Zusammenfassung des Urteils SU140087: Obergericht des Kantons Zürich
Das Obergericht des Kantons Zürich hat in einem Verfahren zwischen dem Statthalteramt Bezirk Zürich und einem Beschuldigten wegen Übertretung von Verkehrsvorschriften entschieden. Der Beschuldigte wurde des Überfahrens einer Sicherheitslinie schuldig befunden und mit einer Busse von Fr. 100.- bestraft. Die Kosten des Strafbefehls wurden dem Statthalteramt überlassen. Der Beschuldigte wurde freigesprochen von fahrlässigem Überfahren bzw. Überqueren einer Sicherheitslinie. Der Richter war Dr. iur. F. Bollinger, und die Gerichtsschreiberin war lic. iur. S. Maurer.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SU140087 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Strafkammer |
Datum: | 09.04.2015 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Übertretung von Verkehrsvorschriften |
Schlagwörter : | Sicherheitslinie; Beschuldigte; Berufung; Statthalteramt; Überfahren; Auslegung; Verfahren; Ordnungsbusse; Vorinstanz; Verfahren; Richtung; Ziffer; Urteil; Beschuldigten; Bundes; Ordnungsbussen; Fahrstreifen; Entscheid; Sachverhalt; Fahrt; Gesetzes; Befehl; Recht; Bezirk; Überfahrens; Verbindung; Busse; Nichtfortsetzen; ürdig |
Rechtsnorm: | Art. 1 OBG ;Art. 1 StGB ;Art. 11 OBG ;Art. 27 SVG ;Art. 3 OBG ;Art. 3 Or;Art. 34 SVG ;Art. 354 StPO ;Art. 357 StPO ;Art. 398 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 429 StPO ;Art. 436 StPO ;Art. 7 OBG ;Art. 82 StPO ;Art. 90 SVG ; |
Referenz BGE: | 112 Ia 109; 114 Ia 242; 126 I 97; 128 I 34; 128 IV 272; 133 III 175; 133 V 314; 134 I 140; 134 IV 297; |
Kommentar: | -, Praxis, 2. Aufl., Zürich, Art. 398 StPO, 2013 -, Zürcher StPO, Art. 398 StPO, 2014 Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SU140087-O/U/jv
Mitwirkend: Die Oberrichter Dr. iur. F. Bollinger, Präsident, und lic. iur.
M. Langmeier, Oberrichterin lic. iur. Ch. von Moos sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. S. Maurer
Urteil vom 9. April 2015
in Sachen
vertreten durch a.o. Statthalter-Stv. lic. iur. M. Zuber,
Verwaltungsbehörde und Berufungsklägerin
gegen
Beschuldigter und Berufungsbeklagter
betreffend
Strafverfügung:
Die Strafverfügung des Statthalteramtes Bezirk Zürich vom 28. November 2013 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 2).
Urteil der Vorinstanz :
(Urk. 18 S. 9 ff.)
Der Einsprecher ist schuldig des Überfahrens einer Sicherheitslinie, welche die Fahrstreifen in gleicher Richtung voneinander abgrenzt gemäss Art. 306 Ziff. 3 (Anhang 1) Ordnungsbussenverordnung in Verbindung mit Art. 1 und Art. 3 Ordnungsbussengesetz.
Der Einsprecher ist des fahrlässigen Überfahrens bzw. Überquerens einer Sicherheitslinie gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 2 SVG sowie Art. 73 Abs. 6 lit. a SSV nicht schuldig und wird freigesprochen.
Der Einsprecher wird bestraft mit einer Busse von Fr. 100.-.
Die Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz.
Die Kosten des Strafbefehls Nr. ST.2013.8672 vom 28. November 2013 von Fr. 330.- und die nachträglichen Gebühren von Fr. 40.werden dem Statthalteramt des Bezirkes Zürich zur Abschreibung überlassen.
(Mitteilungen)
(Rechtsmittel)
Berufungsanträge:
Des Beschuldigten: (Urk. 30 S. 1)
Das Urteil des Bezirksgerichtes, Geschäftsfallnummer GC140314-L/UB sei vollumfänglich zu bestätigen und eine angemessene Entschädigung gemäss StPO Art. 429 I lit. a für den Beschuldigten auszusprechen. Alternativ seien die Busse und die Verfahrenskosten zu reduzieren bzw. zu erlassen.
Des Vertreters des Statthalteramtes: (Urk. 25 S. 2)
Ziffer 1 des Urteils des Bezirksgerichtes Zürich vom 27. Oktober 2014 sei aufzuheben und der Berufungsbeklagte im Rahmen des ordentlichen Verfahrens (in Bestätigung des Strafbefehls des Statthalteramtes Zürich ST.2013.8672 vom 28. November 2013) wegen fahrlässigen Überfahrens einer Sicherheitslinie gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 2 SVG sowie Art. 73 Abs. 6 lit. a SSV schuldig zu sprechen und mit einer Busse von Fr. 300.zu bestrafen.
Die Kosten des Strafbefehls ST.2013.8672 vom 28. November 2013 von Fr. 330.- und die nachträglichen Kosten des Untersuchungsverfahrens von Fr. 40.seien dem Berufungsbeklagten aufzuerlegen.
Erwägungen:
Mit Strafbefehl des Statthalteramtes Bezirk Zürich (im Folgenden Statthalteramt genannt) vom 28. November 2013 wurde der Beschuldigte wegen fahrlässigen Überfahrens/Überquerens einer Sicherheitslinie im Sinne von Art. 27 Abs. 1, Art. 34 Abs. 2 Strassenverkehrsgesetz (SVG) sowie Art. 73 Abs. 6 lit. a Signalisationsverordnung (SSV) gestützt auf Art. 90 Abs. 1 SVG mit einer Busse von Fr. 300.bestraft (Urk. 2). Mit Eingabe vom 2. Dezember 2013 erhob der Beschuldigte fristgerecht Einsprache gegen diesen Strafbefehl (Art. 357 StPO in Verbindung mit Art. 354 Abs. 1 StPO; Urk. 3).
Nach einem Schriftenwechsel zwischen den Parteien (Urk. 5 [= Urk. 8]; Urk. 9 und Urk. 10) überwies das Statthalteramt mit Schreiben vom 17. September 2014 die Akten mit der Erklärung, am Strafbefehl festzuhalten, an das Bezirksgericht Zürich (im Folgenden Vorinstanz genannt) und stellte den Antrag, den Strafbefehl und die nachträglichen Gebühren und Auslagen gemäss Abrechnungsblatt zu bestätigen (Urk. 10).
Die Vorinstanz sprach den Beschuldigten mit Urteil vom 27. Oktober 2014 des Überfahrens einer Sicherheitslinie, welche die Fahrstreifen in gleicher Richtung voneinander abgrenzt gemäss Art. 306 Ziff. 3 (Anhang 1) Ordnungsbussenverordnung in Verbindung mit Art. 1 und Art. 3 Ordnungsbussengesetz schuldig und bestrafte ihn mit einer Busse von Fr. 100.-; vom Vorwurf des fahrlässigen Überfahrens bzw. Überquerens einer Sicherheitslinie gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 2 SVG sowie Art. 73 Abs. 6 lit. a SSV sprach sie ihn frei (Urk. 18 S. 9 f.). Gegen dieses Urteil, welches dem Statthalteramt am 29. Oktober 2014 im Dispositiv zugestellt wurde (Urk. 13), meldete dieses innert der zehntägigen Frist von Art. 399 Abs. 1 StPO am 6. November 2014 Berufung an (Urk. 14). Das begründete Urteil wurde dem Statthalteramt am 15. Dezember 2014 zugestellt (Urk. 17/1). Am 31. Dezember 2014 (Datum des Poststempels: 30. Dezember 2014) reichte das Statthalteramt fristgerecht (Art. 399 Abs. 3 StPO) die Berufungserklärung ein (Urk. 19).
Mit Präsidialverfügung vom 7. Januar 2015 wurde dem Beschuldigten eine Frist von zwanzig Tagen angesetzt, um schriftlich im Doppel zu erklären, ob Anschlussberufung erhoben wird, um begründet ein Nichteintreten auf die Berufung zu beantragen (Urk. 21). Nachdem sich der Beschuldigte innert Frist nicht vernehmen liess (vgl. Urk. 22), ordnete die zuständige I. Strafkammer des Berufungsgerichts mit Beschluss vom 10. Februar 2015 die schriftliche Durchführung des vorliegenden Verfahrens an und setzte dem Statthalteramt gleichzeitig Frist, um die Berufungsanträge zu stellen und zu begründen (Urk. 23). Dies geschah innert Frist mit Eingabe vom 25. Februar 2015 (Urk. 25). Mit Präsidialverfügung vom 27. Februar 2015 wurde dem Beschuldigten eine zehntägige Frist angesetzt, um die Berufungsantwort einzureichen; die Vorinstanz erhielt dieselbe Frist zur freigestellten Vernehmlassung (Urk. 27). Am 4. März 2015 erklärte die Vorinstanz, auf Vernehmlassung zu verzichten (Urk. 29). Der Beschuldigte erstattete am
6. März 2015 fristgerecht seine Berufungsantwort (Urk. 30). Diese wurde dem
Statthalteramt (nebst einer Kopie von Urk. 29, welche am 12. März 2015 auch an den Beschuldigten ging; Urk. 33) am 11. März 2015 zugestellt (Urk. 32). Das vorliegende Verfahren erweist sich daher heute als spruchreif.
Gemäss Art. 398 Abs. 1 StPO ist die Berufung zulässig gegen Urteile erstinstanzlicher Gerichte, mit denen das Verfahren ganz teilweise abgeschlossen worden ist. Im Rahmen einer Berufung überprüft das Obergericht den vorinstanzlichen Entscheid üblicherweise frei bezüglich sämtlicher Tat-, Rechtsund Ermessensfragen (Art. 398 Abs. 3 StPO). Bildeten jedoch ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens, so schränkt Art. 398 Abs. 4 Satz 1 StPO die Kognition der Berufungsinstanz ein.
Was den Sachverhalt anbelangt, so überprüft das Berufungsgericht nur, ob eine offensichtlich unrichtige Feststellung des Sachverhaltes durch die Vorinstanz gegeben ist. Relevant sind dabei klare Fehler bei der Sachverhaltsermittlung, wie namentlich Versehen, Irrtümer offensichtliche Diskrepanzen zwischen der sich aus den Akten sowie der Hauptverhandlung ergebenden Aktensowie Beweislage und der Urteilsbegründung. Weiter in Betracht kommen insbesondere Fälle, in denen die gerügte Sachverhaltsfeststellung auf einer Verletzung von Bundesrecht, in erster Linie von Verfahrensvorschriften der StPO selbst, beruht. Gesamthaft gesehen dürften regelmässig Konstellationen relevant sein, die als willkürliche Sachverhaltserstellung zu qualifizieren sind (vgl. SCHMID, StPO Praxiskommentar, 2. Aufl., Zürich/St. Gallen 2013, Art. 398 N 12 f.; EUGSTER in: Basler Kommentar StPO, 2. Aufl., Basel 2014, Art. 398 N 3a). Willkür bei der Beweiswürdigung liegt vor, wenn der angefochtene Entscheid offensichtlich unhaltbar ist mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch steht. Dass eine andere Lösung Würdigung ebenfalls vertretbar erscheint gar vorzuziehen wäre, genügt nicht (vgl. BGE 134 I 140 E. 5.4 mit Hinweisen). Eine vertretbare Beweiswürdigung ist daher noch nicht willkürlich, auch wenn die Berufungsinstanz anstelle des Vorderrichters allenfalls anders entschieden hätte.
Zum anderen wird das angefochtene Urteil auf Rechtsverletzungen durch die Vorinstanz hin überprüft; insofern liegt keine Einschränkung der Überprüfungsbefugnis vor; sämtliche Rechtsfragen sind mit freier Kognition zu prüfen
und zwar nicht nur materiellrechtliche, sondern auch prozessuale (HUG/ SCHEIDEGGER in: Zürcher Kommentar, StPO, 2. Aufl., Zürich 2014, Art. 398 N 23).
Zu erwähnen ist schliesslich, dass im Gegensatz zur bisherigen zürcherischen Regelung - nach der seit 1. Januar 2011 geltenden eidgenössischen Strafprozessordnung neue Behauptungen und Beweise im Berufungsverfahren nicht mehr vorgebracht werden können, wenn wie hier ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens bildeten (Art. 398 Abs. 4 Satz 2 StPO; HUG/SCHEIDEGGER, a.a.O.).
Das Obergericht hat somit zu überprüfen, ob die vom Statthalteramt vorgebrachten Beanstandungen von der Überprüfungsbefugnis gemäss Art. 398 Abs. 4 StPO gedeckt sind. In einem allfälligen nicht von der genannten Befugnis umfassten Umfang kann auf die Einwendungen nicht eingegangen werden. Es ist somit festzustellen, ob das vorinstanzliche Urteil im Bereich der zulässigen Kognition Fehler aufweist.
Im Übrigen ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich die urteilende Instanz nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen muss (vgl. BGE 126 I 97 E. 2a mit Verweis auf BGE 112 Ia 109 E. b, mit Hinweisen; vgl. auch BGE 114 Ia 242
E. 2d). Die Berufungsinstanz kann sich somit auf die für ihren Entscheid wesentlichen Punkte beschränken.
Dem Beschuldigten wird vorgeworfen, am Mittwoch, tt. November 2013, um ca. 7.40 Uhr, mit dem Motorrad mit dem Kennzeichen ZH ... auf der Autobahn A1L2 Unterstrass, Ausfahrt Hirschwiesenstrasse in 8006 Zürich fahrlässig eine Sicherheitslinie überfahren bzw. überquert zu haben (Urk. 2).
Wie bereits die Vorinstanz zutreffend ausführte, bestritt der Beschuldigte während des gesamten Untersuchungsund gerichtlichen Verfahrens nie, eine Sicherheitslinie fahrlässig überquert bzw. überfahren zu haben (Urk. 18 S. 3 f. mit
Verweisen). Dies änderte sich auch im Berufungsverfahren nicht (Urk. 30, insbesondere S. 3 und S. 4). Wie bereits die Vorinstanz zu Recht festgestellt hat (Urk. 18 S. 4), stimmt zudem der Sachverhalt gemäss Strafbefehl mit dem Polizeirapport vom 11. November 2013 (Urk. 1) überein. Es ist daher vom Sachverhalt gemäss Strafbefehl auszugehen und der folgenden rechtlichen Würdigung zugrunde zu legen.
Das Statthalteramt würdigt das Verhalten des Beschuldigten als fahrlässiges Überfahren einer Sicherheitslinie gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 2 SVG sowie Art. 73 Abs. 6 SSV und beantragt im Berufungsverfahren, den Beschuldigten entsprechend schuldig zu sprechen und mit einer Busse von Fr. 300.zu bestrafen (Urk. 25 S. 2). Zur Begründung wird angeführt, das angefochtene Urteil beruhe auf einer Rechtsfehlerhaftigkeit, welche darin bestehe, dass die Vorinstanz den Sachverhalt des Überfahrens einer Sicherheitslinie zwischen zwei in die gleiche Fahrrichtung führenden Fahrstreifen fälschlicherweise unter Ziffer 306.3 OBV subsumiert und damit das ordentliche Verfahren zu Unrecht nicht angewendet habe. Damit liege ein Verstoss gegen Art. 3 OBG vor (Urk. 25 S. 2 und S. 6).
Der Beschuldigte hält dafür, die Vorinstanz habe in ihrem Urteil ausführlich und korrekt begründet, warum Ziffer 306.3 OBV zur Anwendung kommen solle und beantragt die Bestätigung des angefochtenen Entscheides (Urk. 30 S. 1 f.).
Gemäss tabellarischem Bussenkatalog der Ordnungsbussenverordnung (OBV) wird nach Ziff. 306 mit Fr. 100.- Busse bestraft:
Widerhandlung gegen die Einspurordnung durch Missachten des markierten Richtungspfeils (Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 74 Abs. 2 SSV).
Widerhandlung gegen die Einspurordnung durch Missachten des Konturpfeils der Lichtsignalanlage (Art. 27 Abs. 1 SVG und Art. 68 Abs. 1bis SSV).
Nichtfortsetzen der Fahrt in Pfeilrichtung (einschliesslich allfälliges Überfahren einer Sicherheitslinie, welche die Fahrstreifen in gleicher Richtung voneinander abgrenzt [6.01]; Art. 27 Abs. 1 SVG, Art. 73 Abs. 6 Bst. a und Art. 74
Abs. 1 und 2 SSV).
Die Vorinstanz legte diesen Gesetzestext (insbesondere Ziffer 306.3 OBV) wörtlich, systematisch, historisch und teleologisch aus und kam zum Schluss, dass diese Bestimmung das Überfahren einer Sicherheitslinie zwischen zwei Fahrstreifen in gleicher Richtung umfasse und zwar unabhängig davon, ob gleichzeitig Pfeilmarkierungen vorhanden seien nicht (Urk. 18 S. 9).
Das Bundesgericht hat zur Auslegung von Gesetzestexten in BGE 134 IV 297 E. 4.3.1 festgehalten, dass das Gesetz in erster Linie aus sich selbst heraus, das heisst nach Wortlaut, Sinn und Zweck und den ihm zugrunde liegenden Wertungen auf der Basis einer teleologischen Verständnismethode ausgelegt werden müsse. Auszurichten sei die Auslegung auf die ratio legis, die zu ermitteln dem Gericht allerdings nicht nach den subjektiven Wertvorstellungen der Richter aufgegeben sei, sondern nach den Vorgaben des Gesetzgebers. Die Auslegung des Gesetzes sei zwar nicht entscheidend historisch zu orientieren, im Grundsatz aber dennoch auf die Regelungsabsicht des Gesetzgebers und die damit erkennbar getroffenen Wertentscheidungen auszurichten, da sich die Zweckbezogenheit des rechtsstaatlichen Normverständnisses nicht aus sich selbst begründen lasse, sondern aus den Absichten des Gesetzgebers abzuleiten sei, die es mit Hilfe der herkömmlichen Auslegungselemente zu ermitteln gelte. Die Gesetzesauslegung habe sich vom Gedanken leiten zu lassen, dass nicht schon der Wortlaut die Rechtsnorm darstelle, sondern erst das an Sachverhalten verstandene und konkretisierte Gesetz. Gefordert sei die sachlich richtige Entscheidung im normativen Gefüge, ausgerichtet auf ein befriedigendes Ergebnis aus der ratio legis. Dabei befolge das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus und lehne es namentlich ab, die einzelnen Auslegungselemente einer hierarchischen Prioritätsordnung zu unterstellen. Die Gesetzesmaterialien könnten beigezogen werden, wenn sie auf die streitige Frage eine klare Antwort geben würden (BGE 133 III 175 E. 3.3.1; BGE 133 V 314 E. 4.1; BGE 128 I 34 E. 3b). Sinngemässe
Auslegung könne auch zu Lasten des Beschuldigten vom Wortlaut abweichen. Im
Rahmen solcher Gesetzesauslegung sei auch der Analogieschluss erlaubt. Dieser diene dann lediglich als Mittel sinngemässer Auslegung. Der Grundsatz keine Strafe ohne Gesetz (Art. 1 StGB) verbiete bloss, über den dem Gesetz bei richtiger Auslegung zukommenden Sinn hinauszugehen, also neue Straftatbestände
zu schaffen bestehende derart zu erweitern, dass die Auslegung durch den Sinn des Gesetzes nicht mehr gedeckt werde (BGE 128 IV 272 E. 2 mit Hinweis).
Wörtliche/grammatikalische Auslegung
Der Gesetzestext ist Ausgangspunkt der Gesetzesanwendung (BGE 128 IV 272
E. 2). Ist der Text nicht völlig eindeutig, so ist die Tragweite der Norm unter Berücksichtigung aller massgebenden Elemente bzw. Hilfsmitteln zu ermitteln (Methodenpluralismus).
Das Statthalteramt hält unter Verweis auf Dudens Bedeutungswörterbuch dafür, der Wortsinn von Ziffer 306.3 OBV sei klar und bedeute, dass es einen Tatbestand des Nichtfortsetzens der Fahrt in Pfeilrichtung gebe, der mit Ordnungsbusse bestraft werde, auch wenn dabei zudem eine Sicherheitslinie überfahren werde, welche die Fahrstreifen in gleicher Richtung voneinander abgrenze (Urk. 25 S. 3). Richtig ist, dass als Synonyme von einschliesslich die Begriffe inklusive und unter Einschluss angegeben werden. Ebenfalls als Synonym aufgeführt wird indes das Wort nebst (Duden, Das Bedeutungswörterbuch,
4. Aufl.). Es trifft daher zu, dass einschliesslich keineswegs immer die Bedeutung hat, dass es sich um eine Teilmenge handelt, vielmehr kann es sich auch um zwei separate Tatbestände handeln. Dies hat die Vorinstanz entgegen der Ansicht des Statthalteramtes zutreffend erkannt. Die wörtliche bzw. grammatikalische Auslegung führt somit zu keinem eindeutigen Ergebnis, weshalb die weiteren Auslegungsmethoden heranzuziehen sind.
Systematische Auslegung
Zur systematischen Auslegung im angefochtenen Entscheid macht das Statthalteramt geltend, es gebe nur die Abbildung einer Sicherheitslinie, welche keine Pfeile enthalte (Abb. 6.01). Eine Abbildung, auf welcher sich eine Sicherheitslinie in Kombination mit Einspurpfeilen befinde, gebe es nicht; daher sei ein anderer Verweis mangels Abbildung gar nicht möglich gewesen (Urk. 25 S. 3). Diese Argumentation verfängt nicht. Hätte der Gesetzbzw. Verordnungsgeber das Überfahren einer Sicherheitslinie (welche die Fahrstreifen in gleicher Richtung
voneinander abgrenzt) nämlich gerade als Teilmenge ansehen wollen, wäre der Verweis auf Abbildung 6.01 nicht erforderlich. Den zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz ist daher vollumfänglich beizupflichten.
Historische Auslegung
Im angefochtenen Entscheid wurden die historischen Auslegungselemente, also insbesondere wie es zur Ergänzung in Klammern bei Ziffer 306.3 OBV kam (bis Ende 2001 geltende Fassung von Ziffer 306.3 OBV, Frage von Nationalrat Dreher an den Bundesrat) korrekt dargelegt. Darauf ist zu verweisen (Art. 82 Abs. 4 StPO), zumal das Statthalteramt in seiner Berufungsbegründung nichts Anderes behauptet (Urk. 25 S. 4).
Das Statthalteramt wendet gegen die Interpretation der Vorinstanz, wonach das Nichtfortsetzen der Fahrt in Pfeilrichtung als Nichtfortsetzen der Fahrt in Richtung der ursprünglichen Fahrspur (Fahrtrichtung) zu verstehen sei, ein, diese lasse sich nicht damit in Einklang bringen, dass der Bundesrat ausdrücklich darauf hinweise, dass das Nichtfortsetzen der Fahrt in Pfeilrichtung ein allfälliges Überfahren der Sicherheitslinie einschliesse (Urk. 25 S. 4). Es trifft zwar zu, dass der Bundesrat ausführte, das Nichtfortsetzen der Fahrt in Pfeilrichtung schliesse ein allfälliges Überfahren einer Sicherheitslinie, welche die Fahrstreifen in gleicher Richtung voneinander abgrenze, ein. Dieser Satz darf indes nicht isoliert betrachtet werden, sondern es ist die gesamte Antwort des Bundesrates auf die Frage von Nationalrat Dreher zu berücksichtigen. Aus dieser geht unmissverständlich hervor, dass das Überfahren einer Sicherheitslinie, welche Fahrstreifen in gleicher Richtung voneinander abgrenzt, gestützt auf Ziffer 306.3 der Ordnungsbussenliste mit einer Ordnungsbusse geahndet werden soll, indem dieses Verhalten als Nichtfortsetzen der Fahrt in Pfeilrichtung qualifiziert wird. Die Argumentation des Statthalteramtes verfängt somit nicht. Vielmehr ist der Auffassung der Vorinstanz beizupflichten, wonach der Bundesrat genau den vorliegend zu beurteilenden Fall mit dem Überfahren einer Sicherheitslinie bei Spuren in gleicher Richtung avisiert und keinen Zusammenhang mit Pfeilmarkierungen habe herstellen wollen (Urk. 18 S. 8). Dies gilt umso mehr als dass, gemäss den Erläuterungen des Bundesamtes für Strassen ASTRA vom 19. März 2012 zu Ziffer 306.3 eine
Widerhandlung gegen das Nichtfortsetzen der Fahrt in Pfeilrichtung begeht, wer seine Fahrt im einen Fahrstreifen beginnt und vor dessen Ende einen unzulässigen Streifenwechsel vornimmt (z.B. den durch eine Sicherheitslinie markierten Streifen überfährt).
Teleologische Auslegung
Zur teleologischen Auslegung erwog die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid zusammengefasst, das Überfahren der Sicherheitslinie bei Fahrspuren in gleicher Richtung sei weniger gefährlich als bei richtungsgetrennten Spuren. Ob bei Spuren in gleicher Richtung zusätzlich Bodenmarkierungspfeile vorhanden seien nicht, spiele für das Gefährdungspotential keine Rolle. Vom Zweckgedanken her überzeuge deshalb die Auffassung des Statthalteramtes nicht, wonach das Überfahren der Sicherheitslinie bei gleichzeitiger Missachtung von Pfeilmarkierungen bloss mit Ordnungsbusse zu ahnden sei, das Überfahren der Sicherheitslinie ohne Pfeilmarkierungen demgegenüber im ordentlichen Verfahren. Im Gegenteil, ersterer Fall erscheine sogar gravierender als Letzterer. Vorliegend unerheblich, weil vom Bundesrat so entschieden, sei die Frage, ob das Überqueren der Sicherheitslinie tatsächlich nur ordnungsbussenwürdig sei. Immerhin betreffe es den eventuell schnell fahrenden Verkehr und, da sich Verkehrsteilnehmer in hohem Masse auf das Einhalten von Sicherheitslinien verlassen würden, bestehe zumindest ein erhebliches abstraktes Gefährdungspotential bei Widerhandlungen (Urk. 18 S. 8).
Auch diese Ausführungen sind zutreffend und zu übernehmen (Art. 82 Abs. 4 StPO), zumal selbst das Statthalteramt einräumt, es sei richtig, dass unter dem Blickwinkel des Gefährdungspotenzials fragwürdig erscheine, warum das Überfahren einer Sicherheitslinie bei gleichzeitiger Missachtung von Pfeilmarkierungen im Ordnungsbussenverfahren behandelt werde und das Überfahren der Sicherheitslinie ohne Pfeilmarkierung im ordentlichen Verfahren (Urk. 25 S. 5).
Das Statthalteramt führt in der Folge zusammengefasst an, durch das Ordnungsbussenverfahren solle die Ahndung von Widerhandlungen gegen das SVG vereinfacht werden, weshalb eine extensive Auslegung von Ziffer 306.3 OBV unter Missachtung des Wortlauts von Ziffer 306.3 OBV im Gegensatz zum Grund-
satz der Klarheit der Gesetzesbestimmungen und dem Grundsatz der Rechtssicherheit stehe und nur klare Gesetzesbestimmungen von den an der Front tätigen Polizeibeamten und -beamtinnen einheitlich angewendet werden könnten (Urk. 25 S. 6). Es trifft zu, dass das Ordnungsbussenverfahren die Ahndung von Widerhandlungen gegen das SVG vereinfachen soll. Art. 1 OBG hält denn auch fest, dass Übertretungen der Strassenverkehrsvorschriften des Bundes in einem vereinfachten Verfahren mit Ordnungsbussen geahndet werden können. Wie der Botschaft zum OBG zu entnehmen ist, steht dabei aber insbesondere die Vereinfachung des Verfahrens im Vordergrund; es sollte für geringe, aber häufige Verstösse gegen Verkehrsvorschriften aus praktischen Gründen ein vereinfachtes Verfahren vorgesehen werden (BBl 1969 S. 1091). Es stand demgemäss das Verfahren im Vordergrund - und nicht die einzelnen Tatbestände der Bussenliste.
Fazit
Der Wortlaut von Ziffer 306.3 OBV als Ausgangspunkt der Auslegung führt zu keinem eindeutigen Ergebnis. Die weitere Auslegung nach systematischen, historischen und teleologischen Kriterien ergibt, dass Ziffer 306.3 OBV das Überfahren einer Sicherheitslinie, welche die Fahrstreifen in gleicher Richtung voneinander abgrenzt, als eigenständigen Tatbestand (der im Ordnungsbussenverfahren zu sanktionieren ist) betrachtet. Namentlich die historische Auslegung führt zu diesem Resultat. Aus der Antwort des Verordnungsgebers, dem Bundesrat, lässt sich ohne Weiteres entnehmen, dass das Überfahren einer Sicherheitslinie, welche Fahrstreifen in gleicher Richtung voneinander abgrenzt, vom Ordnungsbussenverfahren und Ziffer 306.3 OBV erfasst ist bzw. sein soll. Auch die systematische und die teleologische Auslegung weisen eher darauf hin, dass kein Zusammenhang mit Pfeilmarkierungen hergestellt werden sollte. Auf den vorliegend zu beurteilenden Sachverhalt (vgl. Ziff. III) ist demzufolge das Ordnungsbussenverfahren anzuwenden. Im Übrigen lässt sich fragen, ob vorliegend das Nichtbeachten des Ausfahrtpfeils an besagter Stelle durch den Beschuldigten (vgl. Urk. 35/1) nicht ohnehin als Nichtfortsetzen der Fahrt in Pfeilrichtung gemäss Ziff. 306.3 OBV gewürdigt werden könnte.
Da eine Ordnungsbusse auch im ordentlichen Strafverfahren ausgefällt werden kann (Art. 11 Abs. 1 OBG), ist der Beschuldigte gemäss Art. 1 und Ziffer 306.3 OBV mit einer Ordnungsbusse von Fr. 100.zu bestrafen.
Im Ordnungsbussenverfahren dürfen keine Kosten erhoben werden (Art. 7 OBG). Entsprechend hat die Vorinstanz keine Entscheidgebühr angesetzt und die Kosten des Strafbefehls sowie die nachträglichen Untersuchungsund Überweisungskosten dem Statthalteramt zur Abschreibung überlassen. Diese Anordnungen für das erstinstanzliche Verfahren sind zu bestätigen.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 Satz 1 StPO). Der Beschuldigte obsiegt mit seinen Anträgen im Berufungsverfahren vollumfänglich; das Statthalteramt unterliegt entsprechend. Die Gerichtsgebühr für das vorliegende Verfahren fällt daher ausser Ansatz.
Der Beschuldigte verlangt eine angemessene Entschädigung nach Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO (Urk. 30 S. 1).
Gemäss Art. 436 Abs. 1 StPO richten sich Ansprüche auf Entschädigung und Genugtuung im Rechtsmittelverfahren nach den Artikeln 429-434. Wird die beschuldigte Person ganz teilweise freigesprochen wird das Verfahren gegen sie eingestellt, so hat sie gemäss Art. 429 Abs. 1 StPO Anspruch auf (a) Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Ausübung ihrer Verfahrensrechte; (b) Entschädigung der wirtschaftlichen Einbussen, die ihr aus ihrer notwendigen Beteiligung am Strafverfahren entstanden sind; (c) Genugtuung für besonders schwere Verletzungen ihrer persönlichen Verhältnisse, insbesondere bei Freiheitsentzug. Die nach Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO zu entschädigenden Aufwendungen betreffen primär die Kosten einer Wahlverteidigung. Private
Aufwendungen und Zeitausfälle, wie für Aktenstudium, werden üblicherweise nicht entschädigt (SCHMID, StPO Praxiskommentar, a.a.O., Art. 429 N 7 f.).
Der Beschuldigte ist nicht anwaltlich vertreten. Es fielen ihm deshalb keine Anwaltskosten an. Dass der Beschuldigte selbst Aufwendungen für seine Verteidigung hatte, ist anzunehmen, auch wenn dies von ihm nicht näher substantiiert wird (vgl. Urk. 30). Die Entschädigungspflicht des Staates beschränkt sich jedoch, wie erwähnt, auf den Ausgleich wesentlicher Umtriebe. Vorliegend kann davon ausgegangen werden, dass dem Beschuldigten durch das Berufungsverfahren
wenn überhaupt lediglich geringfügige finanzielle Nachteile entstanden sind,
insbesondere fand auch keine Berufungsverhandlung statt, zu welcher der Beschuldigte hätte anreisen müssen. Dem Beschuldigten ist daher für das Berufungsverfahren keine Entschädigung auszurichten.
Es wird erkannt:
Der Beschuldigte ist schuldig des Überfahrens einer Sicherheitslinie, welche die Fahrstreifen in gleicher Richtung voneinander abgrenzt, gemäss Ziffer 306.3 (Anhang 1) OBV in Verbindung mit Art. 1 und Art. 3 OBG.
Der Beschuldigte ist des fahrlässigen Überfahrens bzw. Überquerens einer Sicherheitslinie gemäss Art. 90 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 27 Abs. 1 und Art. 34 Abs. 2 SVG sowie Art. 73 Abs. 6 lit. a SSV nicht schuldig und wird freigesprochen.
Der Beschuldigte wird mit einer Ordnungsbusse von Fr. 100.bestraft.
Das erstinstanzliche Kostendispositiv (Ziff. 4. und 5.) wird bestätigt.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.
Dem Beschuldigten wird für das Berufungsverfahren keine Umtriebsentschädigung zugesprochen.
den Beschuldigten
das Statthalteramt Bezirk Zürich
Rechtsmittel
die Kantonspolizei Zürich, KIA-ZA, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG)
an die Vorinstanz.
Gegen diesen Entscheid kann bund esrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
Strafkammer
Zürich, 9. April 2015
Der Präsident:
Dr. iur. F. Bollinger
Die Gerichtsschreiberin:
lic. iur. S. Maurer
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