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Urteil Verwaltungsgericht (AG - AGVE 2002 158)

Zusammenfassung des Urteils AGVE 2002 158: Verwaltungsgericht

Die Beschwerdeführenden haben Einsicht in die Krankengeschichte ihres verstorbenen Angehörigen gefordert, um mögliche Ansprüche gegen das Gesundheitsdepartement geltend zu machen. Es wurde festgestellt, dass der postmortale Persönlichkeitsschutz nicht dem Einsichtsrecht entgegensteht. Es wurde diskutiert, ob ein postmortaler Datenschutz besteht und ob die Datenschutzgesetze auch auf die Bearbeitung von Daten Verstorbener anwendbar sind. Der Regierungsrat entschied, dass die Krankengeschichte nur einer ärztlichen Vertrauensperson herausgegeben werden darf, um sowohl dem Geheimhaltungsinteresse als auch dem Informationsbedürfnis der Beschwerdeführenden gerecht zu werden.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AGVE 2002 158

Kanton:AG
Fallnummer:AGVE 2002 158
Instanz:Verwaltungsgericht
Abteilung:Verwaltungsbehörden
Verwaltungsgericht Entscheid AGVE 2002 158 vom 20.11.2002 (AG)
Datum:20.11.2002
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:AGVE 2002 158 S.687 2002 Datenschutz 687 VII. Datenschutz 158 Herausgabe der Krankengeschichte. Die beantragte Einsicht in...
Schlagwörter: Daten; Person; Einsicht; Recht; Recht; Kranken; Interesse; Datenschutz; Personen; Beschwerdeführende; Beruf; Beschwerdeführenden; Akten; Krankengeschichte; Gesuch; Angehörige; Persönlichkeit; Berufsgeheimnis; Verstorbene; Gesundheit; Angehörigen; Patienten; Personendaten; Ärzte; Verwaltung; Geheimnis
Rechtsnorm: Art. 1 ZGB ;Art. 2 DSG ;Art. 321 StGB ;Art. 37 DSG ;Art. 8 DSG ;
Referenz BGE:123 I 118;
Kommentar:
-

Entscheid des Verwaltungsgerichts AGVE 2002 158

2002 Datenschutz 687

VII. Datenschutz

158 Herausgabe der Krankengeschichte. - Die beantragte Einsicht in die Krankengeschichte kann nicht aus Gründen des postmortalen Persönlichkeitsschutzes der verstorbenen Person verwehrt werden (Erw. 2). - Die einschlägigen Datenschutzgesetze sind auch für die Bearbeitung von Personendaten eines verstorbenen Menschen anwendbar (Erw. 3). - Hinsichtlich des Rechts auf Einsicht in personenbezogene Akten Ver- storbener besteht im kantonalen Recht keine allgemeine Regelung; diesbezüglich liegt eine echte Gesetzeslücke vor (Erw. 4a-c). - Gesuchen um Einsicht in die Krankengeschichte verstorbener Per- sonen ist zu entsprechen, wenn die Gesuchstellenden ein Interesse an der Auskunft Einsicht nachweisen, den Gesuchen keine spezielle Gesetzesvorschrift sowie keine überwiegenden öffentlichen oder privaten Interessen entgegenstehen (Erw. 4d). - Angesichts der überragenden Bedeutung des strafrechtlichen Schut- zes des Arztgeheimnisses ist die vollumfängliche Einsichtnahme in die Originalakten der verstorbenen Person nicht zuzulassen; es er- weist sich als verhältnismässig, die Akten lediglich einer vermitteln- den ärztlichen Vertrauensperson stellvertretend für die Angehörigen zu deren Orientierung unter Auflage herauszugeben (Erw. 4e).
Entscheid des Regierungsrates vom 20. November 2002 i.S. M. u. S. sowie M.M. gegen Gesundheitsdepartement.
Sachverhalt
A. a) R.M. war 2001 zweimal in der Psychiatrischen Klinik Königsfelden hospitalisiert. Am 21. Oktober 2001 nahm er sich in dieser Klinik das Leben.
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Am 4. Dezember 2001 stellten M. u. S.M. (Eltern von R.M.) sowie M.M. (Bruder von R.M.) (Beschwerdeführende) bei den Psychiatrischen Diensten des Kantons Aargau, Interner Psychiatri- scher Dienst (IPD) Klinik Königsfelden, Brugg, ein Gesuch um Ak- teneinsicht und um Zustellung der Krankengeschichte des Verstorbe- nen bezüglich dessen Hospitalisation im Jahr 2001 an ihren Rechts- vertreter. Die ärztliche Leitung des IPD ersuchte am 17. Dezember 2001 beim Gesundheitsdepartement um Entbindung vom Berufsge- heimnis gegenüber einem Vertrauensarzt der Beschwerdeführenden, um die Akteneinsicht zu gewähren. Am 18. Januar 2002 entband das Gesundheitsdepartement (Ge- neralsekretariat) die ärztliche Leitung des IPD vom Berufsgeheimnis gegenüber einer von den Eltern von R.M. bezeichneten ärztlichen Vertrauensperson bezüglich der Abklärung und Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen gegen den IPD bzw. die behandelnden Ärzte und Ärztinnen im Zusammenhang mit dem Suizid von R.M.. Das Gesundheitsdepartement erklärte zudem die ärztliche Leitung des IPD als berechtigt, der ärztlichen Vertrauensperson die Krankenge- schichte betreffend den Verstorbenen herauszugeben. Es machte dieser Vertrauensperson allerdings die Auflage, den Eltern von R.M. bzw. deren Rechtsvertreter nicht unmittelbar Einsicht in die Kran- kengeschichte zu gewähren, sondern diese lediglich insoweit über den Inhalt der Dokumente zu orientieren, als dies im Zusammenhang mit der Abklärung und Geltendmachung von Haftpflichtansprüchen erforderlich ist. b) Am 19. Februar 2002 stellten die Beschwerdeführenden beim Kantonsarzt das Gesuch, es sei ihnen in die von den Psychiatrischen Diensten des Kantons Aargau, Brugg, geführte Krankengeschichte bezüglich R.M. vollumfänglich Akteneinsicht zu gewähren. Das Gesundheitsdepartement (Kantonsärztlicher Dienst, fortan: Vorinstanz) wies das Gesuch am 9. April 2002 ab. (...)
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Aus den Erwägungen

2. Es stellt sich vorab die Frage, ob dem seitens der Beschwer- deführenden beantragten Akteneinsichtsrecht das Interesse des ver- storbenen R.M. am Schutz seiner Persönlichkeit entgegenstehen kann. Es geht dabei um die Frage nach dem Schutz der Persönlich- keit eines verstorbenen Menschen (sog. postmortaler Persönlich- keitsschutz). Gemäss Art. 31 Abs. 2 des Schweizerischen Zivilgesetzbuchs vom 10. Dezember 1907 (ZGB) endet die Persönlichkeit eines Men- schen und damit dessen Rechtsfähigkeit mit dem Tod. Daraus ergibt sich, dass einem einer Verstorbenen keine persönlichkeitsrecht- liche Befugnisse und damit auch keine aus dem Persönlichkeits- schutz fliessende eigene Abwehr- Unterlassungsansprüche mehr zustehen können. In Lehre und Rechtsprechung wird bloss ein be- schränkter postmortaler Persönlichkeitsschutz in dem Sinne aner- kannt, dass nahe Angehörige, wie Verwandte Freunde, aufgrund ihrer emotionalen Verbundenheit zu den Verstorbenen berechtigt sein können, aus eigenem Recht für das Ansehen dieser Personen zu sor- gen (sog. Andenkensberechtigung). Ausserdem umfasst der Persön- lichkeitsschutz auch das Verfügungs- Selbstbestimmungsrecht über die eigene sterbliche Hülle (vgl. zum Ganzen: BGE 123 I 118 f., 101 II 191; Esther Knellwolf, Datenschutz über den Tod hinaus?, in: Fakten, Sondernummer 4/1998, S. 324 f.; Andreas Meili, Kommentar zum Schweizerischen Privatrecht, Basel/Frankfurt a.M. 1996, Art. 28 N 35 mit Verweisungen). Somit kann den Beschwerdeführenden die beantragte Einsicht in die Akten nicht aus Gründen des postmortalen Persönlichkeits- schutzes von R.M. verwehrt werden. 3. Es ist weiter zu prüfen, ob ein postmortaler Datenschutz be- steht, d.h. ob die Daten einer Person nach deren Tod (noch) schutzwürdig sind. Da das Datenschutzrecht den Zweck verfolgt, die Grundrechte einer Person bzw. deren Persönlichkeit zu schützen, fällt mit dem Tod eines Menschen, d.h. mit der Beendigung der Persönlichkeit, das geschützte Objekt weg (§ 1 der regierungsrätlichen Weisungen über
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die Bearbeitung von Personendaten in der Verwaltung vom 9. November 1987 [fortan: Weisungen]; vgl. auch Art. 1 des Bundes- gesetzes über den Datenschutz [DSG] vom 19. Juni 1992). Die Da- tenschutzgesetze dienen aber nicht nur dem Schutz des einzelnen Individuums, sondern auch dem Schutz der Rechtsgemeinschaft vor Übergriffen und Willkür von Datenbearbeitenden. Das Verbot von persönlichkeitsverletzenden Datenbearbeitungen hängt somit nicht von der Existenz des einzelnen Individuums ab (Knellwolf, a.a.O., S. 24). Mit den Datenschutzgesetzen soll darüber hinaus auch im positiven Sinne eine Rechtsgrundlage für Datenbearbeitungen ge- schaffen werden. Dementsprechend führt § 5 Abs. 1 der Weisungen aus, dass die Verwaltung nur Personendaten bearbeiten darf, soweit dies für die Erfüllung ihrer (gesetzlichen) Aufgaben erforderlich ist gesetzlich vorgeschrieben ist. Auch in § 26 des Dekrets über die Rechte und Pflichten der Krankhauspatienten und -patientinnen (Pa- tientendekret [PD]) vom 21. August 1990 findet sich eine ähnliche Vorschrift. Infolgedessen sind die einschlägigen Datenschutzgesetze auch für die Bearbeitung von Personendaten eines verstorbenen Menschen anwendbar. Es muss insbesondere in diesen Gesetzen in einem Spezialerlass für die Bearbeitung der hier interessierenden Daten eine Rechtsgrundlage vorhanden sein. 4. a) Das Bundesgesetz über den Datenschutz gilt für das Bear- beiten von Daten natürlicher und juristischer Personen durch private Personen und Bundesorgane (Art. 2 Abs. 1 DSG). Nachdem sich vorliegend das Gesuch der Beschwerdeführenden um Akteneinsicht an den IPD bzw. das Gesundheitsdepartement, somit an ein kanto- nales Organ, richtet und es sich nicht um den Vollzug von Bundes- recht handelt (Art. 37 DSG), findet das eidgenössische Datenschutz- gesetz auf den konkreten Fall keine unmittelbare Anwendung. Die Zulässigkeit der Datenbearbeitung durch kantonale Behörden ist nach Massgabe der Weisungen über die Bearbeitung von Personen- daten in der Verwaltung zu beurteilen. b) In den Weisungen findet sich indessen keine Rechtsnorm, die auf den vorliegenden Fall anwendbar ist. § 9 regelt zwar die Be- kanntgabe von Personendaten an Privatpersonen; diese Bestimmung
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kann aber nicht auf den Fall des Bearbeitens von Daten einer ver- storbenen Person angewendet werden. Sie will vielmehr den Fall regeln, in dem Personendaten von Lebenden an Dritte weitergegeben werden sollen. Für Daten Toter kann nämlich nicht deren Zustim- mung für die Bekanntgabe ihrer Daten eingeholt vorausgesetzt werden (vgl. den Schluss von § 9 Abs. 1 der Weisungen und nach- stehende Erw. 4c). c) Es ist zu prüfen, ob das Patientendekret eine Vorschrift für das Bearbeiten von Daten Verstorbener enthält. § 13 PD bestimmt, dass Dritten nur Auskünfte über den Patienten bzw. die Patientin erteilt werden dürfen, wenn diese Person ihr Einverständnis dazu gegeben hat (Abs. 1). Für nächste Angehörige wird eine widerleg- bare Vermutung zugunsten dieses Einverständnisses statuiert (Abs. 2). Auch die Gewährung der Einsicht in die Krankenunterlagen darf nach § 28 PD nur mit Zustimmung des Patienten bzw. der Pati- entin erfolgen. Nachdem die Toten aber keinen konkreten aktuellen und für die Nachwelt verbindlichen ausdrücklichen stillschwei- genden Willen mehr haben können, liegt nahe, dass die erwähnten Dekretsbestimmungen lediglich die Bearbeitung von Daten lebender Personen regeln (Knellwolf, a.a.O., S. 25; abweichend: RRB Nr. ..., welcher ohne nähere Begründung von der Anwendbarkeit von § 13 PD ausgeht; Jürg Boll, Die Entbindung vom Arzt- und Anwaltsge- heimnis, Zürich 1983, S. 34). Ansonsten wäre auch nicht von Pati- enten bzw. Patientinnen die Rede. Es könnte zwar argumentiert werden, das Gesundheitsgesetz habe die Einsicht in die Krankenunterlagen von Verstorbenen aus- schliessen wollen, da gemäss § 28 Abs. 3 PD die Angehörigen nur Einsicht in den Obduktionsbericht verlangen können (sog. qualifi- ziertes Schweigen). Für eine solche restriktive Auslegung finden sich jedoch keine Anhaltspunkte in den Materialien (vgl. die regierungs- rätliche Botschaft vom 20. November 1989 zum Patientendekret, fortan: Botschaft, S. 12). Es ist denn auch nicht einsehbar, weshalb Angehörigen die Einsicht in Krankenunterlagen von Toten generell, d.h. ohne Vornahme einer umfassenden Interessenabwägung im Ein- zelfall, verwehrt werden soll. Vielmehr will der in § 28 Abs. 3 PD verankerte Anspruch auf Einsicht in den Obduktionsbericht den An-
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gehörigen aufgrund ihres eigenen verfassungsmässig geschützten Rechts auf den toten Körper der ihnen verbundenen Person ermögli- chen, sich über deren Krankheit und die genaue Todesursache zu informieren (Botschaft, S. 12). In diesem Sinne beschlägt § 28 Abs. 3 PD einen Spezialfall. Mithin besteht hinsichtlich des Rechts auf Einsicht in personenbezogene Akten Verstorbener im kantonalen Recht keine allgemeine Regelung, weshalb diesbezüglich eine echte Gesetzeslücke vorliegt. d) In solchen Fällen hat die rechtsanwendende Behörde primär Gewohnheitsrecht anzuwenden und in zweiter Linie nach der Regel zu entscheiden, die sie als gesetz- dekretsgebendes Organ auf- stellen würde (für das Zivilrecht: Art. 1 Abs. 2 ZGB; Hans Michael Riemer, Die Einleitungsartikel des Schweizerischen Zivilgesetzbu- ches, Bern 1987, N 99 ff.). Bezogen auf den zu beurteilenden Fall besteht kein Gewohnheitsrecht. Es ist demnach gestützt auf eine Interessenabwägung eine allgemeine Regel zu bilden, wobei bereits vorhandene Regelungen zu einem vergleichbaren Rechtsproblem zu berücksichtigen bzw. analog heranzuziehen sind (sog. Analogie- schluss; Riemer, a.a.O., N 108; vgl. auch Knellwolf, a.a.O., S. 26). Die Verordnung zum Bundesgesetz über den Datenschutz (VDSG) vom 14. Juni 1993 hat mit Bezug auf die Bekanntgabe von Daten verstorbener Personen in Art. 1 Abs. 7 eine Regelung getrof- fen: Wird Auskunft über Daten von verstorbenen Personen verlangt, so ist sie zu erteilen, wenn der Gesuchsteller bzw. die Gesuchstellerin ein Interesse an der Auskunft nachweist und keine überwiegenden Interessen von Angehörigen der verstorbenen Person von Drit- ten entgegenstehen. Nahe Verwandtschaft sowie Ehe mit der verstor- benen Person begründen ein Interesse (vgl. dazu: VPB 55/I [1991] Nr. 3 S. 26 ff.). In Anlehnung an diese Bestimmung erscheint es für die zu beurteilende Problematik sachgerecht, Gesuchen um Einsicht in die Krankengeschichte verstorbener Personen zu entsprechen, wenn die Gesuchstellenden ein Interesse an der Auskunft Ein- sicht nachweisen, den Gesuchen keine spezielle Gesetzesvorschrift sowie keine überwiegenden öffentlichen privaten Interessen entgegenstehen.
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e) aa) Ein Interesse der Beschwerdeführenden an der Einsicht in die Krankengeschichte von R.M. kann ohne weiteres bejaht werden, machen doch diese als nahe Verwandte des Verstorbenen das Akten- einsichtsrecht geltend, um bundesrechtliche Ansprüche gegen den IPD bzw. die behandelnden Ärzte bzw. Ärztinnen näher überprüfen und allenfalls solche Ansprüche durchsetzen zu können. bb) aaa) Es stellt sich jedoch die Frage, ob das Gebot der Wah- rung des ärztlichen Berufsgeheimnisses dem Einsichtsrecht entge- gensteht. Gemäss Art. 321 des Schweizerischen Strafgesetzbuches vom 21. Dezember 1937 (StGB) werden nämlich u.a. Ärzte u. Ärz- tinnen sowie ihre Hilfspersonen, die ein Geheimnis offenbaren, das ihnen infolge ihres Berufes anvertraut worden ist, das sie in dessen Ausübung wahrgenommen haben, auf Antrag mit Gefängnis mit Busse bestraft (Abs. 1). Die Verletzung des Berufsgeheim- nisses ist allerdings nicht strafbar, wenn der Geheimnisträger die Geheimnisträgerin das Geheimnis aufgrund einer Einwilligung des der Berechtigten einer auf Gesuch der geheimnistra- genden Person hin erteilten schriftlichen Bewilligung der vorgesetz- ten Behörde Aufsichtsbehörde offenbart hat (sog. Rechtferti- gungsgründe; Abs. 2). Die Strafbestimmung dient im Falle des ärztlichen Berufsge- heimnisses einerseits dem Schutz der Patienten und Patientinnen und anderseits der fachgerechten Ausübung des Arztberufes, an der ein öffentliches Interesse besteht (Karin Keller, Das ärztliche Berufsge- heimnis gemäss Art. 321 StGB, Zürich 1993, S. 79 f.; Jörg Rehberg, Strafrecht IV, 2. Auflage, Zürich 1996, S. 428). Dieser Beruf kann nämlich nur fachgerecht ausgeübt werden, wenn die Kranken Ver- trauen in den Ärztestand haben können. Das ärztliche Berufsgeheim- nis gilt auch nach dem Tod der Geheimnisberechtigten. Ihr Recht, die Arztpersonen vom Berufsgeheimnis zu entbinden, ist höchstpersönli- cher Natur; die erbberechtigten Personen sind dazu nicht befugt, weil die höchstpersönlichen Rechte unvererblich sind und daher nicht an Rechtsnachfolgende übergehen können (Boll, a.a.O., S. 34 f.; Keller, a.a.O., S. 79 ff.; Stefan Trechsel, Schweizerisches Strafgesetzbuch, 2. Auflage, Zürich 1997, Art. 321 N 26).
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bbb) Den Ärzten und Ärztinnen, die R.M. behandelt haben, ist im Rahmen der Behandlung des Patienten und demnach bei der Be- rufsausübung ein Geheimnis anvertraut worden; sie unterliegen dem- zufolge der strafrechtlich sanktionierten ärztlichen Schweigepflicht. Das Offenlegen von Personendaten von R.M., die sie in Ausübung ihres Berufes wahrgenommen haben, würde demnach den Tatbestand von Art. 321 StGB erfüllen. Aus den Akten ist nicht ersichtlich, dass R.M. zu Lebzeiten die Ärzte bzw. Ärztinnen ausdrücklich still- schweigend von der Geheimhaltungspflicht entbunden hat. Wie be- reits oben dargelegt, kann er nach seinem Tod keinen rechtlich ver- bindlichen Willen mehr haben und demnach kann mit Bezug auf die Offenlegung des Geheimnisses auch gegenüber den Angehörigen keine Einwilligung vermutet werden (vgl. auch Keller, a.a.O., S. 82). Selbst wenn mit Bezug auf Verstorbene die Rechtsfigur der mut- masslichen Einwilligung zugelassen würde, ist eine solche im kon- kreten Fall selbst gegenüber den Angehörigen nicht anzunehmen, weil die vollständige Einsicht in die Krankengeschichte von R.M. nicht in dessen Interesse objektiv geboten ist. Nachdem die Be- schwerdeführenden offensichtlich nicht eine Zustimmung aller an- denkensberechtigten Personen beigebracht haben, kann offen gelas- sen werden, ob für die Befreiung vom ärztlichen Berufsgeheimnis eine Einwilligung der andenkensberechtigten Personen genügt. Es bleibt demnach zu prüfen, ob die Offenlegung des Geheimnisses und demnach die volle Einsicht der Beschwerdeführenden in die Kran- kengeschichte von R.M. mit Zustimmung des Regierungsrates als Aufsichtsbehörde im Gesundheitswesen zulässig ist (§ 3 des Ge- sundheitsgesetzes [GesG] vom 10. November 1987). Nur ein gegen- über dem Geheimhaltungsinteresse deutlich höherwertiges öffentli- ches privates Offenbarungsinteresse rechtfertigt die Befreiung vom Berufsgeheimnis. Angesichts der gewichtigen Bedeutung des Geheimbereichs der Patienten und Patientinnen darf die ärztliche Schweigepflicht nicht leichtfertig, sondern nur nach einer konkreten und ernsthaften Rechtsgüterabwägung aus zwingenden Gründen durchbrochen werden. Ausserdem darf die Bewilligung nur erteilt werden, wenn die Offenbarung das einzige Mittel ist, um das höher- wertige Interesse angemessen zu wahren (sog. Subsidiarität der Ent-
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bindung; vgl. zum Ganzen: Entscheid der II. öff.-rechtl. Abteilung des Bundesgerichts vom 26. April 1995 i.S. X c. Spital von P. u. Staatsrat des Kantons Genf, in: Pra 85 Nr. 94 S. 290 ff.; Boll, a.a.O., S. 57 ff.; Keller, a.a.O., S. 154 f.; Trechsel, a.a.O., Art. 321 N 32). ccc) Die Beschwerdeführenden verlangen vollumfängliche Ein- sicht in die Krankenunterlagen des verstorbenen R.M., um näher prü- fen zu können, ob die Voraussetzungen für verwaltungs-, straf- zivilrechtlichrechtliche Ansprüche erfüllt sind. Die Angehörigen hätten aus ihren eigenen Persönlichkeitsrechten einen Anspruch da- rauf, genau zu wissen, unter welchen Umständen ihr naher Ver- wandter verschieden sei. Die Vorinstanz entschied, die Krankenge- schichte nicht den Beschwerdeführenden selber, sondern nur einer ärztlichen Vertrauensperson herauszugeben und diese nur soweit über den Inhalt der Akten zu orientieren, als es zur Abklärung und Geltendmachung von zivilrechtlichen Ansprüchen notwendig ist. In Lehre und Rechtsprechung wird anerkannt, dass nahe Ange- hörige einer getöteten Person einen selbstständigen Genugtuungsan- spruch haben können (Art. 47 des Schweizerischen Obligationen- rechts vom 30. März 1911 [OR]; Roland Brehm, Berner Kommentar, 2. Auflage, Bern 1998, Art. 47 N 31 f., N 141 ff., je mit Verweisun- gen). In diesem Sinne ist den Beschwerdeführenden durchaus ein berechtigtes Interesse zuzugestehen, die besonderen Umständen des Todes ihres Angehörigen zu kennen, um die Grundlagen für einen allfälligen haftpflichtrechtlichen Anspruch abklären und durchsetzen zu können. Da nach dem Tod von R.M. die einzige Möglichkeit, Kenntnis von diesen Umständen zu erhalten, in der Entbindung der Ärzte bzw. Ärztinnen des IPD vom Arztgeheimnis durch die Auf- sichtsbehörde besteht, ist das Subsidiaritätsprinzip gewahrt. Dem Offenbarungsinteresse der Beschwerdeführenden steht indessen das Geheimhaltungsinteresse betreffend Angaben über den verstorbenen R.M. entgegen. Eine Durchsicht der Krankenunterlagen ergibt, dass darin im besonderem Masse schützenswerte höchstpersönliche Daten von R.M. enthalten sind, welche den Ärzten bzw. Ärztinnen im Rahmen der Behandlung anvertraut wurden diese in Ausübung ihres Berufes wahrgenommen haben. Insbesondere haben diese Un- terlagen auch vertrauliche Informationen zum Inhalt, die das Ver-
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hältnis zwischen dem Verstorbenen und den Angehörigen betreffen. Es ist daher nicht ohne weiteres anzunehmen, dass eine Person, selbst wenn sie mit nahen Verwandten eng verbunden war, einzig aufgrund dieses Umstandes zugelassen hätte, dass ihr ärztliches Dos- sier diesen voll und ohne Einschränkungen zugänglich sei (Entscheid der II. öff.-rechtl. Abteilung des Bundesgerichts vom 26. April 1995 i.S. X c. Spital von P. u. Staatsrat des Kantons Genf, in: Pra 85 Nr. 94 S. 294). Die Beschwerdeführenden vermögen zwar durchaus ein das Geheimhaltungsinteresse überwiegendes höherwertiges Interesse an der Offenbarung von Daten in den Krankenunterlagen geltend zu machen, soweit diese mit Haftungsgrundlagen in sachlichem Zu- sammenhang stehen und deren Kenntnis zur Abklärung der Prozess- chancen und zur Anspruchsdurchsetzung erforderlich ist. Es ist ihnen durchaus Recht zu geben, dass ihren Interessen in optimalerer Weise Rechnung getragen würde, wenn sie selber im vollem Umfang Ein- sicht in die Krankenunterlagen nehmen könnten. Angesichts der überragenden Bedeutung des strafrechtlichen Schutzes des Arztge- heimnisses ist indessen die von ihnen beantragte vollumfängliche Einsichtnahme in die Originalakten nicht zuzulassen; dies umso mehr, als dies im vorliegenden Fall nicht zwingend notwendig ist. Denn der angefochtene Entscheid der Vorinstanz, die Akten lediglich einer vermittelnden ärztlichen Vertrauensperson stellvertretend für die Beschwerdeführenden zu deren Orientierung unter Auflage he- rauszugeben, wird sowohl dem - v.a. der fachgerechten Ausführung der medizinischen Berufe dienenden - Interesse an der Nichtver- breitung höchstpersönlicher Tatsachen, die den Arztpersonen im Rahmen ihrer beruflichen Funktionen anvertraut werden, und demje- nigen der Beschwerdeführenden, Kenntnis von den relevanten an- spruchsbegründenden Tatsachen zu erhalten, in angemessener Weise gerecht und entspricht daher dem Grundsatz der Verhältnismässig- keit. Eine solche Regelung hat sich gerade mit Bezug auf medizini- sche Angaben bewährt und erlaubt, den vorliegenden Interessenkon- flikt ausgewogen zu lösen (Entscheid der II. öff.-rechtl. Abteilung des Bundesgerichts vom 26. April 1995 i.S. X c. Spital von P. u. Staatsrat des Kantons Genf, in: Pra 85 Nr. 94 S. 294; ZBl 91/1990 S. 364). So wird denn auch in Art. 8 Abs. 3 DSG bestimmt, dass der
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Inhaber die Inhaberin einer Datensammlung Daten über die Gesundheit der betroffenen Person durch einen von ihr bezeichneten Arzt durch eine Ärztin mitteilen lassen kann. (...)
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