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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils UH160330: Obergericht des Kantons Zürich

Die Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis hat gegen A. ein Strafverfahren wegen versuchter schwerer Körperverletzung eingeleitet. Der amtliche Verteidiger des Beschwerdeführers beantragte die Entfernung eines polizeilichen Einvernahmeprotokolls aus den Akten, was von der Beschwerdegegnerin abgelehnt wurde. Es wurde festgestellt, dass die notwendige Verteidigung auch für neu hinzugekommene Delikte gilt. Die Beschwerde wurde abgewiesen, die Kosten des Verfahrens dem Beschwerdeführer auferlegt und die Gerichtsgebühr auf Fr. 400.- festgesetzt. Der Richter war lic. iur. Th. Meyer, und die Person, die verloren hat, war männlich.

Urteilsdetails des Kantongerichts UH160330

Kanton:ZH
Fallnummer:UH160330
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:III. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid UH160330 vom 01.02.2017 (ZH)
Datum:01.02.2017
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Aktenentfernung
Schlagwörter : Verteidigung; Verfahren; JStPO; Verteidiger; Einvernahme; Kanton; Polizei; Verfahren; Basel; Sinne; Entscheid; Verfahrens; Recht; Jugendanwaltschaft; Akten; Kammer; Beweise; Bundesgericht; Kantons; Person; Thurgau; Verteidigers; Beschwerdeführers; Beweismittel; Basel-Land
Rechtsnorm:Art. 130 StPO ;Art. 131 StPO ;Art. 135 StPO ;Art. 141 StPO ;Art. 158 StPO ;Art. 159 StPO ;Art. 289 StPO ;Art. 306 StPO ;Art. 307 StPO ;Art. 312 StPO ;Art. 350 StPO ;Art. 382 StPO ;Art. 393 StPO ;Art. 398 StPO ;Art. 425 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 80 StPO ;
Referenz BGE:141 IV 289;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts UH160330

Obergericht des Kantons Zürich

III. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: UH160330-O/U/BUT/TSA

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Th. Meyer, Präsident, und lic. iur. W. Meyer, Oberrichterin lic. iur. A. Meier sowie Gerichtsschreiber lic. iur.

L. Künzli

Beschluss vom 1. Februar 2017

in Sachen

A. ,

Beschwerdeführer

vertreten durch Inhaberin der elterlichen Sorge B. amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X.

gegen

Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis,

Beschwerdegegnerin

betreffend Aktenentfernung

Beschwerde gegen die Verfügung der Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis vom 6. Oktober 2016, STR/2015/20000224

Erwägungen:

I.
    1. Die Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis (vorliegend: Beschwerdegegnerin) eröffnete am 6. Juni 2015 gegen A. (vorliegend: Beschwerdeführer) ein Strafverfahren wegen versuchter schwerer Körperverletzung etc.

      Am 12. Juni 2015 wurde RA lic. iur. X. von der Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich als amtlicher Verteidiger bestellt. Es hatte ein Fall notwendiger Verteidigung im Sinne von Art. 24 lit. d JStPO vorgelegen, da der Beschwerdeführer vorsorglich in eine Einrichtung (Aufnahmeheim C. ) eingewiesen worden war.

      Die Beschwerdegegnerin erhob am 12. Februar 2016 Anklage wegen versuchter schwerer Körperverletzung etc. Die Anklage ist soweit ersichtlich - nach wie vor hängig bzw. das gerichtliche Verfahren pendent (vgl. Urk. 7 S. 2).

    2. Im Vorfeld der Anklageerhebung, am 15. Januar 2016, flüchtete der Beschwerdeführer aus dem Aufnahmeheim C. und ging auf Kurve.

      Am 26. Januar 2016 erstattete D. Strafanzeige bei der Polizei BaselLandschaft, weil sich zwei Jugendliche unerlaubt in seiner freistehenden Wohnung an der ... [Adresse] aufhielten (Urk. 8/1/1).

      Am 16. Februar 2016 konnte die Polizei den Beschwerdeführer in Basel aufgreifen. Im Anschluss daran wurde er vom 17. Februar bis 9. März 2016 in das Gefängnis Limmattal eingewiesen, bevor er zur Weiterführung der vorsorglichen Unterbringung in das Massnahmenzentrum E. überführt werden konnte.

    3. a) Der Beschwerdeführer geriet in den Verdacht, an der zur Anzeige gebrachten Wohnungsbesetzung beteiligt gewesen zu sein. Am 31. März 2016 ersuchte die Polizei Basel-Landschaft die Kantonspolizei Thurgau rechtshilfeweise, den

Beschwerdeführer zu den neuen Vorwürfen (Hausfriedensbruch, Sachbeschädigung) zu befragen (Urk. 8/1/7, s.a. Urk. 8/1/1).

Der Beschwerdeführer konnte am 4. Mai 2016 im Massnahmenzentrum E. als beschuldigte Person von der Kantonspolizei Thurgau protokollarisch zur Sache befragt werden. Der Beschwerdeführer zeigte sich weitgehend geständig; die Einvernahme fand ohne Beisein des (im Kanton Zürich bestellten) amtlichen Verteidigers statt (Urk. 8/1/10 i.V.m. Urk. 8/3/4).

b) Am 17. Mai 2016 bestätigte die Beschwerdegegnerin gegenüber der Jugendanwaltschaft Basel-Stadt die Übernahme eines Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer betreffend Widerhandlung gegen das Personenbeförderungsgesetz (Urk. 8/2/9-10).

Am 17. Juni 2016 bestätigte die Beschwerdegegnerin gegenüber der Jugendanwaltschaft Basel-Landschaft auch die Übernahme des (besagten) Strafverfahrens gegen den Beschwerdeführer betreffend Hausfriedenbruch etc. (Urk. 8/1/11-12).

  1. Die Beschwerdegegnerin stellte dem amtlichen Verteidiger am 15. August 2016 die Untersuchungsakten der beiden eben erwähnten Verfahren zur Einsichtnahme zu (Urk. 8/4/1). Mit Schreiben vom 29. September 2016 verlangte dieser (unter anderem), dass die am 4. Mai 2016 im Kanton Thurgau durchgeführte polizeiliche Einvernahme mit dem Beschwerdeführer infolge beweismässiger Unverwertbarkeit aus den Akten zu entfernen sei (Urk. 8/4/8 S. 4/5).

    Die Beschwerdegegnerin lud den Beschwerdeführer am 1. September 2016 zur Einvernahme betreffend Hausfriedensbruch etc. vor und eröffnete eine neue Strafuntersuchung (Urk. 8/3/6). Die Einvernahme fand am 3. Oktober 2016 im Beisein des amtlichen Verteidigers statt; der Beschwerdeführer machte von seinem Aussageverweigerungsrecht umfassend Gebrauch (Urk. 8/3/7).

  2. Mit Schreiben vom 6. Oktober 2016 teilte die Beschwerdegegnerin dem amtlichen Verteidiger des Beschwerdeführers (unter anderem) mit, sie sehe keine Veranlassung, das fragliche polizeiliche Einvernahmeprotokoll vom 4. Mai 2016 aus den Akten zu entfernen (Urk. 8/4/9 S. 4/5=Urk. 5).

    1. Der amtliche Verteidiger des Beschwerdeführers legte dagegen mit Eingabe vom 17. Oktober 2016 Beschwerde ein. Er beantragt, dass das polizeiliche Einvernahmeprotokoll vom 4. Mai 2016 aus den Akten zu entfernen, separat unter Verschluss zu halten und nach rechtskräftiger Erledigung des Strafverfahrens zu vernichten sei (Urk. 2 S. 12).

    2. Die Beschwerdegegnerin liess sich mit Eingabe vom 3. November 2016 vernehmen und beantragt die Abweisung der Beschwerde (Urk. 7). Der amtliche Verteidiger des Beschwerdeführers reichte am 23. November 2016 eine Replik ein, unter (sinngemässer) Aufrechthaltung der bisherigen Anträge (Urk. 11). Die Beschwerdegegnerin verzichtete am 29. November 2016 unter Hinweis auf ihre früheren Vorbringen auf eine Duplik (Urk. 14).

    3. Das Verfahren erweist sich spruchreif.

II.
    1. Enthält die JStPO keine besondere Regelung, so sind die Bestimmungen der für erwachsene Beschuldigte geltenden Strafprozessordnung (StPO) anwendbar (Art. 3 Abs. 1 JStPO).

    2. Das angefochtene Schreiben stellt der äusseren Form nach keine formelle Verfügung im Sinne von Art. 80 StPO dar. Zumindest inhaltlich materiell liegt aber eine beschwerdefähige Verfügung eine beschwerdefähige Verfahrenshandlung der Jugendanwaltschaft vor (Art. 39 Abs. 1 JStPO i.V.m. Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO).

    3. Zum Ergreifen von Rechtsmitteln ist die der urteilsfähige Jugendliche legitimiert (Art. 38 Abs. 1 lit. a JStPO). Im Übrigen verweist die JStPO in Art. 38 Abs. 3 im Zusammenhang mit der Beschwerdelegitimation auf Art. 382 Abs. 1 StPO. Gemäss dieser Bestimmung setzt die Ergreifung eines Rechtsmittels insbesondere ein (aktuelles) unmittelbar rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung Änderung des angefochtenen Entscheids voraus.

    4. Ferner ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die JStPO auch keine Sonderregelung zur Verwertbarkeit von Beweismitteln enthält. Ebenso wenig wird die Anwendbarkeit von Art. 140 und 141 StPO in Art. 3 Abs. 2 JStPO ausgeschlossen. Im Jugendstrafverfahren kommt daher was die Regelung der Verwertbarkeit von Beweismitteln anbetrifft - die StPO zur Anwendung (hierzu: HEBEISEN, BSK StPO/JStPO, 2. Auflage, Basel 2014, N 1 zu Art. 24 JStPO).

    1. a) Zur Frage, ob bzw. inwieweit Entscheide der Staatsanwaltschaften (oder Jugendanwaltschaften) betreffend Beweisverwertungsverbote auf Beschwerde der beschuldigten Person hin im Beschwerdeverfahren nach Art. 393 ff. StPO überprüft werden können, bestehen in Lehre und Rechtsprechung unterschiedliche Auffassungen (eingehend: UH150031, Beschluss der hiesigen Kammer vom 17. März 2015, E. 2 m.w.H.).

      1. Der Beschwerdeführer leitet seine Legitimation zur Einlegung der vorliegenden Beschwerde aus zwei Beschlüssen der hiesigen Kammer ab, konkret aus dem vorgenannten UH150031 sowie aus UH150353 (Urk. 2 S. 3).

      2. Im Rahmen der Rechtsprechung der Kammer konnte sich allerdings bis anhin noch keine einheitliche Praxis etablieren.

        In den in der Beschwerde zitierten Entscheiden ging es jeweils um die Frage, ob die Staatsanwaltschaft in Verletzung von Art. 131 Abs. 3 StPO Beweise erhoben hatte. Gemäss dieser Bestimmung ist die Beweiserhebung ohne vorgängige Bestellung einer Verteidigung, obwohl eine solche erkennbar notwendig gewesen wäre, nur gültig, wenn die beschuldigte Person auf ihre Wiederholung verzichtet. Die Kammer erachtete sich grundsätzlich als zuständig zur Prüfung entsprechender Rügen. Namentlich bejahte sie auch ein unmittelbares rechtlich geschütztes Interesse im Sinne von Art. 382 Abs. 1 StPO des Beschuldigten, wobei sie die jeweiligen Rügen mit freier (oder voller) Kognition prüfte (UH150031, Beschluss der hiesigen Kammer vom 17. März 2015, E. 2; UH150353, Beschluss der hiesigen Kammer vom 14. März 2016, E. II).

        In einem weiteren ebenfalls neueren - Entscheid bestätigte die Kammer die grundsätzliche Zulässigkeit der Beschwerde gegen einen Entscheid der Staatsanwaltschaft betreffend Beweisverwertungsverbote und im Grundsatz auch das unmittelbar rechtlich geschützte Interesse des Beschuldigten an der Aufhebung Änderung solcher Entscheide (UH150296, Beschluss vom 2. Dezember 2015, E. 3). Nach Bejahung der Eintretensfrage erwog die Kammer jedoch präzisierend, es bleibe trotzdem zu beachten, dass die Beschwerdeinstanz nicht Sachgericht sei und ihren Entscheid aufgrund der momentanen Aktenlage einer noch nicht abgeschlossenen und allenfalls noch zu vervollständigen Strafuntersuchung zu treffen habe. Die Beschwerdeinstanz habe deshalb nicht ohne Not der Beweiswürdigung des Sachgerichts vorzugreifen. Sofern ein Beweismittel nicht eindeutig unverwertbar sei, so sei es in den Akten zu belassen und auch nicht im Sinne von Art. 141 Abs. 5 StPO unter Verschluss zu halten (a.a.O., a.E.).

      3. Im Ergebnis bedeutet der letztgenannte Entscheid eine Annäherung an die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Zulässigkeitsvoraussetzung nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (nicht wieder gut zu machender Nachteil) bei Beschwerden in Strafsachen gegen Entscheide kantonaler Beschwerdeinstanzen betreffend Beweisverwertungsverbote. Das Bundesgericht sieht eine Überprüfungsmöglichkeit solcher Entscheide im Verfahren der Beschwerde in Strafsachen nur in gewissen Ausnahmefällen vor (statt vieler: BuGer 1B_311/2015, Urteil vom 18. Mai 2016,

      E. 3.3 ff. [Unterstreichung durch OG]): [ ] Der alleinige Umstand, dass ein Beweismittel,

      dessen Verwertbarkeit der Beschwerdeführer bestreitet, in den Akten bleibt, stellt grundsätzlich keinen Nachteil rechtlicher Natur dar, da der Beschwerdeführer seinen Einwand bis zum Abschluss des Strafverfahrens erneut vorbringen kann. Er kann die Frage der Verwertbarkeit des Beweismittels namentlich dem Sachrichter unterbreiten (Art. 339 Abs. 2 lit. d StPO). Von diesem kann erwartet werden, dass er in der Lage ist, die unzulässigen Beweise von den zulässigen zu unterscheiden und sich bei der Würdigung ausschliesslich auf Letztere zu stützen. Der Betroffene kann das Urteil des Sachrichters in der Folge mit Berufung anfechten (Art. 398 StPO) und die Angelegenheit schliesslich an das Bundesgericht weiterziehen. [ ] Von dieser Regel bestehen jedoch Ausnahmen. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn das Gesetz ausdrücklich die sofortige Rückgabe aus den Akten bzw. Vernichtung rechtswidriger Beweise vorsieht (vgl. z.B. Art. 248, Art. 271 Abs. 3, Art. 277 und Art. 289 Abs. 6 StPO). Ebens o verhält es sich, wenn aufgrund des

      Ges etzes der Umstände des Einzelfalles die Rec htswidrigk eit des Beweismittels ohne W eiteres fes tsteht. Derartige Umstände können nur angenommen werden, wenn der Betroffene ein be-

      sonders gewichtiges rechtlich geschütztes Interesse an der unverzüglichen Feststellung der Unverwertbarkeit des Beweises geltend macht (s.a. BGE 141 IV 289 E. 1.2 f.).

      Die Voraussetzungen der Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht richten sich zwar nach den Vorschriften des BGG und sind nicht mit den Zulässigkeitsvoraussetzungen der StPO-Beschwerde gleichzusetzen. Mithin kann die bundesgerichtliche Rechtsprechung zur Zulässigkeitsbeschränkung nach Art. 93 Abs. 1

      lit. a BGG nicht einfach auf das Verfahren der StPO-Beschwerde übertragen wer-

      den. So ist die StPO-Beschwerde grundsätzlich auch zulässig, wenn der Weiterzug ans Bundesgericht mit Beschwerde in Strafsachen wegen der strengen Voraussetzungen nach Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (vorerst) verschlossen bleiben sollte. Nichtsdestotrotz haben die grundsätzlichen Überlegungen des Bundesgerichts zur institutionellen Aufgabenzuteilung auch für das (kantonale) Beschwerdeverfahren ihre Berechtigung: die Frage der Verwertbarkeit des Beweismittels kann jedenfalls noch dem (erstinstanzlichen) Sachrichter unterbreitet werden (Art. 339

      Abs. 2 lit. d StPO), und dem Sachrichter obliegt grundsätzlich auch die Würdigung

      der im Strafverfahren erhobenen Beweise und damit auch die Beurteilung deren Verwertbarkeit (Art. 339 Abs. 2 lit. d, Art. 343 und Art. 350 Abs. 2 StPO je i.V.m. Art. 3 Abs. 1 JStPO).

    2. An der mit Beschluss vom 2. Dezember 2015 (UH150296) eingeleiteten ohne-Not-Praxis der hiesigen Kammer ist somit auch im vorliegenden Verfahren festzuhalten (ebenso ausdrücklich GUIDON, BSK StPO/JStPO, a.a.O., N 19 a.E. zu Art. 393 StPO m.H.: Es kann deshalb jedenfalls solange kein krasser Fall eines eindeutigen Beweisverwertungsverbotes vorliegt - nicht Aufgabe der Beschwerdeinstanz sein, dem Sachgericht vorzugreifen und auf Beschwerde gem. Art. 393 ff. hin einzelne Beweise von der gerichtlichen Würdigung auszuschliessen.).

III.

1. Nachfolgend ist demzufolge zu prüfen, ob die polizeiliche Einvernahme vom

4. Mai 2016 durch die Kantonspolizei Thurgau eindeutig unverwertbar ist.

    1. a) Zur Begründung der behaupteten Unverwertbarkeit führt der amtliche Verteidiger zusammengefasst das Folgende aus: Es liege eine Unverwertbarkeit im Sinne von Art. 141 Abs. 2 StPO vor. Die polizeiliche Einvernahme vom 4. Mai 2016 durch die Kantonspolizei Thurgau habe ohne vorgängige Informierung bzw. ohne Beisein des amtlichen Verteidigers stattgefunden. Dies, obwohl ein Fall notwendiger Verteidigung aufgrund des vorbestandenen Strafverfahrens (im Kanton Zürich) vorgelegen habe (Urk. 2 S. 3 [Ziff. 7], S. 4/5 [Ziff. 9-11] und S. 5 ff.).

      b) Die gegenteilige Auffassung begründet die Beschwerdegegnerin wie folgt

      (Urk. 7 S. 3 f.): Es treffe zu, dass dem Beschwerdeführer im Rahmen eines zu einem früheren Zeitpunkt eröffneten Strafverfahrens infolge der vorsorglichen Unterbringung ein amtlicher Verteidiger beigegeben worden sei. Dies bedeute aber nicht, dass bei allen späteren polizeilichen Ermittlungsverfahren wegen neu hinzugekommener Deliktsvorwürfe generell eine notwendige Verteidigung bestehen würde. Es sei denn, diese würde sich aus der jeweiligen Tatschwere (der neuen Deliktsvorwürfe) ergeben. Andernfalls könnte die Polizei beschuldigte Personen, die in einem hängigen Jugendstrafverfahren notwendig verteidigt seien, auch bei neuen Bagatelldelikten nicht mehr ohne vorgängige Eröffnung einer Strafuntersuchung unter Beizug einer Verteidigung befragen. Vorliegend habe die Polizei Basel-Landschaft gegen den Beschwerdeführer wegen Hausfriedensbruchs und Sachbeschädigung ermittelt. Das Verfahren habe sich bis zum Zeitpunkt der fraglichen polizeilichen Einvernahme am 4. Mai 2016 noch im polizeilichen Ermittlungsstadium im Sinne von Art. 306 StPO befunden. Es habe sich nicht um eine delegierte Einvernahme im Sinne von Art. 312 StPO gehandelt, sondern um eine polizeiliche Einvernahme im Ermittlungsverfahren im Sinne von Art. 159 StPO. Angesicht der neuen Vorwürfe hätten sich keine Hinweise auf das Vorliegen einer notwendigen Verteidigung ergeben. Im Rahmen einer im Stadium der polizeilichen Ermittlungen durchgeführten Befragung müsse der Beschuldigte lediglich im Sinne von Art. 158 StPO auf die Möglichkeit des Beizugs einer Verteidigung hingewiesen werden. Jedoch liege es nicht in der Pflicht der Polizei, für die Teilnahme einer Verteidigung besorgt zu sein, auch nicht im Falle des Vorliegens einer allfälligen notwendigen Verteidigung.

    2. Vorliegend geht es nicht um die Frage, ob eine Verteidigung aufgrund der Gegenstand der polizeilichen Befragung vom 4. Mai 2016 bildenden Delikte (Hausfriedensbruch etc.) im Sinne von Art. 131 Abs. 3 StPO erkennbar notwendig gewesen wäre. Letzteres verneint die Beschwerdegegnerin und wird auch seitens der amtlichen Verteidigung nicht angezweifelt.

      Der amtliche Verteidiger rügt vielmehr, dass im Zeitpunkt der polizeilichen Einvernahme vom 4. Mai 2016 bereits ein Fall notwendiger Verteidigung aufgrund des im Kanton Zürich hängigen Strafverfahrens bestanden habe und er als bereits dort bestellter amtlicher Verteidiger vorgängig (im Hinblick auf die Wahrung der Verteidigungsrechte des Beschwerdeführers) über die anstehende Befragung im Kanton Thurgau zwecks Ermöglichung der Teilnahme hätte informiert werden müssen (Urk. 2 S. 4 f. [Ziff. 9 ff.]).

    3. a) Die notwendige Verteidigung (Art. 130 f. StPO, Art. 24 JStPO) dauert so lange, wie der Grund für den Verteidigungszwang besteht. Sie muss grundsätzlich bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens bestehen (RUCKSTUHL, BSK StPO/JStPO, a.a.O., N 5 f. zu Art. 130 StPO).

      Der Grund für den Verteidigungszwang fällt selbstredend nicht weg, wenn sich der nämliche Beschuldigte der Verübung weiterer Delikte während eines laufenden Verfahrens verdächtig macht. Vielmehr dürften sie regelmässig negativen Einfluss auf das bereits laufende Strafverfahren haben und damit einhergehend den Grund für den Verteidigungszwang zementieren. Dies selbst dann, wenn es

      wie vorliegend - um relativ geringfügige Delikte geht, die allein für sich betrachtet - (kaum) einen Fall notwendiger Verteidigung zu begründen vermocht hätten (vgl. auch Leitfaden amtliche Mandate, Kanton Zürich, 1. Oktober 2016,

      3. Auflage, S. 13, wonach sich die amtliche Verteidigung auch auf Nebendossiers erstreckt, die vor dem erstinstanzlichen Urteil eröffnet worden sind).

      Im Übrigen ging auch die Beschwerdegegnerin von der Weitergeltung der notwendigen Verteidigung aus: Nach Übernahme der beiden Verfahren von der Jugendanwaltschaft der Kantone Basel-Landschaft und Basel-Stadt (vorstehend

      E. I.1.3/b), eröffnete sie eine neue Strafuntersuchung und teilte die Vorladung für

      die auf den 3. Oktober 2016 anberaumte staatsanwaltschaftliche Einvernahme mit dem Beschwerdeführer als beschuldigte Person in Kopie auch dem (bisherigen) amtlichen Verteidiger mit (Urk. 8/3/6 unten), ohne zuvor bei der Oberjugendanwaltschaft des Kantons Zürich um Beigabe eines neuen amtlichen Verteidigers um Bestätigung der bisherigen amtlichen Verteidigung zu ersuchen.

      Der Umstand, dass die notwendige Verteidigung auch für neu hinzugekommene Deliktsvorwürfe gilt, spricht grundsätzlich dafür, dass die Verteidigung bei Beweiserhebungen im Zusammenhang mit diesen Vorwürfen analog Art. 131 StPO weiterhin sichergestellt werden muss. Hinzu kommt vorliegend, dass die Polizei der Kantone Basel-Land und Thurgau bereits im Zeitpunkt der fraglichen polizeilichen Befragung immerhin über das im Kanton Zürich laufende Strafverfahren informiert war. Sie wusste auch, dass sich der Beschwerdeführer in einer stationären vorsorglichen Massnahme für Jugendliche befand (Urk. 8/1/7 S. 1 und 3,

      Urk. 8/1/1 S. 5 unten).

      1. Allerdings bleibt fraglich, ob aus einer vorbestandenen notwendigen Verteidigung zwingend abgeleitet werden kann, dass die Polizei wegen neu hinzugekommener Delikte generell kein selbstständiges Ermittlungsverfahren im Sinne von Art. 306 StPO mehr durchführen darf. Für eine Zulassung selbstständiger Ermittlungshandlungen spricht vorliegend, dass die Polizei Basel-Landschaft aufgrund einer direkt an sie gerichteten Strafanzeige einer (privaten) Anzeigeperson tätig wurde (vorstehend E. I.1.2). Die Anzeigeerstattung führt in der Regel automatisch zur Eröffnung eines (selbstständigen) Ermittlungsverfahrens (vgl. RHYNER, BSK StPO, a.a.O., N 24 zu Art. 306 StPO). Dabei war die Polizei nach

        Art. 306 Abs. 1 StPO gehalten, den strafrechtlich relevanten Sachverhalt festzustellen, wobei als zulässige Beweiserhebung auch die Einvernahme der tatverdächtigen Person (Art. 306 Abs. 2 lit. b StPO i.V.m. Art. 159 StPO) in Betracht fällt (RHYNER, BSK StPO, a.a.O., N 21 und 34 zu Art. 306 StPO). Wenn die Polizei Basel-Landschaft mit Blick auf die Verifizierung der beanzeigten Sachverhalte und im Hinblick auf ihre Pflicht zur Rapporterstattung an die Staatsanwaltschaft BaselLand (Art. 307 Abs. 3 StPO) zunächst eine polizeiliche Befragung des Beschwerdeführers im Sinne von Art. 159 StPO durchführte bzw. rechtshilfeweise durchführen liess, erscheint dieses Vorgehen nach dem Gesagten zumindest nicht als von vornherein unzulässig.

      2. Erscheint die Durchführung eines selbstständigen polizeilichen Ermittlungsverfahrens und damit einhergehend eine polizeiliche Befragung nach Art. 159 StPO vorliegend nicht als von vornherein unzulässig, kann auch nicht eindeutig auf eine Unverwertbarkeit geschlossen werden: Bei polizeilichen Einvernahmen nach

      Art. 159 StPO hat die beschuldigte Person zwar das Recht, dass ihre Verteidigung anwesend sein und Fragen stellen kann (Abs. 1). Dabei handelt es sich aber (nur) um ein Teilnahmerecht des Verteidigers. Es ist nicht Aufgabe der Polizei, für die Teilnahme eines Verteidigers besorgt zu sein, was nach SCHMID wohl auch in Fällen notwendiger Verteidigung gilt. Mithin fliesst daraus auch keine Pflicht, Einvernahmen nur in Anwesenheit des Verteidigers durchzuführen (SCHMID, Praxiskommentar StPO, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2013, N 1 f. und N 8 zu Art. 159 StPO; GODENZI, Kommentar StPO, 2. Auflage, Zürich u.a. 2014, N 13 zu Art. 159 StPO). Anhaltspunkte dafür, dass die Polizei bewusst eigene Ermittlungen einschaltete, um eine Eröffnung des Strafverfahrens durch die Jugendanwaltschaft hinauszuzögern bzw. um die Verfahrensrechte des Beschwerdeführers zu unterlaufen, sind schliesslich nicht evident. Dies umso weniger, als keine schwere Straftat ein schwerwiegendes Ereignis im Raum stand, das eine unverzügliche Orientierungspflicht der Polizei an die Staatsanwaltschaft ausgelöst hätte

      (Art. 307 Abs.1 StPO).

    4. Das vom Beschwerdeführer monierte polizeiliche Einvernahmeprotokoll hat bei dieser Sachund Rechtslage in den Akten zu bleiben. Der Entscheid, ob dieses beweismässig verwertet werden kann, ist allenfalls erst auf Einsprache gegen einen allfälligen Strafbefehl hin - dem Sachrichter zu überlassen.

3. Dies führt zur Abweisung der Beschwerde.

IV.

Ausgangsgemäss sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 44 JStPO i.V.m. Art. 428 Abs. 1 StPO und Art. 421

Abs. 2 lit. a StPO). Infolge des jugendlichen Alters des Beschwerdeführers ist eine moderate Gerichtsgebühr anzusetzen (Art. 3 Abs. 1 JStPO i.V.m. Art. 425 StPO, Art. 4 Abs. 1 JStPO). Die Entschädigung der amtlichen Verteidigung ist durch die das Verfahren abschliessende Strafbehörde festzusetzen (Art. 25 Abs. 2 JStPO

i.V.m. Art. 135 Abs. 2 StPO).

Es wird beschlossen:

  1. Die Beschwerde wird abgewiesen.

  2. Die Gerichtsgebühr wird auf Fr. 400.festgesetzt und dem Beschwerdeführer auferlegt.

  3. Schriftliche Mitteilung an:

    • Rechtsanwalt lic. iur. X. , zweifach für sich und den Beschwerdeführer (per Gerichtsurkunde)

    • die Jugendanwaltschaft Limmattal/Albis, ad STR/2015/20000224, unter gleichzeitiger Rücksendung der beigezogenen Akten (Urk. 8) (gegen Empfangsbestätigung)

  4. Rechtsmittel:

Gegen diesen Entscheid kann unter den einschränkenden Voraussetzungen von Art. 93 des Bundesgerichtsgesetzes Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang an gerechnet, bei der

Ersten öffentlich-rechtlic he n Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne

14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen

richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Zürich, 1. Februar 2017

Obergericht des Kantons Zürich

III. Strafkammer

Präsident:

lic. iur. Th. Meyer

Gerichtsschreiber:

lic. iur. L. Künzli

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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