Zusammenfassung des Urteils SR230022: Obergericht des Kantons Zürich
Ein Gesuchsteller hat ein Revisionsgesuch gegen einen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis eingereicht. Er argumentiert, dass er zum Tatzeitpunkt aufgrund einer paranoiden Schizophrenie schuldunfähig war. Ein forensisch-psychiatrisches Gutachten stützt diese Behauptung. Das Gericht entscheidet, dass das Revisionsgesuch begründet ist, der Strafbefehl aufgehoben wird und die Sache zur neuen Beurteilung zurück an die Staatsanwaltschaft geht. Die Gerichtskosten werden aus der Gerichtskasse genommen, und der amtliche Verteidiger wird entschädigt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SR230022 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Strafkammer |
Datum: | 20.11.2023 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Einfache Körperverletzung |
Schlagwörter : | Revision; Gesuchsteller; Befehl; Staatsanwaltschaft; Verfahren; Limmattal; Albis; Gesuchstellers; Revisionsgesuch; Revisionsverfahren; Steuerungsfähigkeit; Verfahrens; Verfahrens; Sache; Kantons; Gesuchsgegnerin; Körperverletzung; Tatsachen; Person; Gutachten; Tatvorwürfe; Gerichtskasse; Verteidiger; Obergericht; Kammer; Prinz; Präsident; Gerichtsschreiberin; Hunziker |
Rechtsnorm: | Art. 413 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 93 BGG ; |
Referenz BGE: | - |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SR230022-O/U/cwo
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, die Ersatzoberrichter lic. iur.
R. Amsler und lic. iur. K. Vogel sowie die Gerichtsschreiberin MLaw N. Hunziker
Beschluss vom 20. November 2023
in Sachen
,
Gesuchsteller
amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X.
gegen
Gesuchsgegnerin
betreffend einfache Körperverletzung
Erwägungen:
Mit Eingabe vom 17. Oktober 2023 liess der Gesuchsteller ein Revisionsgesuch gegen den rechtsKräftigen Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis vom 21. April 2022 stellen (Urk. 1 und 2/1-7 sowie 9).
Mit Beschluss vom 31. Oktober 2023 wurde das Revisionsgesuch der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis zur freigestellten Stellungnahme zugestellt (Urk. 4). Diese liess sich mit Eingabe vom 7. November 2023 vernehmen. Darin hielt sie fest, dass die dem Strafbefehl zugrundeliegende Tat sich gegen ein Zufallsopfer namens B. gerichtet habe und nicht, wie der Gesuchsteller behaupte, gegen den Lebenspartner seiner Mutter, C. . Im übrigen verzichtete die Staatsanwaltschaft auf eine Stellungnahme (Urk. 6).
Wer durch einen rechtsKräftigen Strafbefehl beschwert ist, kann gemäss Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO Revision verlangen, wenn neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch, eine wesentlich mildere wesentlich strengere Bestrafung der verurteilten Person eine Verurteilung der freigesprochenen Person herbeizuführen.
Der Gesuchsteller bringt vor, dass im neuen, laufenden Strafverfahren im Auftrag der Staatsanwaltschaft ein forensisch-psychiatrisches Gutachten über ihn erstellt worden sei. Der Gutachter habe bei ihm eine schizophrene Erkrankung diagnostiziert. Zudem sei der Gutachter zum Schluss gekommen, dass er (der Gesuchsteller) tatzeitbezogen am 13. und 28. April 2022 infolge aufgehobener Steuerungsfühigkeit schuldunfähig gewesen sei. Die TatVorwürfe im laufenden Strafverfahren betröfen dieselbe geschädigte Person, den Lebenspartner seiner Mutter, wie der dem Strafbefehl zugrundeliegende Tatvorwurf und seien aufgrund denselben familiüren Auseinandersetzungen entstanden. Zudem liege der dem Strafbefehl zugrundeliegende Tatvorwurf vom 20. April 2022 zeitlich ziemlich ge- nau zwischen den TatVorwürfen, die Gegenstand des laufenden Strafverfahrens bildeten. Letztlich gehe es in beiden Strafverfahren jeweils um Delikte gegen Leib und Leben. Aufgrund der zeitlichen und sachlichen Konnexität zwischen den ge-
nannten TatVorwürfen müsse geschlossen werden, dass er auch am 20. April 2022 schuldunfähig gewesen sei, was die den Strafbefehl erlassende Staatsanwaltschaft nicht beRücksichtigt habe. Dies rechtfertige eine Revision des Strafbefehls und eine nachträgliche Verfahrenseinstellung (Urk. 1).
Dem Gutachten von Dr. med. D. vom 3. Oktober 2022 lässt sich entnehmen, dass der Gesuchsteller in den Tatzeiträumen, am 13. und 28. April 2022, an akuten Symptomen einer paranoiden Schizophrenie gelitten habe. Die psychosoziale Leistungsfühigkeit des Gesuchstellers sei an den Tatzeitpunkten krankheitsbedingt massiv beeinträchtigt gewesen. Tatzeitbezogen werde eine Aufhebung der motivationalen Steuerungsfühigkeit festgestellt. Die Fähigkeit des Gesuchstellers, das eigene Handeln angesichts wahnhafter Motive zu kontrollieren und die Ausführung normwidriger, eigenlogischer Motivationen zu hemmen, sei aufgehoben gewesen. Dies bedinge aus forensisch-psychiatrischer Sicht für die Tatzeiträume (13. und 28. April 2022) eine Aufhebung der Schuldfühigkeit (Urk. 2/6 S. 50). Die dem Strafbefehl zugrundliegende einfache Körperverletzung datiert vom
20. April 2022 und betrifft somit denselben Zeitraum, in welchem gemäss Gutachten die Steuerungsfühigkeit des Gesuchstellers aufgehoben und er demzufolge schuldunfähig war (Urk. 2/2). Zudem geht es auch im laufenden Strafverfahren vorwiegend um strafbare Handlungen gegen Leib und Leben (strafbare Vorbereitungshandlungen zu vorsätzlicher Tütung, einfache Körperverletzung sowie Drohung; vgl. Urk. 2/4). Dass sich die (mutmasslichen) Taten des Gesuchstellers gegen verschiedene Opfer richteten, kommt dabei zumindest für die Zwecke des Revisionsverfahrens keine entscheidende Bedeutung zu.
Die Diagnose der paranoiden Schizophrenie und die gutachterlich festgestellte Schuldunfähigkeit infolge aufgehobener Steuerungsfühigkeit sind neue Tatsachen, die ohne Weiteres geeignet sind, eine Verfahrenseinstellung infolge fehlen- der Schuldfühigkeit bzw. gegebenenfalls die Durchführung eines Verfahrens gemäss Art. 374 f. StPO zu bewirken, weshalb der Revisionsgrund der neuen Tatsachen und Beweismittel gemäss Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO gegeben ist. Das Revisionsgesuch ist demnach gutzuheissen, der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft
Limmattal / Albis vom 21. April 2022 ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Beurteilung an die Gesuchsgegnerin zurückzuweisen.
Die Gerichtsgebühr für das Revisionsverfahren fällt bei diesem Verfahrensausgang ausser Ansatz. Ausgangsgemäss sind die Kosten des Revisionsverfahrens auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 428 Abs. 4 StPO). Der amtliche Verteidiger macht für das Revisionsverfahren einen Aufwand von Fr. 1'695.85 (inklusive Barauslagen und Mehrwertsteuer) geltend (Urk. 8). Der bezifferte Aufwand ist ausgewiesen und erscheint angemessen, weshalb der amtliche Verteidiger antragsgemäss zu entschädigen ist.
Der Entscheid über die Kosten des Strafbefehlsverfahrens liegt im Ermessen der Behörde, welche anschliessend über die Strafsache zu befinden hat (Art. 428 Abs. 5 StPO). Somit wird die Gesuchsgegnerin über diese Kosten zu befinden haben.
Dieser Zwischenbeschluss ist gemäss Art. 93 BGG nicht mit Strafrechtsbeschwerde beim Bundesgericht anfechtbar (JOSITSCH/SCHMID, StPO Praxiskommentar, 4. Aufl. 2023, N 9 zu Art. 413 StPO).
Es wird beschlossen:
Das Revisionsgesuch wird gutgeheissen.
Der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis vom 21. April 2022 (A-1/2022/10014300) wird aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Beurteilung an die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis zurückgewiesen.
Die Gerichtsgebühr für das Revisionsverfahren fällt ausser Ansatz. Die übrigen Kosten werden auf die Gerichtskasse genommen.
Der amtliche Verteidiger des Gesuchstellers wird mit Fr. 1'695.85 (inkl. MWST) aus der Gerichtskasse entschädigt.
Schriftliche Mitteilung an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Gesuchstellers (unter Beilage von Urk. 6)
die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis
das Amt für Justizvollzug und Wiedereingliederung, Bewährungs- und Vollzugsdienste
das Migrationsamt des Kantons Zürich
die Koordinationsstelle VOSTRA zur Entfernung der Verurteilung gemäss Dispositivziffer 2 mittels Kopie von Urk. 9.
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer Zürich, 20. November 2023
Der Präsident:
lic. iur. Ch. Prinz
Die Gerichtsschreiberin:
MLaw N. Hunziker
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