Zusammenfassung des Urteils UH160314: Obergericht des Kantons Zürich
Der Beschwerdeführer wurde wegen Urkundenfälschung und Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe und einer Geldstrafe verurteilt. Er erhob Einspruch gegen den Strafbefehl, wurde aber nicht zu einer Einvernahme geladen, da er nicht erschien. Die Staatsanwaltschaft betrachtete den Einspruch als zurückgezogen und erliess eine Verfügung. Der Beschwerdeführer legte Beschwerde ein, argumentierte jedoch, dass er die Vorladung nicht erhalten habe. Das Gericht entschied, dass die Vorladung ordnungsgemäss zugestellt wurde und wies die Beschwerde ab. Die Kosten des Verfahrens wurden ihm erlassen aufgrund seiner finanziellen Situation.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | UH160314 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | III. Strafkammer |
Datum: | 16.11.2016 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Einsprache |
Schlagwörter : | Einsprache; Vorladung; Befehl; Sendung; Empfang; Einvernahme; Person; Zustellung; Staatsanwaltschaft; Zürich-Limmat; Adressat; Beschwerdeverfahren; Verfügung; Sinne; Befehls; Akten; Adressaten; BuGer; Urteil; Bundesgericht; Verfahrens; Rückzug; Meyer; Schweizerischen; Rückzugs; ückgezogen |
Rechtsnorm: | Art. 201 StPO ;Art. 355 StPO ;Art. 390 StPO ;Art. 425 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 85 StPO ; |
Referenz BGE: | 122 I 139; 139 IV 228; 140 IV 82; |
Kommentar: | -, Praxis StPO, Art. 85 StPO, 2013 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
III. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: UH160314-O/U/HEI
Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Th. Meyer, Präsident, und lic. iur. W. Meyer,
Ersatzoberrichter lic. iur. Th. Vesely sowie Gerichtsschreiber lic. iur. L. Künzli
Beschluss vom 16. November 2016
in Sachen
,
Beschwerdeführer
gegen
Beschwerdegegnerin
betreffend Einsprache
Erwägungen:
A. (vorliegend: Beschwerdeführer) wurde von der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (vorliegend: Beschwerdegegnerin) mit Strafbefehl vom 27. Mai 2016 wegen mehrfacher Urkundenfälschung im Sinne von Art. 251 Ziff. 1 StGB und Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19a BetmG mit einer (unbedingten) Freiheitsstrafe von 90 Tagen und einer Busse von Fr. 100.bestraft (Urk. 6/13).
Der Strafbefehl konnte dem Beschwerdeführer unter der Adresse A. ,
[Adresse] per Gerichtsurkunde am 6. Juni 2016 zugestellt werden, wobei die Sendung eine bevollmächtigte Person (B. ) in Empfang genommen hatte (Sendungsinformationen der Schweizerischen Post [Urk. 6/13/Konvolut]).
Gegen den Strafbefehl erhob der Beschwerdeführer persönlich mit Eingabe vom 13. Juni 2016 Einsprache (Urk. 6/14).
Im Rahmen des Einspracheverfahrens lud die Beschwerdegegnerin den Beschwerdeführer am 25. August 2016 als beschuldigte Person zur Einvernahme vom 23. September 2016 vor. Die per Einschreiben versandte Vorladung
(Urk. 6/15) konnte an der vorerwähnten Adresse am 29. August 2016 zugestellt werden (Track & Trace-Auszug der Schweizerischen Post [Urk. 6/16]), wobei die Adresse wie in der Einsprache vermerkt (Urk. 6/14) zusätzlich die Bezeichnung C. enthielt (A. , C. , ... [Adresse]).
Beim C. handelt es sich um die C. [Stiftung], d.h. um eine gemeinnützige Institution für Menschen im und nach dem Strafvollzug und/oder mit sozialpädagogischem Begleitungsbedarf. Die Liegenschaft an der strasse bietet für 15 Betroffene eine Wohngelegenheit an, verteilt auf fünf 3-ZimmerWohnungen. Das Ziel besteht darin, dass die Bewohner ihre persönliche Situation stabilisieren und lernen, sich straffrei und sozial verträglich zu verhalten, selbstständig zu wohnen und sich sinnvoll zu beschäftigen (vgl. http://C. .ch/ ).
Mit Verfügung vom 23. September 2016 trat die Beschwerdegegnerin auf die Einsprache nicht ein und stellte infolge Rückzugs der Einsprache die Rechtskraft des Strafbefehls vom 27. Mai 2016 fest (Urk. 6/17=Urk. 3). Zur Begründung führte sie an, dass der Beschwerdeführer als Einsprache erhebende Person trotz Vorladung unentschuldigt nicht zur anberaumten Einvernahme vom 23. September 2016 erschienen sei. Die Einsprache so die Beschwerdegegnerin unter Hinweis auf Art. 355 Abs. 2 StPO gelte daher als zurückgezogen.
Die per Einschreiben versandte Erledigungsverfügung vom 23. September 2016 konnte dem Beschwerdeführer wiederum an der nämlichen Adresse am 26. September 2016 zugestellt werden (Track & Trace-Auszug der Schweizerischen Post [Sendungsnummer: /Urk. 6/18]).
Gegen die Verfügung vom 23. September 2016 erhob der Beschwerdeführer persönlich mit Eingabe vom 2. Oktober 2016 (Poststempel: 3. Oktober 2016) Beschwerde bei der hiesigen Kammer (Urk. 2). Er beantragt sinngemäss die Aufhebung der angefochtenen Verfügung und die Durchführung eines Einspracheverfahrens bzw. die Neuansetzung eines Einvernahmetermins (a.a.O.).
Die beigezogenen Akten der Beschwerdegegnerin gingen hierorts am 10. Oktober 2016 ein (vgl. Urk. 5). Die Sache ist spruchreif. Da sich die Beschwerde offensichtlich als unbegründet erweist, konnte auf die Einholung einer Beschwerdeantwort der Beschwerdegegnerin verzichtet werden (Art. 390 Abs. 2 StPO).
Der angefochtene Entscheid ist beschwerdefähig (Art. 393 Abs. 1 lit. a StPO). Die Beschwerde erfolgte formund fristgerecht; die weiteren Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass.
5. Der Beschwerdeführer wendet in der Beschwerdeschrift das Folgende ein (Urk. 2): Es sei ihm nicht möglich gewesen, an der Einvernahme teilzunehmen und sich vorher zu entschuldigen. Er sei in den Ferien gewesen und habe die Vorladung nicht entgegen nehmen können. Die schriftliche Vorladung habe er bis heute nicht erhalten. Das Team C. [Adresse] gebe ihm keine Auskunft, wann der eingeschriebene Brief zugestellt worden sei und wer ihn entgegengenommen habe. Die Ferien hätten vom 8. September bis 23. September 2016 gedauert. Er wäre selbstverständlich zur Einvernahme erschienen, wenn er vom Termin Kenntnis gehabt hätte.
a) Für eine rechtsgültige Zustellung einer Sendung ist nicht erforderlich, dass der Adressat sie tatsächlich in Empfang und zur Kenntnis nimmt. Es genügt, wenn die Sendung in seinen Machtbereich gelangt, sodass er sie zur Kenntnis nehmen kann. Als (tatsächlich) zugestellt gilt die Sendung auch, wenn sie einem vom Adressaten zur Entgegennahme der Postsendung ermächtigten Dritten zugegangen ist. Die Beweislast für eine korrekte Zustellung liegt grundsätzlich bei der Behör- de, die daraus rechtliche Konsequenzen ableiten will (BGE 122 I 139 E. 1 m.H.; BuGer 5D_88/2011, Urteil vom 14. September 2011, E. 3; BuGer 2C_82/2011, Urteil vom 28. April 2011, E. 2.3). Die Zustellung von Vorladungen (Art. 201 StPO) hat in der Regel mittels eingeschriebener Sendung zu erfolgen (SCHMID, Praxiskommentar StPO, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2013, N 3 zu Art. 85 StPO).
b) Bleibt die Einsprache erhebende Person trotz Vorladung einer Einvernahme unentschuldigt fern, so gilt die Einsprache als zurückgezogen (Art. 355 Abs. 2 StPO).
Gemäss Bundesgericht kann die gesetzliche Rückzugsfiktion im Sinne der eben zitierten Bestimmung in verfassungskonformer Auslegung nur unter bestimmten Bedingungen zum Tragen kommen. Vorausgesetzt wird, dass die Strafbehörde aus dem unentschuldigten Fernbleiben nach dem Grundsatz von Treu und Glauben (Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO) auf eine Desinteresse (der Einsprache erhebenden Person) am weiteren Gang des Strafverfahrens schliessen kann (BGE 140 IV 82
E. 2.3 ff., insb. E. 2.5 a.E.) bzw. ein konkludenter Rückzug der Einsprache gegen den Strafbefehl darf nur angenommen werden, wenn sich aus dem gesamten Verhalten des Betroffenen der Schluss aufdrängt, er verzichte mit seinem Desinteresse am weiteren Gang des Verfahrens bewusst auf den ihm zustehenden Rechtsschutz (BuGer 6B_152/2013, Urteil vom 27. Mai 2013, E. 4.5.1 und 4.5.4).
a) Belegt ist, dass die Vorladung an der vom Beschwerdeführer angegebenen Adresse am 29. August 2016 in Empfang genommen wurde (vorstehend E. 3.1).
Mithin findet sich in den Akten ein Zustellnachweis dafür, dass die Vorladung zumindest in den Machtbereich des Beschwerdeführers gelangte, wo sie von ihm zur Kenntnis genommen werden konnte. Ein weitergehender Nachweis für eine rechtsgültige Zustellung ist nicht erforderlich. Die Beschwerdegegnerin durfte daher gestützt auf die ihr vorgelegenen Akten die Vorladung als zur Kenntnis des Adressaten bzw. des Beschwerdeführers gelangt betrachten.
Die Vorladung wurde von der Post nicht retourniert. Die Beschwerdegegnerin hatte folglich keinen Grund zur Annahme, dass der Beschwerdeführer nicht informiert gewesen sein könnte. Auch anderweitig ergaben sich aus Sicht der Beschwerdegegnerin keine Hinweise, dass dem Beschwerdeführer behördliche Sendungen an der kommunizierten Adresse nicht ordnungsgemäss zugestellt werden könnten. Der Umstand allein, dass der (vorbestrafte) Beschwerdeführer in einer gemeinnützigen Institution wie dem C. wohnt, vermochte jedenfalls keine dahingehenden Zweifel zu wecken. Wie gezeigt konnte bereits der Strafbefehl an der nämlichen Adresse ohne Probleme zugestellt werden (vorstehend E. 1). Das Gleiche gilt übrigens auch für die Erledigungsverfügung der Beschwerdegegnerin vom 23. September 2016 (vorstehend E. 3.2).
Auch behauptet der Beschwerdeführer mit keinem Wort, dass die Zustellung an eine nicht zur Entgegennahme der Sendung berechtigte Person erfolgt sei. Sein erst im Beschwerdeverfahren erhobener (und sinngemäss verstandener) Einwand, ein Mitarbeiter des C. habe die in Empfang genommene Vorladung nicht an ihn (den Beschwerdeführer) weitergeleitet, betrifft dagegen eine ausschliesslich C. -interne Angelegenheit. Es hätte am Beschwerdeführer gelegen, die Weiterleitung einer Postendung mit dem C. so zu regeln, dass sie dem Adressaten bzw. ihm auch tatsächlich zur Kenntnis gelangt. Insofern vermag er nichts zu seinen Gunsten abzuleiten. Das Gleiche gilt für die erst im Beschwerdeverfahren geltend gemachte Ferienabwesenheit: mit Erhalt des Strafbefehls bestand zur Beschwerdegegnerin ein sogenanntes Prozessrechtsverhältnis, nachdem der Beschwerdeführer selbst dagegen Einsprache erhoben hatte. Dieses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten, d.h. unter anderem dafür zu sorgen, dass Entscheide, die das Verfahren betreffen,
grundsätzlich zugestellt werden können. Sowohl die Zustellpflicht der Behörde als auch die Empfangspflicht des Adressaten sind Pflichten prozessualer Natur. Von einem Betroffenen kann daher etwa verlangt werden, dass er allenfalls längere Ortsabwesenheiten der Behörde mitteilt (BGE 139 IV 228 E. 1.1 m.H.; BuGer 6B_704/2015, Urteil vom 16. Februar 2016, E. 2.3 m.H.).
b) Sodann fällt in Betracht, dass der Beschwerdeführer bereits mit der Zustellung des Strafbefehls am 6. Juni 2016 im Sinne eines integrierenden Bestandteils des Strafbefehls (S. 5) ein Beiblatt mit Erläuterungen erhalten hatte (vgl. Urk. 6/13 [Konvolut]). Darin wurden die einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen über den Strafbefehl und das Einspracheverfahren auch für einen juristischen Laien verständlich erläutert. Unter Ziffer 4 heisst es u.a. (Hervorhebung im Original): Im Falle einer Einsprache nimmt die Staatsanwaltschaft die zur Beurteilung der Einsprache notwendigen Beweise ab. Es ist daher jederzeit mit einer Vorladung zu einer Einvernahme zu rechnen. Bleibt eine Einsprache erhebende Person trotz Vorladung einer Einvernahme unentschuldigt fern,
so gilt ihre Einsprache als zurückgezogen und der Strafbefehl ist rechtskräftig.
Der Beschwerdeführer war somit über seine Pflicht zur Erreichbarkeit und die Folgen eines unentschuldigten Fernbleibens im Kontext mit der Einsprache gegen einen Strafbefehl in klarer und adressatengerechter Weise belehrt worden. Wenn er sich in der Folge nicht hinreichend um die tatsächliche Kenntnisnahme weiterer Zustellungen kümmerte, hat er die angedrohten gesetzlichen Säumnisfolgen zu tragen und greift somit die entsprechende Rückzugsfiktion.
7. Der Beschwerdeführer hätte ausgangsgemäss die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen (Art. 428 Abs. 1 StPO). Von einer Kostenauflage ist jedoch aufgrund seiner schwierigen finanziellen Situation sowie seiner übrigen Lebensumstände ausnahmsweise abzusehen (Art. 425 StPO; Urk. 6/6 S. 4; DOMEISEN, BSK StPO, 2. Auflage, Basel 2014, N 2ff. zu Art. 425 StPO, insb. N 3). Einen Anspruch auf Entschädigung für das Beschwerdeverfahren hat er als unterliegende Partei jedoch nicht.
Es wird beschlossen:
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Für das Beschwerdeverfahren werden keine Kosten erhoben und keine Entschädigungen ausgerichtet.
Schriftliche Mitteilung an:
den Beschwerdeführer (per Gerichtsurkunde)
die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, ad AAST3/2016/10008213 (gegen Empfangsbestätigung)
sowie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Erledigung allfälliger Rechtsmittel an:
die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, ad AAST3/2016/10008213 (unter Rücksendung der beigezogenen Akten [Urk. 6], gegen Empfangsbestätigung)
Rechtsmittel:
Gegen diesen Entscheid kann Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang an gerechnet, bei der
Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichts.
Zürich, 16. November 2016
Obergericht des Kantons Zürich
III. Strafkammer
Präsident:
lic. iur. Th. Meyer
Gerichtsschreiber:
lic. iur. L. Künzli
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