Zusammenfassung des Urteils SU150016: Obergericht des Kantons Zürich
Das Urteil betrifft einen Fall, in dem es um die Veröffentlichung geheimer Informationen aus dem Entwurf eines Schlussberichts einer parlamentarischen Untersuchungskommission geht. Der Beschuldigte wurde freigesprochen, da das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das staatliche Geheimhaltungsinteresse überwog. Die Arbeit der Untersuchungskommission war zum Zeitpunkt der Publikation der Artikel bereits abgeschlossen, und die betroffenen Personen hatten Stellungnahmen abgegeben, die auch im veröffentlichten Bericht berücksichtigt wurden. Das Gericht kam zu dem Schluss, dass die Veröffentlichung keine erheblichen Schäden verursachte und das Informationsinteresse der Öffentlichkeit überwog. Das Urteil wurde am 27. Oktober 2015 vom Obergericht des Kantons Zürich gefällt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SU150016 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Strafkammer |
Datum: | 27.10.2015 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen |
Schlagwörter : | Schlus; Schlussbericht; Beschuldigte; Interesse; Bericht; Beschuldigten; Entwurf; Öffentlichkeit; Interessen; Informationen; Recht; Publikation; Entscheid; Anklage; Gericht; Geheimhaltung; Schlussberichts; Kanton; Kantons; PUK-Bericht; Passage; Untersuchung; Veröffentlichung; Stellung |
Rechtsnorm: | Art. 10 EMRK ;Art. 293 StGB ;Art. 398 StPO ; |
Referenz BGE: | 107 IV 188; 126 IV 236; |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SU150016-O/U/cw
Mitwirkend: die Oberrichter Dr. Bussmann, Vorsitzender, und lic. iur.
Burger, der Ersatzoberrichter lic. iur. Ernst sowie der Gerichtsschreiber lic. iur. Höfliger
Urteil vom 27. Oktober 2015
in Sachen
Untersuchungsbehörde und Berufungsklägerin
gegen
Beschuldigter und Berufungsbeklagter verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,
betreffend Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen
Anklage
Der Strafbefehl des Statthalteramts Bezirk Zürich vom 11. März 2013 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 5).
Urteil der Vorinstanz :
Der Einsprecher ist der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen im Sinne von Art. 293 Abs. 1 StGB nicht schuldig und wird freigesprochen.
Die Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz.
Die Kosten gemäss vorstehender Ziffer werden auf die Gerichtskasse genommen.
Die Kosten des Strafbefehls Nr. ST.2013.1773 vom 11. März 2013 und die
nachträglichen Gebühren werden dem Statthalteramt des Bezirkes Zürich zur Abschreibung überlassen.
Dem Einsprecher wird eine Entschädigung von Fr. 3'000.zulasten der Gerichtskasse zugesprochen.
Berufungsanträge:
Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 65 S. 2)
Der Beschuldigte sei der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen im Sinne von Art. 293 Abs. 1 StGB nicht schuldig und sei freizusprechen,
unter Kostenund Entschädigungsfolgen, zuzüglich MWSt., zulasten der Staatskasse.
Des Statthalteramts Bezirk Zürich: (Urk. 59, schriftlich)
Es sei das Urteil des Bezirksgerichtes Zürich vom 13. November 2014 (GC140228-L / U, 10. Abteilung, Einzelgericht) aufzuheben und der Berufungsbeklagte der Übertretung von Art. 293 StGB in Bestätigung des Strafbefehls des Statthalteramtes des Bezirkes Zürich ST.2013.1773 vom
März 2013 schuldig zu sprechen und ihn mit einer Busse von mindestens Fr. 800.00 unter Auferlegung der Verfahrenskosten zu bestrafen (einschliesslich der Gebühr von Fr. 550.00 und der nachträglichen Gebühren von Fr. 180.00).
Am 11. März 2013 wurde der Beschuldigte mittels Strafbefehl des Statthalteramtes Zürich wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen im Sinne von Art. 293 StGB mit einer Busse von Fr. 800.bestraft und wurden ihm Kosten und Gebühren von Fr. 550.auferlegt (Urk. 5).
Auf Einsprache des Beschuldigten hin (vgl. Urk. 6 - 38) sprach ihn das Bezirksgericht Zürich, 10. Abteilung - Einzelgericht, mit Urteil vom 13. November 2014 vom eingeklagten Vorwurf frei und sprach ihm eine Entschädigung von
Fr. 3'000.zu (Urk. 52).
Gegen diesen Entscheid meldete das Statthalteramt mit Eingabe vom
19. November 2013 innert Frist Berufung an (Urk. 47). Nach Erhalt des vorinstanzlichen Entscheids in begründeter Form am 23. Januar 2015 (Urk. 50/1) reichte es mit Eingabe vom 6. Februar 2015 (Poststempel: 9. Februar 2015) auch fristgerecht die Berufungserklärung ein (Urk. 53).
4. Mit Beschluss vom 19. März 2015 wurde das schriftliche Verfahren angeordnet (Urk. 57). Die Berufungsschrift des Statthalteramtes vom 10. April 2015
erfolgte innert Frist (Urk. 59). Die Berufungsantwort des Beschuldigten vom
15. Juni 2015 traf innert zweimalig erstreckter Frist ein (Urk. 65) und wurde dem Statthalteramt mit Verfügung vom 17. Juni 2015 zugestellt (Urk. 66). Die Vorinstanz verzichtete ausdrücklich auf die freigestellte Vernehmlassung (Urk. 62).
Bildeten ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens, so kann mit der Berufung nur geltend gemacht werden, das Urteil sei rechtsfehlerhaft die Feststellung des Sachverhalts sei offensichtlich unrichtig beruhe auf einer Rechtsverletzung (Art. 398 Abs. 4 StPO). Gerügt werden können somit zunächst Fehler bei der Anwendung des materiellen formellen Rechts wobei primär an Verletzungen des Bundesrechts, aber auch
z.B. der Grundrechte nach der Bundesverfassung der EMRK zu denken ist sowie Überschreitungen und Missbrauch des Ermessens und Rechtsverweigerung und Rechtsverzögerung. In Bezug auf die offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhalts können nur klare Fehler bei der Sachverhaltsermittlung gerügt werden. Gesamthaft fallen darunter Konstellationen, die als willkürliche Sachverhaltsfeststellungen zu qualifizieren sind (Schmid, StPO Praxiskommentar, Art. 398 N 12 f.). In tatsächlicher Hinsicht ist die Überprüfungsbefugnis des Obergerichts dementsprechend beschränkt. Zudem können neue Behauptungen und Beweise nicht vorgebracht werden (Art. 398 Abs. 4 Satz 2 StPO).
Anklagevorwurf
Der mit Strafbefehl vom 11. März 2013 erhobene Vorwurf an den Beschuldigten lautet (im Wesentlichen und sinngemäss), dieser habe in zwei im B. [Tageszeitung] erschienenen, aus seiner Feder stammenden Artikeln vom tt.mm.2012 und vom tt.mm.2012 (mit je einem Ausriss auf der Frontseite und dem eigentlichen Artikel im Wirtschaftsteil) rund ein Dutzend Mal Passagen aus dem geheimen Entwurf des Schlussberichts der PUK-BVK des Zürcher Kantonsrats zitiert. Die meisten dieser Passagen habe er mit Formulierungen eingeführt, die eindeutig auf die Quelle verweisen würden, wie beispielsweise: Weiter ist im PUK-Bericht zu lesen , Dazu heisst es im PUK-Bericht , Laut PUKBericht . Schliesslich habe er auch noch geschrieben: Der noch unter Verschluss gehaltene Bericht der PUK, womit es ihm also vollkommen klar gewesen sei, dass er aus einem geheimen Papier zitiere, das folglich nicht für die Öffentlichkeit bestimmt gewesen sei (Urk. 5).
Anklagegrundsatz und relevanter Sachverhalt
Die Verteidigung machte vor Vorinstanz geltend, mit dieser Umschreibung erwähne der Strafbefehl die vorgeworfene Tathandlung unpräzise bzw. lediglich summarisch, und erfülle damit die Anforderungen an das Anklageprinzip nicht (Urk. 45 S. 3). Mit Berufungsantwort vom 15. Juni 2015 hält sie ausdrücklich vollumfänglich an sämtlichen ihren Ausführungen vor Vorinstanz fest (Urk. 65 S. 8 Rz. 10). Sie wiederholt demnach auch ihre Rüge, dass der Anklagegrundsatz verletzt sei. Ob dem so ist, ist auch schon von Amtes wegen zu prüfen.
Die Vorinstanz verneinte die Frage mit der Begründung, der Anklagevorwurf gehe klar dahin, dass der Beschuldigte in den entsprechenden zwei Artikeln willentlich und wissentlich rund zwölf Mal Passagen aus einem geheimen Papier zitiert habe. Die inkriminierten Passagen würden im Strafbefehl zwar keine ausdrückliche Erwähnung finden, seien indes durch die Bezugnahme auf den PUK-Bericht hinreichend genau umschrieben, womit das Anklageprinzip gewahrt sei. Die Konkretisierung der Passagen und deren Inhalt sei (erst) für die Interessenabwägung im Rahmen der materiellrechtlichen Würdigung von Bedeutung (Urk. 52 S. 4 f.).
Der Vorinstanz ist darin zu folgen, dass die pauschale Umschreibung des Anklagevorwurfs die Anforderungen an das Anklageprinzip gerade noch erfüllt. Ergänzend zu den erstinstanzlichen Ausführungen ist insbesondere von Bedeutung, dass das vorgeworfene Zitieren aus dem PUK-Bericht vom Beschuldigten seit Anbeginn eingestanden worden ist (Urk. 4/15 S. 1 f.; Prot. I S. 9 f.), und deshalb nicht ersichtlich ist - und vom Verteidiger letztlich auch nicht dargelegt wird - dass und inwiefern der Beschuldigte nicht gewusst haben sollte, was für ein strafbares Verhalten ihm vorgeworfen wird und er sich deshalb nicht wirkungsvoll hätte verteidigen können. Der Schutz der Verteidigungsrechte des Beschuldigten (und damit die Informationsfunktion des Anklagegrundsatzes, vgl. BSK StPO-Niggli/Heimgartner, 2. Aufl., Art. 9 N 32 ff.) ist somit gewahrt.
Zu präzisieren sind die erstinstanzlichen Ausführungen indes dahingehend, dass der konkrete Inhalt der inkriminierten Textpassagen nicht erst bei der rechtlichen Würdigung, sondern bereits bei der Feststellung des relevanten Sachverhalts eine wichtige Rolle spielt. Insofern ritzt der Strafbefehl mit seinen pauschalen Formulierungen (Rund ein Dutzend Passagen / die meisten dieser Passagen / Beispiele) und seinem Verzicht auf die wörtliche Auflistung der gemeinten Passagen zumindest an der Umgrenzungsfunktion des Anklagegrundsatzes. Gegenstand des Gerichtsverfahrens können nur die Sachverhalte sein, die dem Angeklagten in der Anklagesachrift konkret vorgeworfen werden. Diesbezüglich lautet die massgebliche Frage aber nicht nur, ob der Beschuldigte erkennen konnte, was ihm vorgeworfen wird, sondern auch, ob das Gericht dies konnte (vgl. BSK StPO-Niggli/Heimgartner, 2. Aufl., Art. 9 N 36 und 46b).
Um im vorliegenden Fall beurteilen zu können, ob die einzelnen vom Beschuldigten verwendeten Informationen aus dem PUK-Bericht einem überwiegenden Informationsinteresse der Öffentlichkeit zugeordnet werden können, muss vorerst der jeweilige konkrete Inhalt derselben fixiert werden können. Aus dem angefochtenen Strafbefehl geht indes jedenfalls für das Gericht - nicht ohne Weiteres hervor, welches im Einzelnen die inkriminierten Textstellen sind. Es kann aber nicht die Aufgabe des Gerichts sein, zwei mehrseitige Artikel mit dem rund 200-seitigen PUK-Bericht abzugleichen, um herauszufinden, wie viele Zitate (mit ohne Hinweis auf die Quelle) der Beschuldigte nun genau verwendete und welchen präzisen Inhalts diese sind, sondern dies wäre die Sache der Anklagebehörde gewesen.
Die Bestimmung des konkreten Gegenstandes der Anklage wird weiter dadurch erschwert, dass in den zwei Artikeln offenbar auch Informationen aus der Anklageschrift und aus Protokollen des Strafverfahrens gegen C. zitiert
werden. Dabei wird trotz vereinzelter expliziter Quellenhinweise nicht durchwegs klar, ob und inwieweit einzelne Zitate und Inhalte (direkt) aus diesen Strafakten dem Entwurf des Schlussberichts der PUK stammen. Die Ausscheidung der Quellen wird im Übrigen noch dadurch verkompliziert, dass laut Schlussbericht einerseits Informationen aus dem Strafverfahren C. in den Bericht integriert worden sind (vgl. den Entwurf Schlussbericht [Urk. 4/3], S. 24 ff., nachfolgend jeweils ohne Aktorennummer zitiert) und andererseits auch Informationen aus der PUK-Untersuchung an die Strafbehörden geflossen sind (vgl. z.B. Entwurf Schlussbericht, S. 126). Die Veröffentlichung von Informationen aus dem Strafverfahren C. ist aber nicht eingeklagt, und im Übrigen wäre auch fraglich, inwieweit solche Informationen noch als geheim im Sinne von Art. 293 StGB erachtet werden können in Anbetracht der Tatsache, dass die erstinstanzliche Gerichtsverhandlung gegen C. welche der Beschuldigten mitverfolgt hatte (Prot. I S. 14) bereits vorgängig (vom 1. bis 13. Juli 2013) stattgefunden hatte und öffentlich war (vgl. BSK-Strafrecht II-Fiolka, Art. 293 N 25 und 27; vgl. auch Trechsel/Vest, in Trechsel/Pieth [Hrsg.], StGB PK, 2. Aufl., Art. 293 N 6).
Zu bemängeln an der Untersuchungsführung ist überdies, dass die inkriminierten vier Texte (zwei Artikel mit je einem Ausriss auf der Frontseite und dem eigentlichen Artikel im Wirtschaftsteil) auf welche mit Anklage verwiesen wird, in den Untersuchungsakten nirgendwo offiziell in vollständiger Form abgelegt worden sind. Erst beim Durchblättern nicht einakturierter Nebenakten stösst man auf zwei Kopien der vollständigen Artikel, welche offenbar von D. , einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin der PUK-BVK auf Aufforderung der Staatsanwaltschaft eingereicht wurden (in Urk. 4, unakturierte Akten vor dem ersten Abgriff, Papiermappe mit der Beschriftung zu Frage 5; die Aufforderung der Staatsanwaltschaft findet sich in Urk. 4/5). Auf diesen Kopien markierte D. einzelne Stellen, welche ihrer Auffassung nach aus dem Entwurf des Schlussberichts der PUK (und teilweise auch aus anderen Unterlagen der PUK; vgl. nachstehend) herrühren sollen.
Nach dem Gesagten sind in Nachachtung des Anklageprinzips einerseits und des Grundsatzes in dubio pro reo andererseits bloss diejenigen Sätze
aus den zwei eingeklagten B. [Tageszeitung] Artikeln als Gegenstand der Anklage zu betrachten, deren Inhalt aufgrund der in der vorliegenden Anklage angegebenen (dort nur als Beispiele zitierten) Formulierungen zweifelsfrei als aus dem Entwurf des Schlussberichts herstammend bestimmt werden können. Dies sind, unter Auslassung sich inhaltlich wiederholender Stellen, die folgenden Passagen (wobei die eigentlichen Übernahmen kursiv gesetzt sind und der Quellenverweis unterstrichen ist):
Artikel vom tt.m m.2012
Geradezu grotesk mutet an, dass sich E. , der Chef der F. , bei Investitionsentscheiden und bei den Sanierungsbemühungen in den Jahren 2000 und 2001 auf die Mithilfe eines Astrologen verliess. [ ]. «Ob es die mittlerweile regelmässig erfolgten Zahlungen von E. an C. waren, welche ihn ( ) zum Mitmachen bewegten, ob es die Nutzung der günstigen Stunde war, welche E. für pauschal 5000 Franken pro Monat (plus Erfolgsbeteiligung) einen Astrologen berechnen liess, bleibe dahingestellt. Die BVK musste schliesslich sämtliche Forderungen aus dem Repogeschäft vollständig abschreiben», heisst es daz u im PUK-Bericht.
(Die Passage steht im Anreisser auf der Titelseite und wird im eigentlichen Artikel im Wirtschaftsteil sinngemäss wiederholt. Das Zitat stammt aus Entwurf Schlussbericht, S. 71 f.)
Gemäss Anklageschrift hat C. bei der F. -Sanierung 43 Millionen Franken ohne die Zustimmung G. s eingesetzt. Im Bericht steht nun aber, dass G. davon wusste. C. informierte G. demnach bereits am 15. April 2003 in einem Memo darüber, dass der Sanierungsbeitrag von 20 Millionen und das Repogeschäft von 43 Millionen Franken «nicht im Rahmen der Anlagestrategie beziehungsweise des jährlich zur Verfügung Anlagebudgets» erfolgt seien.
(Passage steht im Anreisser, das Zitat stammt aus Entwurf Schlussbericht, S. 72.)
Details zur Vereinbarung mit dem Astrologen aus dem PUK-Bericht. [ ].
E. liess sich auch für die genaue Besprechungszeit mit C.
oder
den Termin für die GV astrologisch beraten: «Nach Abwägen aller Pros und Kontras ( ) der vier vorgeschlagenen Termine ( ) für die GV 02, schlage ich Freitag, den 26. April vor. Wir haben um 13.30 Uhr einen schönen Aszendenten (Venus-Pluto), in der Nähe Deines Plutos. [ ].»
(Die Passage ist aus einem Kasten im eigentlichen Artikel im Wirtschaftsteil, das Zitat, hier auszugsweise wiedergegeben, stammt aus Entwurf Schlussbericht S. 72, Fussnote 240.)
Artikel vom tt.m m.2012
Der noc h unter Verschlus s gehaltene Bericht der parlam entarischen Untersu- chungs kom mission (PUK) zur Affäre um die Beamten-Pensionskasse des Kantons Zürich (BVK) zeigt Überraschendes: Bereits vor 17 Jahren erstellten die Wirtschaftsprüfer von H. einen Bericht zur Anlagentätigkeit der BVK. Darin wurde unter anderem festgehalten, dass die vorhandene Organisation
«nicht Gewähr biete», dass die Transparenz, das Reporting und die Performance-Messung denjenigen Standard erreichen, der unter den Aspekten «Ertrag, Liquidität und Sicherheit erforderlich ist». Es ging dabei um «marktunübliche kollegiale Konditionen» und «völlig ungenügende Kreditunterlagen» bei risikobehafteten Kapitalanlagen von 112 Millionen Franken, die allein in den Jahren 1994 und 1995 getätigt wurden.
(Die Passage steht im Ausriss auf der Titelseite. Lediglich die Angabe, dass bereits vor 17 Jahren ein Revisionsbericht zur Anlagetätigkeit der BVK erstellt worden sei, referiert auf Informationen aus dem Entwurf des Schlussberichts [S. 25]. Im weiteren zitiert der Beschuldigte offenbar Informationen aus dem Bericht der Wirtschaftsprüfer H. [heute:
I. ], welche sich aber in dieser Form im PUK-Bericht selber nicht
finden. D. hat denn auch diese [ganze] Passage nicht markiert, woraus geschlossen werden muss, dass der Beschuldigte trotz seines einleitenden Quellenverweises auch aus Sicht der PUK hier keine Informationen aus ihrem Entwurf preisgegeben hat.)
Weiter ist im PUK-Bericht zu les en, dass der wegen Bestechung angeklagte C. , ehemals BVK-Anlagechef, sein Vorgänger J. sowie C. s
damaliger Vize K. , private Konten bei [der Privatbank]
L. hatten Gemäss Aussagen eines ehemaligen Revisors kam es [ ] zu sogenannten Schubladengschäften [ ]. Diese Passage ist im PUK-Bericht nicht bewiesen und wird von J. heftig bestritten.
(Passage aus dem Anreisser des Artikels, Zitat aus Entwurf Schlussbericht, S. 125 f.).
- Der Mann der dies alles wusste, war der spätere SVP-Kantonsrat M. . [ ] Laut PUK hat M. seine Kollegen nicht ausreichend informiert, sondern versucht aus der BVK politisches Kapital zu schlagen. [ ] Daz u heisst es im PUK-Bericht: «Aus beruflichen Gründen wollte er nicht in der Subkommission BVK Einsicht nehmen, was ihn aber nicht hinderte, deren Arbeit massiv zu hinterfragen und beim zuständigen Finanzdirektor Fragen zur BVK zu stellen».
(Passage aus dem Anreisser des Artikels, Zitat aus Entwurf Schlussbericht, S. 146 f.)
Und [ ] M. packte aus. Was er zu sagen hatte ist wesentlicher Bestandteil des PUK-Berichts [ ].
(Die Passage, welche sich nur generell auf den Entwurf des Schlussberichts bezieht, steht im eigentlichen Artikel im Wirtschaftsteil. Die wissenschaftliche PUK-Mitarbeiterin D. macht in den vorerwähnten, nicht einakturierten Eingaben geltend, dass der Beschuldigte in diesem Artikel Aussagen von M. aus dem entsprechenden geheimen PUK-Befragungsprotokoll zitiert habe, was hier nicht weiter zu verfolgen ist, nachdem dieser Vorgang nicht Gegenstand der Anklage bildet.)
[ ] N. sollte später vor der PUK bestätigen, dass er als Revisor [der Privatbank L. ] festgestellt habe, dass es im Zusammenhang mit der BVK zu verbotenen Schubladengeschäften gekommen sei (siehe Kasten). Laut PUK-Bericht konnte die Staatsanwaltschaft aufgrund der 20 Jahre alten Belege keine Beweise mehr finden.
(Passage aus dem eigentlichen Artikel im Wirtschaftsteil, welche sich sinngemäss auf den Entwurf Schlussbericht, S. 125 f. bezieht.)
M. sagte zudem, er habe dem damaligen Leiter der Finanzkontrolle,
O. , seine Bedenken bezüglich der Geschäfte C. s mitgeteilt. Dieser mag sich jedoch gem äs s PUK-Bericht nicht mehr daran erinnern.
(Passage aus dem eigentlichen Artikel im Wirtschaftsteil, welche sich sinngemäss auf den Entwurf Schlussbericht, S. 146 f. bezieht.)
Die PUK wirft M. heute vor, er habe damals gegenüber seinen Kollegen sein Wissen verheimlicht. [ ]. Und noch etwas ist merkwürdig. [ ] All dies hat M. seinen Kollegen in der Finanzkommission mitgeteilt. Die PUK hält in ihrem vorläufigen Schlus sbericht trotzdem fest, M. habe sein Wissen gegenüber seinen Kollegen verheimlicht.
(Passagen aus dem eigentlichen Artikel im Wirtschaftsteil, welche sich sinngemäss auf den Entwurf Schlussbericht S. 147).
Zusammengefasst lautet der von der Anklage gedeckte - Vorwurf an den Beschuldigten in konkretisierter Form im Wesentlichen, dass er in seinen zwei Artikeln willentlich und wissentlich die folgenden Informationen aus dem geheimen Entwurf des Schlussberichts der PUK-BVK veröffentlicht habe:
dass sich E. , der Chef der F. , bei Investitionsentscheiden und bei den Sanierungsbemühungen rund um die F. in den Jahren 2000 und 2001 auf die Mithilfe eines Astrologen verlassen habe, welchem er dafür Fr. 5'000.im Monat bezahlt habe,
dass der wegen Bestechung angeklagte ehemalige BVK-Anlagechef C. bei der F. -Sanierung 43 Millionen Franken eingesetzt und der damals zuständige Regierungsrat G. davon gewusst habe,
dass ein (in den 1990er Jahren) auf die Privatbank L. angesetzter Revisor der PUK gegenüber bestätigt habe, dass C. und weitere Angestellte der BVK private Konten bei der Privatbank L. gehabt hätten, und dass es in diesem Zusammenhang zu verbotenen Schubladengeschäften gekommen sei (d.h. günstige Börsengeschäfte den Privatkonten und ungünstige Börsengeschäften den BVK-Konten gutgeschrieben worden seien), und dass laut PUK-Bericht die Staatsanwaltschaft aufgrund des 20-jährigen Zurückliegens dieser Ereignisse keine Beweise mehr habe finden können,
dass die PUK M. , welcher (als ehemaliger Wirtschaftsprüfer) von diesen Vorgängen um die Privatbank L. gewusst habe, vorwerfe, später als SVP-Kantonsrat sein Wissen gegenüber seinen Kollegen verheimlicht zu haben.
Sachverha ltswürdig ung
Die Vorinstanz hat überzeugend dargetan, dass der Sachverhalt gemäss Strafbefehl erstellt ist (Urk. 52 S. 5). Ihre Erwägungen behalten ihre Gültigkeit auch für den vorliegend zu Grunde gelegten eingeschränkten bzw. konkretisierten Sachverhalt. Namentlich hat die Vorinstanz willkürfrei erörtert, dass ohne rechtserhebliche Zweifel davon ausgegangen werden kann, dass der Beschuldigte auch schon vor Erscheinen seines ersten Artikels von der Geheimerklärung Kenntnis gehabt hatte. Der Sachverhalt wie er vorstehend in Ziff. 2.6. umschrieben ist, ist demnach erstellt.
Allgemeine rechtliche Aus führung en
a) Nach Art. 10 Ziff. 2 EMRK ist die Ausübung der Meinungsfreiheit, und damit auch der Pressefreiheit, mit Pflichten und Verantwortung verbunden und kann daher Formvorschriften, Bedingungen, Einschränkungen Strafdrohungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokrati-
schen Gesellschaft für die nationale Sicherheit, die territoriale Unversehrtheit die öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit der Moral, zum Schutz des guten Rufes der Rechte anderer, zur Verhinderung der Verbreitung vertraulicher
Informationen zur Wahrung der Autorität und der Unparteilichkeit der Rechtsprechung notwendig sind.
b) Nach Art. 293 Abs. 1 StGB wird mit Busse bestraft, wer, ohne dazu berechtigt zu sein, aus Akten, Verhandlungen Untersuchungen einer Behörde, die durch Gesetz Beschluss der Behörde im Rahmen ihrer Befugnis als geheim erklärt worden sind, etwas an die Öffentlichkeit bringt.
Der Schutzzweck von Art. 293 StGB liegt im Interesse einer möglichst freien, durch keinerlei unzeitige Beeinflussung von aussen behinderten Meinungsbildung von Behörden. Der Prozess der Meinungsbildung und Entscheidfindung innerhalb eines staatlichen Organs soll vor Störungen geschützt werden. Personen, welche an der Willensbildung von Behörden, Kommissionen etc., mitwirken, soll so ein Freiraum gegeben werden, Fragen zu stellen, Anregungen und Mutmassungen vorzubringen, die sich ex post als unhaltbar erweisen können, aber Zugeständnisse zu machen, welche ihnen ex post als Schwäche angelastet werden könnte. Es geht also nicht um den Schutz von Geheimnissen, sondern um den Schutz einer 'Geheimsphäre' (vgl. BGE 107 IV 188, 126 IV 236, BSK Strafrecht II
- Fiolka, Art. 293 N 6, Trechsel/Vest, StGB PK, Art. 293 N 1).
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts (vgl. BGE 126 IV 236 [P. gegen Statthalteramt des Bezirks Zürich], letztmals bestätigt in Urteil 6B_186/2012 vom 11. Januar 2013) soll Art. 293 StGB ein formeller Geheimnisbegriff zu Grunde liegen. Danach ist allein massgebend, ob die Akten, Verhandlungen Untersuchungen durch Gesetz durch Beschluss der Behörde als geheim erklärt worden sind. Das Strafgericht hat (im Hinblick auf eine Strafbefreiung im Sinne von Art. 293 Abs. 3) einzig vorfrageweise zu prüfen, ob die Geheimhaltungserklärung in Anbetracht von Gegenstand und Inhalt der Akten, Verhandlungen und Untersuchungen noch als vertretbar erscheint. Ein Informationsinteresse der Öffentlichkeit (und damit die Pressefreiheit) betrifft nach Auffassung des Bundesgerichts nicht schon die Tatbestandsmässigkeit einer Veröffentlichung, sondern erst die Rechtswidrigkeit und ist deshalb (ausschliesslich) bei der Prüfung des aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrundes der Wahrung berechtigter Interessen von Relevanz.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (nachfolgend: EGMR) erwog in seinem Urteil Nr. 69698/01 vom 10. Dezember 2007 in Sachen P. c. Schweiz (nachfolgend: Entscheid P. ), welches den BGE 126 IV 236 zugrunde liegenden Fall betrifft, dass die Bestrafung eines Journalisten mit einer relativ geringfügigen Busse wegen Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen dann mit Art. 10 EMRK vereinbar ist, wenn im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung der massgebenden Umstände das staatliche Geheimhaltungsinteresse gewichtiger ist als das Informationsinteresse der Öffentlichkeit. Der EGMR nimmt mithin grundsätzlich eine Interessenabwägung vor. In diesem Entscheid stellte sich der EGMR auch die Frage, ob der vom Bundesgericht herangezogene formelle Geheimnisbegriff mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist. Dabei erwog er, dass mit den Erwägungen 8 und 9 von BGE 126 IV 236 wonach jeweils vorfrageweise geprüft werden müsse, ob die Geheimhaltungserklärung gerechtfertigt gewesen sei, und hinterher zu beachten sei, ob der ausserrechtliche Rechtsfertigungsgrund der Wahrung berechtigten Interessen vorliege auch das Bundesgericht explizit anerkannt habe, dass bei der Prüfung von Art. 293 StGB eine Abwägung der auf dem Spiel stehenden Interessen vorzunehmen sei. Der EGMR zog deshalb das Fazit, dass das Festhalten des Bundesgerichts am formellen Geheimnisbegriff Art. 10 EMRK (jedenfalls im konkreten Fall) nicht verletze (Entscheid P. , §§ 137-139).
Allerdings ist ein Teil der Lehre und der kantonalen Gerichte sowie im vorliegenden Fall (sinngemäss) auch der Verteidiger (Urk. 45 S. 5 f.) - der Auffassung, dass der EGMR in seinem Entscheid P. vom 10. Dezember 2007 das Urteil P. des Bundesgerichts vom 5. Dezember 2000 (BGE 126 IV 236) falsch verstanden habe und dass bei genauer Betrachtung nicht ein formeller, sondern lediglich ein materieller Geheimnisbegriff mit der Europäischen Menschenrechtskonvention und der entsprechenden Rechtsprechung des EGMR vereinbar sei. Die Veröffentlichung aus Verhandlungen erfüllt demnach den Tatbestand von Art. 293 StGB, wenn die veröffentlichte Tatsache ein Geheimnis im materiellen Sinne ist (vgl. BSK Strafrecht II - Fiolka, Art. 293 N 5 und 26 f., vgl. auch das Bundesgerichtsurteil 6B_186/2012 vom 11. Januar 2013 E. 1.2 und das Urteil des Obergerichts SU110024 vom 2. Februar 2012, mit je weiteren Hinweisen).
Ein solches setzt unter anderem voraus, dass ein berechtigtes Geheimhaltungsinteresse besteht. Bei der Prüfung dieser Frage ist das entgegenstehende Informationsinteresse der Öffentlichkeit mit zu berücksichtigen. Wenn dieses gegenüber dem Geheimhaltungsinteresse überwiegt, ist Letzteres nicht berechtigt, fehlt es somit an einem Geheimnis im materiellen Sinne und ist daher, ungeachtet der Geheimhaltungserklärung, die Veröffentlichung nicht tatbestandsmässig. Bei dieser Betrachtungsweise kommt dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit tendenziell ein grösseres Gewicht zu als auf der Grundlage eines formellen Geheimnisbegriffs. Denn im letztgenannten Fall ist das Informationsinteresse der Öffentlichkeit nur ein Kriterium neben andern bei der Prüfung der Frage, ob die angesichts der Geheimhaltungserklärung tatbestandsmässige Veröffentlichung durch den aussergesetzlichen Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen gerechtfertigt ist, an welchen strenge Anforderungen gestellt werden (so Urteil 6B_186/2012 E 1.2).
Im Urteil Nr. 56925/08 vom 1. Juli 2014, in Sachen Q. c. Schweiz hatte sich der EGMR ein weiteres Mal mit einem Straffall nach Art. 293 StGB zu befassen. Der EGMR bestätigte, dass sich Art. 293 StGB bzw. der diesem nach Auffassung des Bundesgerichts zugrunde gelegte formelle Geheimnisbegriff grundsätzlich im Einklang mit der Konvention handhaben lasse. Voraussetzung hierfür sei, dass die Gerichte über den Wortlaut der Norm hinaus eine auf den konkreten Fall gemünzte Interessenabwägung vornehmen, die auf die tatsächliche Beeinträchtigung der geschützten Rechtsgüter abstellt (§ 53 f.). Vieles in diesem (nicht einstimmig) gefällten Entscheid deutet darauf hin, dass die Abwägung der Interessen in einer Art vorgenommen werden muss, die der besonderen Bedeutung der Meinungsund Medienfreiheit in einer demokratischen Gesellschaft stärker Rechnung trägt. Besteht an einer Debatte zu einem bestimmten Thema ein konkretes Interesse der Öffentlichkeit, braucht es nach Auffassung des EGMR gute Gründe für einen staatlichen Eingriff. Dieser jüngste Entscheid verschiebt nach der Auffassung einzelner Beobachter die Gewichte zugunsten der Meinungsund Medienfreiheit (vgl. Stefan Schüre, Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR), zweite Kammer, 1. Juli 2014, Nr. 56925/08, Q. contre Suisse, Entscheidbesprechung, in: AJP 2014 S. 1246 ff.). Im Weiteren sieht der
EGMR (Entscheid Q. , § 56) im Schutz der Privatsphäre der von einer Veröffentlichung betroffenen Privatpersonen kein ausreichendes staatliches Motiv zum Eingriff in die Meinungsfreiheit (bzw. Pressefreiheit); solange solchen Betroffenen der Rechtsweg offen stehe, um sich gegen eine allfällige Ehrverletzung zur Wehr zu setzen.
Indes kann heute die Streitfrage, ob Art. 293 StGB unter der Prämisse eines formellen eines materiellen Geheimnisbegriffs ausgelegt werden müsse, offen gelassen werden. Wie zu zeigen sein wird, führt eine in einem ersten Schritt vorgenommene Interessenabwägung im Zusammenhang mit den vorliegend zur Diskussion stehenden Artikeln zum Resultat, dass im vorliegenden Fall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das Geheimhaltungsinteresse des Staates insgesamt überwiegt. Weiter zeigt sich in einem zweiten Schritt, dass auch die (übrigen) Kriterien des Rechtfertigungsgrunds der Wahrung berechtigter Interessen erfüllt sind. Ein solches Resultat führt demnach sowohl nach der Konzeption des Bundesgerichts als auch nach der Auffassung des EGMR zu einem Freispruch, und somit unabhängig davon, ob die (vom EGMR geforderte) Interessenabwägung im Rahmen des Tatbestandes erst unter dem Titel der Rechtswidrigkeit vorgenommen wird. Aus diesem Grund besteht heute kein Anlass dazu, von der bundesgerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen.
Kriterien zur Interessenabwägung nach der Rechtsprechung des EGMR
Nachfolgend sind somit die Interessen, welche im Zusammenhang mit den vom Beschuldigten publizierten Zeitungsartikel auf dem Spiel standen, noch einmal gegeneinander abzuwägen. Da das Landesrecht, soweit als möglich EMRKkonform auszulegen ist (vgl. BGE 126 IV 236, 247 E. 4.b; Urteil 6B_185/2012
2.4), ist die Interessenabwägung nach dem vom EGMR in seiner Rechtsprechung vorgezeichneten Prüfmassstab bzw. Kriterien vorzunehmen. Diesbezüglich sind dem Entscheid P. die folgenden Prüfschritte zu entnehmen:
Zuerst prüft der EGMR die Frage, welche Interessen sich im konkreten Fall gegenüber stehen. Dabei hat er festgestellt, dass sich bei einer Beurteilung von Art. 293 StGB mit dem staatlichen Geheimhaltungsinteresse auf der einen Seite und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit (Publikationsinteresse) auf der anderen Seite zwei öffentliche Interessen gegenüberstehen (vgl. Entscheid P. , The nature of interests, §§ 113-116).
Sodann untersucht und gewichtet der EGMR die einzelnen Interessen.
Hinsichtlich des Informationsinteresses der Öffentlichkeit (The public interest in publication of the articles, Entscheid P. , §§ 117-124) prüft er vorerst, ob das Thema der inkriminierten Publikation bzw. der darin enthaltenen Informationen von grundsätzlichem Interesse für die Öffentlichkeit war (§§ 117-120) und sodann, ob die konkrete inkriminierte Publikation geeignet war, einen Beitrag zu öffentlichen Debatten über das betreffende Thema zu leisten (§§ 121-124). Zur Beantwortung dieser Fragen ist nicht nur auf die einzelne Publikation, sondern auf den weiteren Kontext der medialen Berichterstattung zum betreffenden Thema (§ 117: in the wider context of the media coverage of the issue) abzustellen.
Bei der Untersuchung und Gewichtung der entgegen gesetzten staatlichen Interessen (The interests the domestic authorities sought to protect, Entscheid P. , §§ 125-136) prüft der EGMR erstens, ob ein grundsätzliches staatliches Geheimhaltungsinteresse in der Sache gegeben ist (unter dem Stichwort confidentiality, §§ 125-129). Zweitens bewertet er das konkrete Interesse an der Geheimhaltung unter den gegebenen Umständen des Einzelfalls (Repercussions in the circumstances of the case, §§ 130-136). Hier prüft er insbesondere die Frage, ob die inkriminierte Publikation geeignet war, den Interessen des Staates einen beträchtlichen Schaden zuzufügen (capable of causing 'considerable damage' to the country's interests § 130). Das Kriterium der Geeignetheit beträchtlicher Schadenszufügung verlangt nicht, dass mit der Veröffentlichung einer geheimen Information gleichsam die Grundfeste des Staates erschüttert werden müssen (vgl. Christoph Auer, Kritische Bemerkungen zum Entscheid SK-Nr. 87/2006 des Obergerichts
des Kantons Bern betr. die Anwendung von Art. 293 StGB, in ZBJV 145/2009 S. 67). Zu prüfen ist deshalb nicht etwa, ob das Staatsgefüge das demokratische System hätte Schaden nehmen können, sondern lediglich die (bescheidenere) Frage, ob die betreffende Publikation geeignet war, den staatlichen Interessen im konkreten Fall einen beträchtlichen Schaden zuzufügen (vgl. Entscheid P. , § 136: liable to cause considerable damage to the interests of the respondent party in the present case).
Die auf dem Spiel stehenden Interessen der staatlichen Geheimhaltung einerseits und des öffentlichen Informationsbedürfnisses andererseits sind demnach sowohl grundsätzlich (bzw. allgemein) wie auch konkret zu gewichten, wobei der konkreten Gewichtung die vorrangige Bedeutung zukommt.
Interessenabwägung im konkreten Fall
Einleitung
Die Vorinstanz kam zum Schluss, dass im vorliegenden Fall das Informationsinteresse der Öffentlichkeit das staatliche Geheimhaltungsinteresse deutlich überwiege. Ihrer Argumentation kann zugestimmt werden, weshalb vorab darauf verwiesen werden kann (Urk. 52 S. 8 f.). Ergänzend ist, in Anwendung des vorstehend skizzierten Prüfmassstabes des EGMR, das Folgende festzuhalten:
Sich gegenüberstehende Interessen
Im vorliegenden Fall stehen sich die nachstehenden öffentlichen Interessen gegenüber. Auf der einen Seite stehen das allgemeine Interesse des Staates an der Geheimhaltung einer Parlamentarischen Untersuchungskommission (hier zum sog. BVK-Skandal) zum Schutze einer möglichst freien Meinungsund Willensbildung der einer solchen PUK angehörenden staatlichen Exponenten sowie das konkrete staatliche Interesse an der Geheimhaltung des Entwurfs des PUK-BVK Berichts (vor dessen endgültigen Publikation). Auf der anderen Seite stehen das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit an Informationen über eine PUK bzw. den BVK-Skandal im allgemeinen sowie ihr konkretes Interesse an der VorabPublikation einzelner Ergebnisse aus dem geheimen Entwurf des Schlussberichts der PUK-BVK zu diesem Thema.
Allgemeines staatliches Geheimhaltungsinteresse
Dass ein staatliches Geheimhaltungsinteresse vorliegend grundsätzlich zu bejahen ist, steht ausser Frage und wird auch vom Beschuldigten (sinngemäss) nicht bestritten (Urk. 45 S. 7; Urk. 65 S. 4). Zur Gewichtung dieses allgemeinen Interesses ist das Folgende festzuhalten:
Bedürfen Vorkommnisse von grosser Tragweite im Zuständigkeitsbereich der Oberaufsicht eines Parlamentes der besonderen Klärung, kann zur Ermittlung der Sachverhalte und zur Beschaffung weiterer Beurteilungsgrundlagen eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) eingesetzt werden. Das Verfahren einer solchen PUK ist auf kantonalzürcherischer Ebene im Kantonsratsgesetz, insbesondere in §§ 34f-34n KRG, (lückenhaft) geregelt. Gemäss dem (für jede Art von Kommissionen des Kantonsrats geltenden) § 53 KRG sind die Sitzungen einer PUK nicht öffentlich (vgl. auch Erol Baruh, Les commissions d'enquête parlementaires, 2007, N 271 und Anm. 622). Nach § 34 Abs. 2 KRG liegt es an der PUK, zu bestimmen, welche der von ihr (aus Akten und Anhörungen) gewonnenen Informationen vom Amtsgeheimnis befreit bzw. publik gemacht werden kön- nen, wobei sie hiezu die privaten und öffentlichen, dem Amtsgeheimnis unterstehenden Interessen gegen das (öffentliche) Interesse an der Publikation der Untersuchungsergebnisse abzuwägen hat (vgl. Baruh, a.a.O. N 361). § 34l KRG regelt das rechtliche Gehör der von einer PUK betroffenen Personen. Diese haben gemäss § 34l Abs. 1 grundsätzlich das Recht, den Befragungen der PUK beizuwohnen und Ergänzungsfragen zu stellen, an Augenscheinen teilzunehmen sowie in die herausgegebenen Akten, Gutachten und Einvernahmeprotokolle der Untersuchungskommission Einsicht zu nehmen. Gemäss § 34l Abs. 3 muss nach Abschluss der Ermittlungen und vor der Berichterstattung an den Kantonsrat denjenigen Personen, denen gegenüber Vorwürfe erhoben werden, Gelegenheit gegeben werden, sich dazu vor der Untersuchungskommission zu äussern. Aus dieser Bestimmung ergibt sich weiter (wenn auch im Gesetz nicht explizit genannt) die Pflicht der PUK, allfällige Stellungnahmen dieser Personen zumindest sinngemäss in den Schlussbericht aufzunehmen (vgl. Art. 168 Abs. 8 ParlG für die PUK des Bundesparlaments). Gemäss dem letzten Paragraphen zur PUK, § 34n KRG, hat die parlamentarische Untersuchungskommission nach Abschluss der Untersuchung dem Kantonsrat einen schriftlichen Bericht zu unterbreiten. Eine darüber hinausgehende Pflicht zur Publikation des Schlussberichtes zuhanden der breiten Öffentlichkeit wird im Kantonsratsgesetz nicht statuiert, ist aber Usus und lässt sich seit Inkrafttreten des Gesetzes über die Information und den Datenschutz wohl auch aus § 14 IDG ableiten.
Aus der vorstehend skizzierten Verfahrensordnung geht somit hervor, dass die Arbeit einer PUK vertraulich ist. Dies gilt auch für den Schlussbericht, solange er nicht öffentlich gemacht ist (was i.d.R. erst nach Berichterstattung an den Kantonsrat bzw. der Publikation des Schlussberichts der Fall ist; vgl. auch Baruh, a.a.O., N 275; im vorliegenden Fall wurde der Entwurf des Schlussberichts PUKBVK mit Präsidialverfügung vom 17. August 2012 als geheim erklärt, vgl. Entwurf Schlussbericht, Beilage 4). Diese Regelung dient nicht etwa der Geheimniskrämerei, verpflichtet der Gesetzgeber die Parlamentarischen Untersuchungskommissionen doch auch, den Kantonsrat und die Öffentlichkeit über die Ergebnisse ihrer Untersuchung zu informieren. Vertraulich ist deshalb lediglich der Untersuchungsund Entscheidungsfindungsprozess, nicht aber die Resultate der Untersuchung und allfällig getroffener Entscheide (bzw. Postulate). Dabei liegt auf der Hand, dass diese zwei Schritte in einem ursächlichen Zusammenhang stehen. Gerade der geschützte Rahmen von Kommissionssitzungen ermöglicht es allen Beteiligten, auf rein deklamatorische Äusserungen weitestgehend zu verzichten und sich frei vom Druck der Öffentlichkeit und medialer Einflussnahme in eine aktive und konstruktive Arbeit einzugeben. Mit den vorgenannten Gesetzesbestimmungen wurde somit eine sinnvolle Lösung getroffen, um einerseits eine geschützte Untersuchung, Meinungsbildung und Entscheidfindung zu ermöglichen und andererseits die öffentliche Information über die Resultate zu garantieren.
Vor diesem rechtlichen Hintergrund ist am Ausgangspunkt der Interessenabwägung von einem grossen allgemeinen öffentlichen (staatlichen) Interesse an der Geheimhaltung der Arbeit einer PUK wie der PUK-BVK auszugehen.
Auf dieser allgemeinen (noch nicht auf die spezifische Situation bezogenen) Interessenebene kann dem (pauschal vorgetragenen) Standpunkt des Statthalteramtes wonach eine PUK, die während ihrer Verhandlungen von aussen mit ihren eigenen Internas konfrontiert werde, ihren Auftrag nicht erfüllen könne
(Urk. 59 S. 3) zugestimmt werden.
Konkretes staatliches Geheimhaltungsinteresse
Der EGMR verlangt, dass neben dem allgemeinen auch das konkrete Geheimhaltungsinteresse im Einzelfall gewichtet werden müsse, welchem eine noch grössere Bedeutung zukomme (Entscheid P. . § 127 f.). Wie erwähnt, prüft er unter diesem Punkt insbesondere das Ausmass des Schadenspotenzials des inkriminierten Artikels bzw. der darin enthüllten Informationen im Zeitpunkt der Publikation.
Betreffend Ablauf der PUK-BVK kann dem in den Akten liegenden Entwurf des Schlussberichts entnommen werden, dass eine erste Phase, die Informationsbeschaffungsphase, von Anfang Oktober 2010 bis Ende Mai 2011 gedauert und die PUK-BVK innert dieser insgesamt zwölf Sitzungen durchgeführt habe. In der anschliessenden Sachverhaltsermittlungs- und Beweiserhebungsphase, die von Anfang Juni 2011 bis Anfang Dezember 2011 gedauert habe, seien insgesamt 20 Sitzungen abgehalten worden. In dieser Zeit seien über 1000 Seiten an Befragungen von Zeugen und Auskunftspersonen protokolliert worden und über zwei Expertengutachten beraten worden. In der folgenden Auswertungsphase von Anfang Dezember 2011 bis Ende Januar 2012 seien eine Sitzung sowie eine zweitägige Klausur durchgeführt worden. Mitte April 2012 sei ein erster Entwurf des Schlussberichts vorgelegen. Nach dessen Vorliegen habe dessen Beratung und Bereinigung bis zur Verabschiedung zuhanden des Kantonsrates eine weitere zweitägige Klausur und drei Sitzungen benötigt (vgl. Entwurf PUK-Bericht, S. I und 11).
Zum genauen Verlauf der Endredaktion des Entwurfs des Schlussberichts ist neben dem sich in den Akten befindlichen (diesbezüglich naturgemäss lückenhaften) Entwurf, auch auf den veröffentlichten, im Internet einsehbaren Schlussbericht zurückzugreifen (nachfolgend zitiert: öffentlicher Schlussbericht). Demnach habe man den ersten Berichtsentwurf an der (vorgenannten zweiten) zweitägigen Klausur vom 24./25. April 2012 beraten und Änderungen sowie Ergänzungen beschlossen. An einer Sitzung vom 12. Juni 2012 sei der Schlussbericht ein weiteres Mal beraten und schliesslich vorläufig genehmigt worden (Entwurf Schlussbericht, S. 21). Mit Beschluss vom 25. Juni 2012 sowie Präsidialverfügung vom 17. August 2012 sei der vorläufig genehmigte Bericht dem Regierungsrat und sämtlichen im veröffentlichten Schlussbericht namentlich aufgeführten - Betroffenen zur schriftlichen Stellungnahme im Sinne von §§ 34l Abs. 3 und 34m Abs. 2 KRG zugestellt worden. In der Folge seien von mehreren im veröffentlichten Schlussbericht wiederum namentlich aufgeführten - Personen Stellungnahmen eingegangen (veröffentlichter Schlussbericht, S. 22 und Fussnote 61; vgl. auch Entwurf Schlussbericht, S. 22). Die PUK-BVK habe an einer Sitzung vom tt.mm.2012 die eingegangenen Stellungnahmen zur Kenntnis genommen, ausgewertet und beschlossen, inwieweit diese im Schlussbericht zu berücksichtigen seien (so [vorausblickend] der Entwurf Schlussbericht, S. 22 und Fussnote 61). Im veröffentlichten Schlussbericht wird das Datum dieser Sitzung nicht (mehr) erwähnt, sondern ausgeführt, die PUK-BVK habe in ihrem weiteren Vorgehen die aus ihrer Sicht begründeten und objektivierbaren Kritikpunkte in den Schlussbericht aufgenommen (veröffentlichter Schlussbericht, S. 22). Nach der Überarbeitung des Berichts aufgrund der eingegangenen Stellungnahmen habe die PUKBVK in ihrer (letzten) Sitzung vom tt.mm.2012 die Schlussabstimmung durchgeführt (so übereinstimmend Entwurf Schlussbericht, S. 22, Anm. 62 und veröffentlichter Schlussbericht, S. 22, Anm. 62), in welcher der Schlussbericht mit elf zu null Stimmen zuhanden des Kantonsrates genehmigt worden sei (so der veröffentlichte Bericht, S. 22).
Aus diesen Angaben geht klar hervor, dass die Meinungsbildung und Entscheidfindung der PUK-BVK zur Zeit der Publikation der zwei inkriminierten Artikel im Grunde genommen bereits abgeschlossen war. Der erste Artikel des Beschuldigten wurde am tt.mm.2012 publiziert, und damit just an dem Tag, an welchem die PUK die eingegangenen Stellungnahmen sichtete und deren teilweise Aufnahme in den Entwurf des Schlussberichts beschloss. Der zweite Artikel vom
tt.mm.2012 erschien ein Tag vor der Verabschiedung des (letztmals) überarbeiteten Schlussberichts. Eine ins Gewicht fallende mediale Einflussnahme der inkriminierten Publikationen auf die Arbeit der PUK erscheint unter diesen Umständen schon aus rein chronologischen Gründen ausgeschlossen. Namentlich kann entgegen der Auffassung des Statthalteramtes nicht die Rede davon sein, die PUKBVK sei durch das Vorgehen des Beschuldigten in sehr heiklen Untersuchungshandlungen gestört und das PUK-Verfahren damit ad absurdum geführt worden (Urk. 59 S. 3), war doch nicht etwa nur die entscheidenden Sachverhaltsermittlungs-/Beweiserhebungsphase und Auswertungsphase längstens abgeschlossen, sondern auch die Frist für Stellungnahmen zum Bericht bereits abgelaufen. In den letzten zwei Sitzungen der PUK (auf welche einzig die Publikationen des Beschuldigten noch hätten Einfluss nehmen können) ging es lediglich noch um die Berücksichtigung bereits vorliegender Stellungnahmen und die Verabschiedung des Schlussberichts. Entscheidungen von wesentlicher Tragweite hatte die PUK demnach nach Publikation der Artikel nicht mehr zu fällen.
Nicht nur unter einem zeitlichen, auch unter einem thematischen Aspekt muss das Ausmass des Schadenspotenzials des inkriminierten Artikels bzw. der darin enthüllten Informationen als klein betrachtet werden. Gemäss dem vorstehend erstellten Sachverhalt betreffen die vom Beschuldigten aus dem geheimen Berichtsentwurf zitierten und veröffentlichten Informationen die Personen
E. , M. , G. , J. , C. , K. , O. und N.
(vgl. vorstehend Ziff. III.2.5.). Laut veröffentlichtem Schlussbericht galten die ersten fünf dieser acht Personen als Betroffene im Sinne des PUK-Verfahrensrechts und machten die ersten vier (E. , M. , G. und J. ) von ihrem Recht auf Stellungnahme im Sinne von 34l Abs. 3 KRG Gebrauch (öffentlicher Schlussbericht, S. 22). Der Beschuldigte führte aus, er habe vor der Publikation die betroffenen Personen mit dem Inhalt der Artikel konfrontiert, alle hätten Stellung nehmen können, niemand habe geklagt und die von ihm zitierten Stellen seien im definitiven, veröffentlichten Bericht auch nicht abgeändert worden (Prot. I S. 15). Diese Darstellung wurde von Seiten des Statthalteramtes nicht bestritten und ist glaubhaft: Eine Überprüfung des Entwurfs am veröffentlichten Schlussbericht bestätigt für die vorstehend als von der Anklage erfasst qualifizierten Zitate,
dass es zu keinen Abänderungen kam (vgl. betr. E. : Entwurf Schlussbericht, S. 71. f und Anm. 240 bzw. veröffentlichter Schlussbericht S. 73 f. und Anm. 242 / betr. G. : Entwurf Schlussbericht, S. 72 bzw. veröffentlichter Schlussbericht, S. 74 / betr. C. , J. und K. [ ]: Entwurf Schlussbericht, S. 125 f. bzw. veröffentlichter Schlussbericht, S. 128 / betr.
M. : Entwurf Schlussbericht, S. 146 f. bzw. veröffentlichter Schlussbericht,
S. 148 f.). Vielmehr wurde im definitiven Schlussbericht jeweils lediglich die allfällige Bestreitung des Betroffenen hinzugefügt (vgl. veröffentlichter Schlussbericht,
S. 73 Anm. 241 E. bestreitet Zahlungen an C. nach dem Jahr 2000; S.
128: J. bestreitet die Darstellungen des ehemaligen L. -Mitarbeiters. Auf seinem entsprechenden Konto seien lediglich Geschäfte getätigt worden, welche keinerlei Zusammenhang mit jenen der BVK gehabt hätten). Auch der Beschuldigte berücksichtigte in seinem Artikel Stellungnahmen der Betroffenen (welche er selber eingeholt hatte). So wies er in seinem Artikel vom tt.mm.2012 darauf hin, dass die Passage betr. Schubladengeschäfte im PUK-Bericht von J. energisch bestritten werde (und nicht bewiesen sei) bzw. dass dieser alle Vorwürfe bestreite. Er merkte auch an, dass K. der in Südamerika lebt [ ] alle Vorwürfe bestreite (und dass diese sowieso verjährt seien), und weiter, dass
M. die von der PUK an ihn gerichteten Vorwürfe bestreite (M.
selbst
gibt an, er habe unzählige Male gewarnt). Im Artikel vom tt.mm.2012 wird auf die Bestreitungen seitens E. hingewiesen (E. s Anwälte wehren sich gegen diese Darstellung, die Erwähnung des Astrologen sei tendenziös. Weiter stellten sie in Abrede, dass es E. war, der C. schmierte. In diesem Punkt scheint die Beweislage sowohl im PUK-Bericht, als auch in der Anklage der Staatsanwaltschaft eher dünn [ ]). Der Artikel enthält auch eine Stellungnahme von G. (G. beruft sich auf die Interneteuphorie und sagt, im nachhinein seien immer alle klüger). Aus diesen vom Beschuldigten selber eingeholten und in seinen Artikeln aufgeführten Stellungnahmen der betroffenen Personen muss zu seinen Gunsten gefolgert werden, dass er auch von deren Stellungnahmen zuhanden der PUK unterrichtet war und somit davon ausgehen konnte, dass die Arbeit der PUK in Bezug auf diese Personen bzw. die von ihm veröffentlichten Informationen im Grunde genommen bereits abgeschlossen war. Das Statthalteramt (Urk. 59 S. 3 f.) geht jedenfalls sowohl darin fehl, dass die Betroffenen (im Zeitpunkt der Artikel) sich gegenüber der PUK noch nicht hätten vernehmen lassen können, als auch darin, dass ihre bei der PUK allenfalls eingebrachten berechtigten Äusserungen beim B. unberücksichtigt geblieben seien. Entgegen den Ausführungen im Strafbefehl vom 11. März 2013 (Urk. 5 S. 2) kann unter den dargelegten Umständen auch keine Rede davon sein, dass der Beschuldigte voll das Risiko eingegangen sei, falsche Informationen an die Öffentlichkeit zu verbreiten. Der weitere Vorwurf des Statthalteramts (Urk. 59 S. 3 f.), der Beschuldigte habe auch eine Sorgfaltspflichtverletzung begangen gegenüber weiteren im PUKBericht vorkommenden Personen, die vom B. nicht zitiert wurden, konkretisiert sodann weder, wer damit gemeint sein, noch, worin das angebliche pflichtwidrige Verhalten des Beschuldigten liegen soll, und vermag schon allein deswegen nicht zu überzeugen. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass individuelle Persönlichkeitsrechte nicht zum Schutzobjekt von Art. 293 StGB gehören (vgl. BSK Strafrecht II - Fiolka, Art. 293 N 8) und diesen auch innerhalb der vom EGMR geforderten Interessenabwägung kein entscheidendes Gewicht zukommen (vgl. vorstehend Ziff. 1.5.).
Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Artikel des Beschuldigten nichts mehr veröffentlichten, als was die PUK-Mitglieder bereits wussten bzw. worüber sie sich bereits abschliessend ihre Meinung gebildet hatten.
Vor diesem Hintergrund ist gesamthaft davon auszugehen, dass die Artikel des Beschuldigten vom tt.mm. und tt.mm.2012 im Zeitpunkt ihrer Publikation sowohl unter zeitlichen wie sachlichen Aspekten nicht geeignet waren, den staatlichen Interessen einer sachbezogenen Untersuchung der Vorkommnisse um die BVK und damit der unbehinderten Meinungsbildung der mit dieser Aufarbeitung befassten Behörden einen beträchtlichen Schaden zuzuführen. Zu diesem Zeitpunkt ist das Interesse des Staates an der (vorläufigen) Geheimhaltung des Schlussberichts lediglich noch darin zu sehen, den Zeitpunkt der Publikation der von ihm erarbeiteten Informationen und Meinungen ungehindert selber zu bestimmen.
Damit ist im Fazit von einem geringen konkreten staatlichen Geheimhaltungsinteresse des Staates auszugehen.
Inform ationsinteresse der Ö ffentlichkeit
Allgemeines Informationsinteresse der Öffentlichkeit
Dem ungestörten Vertrauensverhältnis zwischen der Bevölkerung und den Behörden kommt eine gewichtige politische und rechtstaatliche Bedeutung zu. Unregelmässigkeiten in der Verwaltung können zu einer wesentlichen Beeinträchtigung ihrer im Dienste der Allgemeinheit stehenden Arbeit führen. Tatsächlich führten denn auch die Vorkommnisse rund um die Korruptionsvorwürfe im Zusammenhang mit der Beamtenversicherungskasse des Kantons Zürich (einer der grössten Pensionskassen in der Schweiz) zu einer heftigen Erschütterung in der zürcherischen Politik und Öffentlichkeit. In die Vorkommnisse rund um diesen BVK-Skandal waren (abgesehen von den strafrechtlich verfolgten Personen) der Kantonsrat, der Regierungsrat, die Finanzdirektion sowie verschiedene Kontrollstellen, Ämter und Verwaltungskommissionen involviert. Betroffen von den finanziellen Auswirkungen dieses Skandals waren über 110'000 Versicherte der BVK und sämtliche steuerpflichtige Personen im Kanton Zürich. Wie der Verteidiger zutreffend ausgeführt hat (Urk. 45 S. 9 f.), darf der BVK-Skandal als der grösste Polit-Skandal der jüngeren Geschichte des Kantons Zürich bezeichnet werden. Das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit, durch die Medien welchen nach der Auffassung des EGMR die wichtige Bedeutung eines öffentlichen Wachhundes (public watchdog vgl. Entscheid P. , § 110) zukommt - über die Unregelmässigkeiten, die zu diesem Skandal geführt haben, sowie über die Aufarbeitung desselben unterrichtet zu werden, ist deshalb zu bejahen und als gross zu gewichten.
Konkretes Informationsinteresse der Öffentlichkeit
Im Vordergrund steht indes auch hier das konkrete öffentliche Informationsinteresse und damit das Interesse der Öffentlichkeit an den vom Beschuldigten in seinen zwei Artikeln veröffentlichten Informationen aus dem Entwurf des Schlussberichts der PUK-BVK. Die Gewichtung dieses konkreten Interesses richtet sich gemäss dem dargelegten Prüfmassstab des EGMR insbesondere nach der Frage, ob die vom Beschuldigten publik gemachten Zitate aus dem Bericht geeignet
waren, einen Beitrag zu leisten zur öffentlichen Debatte über die Ursachen sowie die Bewältigung dieses grössten Korruptionsfalls in der jüngeren Geschichte des Kantons Zürich.
Wie vorstehend ausgeführt (Ziff. III.2.5. f.) machte der Beschuldigte aus dem geheimen Berichtsentwurf publik, dass sich E. bei Investitionsentscheiden und bei den Sanierungsbemühungen rund um die F. in den Jahren 2000 und 2001 auf die Mithilfe eines Astrologen verlassen habe, welchem er dafür
Fr. 5'000.im Monat bezahlt habe, dass der wegen Bestechung angeklagte ehemalige BVK-Anlagechef C. bei der F. -Sanierung im Wissen des damaligen Regierungsrat G. 43 Millionen Franken eingesetzt habe, dass ein in den 1990er Jahren auf die Privatbank L. angesetzter Revisor der PUK gegenüber bestätigt habe, dass C. und weitere Angestellte der BVK damals private Konten bei der Privatbank L. gehabt hätten, dass es in diesem Zusammenhang zu verbotenen Schubladengeschäften gekommen sein soll und dass M. , welcher von diesen Vorgängen gewusst habe, der Vorwurf gemacht werde, als SVP-Kantonsrat sein Wissen gegenüber seinen Kollegen verheimlicht zu haben. Diese Informationen betreffen wesentliche Ereignisse rund
um den BVK-Skandal; sie verdeutlichen und vertiefen (ungeachtet der hier nicht
relevanten Frage ihrer Erwiesenheit im Einzelnen) den seit längerer Zeit im Fokus der Öffentlichkeit stehenden Vorwurf an verschiedene Kontrollorgane der BVK, bei ihrer Aufsicht versagt zu haben. Die vom Beschuldigten veröffentlichten Auszüge aus dem Berichtsentwurf können (entgegen der Auffassung der PUK in deren Strafanzeige vom 4. September 2011, Urk. 4/2 S. 3) deshalb nicht etwa als belanglose Nebensächlichkeiten betrachtet werden, deren Publikation von allenfalls sensationsheischender Bedeutung wäre, sondern stellen Informationen von beträchtlichem Gewicht und einiger politischer Brisanz dar. Das Interesse der Öffentlichkeit an Kenntnis dieser konkreten, durch die PUK erarbeiteten Vorwürfe an einzelne Entscheidungsträger im damaligen Umfeld der BVK ist als hoch zu gewichten.
Zu gewichten ist vorliegend allerdings nicht (ausschliesslich) das grundsätzliche Interesse der Öffentlichkeit an der Offenlegung dieser konkreten Informationen, sondern es ist die noch spezifischere Frage zu stellen, inwieweit es im Interesse der Öffentlichkeit lag, diese Informationen bereits vor Freigabe des PUKBerichts durch die Behörden publik zu machen. Der Beschuldigte macht geltend, dass es für ihn und den B. gute Gründe gegeben habe, die im Entwurf enthaltenen und als unglaublich zu bezeichnenden Informationen zum BVK-Debakel nicht länger zurückzuhalten, sondern ohne Verzug zu publizieren, um damit den Druck, die Missstände zu beseitigen, zu erhöhen. Zur Zeit der inkriminierten Publikationen hätten zahlreiche Gemeinden und andere Arbeitgeber vor dem Entscheid gestanden, bei der BVK zu bleiben eine Lösung mit einer anderen Vorsorgeeinrichtung anzustreben. Im Zeitpunkt der Publikationen sei sodann auch noch nicht klar gewesen, welche Ereignisse und Geschehnisse am Ende Eingang in den Bericht finden würden, und ebenso wenig, wann dieser veröffentlicht wür- de; es habe zwar eine entsprechende Ankündigung gegeben, aber es habe in dieser ganzen Affäre schon unzählige Ankündigungen gegeben, die dann nicht eingehalten worden seien (Urk. 45 S. 9 und Prot. I S. 20). Die Argumentation der Verteidigung hat ihre Berechtigung. Unbestritten ist, dass der Präsident der PUKBVK den Beschuldigten unmittelbar nach Erscheinen des ersten Artikels mit E- Mail vom tt.mm.2012 darauf hinwies, dass der Berichtsentwurf als geheim erklärt worden sei und dass die PUK, wie in der Presse bereits mehrfach kommuniziert worden sei, beabsichtige, den definitiven Bericht vor den Herbstferien anfangs Oktober 2012 zu veröffentlichen (Entwurf Schlussbericht, Beilage 5). In einem (von der Anklage nicht erfassten) B. Artikel vom tt.mm.2012 wurde sodann
offensichtlich unter Bezugnahme einer Medienmitteilung der PUK (betreffend
Strafanzeige) berichtet, dass nach Plan der PUK-BVK diese Mitte September 2012 den PUK-Bericht definitiv verabschieden und ihn Anfang Oktober dem Kantonsrat zustellen und veröffentlichen werde, wobei auch die Medien Anfang Oktober informiert werden sollten (Urk. 4/4/2 S. 2). Die PUK hatte demnach der Öffentlichkeit wie auch dem Beschuldigten gegenüber erst eine Absichtserklärung kundgetan, nicht aber ein konkretes, bereits feststehendes Veröffentlichungsdatum angekündigt. Dass zu befürchten war, einzelne (vom Beschuldigten in seiner journalistischen Rolle als public watchdog zu Recht als publikationswürdig erachtete) Geschehnisse könnten im definitiven Schlussbericht nicht mehr aufgeführt werden und/oder die Publikation desselben könnte sich entgegen der Absichtserklärung der PUK noch auf unbestimmte Zeit hinaus verzögern, erscheint vor diesem Hintergrund nachvollziehbar, bzw. kann ihm jedenfalls nicht widerlegt werden. Dem Interesse der Öffentlichkeit an den vom Beschuldigten publizierten Informationen vor einer - noch nicht definitiv feststehenden - Veröffentlichung des Schlussberichts kommt unter diesen Voraussetzungen durchaus ein gewisses Gewicht zu. Entgegen der Argumentation des Statthalteramtes (Urk. 59 S. 3) erwecken die Artikel des Beschuldigten sodann nicht den Eindruck, dass es ihm allein um die Platzierung eines journalistischen Primeurs zur Steigerung seines Marktwertes gegangen wäre. Die Berichterstattung kann keineswegs als reisserisch bezeichnet werden. Sie geht nicht über die im Berichtsentwurf vorgegebenen Fakten hinaus und berücksichtigt auch die (vom Beschuldigten eingeholten)
Stellungnahmen der betroffenen Personen. So kam denn auch der Presserat, der sich mit den zwei inkriminierten Artikeln unter standesrechtlichen Aspekten zu befassen hatte, in seiner Stellungnahme (1/2013) vom 9. Januar 2013 zum Schluss, dass die Regeln journalistischer Ethik, wie sie in der Erklärung der Rechte und Pflichten der Journalistinnen und Journalisten und den dazugehörigen Richtlinien festgehalten werden, eingehalten worden seien (vgl. die Berichterstattung der NZZ zum Entscheid des Presserats in Urk. D in den Akten des Statthalteramtes; der vollständige Presseratsentscheid 1/2013 ist unter www.presserat.ch einseh- bar).
Zusammenfassend ist das Interesse der Öffentlichkeit an den vom Beschuldigten publizierten Informationen im Zeitpunkt ihrer Veröffentlichung (vor Publikation des Schlussberichts) als keinesfalls gering bis gewichtig zu qualifizieren.
Ergebnis der Interessenabwägung
Aus dem vorstehend Ausgeführten ergibt sich, dass sowohl das allgemeine öffentliche staatliche Interesse daran, dass die Arbeit einer PUK vertraulich ist und die von ihr erarbeiteten Informationen nicht vor Veröffentlichung des Schlussberichts bekanntgegeben werden, als auch das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit daran, über die Inhalte und Ergebnisse einer PUK wie namentlich der PUK-BVK informiert zu werden, als hoch erachtet werden muss.
Entscheidend ist sodann, dass das gewichtige konkrete Interesse der Öffentlichkeit an den vom Beschuldigten offengelegten Informationen vor Publikation des Schlussberichts deutlich über dem geringen Interesse der staatlichen Behör- den steht, den im Wesentlichen bereits abgeschlossenen PUK-Schlussbericht länger geheim zu behalten. Mit anderen Worten kann zusammengefasst festgehalten werden, dass die Artikel des Beschuldigten im Zeitraum ihrer Publikation (tt.mm/tt.mm.2012) in ungleich stärkerem Masse geeignet waren, einen Beitrag zur öffentlichen Diskussion um das (berechtigterweise) im Fokus der Öffentlichkeit stehende Thema des BVK-Skandals zu leisten, als dass sie geeignet waren, den konkret auf dem Spiel stehenden staatlichen Interessen einen beträchtlichen Schaden zuzufügen.
Bei diesem Ergebnis wäre ausgehend von einem materiellen Geheimnisbegriff - der Beschuldigte demnach bereits an dieser Stelle (mangels Tatbestandsmässigkeit) freizusprechen. Zu einem Freispruch kommt man im vorliegenden Fall aber auch bei Zugrundelegung eines formellen Geheimnisbegriffs bzw. der Rechtsprechung des Bundesgerichts, wie im Folgenden zu zeigen ist.
Tatbestandsmässigkeit
Nach vorfrageweiser Prüfung im Sinne der bundesgerichtlichen Rechtsprechung kann festgehalten werden, dass die von den PUK-Behörden ausgesprochene und vom Gesetz gedeckte (§ 53 KRG) Geheimhaltungserklärung in Anbetracht von Gegenstand und Inhalt des Entwurfs des Schlussberichts der PUKBVK ohne Vorbehalte vertretbar erscheint. Der Beschuldigte welcher als Berufsjournalist um die Vertraulichkeit des Kommissionsprotokolls zweifellos wusste (vgl. vorstehend Ziff. III.3.) hat mit den von ihm verfassten, im B. erschienenen Artikel vom tt.mm. und tt.mm.2012 den objektiven und subjektiven Tatbestand von Art. 293 Abs. 1 StGB ohne weiteres erfüllt.
Rechtswidrigkeit
Wie bereits ausgeführt, kann die Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen durch die Wahrung berechtigter Interessen gerechtfertigt sein. Ein
berechtigtes Interesse ist nach der Praxis des Bundesgerichts (bezogen auf
Art. 293 StGB) nicht schon dann gegeben, wenn das öffentliche Informationsinteresse das Geheimhaltungsinteresse überwiegt, sondern erst dann, wenn die Tat ein zur Erreichung des berechtigten Ziels notwendiges und angemessenes Mittel ist, sie insoweit den einzig möglichen Weg darstellt und offenkundig weniger schwer wiegt als die Interessen, welche der Täter wahren sucht (BGE 126 IV 236
E. 4.d), vgl. Trechsel/Vest, StGB PK, 2. Aufl., Art. 293 N 9; BSK StGB II - Fiolka, 2. Aufl., Art. 293 N 46).
Vorstehend wurde dargetan, dass das als keinesfalls gering bis gewichtig zu qualifizierende konkrete Interesse der Öffentlichkeit an den vom Beschuldigten offengelegten Informationen zum BVK-Skandal deutlich grösser war als das als gering einzustufende konkrete staatliche Interesse an der Geheimhaltung des nahezu abgeschlossenen PUK-Berichts bis zu dessen späteren Veröffentlichung. Die Tat des Beschuldigten (die Verletzung dieses geringen staatlichen Geheimhaltungsinteresses) wiegt demnach offenkundig weniger schwer als das gewichtige Informationsinteresse der Öffentlichkeit, welches er mit seinen Artikeln zu wahren suchte. Die Tat des Beschuldigten war aber auch ein notwendiges und angemessenes Mittel zur Erreichung seines berechtigten Ziels, die Öffentlichkeit über einzelne Aspekte des BVK-Skandals zu informieren, um damit den Druck, die Missstände zu beseitigen, zu erhöhen. Die Angemessenheit war insoweit gegeben, als dass die Berichterstattung des Beschuldigten sachlich seriös war und die presseethischen Standards erfüllte, namentlich auch das Recht zur Stellungnahme der betroffenen Personen wahrte. Die Notwendigkeit der Publikation dieser Informationen durch den Beschuldigten vor Veröffentlichung des Schlussberichts der PUK-BVK kann im vorliegenden Fall deshalb bejaht werden, da im Zeitpunkt der Publikation der beiden Zeitungsartikel ein konkretes Veröffentlichungsdatum des Schlussberichts noch nicht vorlag. Die PUK hatte lediglich die Absicht bzw. ihren Plan bekannt gegeben, den Bericht Anfang Oktober 2012 zu veröffentlichen. Ein Zuwarten mit der im öffentlichen Interesse liegenden Publikation um einen Monat länger war dem Beschuldigten nicht zuzumuten (und auch aus presseethischen Überlegungen nicht geboten, vgl. die vorgenannte 'Stellungnahme' des Presserats vom 9. Januar 2013). Dessen Argumentation, dass er befürchtet habe, die Publikation des PUK-Berichts könnte sich trotz der angekündigten Absichtserklärung auf unbestimmte Zeit verzögern, kann ihm zumindest subjektiv nicht widerlegt werden. Die Argumentation ist aber auch unter objektiven Gesichtspunkten nicht abwegig. Die Arbeit der PUK-BVK tangierte (was öffentlich durchaus bekannt war) eine Vielzahl von Personen, und es war zumal für aussenstehende Beobachter durchaus denkbar, dass die bei einer PUK obligat einzuholenden Stellungnahmen der Betroffenen in Einzelfällen zu zeitverzögernden internen Auseinandersetzungen hätten führen können. Die Tat des Beschuldigten stellte deshalb im Tatzeitpunkt den einzig möglichen Weg dar, einen berechtigten Beitrag zur öffentlichen Diskussion um das im Fokus der Öffentlichkeit stehende Thema des BVK-Skandals zu leisten.
Der aussergesetzliche Rechtfertigungsgrund der Wahrung berechtigter Interessen ist damit zu bejahen.
Fazit
Die Tat des Beschuldigten ist somit gerechtfertigt. Der Beschuldigte ist deshalb (auch bei Zugrundelegung eines formellen Geheimnisbegriffs) vom Vorwurf der Veröffentlichung geheimer amtlicher Verhandlungen im Sinne von Art. 293 StGB freizusprechen.
Bei diesem Verfahrensausgang ist das erstinstanzliche Kostenund Entschädigungsdispositiv (Ziffern 2 bis 4) zu betätigen.
Die Kosten des Berufungsverfahrens sind auf die Gerichtskasse zu nehmen.
Dem Beschuldigten ist gestützt auf die Honorarnote seines Verteidigers (Urk. 68/1-2) eine Entschädigung von Fr. 3'032.20 für seine Verteidigung aus der Gerichtskasse zuzusprechen.
Es wird erkannt:
Der Beschuldigte A.
ist der Veröffentlichung amtlicher geheimer Verhandlungen im Sinne von Art. 293 StGB nicht schuldig und wird freigesprochen.
Das erstinstanzliche Kostendispositiv (Ziff. 2 bis 4) wird bestätigt.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden auf die Gerichtskasse genommen.
Dem Beschuldigten wird eine Prozessentschädigung von Fr. 3'032.20 für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.
Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an
die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten
das Statthalteramt des Bezirks Zürich
die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz
die Kantonspolizei Zürich, KIA-ZA, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG)
Rechtsmittel:
Gegen diesen Entscheid kann bund esrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer
Zürich, 27. Oktober 2015
Der Präsident:
Oberrichter Dr. Bussmann
Der Gerichtsschreiber:
lic. iur. Höfliger
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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