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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SU230008: Obergericht des Kantons Zürich

Herr A hat gegen das Scheidungsurteil Berufung eingelegt, um die monatliche Unterhaltszahlung für das Kind zu reduzieren. Frau B hat auf die Berufung geantwortet und beantragt, dass das gemeinsame Sorgerecht aufgehoben wird. Sie hat auch einen Antrag auf vorläufige Massnahmen gestellt, um die therapeutische Behandlung ihres Kindes fortzusetzen. Das Gericht hat entschieden, dass die vorläufigen Massnahmen abgelehnt werden, da keine dringende Notwendigkeit besteht. Frau B wurde verurteilt, Gerichtskosten in Höhe von 300 CHF zu zahlen.

Urteilsdetails des Kantongerichts SU230008

Kanton:ZH
Fallnummer:SU230008
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SU230008 vom 02.08.2023 (ZH)
Datum:02.08.2023
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung etc.
Schlagwörter : Beschuldigte; Berufung; Stadt; Covid; Stadtrichteramt; Beschuldigten; Covid-; Verordnung; -Verordnung; Vorinstanz; Attest; Urteil; Sinne; Busse; Gesichtsmaske; Recht; Gericht; Maske; Befehl; Person; Verkehr; Fassung; Anschlussberufung; Zugangsbereich; Verkehrs; Sicherheitspersonal; Kontrolle; Einsprecherin; Verfahren
Rechtsnorm:Art. 1 StGB ;Art. 106 StGB ;Art. 2 StGB ;Art. 398 StPO ;Art. 424 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 49 StGB ;
Referenz BGE:116 IV 258; 136 I 229; 138 IV 81; 141 IV 249; 147 I 393;
Kommentar:
-

Entscheid des Kantongerichts SU230008

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SU230008-O/U/cwo

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, lic. iur. S. Volken und lic. iur. C. Maira sowie der Gerichtsschreiber MLaw S. Zuber

Urteil vom 2. August 2023

in Sachen

Stadtrichteramt Zürich,

vertreten durch Stadtrichterin lic. iur. N. Zweifel,

VerwaltungsBehörde und I. Berufungsklägerin

gegen

A. ,

Beschuldigte und II. Berufungsklägerin (Nichteintreten), sowie Anschlussberufungsklägerin

betreffend Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung etc.

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich,
10. Abteilung - Einzelgericht, vom 28. Oktober 2022 (GC220135)

Strafbefehl:

Der Strafbefehl des Stadtrichteramts der Stadt Zürich ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 2).

Urteil der Vorinstanz:

(Urk. 46 S. 8 f.)

Es wird erkannt:

  1. Die Einsprecherin ist der Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung besondere Lage im Sinne von Art. 3b Abs. 1 in Verbindung mit Art. 13 lit. f. Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie vom 19. Juni 2020 in der Fassung vom 1. April 2021 sowie der Missachtung von Anordnungen des Bahn-

    /Sicherheitspersonals im Sinne von Art. 9 Abs. 1 BGST nicht schuldig und wird freigesprochen.

  2. Die Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz. Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.

  3. Die Kosten des Stadtrichteramts Zürich im Betrag von Fr. 250 gemäss Strafbefehl Nr. ... vom 11. Januar 2022 sowie die zusätzlichen Untersuchungskosten von Fr. 650 werden der Einsprecherin auferlegt und durch das Stadtrichteramt Zürich eingefordert.

  4. Der Einsprecherin wird keine Entschädigung zugesprochen.

  5. [Mitteilungen]

  6. [Rechtsmittel]

    BerufungsAnträge:

    1. Des Stadtrichteramts Zürich: (Urk. 37 und Urk. 47, schriftlich)

      • 1. Die Einsprecherin und Berufungsbeklagte sei im Sinne des Strafbefehls ... vom 11. Januar 2022 schuldigt zu sprechen.

        1. Die Einsprecherin und Berufungsbeklagte sei mit einer Busse in der Höhe von Fr. 180.00 zu bestrafen und es sei für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung eine Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen festzusetzen.

        2. Der Einsprecherin und Berufungsbeklagten seien die Strafbefehlskosten und die entstandenen Untersuchungskosten nach Einsprache vollumfänglich aufzuerlegen.

        3. Die Kosten der Gerichte seien der Einsprecherin und Berufungsbeklagten aufzuerlegen.

        4. Der Einsprecherin und Berufungsbeklagten sei keine Entschädigung zuzusprechen.

  1. Der Beschuldigten und Anschlussberufungsklägerin: (Urk. 53, schriftlich)

    • 1. Mein Freispruch vor 1. Instanz sei zu bestätigen.

  1. Für die Verfahren vor allen Instanzen und StrafBehörden davor sei mir eine aussergerichtliche Entschädigung in der Höhe von Fr. 2000 zuzusprechen.

  2. Es sei festzuhalten, dass weder das Stadtrichteramt, noch das Bezirksgericht Zürich irgendwelche Kosten erheben darf; von einer Kostenauflage durch das Obergericht sei abzusehen.

    Erwägungen:

    1. Prozessgeschichte
      1. Der Prozessverlauf bis zum erstinstanzlichen Urteil ergibt sich aus dem angefochtenen Entscheid (Urk. 46 S. 3).

      2. Mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich, 10. Abteilung - Einzelgericht, vom

      28. Oktober 2022 wurde die Beschuldigte und Anschlussberufungsklägerin A. (nachfolgend die Beschuldigte) vom Vorwurf der Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung besondere Lage im Sinne von Art. 3b Abs. 1 in Verbin- dung mit Art. 13 lit. f. Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie vom 19. Juni 2020 in der Fassung vom

      1. April 2021 sowie der Missachtung von Anordnungen des Bahn/Sicherheitspersonals im Sinne von Art. 9 Abs. 1 BGST freigesprochen. Eine Parteientschädigung wurde ihr nicht ausgerichtet. Hingegen wurden ihr die Kosten des Strafbefehls in der Höhe von Fr. 250 sowie Untersuchungskosten in der Höhe von Fr. 650 auferlegt (Urk. 46 S. 8).

      1. Gegen dieses Urteil meldete das Stadtrichteramt der Stadt Zürich (nachfolgend Stadtrichteramt) mit Eingabe vom 1. November 2022 (Poststempel) innert Frist Berufung an (Urk. 37). Seitens der Beschuldigten ging keine Eingabe ein. Nach Erhalt des begründeten vorinstanzlichen Urteils reichte das Stadtrichteramt am 5. Januar 2023 (Poststempel) fristgerecht die BerufungsErklärung ein (Urk. 47). Sodann ging von der Beschuldigten am 30. Januar 2023 eine Berufungsanmeldung bzw. eine BerufungsErklärung ein (Urk. 48). Mangels rechtzeitiger Berufungsanmeldung trat das hiesige Gericht jedoch auf die Berufung der Beschuldigten mit Beschluss vom 1. Februar 2023 nicht ein (Urk. 49).

      2. Mit präsidialVerfügung vom 15. Februar 2023 wurde der Beschuldigten eine Kopie der BerufungsErklärung zugestellt und Frist angesetzt, um schriftlich im Doppel zu erklären, ob Anschlussberufung erhoben wird, um begründet ein Nichteintreten auf die Berufung zu beantragen (Urk. 51). Die fristgerechte Anschlussberufung der Beschuldigten datiert vom 10. März 2023 (Urk. 53). Mit Beschluss vom 16. März 2023 wurde dem Stadtrichteramt Frist angesetzt, um ei- ne Anschlussberufungsantwort einzureichen, worauf dieses stillschweigend verzichtete. Mit demselben Beschluss wurde die schriftliche Durchführung des vorliegenden Verfahrens angeordnet (Urk. 55). Nachdem die Beschuldigte bereits in ihrer Eingabe vom 10. März 2023 (Urk. 53) auf die BerufungsBegründung des Stadtrichteramts Bezug nahm und damit auch bereits ihre Berufungsantwort eingereicht hat, erweist sich das Verfahren als spruchreif.

    2. Prozessuales
      1. Gemäss Art. 398 Abs. 1 StPO ist die Berufung zulässig gegen Urteile erstinstanzlicher Gerichte, mit denen das Verfahren ganz teilweise abgeschlossen worden ist. Die Berufungsinstanz überpröft den vorinstanzlichen Entscheid bezüglich sämtlicher Tat-, Rechts- und Ermessensfragen üblicherweise frei (Art. 398 Abs. 2 und 3 StPO). Bildeten jedoch ausschliesslich übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens, so schränkt Art. 398 Abs. 4 StPO die Kognition der Berufungsinstanz ein. In diesen Fällen wird das angefochtene Urteil lediglich dahingehend überpröft, ob es rechtsfehlerhaft ist ob eine offensicht-

        lich unrichtige Feststellung des Sachverhaltes durch die Vorinstanz gegeben ist. Es ist somit zu überprüfen, ob das vorinstanzliche Urteil im Bereich der zulässigen Kognition Fehler aufweist.

      2. Die urteilende Instanz muss sich nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausDrücklich widerlegen. Vielmehr kann sich das Gericht auf die seiner Auffassung nach wesentlichen und massgeblichen Vorbringen der Parteien beschränken (BGE 141 IV 249; BGE 138 IV 81 E. 2.2; BGE 136 I 229 E. 5.2).

      3. Das vorinstanzliche Urteil wurde umfassend angefochten (Urk. 47 und Urk. 53), weshalb es in keinem Punkt in Rechtskraft erwachsen ist.

    3. Sachverhalt
      1. Der Beschuldigten wird vorgeworfen, am 8. April 2021, um 11.00 Uhr, im Hauptbahnhof Zürich, Perron Gleis ..., Sektor B, mithin im Zugangsbereich des öffentlichen Verkehrs, bewusst und willentlich keine Schutzmaske getragen zu haben und in der Folge der ihr gegenüber mehrmals ausgesprochenen Anord- nung des Sicherheitspersonals, eine Schutzmaske anzuziehen, bewusst und willentlich keine Folge geleistet zu haben (Urk. 2).

      2. Der Sachverhalt wurde von der Beschuldigten nicht bestritten. Sie gab vor Vorinstanz zu, am besagten Tag im Hauptbahnhof keine Schutzmaske getragen und auch keine angezogen zu haben, als sie vom Sicherheitspersonal mehrfach dazu aufgefordert worden sei (Prot. I S. 10 ff.; Urk. 33; Urk. 33 S. 2). Die Beschul- digte selber brachte vor der Vorinstanz vor, dass es für sie auch nie in Frage gekommen wäre, eine von Sicherheitspersonal angebotene Maske anzuziehen (Urk. 33 S. 2). Der Sachverhalt wurde ebenfalls durch die Securitasmitarbeiter

      1. und C.

        bestätigt (Urk. 19; Urk. 20). Deren Aussagen erscheinen

        glaubhaft und es ist in keiner Weise erkennbar, weshalb die beiden Sicherheitsmitarbeiter die Beschuldigte falsch belasten sollten. Wenn die Beschuldigte in ihrer Anschlussberufung sinngemäss vorbringt, sie sei nie durch das Sicherheitspersonal aufgefordert worden, eine Maske anzuziehen (Urk. 53 S. 2), so ist dem ?

        nach den vorstehenden Erwägungen nicht zu folgen. Der Anklagesachverhalt ist entsprechend mit der Vorinstanz (Urk. 46 S. 4 ff.) als erstellt anzusehen.

    4. Rechtliche Würdigung

      1.1 Das Stadtrichteramt würdigte das Verhalten der Beschuldigten in rechtlicher Hinsicht als Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung besondere Lage (Fassung von 1. April 2021). Gemäss Art. 3b Abs. 1 Covid-19-Verordnung beson- dere Lage musste jede Person in öffentlich zugänglichen Innenräumen und Aussenbereichen von Einrichtungen und Betrieben, einschliesslich Mürkten, sowie in Wartebereichen von Bahn, Bus, Tram und Seilbahnen und in Bahnhöfen, Flughöfen und anderen Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs eine Gesichtsmaske tragen. Davon ausgenommen waren Personen, die nachweisen konnten, dass sie aus besonderen Gründen, insbesondere medizinischen, keine Gesichtsmaske tragen konnten, wobei für den Nachweis medizinischer Gründe ein Attest einer Fachperson erforderlich war, die nach dem Medizinalberufegesetz vom 23. Juni 2006 dem Psychologieberufegesetz vom 18. März 2011 zur Berufsausübung in eigener fachlicher Verantwortung befugt war (Art. 3b Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 3a Abs. 1 lit. b Covid-19-Verordnung besondere Lage).

      1.2. Unbestritten ist, dass die Beschuldigte am 8. April 2021 im Bahnhof Zürich auf dem Perron des Gleis ... keine Gesichtsmaske trug und auch keine anzog,

      nachdem sie vom Sicherheitspersonal (die Securitas-Mitarbeiter B.

      und

      1. ) dazu aufgefordert wurde. Sie stätzte sich auf den Rechtfertigungsgrund, wonach sie aus medizinischen Gründen keine Gesichtsmaske tragen könne und deshalb auch keine solche bei sich trage. Zum Zeitpunkt der Kontrolle legte die Beschuldigte den die Kontrolle durchführenden Securitas-Mitarbeitern ein sog. Sach- und Rechtsattest vor, welches von beiden nicht als Attest zum Masken- dispens akzeptiert wurde (Urk. 19 f.). Das zum Zeitpunkt der Kontrolle vorgelegte Sach- und Rechtsattest wurde von der Beschuldigten trotz Aufforderung durch das Stadtrichteramt nie eingereicht (Urk. 11; Urk. 13). Anlässlich der Hauptverhandlung vor Vorinstanz am 28. Oktober 2022 legte die Beschuldigte ein teilweise abgedecktes Attest, ausgestellt am 30. April 2021 und damit zeitlich nach dem

      eingeklagten Sachverhalt vor, welches sie von der Masken-Tragpflicht befreite (Urk 34). Am 22. November 2022 reichte sie sodann der Vorinstanz eine (mutmasslich) Farbkopie eines inhaltlich gleichlautenden Attests ein (Urk. 36). Auffällig ist, dass Urk. 34 und Urk. 36 nicht identisch sind, was sich zwangslos aus den unterschiedlichen Unterschriftenbildern und dem auf Urk. 36 angebrachten Stempel der ausstellenden ürztin ergibt. Im Attest bestätigte Dr. med. D. , ... [Adresse] dass die Beschuldigte aus medizinischen Gründen keine Mund-Nasen- Bedeckung tragen dürfe (Urk. 36). Die Vorinstanz klürte ab, ob Dr. med. D. im Medizinalberuferegister eingetragen ist, was zutrifft (Urk. 40). Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass es keinen Grund gebe, an der Echtheit des Attests zu zweifeln. Ebenfalls erwog die Vorinstanz, die Beschuldigte habe überzeugend ausgesagt, dass sie bereits vor dem Tatzeitpunkt ein Attest beantragt habe, für die Ausstellung dieses Attestes jedoch sämtliche Unterlagen zu ihrer Gesundheitsgeschichte haben zusammensuchen müssen, was einige Zeit in Anspruch genommen habe. Es sei notorisch, dass ürzte den Patienten erst nach Prüfung des Gesundheitszustandes und der Gesundheitsgeschichte ein Attest ausstellten, mit welchem sie den Patienten vom Tragen eines Mund- und Nasenschutzes freistellen könnten (Urk. 46 S. 5 f.).

      2.2. Der Argumentation der Vorinstanz kann nicht gefolgt werden. Wie das Stadtrichteramt zu Recht ausführte, bestand eine Maskenpflicht in Wartebereichen von Bahn, Bus und Tram und in Bahnhöfen, Flughöfen und anderen Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs seit dem 19. Oktober 2020. Auch die Beschuldigte wusste um die Notwendigkeit eines Attests, wie sie selber angab. So mied sie seit Einführung der Maskenpflicht deswegen sogar den öffentlichen Verkehr (act. 33

      S. 2). Die Beschuldigte hätte demnach fast ein halbes Jahr Zeit gehabt, für sich einen entsprechenden Dispens erhältlich zu machen. Zwar brachte sie anlässlich der Hauptverhandlung vor, sie habe bereits vor dem Vorfall (gemeint ist die Kontrolle vom 8. April 2021) um ein ürztliches Attest ersucht (act. 33 S. 2). Diese Bemöhungen erwähnte sie jedoch anlässlich der Kontrolle am Bahnhof Zürich wie auch während der vom Stadtrichteramt durchgefährten Untersuchung nicht und reichte auch keine entsprechenden Unterlagen ein (Urk. 1; Urk. 11; Urk. 13; Urk. 19; Urk. 20). Das von ihr anlässlich der Kontrolle vorgezeigte Attest von

      E. legte sie auch nach Aufforderung durch das Stadtrichteramt ebenfalls nie vor. Das Vorbringen der Beschuldigten, wonach sie erst alle Unterlagen ihrer Gesundheitsgeschichte habe zusammentragen müssen, bevor sie am

      30. April 2021 ein Attest habe vorlegen können, erscheint vor diesem Hintergrund widersprächlich und als Schutzbehauptung. Das für die Beschuldigte von Dr. med. D. ausgestellte Attest datiert vom 30. April 2021 mithin 22 Tage nach der Kontrolle und äussert sich im übrigen nicht darüber, ob es der Beschuldigten auch zum Zeitpunkt der Kontrolle aus gesundheitlichen Gründen nicht möglich gewesen sei, eine Gesichtsmaske zu tragen. Bemerkenswert und als weiterer Widerspruch erscheint schliesslich, dass es der Beschuldigten nach eigenen Angaben durchaus möglich ist, in ihrem Berufsalltag bzw. in ihrer Praxistätigkeit bei nahem Kontakt mit Patientinnen und Patienten eine Maske zu tragen (Urk. 33). Somit kann als Zwischenfazit festgehalten werden, dass die Beschul- digte am 8. April 2021 keine Gesichtsmaske trug, wie dies Art. 3b Abs. 1 Covid- 19-Verordnung besondere Lage (Fassung vom 1. April 2021) vorsah und über kein gültiges Attest zur Befreiung von der Maskenpflicht im Sinne von Art. 3b Abs. 2 lit. b i.V.m. Art. 3a Abs. 1 lit. b Covid-19-Verordnung besondere Lage (Fassung vom 1. April 2021) verfügte.

        1. Die Beschuldigte brachte in ihrer Anschlussberufung weiter vor, das Stadtrichteramt stätze seinen Strafbefehl und seine Berufung auf eine der häufig wechselnden Covid-Verordnungen, welche keine genügende gesetzliche Grundlage hätten (Urk. 53 S. 2 f.). Ebenfalls seien die Voraussetzungen von Art. 1 bis 3 des Epidemiengesetzes gar nicht gegeben, womit dieses nicht anwendbar sei (Urk. 53 S. 3 ff.).

        2. Im Bundesgesetz über die Bekämpfung übertragbarer Krankheiten des Menschen (EpG; SR 818.101), welches als formelles Gesetz vom eidgenüssischen Gesetzgeber erlassen wurde, wird in Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG bestimmt, dass mit Busse bestraft wird, wer sich vorsätzlich Massnahmen gegenüber der Bevölkerung widersetzt. Konkretisiert wird diese Bestimmung sodann unter anderem durch die Covid-19-Verordnung besondere Lage, welche vom Bundesrat am 19. Juni 2020 als Massnahme gegenüber einzelnen Personen

          und der Bevölkerung zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie gestützt auf Art. 6 Abs. 2 lit. a und b EpG erlassen wurde und am 20. Juni 2020 in Kraft trat. Art. 3b Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage besagte in der am 1. April 2021 geltenden Fassung, dass jede Person in öffentlich zugänglichen Innenräumen und Aussenbereichen von Einrichtungen und Betrieben, einschliesslich Mürkten, sowie in Wartebereichen von Bahn, Bus, Tram und Seilbahnen und in Bahnhöfen, Flughöfen und anderen Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs eine Gesichtsmaske tragen müsse. Ausgenommen von der Maskentragpflicht seien Personen, die nachweisen könnten, dass sie aus besonderen Gründen insbesondere medizinischen keine Gesichtsmasken tragen könnten.

        3. Die Voraussetzungen von Art. 1 StGB (keine Sanktion ohne Gesetz) werden vorliegend durch die formell-gesetzliche Grundlage von Art. 83 Abs. 1 lit. j EpG sowie dessen Konkretisierung in Art. 3b Abs. 1 Covid-19-Verordnung besondere Lage ohne Weiteres erfüllt. Das Argument der Beschuldigten erweist sich dem- nach als nicht stichhaltig.

      1. Soweit die Beschuldigte in ihrer Anschlussberufung vorbrachte, das Epidemiengesetz sei überhaupt nicht anwendbar, weil die gefährlichkeit von Covid-19 für die Gesamtbevölkerung niemals erwiesen worden sei (Urk. 53 S. 3 ff.), ist sie damit nicht zu hören. Das Bundesgericht hatte sich in seiner jüngeren Rechtsprechung bereits mit dieser Argumentation befasst und gab etwa in BGE 147 I 393 (übersetzt in: pra 110 [2021] Nr. 107) zu bedenken, dass die Covid-19-Krankheit im Gegensatz etwa zur saisonalen Grippe am 11. März 2020 von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Pandemie qualifiziert wurde. Das Bun- desgericht kam zum Schluss, dass die gestützt auf das Epidemiengesetz angeordnete Maskentragpflicht zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie auf einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage basierte, die damit einhergehende relativ geringfügige Einschränkung der persönlichen Freiheit im öffentlichen Interesse lag und sich als verhältnismässig erwiesen habe (BGE 147 I 393 E. 5).

      2. Schliesslich machte die Beschuldigte in ihrer Anschlussberufung einen Verstoss gegen das lex mitior-Prinzip gemäss Art. 2 Abs. 2 StGB geltend (act. 53

        S. 8). Hierzu kann gesagt werden, dass gemäss herrschender Lehre und stündiger Rechtsprechung des Bundesgerichts sog. Zeitgesetze vom lex mitior-Prinzip gemäss Art. 2 Abs. 2 StGB ausgenommen sind (statt vieler DONATSCH/TAG, Strafrecht I, 10. Aufl., Zürich 2022, S. 49; BGE 116 IV 258 E. 4; 105 IV 1 E. 1; 102

        IV 198 E. 2b; 89 IV 113 E. 1a). Zeitgesetze sind Erlasse, die von vornherein nur für eine bestimmte Zeit erlassen werden die nach Inhalt und Zweck nur für die Dauer von Ausnahmeverhältnissen gelten sollen (BGE 116 IV 258 E. 4b). Bei der Covid-19-Verordnung besondere Lage in der Fassung vom 1. April 2021 han- delt es sich um ein Zeitgesetz im obgenannten Sinne, weshalb das lex mitior- Prinzip nicht zur Anwendung gelangt (vgl. auch OGer ZH SU210050 Urteil vom 18. Juli 2022 E. 4.1. f.).

      3. Die Weigerung der Beschuldigten auch nach mehrfacher Aufforderung durch das Sicherheitspersonal eine Gesichtsmaske anzuziehen, wurde vom Stadtrichteramt als Zuwiderhandlung gegen Anordnungen einer erkennbar mit Sicherheitsaufgaben betrauten Person im Sinne von Art. 9 Abs. 1 BSTG (Bundesgesetz über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr) gewürdigt. Diese rechtliche Würdigung erweist sich als zutreffend und wurde von der Beschuldigten auch nicht in Frage gestellt.

        1. Somit bleibt festzuhalten, dass die Beschuldigte am 8. April 2021, um

          11.00 Uhr auf dem Perron Gleis ... im Hauptbahnhof Zürich, mithin im Zugangsbereich des öffentlichen Verkehrs, bewusst und willentlich keine Gesichtsmaske trug und sich auch nach mehrmaliger Aufforderung durch das Sicherheitspersonal weigerte, eine solche anzuziehen. Nach den vorstehenden Erwägungen kann die Beschuldigte keinen entlastenden Rechtfertigungsgrund in Anspruch nehmen, da sie zum Zeitpunkt der Kontrolle über kein gültiges Attest zum Dispens von der Maskenpflicht verfügte.

        2. Das Urteil der Vorinstanz erweist sich somit als rechtsfehlerhaft und die Berufung des Stadtrichteramtes als begründet. Die Beschuldigte ist demnach der Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung besondere Lage im Sinne von Art. 3b Abs. 1 in Verbindung mit Art. 13 lit. f in der Fassung vom 21. April 2021 sowie des Nichtbefolgens von Anordnungen einer mit Sicherheitsaufgaben betrauten Person im Sinne von Art. 9 Abs. 1 BGST schuldig zu sprechen.

    5. Sanktion

      1. Das Stadtrichteramt beantragte, die Beschuldigte sei mit einer Busse in Höhe von Fr. 180 zu bestrafen und es sei für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung eine Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen festzusetzen (Urk. 47 S. 2 und

      S. 5). Die Beschuldigte äusserte sich zur beantragten Sanktion nicht, sie forderte einen Freispruch (Urk. 53).

        1. Gemäss Art. 13 lit. f Covid-19-Verordnung besondere Lage (Fassung vom

          1. April 2021) wird mit Busse bestraft, wer entgegen Art. 3a 3b Abs. 1 Covid- 19-Verordnung besondere Lage in Wartebereichen von Bahn anderen Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs vorsätzlich Fahrlässig keine Gesichtsmaske trägt, sofern nicht eine Ausnahme nach Art. 3a Abs. 1 Art. 3b Abs. 2 Covid-19-Verordnung besondere Lage gegeben ist. Bestimmt es das Gesetz nicht anders, so ist der Höchstbetrag der Busse Fr. 10'000 (Art. 106 Abs. 1 StGB). Auch Art. 9 Abs. 1 BGST sieht als Strafe eine Busse bis Fr. 10'000 vor. Die Busse ist in abhängigkeit der Verhältnisse des täters so zu bemessen, dass sie dem Verschulden angemessen ist (Art. 106 Abs. 3 StGB).

        2. Hat eine beschuldigte Person durch mehrere Handlungen die Voraussetz- ungen für mehrere gleichartige Strafen erfüllt, so ist gestützt auf das Asperationsprinzip gemäss Art. 49 Abs. 1 StGB für die Strafzumessung von der Tat mit der höchsten Strafandrohung auszugehen und für diese eine hypothetische Einsatzstrafe festzulegen, wobei diese dann aufgrund der weiteren Tathandlungen, für welche jeweils separat die Schwere des Verschuldens zu bestimmen ist, angemessen zu Erhöhen ist.

      3.1. Beim Verstoss gegen die Maskenpflicht in Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs ist zu berücksichtigen, dass die Beschuldigte durch ihr Verhalten keinen nachgewiesenen Schaden verursacht hat. Gleichwohl ist festzuhalten, dass sich in Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs zahlreiche unterschiedliche Personen zugleich am gleichen eng begrenzten Ort aufhalten. Das durch das individuelle Tatverhalten der Beschuldigten konkret entstandene gefähr- dungsrisiko ist derweil als klein zu werten. Weiter ist zu berücksichtigen, dass die

      Beschuldigte mit direktem Vorsatz gegen die Pflicht zum Tragen einer Gesichtsmaske verstossen hat. Es ist jedoch grundsätzlich keine besondere kriminelle Energie bei der Beschuldigten auszumachen. Ausserdem sind den Akten keine verschuldensmindernden verschuldensErhöhenden Faktoren zu entnehmen. Insgesamt ist das Verschulden als leicht zu qualifizieren.

      3.2 Die Missachtung von Anordnungen einer mit Sicherheitsaufgaben betrauten Person im Sinne von Art. 9 Abs. 1 BGST ist vorliegend als Folge der Widerhandlung gegen die Covid-19-Verordnung besondere Lage zu verstehen. Aufgrund dieses engen Zusammenhangs kommt diesem Delikt nur untergeordnete Bedeutung zu.

      1. Nach dem Gesagten und angesichts des Umstands, dass die finanziellen Verhältnisse der Beschuldigten abgesehen vom Hinweis, dass sie von der AHV- Rente lebe jedoch selber auch noch Therapeutin mit eigener Praxis sei (Urk. 48/1; vgl. auch Prot. I S. 9) unbekannt sind, erweist sich die vom Stadtrichteramt ausgefällte Busse von insgesamt Fr. 180 als angemessen.

      2. Gemäss Art. 106 Abs. 2 StGB ist für den Fall, dass die Busse schuldhaft nicht bezahlt wird, eine Ersatzfreiheitsstrafe auszusprechen. Bei einer Busse im Betrag von Fr. 180 erscheint es als sachgerecht, eine Ersatzfreiheitsstrafe von zwei Tagen festzusetzen.

    6. Kosten- und Entschädigungsfolgen
  1. gestützt auf Art. 428 Abs. 3 StPO hat die Rechtsmittelinstanz über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung zu befinden, soweit sie selber einen neuen Entscheid fällt. Vor Vorinstanz erging ein vollständiger Freispruch, womit keine Gerichtsgebühr festgesetzt wurde. Hingegen auferlegte die Vorinstanz der Beschuldigten die Kosten des Strafbefehls in der Höhe von Fr. 250 sowie die zusätzlichen Untersuchungskosten in der Höhe von Fr. 650, weil sie erst im Laufe der Hauptverhandlung entschieden habe, den Namen der ürztin zu nennen und das Originalattest einzureichen. Mit diesem Verhalten habe sie die Durchführung des Verfahrens erschwert (Urk. 46 S. 7).

  2. Nachdem die Beschuldigte mit heutigem Urteil schuldig zu sprechen ist, ist auch über die erstinstanzlichen Verfahrenskosten zu befinden. Für das erstinstanzliche Verfahren erscheint eine Gerichtsgebühr von Fr. 600 als angemessen, welche somit in dieser Höhe festzusetzen ist. Die Kosten des Stadtrichteramtes Zürich betragen Fr. 250 (Kosten Strafbefehl Nr. ... [Urk. 2]) und die zusätzlichen Untersuchungskosten Fr. 650 (Urk. 26). Es sind der Beschuldigten ausgangsgemäss sowohl die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens, diejenigen des Strafbefehls als auch die zusätzlichen Untersuchungskosten aufzuerlegen (Art. 426 Abs. 1 StPO).

  3. Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren ist praxisgemäss auf Fr. 1'500 festzusetzen (Art. 424 Abs. 1 StPO i.V.m. 16 Abs. 1 und 14 GebV OG). Für den Nichteintretensbeschluss vom 1. Februar 2021 betreffend die Berufung der Beschuldigten wurde die Gerichtsgebühr auf Fr. 300 festgesetzt (U1, Urk. 49).

  4. Im Rechtsmittelverfahren tragen die Parteien die Kosten nach Massgabe ihres Obsiegens bzw. Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Das Stadtrichteramt obsiegt mit seinen Anträgen vollumfänglich, weshalb die Kosten für das Berufungsverfahren der Beschuldigten aufzuerlegen sind.

Es wird erkannt:

  1. Die Beschuldigte A. ist schuldig

    • des vorsätzlichen Nichttragens einer Gesichtsmaske in Zugangsbereichen des öffentlichen Verkehrs im Sinne von Art. 3b Abs. 1 in Verbindung mit Art. 13 lit. f. der Verordnung über Massnahmen in der besonderen Lage zur Bekämpfung der Covid-19-Epidemie vom 19. Juni 2020 in der Fassung vom 1. April 2021 sowie

    • des Nichtbefolgens von Anordnungen einer mit Sicherheitsaufgaben betrauten Person im Sinne von Art. 9 Abs. 1 BGST.

  2. Die Beschuldigte wird mit Fr. 180 Busse bestraft.

  3. Die Busse ist zu bezahlen. Bezahlt die Beschuldigte die Busse schuldhaft nicht, so tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 2 Tagen.

  4. Die Gerichtsgebühr für das Hauptverfahren wird festgesetzt auf:

  5. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf Fr. 1'500.

  6. Die Kosten des Hauptsowie des Berufungsverfahrens werden der Beschuldigten auferlegt.

  7. Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an

    • die Beschuldigte

    • das Stadtrichteramt Zürich

    • die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

    • Bundesamt für Gesundheit BAG

      sowie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung Allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

  8. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der gemäss Art. 35 und 35a BGerR zuständigen strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebe- nen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Zürich, 2. August 2023

Der Präsident:

lic. iur. Ch. Prinz

Der Gerichtsschreiber:

MLaw S. Zuber

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