Zusammenfassung des Urteils UE190331: Obergericht des Kantons Zürich
In dem vorliegenden Fall geht es um einen Jagdanwärter, der fälschlicherweise eine Rehgeiss erlegt hat und sich daraufhin selbst angezeigt hat. Das Statthalteramt des Bezirks Affoltern hat jedoch beschlossen, keine Untersuchung durchzuführen. Der Kanton Zürich hat dagegen Beschwerde eingelegt, da nach kantonalem Recht die Jagdzeit für Rehgeissen eingeschränkt ist. Das Obergericht des Kantons Zürich hat entschieden, dass der Jagdanwärter gegen das Jagdgesetz verstossen hat, aber aufgrund seiner Reue und Bemühungen um Wiedergutmachung von einer Strafverfolgung abgesehen werden soll. Die Beschwerde wurde abgewiesen, und die Kosten des Verfahrens werden der Gerichtskasse auferlegt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | UE190331 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | III. Strafkammer |
Datum: | 06.12.2019 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Nichtanhandnahme |
Schlagwörter : | Beschwerdegegner; Statthalteramt; Nichtanhandnahme; Recht; Kanton; Rehgeiss; Übertretung; Rehkitze; Verfolgung; Kantons; Gesetzes; Verfahren; Bezirk; Affoltern; Schmalreh; Gesäuge; Verfahrens; Vogelschutz; Recht; Anzeige; Gericht; Voraussetzung; Nichtanhandnahmeverfügung; Fischerei; Busse; Abschuss; Rehgeissen |
Rechtsnorm: | Art. 105 StGB ;Art. 309 StPO ;Art. 357 StPO ;Art. 42 StGB ;Art. 423 StPO ;Art. 53 StGB ;Art. 53 StPO ;Art. 8 StPO ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
III. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: UE190331-O/U/PFE
Verfügung vom 6. Dezember 2019
in Sachen
Beschwerdeführer
gegen
Beschwerdegegner
betreffend Nichtanhandnahme
Erwägungen:
1.
Am 12. Juni 2019 erlegte A. (nachfolgend: Beschwerdegegner 1), Jagdanwärter des Jagdreviers Nr. , B. , eine Rehgeiss. Er erstattete am
13. Juni 2019 Selbstanzeige bei der Fischereiund Jagdverwaltung des Kantons Zürich. Er sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass es sich beim erlegten Tier um ein Schmalreh gehandelt habe. Das Gesäuge habe er erst bemerkt, als er sich dem toten Tier genähert habe (Urk. 7/2 S. 2).
Die Fischereiund Jagverwaltung brachte die Tat der Kantonspolizei Zürich zur Anzeige und bat um strafrechtliche Abklärung (Urk. 7/2 S. 1). Nachdem durch die Fischereiund Jagdverwaltung vor Ort ein Augenschein genommen und vom ganzen Rehkörper ein Foto erstellt (Urk. 7/3), das Gesäuge sichergestellt und untersucht (Urk. 7/4) und der Beschwerdegegner 1 am 20. Juni 2019 telefonisch zur Sache befragt worden war (Urk. 7/1 S. 2), rapportierte die Kantonspolizei Zürich am 25. Juni 2019 zuhanden des Statthalteramts des Bezirks Affoltern (Urk. 7/1). Das Statthalteramt verfügte am 10. Oktober 2019, dass eine Untersuchung nicht an Hand genommen werde (Urk. 3 = Urk. 7/6).
Dagegen erhob der Kanton Zürich, Amt für Landschaft und Natur, (nachfolgend: Beschwerdeführer) gestützt auf § 66 Abs. 1-3 der Verordnung über die Organisation des Regierungsrates und der kantonalen Verwaltung (VOG RR; LS 172.11) i. V. m. § 57 der kantonalen Jagverordnung (JV; LS 922.11) und § 154 des Gesetzes über die Gerichtsund Behördenorganisation im Zivilund Strafprozess (GOG; LS 211.1) am 23. Oktober 2019 fristgerecht Beschwerde. Dies mit dem Antrag, es sei die Nichtanhandnahmeverfügung aufzuheben und der Beschwerdegegner 1 mit Busse zu bestrafen, eventualiter die Sache zur Neubeurteilung an das Statthalteramt zurückzuweisen (Urk. 2).
Die Beschwerdeschrift wurde dem Beschwerdegegner 1 zur freigestellten Stellungnahme und dem Statthalteramt zur Stellungnahme übermittelt
(Urk. 5). Das Statthalteramt verzichtete am 5. November 2019 auf eine Stellungnahme (Urk. 6) und reichte die Akten ein (Urk. 7). Der Beschwerdegegner 1 liess sich nicht vernehmen (Urk. 9). Damit erweist sich das Verfahren als spruchreif.
2. Angefochten ist eine Nichtanhandnahmeverfügung des Statthalteramts. Dagegen ist die Beschwerde beim Obergericht zulässig (Art. 393 Abs. 1 lit. a i. V. m. Art. 357 Abs. 1 und 2 StPO und § 49 GOG). Da ausschliesslich eine Übertretung Gegenstand des Verfahrens bildet, ist die Verfahrensleitung zur Beurteilung der Beschwerde zuständig (Art. 396 lit. a StPO).
3.
Der Beschwerdegegner 1 führte in seiner Selbstanzeige aus, er habe das Reh beim Fressen auf einer Wiese beobachtet und dabei ständig die von ihm mitgeführte Schmalreh Checkliste konsultiert. Nach ca. 20 Minuten Beobachtungszeit sei er überzeugt gewesen, dass es sich beim Tier um ein Schmalreh gehandelt habe. Mit einem Blattschuss habe er es erlegt. Dabei habe er insofern einen groben Fehler gemacht, als er nicht überprüft habe, ob ein Gesäuge vorhanden gewesen sei (Urk. 7/2 S. 2). Von der Kantonspolizei telefonisch befragt sagte er sinngemäss aus, dass es sein erster Abschuss gewesen sei. Von seiner Jagdgesellschaft sei ihm auferlegt worden, ein Schmalreh zu erlegen. Erst danach hätte er einen Rehbock schiessen dürfen. Die Witterungsund Sichtbedingungen seien an besagtem Abend sehr gut gewesen. Daher sei er möglicherweise unter Druck gestanden. Er sehe aber ganz klar ein, dass er einen Fehler gemacht habe. Von hinten habe er das Tier nie gesehen. Weder habe er ein Gesäuge ausmachen, noch Rehkitze beobachten können. Jedoch habe er festgestellt, dass der Haarwechsel noch nicht vollendet gewesen sei (der verzögerte Haarwechsel ist auf den höheren Energiebedarf während der Trächtigkeit und der darauffolgenden Milchproduktion zurückzuführen; Urk. 7/1 S. 3). Aufgrund der übrigen Beobachtungen (kleines Tier, eher dünner Träger, schmales Haupt) sei er aber dennoch zur Überzeugung gelangt, dass er ein Schmalreh angesprochen habe. Nach dem Abschuss und in den Folgetagen hätten er und weitere Pächter seiner Jagdgesellschaft die Umgebung mehrfach, jedoch erfolglos nach Rehkitzen abgesucht (Urk. 7/1 S. 2).
In der angefochtenen Verfügung führte das Statthalteramt aus, § 27 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über Jagd und Vogelschutz (LS 922.1) bestimme ausdrücklich, dass Muttertiere lediglich dann geschützt seien, wenn sie Rehkitze begleiteten. Das sei vorliegend nicht der Fall gewesen, denn ausser der führenden Rehgeiss sei offenbar nur ein Rehbock in der Nähe gewesen (vgl. Urk. 7/2 S. 2). Gemäss § 19 a JV gälten in Ergänzung zu § 27 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über Jagd und Vogelschutz weitere Tierarten als geschützt, nämlich Haubentaucher und Blässhühner sowie laktierende, führende Muttertiere von Frischlingen. Für Rehgeissen, welche zwar führend, aber ohne Rehkitze unterwegs seien, gelte dieser Schutz nicht. Somit habe sich der Beschwerdegegner 1 nicht strafbar gemacht (Urk. 3 = Urk. 7/6).
Der Beschwerdeführer entgegnete diesen Ausführungen, dass das kantonale Recht in § 19 Abs. 1 JV i. V. m. Art. 5 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel für Rehgeissen und Rehkitze vom 1. September bis 31. Dezember eine gegenüber dem Bundesrecht eingeschränkte Jagdzeit festgelegt habe. Rehgeissen seien damit in der Zeit vom
1. Januar bis 31. August geschützt, unabhängig von der Muttertierregelung in
§ 27 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über Jagd und Vogelschutz. Wenn an einem
13. (recte: 12.) Juni in einem Zürcher Jagdrevier eine Rehgeiss erlegt werde, handle es sich somit in jedem Fall um einen Fehlabschuss eines jagdbaren Tiers in der Schonzeit und um eine Übertretung gegen kantonales Recht (Urk. 2).
4.
Nach Art. 309 Abs. 1 lit. a i. V. m. Art. 357 Abs. 1 und 2 StPO eröffnet die Übertretungsstrafbehörde eine Untersuchung, wenn sich aus der Strafanzeige ein hinreichender Tatverdacht ergibt. Sie verzichtet auf die Eröffnung, wenn sie sofort eine Nichtanhandnahmeverfügung einen Strafbefehl erlässt (Art. 309 Abs. 4 StPO). Gemäss Art. 310 Abs. 1 i. V. m. Art. 357 Abs. 1 und 2 StPO verfügt die Übertretungsstrafbehörde die Nichtanhandnahme, sobald aufgrund der Strafanzeige feststeht, dass die fraglichen Straftatbestände die Prozessvoraussetzungen eindeutig nicht erfüllt sind (lit. a), Verfahrenshindernisse bestehen
(lit. b) aus den in Art. 8 StPO genannten Gründen auf eine Strafverfolgung zu verzichten ist (lit. c).
Die rechtlichen Ausführungen des Beschwerdeführers sind zutreffend. Der vom Statthalteramt angeführte § 19 a JV kommt - da es sich bei der erlegten Rehgeiss weder um einen Haubentaucher, noch um ein Blässhuhn ein Wildschwein handelte - nicht zur Anwendung und die Frage, ob das tierische Opfer Rehkitze begleitet hatte (und damit auch nach § 27 Abs. 1 lit. b des Gesetzes über Jagd und Vogelschutz geschützt gewesen wäre) nicht, kann angesichts des Abschusses am 12. Juni 2019 offen bleiben. Für Rehgeissen gilt nämlich unabhängig davon, ob sie Muttertiere sind, eine Schonzeit vom 1. Januar bis
31. August (§ 19 Abs. 1 JV i. V. m. Art. 5 Abs. 4 des Bundesgesetzes über die Jagd und den Schutz wildlebender Säugetiere und Vögel).
Der Beschwerdegegner 1 hat sich deshalb, losgelöst vom offenbar unterlassenen Blick zwischen die Hinterläufe und damit auf das Gesäuge des Tiers, einer Übertretung gemäss § 56 Abs. 1 des Gesetzes über Jagd und Vogelschutz schuldig gemacht. Damit ist die Nichtanhandnahme gestützt auf Art. 310 Abs. 1 lit. a i. V. m. Art. 357 Abs. 1 und 2 StPO zu Unrecht erfolgt.
Von der Strafverfolgung wird gemäss Art. 8 Abs. 1 StPO jedoch abgesehen, wenn das Bundesrecht es vorsieht, namentlich unter den Voraussetzungen der Art. 52-54 StGB. Hat der Täter alle zumutbaren Anstrengungen unternommen, um das von ihm bewirkte Unrecht auszugleichen, so sieht die zuständige Behörde gemäss Art. 53 StGB von einer Strafverfolgung, einer Überweisung an das Gericht einer Bestrafung ab, wenn die Voraussetzungen für die bedingte Strafe erfüllt (lit. a) und das Interesse der Öffentlichkeit und des Geschädigten an der Strafverfolgung gering sind (lit. b). Übertretungen (wie die vorliegende) werden mit Busse bestraft und können nicht bedingt ausgesprochen werden (Art. 103 und Art. 105 Abs. 1 StGB). Die Materialien geben jedoch keinen Hinweis darauf, dass man Übertretungen von der Wiedergutmachung ausnehmen wollte. Art. 53 StGB muss bei Bussen erst recht gelten. Art. 53 lit. a StGB ist demnach so zu verstehen, dass auch bei Übertretungen eine Wiedergutmachung in Frage kommt, wenn trotz der unbedingten Busse eine ungünstige Prognose im
Sinne von Art. 42 StGB fehlt (RIKLIN, in: Basler Kommentar, Strafrecht, 4. Aufl. 2019, N. 26 zu Art. 53 StGB).
Der Beschwerdegegner 1 sieht das Unrecht seiner Tat ein. Er hat sofort den Obmann seiner Jagdgesellschaft und am Folgetag die Fischereiund Jagdverwaltung über den Vorfall in Kenntnis gesetzt und Selbstanzeige erstattet sowie in den Tagen nach dem Abschuss die Umgebung nach Rehkitzen abgesucht (Urk. 7/1
S. 2). Insbesondere Letzteres kann im vorliegenden Fall als hinreichende Wiedergutmachungsbemühung qualifiziert werden. Deshalb und angesichts der aufrichtigen Reue des Beschwerdegegners 1 (vgl. Art. 48 lit. d StGB) ist zudem das öffentliche Interesse an der Strafverfolgung als gering zu erachten, womit die Voraussetzung von Art. 53 lit. b StGB erfüllt ist.
Aufgrund der vorliegenden Akten liegen sodann keine Hinweise für eine ungünstige Prognose hinsichtlich Rückfallgefahr vor. Einschlägige Vorstrafen bzw. gleichoder ähnlich gelagerte Fälle, in welche der Beschwerdegegner 1 involviert war, sind keine bekannt. Dies erstaunt angesichts des Umstands, dass es sich bei diesem um einen Jungjäger handelt, nicht. Auch die Voraussetzung von Art. 53
lit. a StGB ist erfüllt.
Art. 53 StGB kann in jedem Verfahrensstadium berücksichtigt werden. Verfahrensrechtlich ist es indes bedeutend, in welchem Stadium das Unrecht ausgeglichen wird. Geschieht dies vor der Eröffnung des Strafverfahrens, kann die Strafverfolgungsbehörde von einer Strafverfolgung absehen, d. h. eine Nichtanhandnahme verfügen (RIKLIN, a. a. O., N. 46 zu Art. 53 StPO; vgl. auch Art. 310 Abs. 1 lit. c StPO).
Da nach dem Gesagten zwar ein Straftatbestand erfüllt ist, jedoch auch die Voraussetzungen von Art. 53 StGB gegeben sind, ist die vom Statthalteramt verfügte Nichtanhandnahme in Anbetracht des den Strafbehörden zustehenden Ermessens in solchen Fällen im Ergebnis nicht zu beanstanden (Art. 310 Abs. 1 lit. c i. V. m. Art. 357 Abs. 1 und 2 StPO). Entsprechend ist die Beschwerde abzuweisen.
5. Ausgangsgemäss sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 428 Abs. 1 i. V. m. Art. 423 Abs. 1 StPO). Mangels wesentlicher Umtriebe ist dem Beschwerdegegner 1 er liess sich nicht vernehmen keine Entschädigung zuzusprechen.
Es wird verfügt:
(Oberrichter lic. iur. A. Flury)
Die Beschwerde wird abgewiesen.
Die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren fällt ausser Ansatz.
Es werden keine Entschädigungen zugesprochen.
Schriftliche Mitteilung an:
den Beschwerdeführer (gegen Empfangsbestätigung)
den Beschwerdegegner 1 (per Gerichtsurkunde)
das Statthalteramt Bezirk Affoltern, ad ST.2019.1292 (gegen Empfangsbestätigung)
sowie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. nach Erledigung allfälliger Rechtsmittel an:
das Statthalteramt Bezirk Affoltern, ad ST.2019.1292, unter Rücksendung der beigezogenen Akten (Urk. 7; gegen Empfangsbestätigung)
Rechtsmittel:
Gegen diesen Entscheid kann Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Zürich, 6. Dezember 2019
Obergericht des Kantons Zürich
III. Strafkammer
Präsident:
lic. iur. A. Flury
Gerichtsschreiber:
MLaw N. Baudacci
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