Zusammenfassung des Urteils SU160061: Obergericht des Kantons Zürich
In dem Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 20. April 2017 geht es um einen Fall von tätlichen Auseinandersetzungen zwischen den Mietern A. und D. in einer Liegenschaft in C. Der Beschuldigte A. wurde schuldig gesprochen und mit einer Geldstrafe von CHF 1'000.- belegt. Zudem wurde sein Pfefferspray eingezogen. Das Genugtuungsbegehren des Privatklägers wurde abgewiesen. Die Kosten des Verfahrens wurden dem Beschuldigten auferlegt. Die Berufung des Beschuldigten wurde abgewiesen.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SU160061 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Strafkammer |
Datum: | 20.04.2017 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Tätlichkeiten |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Beschuldigten; Berufung; Privatkläger; Zeugin; Pfefferspray; Urteil; Aussage; Busse; Aussagen; Verteidigung; Arbeit; Antwort; Gericht; Staatsanwaltschaft; Privatklägers; Vorinstanz; Tätlichkeit; Bezirks; Limmattal; Albis; Ersatzfreiheitsstrafe; Verfahren; Bezirksgericht; Höhe; Befragung; Waschküche |
Rechtsnorm: | Art. 106 StGB ;Art. 107 StGB ;Art. 126 StGB ;Art. 132 StPO ;Art. 143 StPO ;Art. 398 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 404 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 82 StPO ; |
Referenz BGE: | 134 IV 97; 136 I 229; 138 I 305; 138 IV 81; |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SU160061-O/U/cwo
Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. R. Naef, Präsident, lic. iur. M. Langmeier und lic. iur. B. Gut sowie der Gerichtsschreiber Dr. iur. F. Manfrin
Urteil vom 20. April 2017
in Sachen
Beschuldigter und Berufungskläger
erbeten verteidigt durch M.A. HSG in Law X.
gegen
Anklägerin und Berufungsbeklagte
betreffend
Anklage:
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis vom 31. März 2016 (Urk. 19) ist diesem Urteil beigeheftet.
Urteil der Vorinstanz:
(Urk. 46)
Der Beschuldigte ist schuldig der Tätlichkeiten im Sinne von Art. 126 Abs. 1 StGB.
Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Busse von Fr. 1'000.-.
Die Busse ist zu bezahlen. Bezahlt der Beschuldigte die Busse schuldhaft nicht, so tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 10 Tagen.
Der mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis vom 17. Juli 2015 (B-7/2015/10023659) beschlagnahmte Pfefferspray wird eingezogen und der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen.
Das Genugtuungsbegehren des Privatklägers wird abgewiesen.
Die Gerichtsgebühr wird angesetzt auf:
Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.
Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens werden dem Beschuldigten auferlegt.
(Mitteilungen)
(Rechtsmittel)
Berufungsanträge:
(Prot. II S. 6)
Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 50 S. 2; Urk. 66 S. 2)
Die Dispositivziffern 1 - 3 und 7 des Urteils des Bezirksgerichts Zürich vom 7. Juni 2017 i.S. GG160011 seien vollumfänglich aufzuheben und der Berufungsführer sei vom Vorwurf der Tätlichkeit freizusprechen.
Es sei dem Berufungsführer eine Parteientschädigung in Höhe von CHF 12'754.57 zuzüglich Zins von 5% seit 7. Juni 2016 (Anwaltskosten) für das erstinstanzliche Verfahren vor dem Bezirksgericht Zürich (Proz. Nr. GG160011) zuzusprechen.
Unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (letztere zzgl. MwSt) zu Lasten der Staatskasse.
Eventualantrag (für den Fall der Bestätigung des Schuldspruchs):
Die Busse in Höhe von Fr. 1'000.sei in gemeinnützige Arbeit umzuwandeln.
Der Staatsanwaltschaft:
Keine Anträge.
Der Privatklägerschaft:
Keine Anträge.
Erwägungen:
Am 20. Juni 2015 kam es in der Wachküche der Liegenschaft B. - Strasse in C. zu einem handfesten Streit zwischen den Mietern A.
und D.
um die Waschküchenbenützung. Es wurden gegenseitig Strafanträ-
ge gestellt (Urk. 14/1).
Am 31. März 2016 erhob die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis Anklage
gegen den Beschuldigten A.
wegen Tätlichkeit und gegen den Beschuldig-
ten D. wegen einfacher Körperverletzung (SB160399).
Die Einzelrichterin des Bezirksgerichts Horgen sprach den Beschuldigten
A.
mit Urteil vom 7. Juli 2016 der Tätlichkeit schuldig und bestrafte ihn mit
einer Busse von Fr. 1'000.-- (Urk. 46).
Am 14. Juni 2016 (Poststempel 13. Juni 2014) meldete der Vertreter des Beschuldigten fristgemäss Berufung an (Urk. 41; Art. 399 Abs. 1 StPO). Das schriftlich begründete Urteil wurde den Parteien am 5. September 2016 zugestellt (Urk. 44/1 - 44/3). Die Berufungserklärung ging innert der 20-tägigen Frist von Art. 399 Abs. 3 StPO hierorts am 27. September 2016 (Datum Poststempel
26. September 2016) ein (Urk. 50).
Mit der Berufungserklärung stellte der Vertreter des Beschuldigten das Gesuch um rückwirkende Bestellung als amtlicher Verteidiger (Urk. 50 S. 2). Dieses wurde mit Präsidialverfügung vom 12. Oktober 2016 abgewiesen (Urk. 52).
Innert der angesetzten Frist wurden keine Anschlussberufungen erklärt (Urk. 52).
Die Berufungsverhandlung fand gleichzeitig mit jener im Verfahren gegen den Beschuldigten D. (SB160399) statt (Prot. II S. 4 ff.).
Umfang der Berufung
Der Verteidiger ficht in seinen Anträgen in der Berufungserklärung ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich an (Urk. 50 S. 2). Schuldig gesprochen wurde der Beschuldigte allerdings vom Bezirksgericht Horgen. Dabei handelt es sich jedoch um ein offensichtliches Versehen, weshalb trotzdem von einer ausreichenden Berufungserklärung auszugehen ist.
Gemäss den eingangs genannten Berufungsanträgen blieben die Ziffern
4 - 6 des vorinstanzlichen Urteils unangefochten. Diese Teile sind rechtskräftig geworden, was vorzumerken ist (Art. 404 Abs. 1 StPO).
Kognition
Gemäss Art. 398 Abs. 1 StPO ist die Berufung zulässig gegen Urteile erstinstanzlicher Gerichte, mit denen das Verfahren ganz teilweise abgeschlossen worden ist. Die Berufungsinstanz überprüft den vorinstanzlichen Entscheid bezüglich sämtlicher Tat-, Rechtsund Ermessensfragen üblicherweise frei (Art. 398 Abs. 2 und 3 StPO). Bildeten jedoch ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens, so schränkt Art. 398 Abs. 4 StPO die Kognition der Berufungsinstanz ein. In diesen Fällen wird das angefochtene Urteil lediglich dahingehend überprüft, ob es rechtsfehlerhaft ist ob eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhaltes durch die Vorinstanz gegeben ist. Relevant sind dabei klare Versehen bei der Sachverhaltsermittlung wie namentlich Irrtümer offensichtliche Diskrepanzen zur Aktenund Beweislage. Weiter in Betracht kommen insbesondere Fälle, in denen die Sachverhaltsfeststellung auf einer Verletzung von Bundesrecht, in erster Linie von Verfahrensvorschriften der StPO selbst, beruht. Gesamthaft gesehen dürften regelmässig Konstellationen relevant sein, die als willkürliche Sachverhaltserstellung zu qualifizieren sind (vgl. S CHMID, StPO Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013, Art. 398 N 12 f.; BSK StPO-EUGSTER, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 398 N 3a). Willkür bei der Beweiswürdigung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung Würdigung ebenfalls vertretbar gar zutreffender erscheint, genügt für die Annahme von Willkür nicht (BGE 138 I 305 E. 4.3 mit Hinweisen). Eine vertretbare Beweiswürdigung ist daher auch dann noch nicht willkürlich, wenn die Berufungsinstanz anstelle des Vorderrichters allenfalls anders entschieden hätte. Es ist somit zu überprüfen, ob das vorinstanzliche Urteil im Bereich der zulässigen Kognition Fehler aufweist.
Die urteilende Instanz muss sich nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen. Vielmehr kann sich das Gericht auf die seiner Auffassung nach wesentlichen und massgeblichen Vorbringen der Parteien beschränken (BGE 138 IV 81 E. 2.2; BGE 136 I 229 E. 5.2).
Prozessuale Einwendungen
Die Verteidigung macht geltend, die erste Einvernahme des Beschuldigten am Tag des Vorfalles am 20. Juni 2015 sei unverwertbar (Urk. 50 S. 7; Urk. 66
S. 4). Dabei handelt es sich allerdings nicht um eine Einvernahme, sondern um
die Zusammenfassung des rapportierenden Polizisten seiner ersten informellen Befragung (Urk. 2). Solche ersten, tatnahen Auskünfte der Beteiligten Anwesenden vor Ort sind nötig, um überhaupt den weiteren Gang des Ermittlungsverfahrens zu bestimmen. Solche Feststellungen im Rapport sind gemäss feststehender Gerichtspraxis nicht zu Lasten des Beschuldigten verwertbar, auch da es sich nur um eine indirekte Wiedergabe und nicht um protokollierte Aussagen handelt. Insofern sind die entsprechenden Aktenverweise der Vorinstanz auf den Polizeirapport im Zusammenhang mit Aussagen des Beschuldigten problematisch (Urk. 46 S. 5 Erw. 1.). Stimmen allerdings eigene Aussagen des Beschuldigten mit den Angaben im Polizeirapport überein, ist ein solcher Verweis nicht unzulässig. Abgesehen davon ändert der Polizeirapport aber nichts am Beweisergebnis, da gar nicht darauf abgestellt werden muss.
Nicht stichhaltig ist auch der Einwand, der Beschuldigte habe bis zu seiner Vorladung zur ersten polizeilichen Befragung am 7. Juli 2015 nicht gewusst, dass
er nebst D.
ebenfalls beschuldigt werde (Urk. 50 S. 8; Urk. 66 S. 4). Die
strafprozessualen Aufklärungspflichten gemäss Art 143 StPO gelten frühestens ab der ersten formellen polizeilichen Befragung und nicht bereits für die ersten informellen Fragen des rapportierenden Polizisten vor Ort. In der ersten polizeilichen Befragung des Beschuldigten am 7. Juli 2015 wurde er, im Beisein seines Rechtsvertreters, ausdrücklich darauf hingewiesen, dass er als Beschuldigter befragt werde und der Beschuldigte erklärte ausdrücklich, dass er dies verstanden habe (Urk. 5 Antwort 1).
Die Verteidigung bringt vor, der Beschuldigte habe wegen kognitiver Defizite die Tragweite seiner Aussagen nicht erkannt (so zuletzt Urk. 66 S. 4; Prot. II
S. 16). Diesbezüglich wurde bereits in der Verfügung über das Gesuch um Bestellung einer amtlichen Verteidigung festgehalten, dass die Voraussetzungen von Art. 132 Abs. 2 StPO nicht gegeben sind. Sowohl aus den Befragungsprotokollen in der Untersuchung als auch der Befragung vor Bezirksund Obergericht gehen keine entsprechenden Einschränkungen des Verständnisses und der Ausdrucksfähigkeit des Beschuldigten hervor, wonach er nicht imstande gewesen wäre, seinen Standpunkt ausreichend darzulegen. Wie nachfolgend noch erwogen wird, sind die Aussagen des Beschuldigten aber ohnehin nur von untergeordneter Bedeutung und es braucht daraus nichts zu seinen Lasten abgeleitet werden.
Strittig ist zwischen dem Beschuldigten und dem Privatkläger, wer beim Streit zuerst tätlich geworden sei. Der Beschuldigte sagte aus, nach einem Wortgefecht mit dem Privatkläger D. habe er sich zum Weggehen abgewandt. In diesem Moment habe er bemerkt, dass ihn der Privatkläger begonnen habe zu schlagen und zu würgen. Die Situation habe bei der Türe des hinteren Waschraumes begonnen, dann habe sich das Gerangel durch den Korridor bis zum Zwischenboden des Treppenhauses fortgesetzt (Urk. 2 Antwort 6; zuletzt auch Urk. 63 S. 3 f.). Dort habe ihm der Privatkläger den Kopf an die Wand geschlagen, worauf er in der Folge den Pfefferspray aus seiner Hosentasche genommen
und dem Privatkläger ein Mal ins Gesichts gesprayt habe. Demgegenüber machte der Privatkläger geltend, der Beschuldigte habe den Pfefferspray bereits bei der Waschküchentüre gezückt und ihm damit unvermittelt ins Gesicht gespritzt, d.h. bevor überhaupt ein Körperkontakt stattgefunden habe (Urk. 4 Antwort 8; zuletzt auch Urk. 62 S. 3 f.). Erst danach sei es zum Gerangel im Korridor gekommen. Zu klären gilt es deshalb in zeitlicher Hinsicht, ob der Beschuldigte den Pfefferspray vor dem Gerangel mit dem Privatkläger erst in dessen Verlauf hervorgenommen und eingesetzt hat.
Die Vorinstanz hat unter anderem die Aussagen des Privatklägers und des Beschuldigten ausführlich gewürdigt (Urk. 46 S. 8 - 12). Die Verteidigung geht auf einzelne Schlussfolgerungen der Vorinstanz detailliert ein und rügt diese als willkürlich (Urk. 50 S. 6 - 18; Urk. 66 S. 5).
Weder die Aussagen des Beschuldigte noch jene des Privatklägers können mittels der anerkannten Methoden der Aussagenanalyse als völlig glaubhaft als völlig unglaubhaft qualifiziert werden. Jede dieser Parteien hat im Übrigen dasselbe Interesse, die Geschehnisse in einem für sie günstigen Licht darzustellen, denn gegen beide erhob die Staatsanwaltschaft eine Anklage. Ein Eingehen auf die einzelnen Argumente der Verteidigung zu den Aussagen des Beschuldigten und des Privatklägers ist vorliegend allerdings entbehrlich, weil im Rahmen
der Beweiswürdigung letztlich den Aussagen der Zeugin E.
das massgebliche Gewicht zukommt. Dabei ist augenfällig, dass sich sowohl die Verteidigung als auch der Beschuldigte selbst just mit dieser entscheidenden Aussage nicht näher auseinandersetzen.
Die Zeugin E.
sagte im Beisein des Beschuldigten und des Privatklägers aus, sie habe am Tag des Vorfalls Wäsche waschen wollen. Sie sei nach unten in die Waschküche 1 gegangen und habe A. gefragt, ob sie nach ihm waschen könne, wenn er fertig sei. Er habe aber verneint mit dem Hinweis, es sei sein Waschtag (Urk. 7 Antwort 16). Sie habe deshalb gedacht, ok, dann schaue sie halt in der Waschküche 2 nach. Dort habe sie D. getroffen und ihm erzählt, dass A. jeden zweiten Samstag die Waschküche blockiere und anderen verbiete, dort zu waschen. Dann sei A.
zu ihnen hinzugetreten und habe gesagt, dass sie über ihn sprechen würden und dass es sein Waschtag sei (Urk. 7 Antwort 33). In der Folge habe sich zwischen den beiden Männern aus einem normalen Wortwechsel ein heftiges Streitgespräch über die Benützung des Waschraumes entwickelt. Beide Männer seien wütend gewesen und hätten laut diskutiert (Urk. 7 S. 4). Sie sei mit ihrem Freund, der aus Finnland gekommen sei und vorübergehend bei ihr gewohnt habe, daneben gestanden und da die Situation nicht mehr gut gewesen sei, habe sie ihm gesagt, sie sollten wohl besser gehen. D. habe zu A. gesagt, er solle weggehen und habe einen Schritt auf ihn zu gemacht, so dass der Abstand zwischen den beiden nur noch ca. 40
cm betragen habe. A.
habe darauf den Pfefferspray hervorgenommen und
sei auf D.
losgegangen. Dieser habe seinerseits versucht, A.
davon
abzuhalten und habe ihn hin und her geschoben. Sie - die Zeugin und ihr Freund
seien hinter den beiden gestanden und hätten dann nichts mehr sehen können, weil die Luft voller Pfefferspray gewesen sei. Sie habe Panik bekommen, weil sie unter Bronchialasthma leide und habe nur noch weg wollen. Zunächst habe sie aber nicht weg gehen können und etwas warten müssen, da die beiden vor der Türe gestanden hätten (Urk. 7 Antwort 34). Sie und ihr Freund seien dann die Treppe hinauf, als die beiden Kontrahenten vor der Treppe, die nach unten geht, gestanden seien. Sie - die Zeugin habe die beiden noch angeschrien, sie sollten aufhören. Sie habe aber Angst gehabt und sich dann in ihre Wohnung verzogen (Urk. 7 S. 4).
Die Aussagen der Zeugin sind glaubhaft. Sie erwiderte auf die Frage, wer wen zuerst tätlich angegriffen habe: Herr A. . Weil Herr D. gesagt hat, er solle weggehen. Und Herr A. hat überraschend den Pfefferspray hervorgenommen. ( ). Beide Männer sind lauter geworden, haben diskutiert und Herr
D.
sagte ihm, er solle weggehen. Sie waren da so nah beisammen. Herr
D.
hat nur noch gesagt, weg, weg, weg, und dann hat Herr A. so
schnell den Pfefferspray gezückt, ich war dahinter. Herr D. hat dann Herrn A. am Oberkörper gepackt und zur Treppe geschoben, hin und her (Urk. 7 Antworten 37 und 38). Auch zum Ort des Geschehens angesprochen sagte die Zeugin einige Fragen später unzweideutig und klar aus, es sei vor der Türe des hinteren Waschraumes gewesen (Urk. 7 Antwort 42).
Es bestehen keine Hinweise auf eine reduzierte Glaubwürdigkeit der Zeugin. Zu ihrer Beziehung zu den Parteien angesprochen gab sie zu Protokoll, es seien beide Nachbarn (Urk. 7 Antwort 17). Der Unterschied sei, dass der Beschuldigte nie grüsse und einfach mit einem komischen Blick schaue, was ihr Angst mache. Sie habe ihn jeweils nur gefragt wegen dem Waschen und er habe immer nein gesagt. Der Privatkläger sei demgegenüber freundlich. Sie kenne aber beide nicht privat, nur als Nachbarn. Das Haus, in dem sie wohne, sei ein Hochhaus und es wohnten viele Leute dort, wovon sie nicht alle kenne (Urk. 7 Antwort 20). Den Privatkläger D.
habe sie seit dem Vorfall nur einmal in der Tiefgarage gesehen, aber nicht mit ihm gesprochen. Sie habe vor ihrer staatsanwaltlichen Einvernahme weder etwas vom Beschuldigten noch vom Privatkläger gehört (Urk. 7 Antwort 10 - 13).
Allein aus dem Umstand, dass der Beschuldigte aufgrund seines Verhaltens der Zeugin manchmal nicht geheuer sei, kann noch nicht auf eine unwahre Aussage geschlossen werden (Urk. 50 S. 19 Rz 55). Auch das Argument des Verteidigers, die Zeugin habe genügend Zeit gehabt, sich mit D.
abzusprechen,
ist zwar zutreffend, aber ohne Erkenntniswert. Sie hätte auch dieselbe Zeit zur
Verfügung gehabt, sich mit A.
abzusprechen. Es fehlen jegliche Indizien,
dass solche Absprachen stattgefunden hätten und auch in den Aussagen der Zeugin sind keine entsprechenden Lügensignale zu erkennen (Urk. 50 S. 19 Rz 55). Sie schildert die Vorkommnisse aus einem ganz anderen Blickwinkel als der Privatkläger, es fehlen stereotype Formulierungen pauschale Anschuldigungen, die Aussagen sind widerspruchsfrei, ohne Strukturbrüche und mit einer natürlichen Detailfülle.
Die Aussagen der Zeugin stehen im Übrigen auch nicht im Widerspruch zu den Vorbringen des Vertreters des Beschuldigten, wonach man mit einem Pfefferspray nicht den gesamten Korridor hindurch ununterbrochen sprayen könne, da die Sprühdauer begrenzt sei (Urk. 66 S. 6; Prot. II S. 9). Wenn die Sprühdauer auf gesamthaft ca. 4 Sekunden limitiert ist (Urk. 64/3), ist es zwar nicht denkbar wie die Zeugin auf Nachfrage zu Protokoll gab - nonstop (Urk. 7 S. 11 Antwort auf Frage 63) während des gesamten Handgemenges zu sprayen. Ohne Weiteres
möglich ist indes, mehrere, wenngleich kürzere Sprühstösse über die gesamte Korridorlänge auszulösen (so auch der Privatkläger, Urk. 62 S. 4: mehrfach gespritzt). Dass die Zeugin dies als Nonstop-Pfefferspray-Einsatz wahrnahm, erscheint aufgrund der vorherrschenden Hektik/Panik und des Umstands, dass die Zeugin selbst auch vom Pfefferspray erfasst wurde, durchaus lebensnah und verständlich.
Die Zeugin E.
hat weiter glaubhaft ausgesagt, auch sie habe etwas vom
Pfefferspray abbekommen. Es ist kein nachvollziehbarer Grund ersichtlich, weshalb die Zeugin dies wahrheitswidrig zu Protokoll geben sollte. Strafantrag hat sie im Übrigen nicht gestellt. Wäre der Pfefferspray, wie vom Beschuldigten behauptet, erst auf dem Treppenzwischenboden zum Einsatz gekommen, hätte die Zeugin kaum Pfefferspray abbekommen. Der von der Zeugin glaubhaft geschilderte Umstand, dass sie ebenfalls vom Pfefferspray erfasst wurde, passt zu ihren übrigen Aussagen, wonach der Beschuldigte den Privatkläger bereits in der Waschküche wo sich eben die Zeugin E. auch aufhielt mit dem Pfefferspray attackierte.
Schliesslich verfangen auch die an der Berufungsverhandlung erstmals vorgetragenen - Vorbringen des Beschuldigten nicht (Urk. 63 S. 4). Er führte aus, es sei klar, dass die Zeugin E. falsch gegen ihn aussage, da die Zeugin etwas gemacht habe, was sie nicht hätte machen dürfen, nämlich schauen, ob sie an seinem Waschtag waschen könne. Inwiefern darin ein Falschbelastungsmotiv zu erblicken sein soll, bleibt unerfindlich. Vielmehr handelt es sich beim Vorgehen
der Zeugin E.
um einen in einem Wohnblock mit Gemeinschaftswaschküche völlig normalen Vorgang.
An der vorinstanzlichen Schlussfolgerung, dass der Beschuldigte vor Beginn der Tätlichkeiten bzw. des tätlichen Gerangels den Pfefferspray einsetzte, bestehen aufgrund der Zeugenaussage keinerlei vernünftige Zweifel. Dementsprechend ist die Sachverhaltswürdigung der Vorinstanz im Resultat auch keinesfalls offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 398 Abs. 4 StPO. Die Berufung ist deshalb unbegründet und das vorinstanzliche Urteil in Bezug auf den Schuldpunkt zu bestätigen.
Die Verteidigung machte im Rahmen ihrer Berufungsbegründung keine Einwendungen gegen die vorinstanzliche Würdigung der Rechtslage. Es kann somit auf die Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 46 S. 15 - 18; Art. 82 Abs. 4 StPO). Der Beschuldigte ist deshalb der Tätlichkeit im Sinne von Art. 126 Abs. 1 StGB schuldig zu sprechen.
Auch die Strafzumessung wurde von der Verteidigung nicht gerügt (Urk. 46 S.- 18 f.). Der obere Strafrahmen liegt bei Fr. 10'000.-- (Art. 126 Abs. 1 StGB
i.V.m. Art. 106 Abs. 1 StGB).
Pfefferspray in die Augen zu erhalten, ist für Betroffene schmerzhaft und im ersten Moment subjektiv sehr beängstigend, weil es sich bei den Augen um sehr empfindliche und verletzliche Organe handelt. Andererseits ist zu Gunsten des Beschuldigten zu berücksichtigen, dass er dem Privatkläger körperlich unterlegen war, er über keine hohe Selbstsicherheit und intellektuell nur über beschränkte Ressourcen verfügte, wie auch die Verteidigung ausführt (Urk. 50 S. 4). Es kann ihm zugebilligt werden, dass er in der geschilderten Konfliktsituation subjektiv Schwierigkeiten hatte, sich korrekt zu verhalten. Das Tatverschulden ist als nicht mehr leicht zu taxieren. Es fällt aber auch ins Gewicht, dass der Beschuldigte beim Vorfall nicht unerheblich selbst verletzt worden war, indem er eine Rissquetschwunde an der Stirn erlitt.
Der Beschuldigte bestreitet seinen Lebensunterhalt mit einer monatlichen IV-Rente in der Höhe von Fr. 1'560.-- und Ergänzungsleistungen in der Höhe von Fr. 1'475.--. Zudem verfügt er über etwas Erspartes von rund Fr. 18'000-- (zuletzt Urk. 63 S. 1 f.). Angesichts der beschränkten finanziellen Mittel ist die vorinstanzlich ausgesprochene Busse von Fr. 1'000.-angemessen. Die Ersatzfreiheitsstrafe für den Fall schuldhafter Nichtbezahlung ist aufgrund des gerichtsüblichen Umwandlungssatzes von Fr. 100.-pro Tag auf 10 Tage festzulegen.
Anlässlich der Berufungsverhandlung beantragte die Verteidigung eventualiter, die Busse in Höhe von Fr. 1'000.sei in gemeinnützige Arbeit umzuwandeln (Prot. II S. 6; Urk. 66 S. 2).
Die gemeinnützige Arbeit stellt eine eigenständige Hauptstrafe dar. Im Übertretungsstrafrecht ist die Anordnung von gemeinnütziger Arbeit ebenfalls vorgesehen. Das Gericht kann mit Zustimmung des Täters an Stelle der ausgesprochenen Busse gemeinnützige Arbeit bis zu 360 Stunden anordnen (Art. 107 Abs. 1 StGB). Vorgängig hat es aber nach Art. 106 StGB die für Übertretungen vorgesehene Grundsanktion der Busse sowie für den Fall, dass die Busse schuldhaft nicht bezahlt wird, eine Ersatzfreiheitsstrafe nach Art. 107 StGB von mindestens einem Tag und höchstens drei Monaten auszusprechen (zum Ganzen BGE 134 IV 97 E. 6.3.7).
Die Zustimmung des Beschuldigten liegt vor (Prot. II S. 16 f.). Auch sonst stehen der Ausfällung von gemeinnütziger Arbeit an Stelle einer Busse keine Einwände entgegen. Das Gericht hat sich für die Bemessung der Arbeitsstrafe an der Höhe der bereits festgelegten Ersatzfreiheitsstrafe zu orientieren. Die Höchstdauer der Ersatzfreiheitsstrafe von 90 Tagen (Art. 106 Abs. 2 StGB) korreliert mit der maximalen Einsatzdauer von 360 Stunden bei Übertretungen (Art. 107 Abs. 1 StGB). 1 Tag Ersatzfreiheitsstrafe ergibt folglich 4 Stunden gemeinnützige Arbeit.
Damit ist der Beschuldigte anstelle der Busse von Fr. 1'000.zur Leistung von 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit zu verurteilen.
Aufgrund der Umwandlung der Sanktion in gemeinnützige Arbeit ist das schriftlich begründete Urteil nach Eintritt der Rechtskraft auch dem Amt für Justizvollzug mitzuteilen. Aus einem kanzleitechnischen Versehen war dies im Mitteilungssatz des Urteildispositivs (Urk. 68) nicht vermerkt.
Die Vorinstanz hat dem Beschuldigten aufgrund des Schuldspruchs die Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Verfahrens auferlegt (Urk. 46 S. 23).
Der Beschuldigte unterliegt mit seinen Berufungsanträgen vollumfänglich. Daran ändert nichts, dass dem erstmals an der Berufungsverhandlung gestellten Eventualantrag auf Umwandlung der Busse in gemeinnützige Arbeit stattgegeben wurde (Art. 428 Abs. 2 lit. a StPO). Deshalb ist die erstinstanzliche Kostenauflage zu bestätigen und der Beschuldigte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen (Art. 426 Abs. 1 StPO und Art. 428 Abs. 1 StPO). Dementsprechend entfällt auch eine Prozessentschädigung für die erbetene Verteidigung des Beschuldigten.
Es wird beschlossen:
Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 7. Juni 2016 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:
1. - 3. ( )
Der mit Verfügung der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis vom 17. Juli 2015 (B-7/2015/10023659) beschlagnahmte Pfefferspray wird eingezogen und der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen.
Das Genugtuungsbegehren des Privatklägers wird abgewiesen.
Die Gerichtsgebühr wird angesetzt auf: Fr. 1'800.00
Fr. 1'100.00 Gebühr Vorverfahren
Fr. 13.20 Entschädigung Zeugin Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.
7. - 9. ( )
Schriftliche Mitteilung mit dem nachfolgenden Urteil.
Es wird erkannt:
Der Beschuldigte ist schuldig der Tätlichkeit im Sinne von Art. 126 Abs. 1 StGB.
Der Beschuldigte wird mit einer Busse von Fr. 1'000.-bestraft (Ersatzfreiheitsstrafe 10 Tage).
Anstelle der Busse von Fr. 1'000.wird der Beschuldigte zur Leistung von 40 Stunden gemeinnütziger Arbeit verurteilt.
Die erstinstanzliche Kostenauflage (Dispositivziffer 7) wird bestätigt.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf Fr. 1'500.--.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem Beschuldigten auferlegt.
Dem Beschuldigten wird keine Prozessentschädigung zugesprochen.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an
die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)
die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis
die Vertretung des Privatklägers im Doppel für sich und die Privatklägerschaft (übergeben)
sowie in vollständiger Ausfertigung an
die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis
die Vertretung des Privatklägers im Doppel für sich und die Privatklägerschaft
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz
den Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungs- und Vollzugsdienste.
Gegen diesen Entscheid kann bund esrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer Zürich, 20. April 2017
Der Präsident:
lic. iur. R. Naef
Der Gerichtsschreiber:
Dr. iur. F. Manfrin
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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