Kanton: | ZH |
Fallnummer: | UE170363 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | III. Strafkammer |
Datum: | 31.05.2018 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Nichtanhandnahme |
Zusammenfassung : | Die Schweizerische Eidgenossenschaft hat Beschwerde gegen die Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen A. bei der Staatsanwaltschaft See/Oberland eingereicht. A. wurde des mehrfachen Vergehens gegen das Zivildienstgesetz schuldig gesprochen. Die Staatsanwaltschaft hatte die Strafuntersuchung nicht an die Hand genommen, worauf die Eidgenossenschaft Beschwerde einreichte. Das Obergericht des Kantons Zürich hat die Beschwerde gutgeheissen und die Nichtanhandnahmeverfügung aufgehoben. Die Gerichtskosten wurden auf CHF 1'000.- festgesetzt. |
Schlagwörter : | Staatsanwaltschaft; Beschwerdegegner; Zivildienst; Nichtanhandnahme; Bundes; Verfügung; Oberland; Gericht; See/Oberland; Verfolgung; Nichtanhandnahmeverfügung; Untersuchung; Aufgebot; Empfang; Kantons; Eidgenossenschaft; Sinne; Vollzugsstelle; Fälle; Interesse; Verfahren; Oberrichter; Schweizerische; Anzeige; Bundesgesetz; Ersatzdienst; Zivildienstversäumnis; Aufgebote; Tagessätzen |
Rechtsnorm: | Art. 390 StPO ; Art. 421 StPO ; Art. 49 StGB ; Art. 59 BV ; Art. 8 StPO ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | Donatsch, Hans, Hansjakob, Lieber, Wohlers, Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung, Art. 8 OR, 2014 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
Strafkammer
Geschäfts-Nr.: UE170363-O/U/HEI
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Th. Meyer, Präsident, Oberrichterin lic. iur.
Meier und Oberrichter lic. iur. A. Flury sowie Gerichtsschreiber lic. iur. T. Böhlen
Beschluss vom 31. Mai 2018
in Sachen
Beschwerdeführerin
gegen
Beschwerdegegner
betreffend Nichtanhandnahme
Erwägungen:
Bereits am 4. Mai 2017 hatte die Schweizerische Eidgenossenschaft (nachfolgend: Beschwerdeführerin) Strafanzeige gegen A. (nachfolgend: Beschwerdegegner) erhoben (vgl. Urk. 3/1 S. 1 = Urk. 6/1). In der Folge sprach die Staatsanwaltschaft See/Oberland (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) den Beschwerdegegner mit Strafbefehl vom 20. September 2017 des mehrfachen Vergehens gegen das Bundesgesetz über den zivilen Ersatzdienst (Zivildienstgesetz; ZDG, SR 824.0) im Sinne von Art. 73 Abs. 1 ZDG (Zivildienstversäumnis) schuldig, da dieser trotz Kenntnis der entsprechenden Aufgebote am 19. April 2017 nicht zu einem Vorstellungsgespräch und am 28. April 2017 nicht zum Einführungskurs eingerückt war. Sie bestrafte den Beschwerdegegner mit einer Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je CHF 110.- und widerrief die zuvor mit Strafbefehl vom 24. Februar 2017 bedingt ausgesprochene Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je CHF 130.- (vgl. Urk. 6/3).
Die Beschwerdeführerin erstattete am 20. September 2017 erneut Strafanzeige gegen den Beschwerdegegner wegen Zivildienstversäumnisses, eventualiter Zivildienstverweigerung im Sinne von Art. 72-74 ZDG, da dieser nicht wie aufgeboten zur Vorsprache am 12. September 2017 im Regionalzentrum erschienen sei (Urk. 6/1 = Urk. 3/1).
Mit Verfügung vom 22. November 2017 nahm die Staatsanwaltschaft eine Strafuntersuchung nicht an die Hand (Urk. 3/2 = Urk. 6/4). Dagegen erhob die Beschwerdeführerin fristgerecht Beschwerde und stellte die folgenden Anträge (Urk. 2 S. 1):
1. Die Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft See/ Oberland des Kantons Zürich vom 22. November 2017 sei aufzuheben;
2. Die Sache sei zur Neubeurteilung an die Staatsanwaltschaft See/Oberland des Kantons Zürich zurückzuweisen.
Dem Beschwerdegegner und der Staatsanwaltschaft wurde mit Verfügung vom 12. Dezember 2017 Frist angesetzt, um zur Beschwerde Stellung zu nehmen (Urk. 5). Die Staatsanwaltschaft liess sich mit Eingabe vom 18. Dezember 2017 vernehmen, reichte die Akten ein und stellte den folgenden Antrag (Urk. 6-7 bzw. Urk. 7 S. 1):
Die von der Schweizerischen Eidgenossenschaft, vertreten durch die Vollzugsstelle für den Zivildienst ZIVI, [Adresse], gegen die hiesige Nichtanhandnahmeverfügung vom 22. November 2017 eingereichte Beschwerde sei kostenpflichtig abzuweisen.
Der Beschwerdegegner holte die per Einschreiben versandte Verfügung vom
12. Dezember 2017 trotz der von ihm verlängerten Abholfrist bei der Post nicht ab (vgl. Urk. 9-11). Mit Verfügung vom 29. Januar 2018 wurde das Beschwerdeverfahren in Anwendung von Art. 390 Abs. 2 StPO fortgesetzt und dem Beschwerdegegner die Beschwerdeschrift (Urk. 2) sowie die Verfügung vom 12. Dezember 2017 (Urk. 5) zur Kenntnisnahme erneut zugestellt. Zugleich wurde der Beschwerdeführerin Frist angesetzt, um sich zur Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vernehmen zu lassen (Urk. 12). Die Beschwerdeführerin replizierte mit Eingabe vom 7. Februar 2018 (Urk. 13), worauf deren Replik mit Verfügung vom
12. Februar 2018 dem Beschwerdegegner und der Staatsanwaltschaft zur Duplik übermittelt wurde (Urk. 15). Die eingeschriebene Sendung wurde vom Beschwerdegegner trotz der von ihm erneut verlängerten Abholfrist wiederum nicht abgeholt. Deshalb wurde ihm die Sendung anschliessend per A-Post gegen Empfangsschein zugestellt, wobei er den Empfangsschein nicht retournierte (vgl.
Urk 16). Die Staatsanwaltschaft liess sich nicht mehr vernehmen (vgl. Urk. 17).
5. Infolge Neukonstituierung der Kammer erfolgt der vorliegende Entscheid nicht in der den Parteien angekündigten Besetzung.
Die Strafverfolgung im Bereich der Zivildienstpflicht erfolgt auf Anzeige der Vollzugsstelle und obliegt den Kantonen (Art. 78 Abs. 2 ZDG). Gegen Nichtanhandnahmeund Einstellungsverfügungen kann die Vollzugsstelle Beschwerde
erheben (Art. 78a Abs. 2 ZDG). Die Beschwerdeführerin ist folglich zur Erhebung der Beschwerde legitimiert. Die weiteren Eintretensvoraussetzungen (Art. 393 ff. StPO) geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.
Als Vorbemerkung sei erwähnt, dass die Staatsanwaltschaft in der Nichtanhandnahmeverfügung die Bestimmungen von Art. 8 Abs. 2 lit. a bzw. b StPO betreffend Verzicht auf Strafverfolgung vermischt hat, wie die Beschwerdeführerin zutreffend ausführte (vgl. Urk. 2 S. 3). Der Staatsanwaltschaft ist jedoch insofern zuzustimmen, als aus der Verfügung gerade noch hervorgeht, dass sie ihren Entscheid aus dem Opportunitätsgrund im Sinne von Art. 8 Abs. 2 lit. b StPO herleiten will (vgl. Urk. 7 S. 2). Bei dieser Bestimmung geht es um Fälle der retrospektiven Konkurrenz gemäss Art. 49 Abs. 2 StGB, d.h. um die Situation, in welcher das Gericht bzw. die Staatsanwaltschaft eine Tat zu beurteilen hat, die der Täter begangen hat, bevor er wegen einer andern Tat verurteilt worden ist (vgl. Fiolka/Riedo, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO,
Aufl., Basel 2014, Art. 8 N 72). Eine solche Konstellation ist vorliegend gegeben, wie die Beschwerdeführerin ebenfalls richtig geltend macht (vgl. Urk. 2 S. 3).
Gemäss Art. 310 Abs. 1 lit. c StPO i.V.m. Art. 8 Abs. 2 lit. b StPO ist eine Strafuntersuchung nicht an die Hand zu nehmen und auf eine Strafverfolgung zu verzichten, wenn eine voraussichtlich nicht ins Gewicht fallende Zusatzstrafe zu einer rechtskräftig ausgefällten Strafe auszusprechen wäre. Ein Verzicht auf Strafverfolgung in den Fällen von Art. 8 Abs. 2 StPO ist jedoch nur zulässig, wenn nicht überwiegende Interessen der Privatklägerschaft entgegenstehen. Als Interesse der Privatklägerschaft ist etwa jenes an der Behandlung ihrer Zivilansprüche in besonders gewichtigen Fällen ihres Strafanspruchs zu betrachten. Die Botschaft zur Vereinheitlichung des Strafprozessrechts vom 21. Dezember 2005 nennt als Beispiel Verstösse gegen das Bundesgesetz gegen den unlauteren Wettbewerb (UWG; SR 241.0) aufgrund eines Strafantrags des Bundes (vgl. BBl 2006 1131). Dem Unternehmensund Konsumentenschutz soll im Falle der Gefährdung kollektiver Interessen konsequent Nachachtung verschafft werden, wofür das UWG dem Bund im Strafverfahren die Rechte eines Privatklägers einräumt (Art. 23 Abs. 3 UWG; vgl. auch Botschaft zur Änderung des Bundesgesetzes gegen den unlauteren Wettbewerb vom 2. September 2009; BBl 2009 6165 f.).
Solch schützenswerte kollektive Interessen insbesondere an der Feststellung der Strafbarkeit an sich sind zweifellos auch hinsichtlich der Militär- und Ersatzdienstpflicht gegeben, welcher Verfassungsrang zukommt (Art. 59 BV). Dementsprechend verfügt das Militär gemäss Art. 218 ff. MStG (Militärstrafgesetz;
SR 321.0) über eine eigene Gerichtsbarkeit bei militärischen Delikten und es werden der Eidgenossenschaft im Bereich des zivilen Ersatzdienstes bei der strafrechtlichen Ahndung von Pflichtverletzungen Parteirechte zugesprochen. Eine Anwendung des Opportunitätsprinzips bzw. das Absehen von einer Strafverfolgung im vorliegenden Fall, in welchem es um Verstösse gegen die Zivildienstpflicht geht, kommt bereits aus diesem Grund nicht in Betracht.
Zudem ist zu beachten, dass die in Art. 8 Abs. 2 StPO genannten Opportunitätsgründe überwiegend der Verfahrensökonomie dienen und nicht der Verhältnismässigkeit des Urteils. Ein Absehen von Strafverfolgung birgt in diesen Fällen kein Werturteil über die Angemessenheit der Sanktion in sich, sondern ergibt sich daraus, dass das Verfahren mit unverhältnismässigem Aufwand verbunden wäre zu einer Verfahrenshäufung führen würde (vgl. Fiolka/Riedo, a.a.O., Art. 8
N 61; Wohlers, in: Donatsch/Hansjakob/Lieber [Hrsg.], Kommentar zur schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Aufl., Zürich/Basel/Genf 2014, Art. 8 N 19).
Vorliegend geht es einzig um die Frage, ob der Beschwerdegegner sich erneut des Zivildienstversäumnisses gar der Zivildienstverweigerung schuldig gemacht hat, indem er trotz Aufgebot am 12. September 2017 nicht zur Vorsprache im Regionalzentrum erschienen ist. Die Beschwerdeführerin hat dabei in ihrer Strafanzeige vom 20. September 2017 den gemäss ihrer Ansicht vorliegenden und übersichtlichen Sachverhalt ausführlich geschildert und elf Beilagen eingereicht, mit welchen sie die entsprechende Korrespondenz mit dem Beschwerdegegner aufzeigt (vgl. Urk. 6/1 und Urk. 6/2/1-11). Es ist daher weder in sachverhaltsmässiger noch in rechtlicher Hinsicht mit Schwierigkeiten zu rechnen und somit nicht ersichtlich, inwiefern eine weitere Strafuntersuchung unter diesen Umständen mit unverhältnismässigem Aufwand verbunden sein zu einer Verfahrenshäufung führen könnte.
Im Übrigen überzeugt auch die Begründung der Staatsanwaltschaft nicht. Der Beschwerdegegner wurde verurteilt, weil er zwei Aufgeboten zu einem Vorstellungsgespräch und zum Einführungskurs nicht Folge geleistet hat (Urk. 6/3
S. 2). Wie die Beschwerdegegnerin zutreffend geltend macht (vgl. Urk. 2 S. 3 f. und Urk. 13 S. 2), weisen diese Versäumnisse des Beschwerdegegners betreffend Art und Schwere eine grosse Ähnlichkeit zur vorliegend beanzeigten Pflichtverletzung (Nichtbefolgen des Aufgebots zur Vorsprache im Regionalzentrum) auf. Unter diesen Umständen ist es nicht nachvollziehbar, weshalb eine entsprechende Zusatzstrafe nicht allzu hoch ausgefallen bzw. ins Gewicht gefallen wäre und der Fallbearbeiter bei derselben Strafhöhe von gegen 60 Tagessätzen verblieben wäre, wenn er gleichzeitig alle drei Vorfälle zu beurteilen gehabt hätte (vgl. Urk. 7 S. 2). Dies gilt umso mehr, als der Beschwerdegegner gemäss der Darstellung der Beschwerdeführerin bisher sämtliche Aufgebote der Vollzugsstelle missachtet hat und es sich beim aktuellen Vorfall bereits um die elfte Pflichtverletzung handeln würde, weshalb eine Verweigerungsabsicht des Beschwerdegegners zutreffenderweise nicht ausgeschlossen werden kann (vgl. Urk. 2 S. 3 und Urk. 13 S. 2). Sollte sich herausstellen, dass der Beschwerdegegner die Zivildienstleistungen in der Absicht, den Zivildienst zu verweigern, nicht angetreten hat, würde ihm denn auch eine deutlich schwerere bzw. eine spätestens dann ins Gewicht fallende Zusatzstrafe drohen. Auch deshalb ist nicht ersichtlich, weshalb auf eine Strafuntersuchung verzichtet werden sollte.
Die Nichtanhandnahme einer Strafuntersuchung gegen den Beschwerdegegner lässt sich somit nicht auf das Opportunitätsprinzip (Art. 310 Abs. 1 lit. c StPO) stützen. Entsprechend ist die Beschwerde gutzuheissen.
Die Regelung der Kostenund Entschädigungsfolgen hat im Endentscheid zu erfolgen (Art. 421 Abs. 1 StPO). Angesichts der Bedeutung und Schwierigkeit des Falls sowie des Zeitaufwands des Gerichts ist die Gerichtsgebühr für das Beschwerdeverfahren auf CHF 1'000.festzusetzen (vgl. § 17 Abs. 1 und § 2 Abs. 1 GebV OG).
Es wird beschlossen:
In Gutheissung der Beschwerde wird die Nichtanhandnahmeverfügung der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 22. November 2017 (B-5/2017/ 10030988) aufgehoben und die Sache im Sinne der Erwägungen an die Staatsanwaltschaft zurückgewiesen.
Die Gerichtsgebühr wird auf CHF 1'000.festgesetzt.
Die Regelung der Kostenauflage und allfälliger Entschädigungen wird dem Endentscheid vorbehalten.
Schriftliche Mitteilung an:
die Beschwerdeführerin (gegen Empfangsbestätigung)
den Beschwerdegegner 1 (per Gerichtsurkunde)
die Staatsanwaltschaft See/Oberland, ad B-5/2017/10030988, zweifach, für sich und die Kasse und unter Rücksendung der eingereichten Akten (Urk. 6; gegen Empfangsbestätigung)
Rechtsmittel:
Gegen diesen Entscheid kann unter den einschränkenden Voraussetzungen von Art. 93 des Bundesgerichtsgesetzes Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang an gerechnet, bei der Ersten öffentlich-rechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne
14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Zürich, 31. Mai 2018
Obergericht des Kantons Zürich
III. Strafkammer
Präsident:
lic. iur. Th. Meyer
Gerichtsschreiber:
lic. iur. T. Böhlen
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