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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SU230065
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SU230065 vom 12.03.2024 (ZH)
Datum:12.03.2024
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung
Schlagwörter : Schuldig; Beschuldigte; Berufung; Statthalteramt; Digten; Beschuldigten; Demonstration; Vorinstanz; Personen; Urteil; Unbewilligte; Bewilligten; Unbewilligten; Verfahren; Lautsprecher; Platz; Recht; Polizeiliche; -platz; Verordnung; Bezirk; Gericht; Klagt; Sinne; Bundes; Lautsprecherdurchsage; Berufungsbeklagte; Befehl; Einsprecherin; Entschädigung
Rechtsnorm: Art. 29 StPO ; Art. 398 StPO ; Art. 400 StPO ; Art. 428 StPO ;
Referenz BGE:136 I 229; 138 I 305; 138 IV 81; 141 IV 249;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SU230065-O/U/cwo

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. B. Gut, Präsident, lic. iur. B. Amacker und Oberrichterin Dr. iur. E. Borla sowie Gerichtsschreiberin

MLaw A. Sieber

Urteil vom 12. März 2024

in Sachen

Statthalteramt Bezirk Zürich,

Verwaltungsbehörde und Berufungsklägerin

gegen

A. ,

Beschuldigte und Berufungsbeklagte

verteidigt durch Rechtsanwältin MLaw X.

betreffend Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgericht Zürich,

10. Abteilung - Einzelgericht, vom 22. Mai 2023 (GC230043)

Strafbefehl:

(Urk. 8)

Der Strafbefehl des Statthalteramtes des Bezirks Zürich Nr. ST.2022.1471 vom

24. März 2022 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 8).

Urteil der Vorinstanz:

(Urk. 42 S. 11 f.)

Es wird erkannt:

  1. Die Einsprecherin ist nicht schuldig und wird vollumfänglich freigesprochen.

  2. Die Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz. Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.

  3. Die Kosten gemäss vorstehender Ziffer werden auf die Gerichtskasse genommen.

    Die Kosten des Strafbefehls Nr. ST.2022.1471 vom 24. März 2022 und die nachträglichen Untersuchungs- sowie Überweisungskosten werden dem Statthalteramt des Bezirkes Zürich zur Abschreibung überlassen.

  4. Der Einsprecherin wird eine Entschädigung im Betrag von Fr. 1'360.– (inkl. MwSt. und Bar- auslagen) für die anwaltliche Verteidigung zulasten der Gerichtskasse zugesprochen.

  5. [Mitteilungen]

  6. [Rechtsmittel]

    Berufungsanträge:

    1. Des Statthalteramtes Bezirk Zürich: (Urk. 40 S. 2 und Urk. 45 S. 2; schriftlich)

      • 1. Dispositiv Ziff. 1, 2, 3 und 4 des Urteils vom 22. Mai 2023 des Bezirks- gerichts Zürich (GC230043) seien aufzuheben.

        1. Die Einsprecherin und Berufungsbeklagte sei vom Vorwurf der Wider- handlung gegen die Covid-19-Verordnung freizusprechen.

        2. Die Einsprecherin und Berufungsbeklagte sei wegen der Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration sowie wegen Missachtung von

          polizeilichen Anordnungen im Sinne des Strafbefehls ST.2022.1471 vom 24. März 2022 schuldig zu sprechen.

        3. Die Einsprecherin und Berufungsbeklagte sei mit einer Busse in der Höhe von Fr. 400.00 zu bestrafen und es sei eine Ersatzfreiheitsstrafe von 4 Tagen festzustellen.

        4. Der Einsprecherin und Berufungsbeklagten seien die Strafbefehlskos- ten und die entstandenen Untersuchungskosten nach Einsprache so- wie die gerichtlichen Kosten vollumfänglich aufzuerlegen.

        5. Es sei ihr keine Entschädigung zuzusprechen.

        6. Eventualiter – für den Fall eines Freispruchs – seien die Strafbefehls- kosten und die entstandenen Untersuchungskosten nach Einsprache sowie die gerichtlichen Kosten vollumfänglich der Einsprecherin und Berufungsbeklagen aufzuerlegen.

  1. Der Verteidigung der Beschuldigten: (Urk. 49 S. 2; schriftlich)

    • 1. Das Urteil des Bezirksgerichts, 10. Abteilung – Einzelgericht vom

22. Mai 2023 sei vollumfänglich zu bestätigen: Die Berufungsbeklagte sei von Schuld und Strafe freizusprechen. Es seien ihr keine Kosten aufzuerlegen und es sei ihr eine Entschädigung für das erstinstanzliche Verfahren in der Höhe CHF 1'360 zuzusprechen.

  1. Der Berufungsbeklagten seien die Verteidigungskosten in der Höhe von CHF 724.30 (ein Drittel von CHF 2'1730.00 [recte: CHF 2'173.00]) zu entschädigen.

  2. Die Kosten des Berufungsverfahren seien der Berufungsklägerin auf- zuerlegen.

    Erwägungen:

    1. Verfahrensgang

      1. Der Verfahrensgang bis zum Erlass des erstinstanzlichen Urteils ergibt sich aus dem angefochtenen Entscheid (Urk. 42 S. 3 f.).

      2. Das erstinstanzliche Verfahren gegen die Einsprecherin und Berufungsbe- klagte A. (nachfolgend: die Beschuldigte) wurde unter der Geschäftsnum- mer GC230043-L geführt. Dieses Verfahren wurde gestützt auf Art. 29 Abs. 1 StPO zusammen mit den Verfahren gegen B. (nachfolgend: die Beschuldig-

      te B. ; Geschäftsnummer GC230050-L) und gegen C.

      (nachfolgend:

      die Beschuldigte C. ; Geschäftsnummer GC230053-L), welche allesamt durch dieselbe Verteidigerin, Rechtsanwältin MLaw X. , vertreten wurden respektive werden, gemeinsam beurteilt. Mit Urteilen des Bezirksgerichts Zürich,

      10. Abteilung - Einzelgericht, vom 22. Mai 2023 wurden die drei Beschuldigten vollumfänglich freigesprochen. Ausserdem wurde ihnen für die anwaltliche Vertei- digung je eine Entschädigung im Betrag von Fr. 1'360.– (inkl. MwSt. und Baraus- lagen) ausgerichtet und Kosten wurden keine erhoben (Urk. 39 S. 11; GC230050- L, Urk. 42 S. 11; GC230053-L, Urk. 38 S. 11).

      1. Gegen diese Urteile meldete das Statthalteramt des Bezirks Zürich (nach- folgend Statthalteramt) mit Eingaben vom 26. Mai 2023 (Poststempel) innert Frist Berufung an (Urk. 34; GC230050-L, Urk. 37; GC230053-L, Urk. 33; Art. 399

        Abs. 1 StPO). Nach Erhalt der begründeten vorinstanzlichen Urteile reichte das Statthalteramt am 5. Oktober 2023 (Poststempel) fristgerecht die Berufungserklä- rungen ein (Urk. 40; GC230050-L, Urk. 43; GC230053-L, Urk. 39; Art. 400 Abs. 3 StPO).

      2. Mit Präsidialverfügung vom 6. Oktober 2023 wurde der Beschuldigten eine Kopie der Berufungserklärung zugestellt und Frist angesetzt, um schriftlich im Doppel zu erklären, ob Anschlussberufung erhoben wird oder um begründet ein Nichteintreten auf die Berufung zu beantragen (Urk. 41). Die Beschuldigte ver- zichtete sodann stillschweigend auf eine Eingabe.

      3. Mit Beschluss vom 16. November 2023 wurde gestützt auf Art. 406 Abs. 1 lit. c StPO die schriftliche Durchführung des vorliegenden Verfahrens angeordnet sowie das Statthalteramt aufgefordert, die Berufung zu begründen (Urk. 43). Am

      7. Dezember 2023 ging sodann die Berufungsbegründung des Statthalteramtes ein, womit es seine mit der Berufungserklärung gestellten Anträge bezüglich des Strafmasses mit einer Busse auf Fr. 400.– und der Kostenfolge mit einem Even- tualantrag für den Fall eines Freispruchs (Dispositivziffern 4 und 7) anpasste resp. ergänzte (Urk. 45). Mit Präsidialverfügung vom 11. Dezember 2023 wurde der Beschuldigten Frist zur Berufungsantwort angesetzt, unter dem Hinweis, dass im Säumnisfall gestützt auf die Akten entschieden werde. Der Vorinstanz wurde Ge- legenheit zur freigestellten Vernehmlassung eingeräumt (Urk. 46). Die Vorinstanz verzichtete auf eine Vernehmlassung (Urk. 48). In der Folge reichte die erbetene Verteidigerin der Beschuldigten, Rechtsanwältin MLaw X. , am

      29. Dezember 2023 (Poststempel) fristgerecht die Berufungsantwort mit den ein- gangs zitierten Anträgen sowie ihre Honorarnote ein (Urk. 49 und Urk. 50). Damit erweist sich das Verfahren als spruchreif.

    2. Prozessuales

  1. Formelles

    1. Gemäss Art. 398 Abs. 1 StPO ist die Berufung zulässig gegen Urteile erstin- stanzlicher Gerichte, mit denen das Verfahren ganz oder teilweise abgeschlossen worden ist. Die Berufungsinstanz überprüft den vorinstanzlichen Entscheid bezüg- lich sämtlicher Tat-, Rechts- und Ermessensfragen üblicherweise frei (Art. 398 Abs. 2 und 3 StPO). Bildeten jedoch ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens, so schränkt Art. 398 Abs. 4 StPO die Kognition der Berufungsinstanz ein. In diesen Fällen wird das angefochtene Urteil lediglich dahingehend überprüft, ob es rechtsfehlerhaft ist oder ob eine offensicht- lich unrichtige Feststellung des Sachverhaltes durch die Vorinstanz gegeben ist. Es ist somit zu überprüfen, ob das vorinstanzliche Urteil im Bereich der zulässigen Kognition Fehler aufweist. Relevant sind dabei klare Versehen bei der Sachver- haltsermittlung wie namentlich Irrtümer oder offensichtliche Diskrepanzen zur Akten- und Beweislage. Weiter in Betracht kommen insbesondere Fälle, in denen

      die Sachverhaltsfeststellung auf einer Verletzung von Bundesrecht, in erster Linie von Verfahrensvorschriften der StPO selbst, beruht. Gesamthaft gesehen dürften regelmässig Konstellationen relevant sein, die als willkürliche Sachverhaltser- stellung zu qualifizieren sind (vgl. SCHMID/JOSITSCH, StPO Praxiskommentar, 3. Aufl., 2018, Art. 398 N 12 f.; BSK StPO-BÄHLER, 3. Aufl., 2023, Art. 398 N 6).

      Willkür bei der Beweiswürdigung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid of- fensichtlich unhaltbar ist oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Wider- spruch steht. Dass eine andere Lösung oder Würdigung ebenfalls vertretbar oder gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 138 I 305 E. 4.3, m. H.). Eine vertretbare Beweiswürdigung ist daher auch dann noch nicht willkürlich, wenn die Berufungsinstanz anstelle der Vorinstanz allenfalls an- ders entschieden hätte.

    2. Neue Behauptungen und Beweise können in diesem Verfahren nicht vorge- bracht werden (vgl. statt vieler Urteil des Bundesgerichts 6B_126/2019 vom 12. August 2019 E. 1.2.). Neu im Sinne dieser Bestimmung sind Tatsachen und Beweise, die im erstinstanzlichen Verfahren nicht vorgebracht wurden. Nicht darunter fallen demgegenüber Beweise, die beantragt, erstinstanzlich jedoch abgewiesen oder gar nicht geprüft wurden (vgl. BSK StPO-BÄHLER, a.a.O., Art. 398 N 6).

    3. Die urteilende Instanz muss sich nicht mit allen Parteistandpunkten einläss- lich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen. Vielmehr kann sich das Gericht auf die seiner Auffassung nach wesentlichen und massgeblichen Vorbringen der Parteien beschränken (BGE 141 IV 249; BGE 138 IV 81 E. 2.2; BGE 136 I 229 E. 5.2).

  2. Umfang der Berufung

Das Statthalteramt ficht das vorinstanzliche Urteil hinsichtlich der Dispositivziffern 1 bis 4 und damit vollumfänglich an. Das Statthalteramt beschränkte die Berufung jedoch insofern, als dass es beantragte, die Beschuldigte sei vom Vorwurf der Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung (Art. 7c Abs. 1 i.V.m. Art. 10f Abs. 2 lit. a COVID-19-Verordnung 2; SR 818.101.24, Fassung vom 14. Mai

2020) freizusprechen, jedoch wegen Teilnahme an einer unbewilligten Demonst- ration und wegen Missachtung von polizeilichen Anordnungen im Sinne des Strafbefehls Nr. ST.2022.1471 vom 24. März 2022 (Art. 21 Abs. 1, Art. 26 lit. c VBöG sowie Art. 4 APV i.V.m. Art. 26 APV) schuldig zu sprechen (Urk. 40 S. 2).

  1. Sachverhalt

    1. Das Statthalteramt wirft der Beschuldigten gemäss Strafbefehl Nr. ST.2022.1482 vom 24. März 2022 zusammengefasst vor, sie habe wissentlich und willentlich an einer unbewilligten Demonstration betreffend D. mit rund 65 Personen teilgenommen, obschon politische Kundgebungen mit mehr als fünf Personen untersagt gewesen seien. Dabei habe sie polizeiliche Anordnungen missachtet, indem sie sich trotz mehrmaliger Aufforderungen mittels Lautspre- cherdurchsagen nicht von der Örtlichkeit entfernt habe (Urk. 8).

    2. Die Beschuldigte anerkannte, am 23. Mai 2020 zusammen mit den Beschul-

      digten B.

      und C.

      (vgl. separate Verfahren GC230050-L resp.

      SB230064-O und GC230053-L resp. SB230066-O) sowie einem dritten Kamera- den sich zu viert im Rahmen einer kleinen politischen Aktion der E. auf dem F. -platz aufgehalten zu haben und sodann von der Polizei weggewiesen geworden zu sein. Die Beschuldigte machte dabei geltend, nicht als Teilnehmerin der bewilligungspflichtigen Demonstration gegen die vom Bundesrat angeordne- ten Covid-Massnahmen mit deutlich mehr als fünf Personen teilgenommen zu ha- ben, sondern Hygienemasken tragend, beim G. abseits stehend und mit ei- ner gebotenen Distanz zur Kundgebung (die sich eher in der Nähe der Thea- terstrasse befunden habe) ihre drei Kollegen bei Halten eines Transparents foto- grafiert zu haben (Urk. 30 S. 2-5; vgl. auch Urk. 9 und Prot. I S. 8).

    3. Die Vorinstanz erwog, dass die am 23. Mai 2020 von der Stadtpolizei Zürich gemachten Fotografien die Darstellung der Beschuldigten bestätigen, dass sie sich zusammen mit drei weiteren Personen, welche ein Transparent mit der Auf- schrift Gates entmachten! Klassenkampf statt Verschwörung gehalten hätten und von ihr fotografiert worden seien, auf dem F. -platz mit einer gewissen Distanz zur unbewilligten D. -Demonstration aufgehalten habe und um

      14:30 Uhr von dort weggewiesen worden sei. Aufgrund des distanzierten Aufenthaltsortes, der von ihnen getragenen Hygienemasken und des Slogans auf dem von der Gruppe gehaltenen Transparent werde ersichtlich, dass die Beschuldigte und ihre Mitstreiter keine Teilnehmer der unbewilligten D. - Demonstration vom 23. Mai 2020 gewesen seien. Auf keinem der Fotos mit der Beschuldigten sei ein polizeilicher Lautsprecherwagen ersichtlich. So erwog die Vorinstanz weiter, dass aufgrund der vorhandenen Beweismittel nicht erwiesen sei, dass sich die Beschuldigte zum Zeitpunkt der Lautsprecherdurchsagen um 14:20 Uhr, 14:23 Uhr und 14:24 Uhr überhaupt auf dem F. -platz aufgehal- ten habe. Ungeachtet dessen sei es fraglich, ob sie die Lautsprecherdurchsagen überhaupt gehört und verstanden hätte oder sich hätte angesprochen fühlen müssen, zumal sie sich mit einer gewissen Distanz zur unbewilligten Demonstra- tion aufgehalten habe und auch der Wortlaut der Durchsagen unklar gewesen sei. Somit könne auch die Missachtung von polizeilichen Anordnungen, namentlich die Missachtung mehrmaliger polizeilicher Aufforderungen via Lautsprecher, den Ort der Demonstration zu verlassen, nicht erstellt werden (Urk. 39 S. 7 ff. E. II.4.).

    4. Im Rahmen der Berufungsbegründung sah das Statthalteramt als erstellt an, dass die Beschuldigte und ihre drei Mitstreiter am 23. Mai 2020 auf dem F. - platz anwesend gewesen seien, als auf dem F. -platz die unbewilligte De- monstration gegen die Corona-Massnahmen des Bundes mit mehr als fünf Per- sonen stattgefunden habe. Die Beschuldigte und ihre drei Kollegen hätten vor Ort an einer selbstdeklarierten Gegendemonstration gegen die D. - Demonstration teilgenommen. Ferner erwog das Statthalteramt, dass die Aktion der Beschuldigten sowie ihrer Mitstreiter als politische Veranstaltung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Art. 21 Abs. 1 VBöV zu qualifizieren sei, für welche mangels Gemeinverträglichkeit eine Bewilligung nötig gewesen wäre, zumal die Gemeinverträglichkeit im Gesamtkontext zu betrachten sei. Einerseits hätten sie zumindest in Erfahrung bringen müssen, ob die Gegendemonstration einer Bewil- ligungspflicht unterstehe. Andererseits könne die Gegendemonstration nicht für sich alleine betrachtet werden, da der Beschuldigten und ihren Mitstreitern gerade bekannt gewesen sei, dass eine D. -Demonstration stattfinde, ansonsten ei- ne Gegendemonstration keinen Sinn ergebe, und damit nicht nur von einer Versammlung mit vier Personen die Rede sein könne. Die Beschuldigte könne sich nicht aus der Verantwortung ziehen, indem sie geltend mache, dass sie sich an den Rand des F. -platzes gestellt haben soll. Letztlich brachte das Statthal- teramt vor, dass die polizeilichen Anordnungen mittels Lautsprecherwagen, den Platz zu verlassen, von den auf dem F. -platz anwesenden Personen sowie auch von Passanten zu beachten und zu befolgen gewesen seien. Gemäss Er- mittlungsbericht vom 14. April 2022 seien die polizeilichen Aufforderungen von 14:11 Uhr bis 14:37 Uhr mehrmals, mithin das letzte Mal um 14:37 Uhr erfolgt, bevor die angedrohten Personenkontrollen durchführt worden seien (Urk. 45 S. 2- 5).

    5. Das Statthalteramt stellt mit diesen Ausführungen seine eigene Ansicht jener der Vorinstanz gegenüber. Es zeigt aber nicht auf, inwiefern die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit der tatsächlichen Situation in offensichtlichem Widerspruch stünde bzw. geradezu willkürlich sei. Die Vorinstanz hat erwogen, dass die Beschuldigte und ihre Mitstreiter aufgrund der im Recht liegenden Beweismittel, insbesondere der Fotografien, keine Teilnehmer der unbewilligten D. - Demonstration gewesen seien (Urk. 39 S. 8). Diese Ansicht scheint das Statt- halteramt zu teilen, zumal sie einen Freispruch vom Vorwurf der Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung beantragte und somit die Beschuldigte und ihre drei Kollegen nicht als Teilnehmer der Menschenansammlung von mehr als fünf Personen im öffentlichen Raum i.S.v. Art. 7c Abs. 1 COVID-19-Verordnung 2 (SR 818.101.24, Fassung vom 14. Mai 2020) betrachtete.

      Weiter erwog die Vorinstanz, dass aufgrund der im Recht liegenden nicht aussa- gekräftigen Videoaufnahme und der Fotografien nicht erstellt werden könne, dass sich die Beschuldigte zur Zeit der Lautsprecherdurchsagen um 14:20 Uhr, 14:23 Uhr und 14:24 Uhr auf dem F. -platz aufgehalten habe. In Würdigung der vorhandenen Beweismittel kam die Vorinstanz ferner zum Schluss, dass – bei Anwesenheit der Beschuldigten zur Zeit der Durchsagen – aufgrund der Distanz zur unbewilligten Demonstration und des unklaren Wortlautes der Durchsagen nicht erwiesen sei, dass sie die polizeilichen Aufforderungen gehört und verstan- den habe oder sich gar hätte angesprochen fühlen müssen (Urk. 39 S. 9). Inwiefern diese Beweiswürdigung der Vorinstanz willkürlich sein sollte, wird vom Statt- halteramt nicht dargetan. Mit dem schlichten Verweis (Urk. 45 S. 4) auf den Er- mittlungsbericht der Stadtpolizei Zürich vom 14. April 2022 – im Übrigen mit vom Ermittlungsbericht abweichenden Zeiten der Lautsprecherdurchsagen (vgl. Urk. 15 S. 2) – vermag das Statthalteramt entsprechend keine Willkür in der vorinstanzlichen Beweiswürdigung aufzuzeigen.

      Mit der Vorinstanz gilt es festzuhalten, dass die im Recht liegende Videoaufnah- me nicht aussagekräftig ist, zumal die Beschuldigte sowie ihre drei Kollegen da- rauf nicht ersichtlich sind, der Wortlaut der aufgenommenen Lautsprecherdurch- sage unverständlich ist und die Videoaufnahme darüber hinaus keinen Aufschluss über die Uhrzeit gibt. Der genaue Wortlaut der Lautsprecherdurchsage ergibt sich sodann weder aus dem Polizeirapport vom 16. Juni 2020 noch aus dem Ermitt- lungsbericht vom 14. April 2022; darin wird bloss genannt, dass die Teilnehmer der Kundgebung mehrmals (um 14:20 Uhr, 14:23 Uhr und 14:24 Uhr) abgemahnt und zum Verlassen der Örtlichkeit aufgefordert worden seien, wobei um 14:24 Uhr die Durchsage erfolgt sei, dass mit den Verzeigungen begonnen werde (vgl. Urk. 1 S. 1 f. und Urk. 15 S. 2). Auch der als Zeuge befragte Polizist Adrian Wid- mer, der die Beschuldigte verzeigt hat (Urk. 2), konnte sich nicht mehr an den Wortlaut der Abmahnungen via Lautsprecher erinnern. Er erklärte aber, dass mittgeteilt worden sei, dass die Personen an einer unbewilligten Demonstration teilnehmen würden und die Örtlichkeit zu verlassen hätten (Urk. 24 S. 3 F/A 12). Die im Recht liegenden Fotografien (Urk. 15, Beilage) ergeben ebenfalls keinen Aufschluss über die Uhrzeit. Sie zeigen hingegen, wie die Beschuldigte B. (mit etwas pinken Haaren, trägt schwarze Hosen, eine beige Jacke und eine pin- ke Tasche; Prot. I S. 11), die Beschuldigte C. (trägt eine pinke Regenjacke und Jeans; Prot. I S. 12) sowie ein weiterer Kollege mit einer beträchtlichen Dis- tanz zur demonstrierenden Menschenmenge und zu den Polizeiautos das ge- nannte Transparent hochhalten, während die Beschuldigte (trägt eine grün-graue Jacke; Prot. I S. 8) von ihren Kollegen Fotografien macht (vgl. Urk. 15, Beilage, Dateien 4318-4320, 4323-4326, 4329-4331, 4333-4337).

      Dass die Vorinstanz insgesamt zum Schluss kam, dass die Beschuldigte und ihre Mitstreiter keine Teilnehmer der unbewilligten Kundgebung gewesen seien und es ausserdem nicht erwiesen sei, dass sie zu den Zeiten der Lautsprecherdurchsa- gen überhaupt auf dem F. -platz gewesen seien und die polizeilichen Auf- forderungen gehört und verstanden hätten oder sich gar hätten angesprochen fühlen müssen (Urk. 39 S. 8 f.), ist bei der gegebenen Beweislage nachvollziehbar und keineswegs willkürlich.

      Soweit das Statthalteramt im Rahmen der Berufungsbegründung sodann neu ar- gumentierte, die Beschuldigte habe sich wegen der Teilnahme an einer unbewil- ligten Demonstration im Sinne von Art. 21 Abs. 1 i.V.m. Art. 26 lit. c VBöG und Art. 26 APV schuldig gemacht, weil sie mit ihren drei Mitstreitern eine Gegende- monstration auf dem F. -platz durchgeführt haben soll (Urk. 45 S. 2-4), stützt sich das Statthalteramt auf einen vom eingeklagten abweichenden Sach- verhalt; eingeklagt wurde die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration be- treffend D. mit rund 65 Personen (Urk. 8). Eine Verurteilung aufgrund ei- nes Sachverhaltes, welches nicht vom Anklagesachverhalt gedeckt wird, verletzt das Anklageprinzip.

      Abgesehen davon ist mit der Verteidigung, welche im Rahmen der Berufungsant- wort vorbrachte, dass die vorliegende spontane Aktion der vier Personen, die bei strömenden Regen auf dem F. -platz ein Transparent in den Händen gehalten hätten, keine Sondernutzung im Sinne von Art. 1 der Verordnung über die Benutzung des öffentlichen Grundes (VBöG) darstelle, weshalb diese gar kei- ne Anwendung finde (Urk. 49 S. 4), festzuhalten, dass auch bei Anwendung der VBöG das Verhalten der Beschuldigten und ihrer Kollegen keine im Sinne von Art. 2 Abs. 1 VBöG über den Gemeingebrauch hinausgehende bzw. nicht be- stimmungsgemässe oder nicht gemeinverträgliche Benutzung des öffentlichen Grundes darstellte. Das Verhalten der maskierten Beschuldigten und der weiteren drei Personen ist – auch zu Zeiten der durch den Bundesrat angeordneten Mass- nahmen zur Verhinderung der Ausbreitung des Coronavirus – als gemeinverträg- lich einzustufen, zumal auf den Fotografien klar ersichtlich ist, dass sie die gebo- tene Distanz zu weiteren Personen, insb. Passanten und der Kundgebung, eingehalten haben. Im Übrigen widerspricht sich das Statthalteramt, wenn es hinsicht- lich der Gemeinverträglichkeit der Gegendemonstration argumentiert, dass die- se, weil sie auf dem gleichen Platz stattgefunden habe, nicht mehr nur als Ver- sammlung mit vier Personen betrachtet werden könne, zugleich jedoch einen Freispruch hinsichtlich des Vorwurfs der Widerhandlung i.S.v. Art. 7c Abs. 1 CO- VID-19-Verordnung 2, namentlich des Verbots von Menschenansammlungen von mehr als 5 Personen im öffentlichen Raum beantragt (vgl. Urk. 45 S. 4).

    6. Zusammenfassend liegt weder eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts noch eine Rechtsverletzung durch die Vorinstanz vor. Der An- klagesachverhalt lässt sich demnach nicht erstellen. Die Beschuldigte sowie ihre drei Kollegen waren keine Teilnehmer der unbewilligten D. - Demonstration. Ausserdem ist aufgrund der vorhandenen Beweismittel nicht er- wiesen, dass die Beschuldigte zur Zeit der Lautsprecherdurchsagen auf dem F. -platz war oder sich überhaupt hätte angesprochen fühlen müssen. Der Beschuldigten kann kein strafbares Verhalten vorgeworfen werden. Sie ist freizu- sprechen.

  2. Kosten- und Entschädigungsfolgen

1. Das vorinstanzliche Kosten- und Entschädigungsdispositiv (Ziffer 2 bis 4) ist ausgangsgemäss zu bestätigen.

    1. Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren fällt bei diesem Ausgang praxisgemäss ausser Ansatz.

    2. Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens und Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Das Statthalteramt unterliegt – abgesehen des beantragten Freispruchs der Beschuldigten hinsicht- lich der Widerhandlung gegen die COVID-19 Verordnung 2 – mit seinen Anträ- gen. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind daher auf die Gerichtskasse zu nehmen.

    3. Für das Berufungsverfahren ist der Beschuldigten eine Prozessent- schädigung zuzusprechen. Sie machte für die anwaltliche Verteidigung Aufwände

in Höhe von Fr. 724.30 (ein Drittel von Fr. 2'173.–) geltend (Urk. 49 S. 2 und Urk. 50). Diese sind ausgewiesen und erscheinen angemessen. Der Beschuldig- ten ist daher eine Entschädigung in Höhe von Fr. 724.30 zuzusprechen.

Es wird erkannt:

  1. Die Beschuldigte A.

    ist nicht schuldig und wird von den Vorwürfen

  2. Das erstinstanzliche Kosten- und Entschädigungsdispositiv (Ziff. 2 bis 4) wird bestätigt.

  3. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.

  4. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden auf die Gerichtskasse genom- men.

  5. Der Beschuldigten wird eine Prozessentschädigung von Fr. 724.30 zuge- sprochen.

  6. Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an

  7. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Straf- sachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der gemäss Art. 35 und 35a BGerR zuständigen strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebe- nen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichts- gesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 12. März 2024

Der Präsident:

lic. iur. B. Gut

Die Gerichtsschreiberin:

MLaw A. Sieber

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