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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SU140086: Obergericht des Kantons Zürich

Das Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, hat am 29. Juni 2015 in einem Fall des Statthalteramts Dielsdorf gegen den Beschuldigten A. entschieden. Der Beschuldigte wurde freigesprochen und das Statthalteramt des Bezirks Dielsdorf wurde mit den Kosten belastet. Der Beschuldigte erhielt eine Entschädigung von CHF 3'000.- aus der Gerichtskasse. Die Untersuchungsbehörde und Berufungsklägerin forderte die Aufhebung des Urteils, während die Verteidigung des Beschuldigten die Abweisung der Berufung beantragte. Der Richter, Dr. Bussmann, entschied zugunsten des Beschuldigten. Die Gerichtskosten wurden auf die Staatskasse genommen.

Urteilsdetails des Kantongerichts SU140086

Kanton:ZH
Fallnummer:SU140086
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SU140086 vom 29.06.2015 (ZH)
Datum:29.06.2015
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Einsprache gegen Strafbefehl
Schlagwörter : Beschuldigte; Berufung; Sicht; Beschuldigten; Vorinstanz; Urteil; Strasse; Statthalteramt; Dielsdorf; Recht; Untersuchung; Sichthemmung; Seitenspiegel; Aussenspiegel; Frontlader; Gabel; Fahrt; Sachverhalt; Mangel; Befehl; Untersuchungsbe; Auflage; Radfahrer; Untersuchungsbehörde; Bezirk; Entschädigung
Rechtsnorm:Art. 112 VTS ;Art. 29 SVG ;Art. 398 StPO ;Art. 423 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 436 StPO ;Art. 57 VRV ;Art. 71a VTS ;Art. 93 SVG ;
Referenz BGE:-
Kommentar:
Donatsch, Heim, Weder, Heimgartner, Isenring, Kommentar zum StGB, Art. 2 Abs. 2; Art. 2 StGB, 2018

Entscheid des Kantongerichts SU140086

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SU140086-O/U/ad

Mitwirkend: die Oberrichter Dr. Bussmann, Präsident, lic. iur. Burger und lic. iur. Stiefel sowie die Gerichtsschreiberin lic. iur. Karabayir

Urteil vom 29. Juni 2015

in Sachen

Statthalteramt Dielsdorf,

Untersuchungsbehörde und Berufungsklägerin

gegen

A. ,

Beschuldigter und Berufungsbeklagter

verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. et dipl. Ing. HTL X.

betreffend Einsprache gegen Strafbefehl

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Dielsdorf, Einzelgericht Strafsachen, vom 22. September 2014 (GB140012)

Anklage:

Der Strafbefehl des Statthalteramtes Bezirk Dielsdorf vom 8. Juli 2014 (Urk. 3/24) ist diesem Urteil beigeheftet.

Urteil der Vorinstanz :

  1. Der Beschuldigte A. wird von Schuld und Strafe freigesprochen.

  2. Die Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz. Die Kosten des Strafbefehls Nr. ... vom 8. Juli 2014 und der nachträglichen Untersuchung werden dem Statthalteramt des Bezirkes Dielsdorf belassen.

  3. Dem Beschuldigten wird aus der Gerichtskasse eine Entschädigung für Anwaltskosten und persönliche Umtriebe in der Höhe von Fr. 3'000.zugesprochen.

    Berufungsanträge:

    1. Der Untersuchungsbe hörde und Berufungsklägerin: (Urk. 57 S. 6, sinngemäss)

      1. Aufhebung des vorinstanzlichen Urteils

      2. Der Beschuldigte/Berufungsbeklagte sei wegen Führens eines nicht betriebssicheren bzw. nicht vorschriftsgemässen landwirtschaftlichen Motorfahrzeugs schuldig zu sprechen

      3. Der Beschuldigte sei dafür angemessen zu bestrafen

      4. Unter Kostenfolge zulasten des Beschuldigten/Berufungsbeklagten

    2. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 62 S. 2)

    1. Es sei die Berufung unter KEF zu Lasten der Staatskasse abzuweisen und das angefochtene Urteil zu bestätigen.

    1. Es sei dem Beschuldigten für das Berufungsverfahren vor Obergericht eine angemessene Parteientschädigung zuzusprechen.

      Erwägungen:

      1. Prozessgeschichte

        1. Mit Urteil des Bezirksgerichts Dielsdorf vom 22. September 2014 wurde der Beschuldigte vom Vorwurf des Lenkens eines Motorfahrzeugs in nicht betriebssicherem nicht vorschriftsgemässem Zustand freigesprochen (Urk. 51), nachdem er gegen den (zweiten) Strafbefehl des Statthalteramtes Dielsdorf vom

        8. Juli 2014 (Urk. 3/24) fristgerecht Einsprache erhoben hatte (Urk. 3/25).

        2. Fristgerecht meldete das Statthalteramt Dielsdorf dagegen die Berufung an (Urk. 9). Nach Erhalt des begründeten Entscheids (Urk. 66/2) reichte das Statthalteramt mit Eingabe vom 6. Januar 2015 innert Frist die Berufungserklärung ein (Urk. 52). Der Beschuldigte wurde daraufhin aufgefordert zu erklären, ob er Anschlussberufung erhebe Nichteintreten verlange (Urk. 53). Er liess sich indes nicht vernehmen. Mit Beschluss vom 11. Februar 2015 wurde das schriftliche Verfahren angeordnet und dem Statthalteramt Frist angesetzt, um seine Berufungsanträge zu stellen und zu begründen (Urk. 55). Am 9. März 2015 gingen bei der hiesigen Kammer die Berufungsanträge und deren Begründung ein (Urk. 57), welche an den Beschuldigten und die Vorinstanz zugestellt wurden (Urk. 58 f.). Während die Vorinstanz auf Vernehmlassung verzichtete (Urk. 60), reichte der Beschuldigte mit Eingabe vom 6. April 2015 seine Berufungsantwort ein (Urk. 61 f.). Nach ausdrücklichem Verzicht des Statthalteramtes Dielsdorf vom 29. April

        2015 auf eine weitere Stellungnahme (Urk. 65) erweist sich das vorliegende Verfahren als spruchreif.

      2. Prozessuales
        1. Bilden ausschliesslich Übertretungen Gegenstand des erstinstanzlichen Hauptverfahrens, kann mit der Berufung nur geltend gemacht werden, das Urteil sei rechtsfehlerhaft die Feststellung des Sachverhaltes sei offensichtlich unrichtig beruhe auf einer Rechtsverletzung. Neue Behauptungen und Beweise können nicht vorgebracht werden (Art. 398 Abs. 4 StPO).

        2. Betreffend den Sachverhalt hat das Berufungsgericht nur zu prüfen, ob dieser durch die Vorinstanz offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich, festgestellt wurde. Relevant sind dabei klare Fehler bei der Sachverhaltsermittlung, wie namentlich Versehen, Irrtümer offensichtliche Diskrepanzen zwischen der sich aus den Akten sowie der Hauptverhandlung ergebenden Aktenund Beweislage auf der einen und der Urteilsbegründung auf der anderen Seite. Gesamthaft gesehen sind Konstellationen relevant, die als willkürliche Sachverhaltserstellung zu qualifizieren sind (vgl. SCHMID, Strafprozessordnung Praxiskommentar, 2. Auflage 2013, N 12 f. zu Art. 398; BSK StPO-EUGSTER, N 3 zu Art. 398 StPO; Urteil BGer vom 6. März 2012, [6B_696/2011], E. 2.1).

        3. Weiter wird das angefochtene Urteil auf Rechtsverletzungen durch die Vorinstanz hin überprüft. Insofern liegt keine Einschränkung der Überprüfungsbefugnis vor; sämtliche Rechtsfragen sind mit freier Kognition zu prüfen, und zwar nicht nur materiellrechtliche, sondern auch prozessuale (vgl. HUG, in: DONATSCH/ HANSJAKOB/LIEBER, Kommentar zur StPO, 2014, 2. Auflage, Art. 398 N 23).

      3. Sachverhalt
        1. Dem Beschuldigten wird im Strafbefehl vom 8. Juli 2014 zusammengefasst vorgeworfen, am 19. Juli 2013, um ca. 11.10 Uhr, auf der B. -Strasse in

          C. mit einem Traktor gefahren zu sein, dessen Aussenspiegel beidseits ungenügend eingestellt gewesen seien, so dass die Sicht nach hinten übermässig gehemmt gewesen sei. Gleichzeitig sei auch die Sicht nach vorne übermässig gehemmt gewesen, weil der Beschuldigte am Frontlader ein Anbaugerät (Gabel bzw. Zange) angebracht habe, welche das Sichtfeld massiv eingeschränkt habe. Dabei soll der Beschuldigte in Bezug auf die Sichthemmung nach hinten vorsätzlich und bezüglich derjenigen nach vorne fahrlässig gehandelt haben (Urk. 3/24).

        2. Das Statthalteramt Dielsdorf bemängelt die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz nicht.

        3. Damit ist für die rechtliche Würdigung von folgendem, korrigiertem Sachverhalt auszugehen: Das Sichtfeld nach hinten wurde (lediglich) durch einen eingeklappten rechten Aussenspiegel gehemmt. Die Sichteinschränkung nach vorne war sehr gering, nicht massiv (Urk. 51 S. 11).

      4. Rechtliche Würdigung
  1. Fahrt trotz Sichthemmung nach hinten (eingeklappter Aussenspiegel)

    1. Die Vorinstanz begründet den Freispruch zusammenfassend damit, dass der objektive Tatbestand von Art. 93 Abs. 2 lit. a SVG i.V.m. Art. 29 SVG und Art. 112 Abs. 1 VTS zwar erfüllt sei. In subjektiver Hinsicht könne dem Beschuldigte aber kein pflichtwidriges Verhalten vorgeworfen werden, weil der eingeklappte Aussenspiegel einen leichteren Mangel im Sinne von Art. 57 Abs. 3 VRV darstelle, mit welcher eine kurze Weiterfahrt noch gestattet sei (Urk. 51 S. 13 f.).

    2. Vorweg festzuhalten ist an dieser Stelle, dass die Vorinstanz zu verkennen scheint, dass in Bezug auf den eingeklappten Seitenspiegel vorsätzliche, und nicht fahrlässige Tatbegehung eingeklagt wurde. So wirft die Untersuchungsbehörde dem Beschuldigten explizit vor, ein landwirtschaftliches Fahrzeug mit ungenügend eingestellten Aussenspiegeln und übermässiger Sichthemmung nach hinten wissentlich und willentlich gelenkt zu haben (Urk. 3/24). Damit hätte die Vorinstanz in Einhaltung des Anklagegrundsatzes lediglich die vorsätzliche Begehung dieses Vorwurfs prüfen dürfen die Anklage zur Ergänzung zurückweisen müssen. Da der Beschuldigte von diesem Vorwurf aber freigesprochen wurde, spielt diese Fehlinterpretation mangels beschwerender Wirkung auf den Beschuldigten keine wesentliche Rolle. Nachfolgend zu prüfen ist, ob das eingeklagte Verhalten, also die vorsätzliche Fahrt trotz Sichthemmung nach hinten, rechtlich unter den eingeklagten Tatbestand subsumiert werden kann.

    3. Dass der Tatbestand von Art. 93 Abs. 2 lit. a SVG in Verbindung mit

      Art. 29 SVG und Art. 112 Abs. 1 VTS in objektiver wie subjektiver Hinsicht erfüllt ist, ergibt sich ausdrücklich aus den Zugeständnissen des Beschuldigten. Er selber führte aus, dass der rechte Aussenspiegel während der Fahrt bei der Verzweigung D. -/B. -Strasse eingeklappt sei und er in Kenntnis dessen weitergefahren sei (Urk 3/20 Nr. 9, 12; Prot. I S. 8 f.). Damit hat er wissentlich und willentlich gegen die genannten Verkehrsvorschriften verstossen. Fraglich ist vorliegend indes, ob der sich aus Art. 57 Abs. 3 VRV ergebende Rechtfertigungsgrund zur Anwendung gelangen kann.

    4. Die Untersuchungsbehörde macht diesbezüglich zusammengefasst geltend, dass das vorinstanzliche Urteil rechtsfehlerhaft sei, weil der eingeklappte Aussenspiegel entgegen der Würdigung der Vorinstanz keinen lediglich leichten Mangel im Sinne von Art. 57 Abs. 3 VRV darstelle. Diese Bestimmung sei nicht anwendbar, und der Beschuldigte sei schuldig zu sprechen.

    5. Gemäss Art. 57 Abs. 3 VRV darf der Führer eines Motorfahrzeugs mit besonderer Vorsicht weiterfahren, wenn unterwegs leichtere Mängel auftreten. Die Reparatur ist ohne Verzug zu veranlassen. Dies bedeutet aber entgegen der Behauptung der Berufungsklägerin nicht, dass nur ein Mangel, deren Reparatur nicht an Ort und Stelle erfolgen kann, in den Anwendungsbereich von Art. 57 Abs. 3 VRV fällt (Urk. 57 S. 4), ist dies dem Wortlaut des Gesetzes so doch nicht zu entnehmen. Leichtere Mängel im Sinne dieser Bestimmung sind gemäss Literatur solche, die die Betriebssicherheit des Fahrzeugs an sich nicht tangieren und

      die Befolgung der Verkehrsregeln noch immer gestatten (BSK SVG-SCHENK, N 49

      f. zu Art. 29 SVG). Unter der Betriebssicherheit sind nicht nur im engeren, technischen Sinn diejenigen Risiken zu verstehen, welche mit dem Betrieb als rein technischem Vorgang in der Maschine verbunden sind. Erfasst wird vielmehr

      auch die bestimmungsgemässe Benutzung des Fahrzeugs im Strassenverkehr (BSK SVGSCHENK, N 27 zu Art. 29 SVG). Wann genau ein leichterer Mangel vorliegt, ist anhand des Einzelfalles unter Berücksichtigung der konkreten Umstände zu beurteilen. Für diese Beurteilung ist insbesondere massgebend, wie hoch der Grad der Verkehrsgefährdung ist, der durch die Weiterfahrt mit dem Mangel geschaffen wird (BSK SVG-SCHENK, N 50 zu Art. 29 SVG). Je kleiner diese Gefährdung ist, desto eher kann man von einem leichteren Mangel ausgehen.

    6. Die vorinstanzliche Qualifizierung, dass es sich beim eingeklappten Seitenspiegel um einen leichteren Mangel handelt (Urk. 51 S. 13 f.), ist im Ergebnis nicht zu beanstanden. Die durch die Weiterfahrt mit eingeklapptem rechtem Seitenspiegel geschaffene Gefahr ist für andere Verkehrsteilnehmer bei Berücksichtigung der konkreten Umstände und des Einzelfalles aus den nachfolgend darzulegenden Gründen als gering zu beurteilen. In der konkreten Konstellation ging es

      um einen Traktor, der lediglich ca. einen Kilometer weit mit eingeklapptem rechten

      Aussenspiegel auf einer Landstrasse mit einer Geschwindigkeit von 25 km/h gefahren wurde. Bis zum Kontrollort beträgt die zulässige Höchstgeschwindigkeit 50 km/h und die Strasse verläuft einspurig, sehr beengt und relativ steil. Ab dem Kontrollpunkt wird die Strasse in Fahrtrichtung zweispurig, die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 80 km/h, und Fahrradfahrern wird ein separater Weg zugewiesen. Der Beschuldigte fuhr also mit sehr geringem Tempo. Es handelt sich um eine Landstrasse mit Höchstgeschwindigkeiten von 50 km/h bzw. 80 km/h und nicht etwa um eine Autobahn, auf welcher deutlich schneller gefahren wird und Fahrspurenwechsel häufig vorkommen Die Vorschriftswidrigkeit betraf den rechten Seitenspiegel, welcher während der Fahrt einklappte. Einzige Gefahr, welche er dadurch hätte schaffen können, wäre gewesen, einen Radfahrer zu übersehen, welcher ihn genau in dem Moment von rechts zu überholen versucht hätte, wenn er nach rechts abbiegen wollte. Das Eintreten einer solchen Konstellation erscheint aber bereits angesichts der Strassensituation und der Geschwindigkeit des Beschuldigten vorliegend als sehr gering: So verläuft die Strasse doch relativ steil. Ein Radfahrer hätte mindestens mit 30 km/h fahren müssen, um den Beschuldigten innerhalb des einen Kilometers überholen zu können. Bei dieser Steigung und den beengten Strassenverhältnissen erscheint es aber als sehr unwahrscheinlich, dass ein Radfahrer überhaupt mit 30 km/h fahren könnte. Schliesslich reduziert sich die Verkehrsgefährdung gänzlich ab dem Kontrollpunkt: Radfahrern wird ab diesem Ort ein separater Radweg zugewiesen. Selbst wenn man aber davon ausgehen würde, dass ein Radfahrer es geschafft hätte, den Beschuldigten zu überholen, ergäbe sich eine nur geringe Gefährdung durch den eingeklappten rechten Seitenspiegel. Denn der Beschuldigte fuhr nur mit 25 km/h. Es muss ihm also ohne weiteres möglich gewesen sein, einen gewissen Bereich der rechten Fahrbahnseite hinter ihm auch mit Kontrollblicken nach rechts zu überblicken. Insbesondere einen mit 30 km/h fahrenden Radfahrer hätte er so früh genug also vor einem allfälligen Abbiegen nach rechts erkennen können. Zu Recht verwies sodann die Vorinstanz darauf, dass das Anhalten in so beengten Strassenverhältnissen eine weitaus grössere Verkehrsgefährdung geschaffen hätte, als die Weiterfahrt mit eingeklapptem Seitenspiegel und mit einer Geschwindigkeit von nur 25 km/h für etwa einen Kilometer. Damit tangierte der eingeklappte Seitenspiegel die Betriebssicherheit des Fahrzeuges in der vorliegenden Konstellation nicht in dem Ausmasse, dass die Befolgung der Verkehrsregeln nicht mehr möglich gewesen wäre. Der eingeklappte Seitenspiegel gestattet in der konkreten Situation weiterhin die bestimmungsgemässe Benutzung des Traktors im Strassenverkehr. Damit ist der vorliegende Fall auch nicht vergleichbar mit den von der Berufungsklägerin vorgebrachten Beispielen (Urk. 57 S. 3).

    7. Die kurze Weiterfahrt des Beschuldigten mit eingeklapptem Seitenspiegel war somit zwar tatbestandsmässig, aber nicht rechtswidrig, weshalb der Beschuldigte in diesem Punkt freizusprechen ist.

  2. Fahrt trotz Sichthemmung nach vorne (Anbaugerät an Frontlader)

    1. Die Vorinstanz begründet ihren Freispruch in Bezug auf die Fahrt trotz Sichthemmung nach vorne zusammengefasst damit, dass die Gabel allein die Sicht nicht massiv beeinträchtige. Allein dies sei aber von der Untersuchungsbehörde eingeklagt worden (Urk. 51 S. 16).

    2. Die Untersuchungsbehörde wendet dagegen zu Recht ein, dass nicht nur eine massive Sichthemmung unter Art. 71a Abs. 1 VTS falle, sondern jegliche

      Sichthemmung, welche es dem Führer verunmöglicht, bei einer Augenhöhe von

      0.75 m über der Sitzfläche ausserhalb des Halbkreises von 12,0 m Radius die Fahrbahn frei zu überblicken (Urk. 57 S. 5). Betrachtet man das Foto von der Innenkabine aus (Urk. 3/4 Bild 3), so ist die Fahrbahn durch die Gabel nicht in genanntem Sinn frei überblickbar. Mit der Vorinstanz kann zwar ebenfalls festgestellt werden, dass die Sicht nach vorne massiver durch die Arme des Frontladers rechts und links sowie den mitten im Sichtfeld stehenden Auspuff miteingeschränkt ist. Alle diese drei Teile gesamthaft schränken die Sicht doch massiv ein. Nichtsdestotrotz reicht aber auch schon die Gabel, um den freien Überblick über die Fahrbahn im Sinne von Art. 71a Abs. 1 VTS einzuschränken. Insofern ist der eingeklagte Tatbestand von Art. 93 Abs. 2 SVG i.V.m. Art. 71a Abs. 1 VTS in objektiver Hinsicht erfüllt.

    3. Dem Beschuldigten wird in der Anklageschrift bezüglich der Sichthemmung nach vorne fahrlässige Begehung vorgeworfen (hätte er wissen müssen, dass dies nicht den Vorschriften entspricht). Zu beurteilen ist deshalb, ob der Beschuldigte bei pflichtgemässer Aufmerksamkeit hätte wissen müssen, dass die Sicht durch die Gabel übermässig gehemmt war und er vorschriftswidrig handelte. Der Beschuldigte führte glaubhaft aus, dass die Zulassungsbehörde ihm das Fahren mit Auspuff und hochgefahrenem Frontlader ohne Auflagen bewilligt habe

      (Urk. 62 Nr. 16). Wenn aber nun die Arme des Frontladers und der Auspuff von der Zulassungsbehörde nicht für sichthemmend bzw. vorschriftswidrig qualifiziert wurden, war für den Beschuldigten auch nicht vorhersehbar, dass nun die Arme der Gabel seine Sicht vorschriftswidrig einschränken sollen. Der Beschuldigte hat seiner Sorgfaltspflicht entsprechend den Traktor mit sichtbehinderndem Auspuff und dem hochgefahrenen Frontlader, dessen Arme die Sicht weitaus mehr einschränken als diejenigen der Gabel, bei der Zulassungsbehörde vorgeführt. Die Zulassungsbehörde hat ihm die Bewilligung erteilt, und zwar ohne ihm die Auflage zu machen, dass er an den Frontlader kein Anbaugerät anbringen dürfe, da ansonsten der freie Überblick im Sinne von Art. 71a Abs. 1 VTS nicht gewährleistet wäre. Dass der Beschuldigte deshalb bei der Fahrt auf der B. -Strasse von vorschriftsmässigem Verhalten ausging, kann ihm nicht zum Vorwurf gemacht werden. Dem Beschuldigten kann insbesondere nicht vorgeworfen werden, darauf

      vertraut zu haben, dass die Zulassungsbehörde als Fachstelle gewusst hat, dass an den Frontlader üblicherweise ein Anbaugerät (Gabel etc.) angebracht wird und diese ihm eine Auflage erteilt hätte, wenn dies verboten gewesen wäre.

    4. Damit hat sich der Beschuldigte auch nicht gemäss Art. 93 Abs. 2 lit. a SVG

i.V.m. Art. 29 SVG, Art. 57 Abs. 1 VRV und Art. 71a Abs. 1 VTS strafbar gemacht.

V. Kostenund Entschädigungsfolgen
  1. Ausgangsgemäss ist das vorinstanzliche Kostendispositiv (Ziff. 2) grundsätzlich zu bestätigen (Art. 426 Abs. 1 StPO). Da jedoch gemäss Art. 423 StPO der verfahrensführende Kanton und nicht die betreffende Behörde die Kosten trägt (vgl. SCHMID, StPO Praxiskommentar, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2013, Art. 428 N 3), sind die Kosten des Untersuchungsverfahrens auf die Staatskasse zu nehmen. Die Kosten des Berufungsverfahrens haben ausser Ansatz zu fallen

    (Art. 428 Abs. 1 StPO).

  2. Zu den Entschädigungsfolgen im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens kann vollumfänglich auf die zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 51 S. 17 f.). Das vorinstanzliche Entschädigungsdispositiv (Ziff. 3) ist zu bestätigen.

  3. Für die anwaltliche Verteidigung ist dem Beschuldigten eine Prozessentschädigung zuzusprechen (Art. 436 Abs.1 StPO i.V.m. Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Der in der eingereichten Honorarnote aufgeführte Aufwand von rund 16.85 Stunden und damit Fr. 4'367.50 (inkl. MwSt.) erscheint als angemessen (Urk. 67). Es rechtfertigt sich daher, dem Beschuldigten eine Prozessentschädigung für das Berufungsverfahren von Fr. 4'367.50 (inkl. MwSt.) zuzusprechen.

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte A. ist der eingeklagten Delikte nicht schuldig und wird freigesprochen.

  2. Die erstinstanzliche Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz. Die Kosten des Strafbefehls Nr. ... vom 8. Juli 2014 und der nachträglichen Untersuchung werden auf die Staatskasse genommen.

  3. Das erstinstanzliche Entschädigungsdispositiv (Ziff. 3) wird bestätigt.

  4. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.

  5. Dem Beschuldigten wird für das Berufungsverfahren eine Prozessentschä- digung von Fr. 4'367.50 für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  6. Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an

    • den Verteidiger des Beschuldigten (im Doppel)

    • das Statthalteramt des Bezirks Dielsdorf

    • die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich

      sowie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz.

  7. Rechtsmittel:

Gegen diesen Entscheid kann bund esrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Zürich, 29. Juni 2015

Der Präsident:

Oberrichter Dr. Bussmann

Die Gerichtsschreiberin:

lic. iur. Karabayir

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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