Zusammenfassung des Urteils UH170030: Obergericht des Kantons Zürich
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat eine Untersuchung gegen den Beschwerdeführer A. wegen häuslicher Gewalt wieder aufgenommen, nachdem die Beschwerdegegnerin 1 ihren Sistierungsantrag widerrufen hat. Der Beschwerdeführer hat Beschwerde gegen die Wiederanhandnahme des Verfahrens eingereicht, da er die gesetzlichen Fristen und Formvorschriften als nicht eingehalten ansieht. Die Staatsanwaltschaft verteidigt ihre Entscheidung und argumentiert, dass die Frist ab Zustellung der Sistierungsverfügung laufe. Das Obergericht des Kantons Zürich entscheidet, dass die Beschwerde nicht zulässig ist und verzichtet auf eine Kostenauflage für den Beschwerdeführer. Der Richter ist der Präsident lic. iur. Th. Meyer, die Gerichtsschreiberin Dr. iur. S. Zuberbühler Elsässer.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | UH170030 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | III. Strafkammer |
Datum: | 31.03.2017 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Wiederaufnahme (Art. 55a Abs. 2 StGB) |
Schlagwörter : | Verfahren; Sistierung; Wiederanhandnahme; Verfahrens; Staatsanwaltschaft; Untersuchung; Schmid; Recht; Bundesgericht; Gericht; Verfügung; Entscheid; Praxis; Kantons; Opfer; Basel; Praxiskommentar; Widerruf; Landshut/Bosshard; Riedo/Allemann; Beschluss; Gewalt; Sistierungsantrag; Einstellung; Handbuch; Colombi; Rechtsmittel |
Rechtsnorm: | Art. 11 StPO ;Art. 300 StPO ;Art. 309 StPO ;Art. 310 StPO ;Art. 314 StPO ;Art. 315 StPO ;Art. 320 StPO ;Art. 323 StPO ;Art. 324 StPO ;Art. 331 StPO ;Art. 380 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 55a StGB ; |
Referenz BGE: | 139 IV 220; |
Kommentar: | Schmid, Praxis, , Art. 315 OR, 2009 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
III. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: UH170030-O/U/PFE
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Th. Meyer, Präsident, die Ersatzoberrichter Dr. iur. T. Graf und lic. iur. Th. Vesely sowie Gerichtsschreiberin Dr. iur. S. Zuberbühler Elsässer
Beschluss vom 31. März 2017
in Sachen
Beschwerdeführer
bis 22. Februar 2017: amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X1. ab 23. Februar 2017: amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X2.
gegen
Beschwerdegegnerinnen
betreffend Wiederanhandnahme (Art. 55a Abs. 2 StGB)
Erwägungen:
Am 23. Oktober 2015 erstattete eine Mitarbeiterin der KESB Dübendorf bei der Kantonspolizei Zürich Anzeige wegen Häuslicher Gewalt gegen A.
(nachfolgend: Beschwerdeführer). Die Lebenspartnerin des Beschwerdeführers, B. (nachfolgend: Beschwerdegegnerin 1), habe sich an jenem Tag telefonisch an die KESB Dübendorf gewandt und erklärt, sie sei in einem vor der KESB Dübendorf parkierten Fahrzeug eingesperrt. Der Beschwerdeführer habe ihr gedroht, ihr ihrer älteren Tochter etwas anzutun, sollte sie nicht auf die elterliche Sorge für die jüngere, gemeinsame Tochter verzichten (Urk. 8/1 S. 3 und 4 f.). Anlässlich der Tatbestandsaufnahme berichtete die Beschwerdegegnerin 1 von verschiedenen körperlichen Übergriffen sowie von Drohungen und (versuchten) Nötigungen von Seiten des Beschwerdeführers seit Anfang Januar 2015 (Urk. 8/1 S. 4).
Die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich eröffnete am 24. Oktober 2015 eine Strafuntersuchung gegen den Beschwerdeführer wegen Drohung etc. (Urk. 8/13/1). Am 3. Februar 2016 teilte sie den Parteien den beabsichtigten Abschluss der Untersuchung mittels Anklageerhebung mit und setzte ihnen Frist zur Stellung von Beweisanträgen an (Urk. 8/13/2). Der Beschwerdeführer beantragte daraufhin die Einvernahme diverser Zeugen. Zudem teilte er mit, dass eine Anzeige wegen falscher Anschuldigung erwogen werde. Damit sei jedoch zugewartet worden, da die Beschwerdegegnerin 1 einen Sistierungsantrag in Aussicht gestellt habe und eine Sistierung angesichts des laufenden Verfahrens bei der KESB bevorzugt werde (Urk. 8/13/3). Mit Schreiben vom 25. Mai 2016 an die Staatsanwaltschaft liess die Beschwerdegegnerin 1 um Sistierung des Verfahrens ersuchen, da die Parteien einen umfassenden Vergleich abgeschlossen hätten (Urk. 8/13/6). Am 27. Mai 2016 verfügte die Staatsanwaltschaft gestützt auf Art. 314 StPO sowie Art. 55a Abs. 1 StGB die Sistierung des Verfahrens für längstens sechs Monate (in Urk. 8). Am 28. November 2016 widerrief die Beschwerdegegnerin 1 gegenüber der Staatsanwaltschaft telefonisch ihren Sistierungsantrag (Urk. 8/23). Mit Verfügung vom 20. Januar 2017 nahm die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung gegen den Beschwerdeführer wegen Drohung etc. wieder an die Hand (Urk. 3).
Gegen die ihm am 23. Januar 2017 (vgl. Urk. 8/25/1) zugestellte Verfügung betreffend die Wiederanhandnahme des Verfahrens erhob der Beschwerdeführer
am 2. Februar 2017 Beschwerde mit den Anträgen, es sei die angefochtene Verfügung aufzuheben und die Untersuchung definitiv einzustellen. Seiner Ansicht nach verletzt die Wiederanhandnahme des Verfahrens Art. 55a Abs. 2 StGB, da die Beschwerdegegnerin 1 ihren Sistierungsantrag nicht binnen sechs Monaten ab Erlass der Sistierungsverfügung und überdies mündlich per Telefon widerrufen habe (Urk. 2 S. 2). Die Staatsanwaltschaft beantragt die Abweisung der Beschwerde. Sie macht geltend, dass nach dem Dafürhalten namhafter Autoren die Frist nicht ab Datum der Sistierungsverfügung, sondern ab deren Zustellung zu laufen beginne. Die Annahme, es brauche eine schriftliche Widerrufserklärung, widerspreche sodann dem klaren Gesetzeswortlaut und finde auch in der Lehre keine Stütze (Urk. 7). Die Beschwerdegegnerin 1 liess sich innert Frist nicht vernehmen (vgl. Urk. 5 und Urk. 10). Der Beschwerdeführer hat auf eine weitere Stellungnahme verzichtet (Urk. 14; vgl. sodann Prot. S. 4).
Infolge ferienbedingter Abwesenheit eines Ersatzoberrichters ergeht der vorliegende Beschluss in anderer als der angekündigten Besetzung.
Mit der angefochtenen Verfügung hat die Staatsanwaltschaft die Untersuchung gegen den Beschwerdeführer in Anwendung von Art. 55a Abs. 2 StGB wieder an die Hand genommen (vgl. Urk. 3). Weder der Beschwerdeführer noch die Staatsanwaltschaft äussern sich im Rahmen des vorliegenden Beschwerdeverfahrens zur Frage der Zulässigkeit der Beschwerde (vgl. Urk. 2 S. 2; und Urk. 7). Die Prozessvoraussetzungen sind indes von Amtes wegen zu prüfen.
2.
Die strafprozessgesetzliche Regelung sieht vor, dass grundsätzlich sämtliche Verfügungen und Verfahrenshandlungen von Polizei, Staatsanwaltschaften und Übertretungsstrafbehörden mit Beschwerde anfechtbar sind (Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO). Ausgenommen davon sind jedoch die als endgültig nicht anfechtbar bezeichneten Entscheide (Art. 380 StPO). Zu Letzteren gehört der Entscheid der Staatsanwaltschaft, das Verfahren nach einer erfolgten Sistierung wieder an die Hand zu nehmen (Art. 315 Abs. 2 StPO).
Gemäss Art. 55a Abs. 1 StGB kann die Staatsanwaltschaft eine Untersuchung wegen bestimmter in häuslicher Gemeinschaf begangener Straftaten sistieren, wenn das Opfer darum ersucht bzw. einem entsprechenden Antrag der Behörden zustimmt. Das Ersuchen bzw. die Zustimmung kann vom Opfer innert sechs Monaten widerrufen werden, was zur Fortsetzung des Verfahrens führt (Art. 55a Abs. 2 StGB). Bei ausbleibendem Widerruf während der vorgesehenen Frist verfügt die Staatsanwaltschaft die definitive Einstellung des Verfahrens (Art. 55a Abs. 3 StGB).
Die Sistierung und die Wiederanhandnahme einer Strafuntersuchung richten sich generell nach Massgabe der Art. 314 f. StPO. Der materiellrechtlich vorgesehene Sistierungsgrund gemäss Art. 55a Abs. 1 StGB ist in Art. 314 Abs. 1 StPO nicht explizit aufgeführt. Die strafprozessuale Bestimmung enthält jedoch nur eine exemplarische Auflistung von Sistierungsgründen. Ausserdem sieht Art. 314 Abs. 1 lit. a StPO die Möglichkeit der Sistierung bei vorübergehenden Verfahrenshindernissen vor. Das Sistierungsersuchen eines Opfers bzw. dessen Zustimmung zu einem entsprechenden Antrag der Behörden nach Art. 55a Abs. 1 lit. b StGB ist gemäss Rechtsprechung als Prozesshindernis zu qualifizieren (BGE 139 IV 220, 227 Erw. 3.4.6). Dieses kann durch Widerruf innert sechs Monaten wieder beseitigt werden (vgl. Art. 55a Abs. 2 und 3 StGB). Auch in der Literatur wird Art. 55a Abs. 1 StGB im Zusammenhang mit den Art. 314 f. StPO als Sistierungsfall erwähnt, wobei teilweise darauf hingewiesen wird, dass die materiellrechtliche Norm zusätzliche Voraussetzungen an eine Sistierung stelle (vgl. Landshut/Bosshard, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 314 N 18; BSK StPO-Omlin, 2. Aufl., Basel 2014,
Art. 314 N 20; Schmid, StPO Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013, Art. 314 N 3 und Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts,
Aufl., Zürich/St. Gallen 2013; Jositsch, Grundriss des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013, N 477; Pitteloud, Code de procédure pénale suisse [CPP], Commentaire à l'usage des praticiens, Zürich/St. Gallen 2012, N 779; Moreillon/Parein-Reymond, CPP, Code de procédure pénale, 2. Aufl., Basel 2016, Art. 315 N 6).
Wird hinsichtlich der Wiederanhandnahme der Untersuchung nach Art. 55a Abs. 2 StGB folglich auf Art. 315 StPO abgestellt, kann sie formlos erfolgen und ist gemäss dessen Abs. 2 i.V.m. Art. 380 StPO eine Anfechtung mittels StPOBeschwerde nach Art. 393 ff. StPO ausgeschlossen (so BSK StGB I- Riedo/Allemann, 3. Aufl., Basel 2013, Art. 55a N 191 und 198; Schmid, Praxiskommentar, a.a.O., Art. 315 N 5; ebenso wohl BSK StPO-Omlin, a.a.O., Art. 315 N 10-12 und Art. 314 N 50; Pitteloud, a.a.O., N 786 und 779).
Es gibt allerdings Autoren, welche die Auffassung vertreten, die Wiederanhandnahme nach Art. 55a Abs. 2 StGB sei gesondert zu betrachten. Dabei bejaht insbesondere Colombi grundsätzlich deren Anfechtbarkeit mittels Beschwerde nach StPO. Seine Argumentation gründet auf der Theorie, die Wiederanhandnahme einer Untersuchung gestützt auf Art. 55a Abs. 2 StGB bedürfe von Bundesrechts wegen eines formellen Entscheids. Art. 315 Abs. 2 StPO gelange nur auf die formlose Wiederanhandnahme zur Anwendung (Colombi, Häusliche Gewalt - die Offizialisierung im Strafrecht am Beispiel der Stadt Zürich, Diss. Zürich 2009, ZSR Bd. 52, Zürich/Basel/Genf 2009, S. 257). Hinsichtlich der ersteren Annahme stützt sich Colombi auf die von Riedo/Saurer noch in der Vorauflage des Basler Kommentars (BSK StGB I) unter Geltung der kantonalen Prozessgesetze vertretene Auffassung (vgl. Colombi, a.a.O., S. 257 Fn. 1431). Gestützt auf Art. 315 StPO ist jedoch im Gegenteil davon auszugehen, es sei von Bundesrechts wegen kein formeller Entscheid vorausgesetzt, zumal dies auch die Formulierung von Art. 55a Abs. 2 StGB nicht nahelegt. Entsprechend revidierten auch Riedo/Allemann die noch in der Vorauflage vertretene Ansicht (BSK StGB IRiedo/Allemann, a.a.O., Art. 55a N 191 f.; vgl. sodann Landshut/Bosshard, a.a.O., Art. 315 N 2 f.; Schmid, Praxiskommentar, a.a.O., Art. 315 N 3 f. sowie Schmid, Handbuch, a.a.O., N 1239 und Fn. 93; Pitteloud, a.a.O., N 786; Moreillon/PareinReymond, a.a.O., Art. 315 N 2 und 6).
Ebenso sind die Kommentatoren Moreillon/Parein-Reymond der Meinung, dass in den Fällen der Sistierung nach Art 55a StGB gegen die Wiederanhandnahme der Untersuchung eine Beschwerde nach StPO denkbar sei (Moreillon/PareinReymond, a.a.O., Art. 315 N 9). Sie verweisen diesbezüglich ohne nähere Ausführungen zunächst auf die Zürcher Kommentatoren Landshut/Bosshard sowie die Kommentierung von Schmid in dessen Praxiskommentar (Moreillon/PareinReymond, a.a.O., Art. 315 N 9). Letzterer hält an der zitierten Stelle jedoch dafür, dass im Fall der Wiederanhandnahme keine Beschwerde gegeben sei. Eine solche sei dagegen bei Verweigerung der Wiederanhandnahme möglich, insbesondere im Fall von Art. 55a Abs. 2 StGB (Schmid, Praxiskommentar, a.a.O., Art. 315 N 5 und derselbe in der Vorauflage 2009, Art. 315 N 5). Landshut/Bosshard führen aus, eine Beschwerde komme - neben einem weiteren hier nicht zur Diskussion stehenden Fall ausnahmsweise in den Fällen von Art. 55a StGB in Frage. Ob sie sich dabei auf die Beschwerde nach StPO auf jene ans Bundesgericht beziehen, erscheint nicht klar. Sie verweisen ebenfalls ohne weitergehende Ausführungen auf das Handbuch von Schmid sowie die Kommentierung im BSK (Landshut/Bosshard, a.a.O., Art. 315 N 4). Die angegebene Stelle im BSK bezieht sich auf die Frage der Zulässigkeit einer Strafrechtsbeschwerde ans Bundesgericht und mithin auf das Vorliegen eines nicht wiedergutzumachenden Nachteils (vgl. BSK StGB I-Riedo/Allemann, a.a.O., Art. 55a N 199). Schmid hält an der fraglichen Stelle im Handbuch fest, die Beschwerde sei ausgeschlossen, da gemäss Botschaft regelmässig ein Rechtsschutzinteresse fehle. Deshalb sei auch keine Strafrechtsbeschwerde ans Bundesgericht gegeben. Ohne Bezugnahme weitergehende Angaben erklärt er sodann, Ausnahmen seien in den Fällen nach Art. 55a StGB denkbar (Schmid, Handbuch, a.a.O., N 1239 und Fn. 94). Ausnahmen sind aber nur soweit möglich, als das Rechtsmittel nicht grundsätzlich ausgeschlossen ist und sich folglich im konkreten Fall die Frage nach einem aktuellen Rechtsschutzinteresse bzw. einem nicht wiedergutzumachenden Nachteil
stellt. Angesichts der dargelegten Kommentierung Schmids im Praxiskommentar dürften daher die denkbaren Ausnahmen die Strafrechtsbeschwerde ans Bundesgericht betreffen. Im Weiteren verweisen die Kommentatoren Moreillon/Parein-Reymond auf Jeanneret/Kuhn, Précis de procédure pénale, Bern 2013, N 1620. Letztere führen an der fraglichen Stelle jedoch aus, die Wiederanhandnahme sei für sich allein nicht beschwerdefähig. Zum Fall einer Wiederanhandnahme nach Art. 55a Abs. 2 StGB äussern sie sich nicht speziell.
Ein gesetzgeberischer Wille, nach welchem die StPO-Beschwerde gegen eine Wiederanhandnahme im Fall von Art. 55a Abs. 2 StGB ausnahmsweise zulässig sein soll, geht jedenfalls aus den Gesetzesmaterialien nicht hervor. In Abs. 4 der ursprünglichen Fassung von Art. 55a StGB war gegen den definitiven Einstellungsentscheid der letzten kantonalen Instanz die Beschwerde ans Bundesgericht vorgesehen. In den Materialen wurde zu dieser Regelung bemerkt, das Opfer habe kaum je ein Interesse an der Anfechtung der Wiederanhandnahme, da es diese selber verlangt habe (Bericht der Kommission für Rechtsfragen des Nationalrates vom 28. Oktober 2002 zu den Parlamentarischen Initiativen Gewalt gegen Frauen als Offizialdelikt und Sexuelle Gewalt in der Ehe als Offizialdelikt, BBl 2003, 1909 ff., 1928). Mit Inkrafttreten der eidgenössischen Strafprozessordnung wurde Abs. 4 von Art. 55a StGB aufgehoben (vgl. Anhang 1 der StPO, AS 2010 1881, 2024). Der Ausschluss der StPO-Beschwerde gegen die Wiederanhandnahme nach Art. 315 Abs. 2 StPO wird in der Botschaft lediglich knapp damit begründet, es sei in den fraglichen Konstellationen kaum je ein schützenswertes Interesse gegeben (Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom
21. Dezember 2005, BBl 2006, 1085 ff., 1266). Auf Art. 55a Abs. 2 StGB wird nicht spezifisch eingegangen.
Eine Gleichbehandlung der Wiederanhandnahme gemäss Art. 55a Abs. 2 StGB mit der Wiederaufnahme des Verfahrens im Sinne von Art. 323 StPO rechtfertigt sich sodann nicht. Die Sistierungsverfügung im Sinne von Art. 55a Abs. 1 StGB bzw. Art. 314 StPO erlangt keine materielle Rechtskraftwirkung. Der definitive Verfahrensabschluss mittels Einstellung bedarf eines späteren förmlichen Endentscheids (Art. 55a Abs. 3 StGB; vgl. BSK StGB I-Riedo/Allemann, a.a.O.,
Art. 55a N 216; Colombi, a.a.O., S. 262 ff.). Demgegenüber kommt die rechtskräftige Einstellungsoder Nichtanhandnahmeverfügung einem freisprechenden Endentscheid gleich (Art. 320 Abs. 4 StPO und Art. 310 Abs. 2 StPO). Art. 11 StPO verbietet in diesen Fällen eine erneute Strafverfolgung wegen der gleichen Tat (Abs. 1); wobei die Wiederaufnahme eines eingestellten nicht an Hand genommenen Verfahrens unter den Voraussetzungen von Art. 323 Abs. 1 StPO vorbehalten bleibt (Abs. 2). Der Einstellungsbzw. Nichtanhandnahmeverfügung kommt somit beschränkte Rechtskraftwirkung zu. Deshalb wird die Wiederaufnahme des Verfahrens gemäss Art. 323 StPO als beschwerdefähig erachtet (vgl. Landshut/Bosshard, a.a.O., Art. 323 N 2, 5 und 30; BSK StPO-Grädel/Heiniger,
Aufl., Basel 2014, Art. 323 N 22; Schmid, Praxiskommentar, a.a.O., Art. 323 N 13). Dies entspricht auch der Praxis der hiesigen Kammer (vgl. Beschluss UH140381 vom 26. März 2015 Erw. II/1 sowie implizit Beschluss UH150341 vom 8. Juli 2016).
Bei ausbleibendem Widerruf des Sistierungsantrags der Zustimmung des Opfers muss die Staatsanwaltschaft das Verfahren gestützt auf Art. 55a Abs. 3 StGB grundsätzlich zwingend einstellen. Inwieweit die Untersuchungsbehörde dem Verdacht Rechnung tragen können soll, das Opfer sei unter Druck gesetzt worden, ist umstritten. Es wird teilweise zumindest die Wiederherstellung der Widerrufsfrist als zulässig erachtet (vgl. BSK StGB I-Riedo/Allemann, a.a.O., Art. 55a N 210 ff.). Die sich vorliegend stellende Frage der Rechtzeitigkeit des Widerrufs des Sistierungsantrags durch die Beschwerdegegnerin 1 ist jedenfalls entscheidend und der Beschwerdeführer hat zweifellos ein Interesse daran, dass das Verfahren definitiv erledigt wird, sofern dies möglich ist. Daraus folgt jedoch kein Anspruch auf eine umgehende Beurteilung der Wiederanhandnahme im Beschwerdeverfahren.
Die beschuldigte Person hat generell ein Interesse daran, dass eine Untersuchung weder unnötig eröffnet noch fortgesetzt gar Anklage erhoben, sondern
etwa bei fehlenden Prozessvoraussetzungen wenn kein Straftatbestand erfüllt ist schnellstmöglich beendet bzw. gar nicht erst angehoben wird. Gleichwohl ist gegen die Einleitung des Vorverfahrens (Art. 300 Abs. 2 StPO), gegen die Untersuchungseröffnung (Art. 309 Abs. 3 StPO; vgl. auch Urteil BGer 1B_317/2011 Erw. 4.9) und gegen die Anklageerhebung (Art. 324 Abs. 2 StPO) keine Beschwerde möglich. Eine Ausnahme besteht nur, wenn eine Verletzung des Verbots der doppelten Strafverfolgung (Art. 11 Abs. 1 StPO; ne bis in idem) geltend gemacht wird (vgl. Art. 300 Abs. 2 StPO). Die beschuldigte Person kann den Rechtsmittelausschluss auch nicht dadurch umgehen, dass sie die Verfahrenseinstellung verlangt und die Weigerung der Staatsanwaltschaft mittels Beschwerde anficht (Urteile BGer 1B_209/2011 vom 6. September 2011 Erw. 2 und 1B_317/2011 vom 6. September 2011 Erw. 4.9; ZR 111 [2012] Nr. 102 Erw. 3.3
und Beschluss der hiesigen Kammer UH150363 vom 22. April 2016 Erw. II/1.2, m.w.H.). Gegen die Verweigerung einer Verfahrenssistierung ist die Beschwerde gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung mangels anderslautender Bestimmung in der Strafprozessordnung grundsätzlich zulässig. Allerdings gelangte das Bundesgericht zum Schluss, die Parteien seien durch die Fortsetzung der Untersuchung nicht beschwert. Die Situation sei vergleichbar mit derjenigen bei der Eröffnung Wiederanhandnahme der Untersuchung sowie bei der Anklageerhebung. Konkret führe der angefochtene Entscheid zu keinem nicht wiedergutzumachenden Rechtsnachteil, da die Sistierung auch noch im erstinstanzlichen Gerichtsverfahren erwirkt werden könne (Urteil BGer 1B_669/2012 vom 12. März 2013 Erw. 2.3 f.; vgl. sodann Urteil BGer 1B_657/2012 vom 8. März 2013
Erw. 2.3 f.).
Auch die Wiederanhandnahme nach Art. 55a Abs. 2 StGB führt lediglich zur Fortsetzung der Untersuchung. Dem Entscheid der Staatsanwaltschaft kommt hinsichtlich des weiteren Verfahrens bzw. dessen Erledigung keinerlei bindende Wirkung zu. Wie bereits erwähnt stellt das Ersuchen des Opfers um Sistierung nach Art. 55a Abs. 1 StGB ein Prozesshindernis dar (vgl. Erw. II/2.1). Prozesshindernisse sind auf allen Verfahrensstufen zu berücksichtigen. Das erstinstanzliche Gericht resp. die Verfahrensleitung kann bereits anlässlich der summarischen Anklageprüfung über das Vorliegen allfälliger definitiver Prozesshindernisse bzw. den strittigen Wegfall entscheiden und das Verfahren allenfalls einstellen (Art. 329 Abs. 1 lit. c und Abs. 4 StPO). Gleiches gilt nach der Eröffnung der Hauptverhandlung, wobei auch die Parteien entsprechende Voroder Zwischenfragen aufwerfen können (Art. 339 Abs. 2 lit. c und Abs. 4 StPO). Zudem steht es ihnen frei, entsprechende Anträge bereits im Hinblick auf die Hauptverhandlung zu stellen (vgl. Art. 331 Abs. 2 StPO). Auch insofern besteht keine Veranlassung, die Beschwerde zuzulassen.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Beschwerde gegen die angefochtene Verfügung nicht zulässig ist (Art. 315 Abs. 2 i.V.m. Art. 380 StPO). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die Staatsanwaltschaft vorliegend einen formellen Entscheid inklusive einer Rechtsmittelbelehrung (vgl. Urk. 3 S. 2) erlassen hat (vgl. Lieber, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber, StPO Komm., 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 380 N 7). Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten.
Bei diesem Ausgang des Verfahrens ist der Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (Art. 428 Abs. 1 StPO). Angesichts der in der Literatur vertretenen Meinungen und der teilweise unklaren Voten bedurfte jedoch die Frage der Beschwerdefähigkeit der Wiederanhandnahme nach Art. 55a Abs. 2 StGB der Klärung. Offensichtlich ging auch die Staatsanwaltschaft von der Zulässigkeit der Beschwerde aus und versah die angefochtene Verfügung mit einer entsprechenden Rechtsmittelbelehrung (vgl. Urk. 3, Disp.-Ziff. 3). Vor diesem Hintergrund rechtfertigt es sich, von einer Kostenauflage an den Beschwerdeführer abzusehen, und die Kosten der amtlichen Verteidigung für diesen Verfahrensabschnitt definitiv auf die Gerichtskasse zu nehmen. Die amtliche Verteidigung ist nach Eingang der Honorarnote mittels Nachtragsbeschluss zu entschädigen.
Es wird beschlossen:
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten.
Von einer Kostenauflage wird abgesehen.
Die Kosten der amtlichen Verteidigung für diesen Verfahrensabschnitt werden auf die Gerichtskasse genommen.
Schriftliche Mitteilung an:
Rechtsanwalt lic. iur. X2. , zweifach, für sich und zuhanden des Beschwerdeführers (per Gerichtsurkunde)
Rechsanwalt lic. iur. X1. betreffend Erwägung III (per Gerichtsurkunde)
die Beschwerdegegnerin 1 (per Gerichtsurkunde)
die Staatsanwaltschaft IV des Kantons Zürich, unter gleichzeitiger Rücksendung der beigezogenen Akten [Urk. 8] (gegen Empfangsbestätigung)
Rechtsmittel:
Gegen diesen Entscheid kann Beschwerde in Strafsachen erhoben werden. Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang an gerechnet, bei der Ersten öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen. Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Zürich, 31. März 2017
Obergericht des Kantons Zürich
III. Strafkammer
Präsident:
lic. iur. Th. Meyer
Gerichtsschreiberin:
Dr. iur. S. Zuberbühler Elsässer
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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