Zusammenfassung des Urteils UH170249: Obergericht des Kantons Zürich
In dem vorliegenden Fall geht es um die Beschwerde der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland gegen die Entscheidung des Bezirksgerichts Dielsdorf, die Verwahrung des Beschwerdegegners abzulehnen. Der Beschwerdegegner war wegen sexueller Handlungen mit Kindern verurteilt worden, jedoch wurde die Anordnung der Verwahrung abgelehnt. Die Staatsanwaltschaft beantragte die Verwahrung des Beschwerdegegners, doch das Obergericht des Kantons Zürich wies die Beschwerde ab. Es wurde festgestellt, dass die Anlasstaten nicht die erforderliche Schwere für die Anordnung einer Verwahrung gemäss Art. 64 StGB erreichen. Die Beschwerde wurde abgewiesen, die Kosten des Verfahrens werden auf die Staatskasse genommen.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | UH170249 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | III. Strafkammer |
Datum: | 31.10.2017 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Verwahrung (Nachverfahren) |
Schlagwörter : | Beschwerdegegner; Massnahme; Bezirks; Bezirksgericht; Entscheid; Verwahrung; Drohung; Staatsanwaltschaft; Opfer; Urteil; Verfahren; Sicherheitshaft; Kinder; Gericht; Übergriff; Handlung; Handlungen; Kindern; Anordnung; Entscheids; Anlass; Beschwerdeverfahren; Vollzug; Massnahmen; Beschluss; Beeinträchtigung; Sinne; Anklage; Empfang; Dielsdorf |
Rechtsnorm: | Art. 135 StPO ;Art. 180 StGB ;Art. 181 StGB ;Art. 187 StGB ;Art. 189 StGB ;Art. 229 StPO ;Art. 231 StPO ;Art. 232 StPO ;Art. 382 StPO ;Art. 396 StPO ;Art. 42 StGB ;Art. 428 StPO ;Art. 59 StGB ;Art. 62c StGB ;Art. 64 StGB ; |
Referenz BGE: | 124 IV 154; 139 IV 277; 139 IV 57; 141 IV 396; 141 IV 49; |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
III. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: UH170249-O/U/KIE
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Th. Meyer, Präsident, Oberrichterin lic. iur.
C. Gerwig, Ersatzoberrichter lic. iur. A. Schärer und Gerichtsschreiber Dr. iur. S. Christen
Beschluss vom 31. Oktober 2017
in Sachen
Beschwerdeführerin
sowie
Verfahrensbeteiligter
gegen
Beschwerdegegner
amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X.
betreffend Verwahrung (Nachverfahren)
Erwägungen:
Nach Verurteilungen vom 3. Juni 1987, 29. Mai 1997 und 27. April 1999, je wegen sexueller Handlungen mit Kindern, verurteilte das Bezirksgericht Dielsdorf A. am 28. Oktober 2004 erneut wegen sexueller Handlungen mit Kindern. Zudem ordnete es die (altrechtliche) Verwahrung nach Art. 42 aStGB an. Anlässlich der Verwahrungsüberprüfung beschloss es am 6. November 2008 die Aufhebung der Verwahrung und die Anordnung einer stationären Massnahme nach Art. 59 StGB (vgl. Urk. 4 S. 4 f. und Urk. 8/1 S. 1 f.). Nach der Gewährung von
Vollzugslockerungen verlängert das Bezirksgericht am 27. Juni 2014 die stationäre Massnahme um weitere fünf Jahre. Am 19. Juni 2015 hob das Amt für Justizvollzug des Kantons Zürich die stationäre Massnahme auf und ordnete die Sicherheitshaft an. Gleichzeitig beantragte es dem Bezirksgericht gestützt auf
Art. 62c Abs. 4 StGB bei A. eine Verwahrung nach Art. 64 StGB anzuordnen (Urk. 8/1 S. 12 f.).
Mit Beschluss vom 6. April 2017 wies das Bezirksgericht den Antrag des Amts für Justizvollzug auf Verwahrung von A. ab. Es ordnete die Sicherheitshaft längstens bis 30. September 2017 an und machte der Kindesund Erwachsenenschutzbehörde des Bezirks Dielsdorf Mitteilung betreffend die Notwendigkeit einer Massnahme des Erwachsenenschutzes (Fürsorgerische Unterbringung). Sodann auferlegte es ihm für die Dauer von fünf Jahren Verbote betreffend den Kontakt mit Kindern und seinen Aufenthalt. Für den Vollzug seien technische Geräte einzusetzen. Es ordnete eine Bewährungshilfe an (Urk. 4 S. 70 f.).
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland erhebt Beschwerde beim Obergericht des Kantons Zürich (Urk. 2). Sie beantragt die Aufhebung des Beschlusses vom 6. April 2017. A. sei zu verwahren.
A. hat sich vernehmen lassen. Er beantragt die Abweisung der Beschwerde und stellt ein Haftentlassungsgesuch (Urk. 6). Das Bezirksgericht hat auf eine Stellungnahme verzichtet (Urk. 9). Mit Verfügung vom 11. September 2017 hat
die Verfahrensleitung des Obergerichts das Haftentlassungsgesuch abgewiesen und die Fortdauer der Sicherheitshaft während des Beschwerdeverfahrens bzw. bis zum Vorliegen eines anderen Entscheids angeordnet (Urk. 19). Die Staatsanwaltschaft hat nicht repliziert (Urk. 19 und Urk. 22).
Aufgrund einer Änderung in der Konstituierung der Kammer ergeht der vorliegende Entscheid nicht in der Besetzung, welche den Parteien mit Verfügung vom 21. August 2017 in Aussicht gestellt wurde.
1. Angefochten ist ein Beschluss des Bezirksgerichts, mit welchem es die Verwahrung des Beschwerdegegners abgelehnt hat (Urk. 4). Der Beschluss erging in einem Nachverfahren nach Art. 363 ff. StPO. Es handelt sich um einen selbstän- digen nachträglichen Entscheid. Dagegen ist die Beschwerde ans Obergericht zulässig (Art. 393 Abs. 1 lit. b StPO und § 49 GOG; vgl. dazu BGE 141 IV 396
E. 4.7). Die Staatsanwaltschaft ist zur Erhebung der Beschwerde befugt (Art. 382 Abs. 1 StPO; Art. 104 Abs. 1 lit. c StPO und § 14 Abs. 3 lit. a StJVG/ZH). Der mündlich eröffnete Entscheid wurde der Staatsanwaltschaft am 8. August 2017 schriftlich begründet mitgeteilt (Urk. 2 S. 1 und Urk. 8/56/3). Die Beschwerdefrist nach Art. 396 Abs. 1 StPO ist eingehalten, da sie mit der Zustellung des begrün- deten Entscheids zu laufen beginnt (vgl. dazu Urteil 6B_1021/2014 vom 3. September 2015 E. 5.3). Die weiteren Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
2.
Die Staatsanwaltschaft beantragt im Beschwerdeverfahren die Verwahrung des Beschwerdegegners gestützt auf Art. 62c Abs. 4 i.V.m. Art. 64 StGB (Urk. 2). Ist bei Aufhebung einer Massnahme, die auf Grund einer Straftat nach Art. 64 Abs. 1 angeordnet wurde, ernsthaft zu erwarten, dass der Täter weitere Taten dieser Art begeht, so kann das Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde die Verwahrung anordnen (Art. 62c Abs. 4 StGB).
Nach rechtskräftiger Aufhebung der stationären therapeutischen Massnahme hat das in der Sache zuständige Gericht auf Antrag der Vollzugsbehörde über die Rechtsfolgen zu befinden. Es besteht damit Raum für eine Umwandlung der ursprünglich angeordneten Massnahme, also für Korrekturen hinsichtlich der Behandlung und Sicherungsintensität. Dem Gericht obliegt es mithin, darüber zu entscheiden, ob die Reststrafe zu vollziehen (Art. 62c Abs. 2 StGB), eine andere Massnahme (Art. 62c Abs. 3 StGB; siehe auch Art. 62c Abs. 6 StGB) gegebenenfalls die Verwahrung (Art. 62c Abs. 4 StGB) anzuordnen ist. Das Gericht ist dabei nicht an den Antrag bzw. die Empfehlung der Vollzugsbehörde gebunden (BGE 141 IV 49 E. 2.5; Urteil 6B_875/2016 vom 3. Oktober 2016 E. 2.1).
Der Beschwerdegegner befand sich in einer stationären Massnahme, bis das Amt für Justizvollzug diese am 19. Juni 2015 aufhob und dem Bezirksgericht die Verwahrung beantragte (vgl. Urk. 4 S. 7 und Urk. 8/1).
Gemäss Art. 62c Abs. 1 lit. a StGB wird die Massnahme aufgehoben, wenn deren Durchoder Fortführung als aussichtslos erscheint. Das Verwaltungsgericht des Kantons Zürich bestätigte am 2. Juli 2016 die Aufhebung der stationären Massnahme (vgl. Urk. 4 S. 7). Das Bezirksgericht erwog, beim Beschwerdegegner sei keine therapeutische (stationäre und ambulante) Massnahme mehr erfolgsversprechend. Er sei austherapiert. Die therapeutischen Massnahmen seien gescheitert (Urk. 4 S. 31 f.). Dieses Zwischenfazit blieb im Beschwerdeverfahren unbestritten.
Das Bezirksgericht hält in seinem Entscheid weiter fest, der Beschwerdegegner habe seine Freiheitsstrafe vollständig abgesessen. Eine Prüfung des Strafvollzugs nach Art. 62c Abs. 2 StGB entfalle (Urk. 4 S. 20 f.). Auch dies blieb im Beschwerdeverfahren unbestritten.
3.
Zur Frage, ob eine Verwahrung anzuordnen sei, führte das Bezirksgericht im angefochtenen Entscheid aus, der Beschwerdegegner sei zuletzt mit Urteil vom
28. Oktober 2004 der sexuellen Handlungen mit Kindern und wegen mehrfacher Drohung schuldig gesprochen worden. Diese beiden Straftatbestände seien im
Katalog von Art. 64 Abs. 1 StGB nicht enthalten, weshalb die sexuellen Handlungen, die der Beschwerdeführer in zwei Fällen nach verbaler Drohung begangen habe, als mindestens gleich schwer gewertet werden müssten wie die Katalogtaten, damit die Auffangklausel von Art. 64 Abs. 1 StGB greife. Die sexuellen Übergriffe seien in der Bandbreite der möglichen sexuellen Handlungen mit Kindern eher im unteren Bereich anzusiedeln. Als schwerster Übergriff falle der Oralverkehr in Betracht. Hier habe sich die Einwirkung auf die Opfer darauf beschränkt, dass er ihren Penis für kurze Zeit in den Mund genommen habe. Ansonsten habe die Handlung aus Streicheln über den Körper, insbesondere den Penis der Opfer (über und unter den Kleidern) und Küssen am Körper und auf den Mund bestanden. Bei den dem Beschwerdegegner nachgewiesenen Delikten habe er keine körperliche psychische Gewalt angewandt, sondern das Vertrauensverhältnis ausgenützt. Die Drohungen seien eher im unteren Drittel der Tatschwere anzusiedeln. Er habe den Opfern gedroht, dass etwas ganz Schlimmes geschehen werde, wenn sie die Übergriffe ihrer Mutter erzählten. Sehr konkret sei diese Drohung nicht, auch wenn sie geeignet sei, Kinder in Angst und Schrecken zu versetzen. Die Tathandlungen seien geeignet, die sexuelle bzw. psychische Integrität der Opfer zu beeinträchtigen. Objektiv erschienen die Beeinträchtigungen weder zeitlich noch bezüglich ihrer Eingriffstiefe derart, dass sie bei den Opfern eine schwere Beeinträchtigung zu bewirken vermögen. Ein Indiz dazu seien auch die damals ausgesprochenen Strafen, die sich im unteren Drittel des ordentlichen Strafrahmens bewegten. Die Anlasstaten erreichten die erforderliche Schwere und die notwendige erhebliche Beeinträchtigung der Opfer nicht (Urk. 4 S. 36 ff.).
Die Staatsanwaltschaft rügt, der Beschwerdeführer habe dem damals 11jährigen Kind (B. ) gedroht, dass etwas ganz Schlimmes passieren werde mit ihm. Die vom Beschwerdegegner ausgesprochenen Drohungen seien schwer und konkret gewesen. Es habe sich nicht um eine pauschale Drohung gehandelt. Sie habe sich konkret gegen das damals 11-jährige Kind gerichtet. Dieses habe das Schlimmste befürchten müssen, wenn es sich seiner Mutter anvertraut hätte. Dem 13-jährigen C. habe der Beschwerdegegner mit demselben Inhalt gedroht. Damit sei die vorgängig gegen den jüngeren Bruder ausgesprochene Drohung untermauert worden und habe für diesen eine nachhaltige Wirkung erzielt. Beide Opfer hätten die Drohung ernst genommen. Die Wirkung der Drohung zeige sich darin, dass B. einen Monat später wieder einen sexuellen Übergriff über sich habe ergehen lassen. Wiederum habe der Beschwerdegegner dem Opfer an den Penis gefasst. Während der Vorfall im August 2003 noch mehrere Sekunden gedauert habe, habe der Beschwerdegegner im September 2003 den Penis seines Opfers bis zwei Minuten lang gerieben und erst davon abgesehen, als die Mutter und der Stiefvater des Opfers den Raum betreten hätten. Es treffe nicht zu, dass der Beschwerdegegner nur das Vertrauensverhältnis ausgenützt habe, um die sexuellen Übergriffe ausführen zu können. Er habe gezielt Drohungen ausgestossen, um die Opfer gefügig zu machen. Die schwere Beeinträchtigung bezogen auf das konkrete Tatverhalten sei im Gesamtkontext zu beurteilen, wobei neben den sexuellen Übergriffen auch die Drohungen mit zu berücksichtigen seien. Die Drohung sei wirksam gewesen. Das Opfer habe damit rechnen müssen, dass der Beschwerdegegner nötigenfalls Gewalt anwenden würde. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung sei dies im Kontext mit den sexuellen Übergriffen geeignet, eine schwere Integritätsverletzung und somit eine schwere Beeinträchtigung der sexuellen und psychischen Integrität zu bewirken (Urk. 2 S. 2 ff.).
Die Verwahrung setzt voraus, dass der Täter eine im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB ausdrücklich genannte Katalogtat eine im Sinne der Generalklausel mit Freiheitsstrafe von fünf mehr Jahren bedrohte Tat begeht. Die
Delikte gemäss der Generalklausel, worunter gewaltfreie sexuelle Handlungen mit Kindern nach Art. 187 StGB fallen, dürfen insgesamt nicht weniger schwer wiegen als die Katalogtaten. Art. 64 Abs. 1 StGB setzt voraus, dass die Anlasstaten und die zu befürchtenden Folgetaten schwer wiegen und dadurch die körperliche, psychische sexuelle Integrität der Opfer schwer beeinträchtigt werden kann. Von einer schweren Opferbeeinträchtigung ist unter Zugrundelegung eines objektiven Massstabs auszugehen, wenn aufgrund der zu beurteilenden Tat nach der allgemeinen Lebenserfahrung mit einer Traumatisierung des Opfers zu rechnen ist (Urteil 6B_109/2013 vom 19. Juli 2013 E. 3.3 mit Hinweis auf BGE 139 IV 57
E. 1.3 und E. 1.4; Urteil 6B_8/2015 vom 14. September 2015 E. 2.1). Nach den
Gesetzesmaterialien ist die Verwahrung nur unter qualifizierten Voraussetzungen
anzuordnen und das Kriterium der schweren Beeinträchtigung einschränkend auszulegen (BGE 139 IV 57 E. 1.3.3).
Sexuelle Verfehlungen gegenüber Kindern gehören prinzipiell zu den gravierenden Straftaten. Den Tatbestand von Art. 187 StGB erfüllen Handlungen, die nach Art und Intensität sehr verschieden sind (Urteil 6B_109/2013 vom 19. Juli 2013
E. 4.3.1). Nicht jeder sexuelle Übergriff auf Kinder ist geeignet, die physische und
psychische Integrität der Opfer schwer zu beeinträchtigen. Zu beachten ist dabei das Alter des Opfers, die Art der Handlungen und die Intensität der Beeinträchtigung (Eingriffsintensität). Das Berühren und Streicheln des Geschlechtsteils eines Kindes erreicht grundsätzlich nicht die Schwelle der erforderlichen Schwere für die Anordnung einer Verwahrung (Urteile 6B_353/2016 vom 30. März 2017
E. 4.1.1; 6B_109/2013 vom 19. Juli 2013 E. 4.3.2 und E. 4.3.3).
Das Bezirksgericht führt zur Beurteilung der Eingriffsintensität aus, dass als schwerster Übergriff der Oralverkehr in Betracht falle (Urk. 4 S. 37). Unter anderem wegen Oralverkehrs mit einem Kind wurde der Beschwerdegegner mit den Urteilen vom 29. Mai 1997 und vom 27. April 1999 wegen sexueller Handlungen mit Kindern schuldig gesprochen (vgl. Urk. 8/40/21 und Urk. 8/41/46). Dem Urteil vom 28. Oktober 2004 lag gemäss der Anklageschrift vom 10. Juni 2004 kein Vorwurf des Oralverkehrs zu Grunde (vgl. Urk. 8/42/33).
Art. 62c Abs. 4 StGB nimmt auf das Anlassdelikt Bezug. Die Massnahme, die aufgehoben wird, muss auf Grund einer Straftat nach Art. 64 Abs. 1 StGB angeordnet worden sein. Massgebend ist - nach dem Wortlaut von Art. 62c Abs. 4 StGB jenes Delikt, welches die Anordnung der Massnahme ausgelöst hatte. Als Anlassdelikt kann daher kein weiter zurückliegendes Delikt dienen.
Mit Urteil vom 28. Oktober 2004 verwahrte das Bezirksgericht den Beschwerdegegner. Diese altrechtliche Verwahrung wandelte das Bezirksgericht am 6. November 2008 im Rahmen der Verwahrungsüberprüfung, welche aufgrund der am
1. Januar 2007 in Kraft getretenen Änderungen des Allgemeinen Teils des Strafgesetzbuches nach Ziff. 2 Abs. 2 der Schlussbestimmungen der Änderungen des Strafgesetzbuches vom 13. Dezember 2002 vorzunehmen war, in eine stationäre
Massnahme nach Art. 59 StGB um (vgl. Urk. 8/2/2/84 S. 12). Als Anlassdelikte für die Anordnung der stationären Massnahme sind demnach nur die im Urteil vom
28. Oktober 2004 beurteilten Taten zu verstehen.
Das Urteil vom 28. Oktober 2004 wurde nicht schriftlich begründet, weil der Beschwerdegegner den ihm in der Anklageschrift vorgeworfenen Sachverhalt eingestanden hatte und er im Sinne der Anklage schuldig gesprochen wurde (vgl.
Urk. 8/42/33 S. 4). Gemäss der Anklageschrift vom 10. Juni 2004 griff der Beschwerdegegner über und unter der Hose den Kindern an den Penis. Sodann rieb er bei zwei Vorfällen mit der Hand am Penis eines Opfers, einmal während einigen Sekunden und einmal während ca. 1-2 Minuten. Zudem soll er die Kinder am Rücken und am Bauch gestreichelt haben (vgl. Urk. 8/42/33). Mit Blick auf die zitierte Rechtsprechung des Bundesgerichts erreichen diese Vorgänge die Schwelle der erforderlichen Schwere für die Anordnung einer Verwahrung nicht.
Mit Urteil vom 28. Oktober 2004 sprach das Bezirksgericht den Beschwerdegegner der mehrfachen Drohung im Sinne von Art. 180 StGB schuldig. Art. 180 Abs. 1 StGB sieht eine Bestrafung mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren Geldstrafe vor. Eine Drohung ist kein Anlassdelikt im Sinne von Art. 64 Abs. 1 StGB, da sie weder eine Katalogtat ist, noch eine Höchststrafe von fünf mehr Jahren vorsieht. Daran ändert sich nichts, wenn die Drohung als konkret und schwer qualifiziert wird. Eine Berücksichtigung der Drohung wie es die Staatsanwaltschaft in ihrer Beschwerde vorschlägt, würde die Drohung als Teil der Anlasstat erscheinen lassen. Das ist in Art. 64 Abs. 1 StGB nicht vorgesehen, da diese Bestimmung auch eine Kombination von geringfügigeren Delikten, bei welchen es sich weder um Katalogtaten noch um Taten im Sinne der Auffangklausel handelt, nicht erfasst.
Die Staatsanwaltschaft stellt in ihrer Beschwerde einen Kausalzusammenhang zwischen der Drohung und dem sexuellen Übergriff im September 2003 her, wenn sie ausführt, die Drohung habe Wirkung gezeigt, da B. eingeschüchtert durch die Drohung wieder einen sexuellen Übergriff über sich habe ergehen lassen (Urk. 2 S. 4).
Beim Entscheid über die Anordnung einer Verwahrung gemäss Art. 62c Abs. 4
i.V.m. Art. 64 Abs. 1 StGB ist es nicht zulässig, die Schuldsprüche in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nochmals frei zu würdigen. Das Gericht hat sich nur in Bezug auf die Massnahme nochmals mit der Sache zu befassen und die ihm zustehende Entscheidungsfreiheit beschränkt sich einzig auf die vorzunehmende Sanktionsanpassung. Das Nachverfahren erlaubt es nicht, ein möglicherweise fehlerhaftes Urteil in anderen Punkten zu korrigieren (Urteil 6B_875/2016 vom
Oktober 2016 E. 3.1).
Der von der Staatsanwaltschaft beschriebene Kausalzusammenhang ist in der Anklageschrift vom 10. Juni 2004 nicht enthalten. Er ist demnach nicht rechtsgenügend festgestellt, da das Urteil vom 28. Oktober 2004 den Beschwerdegegner schuldig im Sinne der Anklage befand. Wäre der Kausalzusammenhang erstellt gewesen, hätte die (damalige) Bezirksanwaltschaft allenfalls auch wegen Nötigung (Art. 181 StGB) sexueller Nötigung (Art. 189 StGB) Anklage erheben müssen bzw. hätte das Bezirksgericht einen Schuldspruch wegen dieser Delikte fällen müssen, weil namentlich zwischen Art. 187 StGB und Art. 189 StGB echte Idealkonkurrenz besteht (vgl. dazu BGE 124 IV 154 E. 3a; Urteil 6B_173/2016 vom 8. Dezember 2016 E. 1.3.1). Im Übrigen wurde dem Beschwerdegegner der von der Staatsanwaltschaft behauptete Kausalzusammenhang im Rahmen des damaligen Strafverfahrens nie vorgehalten und die Opfer hatten einen derartigen Kausalzusammenhang offenbar selbst nie geäussert. Es ist deshalb eine unzulässige Veränderung des von der Anklage umfassten Sachverhalts, wenn die Staatsanwaltschaft in der Beschwerde einen Kausalzusammenhang zwischen den Drohungen und den sexuellen Übergriffen in dem Sinne herstellt, dass das Opfer einen sexuellen Übergriff aufgrund der Drohung über sich habe ergehen lassen.
Zusammenfassend erweisen sich die Einwände der Staatsanwaltschaft zur Frage der Anlasstat und der schwere der Beeinträchtigung als unbegründet. Die Anlasstat erreicht innerhalb der Bandbreite möglicher sexueller Handlungen mit Kindern das hinsichtlich ihrer Schwere und Intensität erforderliche Mindestmass
nicht. Damit fehlt es an einer für die Anordnung einer Verwahrung relevanten Straftat und somit an einer zwingenden Voraussetzung von Art. 64 Abs. 1 StGB.
Fehlt es an einer zwingenden Voraussetzung von Art. 64 Abs. 1 StGB, kann eine Verwahrung nicht angeordnet werden. Selbst wenn von der Gefährlichkeit des Beschwerdegegners bzw. einem sehr hohen Rückfallrisiko für schwere Delikte auszugehen wäre (vgl. Urk. 2 S. 4 f.), änderte dies nichts an der erwähnten fehlenden Voraussetzung von Art. 64 Abs. 1 StGB. Ebenso verhält es sich mit den Einwänden der Staatsanwaltschaft zur Fürsorgerischen Unterbringung (Urk. 2
S. 5 f.) und zu den anderen Massnahmen (Urk. 2 S. 6 f.).
Es ist nicht davon auszugehen, dass die Staatsanwaltschaft bei Nichtanordnung der Verwahrung die weiteren vom Bezirksgericht beschlossenen Massnahmen aufgehoben haben will, da der Antrag auf Aufhebung des angefochtenen Entscheids auf die gleichzeitige Anordnung der Verwahrung abzielt (vgl. Urk. 2 S. 1). Davon scheint auch der Beschwerdegegner auszugehen, da er die Abweisung der Beschwerde beantragt hat und sich insofern nicht zustimmend zur Aufhebung der vom Bezirksgericht angeordneten Massnahmen äusserte (vgl. Urk. 6 S. 2).
Unter diesen Umständen erübrigt es sich, auf die weiteren Vorbringen der Staatsanwaltschaft einzugehen.
Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens sind auf die Staatskasse zu nehmen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Eine Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren fällt ausser Ansatz.
Der Beschwerdegegner hat sich im Beschwerdeverfahren durch seinen amtlichen Verteidiger vertreten lassen (Urk. 6). Dieser ist aus der Gerichtkasse zu entschä- digen (Art. 135 Abs. 2 StPO). Die Höhe der Vergütung der amtlichen Verteidigung ist nach Eingang der Honorarnote (§ 23 Abs. 2 AnwGebV) in einem separaten Beschluss festzusetzen.
Das Bezirksgericht ordnete in Dispositiv-Ziffer 2 des angefochtenen Entscheids bis und mit längstens 30. September 2017 die Sicherheitshaft an (Urk. 4). Die Staatsanwaltschaft beantragte in ihrer Beschwerde die Verlängerung der Sicherheitshaft bis zum Verwahrungsvollzug (Urk. 2 S. 1). Der Beschwerdegegner stellte am 29. August 2017 bei der Beschwerdeinstanz ein Haftentlassungsgesuch (Urk. 6). Die Verfahrensleitung der Beschwerdeinstanz wies das Haftentlassungsgesuch am 11. September 2017 ab und ordnete die Weiterführung der Sicherheitshaft während des Beschwerdeverfahrens bzw. bis zum Vorliegen eines anderweitigen Entscheids an (Urk. 19).
Da die Beschwerde der Staatsanwaltschaft abzuweisen ist, erwächst der vorliegende Entscheid und der Entscheid des Bezirksgerichts vom 6. April 2017 grundsätzlich in Rechtskraft (vgl. Art. 437 Abs. 1 lit. c und Abs. 3 StPO).
3.
Während des Nachverfahrens darf der Betroffene bis zum Entscheid über die Änderung der Massnahme in analoger Anwendung von Art. 221 und Art. 229 StPO in Sicherheitshaft genommen werden (vgl. Urteil 1B_367/2017 vom 19. September 2017 E. 2.1; BGE 141 IV 49 E. 2.6). Gleiches muss während des Nachverfahrens vor der Beschwerdeinstanz gelten (vgl. Art. 231 Abs. 2 StPO und Art. 232 StPO analog).
Die Strafprozessordnung ordnet indessen die Sicherheitshaft nach zweitinstanzlichem Entscheid im Nachverfahren nicht ausdrücklich. Es ist davon auszugehen, dass sich die Beschwerdeinstanz wie ein Berufungsgericht in seinem Entscheid zur Frage der Haft auszusprechen hat, wenn es diese selbst angeordnet verlängert hat (vgl. dazu betreffend das Berufungsgericht BGE 139 IV 277 E. 2.1 bis
E. 2.3). Alsdann muss es in analoger Anwendung von Art. 231 Abs. 1 StPO über die Sicherheitshaft entscheiden können.
Vorliegend hat das Bezirksgericht eine Mitteilung an die Erwachsenenschutzbehörde vorgesehen. Es ist davon auszugehen, dass sie bereits eine Mitteilung des begründeten Entscheids erhalten hat (vgl. den Mitteilungssatz des angefochtenen Entscheids). Bezüglich dieser Massnahme ist eine Anordnung bzw. die Weiterführung von Sicherheitshaft nicht möglich.
Das Bezirksgericht hat dem Beschwerdegegner verschiedene Verbote erteilt (vgl. Dispositiv-Ziffer 4 des angefochtenen Entscheids). Für den Vollzug dieser Verbote sind beim Beschwerdegegner technische Geräte einzusetzen, welche insbesondere der Feststellung seines Standorts dienen und mit dem Beschwerdegegner fest verbunden sein sollen (Dispositiv-Ziffer 5 des angefochtenen Entscheids). Zudem ordnete das Bezirksgericht eine Bewährungshilfe an (DispositivZiffer 6 des angefochtenen Entscheids).
Zur Sicherung des Vollzugs dieser Massnahmen ist die befristete Weiterführung der Sicherheitshaft verhältnismässig. Beim Beschwerdegegner besteht gemäss unbestrittenen Ausführungen im angefochtenen Entscheid eine mittlere bis hohe Rückfallgefahr für sexuelle Handlungen mit Kindern (vgl. Urk. 4 S. 66). Zur Einleitung des Vollzugs der Massnahmen muss der Gesuchsgegner für die Vollzugsbehörden greifbar sein. Zudem benötigt die Vorbereitung der Massnahmen eine gewisse Zeit. Ihn ohne die angeordneten Massnahmen in Freiheit zu entlassen, würde dem Sicherheitsbedürfnis der Gesellschaft nicht gerecht. Die Anordnung von Ersatzmassnahmen fällt vorliegend ausser Betracht, da diese den im angefochtenen Entscheid angeordneten Massnahmen entsprechen würden und deren Aufgleisung dieselbe Zeit in Anspruch nehmen würde. Eine frühere Entlassung ist daher auch bei Erlass von Ersatzmassnahmen nicht möglich. Der Beschwerdegegner bleibt deshalb längstens bis und mit 30. November 2017 in Sicherheitshaft bzw. ist spätestens am 1. Dezember 2017 aus der Sicherheitshaft zu entlassen.
Es wird beschlossen:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Der Beschwerdegegner bleibt längstens bis und mit 30. November 2017 in Sicherheitshaft bzw. ist spätestens am 1. Dezember 2017 aus der Sicherheitshaft zu entlassen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens (einschliesslich die Auslagen des Staates für die Kosten der amtlichen Verteidigung) werden auf die Gerichtskasse genommen.
Der amtliche Verteidiger des Beschwerdegegners wird für seine Bemühungen im Beschwerdeverfahren aus der Gerichtskasse entschädigt; die Festsetzung der Höhe der Entschädigung erfolgt durch separaten Beschluss.
Schriftliche Mitteilung an:
Rechtsanwalt lic. iur. X. , zweifach, für sich und den Beschwerdegegner, per Gerichtsurkunde
die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, ad B-4/2004/141111067, gegen Empfangsbestätigung
das Bezirksgericht Dielsdorf, ad DA150001-D, gegen Empfangsbestätigung
das Amt für Justizvollzug, ad 2008/5321/LM, gegen Empfangsbestätigung
KESB, Erwachsenenschutzbehörde Dielsdorf, Honeywell-Platz 1, 8157 Dielsdorf, gegen Empfangsbestätigung
die Justizvollzugsanstalt Pöschwies, nur im Dispositiv, gegen Empfangsbestätigung
sowie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Erledigung allfälliger Rechtsmittel an:
Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, ad B-4/2004/141111067, gegen Empfangsbestätigung
das Bezirksgericht Dielsdorf, ad DA150001-D, unter Rücksendung der beigezogenen Akten (Urk. 8), gegen Empfangsbestätigung
die Zentrale Inkassostelle der Gerichte
Rechtsmittel:
Gegen diesen Entscheid kann Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen. Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Zürich, 31. Oktober 2017
Obergericht des Kantons Zürich
III. Strafkammer
Präsident:
lic. iur. Th. Meyer
Gerichtsschreiber:
Dr. iur. S. Christen
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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