
WIPRÄCHTIGER [Hrsg.], Basler Kommentar Strafrecht II, 2. Aufl.,
Basel 2007, Art. 371 N 27 und Art. 369 N 4). Der Gesetzgeber will
somit - ähnlich wie bei der altrechtlichen Löschung des Straf-
registereintrags - bei Bestehen der Probezeit nur noch einem be-
schränkten Personenkreis Zugang zu den eingetragenen Daten er-
möglichen. Einen vollständigen Zugriff auf die eingetragenen Daten
behält immerhin, unabhängig vom Schweigen des Privatauszugs über
bestimmte Delikte, die kantonale Koordinationsstelle (Art. 367
Abs. 2 StGB).
Das beschränkte Einsichtsrecht hat keine direkten Auswirkun-
gen auf den Entscheid über die Einhaltung des Erfordernisses der
Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung, zumal das Straf-
register auch der behördlichen Aufgabenerfüllung im Einbürgerungs-
verfahren dient und die kantonale Koordinationsstelle bis zur Entfer-
nung des Eintrags Einblick in den vollständigen Eintrag hat (vgl.
Art. 365 Abs. 2 lit. g sowie Art. 367 Abs. 1 lit. e StGB). In Fällen, wo
ein Eintrag noch nicht entfernt wurde, jedoch auf dem Privatauszug
nicht mehr erscheint, ist, wenn es um die Beurteilung des Erforder-
2011 Verwaltungsgericht 234

nisses der Beachtung der Rechtsordnung geht, eine Abwägung zwi-
schen Schwere der Tat und der seither abgelaufenen Zeitdauer anzu-
stellen.
4.2.4.
In Bezug auf sog. "Bagatelldelikte", wie sie insbesondere im
Strassenverkehrsrecht begegnen, ist im Zusammenhang mit Einbür-
gerungsbegehren der besondere Charakter solcher Straftaten zu
beachten. Anders als bei eigentlichen Vorsatztaten handelt es sich
dabei in der Regel um Verhaltensweisen, die im Wesentlichen der
(allenfalls auch grob) pflichtwidrigen Unaufmerksamkeit oder dem
Übermut eines Delinquenten zuzuschreiben sind. Das bedeutet frei-
lich nicht, dass in solchem Verhalten niemals ein Hinweis auf eine
ungenügende Beachtung der Rechtsordnung liegen könnte. Wenn
sich bei einer Person Strassenverkehrsdelikte häufen (z.B. notori-
scher Falschparkierer) kann ein solches Verhalten vielmehr durchaus
einen Hinweis darauf darstellen, dass der Bürgerrechtsbewerberin
bzw. dem -bewerber die Einhaltung der entsprechenden Normen
nicht wichtig ist, sie bzw. er somit insoweit eine gewisse "Noncha-
lance" an den Tag legt oder schlicht nicht in der Lage ist, dauerhaft
die entsprechenden Normen der schweizerischen Rechtsordnung
einzuhalten.
4.3.
4.3.1.
Das Strafregister enthält zwei Einträge betreffend den Be-
schwerdeführer:
- die Verurteilung vom 7. April 2003 wegen eines Vergehens,
welche infolge Ablaufs der Probezeit nicht mehr im Pri-
vatauszug erscheint (vgl. Art. 371 Abs. 3bisStGB);
- die Verurteilung vom 7. April 2006 wegen einer Übertre-
tung, die wegen ihres Charakters als Übertretung ebenfalls
nicht auf dem Privatauszug figuriert (vgl. Art. 371 Abs. 1
StGB).
Dabei handelt es sich - insbesondere bei der Verurteilung aus
dem Jahr 2003 - nicht um ein "Bagatelldelikt"; die Verurteilung wird
im Jahr 2013 aus dem Strafregister entfernt werden (vgl. Art. 369
Abs. 3 und 6 lit. a StGB).
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Darüber hinaus ist der Beschwerdeführer ein drittes Mal im Zu-
sammenhang mit seinem Verhalten im Strassenverkehr straffällig
geworden. Der letzte Vorfall - vom 18. Januar 2008 - führte indes zu
keinem Eintrag im Strafregister.
4.3.2.
Die Strafe aus dem Jahr 2003 war bei Einleitung des Einbürge-
rungsverfahrens im September 2009 schon seit über vier Jahren im
Strafregister "gelöscht" (altrechtlich) bzw. erschien nicht mehr im
Privatauszug. Hinsichtlich der zweiten gegen den Beschwerdeführer
ausgefällten Strafe erschien diese, die nur gemäss altem Recht (vgl.
Art. 9 lit. b der Verordnung vom 1. Dezember 1999 über das auto-
matisierte Strafregister [alte VOSTRA-Verordnung; BBl 1999,
3509 ff.], wonach Verurteilungen wegen Übertretungen einzutragen
waren, sofern eine Haftstrafe ausgesprochen wurde) zum Strafregi-
stereintrag führte, spätestens seit dem Inkrafttreten des neuen Rechts
am 1. Januar 2007 nicht mehr auf dem Privatauszug.
Zusätzlich fällt hier indessen ins Gewicht, dass der Beschwer-
deführer am 18. Januar 2008 wiederum straffällig wurde. Selbst
wenn es sich bei diesem Delikt zwar nicht um ein eintragungsfähiges
Delikt handelte, ging es dabei indessen wie bei den Vergehen aus den
Jahren 2002, 2003 und 2006 nicht um eine blosse Bagatelle, sondern
um gefährdende Verhaltensweisen im Strassenverkehr (Überholen an
unübersichtlicher Stelle sowie Missachtung des Vortritts gegenüber
Fussgängern), für die der Beschwerdeführer mit einer Busse belegt
wurde.
4.4.
Seit dem letzen Vorfall vom 18. Januar 2008 bis zum Entscheid
der Justizkommission am 15. November 2010 ist zwar schon wieder
ein Zeitraum von bald einmal drei Jahren verstrichen. Wird indessen
zusätzlich die automobilistische "Biographie" des Beschwerde-
führers bis zu diesem letzten Vorfall in Erwägung gezogen, erscheint
es dennoch im Ergebnis nicht als unhaltbar, wenn die Justizkom-
mission das Erfordernis der Beachtung der schweizerischen Rechts-
ordnung zum Beurteilungszeitpunkt (noch) nicht als erfüllt betrachtet
hat. Um diese Schlussfolgerung ziehen zu können, bedarf es insbe-
sondere auch keiner persönlichen Anhörung des Beschwerdeführers.
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Der Beschwerdeführer hat in einem Zeitraum von etwas mehr als
fünf Jahren (28.11.2002 - 18.1.2008) insgesamt viermal zum Teil
sehr schwerwiegende Verkehrsregelverletzungen begangen. Ange-
sichts dessen ist es, obwohl die Schwere der Taten tendenziell eher
abnahm, haltbar, wenn die Justizkommission im Ergebnis zum
Schluss kam, der Beschwerdeführer erfülle zurzeit das Erfordernis
der Beachtung der schweizerischen Rechtsordnung (noch) nicht. Das
führt zur Abweisung der Beschwerde.
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