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Urteil Verwaltungsgericht 3. Kammer (AG - AG WNO.2023.1)

Zusammenfassung des Urteils AG WNO.2023.1: Verwaltungsgericht 3. Kammer

Das Verwaltungsgericht hat in einem Normenkontrollverfahren die Bestimmungen § 35c Abs. 8 und § 36b Abs. 2 lit. a des Polizeigesetzes des Kantons Aargau auf ihre Verfassungs- und Gesetzmässigkeit hin geprüft. Die Gesuchsteller hatten beantragt, diese Bestimmungen ersatzlos aufzuheben, da sie in ihre verfassungsmässigen Rechte eingreifen. Das Gericht entschied, dass die beiden Bestimmungen übermässige Eingriffe in die verfassungsmässigen Rechte der Betroffenen darstellen und daher nicht mit übergeordnetem Recht vereinbar sind. Somit wurden die Bestimmungen in Gutheissung des Normenkontrollbegehrens ersatzlos aufgehoben. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts ist zu veröffentlichen.

Urteilsdetails des Verwaltungsgerichts AG WNO.2023.1

Kanton:AG
Fallnummer:AG WNO.2023.1
Instanz:Verwaltungsgericht 3. Kammer
Abteilung:-
Verwaltungsgericht 3. Kammer Entscheid AG WNO.2023.1 vom 28.09.2023 (AG)
Datum:28.09.2023
Rechtskraft:
Leitsatz/Stichwort:-
Schlagwörter: Recht; Fahndung; Person; Bundes; Interesse; Normen; Daten; Kanton; Mitteilung; Gesuch; Bundesgericht; Personen; Rechts; Gesuchsteller; Verwaltungsgericht; Schutz; Regierungsrat; Interessen; Grundrecht; Kantons; Gesetze; Aufschub; Normenkontrolle; Massnahme; Selbstbestimmung; Gesetzes
Rechtsnorm: Art. 13 BV ;Art. 13 EMRK ;Art. 15 StPO ;Art. 283 StPO ;Art. 285a StPO ;Art. 298 StPO ;Art. 298a StPO ;Art. 298d StPO ;Art. 29a BV ;Art. 36 BV ;Art. 5 BV ;Art. 8 EMRK ;
Referenz BGE:111 Ia 23; 131 II 697; 135 II 243; 140 I 381; 143 I 137; 146 I 11; 147 I 103; 147 I 346; 147 II 408;
Kommentar:
-, Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung StPO, Art. 298 OR StPO, 2020

Entscheid des Verwaltungsgerichts AG WNO.2023.1

AG WNO.2023.1

WNO.2023.1 / sr / we Art. 96

Urteil vom 28. September 2023

Besetzung

Verwaltungsrichter Michel, Vorsitz Verwaltungsrichter Brandner Verwaltungsrichterin Schircks Verwaltungsrichterin Schöb-Talerico Verwaltungsrichter Winkler Gerichtsschreiberin Ruchti Rechtspraktikant Brunschwiler

Gesuchsteller 1

A._____

Gesuchsteller 2

B._____ beide vertreten durch Dr. iur. Silja Meyer, Rechtsanwältin, Bellerivestrasse 29, 8008 Zürich

Gesuchsgegner

Kanton Aargau, handelnd durch den Regierungsrat des Kantons Aargau, Regierungsgebäude, 5000 Aarau

Gegenstand

Normenkontrollbegehren betreffend § 35c Abs. 8 und § 36b Abs. 2 lit. a des Gesetzes über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit vom 6. Dezember 2005 (PolG)

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Das Verwaltungsgericht entnimmt den Akten: A. Mit Beschluss vom 8. Dezember 2020 fügte der Grosse Rat des Kantons Aargau die §§ 35c und 36b in das Gesetz über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit vom 6. Dezember 2005 (Polizeigesetz, PolG; SAR 531.200) ein (AGS 2021/07-03). Die Bestimmungen traten nach Publikation im Amtsblatt des Kantons Aargau vom 8. Januar 2021 (Publ.Nr. 00.011.780) und Ablauf der Referendumsfrist am 8. April 2021 per 1. Juli 2021 in Kraft. B. 1. A._____ und B._____ reichten am 24. April 2023 beim Verwaltungsgericht ein Normenkontrollbegehren ein, mit den Anträgen in der Sache: 1. Es seien die folgenden angefochtenen Bestimmungen des kantonalen Polizeigesetzes (SAR 531.200) ersatzlos aufzuheben: § 35c Abs. 8 PolG/AG sowie § 36b Abs. 2 lit. a PolG/AG. 2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge (zzgl. MWST) zulasten des Beschwerdegegners bzw. der Staatskasse.

In prozessualer Hinsicht stellten A._____ und B._____ das Begehren um Erteilung der aufschiebenden Wirkung des Normenkontrollbegehrens gemäss § 74 Abs. 1 des Gesetzes über die Verwaltungsrechtspflege vom 4. Dezember 2007 (Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRPG; SAR 271.200). 2. Mit Stellungnahme vom 31. Mai 2023 beantragte der Regierungsrat hinsichtlich § 35c Abs. 8 PolG die Abweisung des Normenkontrollbegehrens. Betreffend § 36b Abs. 2 lit. a PolG anerkannte er, dass die Bestimmung gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht mit dem übergeordneten Bundesrecht vereinbar sei. Es sei deshalb beabsichtigt, diese Unzulänglichkeit im weiteren Verlauf der derzeitigen Revision des PolG der anstehenden Revision der PolV (Verordnung über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit vom 26. Mai 2021 [Polizeiverordnung; SAR 531.211]) zu beseitigen. Entsprechend verzichte hier der Regierungsrat auf eine Antragsstellung. 3. In der Replik vom 13. Juni 2023 hielten die Gesuchsteller an ihren Anträgen fest und wiesen unter anderem darauf hin, dass der anerkanntermassen

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bundesrechtswidrige § 36b Abs. 2 lit. a PolG per sofort bzw. nicht erst im Rahmen der laufenden Gesetzesrevision aufzuheben sei und der Missstand ­ aufgrund der Schwere des Grundrechtseingriffs ­ erst recht nicht mit einer Verordnungsänderung behoben werden könne. 4. In der Duplik vom 5. Juli 2023 hielt der Regierungsrat ebenfalls an seinem Antrag fest und widersprach der Auffassung der Gesuchsteller, dass sich die Bundesrechtswidrigkeit von § 36 Abs. 2 lit. a PolG nicht mit Verordnungsbestimmungen beheben lasse. 5. Die Gesuchsteler reichten am 11. Juli 2023 eine zusätzliche Stellungnahme ein. C. Das Verwaltungsgericht hat den Fall am 28. September 2023 beraten und entschieden.

Das Verwaltungsgericht zieht in Erwägung: I. 1. 1.1. Gemäss § 70 VRPG können Vorschriften verwaltungsrechtlicher Natur in kantonalen Gesetzen, Dekreten und Verordnungen sowie in Erlassen von Gemeinden, öffentlich-rechtlichen Körperschaften und Anstalten dem Verwaltungsgericht jederzeit zur Prüfung auf ihre Übereinstimmung mit übergeordnetem Recht unterbreitet werden. 1.2. Gegenstand des vorliegenden Begehrens sind kantonale Gesetzesbestimmungen, die ein zulässiges Anfechtungsobjekt der prinzipalen bzw. abstrakten Normenkontrolle bilden. 1.3. In inhaltlicher Hinsicht ist die Überprüfbarkeit im Rahmen der prinzipalen Normenkontrolle auf Normen "verwaltungsrechtlicher Natur" beschränkt. Nach der einschlägigen Rechtsprechung wird dabei vorausgesetzt, dass die Rechtssätze von Verwaltungsbehörden (und nicht von zivil- strafrichterlichen Behörden) unter Begründung eines Verwaltungsrechtspflegeverhältnisses angewandt werden das Verwaltungsgericht im Klageverfahren gemäss §§ 60 ff. VRPG zuständig ist (Aargauische Gerichts- und Verwaltungsentscheide [AGVE] 2004, S. 102 f.; 1996, S. 155 f.; Entscheide

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des Verwaltungsgerichts WNO.2018.1 vom 5. Dezember 2018, Erw. I/1.3, und WNO.2012.3 vom 19. Februar 2014, Erw. I/1.3). Die angefochtenen Gesetzesbestimmungen, die der Erkennung und Verhinderung von Straftaten sowie der allgemeinen Gefahrenabwehr und damit der Wahrung der öffentlichen Sicherheit (durch präventive Massnahmen) dienen, sind verwaltungsrechtlicher Natur; dies im Gegensatz zu strafprozessualen Bestimmungen, welche die Verfolgung und Sanktionierung von begangenen Straftaten regeln und für die nach Art. 123 Abs. 1 der Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft vom 18. April 1999 (BV; SR 101) eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes mit nachträglich derogatorischer Kraft besteht (sog. konkurrierende Kompetenz). Zwar bleibt weiterhin Raum auch für kantonales Strafprozessrecht in denjenigen Bereichen, in denen die Schweizerische Strafprozessordnung vom 5. Oktober 2007 (Strafprozessordnung, StPO; SR 312.0) die Kantone zum Erlass von ergänzenden Regeln anhält (z.B. Art. 72 424 StPO), sowie im Bereich des kantonalen (materiellen) Strafrechts, da die StPO nur auf bundesrechtliche Straftaten anwendbar ist (TARKAN GÖKSU, in: BERNHARD W ALDMANN/EVA MARIA BELSER/ASTRID EPINEY [HRSG.], Basler Kommentar Bundesverfassung, Basel 2015, N. 9 f. zu Art. 123). Um kantonales Strafprozessrecht, das im Kanton Aargau auf dem Gebiet des Erwachsenenstrafrechts grundsätzlich im Einführungsgesetz zur Schweizerischen Strafprozessordnung vom 16. März 2010 (EG StPO; SAR 251.200) geregelt ist, wonach auch für die Verfolgung und Beurteilung kantonaler Straftatbestände die Schweizerische StPO gilt (§ 1 Abs. 2), handelt es sich jedoch bei den hier angefochtenen §§ 35c und 36b PolG ­ wie erwähnt ­ nicht, weil es darin eben nicht um die Verfolgung und Sanktionierung, sondern vielmehr um die Erkennung und Verhinderung von Straftaten geht. Angewandt werden diese Bestimmungen primär von der Polizei bzw. Kantonspolizei, die insoweit keine strafprozessualen polizeilichen Aufgaben im Sinne von § 2 EG StPO (Ermittlung von Straftaten unter der Aufsicht und den Weisungen der Staatsanwaltschaft; vgl. Art. 15 StPO) wahrnimmt. An der verwaltungsrechtlichen Natur von § 35c PolG ändert auch der Umstand nichts, dass mit dem Zwangsmassnahmengericht eine strafrichterliche Behörde (vgl. § 10 EG StPO) zum einen die Fortsetzung

der präventiven verdeckten Fahndung nach 30-tägiger Dauer genehmigen (§ 35c Abs. 4 PolG) und zum anderen zustimmen muss, wenn eine nachträgliche Mitteilung der verdeckten Fahndung an die davon betroffene Person gemäss § 35c Abs. 7 PolG unter den Voraussetzungen von § 35c Abs. 8 PolG ausnahmsweise aufgeschoben unterlassen werden soll. Die Involvierung des Zwangsmassnahmengerichts erklärt sich dadurch, dass sich diese richterliche Behörde aufgrund angeeigneter Fachkenntnisse auf diesem Gebiet und im Hinblick auf eine hohe Kohärenz der Rechtsprechung am besten für

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die Überprüfung dieser Art von (Zwangs-)Massnahmen eignet (vgl. die Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 12. Februar 2020 zur Änderung des Gesetzes über die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit [Polizeigesetz, PolG], Bericht und Entwurf zur 1. Beratung, 20.35, S. 58), nachdem zwischen strafprozessualen verdeckten Fahndungen nach Art. 298a ff. StPO (zur Aufklärung von Verbrechen und Vergehen) und präventiven verdeckten Fahndungen (zur Erkennung Verhinderung von Straftaten) eine enge Verwandtschaft besteht und die beiden Massnahmen, wenn auch mit unterschiedlicher Zielsetzung, gleich ausgestaltet sind. Das macht aber die präventive verdeckte Fahndung noch nicht zu einer strafprozessualen Massnahme. In den Vollzug der automatischen Fahrzeugfahndung nach § 36b PolG ist gar keine strafrichterliche Behörde involviert; er obliegt ausschliesslich der Polizei. 2. 2.1. Zum Antrag (auf prinzipale Normenkontrolle) ist befugt, wer durch die Anwendung dieser Vorschriften in absehbarer Zeit in seinen schutzwürdigen eigenen Interessen verletzt werden könnte (§ 71 VRPG). Schutzwürdig ist ein Interesse, wenn der Antragsteller eine beachtenswerte Beziehung zur Streitsache hat, so dass er durch eine möglicherweise falsche Rechtsanwendung in seiner Interessensphäre in höherem Masse als jedermann betroffen wird. Das bedeutet allerdings nicht, dass die Antragsbefugnis entfällt, wenn von einem Erlass eine Vielzahl Kantonseinwohner in gleichem Masse betroffen sind. Am schutzwürdigen Interesse fehlt es, wenn die Aufhebung der Norm dem Antragsteller keinerlei nennenswerte Vorteile bringen keinen Nachteil von ihm abwenden kann. Im Gegensatz zum Beschwerdeverfahren genügt eine virtuelle Betroffenheit. Verlangt ist lediglich, dass die Anwendung der Norm in absehbarer Zeit schutzwürdige Interessen des Antragstellers berühren könnte. Eine gewisse Wahrscheinlichkeit hierfür reicht aus (MICHAEL MERKER, Rechtsmittel, Klage und Normenkontrollverfahren nach dem aargauischen Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [vom 9. Juli 1968], Kommentar zu den §§ 38­72 aVRPG], Diss. Zürich 1998, N. 9 ff. zu § 69). 2.2. Der Gesuchsteller 1 hat Wohnsitz und Arbeitsort im Kanton Aargau. Aufgrund des ausgewiesenen Lebensmittelpunkts innerhalb des Kantonsgebiets besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit,

dass er früher später von den angefochtenen Regelungen, insbesondere von einer automatischen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung nach § 36b PolG, betroffen sein könnte. Der Gesuchsteller 2 mit Wohnsitz in Q._____ im Kanton Zürich sagt von sich, dass er des Öfteren mit dem Auto im Kanton Aargau unterwegs sei. Im Jahr 2018 sei er an der X-Strasse-Strasse in R._____ bereits einmal von einer Kontrollschilderkennungskamera erfasst worden. Was damals noch zu einer strafrechtlichen Verurteilung geführt habe,

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dürfte heute gemäss der jüngsten bundesgerichtlichen Rechtsprechung zum unzulässigen Einsatz solcher Kameras mangels genügender gesetzliche Grundlage nicht mehr verwertet werden. Demnach ist auch in Bezug auf den Gesuchsteller 2 von einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit dafür auszugehen, dass die angefochtenen Regelungen auf ihn angewandt werden könnten. 3. Im Unterschied zur Verfahrensordnung vor dem Bundesgericht (vgl. Art. 101 des Bundesgesetzes über das Bundesgericht vom 17. Juni 2005 [Bundesgerichtsgesetz, BGG; SR 173.110]) ist das kantonale Normenkontrollverfahren an keine Frist gebunden. Vorausgesetzt ist indessen, dass das Rechtssetzungsverfahren materiell abgeschlossen ist. Dieses Kriterium ist mit der Inkraftsetzung der angefochtenen Gesetzesbestimmungen per 1. Juli 2021 erfüllt (MERKER, a.a.O., § 68 N 46). 4. Die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf das Normenkontrollbegehren ist einzutreten. 5. Der prozessuale Antrag auf Erteilung der aufschiebenden Wirkung des Normenkontrollbegehrens wird mit dem vorliegenden Endentscheid gegenstandslos. 6. Aufgrund der Bedeutung des vorliegenden Falls urteilt das Verwaltungsgericht in der Besetzung mit fünf Richtern (§ 3 Abs. 6 lit. c des Gerichtsorganisationsgesetzes vom 6. Dezember 2011 [GOG; SAR 155.200]). II. 1. Im prinzipalen Normenkontrollverfahren sind die anfechtbaren Normen gemäss § 70 Abs. 1 VRPG auf ihre Verfassungs- und Gesetzmässigkeit hin zu prüfen (AGVE 1992, S. 168; Botschaft des Regierungsrats des Kantons Aargau an den Grossen Rat vom 14. Februar 2007 zum Gesetz über die Verwaltungsrechtspflege [Verwaltungsrechtspflegegesetz, VRPG]), 07.27 [nachfolgend: Botschaft VRPG], S. 81). Mit der Revision des VRPG änderte sich die abstrakte Normenkontrolle dahingehend, dass die Überprüfung auf kantonale Gesetze ausgedehnt wurde und die Erteilung der aufschiebenden Wirkung durch den Spruchkörper des Verwaltungsgerichts und nicht mehr durch den Präsidenten allein zu erfolgen hat (Botschaft VRPG, S. 81 und 83). Im Übrigen blieben die Bestimmungen über die Normenkontrolle unverändert, weshalb Lehre und Rechtsprechung zu den §§ 68 ff. des Verwaltungsrechtspflegegesetzes vom 9. Juli 1968 (aVRPG) übernommen werden können.

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2. Im Gesuch um Normenkontrolle ist im Einzelnen darzulegen, welche konkrete Bestimmung überprüft werden soll und inwiefern übergeordnete Gesetzes- Verfassungsbestimmungen als verletzt betrachtet werden. Im Verfahren um prinzipale Normenkontrolle muss sich das Verwaltungsgericht darauf beschränken, angefochtene Bestimmungen hinsichtlich der vom Gesuchsteller ausdrücklich gerügten rechtlichen Mängel zu untersuchen. Zusätzlich ist es nur verpflichtet, damit aus der Natur der Sache unmittelbar zusammenhängende sowie offensichtliche, ins Auge springende Verfassungs- Gesetzeswidrigkeiten zu berücksichtigen (AGVE 1988, S. 108 ff.; 1986, S. 109; Entscheid des Verwaltungsgerichts WNO.2005.1­ 4 vom 7. Dezember 2007, Erw. I/2). Die Prüfung der Verfassungs- und Gesetzmässigkeit von kantonalen Verordnungsbestimmungen umfasst alle funktional übergeordneten kantonalen und bundesrechtlichen Regelungen, einschliesslich die Verordnungen des Bundesrates (FEHLMANNLEUTWYLER, Die prinzipale Normenkontrolle nach aargauischem Recht, Aarau und Frankfurt am Main 1988, S. 120 f.). 3. Bei der Normenkontrolle wird ein Rechtssatz mit einem anderen Rechtssatz verglichen; geprüft wird, ob der zu kontrollierende Rechtssatz der Massstabsnorm entspricht (FEHLMANN-LEUTWYLER, a.a.O., S. 85 ff.), d.h. ob übergeordnete Bestimmungen verletzt sind (AGVE 1992, S. 168; 1988, S. 110). Bei der Prüfung der Verfassungsmässigkeit eines Erlasses im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle ist massgebend, ob der angefochtenen Norm nach anerkannten Auslegungsregeln ein Sinn zugemessen werden kann, der sie mit dem angerufenen übergeordneten Recht vereinbar erscheinen lässt. Das Verwaltungsgericht hebt eine kantonale Norm nur auf, sofern sie sich jeglicher verfassungs- und gesetzeskonformen Auslegung entzieht, nicht jedoch, wenn sie einer solchen in vertretbarer Weise zugänglich bleibt. Dass ausnahmsweise mit rechtswidrigen Anwendungsfällen gerechnet werden muss, rechtfertigt eine Aufhebung nicht; solche können sich immer ereignen. Zudem steht hier der Weg der vorfrageweisen Überprüfung im jeweiligen Einzelfall zur Verfügung (AGVE 2004, S. 257; 2002, S. 165; BGE 143 I 137, Erw. 2.2; 140 I 2, Erw. 4; 137 I 31, Erw. 2 mit Hinweisen; Urteile des Bundesgerichts 2C_109/2017 vom 3. Juli 2018, Erw. 3.3, und 1C_502/2015 vom 18. Januar 2017,

Erw. 2; MERKER, a.a.O., § 68 N 67 und 76 mit Hinweisen). Eine weitergehende Prüfung im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle kann dann angebracht sein, wenn die Möglichkeit der inzidenten Prüfung einem Betroffenen den erforderlichen Schutz nicht zu gewährleisten vermag (BGE 111 Ia 23, Erw. 2; zum

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Ganzen: Entscheid des Verwaltungsgerichts NO.2003.00002 vom 13. August 2004, Erw. I/2b). Es ist grundsätzlich vom Wortlaut der Gesetzesbestimmung auszugehen und der Sinn nach den tradierten Auslegungsmethoden zu bestimmen. Eine verfassungskonforme Auslegung ist namentlich zulässig, wenn der Normtext lückenhaft, zweideutig unklar ist. Der klare und eindeutige Wortsinn darf indes nicht durch eine verfassungskonforme Interpretation beiseitegeschoben werden (BGE 131 II 697, Erw. 4.1; Urteil des Bundesgerichts 2C_109/2017 vom 3. Juli 2018, Erw. 3.3; FEHLMANN-LEUTWYLER, a.a.O., S. 193). 4. Im Rahmen einer abstrakten Normenkontrolle überprüft das Verwaltungsgericht die Rechtmässigkeit eines kantonalen Erlasses mit uneingeschränkter ("voller") Kognition. Zurückhaltung übt das Gericht bei der Aufhebung einer Norm (vgl. zur beschränkten Aufhebungspflicht MERKER, a.a.O., § 49 N 5 und § 68 N 76). Diese institutionelle Zurückhaltung beruht nicht wie beim Bundesgericht auf einer föderalistischen Rücksichtnahme (vgl. dazu BGE 135 II 243, Erw. 2; 130 I 82, Erw. 2.1), sondern erfolgt aus Gründen der Gewaltenteilung und der Verhältnismässigkeit (vgl. dazu AGVE 1986, S. 106 ff., Erw. 4b). 5. 5.1. Die von den Gesuchstellern angefochtenen Bestimmungen des Polizeigesetzes lauten wie folgt: § 35c (Präventive verdeckte Fahndung) Abs. 8 Die Mitteilung gemäss Absatz 7 (Anmerkung der Redaktion: Die Kantonspolizei teilt den betroffenen Personen spätestens mit Abschluss der präventiven verdeckten Fahndung mit, dass nach ihnen verdeckt gefahndet worden ist) kann mit Zustimmung des Zwangsmassnahmengerichts aufgeschoben unterlassen werden, wenn a) die Erkenntnisse nicht zu Beweiszwecken verwendet werden, und b) der Aufschub die Unterlassung zum Schutz überwiegender öffentlicher privater Interessen notwendig ist. § 36b (Automatische Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung) Abs. 2 lit. a Der automatisierte Abgleich (Anmerkung der Redaktion: von automatisiert erfassten Kontrollschildern von Fahrzeugen) ist zulässig mit polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregistern.

5.2. Die Gesuchsteller rügen die Unvereinbarkeit von § 35c Abs. 8 PolG mit dem verfassungsmässig gewährleisteten Anspruch auf Schutz vor Missbrauch der eigenen persönlichen Daten gemäss Art. 13 Abs. 2 BV, dessen Schutzzweck die informationelle Selbstbestimmung sei. Die bewusste

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Nichtmitteilung einer staatlichen Datenbearbeitung gestützt auf § 35c Abs. 8 PolG stelle eine mustergültige Abkehr vom Grundsatz der informierten Einwilligung (in die Datenbearbeitung) dar, womit das angerufene Grundrecht ohne weiteres tangiert sei. Ebenso tangiert sei die Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV, die sich über die Mindestanforderungen der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK; SR 0.101) hinaus auch auf tatsächliches Verwaltungshandeln erstrecke. Schliesslich bedinge das Recht auf wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK einen effektiven und nicht bloss einen theoretischen Rechtsschutz, der durch die Nichtmitteilung der präventiv verdeckten Fahndung mangels Kenntnis der zuvor erfolgten Überwachung faktisch verunmöglicht werde. Zwar existiere mit der angefochtenen Norm die nach Art. 36 Abs. 1 BV erforderliche gesetzliche Grundlage im formellen Sinne für diese Grundrechtseingriffe. Auch seien die Eingriffe grundsätzlich durch ein öffentliches Interesse im Sinne von Art. 36 Abs. 2 BV (Verhinderung von Vergehen und Verbrechen) gerechtfertigt. Jedoch erweise sich die angefochtene Regelung in mehrfacher Hinsicht als unverhältnismässig. Im zur Publikation vorgesehenen Urteil 1C_39/2021 vom 29. November 2022 habe das Bundesgericht eine inhaltlich identische Bestimmung (§ 36septies Abs. 4 Satz 2) im Solothurnischen Gesetz über die Kantonspolizei vom 23. September 1990 (BGS 511.11) wegen Unverhältnismässigkeit aufgehoben (a.a.O., Erw. 6.3.2). Die diesbezüglichen Überlegungen des Bundesgerichts seien auf die Beurteilung der Vereinbarkeit von § 35c Abs. 8 PolG mit übergeordnetem Recht übertragbar. Auch hier bestehe kein Anlass, die Mitteilung an die Betroffenen, dass gegen sie eine verdeckte Fahndung erfolgt ist, aufzuschieben zu unterlassen und insoweit von der Regelung für die (strafprozessuale) verdeckte Fahndung (zur Aufklärung von Vergehen Verbrechen) nach Art. 298a ff. StPO abzuweichen, die einen solchen Mitteilungsausschluss nicht kenne. Zudem bestehe bei verdeckten Fahndern (anders als bei verdeckten Ermittlern) kaum ein Schutzbedürfnis (vor Enttarnung), und soweit ein solches dennoch bestünde, lasse es sich mit milderen Massnahmen als mit dem Verzicht auf die Mitteilung der Fahndung an die Betroffenen erreichen, beispielsweise durch

eine teilweise Beschränkung der Akteneinsicht. 5.3. § 36b Abs. 2 lit. a PolG greift aus Sicht der Gesuchsteller in schwerer Weise in den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 2 BV (informationelle Selbstbestimmung) und Art. 13 Abs. 1 BV (allgemeine Privatsphäre) ein, indem die automatische Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (kurz: AFV) Grundlage für Persönlichkeits- Bewegungsprofile bilden und, weil sie weder anlassbezogen noch aufgrund eines konkreten Verdachts erfolge, eine abschreckende Wirkung durch den sog. "chilling effect" (wesentliche Hemmung der Selbstbestimmung durch das mit der Möglichkeit einer späteren [geheimen] Verwendung von Daten einhergehende Gefühl der Überwachung) zeitigen könne. Im bereits erwähnten Urteil des Bundesgerichts

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1C_39/2021 vom 29. November 2022 sei eine wortgleiche Bestimmung (§ 36octies Abs. 2 lit. a) im KapoG/SO ebenfalls aufgehoben worden. Dabei habe das Bundesgericht den Anwendungsbereich jener Bestimmung, welche den Abgleich mit jeglichen Personen- und Sachfahndungsregistern zulasse, als zu weit erachtet, zumal sich dieser durch Anpassungen der Spezialgesetzgebung ohne Revision des Polizeigesetzes erweitern lasse. Es handle sich mithin um einen Blankettverweis, der bewirke, dass die AFV auch in Bereichen zum Einsatz komme, in denen sie gar nicht erforderlich sei, beispielsweise bei der Suche nach vermissten Personen, von denen nicht zu erwarten sei, dass sie mit dem Auto unterwegs sind. Oder es liege aus anderen Gründen eine Übermässigkeit der Datenbearbeitung vor, weil in einem Bereich keine schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung bestehe. Während der Einsatz der AFV in gewissen Fällen nicht einmal in einem öffentlichen Interesse im Sinne von Art. 36 Abs. 2 BV liege, fehle es in anderen Fällen an der Verhältnismässigkeit im Sinne von Art. 36 Abs. 3 BV eines solchen Einsatzes. Die pauschale Zulässigkeit des Datenabgleichs mit sämtlichen polizeilichen Personen- Sachfahndungsregistern verstosse sowohl gegen das Verhältnismässigkeitsprinzip als auch gegen das Bestimmtheitsgebot (Art. 5 Abs. 1 BV). Hinzu komme, dass die Löschung der erfassten Daten bei fehlender Übereinstimmung mit einer Datenbank im Kanton Aargau erst nach 30 Tagen vorgesehen sei (§ 36b Abs. 3 lit. a PolG), wohingegen im Kanton Solothurn solche Daten unverzüglich zu löschen gewesen wären (§ 36octies Abs. 3 lit. a KapoG/SO), was die Eingriffsintensität der aargauischen Regelung mit einer Vorratsdatenspeicherung während 30 Tagen gegenüber dem vom Bundesgericht aufgehobenen solothurnischen Pendant sogar noch erhöhe. Es sei sodann realistisch, dass die während 30 Tagen voraussetzungslos aufbewahrten Daten aufgrund des in § 51a Abs. 1 lit. b PolG vorgesehenen Datenaustauschs mit dem Bund und anderen Kantonen auch in deren Datenbanken landeten. Eine Norm wie § 36 KapoG/SO, welche die Ausschreibung von Personen zur Fahndung schon auf Gesetzesebene einschränke, fehle im Kanton Aargau vollständig. Der Gesetzgeber begnüge sich hier mit einem weitgehenden Pauschalverweis auf die Verordnungsstufe (§ 50 Abs. 3 PolG), was

jedenfalls in Bezug auf besonders schützenswerte Personendaten unzulässig sei, aber im vorliegenden Verfahren nicht primärer Streitgegenstand bilde. 6. 6.1. Gemäss Art. 13 Abs. 2 BV hat jede Person Anspruch auf Schutz vor Missbrauch ihrer persönlichen Daten. Entgegen der missglückten Formulierung gewährleistet diese Bestimmung nicht bloss den Schutz vor Missbrauch persönlicher Daten, sondern ein verfassungsmässiges Recht respektive Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. Jede Person muss die Möglichkeit haben, gegenüber einer fremden, staatlichen privaten Bearbeitung von sie betreffenden Informationen bestimmen zu können, ob

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und zu welchem Zweck diese Informationen bearbeitet und gespeichert werden ohne Rücksicht darauf, wie sensibel die fraglichen Informationen tatsächlich sind (BGE 147 I 103, Erw. 15.1; 145 IV 42, Erw. 4.2; 144 I 281, Erw. 6.2; RAINER J. SCHWEIZER/LEA S. STRIEGEL, in: Bundesverfassung St. Galler Kommentar, 4. Auflage 2023, N. 79 zu Art. 13). Der grundrechtliche Datenschutz umfasst jegliche Art der Bearbeitung personenbezogener Daten, worunter alle Angaben zu verstehen sind, die sich auf eine bestimmte bestimmbare Person beziehen, darunter Angaben über administrative und strafrechtliche Verfolgungen bzw. Sanktionen, die zu den sog. besonders schützenswerten Personendaten gehören (SCHWEIZER/ STRIEGEL, a.a.O., N. 85, 87 und 89 zu Art. 13). Teilgehalt und Grundpfeiler des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung bildet das Recht auf Auskunft über die eigenen personenbezogenen Daten. Das Auskunftsrecht ist absolut unentbehrlich für die Verwirklichung des Persönlichkeitsschutzes und unerlässlich für die Gewährleistung der damit zusammenhängenden Rechte (Berichtigungs-, Löschungs- Unterlassungsansprüche). Diese Ansprüche können ohne Kenntnis der gespeicherten Informationen nicht ausgeübt und gerichtlich durchgesetzt werden. Das Auskunftsrecht gilt bedingungslos, setzt mithin keine Begründung und keinen besonderen Interessennachweis voraus (SCHWEIZER/STRIEGEL, a.a.O., N. 101 f. zu Art. 13). Eingeschränkt, verweigert aufgeschoben werden kann es nach den Vorgaben von Art. 36 BV, wobei im Zweifelsfalle zugunsten des Auskunftsrechts zu entscheiden ist (SCHWEIZER/STRIEGEL, a.a.O., N. 105 und 107 zu Art. 13). Eine nachträgliche Information der Betroffenen über die Datenbearbeitung ist nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zu Art. 8 EMRK auf jeden Fall erforderlich, spätestens nach Wegfall des Geheimhaltungsinteresses (SCHWEIZER/STRIEGEL, a.a.O., N. 108 zu Art. 13 mit Hinweisen). Der hier angefochtene § 35c Abs. 8 PolG beinhaltet insofern einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung respektive das daraus fliessende Auskunftsrecht, als unter gewissen Voraussetzungen (zum Schutz überwiegender öffentlicher privater Interessen und falls die Erkenntnisse nicht zu Beweiszwecken verwendet werden) keine erst mit zeitlichem Aufschub

eine Mitteilung an die betroffene Person erfolgen soll, dass gegen sie präventiv verdeckt gefahndet wurde. Darüber hinaus sind nach zutreffender Argumentation der Gesuchsteller die Rechtsweggarantie nach Art. 29a BV sowie das Recht auf wirksame Beschwerde nach Art. 13 EMRK tangiert. Art. 29a BV räumt jeder Person einen substanziellen Anspruch auf eine tatsächlich wirksame gerichtliche Kontrolle der Rechts- und Tatsachenfragen ein. Dabei darf der Gesetzgeber Ausnahmen vorsehen, den Zugang zum Gericht aber weder in grundsätzlicher Weise ausschliessen noch in unzumutbarer Weise erschweren (ANDREAS KLEY, in: Bundesverfassung St. Galler Kommentar, a.a.O., N. 8 zu Art. 29a). Ohne eine Mitteilung, dass gegen sie präventiv verdeckt gefahndet wurde, kann sich die

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betroffene Person nicht wirksam gegen die in Frage stehende Datenbearbeitung, die einen Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung darstellt, zur Wehr setzen, d.h. die Mitteilung über die präventiv verdeckte Fahndung ist Voraussetzung für die Gewährung von effektivem Rechtsschutz nach Art. 29a BV und Art. 13 EMRK (vgl. BGE 147 II 408, Erw. 6.3; KLEY, a.a.O., N. 9 zu Art. 29a). 6.2. 6.2.1. Mit dem angefochtenen § 35c Abs. 8 PolG besteht für die oben dargelegten Grundrechtseingriffe eine gesetzliche Grundlage in einem formellen Gesetz. Einer solchen bedarf es gemäss Art. 36 Abs. 1 Satz 2 BV grundsätzlich auch, weil es sich bei den erwähnten Grundrechtseingriffen nur schon aufgrund der Sensitivität der bearbeiteten Personendaten, aber auch aufgrund der Form der Datenbeschaffung um einen schwerwiegenden Eingriff handelt (vgl. SCHWEIZER/STRIEGEL, a.a.O., N. 122 zu Art. 13). 6.2.2. Die öffentliche Sicherheit sowie die Verbrechensbekämpfung können einen Eingriff in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung rechtfertigen (SCHWEIZER/STRIEGEL, a.a.O., N. 130 zu Art. 13). Allerdings sind solche Interessen spezifisch mit Bezug auf den Verzicht auf eine nachträgliche Benachrichtigung der von einer präventiven verdeckten Fahndung betroffenen Personen nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen, weil die Benachrichtigungspflicht dazu dient, den Rechtsschutz der betroffenen Personen zu gewährleisten. Zudem wird dadurch das Risiko verringert, dass die bei der verdeckten Präventivfahndung gewonnenen Beweise in einem möglicherweise später eröffneten Strafverfahren für unverwertbar erklärt werden. In BGE 140 I 381, Erw. 4.5.1, 4.5.2 und 4.5.3, jeweils in fine, hielt das Bundesgericht dennoch dafür, dass Ausnahmen von der Benachrichtigungspflicht denkbar sind, um die Wirksamkeit und die Vertraulichkeit der getroffenen Massnahmen zu wahren. Wesentlich kritischer beurteilte das Bundesgericht Ausnahmen von der Benachrichtigungspflicht im von den Gesuchstellern zitierten Urteil 1C_39/2021 vom 29. November 2022, Erw. 6.3.2, unter Verweis auf Art. 298d StPO, der eine Mitteilung an die von der verdeckten Fahndung (zum Zwecke der Strafverfolgung) betroffene Person immer vorschreibe bzw. keine Ausnahmen zulasse. Ferner referenzierte das Bundesgericht auf Literaturstellen, wonach ein übergeordnetes

öffentliches Interesse am Aufschub am Verzicht auf die Benachrichtigung bei der verdeckten Fahndung zum Zwecke der Strafverfolgung kaum denkbar sei, weil kein Risiko bestehe, dass sich eine verdeckt fahndende Person einer grossen Gefahr aussetze, wenn ihre Identität bekannt werde. Ein übergeordnetes Privatinteresse fehle in aller Regel, weil keine Privatpersonen in den Einsatz einbezogen würden, die besonders geschützt werden müssten. Es seien ­ so das Bundesgericht weiter ­ keine öffent-

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lichen privaten Interessen ersichtlich, welche anders als bei der verdeckten Fahndung im Rahmen der StPO den Aufschub das Unterlassen der nachträglichen Mitteilung bei der präventiven verdeckten Fahndung und die damit verbundene Einschränkung des Rechtsschutzes rechtfertigen könnten, zumal die Abgrenzung zwischen präventiver und repressiver verdeckter Fahndung schwierig sei und eine Harmonisierung des Rechtsschutzes daher nottue. Eine derartige Verneinung von überwiegenden öffentlichen Interessen, welche den Aufschub das Unterlassen der nachträglichen Mitteilung der präventiven verdeckten Fahndung an die davon betroffene Person gebieten können, geht überaus weit. In der Lehre ist umstritten, ob Art. 298d StPO einen Verzicht auf die Mitteilung tatsächlich kategorisch ausschliesst in begründeten Einzelfällen zulässt. So wird in der vom Bundesgericht angeführten Literatur zum Teil auch die Meinung vertreten, dass die Mitteilung ­ in Analogie zur Regelung in Art. 283 Abs. 2 StPO betreffend Observation ­ auch bei der verdeckten Fahndung aufgeschoben ganz unterlassen werden könne, wenn erstens die durch die Fahndung gewonnenen Erkenntnisse nicht zu Beweiszwecken verwendet würden und zweitens ein Aufschub Verzicht für den Schutz überwiegender privater öffentlicher Interessen notwendig sei (THOMAS HANSJAKOB/UMBERTO PAJAROLA, in: Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung StPO, 3. Auflage 2020, N. 16 zu Art. 298d). Begründet wird dieser Standpunkt wie folgt: Der Wortlaut von Art. 298d StPO, der in Abs. 4 für die Mitteilung der verdeckten Fahndung die sinngemässe Geltung von Art. 298 Abs. 1 und 3 StPO statuiere, nicht hingegen von Art. 298 Abs. 2 StPO, welcher bei verdeckten Ermittlungen die Möglichkeit zum Aufschub bzw. zur Unterlassung der Mitteilung vorsehe, spreche zwar für einen Ausschluss dieser Möglichkeit bei der verdeckten Fahndung. Gegen diesen Ausschluss spreche jedoch einerseits der Bericht der Rechtskommission des Nationalrats, worin festgehalten werde, dass die Regelung in Art. 298d StPO in der Sache derjenigen für die verdeckte Ermittlung entspreche. Unterschiede ergäben sich daraus, dass eine verdeckte Fahndung keine Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts erfordere (BBl 2012, S. 5600). Damit könne nur gemeint sein, dass in Art. 298d Abs. 4 StPO

deshalb nicht auf Art. 298 Abs. 2 StPO verwiesen werde, weil dort (für die aufgeschobene unterlassene Mitteilung) eine Genehmigung durch das Zwangsmassnahmengericht vorbehalten werde, was für die verdeckte Fahndung nicht zutreffen könne, zumal es auch für deren Anordnung keiner solchen bedürfe. Andererseits spreche der Vergleich mit der verwandten Regelung der Observation, die in Art. 283 Abs. 2 StPO ebenfalls die Möglichkeit eines Aufschubs Verzichts der Mitteilung vorsehe, gegen die Auslegung, wonach Aufschub und Verzicht der Mitteilung lediglich bei der verdeckten Fahndung nicht möglich sein sollen.

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Schliesslich stimme der Sinn und Zweck der Bestimmungen über die verdeckte Fahndung mit demjenigen überein, der den Regelungen der verdeckten Ermittlung zugrunde liege. Mit beiden Massnahmen würden verdeckt mit Zielpersonen Kontakte geknüpft und Beweise gesammelt. Typischerweise dürfte der verdeckte Ermittler (der sich gemäss Art. 285a StPO im Gegensatz zum verdeckten Fahnder einer durch Urkunden abgesicherten falschen Identität [Legende] bedient) sich dadurch einer grösseren Gefahr aussetzen, aber es sei keineswegs so, dass dies auf den verdeckten Fahnder nicht zutreffe. Deshalb könne auch der verdeckte Fahnder ein schützenswertes Interesse an einem Aufschub einer Unterlassung der Mitteilung haben. Für die Strafverfolgungsbehörde könne bei beiden Massnahmen ein schützenswertes öffentliches Interesse an einem Aufschub einer Unterlassung bestehen (HANSJAKOB/PAJAROLA, a.a.O., N. 15 zu Art. 298d). Immerhin gehört zur Mitteilung der verdeckten Fahndung, dass der davon betroffenen Person mitgeteilt wird, welcher ihrer Kontaktleute ein verdeckt fahndender Polizeibeamter war. Auf Verlangen sind der betroffenen Person auch ohne besonderen Interessennachweis Angaben zur Identität und zu den Personalien des verdeckten Fahnders zu machen (HANSJAKOB/PAJAROLA, a.a.O., N. 14 zu Art. 298d). Die Schutzbedürfnisse von verdeckten Fahndern lassen gewisse Zweifel an der Haltung aufkommen, dass ein überwiegendes öffentliches Interesse am Aufschub Unterlassen einer Mitteilung der verdeckten Fahndung an die davon betroffene Person von vornherein und generell ausgeschlossen werden kann. Allerdings ist dem Vortrag des Regierungsrats in den Rechtsschriften nicht genügend zu entnehmen, in welchen Konstellationen das öffentliche Interesse an der Geheimhaltung am Aufschub der Mitteilung der präventiv verdeckten Fahndung (zum Schutz der Fahnder der öffentlichen Sicherheit) das gewichtige Interesse der betroffenen Person an effektivem Rechtsschutz zur Überprüfung der Massnahme überwiegen könnte. In der Gesuchsantwort, S. 2, begnügt sich der Regierungsrat mit dem Hinweis, dass ein klassisches Beispiel für eine präventive verdeckte Fahndung der Abschluss von Scheinkäufen im Rahmen der Drogenfahndung sei. Es könne in diesem Zusammenhang ein gewichtiges öffentliches Interesse für einen Aufschub eine

Unterlassung der Mitteilung bestehen, um die präventive Tätigkeit der Kantonspolizei im Rahmen der Bekämpfung des Betäubungsmittelhandels nicht zu gefährden. Diese sehr allgemein gehaltene Formulierung erweckt den Eindruck, dass im grossen Stil, also nicht bloss ausnahmsweise wegen einer speziellen Gefährdungssituation auf eine Mitteilung der präventiven verdeckten Fahndung an davon betroffene Personen abgesehen werden könnte, um die Effizienz der Bekämpfung des illegalen Betäubungsmittelhandels dadurch zu gewährleisten, dass die Identität einer beschränkten Anzahl von verdeckt agierenden Drogenfahndern nicht aufgedeckt bzw. in den betreffenden Milieus allgemein bekannt wird. Um dies zu verhindern, müsste aber entweder die Massnahme der präventiv verdeckten Fahndung nur sehr

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sparsam eingesetzt des Öfteren auf eine Mitteilung der Fahndung an die betroffenen Personen verzichtet werden, was nicht die Meinung einer Ausnahmebestimmung sein kann, wie sie in § 35c Abs. 8 PolG konzipiert ist. Vielmehr kämen nur sehr spezifische öffentliche Interessen zur Vermeidung von mehr weniger singulären Gefährdungssituationen als Einschränkung des Auskunftsrechts der von einer präventiven verdeckten Fahndung betroffenen Personen in Frage. Solche spezifischen Interessen werden auch in der Duplik des Regierungsrats nicht hinreichend dargetan, auch nicht in den Bereichen Kontakte zur organisierten Kriminalität, wo ohnehin die verdeckte Ermittlung im Vordergrund stehen dürfte, Menschenhandel Kommunikation in Chat-Räumen zur Verhinderung von sexuellen Handlungen mit Kindern, wo die Bekanntgabe der Identität des verdeckten Fahnders dessen künftige Einsätze aufgrund der Anonymität in solchen Chat-Räumen kaum beeinträchtigen dürfte. 6.2.3. Selbst wenn aber trotz insoweit ungenügender Datenlage angenommen würde, der durch § 35c Abs. 8 PolG bewirkte Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung sowie in die Rechtsweggarantien (Art. 29a BV und Art. 13 EMRK) lasse sich durch nicht näher konkretisierte überwiegende öffentliche private Interessen rechtfertigen, sodass sich die angefochtene Bestimmung grundsätzlich verfassungskonform anwenden liesse, bliebe immer noch fraglich, ob der Grundrechtseingriff vor dem Verhältnismässigkeitsgrundsatz standhält. Dieser setzt voraus, dass ein Eingriff in die informationelle Selbstbestimmung für das Erreichen des im öffentlichen privaten Interesse liegenden Ziels geeignet und erforderlich sowie für die Betroffenen hinsichtlich der Schwere der Einschränkung zumutbar ist (BGE 147 I 346, Erw. 5.5; 143 I 403, Erw. 5.6.3; 138 I 331, Erw. 7.4.3.1; SCHWEIZER/STRIEGEL, a.a.O., N. 132 zu Art. 13). Während die Geeignetheit der Einschränkung der Benachrichtigungspflicht über die präventiv verdeckte Fahndung an die davon betroffene Person für die Gewährleistung der Sicherheit der verdeckt operierenden Fahnder und die Effizienz der Verbrechensbekämpfung kaum umstritten sein dürfte, ist die Erforderlichkeit der Massnahme schon kritischer zu würdigen. Im Urteil 1C_39/2021 vom 29. November 2022, Erw. 6.3.2, weist das Bundesgericht

darauf hin, dass allfälligen überwiegenden Interessen an der Geheimhaltung der Identität des verdeckten Fahnders der verdeckten Fahnderin auch durch eine Beschränkung des Akteneinsichtsrechts als mildere Massnahme Rechnung getragen werden könnte, ohne den Rechtsschutz der von der Fahndung betroffenen Person vollständig auszuschliessen. Die betroffene Person würde alsdann nur noch darüber informiert, dass gegen sie verdeckt gefahndet wurde, wohingegen die Identität der verdeckt fahndenden Person nicht offengelegt würde. Dadurch dürfte die Gefährdung der Effizienz der präventiven verdeckten Fahndung zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit und zur Verbrechensbekämpfung zu einem wesentlichen

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Teil entfallen. Dass allein die Bekanntgabe des Einsatzes dieses Fahndungsmittels in einem konkreten Fall ausreichen würde, um dieses (in den meisten Fällen) seiner Wirksamkeit zu berauben, wird vom Regierungsrat wiederum nicht dargetan. 6.3. In diesem Sinne ist darauf abzustellen, dass es mildere Massnahmen als der in § 35c Abs. 8 PolG vorgesehene Aufschub Verzicht auf die Mitteilung der präventiven verdeckten Fahndung an die davon betroffene Person gibt, mit denen sich das angestrebte Ziel der Sicherheit der verdeckten Fahnder und der Effizienz der Verbrechensbekämpfung hinreichend erreichen lässt. Folglich greift § 35c Abs. 8 PolG übermässig in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV) und in die Rechtsweggarantien (Art. 29a BV und Art. 13 EMRK) ein. Entsprechend ist die angefochtene Norm als verfassungs- und konventionswidrig aufzuheben. 7. 7.1. Einen weiteren Eingriff in das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung (Art. 13 Abs. 2 BV), und zwar einen solchen schwerwiegender Art, bewirkt § 36b Abs. 2 lit. a PolG, wonach automatisch erfasste Fahrzeugkontrollschilder mit nicht näher eingegrenzten polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregistern abgeglichen werden dürfen (BGE 146 I 11, Erw. 3.2 f.; 143 I 147, Erw. 3.3; SCHWEIZER/STRIEGEL, a.a.O., N. 122 zu Art. 13 BV). Erklärt wird die hohe Eingriffsintensität unter anderem durch den von den Gesuchstellern beschriebenen "chilling effect". Die automatische Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung (AFV) ermöglicht die serielle und simultane Verarbeitung grosser und komplexer Datensätze innert Sekundenbruchteilen, was insofern über die herkömmliche verkehrstechnische Informationsbeschaffung und die Fahndungssysteme der bisherigen sicherheitspolizeilichen Gefahrenabwehr hinausgeht. Die Eingriffsintensität nimmt mit dem Zugriff und der Nutzung der Daten durch die zuständigen Behörden erheblich zu. Namentlich die Kombination mit anderweitig erhobenen Daten und eine entsprechende Streuweite des Systems können Grundlage für Persönlichkeits- Bewegungsprofile bilden. Dabei gilt es zu berücksichtigen, dass der weder anlassbezogene noch aufgrund eines konkreten Verdachts erfolgte Eingriff in die Grundrechte eine abschreckende Wirkung zeitigen kann, indem mit einer (geheimen) späteren Verwendung der Daten

durch die Behörden gerechnet wird, was zu einem Gefühl der Überwachung führen und die Selbstbestimmung hemmen kann (BGE 146 I 11, Erw. 3.2 f.; 143 I 147, Erw. 3.3). Entsprechend dürfte von dieser Überwachungs- und Fahndungsmassnahme auch das Grundrecht auf Schutz der Privatsphäre (Art. 13 Abs. 1 BV) betroffen sein, welches die Verwirklichung und Weiterentwicklung der eigenen Persönlichkeit und im Rahmen der Privatsphäre die freie Gestaltung des Lebens und

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die Pflege von Beziehungen zu anderen Menschen unter Ausschluss des Staates schützt. Dieser Schutz umfasst auch, dass der Einzelne beim Auftreten und Verweilen in der Öffentlichkeit nicht dem Gefühl dauernder Beobachtung und Überwachung ausgesetzt wird, was einen negativen Einfluss auf die psychische Integrität haben kann (vgl. STEPHAN BREITENMOSER, in: Bundesverfassung St. Galler Kommentar, a.a.O., N. 15, 22 und 24 zu Art. 13). Und auch hier stellt sich die Frage nach einer genügenden gesetzlichen Grundlage und einem überwiegenden öffentlichen Interesse für solche Grundrechtseingriffe sowie deren Verhältnismässigkeit. 7.2. Im Urteil 1C_39/2021 vom 29. November 2022, Erw. 8.5.1, befand das Bundesgericht bezüglich einer gleichlautenden Regelung im Solothurnischen Gesetz über die Kantonspolizei (§ 36octies Abs. 2 lit. a), der systematische Abgleich der automatisch erfassten Fahrzeugkontrollschilder mit nicht näher bestimmten polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregistern sei (trotz des Verweises der Behörden auf § 36 KapoG/SO mit einer Liste von polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregistern, die sich angeblich nicht beliebig erweitern lässt) zu weit gefasst und dementsprechend zu wenig eingrenzbar (auch wegen möglicher Anpassungen durch Fremdänderungen in Spezialerlassen). Ein solcher Abgleich würde eine Vielzahl von Fällen umfassen, für welche die Anordnung einer automatisierten (oder automatischen) Fahrzeugfahndung entweder nicht erforderlich sei (z.B. in den Fällen gemäss § 36 Abs. 1 lit. d [Ausschreibung von Minderjährigen Personen unter Beistandschaft, wenn sie sich der elterlichen behördlichen Aufsicht entziehen von einem ihnen zugewiesenen Pflegeplatz entweichen] § 36 Abs. 1 lit. e [Ausschreibung von vermissten Personen], wenn keine Anhaltspunkte dafür bestünden, dass die entwichene vermisste Person mit einem Auto unterwegs sein könnte), übermässig wäre, weil keine hinreichend schwere Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung vorliege (z.B. beim Abgleich mit dem Register der Personen, denen gemäss § 36 Abs. 1 lit. c eine amtliche Verfügung ein amtlicher Entscheid zugestellt werden müsse). Bestehe ausnahmsweise ein erhebliches öffentliches Interesse an der Zustellung eines Entscheids (z.B. im Falle eines Sicherungsentzugs des Führerausweises),

bedürfe es dafür nicht des Abgleichs mit dem betreffenden vollständigen Register, sondern es genüge ein Fahndungsauftrag im Einzelfall nach der Kennzeichennummer der konkret betroffenen Person. § 36octies Abs. 2 lit. a KapoG/SO genüge daher ­ auch in Verbindung mit § 36 Abs. 1 KapoG/SO ­ nicht, um den Anwendungsbereich der automatisierten Fahrzeugfahndung mit genügender Bestimmtheit einzuschränken bzw. die Verhältnismässigkeit der Massnahme sicherzustellen, und sei insofern mangels genügender Bestimmtheit bzw. zufolge Unverhältnismässigkeit (des Grundrechtseingriffes) aufzuheben. Es werde Aufgabe des Gesetzgebers sein, diese Bestimmung auf diejenigen Personen- und Sachfahndungsregister zu begrenzen, mit denen aufgrund der Schwere der drohenden Gefahr oder

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des erheblichen Gewichts der öffentlichen Interessen ein Abgleich erforderlich und verhältnismässig (im engeren Sinne) sei. 7.3. Nicht anders präsentiert sich die Rechtslage mit Bezug auf den hier angefochtenen § 36b Abs. 2 lit. a PolG, der im Vergleich mit der vom Bundesgericht aufgehobenen solothurnischen Regelung eher noch weniger eingrenzt, mit welchen polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregistern die automatisch erfassten Fahrzeugkontrollschilder abgeglichen werden dürfen. Die daraus resultierende Verfassungs- bzw. Bundesrechtswidrigkeit von § 36b Abs. 2 lit. a PolG wird denn vom Regierungsrat auch anerkannt. Soweit der Regierungsrat vorbringt, er beabsichtige, die Vorgaben des Bundesgerichts im Rahmen der pendenten Revision des PolG noch aufzunehmen diesen im Rahmen der anstehenden Revision der PolV Rechnung zu tragen, ist ihm zunächst entgegenzuhalten, dass die laufende Revision des PolG noch nicht abgeschlossen ist (die erste Lesung im Grossen Rat erfolgte am 13. Juni 2023). Auf diese Weise besteht zwar noch die Möglichkeit, die Verfassungskonformität von § 36b Abs. 2 lit. a PolG durch eine nähere Eingrenzung der polizeilichen Personen- und Sachfahndungsregister, mit denen automatisch erfasste Fahrzeugkontrollschilder abgeglichen werden dürfen, im betreffenden Gesetzgebungsverfahren herzustellen. Dies lässt sich allerdings auch dadurch bewerkstelligen, dass § 36b Abs. 2 lit. a PolG im vorliegenden Verfahren der abstrakten Normenkontrolle vom Verwaltungsgericht aufgehoben wird. Daran haben die Gesuchsteller, die schon vor einer allfälligen Gesetzesänderung mit ungewissem Zeitpunkt des Inkrafttretens von einer verfassungswidrigen Fahrzeugfahndung und Verkehrsüberwachung betroffen sein könnten, ein ausgewiesenes Interesse. Ob sich die Verfassungskonformität von § 36b Abs. 2 lit. a PolG ausschliesslich mit einer Anpassung der PolV herstellen liesse, ist mit Blick auf die Ausführungen des Bundesgerichts in BGE 146 I 11, Erw. 3.3, eher fraglich. Dort heisst es nämlich, dass konkretisierende Ausführungs- und Vollzugsbestimmungen wie etwa Einzelheiten zur Datenaufnahme und Datenlöschung mit einer entsprechenden Delegationsnorm im Gesetz in einer Verordnung des Regierungsrats geregelt werden dürften. Es sei jedoch erforderlich, dass speziell die Reichweite des Datenabgleichs im Gesetz

sachbezogen eingegrenzt wird (Erw. 3.3.2); denn von dieser hängt letztlich primär ab, ob die als schwerwiegender Grundrechtseingriff zu qualifizierende Fahndungs- und Überwachungsmassnahme nach Massgabe von Art. 36 BV zulässig ist. Hingegen können die Dauer der Fahndung/Überwachung samt deren Fortsetzung, die Aufbewahrungsdauer, Löschung und Weitergabe der gesammelten Daten (an Behörden des Bundes anderer Kantone) sowie die Kontrollmechanismen zur Aufsicht und Sicherstellung der Rechtmässigkeit des Vollzugs unter Umständen auch in einer Ausführungs- und Vollzugsverordnung geregelt werden (vgl.

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Urteil des Bundesgerichts 1C_39/2021 vom 29. November 2022, Erw. 8.3.2, 8.9.3 und 8.11.4). Der vom Regierungsrat angerufene, naturgemäss sehr allgemein formulierte § 7a PolG dürfte dabei jedoch kaum als genügende Delegationsnorm herhalten, solange das PolG die Grundzüge der AFV nicht selber regelt, zu denen insbesondere die Reichweite des Datenabgleichs gehören dürfte. Abgesehen davon lässt sich nur mit Verordnungsbestimmungen, die bereits in Kraft sind, sicherstellen, dass das Überwachungssystem insgesamt, bei der gebotenen Gesamtschau, mit Art. 13 BV und Art. 8 EMRK (Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens) vereinbar ist. Solange also einschränkende Verordnungsbestimmungen ­ wie hier ­ der Einführung harren, von denen zudem noch ungewiss ist, ob sie die Verfassungskonformität der AFV bewirken können, darf gestützt auf § 36b Abs. 2 lit. a PolG kein Abgleich von automatisch erfassten Fahrzeugkontrollschildern mit unter diese Bestimmung fallenden polizeilichen Fahndungsregistern erfolgen (Urteil des Bundesgerichts 1C_39/2021 vom 29. November 2022, Erw. 8.11.4), was durch die Aufhebung der Norm im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle am wirkungsvollsten gewährleistet ist. 8. Zusammenfassend lassen sich die angefochtenen Bestimmungen des PolG (§ 35c Abs. 8 und § 36b Abs. 2 lit. a) nicht mit übergeordnetem Recht vereinbaren, indem sie übermässige Eingriffe in verfassungsmässige Rechte bzw. Garantien (informationelle Selbstbestimmung [Art. 13 Abs. 1 BV], Rechtsweggarantien [Art. 29a BV und Art. 13 EMRK), Schutz der Privatsphäre [Art. 13 Abs. 1 BV und Art. 8 EMRK]) zulassen, die im Falle von § 36b Abs. 2 lit. a PolG überdies einer genügenden bzw. genügend bestimmten gesetzlichen Grundlage entbehren. Demzufolge sind die beiden Bestimmungen in Gutheissung des vorliegenden Normenkontrollbegehrens ersatzlos aufzuheben. Die Aufhebung dieser Bestimmungen hat keine ungeregelten Zustände zur Folge, die nach § 73 Abs. 2 VRPG eine vom Verwaltungsgericht zu erlassende Übergangsordnung erheischen würden. Der Entscheid des Verwaltungsgerichts ist zu veröffentlichen (§ 73 Abs. 3 VRPG). Massgebend dafür sind § 2 und § 3 Abs. 2 lit. b des Gesetzes über die amtlichen Publikationsorgane vom 3. Mai 2011 (Publikationsgesetz, PuG; SAR 150.600). III. 1. In Normenkontrollverfahren sind die Kostenbestimmungen

des Beschwerdeverfahrens analog anwendbar (§§ 73 Abs. 4 und 75 VRPG). Die Gesuchsteller obsiegen, weshalb die Verfahrenskosten auf die Staatskasse zu nehmen sind und der Kanton Aargau ihnen die Parteikosten zu ersetzen hat (§ 31 Abs. 2 und § 32 Abs. 2 VRPG).

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2. Die Gesuchsteller haben zum Streitwert keine Angaben gemacht; tatsächlich fehlt ihnen ein aktuelles vermögenswertes Interesse. Sie gehen selber von einer nicht vermögensrechtlichen Streitigkeit aus. Ein Streitwert ist offensichtlich nicht gegeben. Gemäss § 8a Abs. 3 des Dekrets über die Entschädigung der Anwälte vom 10. November 1987 [Anwaltstarif; SAR 291.150] ist in diesen Fällen der Parteikostenersatz gemäss den §§ 3 Abs. 1 lit. b und 6 ff. des Anwaltstarifs zu bestimmen. Der Aufwand der Vertreterin der Gesuchsteller war gering (für die Ausarbeitung des Normenkontrollgesuchs macht sie einen Aufwand von 12,5 h geltend [Normenkontrollgesuch, S. 13] und die Replik sowie die Stellungnahme vom 11. Juli 2023 waren sehr kurz), die Schwierigkeit des Verfahrens war (insbesondere aufgrund der jüngsten Rechtsprechung des Bundesgerichts) unterdurchschnittlich und dessen Bedeutung ­ obwohl es sich um ein Normenkontrollverfahren handelte ­ höchstens leicht überdurchschnittlich (insbesondere auch aus Sicht der Gesuchsteller selber). Insgesamt rechtfertigt sich ein Grundansatz unterhalb des in § 3 Abs. 1 lit. b Anwaltstarifs vorgesehenen Mittelwerts von Fr. 7'975.00 im Betrag von Fr. 6'000.00. Der Zuschlag für die zusätzlichen Rechtsschriften (§ 6 Anwaltstarif) wird durch den Abzug für die fehlende Verhandlung kompensiert. Mit den Auslagen (Pauschale von 3%) und der Mehrwertsteuer ist ein Parteikostenersatz von aufgerundet Fr. 6'660.00 angemessen.

Das Verwaltungsgericht erkennt: 1. In Gutheissung des Normenkontrollbegehrens werden die §§ 35c Abs. 8 und 36b Abs. 2 lit. a PolG in der Fassung vom 8. Dezember 2020 aufgehoben. 2. Der Regierungsrat wird angewiesen, innert 30 Tagen seit der Zustellung des vorliegenden Entscheids Ziffer 1 des Urteilsdispositivs im Amtsblatt des Kantons Aargau und in der AGS zu veröffentlichen und dem Verwaltungsgericht die Publikation zukommen zu lassen. 3. Die verwaltungsgerichtlichen Verfahrenskosten gehen zu Lasten des Kantons.

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4. Der Kanton Aargau wird verpflichtet, den Gesuchstellern die vor Verwaltungsgericht entstandenen Parteikosten in Höhe von Fr. 6'660.00 zu ersetzen.

Zustellung an: die Gesuchsteller (Vertreterin) den Regierungsrat

Aarau, 28. September 2023 Verwaltungsgericht des Kantons Aargau 3. Kammer Vorsitz: Gerichtsschreiberin:

Michel

Ruchti

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