Zusammenfassung des Urteils SR220004: Obergericht des Kantons Zürich
Die Klägerin B.________ forderte in einem Verfahren vor dem Kantonsgericht von A.________ die Zahlung von Arbeitsvergütungen und einer Genugtuung. Das Gericht entschied, dass A.________ der Klägerin Beträge in Höhe von insgesamt Fr. 12'846.16 sowie ein Arbeitszeugnis und einen Lohnausweis ausstellen muss. Es wurden keine Gerichtskosten erhoben und der Klägerin wurde keine Parteientschädigung zugesprochen. A.________ reichte eine Beschwerde ein, jedoch wurde darauf nicht eingetreten, da er die erforderlichen Anträge nicht klarstellte. Die Kosten für das Verfahren vor dem Kantonsgericht wurden nicht erhoben und es wurde keine Parteientschädigung zugesprochen.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SR220004 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Strafkammer |
Datum: | 17.11.2022 |
Rechtskraft: | Weiterzug ans Bundesgericht, 6B_2/2023 |
Leitsatz/Stichwort: | Qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz etc. und Rückversetzung |
Schlagwörter : | Gesuch; Gesuchsteller; Revision; Urteil; Obergericht; Landesverweisung; Recht; Tatsache; Urteils; Flüchtling; Vollzug; Sachen; Tatsachen; Verteidigung; Afghanistan; Christ; Vollzugs; Gericht; Bundesgericht; Verfahren; Kantons; Revisionsgesuch; Prüfung; Beschuldigte; Christentum; Staat; Gesuchstellers; Entscheid |
Rechtsnorm: | Art. 135 StPO ;Art. 25 BV ;Art. 3 EMRK ;Art. 397 StGB ;Art. 410 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 60 StPO ;Art. 66a StGB ;Art. 66d StGB ;Art. 66d StPO ;Art. 83 AIG ; |
Referenz BGE: | 122 IV 66; 130 IV 72; 145 IV 197; 147 IV 453; 80 IV 40; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SR220004-O/U/nm-as
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Stiefel, Präsident, Oberrichterin lic. iur. Wasser- Keller und Oberrichterin lic. iur. Bertschi sowie Gerichtsschreiber MLaw Andres
Urteil vom 17. November 2022
in Sachen
Gesuchsteller
amtlich verteidigt durch MLaw X.
gegen
Gesuchsgegnerin
betreffend qualifizierte Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz etc. und Rückversetzung
Anträge:
Der amtlichen Verteidigung des Gesuchstellers: (Urk. 1 S. 2)
Es sei die Revision gutzuheissen und das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich vom 13. Februar 2020 (Geschäfts-Nr. SB190484-O) sei in Bezug auf Ziffern 4 und 5 aufzuheben.
Eventualiter sei die Streitsache anhand der richterlichen Erwägungen zur Gewährung des rechtlichen Gehörs, Vervollständigung der Sachverhaltsfeststellung und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz resp. an die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland zurückzuweisen.
Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. MwSt.) in sämtlichen Instanzen zu Lasten der Revisionsgegnerin resp. zu Lasten der Staatskasse des Kantons Zürich. Eventualiter sei dem Revisionsgesuchsteller die vollständige unentgeltliche Rechtspflege zu gewähren. Der unterzeichnete Rechtsanwalt sei vor Erlass des Urteils vom Revisionsgericht aufzufordern, seine detaillierte Kostennote einzureichen.
Der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland: (Urk. 1 S. 2)
Abweisung des Revisionsgesuchs, unter Kostenfolge zulasten des Gesuchstellers.
Erwägungen:
Mit Eingabe vom 10. Mai 2022 reichte der Gesuchsteller beim hiesigen Gericht ein Revisionsgesuch ein, in welchem er die Aufhebung der im Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 13. Februar 2020 angeordneten Landesverweisung samt Ausschreibung derselben im SIS (Urk. 2/6 = Urk. 64 der Beizugsakten SB190484, Dispositiv-Ziffern 4 und 5) beantragte. Wei-
ter ersuchte er um die Einsetzung von Rechtsanwalt MLaw X. als amtliche Verteidigung für die Dauer des Revisionsverfahrens (Urk. 1). Mit Präsidialverfügung vom 28. Juni 2022 wurden die Akten im Fall SB190484 beigezogen (Urk. 3). Mit Beschluss vom 18. Juli 2022 wurde nach vorläufiger Prüfung des Revisionsgesuchs Rechtsanwalt MLaw X. als amtliche Verteidigung bestellt und der Staatsanwaltschaft sowie der I. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich je Frist zur Stellungnahme zum Revisionsgesuch angesetzt (Urk. 6). Letztere verzichtete auf Vernehmlassung (Urk. 8). Mit Eingabe vom 21. Juli 2022 nahm die Oberstaatsanwaltschaft, welche die Vertretung der Gesuchsgegnerin an Sonderstaatsanwalt Dr. iur. Rolf Jäger delegiert hatte (Urk. 9), zum Revisionsgesuch Stellung und beantragte dessen Abweisung (Urk. 10).
Zur Stellungnahme der Oberstaatsanwaltschaft liess sich der Beschuldigte mit Eingabe vom 19. August 2022 vernehmen und reichte verschiedene Beilagen ins Recht (Urk. 13 und Urk. 14/1-6). Die Oberstaatsanwaltschaft verzichtete in der Folge auf weitere Stellungnahmen (Urk. 17). Am 24. Oktober 2022 reichte die amtliche Verteidigung die Honorarnote ein (Urk. 20).
Der Beschuldigte begehrt die Aufhebung der mit Urteil vom 13. Februar 2022 angeordneten Landesverweisung, da diese seiner Ansicht nach vom Obergericht in Kenntnis der erweiterten Sachlage aus völkerrechtlicher Sicht nie hätte gefällt werden dürfen. Konkret lässt er geltend machen, dass er zum Christentum konvertiert sei, wobei er sich kurz – d.h. zwei Tage – vor der obergerichtlichen Berufungsverhandlung habe taufen lassen (vgl. Urk. 2/4). Hinzu komme, dass das Staatsekretariat für Migration (SEM) mit Entscheid vom 25. April 2022 (Urk. 2/3) seinen Asylantrag – begründet mit der rechtskräftigen, vorliegend angefochtenen Landesverweisung – zwar abgewiesen und ihm ein vorläufiges Aufenthaltsrecht verweigert habe. Das SEM habe dem Gesuchsteller in diesem Entscheid aber immerhin – und dies sei insbesondere auch für die Frage der Landesverweisung relevant – angesichts seiner Zugehörigkeit zum Christentum und entsprechend in Afghanistan drohenden Nachteilen die Flüchtlingseigenschaft zuerkannt. Der Flüchtlingsstatus sei zwar erst zwei Jahre nach dem Revisionsurteil offiziell bestätigt worden. Nachdem der Gesuchsteller jedoch bereits vor der Urteilsfällung zum
Christentum konvertiert und getauft worden sei, hätte die Flüchtlingseigenschaft bereits vor der Urteilsfällung vorgelegen und vom Obergericht bei der Beurteilung der Landesverweisung entsprechend bereits damals berücksichtigt werden müssen. Aufgrund seiner Zugehörigkeit zum Christentum sähe er sich – wie dies auch das SEM bestätigt habe – bei einer Ausweisung in sein Heimatland Afghanistan mit dem Tod zumindest mit unmenschlicher erniedrigender Behandlung, Strafe bzw. Folter bedroht, womit in Nachachtung der geltenden völkerrechtlichen Verpflichtungen – mithin sowohl des Folterverbots gemäss Art. 3 EMRK als auch gemäss Art. 33 Flüchtlingskonvention (FK) – eine Rückschiebung damals wie heute nicht hätte erfolgen dürfen. Aufgrund der bereits damals bestehenden Lage in Afghanistan als islamistisch geprägtes Land – wobei sich die Verhältnisse für Angehörige des Christentums seit der erneuten Machtübernahme durch die Taliban im August 2021 noch zusätzlich verschärft hätten – sei von einer dauerhaften Unmöglichkeit der Ausweisung in sein Heimatland auszugehen. Dies hätte das Obergericht angesichts der bundesgerichtlichen Rechtsprechung, wonach ein Einbezug dauernder Vollzugshindernisse, insbesondere der flüchtlings- und menschenrechtlichen Rückweisungsverbote (Non-Refoulement-Gebot), bereits im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung der Landesverweisung zu erfolgen habe, berücksichtigen und entsprechend auf eine Landesverweisung verzichten müssen. Stattdessen habe das Obergericht eine Prüfung der Flüchtlingseigenschaft und der Rückweisungsverbote unterlassen und hinsichtlich solcher Gründe pauschal auf das Vollzugsverfahren vor der kantonalen Migrationsbehörde verwiesen. Diese bereits zum Urteilszeitpunkt vorliegenden relevanten Aspekte seien mithin in die Urteilsfindung des Obergerichts zu Unrecht nicht eingeflossen, was zu einer unrechtmässigen Anordnung der Landesverweisung des Gesuchstellers geführt habe und entsprechend in Anwendung von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO zu revidieren sei (Urk. 1 S. 2 ff. sowie Urk. 13 S. 4 ff.).
Die Staatsanwaltschaft hält dem entgegen, die vom Gesuchsteller vorgebrachten Umstände – mithin seine kurz vor dem Revisionsurteil erfolgte Konvertierung zum Christentum wie auch die geltend gemachte Flüchtlingseigenschaft – seien Tatsachen, die dem Obergericht bereits zum Urteilszeitpunkt vorgelegen hätten und auch in das Urteil eingeflossen seien. Es handle sich mithin nicht um
eine neue Tatsache im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO. Der Gesuchsteller hätte sich entsprechend auf dem Weg der strafrechtlichen Beschwere beim Bun- desgericht gegen die Anordnung der Landesverweisung wehren können und müssen. Nachdem er bzw. seine damalige Verteidigung dieses Rechtsmittel nicht ergriffen habe, nur um zwei Jahre später eine Revision gestützt auf die bereits damals bekannten Umstände anzustreben, erweise sich das Gesuch im Resultat als rechtsmissbräuchlich. Ob der Vollzug der rechtskräftigen Landesverweisung in Anwendung von Art. 66d StGB aufzuschieben wäre, habe das Migrationsamt als kantonales Vollzugsorgan zu prüfen. Das Revisionsgesuch sei entsprechend abzuweisen (Urk. 10 S. 2 f.).
Die Revision ist ein ausserordentliches Rechtsmittel, welches zur Durchbrechung der Rechtskraft eines Entscheides führt und deshalb nur in engem Rahmen zulässig ist. Entsprechend streng sind die Voraussetzungen einer Revision (H EER, in: Niggli/Heer/Wiprächtiger [Hrsg.], Basler Kommentar StPO, 2. Aufl. 2014 [nachfolgend: BSK StPO], Art. 410 N 4 und 9; SCHMID/JOSITSCH, StPO Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 410 N 1 f.). Die Revisionsgründe sind in Art. 410 Abs. 1 und 2 StPO – unter Vorbehalt von Art. 60 Abs. 3 StPO – abschliessend genannt.
Wer durch ein rechtskräftiges Urteil beschwert ist, kann nach Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO die Revision verlangen, wenn neue, vor dem Entscheid eingetretene Tatsachen neue Beweismittel vorliegen, die geeignet sind, einen Freispruch, eine wesentlich mildere wesentlich strengere Bestrafung der verurteilten Person eine Verurteilung der freigesprochenen Person herbeizuführen. Revisionsrechtlich neu sind Tatsachen, wenn sie zum Zeitpunkt des früheren Urteils zwar bereits bestanden haben, das Gericht im Zeitpunkt der Urteilsfällung aber keine Kenntnis von ihnen hatte, sie ihm mithin nicht in irgendeiner Form zur Beurteilung vorlagen. Die neuen Tatsachen müssen zudem erheblich sein. Dies ist der Fall, wenn sie geeignet sind, die tatsächlichen Grundlagen des zu revidierenden Urteils so zu erschüttern, dass aufgrund des veränderten Sachverhalts ein wesentlich milderes Urteil möglich ist (BGE 130 IV 72 E. 1 S. 73; Urteil des Bundes-
gerichts 6B_833/2020 vom 27. Juli 2020 E. 1.1). Möglich ist eine Änderung des früheren Urteils aber nur dann, wenn sie sicher, höchstwahrscheinlich wahrscheinlich ist. Das Rechtsmittel der Revision steht nicht zur Verfügung, um rechtskräftige Entscheide jederzeit infrage zu stellen frühere prozessuale Versäumnisse zu beheben (BGE 145 IV 197 E 1.1; 137 IV 59 E. 5.1.2 ff.; 130 IV
72 E. 2.2 S. 74; Urteile des Bundesgerichts 6B_193/2022 vom 25. April 2022 E.
2.2.1; 6B_1353/2020 vom 22. Dezember 2020 E. 2.3.1).
Der Berufungsgegenstand, mit welchem sich die I. Strafkammer des Obergericht (nachfolgend: Obergericht) im Urteil vom 13. Februar 2020 zu beschäftigen hatte, beschränkte sich – nachdem der Beschuldigte die erstinstanzlichen Schuldsprüche, unter anderem wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz im Sinne von Art. 19 Abs. 2 lit. a BetmG akzeptiert hatte – insbesondere auf die Sanktionshöhe sowie die Landesverweisung (Urk. 2/6 S. 7 ff.). Angesichts somit gegebener Katalogtag nach Art. 66a StGB Abs. 1 lit. o StGB schritt das Obergericht in der Folge zur Prüfung, ob im Fall des Gesuchstellers ein Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vorlag, der ein ausnahmsweises Absehen von der Landesverweisung zu rechtfertigen vermöchte (Urk. 2/6 S. 16 ff.).
Der Gesuchsteller gab anlässlich der Befragung an der Berufungsverhandlung zu Protokoll, er hoffe, dass er in der Schweiz bleiben könne, da er in Afgha- nistan ein toter Mensch sei. Er werde sich solange wie möglich gegen eine Ausweisung nach Afghanistan wehren. Er sei bereit, in jedes andere Land zu gehen, aber nicht nach Afghanistan; er könne kein Gebet, er sei tätowiert und hätte keine Überlebenschance in seinem Heimatland (SB190484 Urk. 59 S. 8 f.). Auf die erstinstanzlich angeordnete Landesverweisung angesprochen, gab der Gesuchsteller erneut an, eine Ausweisung nach Afghanistan würde sein Todesurteil bedeuten, er würde dort umgebracht und qualvoll sterben. Auf die Frage, warum er von solchen schwerwiegenden Folgen ausgehe, gab der Gesuchsteller an, er kenne die Mentalität in Afghanistan nicht. Er könne nicht einmal ein (islamisches) Gebet, er sei Christ (SB190484 Urk. 59 S. 20). Im Rahmen des Plädoyers hob ferner auch sein damaliger Verteidiger hervor, dass für den Gesuchsteller das
Überleben in Afghanistan alles andere als sicher sei, da er als Christ, der seinen Glauben lebe, in seiner Heimat verfolgt würde (SB190484 Urk. 60 S. 6.).
Im Rahmen der Härtefallprüfung legte das Obergericht die persönlichen Verhältnisse gestützt auf die bereits vorliegenden Akten und auf die erwähnte Befragung des Gesuchstellers dar. Es kam zum Schluss, dass – auch wenn beim Gesuchsteller, abgesehen von der Sprache, keine hinreichende Integration festgestellt werden könne – zu berücksichtigen sei, dass seine nächsten Angehörigen hier in der Schweiz leben würden, er Christ sei und immerhin die letzten 23 prägenden Jahre in der Schweiz gelebt habe, weshalb dennoch von einem schweren persönlichen Härtefall auszugehen sei (Urk. 6/2 S. 21). Erst im Rahmen der Abwägung zwischen den privaten Interessen des Gesuchstellers am Verbleib in der Schweiz und den öffentlichen Interessen an einer Ausweisung kam es zum Schluss, dass der Gesuchsteller – insbesondere aufgrund seiner langen kriminellen Vorgeschichte mit teilweise gravierenden Delikten (u.a. versuchter Tötung und teils qualifizierten Drogendelikten) – eine Gefahr für die öffentliche Ordnung darstelle, weshalb die öffentlichen Interessen an seiner Wegweisung die privaten Interessen am Verbleib in der Schweiz klar überwiegen würden (Urk. 6/2 S. 22 f.). Mit Blick auf die vom Beschuldigten und der damaligen Verteidigung geltend gemachten Gründe für die Gefährdung seines Lebens bei einer Ausweisung nach Afghanistan hielt das Obergericht ausdrücklich fest, dass diese in Anwendung von Art. 66d StGB im Rahmen des Vollzugs der Landesverweisung zu prüfen seien (Urk. 6/2 S. 23).
Aus dem Dargelegten ergibt sich, dass dem Obergericht sowohl die vom Gesuchsteller ins Feld geführte vorgängige Konvertierung zum Christentum als auch seine Vorbringen, bei einer Ausweisung in sein Heimatland mit dem Tod be- droht zu werden, vor der Urteilsfällung bekannt waren, und zwar – nachdem sich diese aus der eigenen Beweiserhebung (Befragung des Beschuldigten an der Berufungsverhandlung) ergab – sowohl in tatsächlicher Hinsicht, als auch hinsichtlich der rechtlichen Tragweite, welche die Verteidigung diesen Tatsachen zumass (Plädoyer der Verteidigung). Vor diesem Hintergrund ist das Wesen des Revisionsgrunds neuer Tatsachen gemäss Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO in Erinnerung zu
rufen: Wie bereits dargelegt, können nur solche Tatsachen und Beweismittel als neu gelten, die bereits vorlagen, von welchen das Gericht im Zeitpunkt der Urteilsfällung aber keine Kenntnis hatte, sie ihm mithin nicht in irgendeiner Form zur Be- urteilung vorlagen (Urteil des Bundesgerichts 6B_193/2022 vom 25. April 2022 E. 2.2.1). Es geht unter diesem Revisionsgrund mit anderen Worten um die fehlende Wahrnehmung des Gerichts. Entsprechend können Tatsachen, die sich zwar in den Akten befanden, unter Umständen dennoch als neu betrachtet werden, wenn sie vom Gericht übersehen wurden (HEER, BSK StPO, N 37 f. zu Art. 410 StPO). Dass dies vorliegend nicht der Fall war, ergibt sich unzweifelhaft daraus, dass die entsprechenden tatsächlichen Vorbringen des Beschuldigten ausdrücklich Erwähnung in der Urteilsbegründung des angefochtenen Urteils gefunden haben. Entsprechend lässt sich als Zwischenfazit konstatieren, dass die vom Gesuchsteller erneut vorgebrachten Tatsachen (Konvertierung zum Christentum und daraus zu befürchtenden schwerwiegende Folgen bei einer Ausweisung nach Afghanistan) dem Obergericht bei der Urteilsfällung bekannt waren.
Die Verteidigung argumentiert nun vorderhand dahingehend, dass das Obergericht die vorwiegend auf die Konvertierung zum Christentum zurückgehende Flüchtlingseigenschaft des Beschuldigten, welche mittlerweile auch vom Staatssekretariat für Migration (SEM) festgestellt worden sei, jedoch schon zum Urteilszeitpunkt bestanden habe, ausgeblendet und das damit verbundenen Non- Refoulement-Gebot nicht berücksichtigt habe und die Prüfung solcher Umstände stattdessen vollumfänglich der Vollzugsbehörde überlassen habe (Urk. 1 S. 6; vgl. dazu bereits oben E. I. 3.). Diese Argumentation ist in mehrerer Hinsicht nicht stichhaltig, ist sie doch – wie sogleich zu zeigen sein wird – in der vorliegenden Konstellation einer Revision nicht zugänglich.
Es trifft – wie bereits erwähnt – zu, dass das Obergericht im angefochtenen Urteil festhielt, die vom Beschuldigten geltend gemachten Gründe für die Gefähr- dung seines Lebens im Falle einer Ausweisung nach Afghanistan seien im Rahmen des Vollzugs von der Vollzugsbehörde zu prüfen. Entsprechend sah es von eine Prüfung der vom Gesuchsteller unter dem Titel des flüchtlingsrechtlichen (Art. 33 FK) und völkerrechtlichen (Folterverbot Art. 3 EMRK) Non-Refoulement-
Gebots nun im Revisionsverfahren als verletzt gerügten allfälligen Vollzugshin- dernissen ab. Mit Blick auf die Vorbringen des Beschuldigten zu Art. 33 der Flüchtlingskonvention (FK) ist zunächst festzuhalten, dass sich nur anerkannte Flüchtlinge auf diese Bestimmungen berufen können. Das sogenannte flüchtlingsrechtliche Non-Refoulement-Gebot gemäss Art. 33 Abs. 1 FK, welches Art. 5 Abs. 1 AslyG entspricht, knüpft an die Flüchtlingseigenschaft an, setzt mithin voraus, dass dem betroffenen Ausländer bereits der Flüchtlingsstatus zuerkannt wurde (Urteil des Bundesgerichts 6B_38/2021 vom 14. Februar 2022 E. 5.5.4). Der entsprechende Entscheid obliegt gemäss Art. 6a AslyG dem Staatsekretariat für Migration (SEM) im dafür vorgesehenen Verfahren (Asylverfahren). Wie der Gesuchsteller selber vorbringt und ferner aus den Akten ersichtlich ist, wurde ihm die Flüchtlingseigenschaft erst mit Asylentscheid des SEM vom 25. April 2022 zuerkannt (Urk. 2/3 S. 7). Die Anerkennung des Gesuchstellers als Flüchtling im Sinne des Asylgesetzes und der Flüchtlingskonvention erfolgte mithin erst nach dem Revisionsurteil. Zum Urteilszeitpunkt war der Beschuldigte mithin noch kein anerkannter Flüchtling. Entsprechend handelte es sich bei dieser Tatsache bzw. bei diesem Umstand nicht um eine neue Tatsache im Sinne von Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO, deren Nichtbeachtung im Urteil des Obergerichts vom 13. Februar 2020 von vornherein keinen Revisionsgrund zu begründen vermag.
Es gibt aber auch ein aus menschenrechtlichen Normen hergeleitetes Rückschiebeverbot, welches von besonderen Merkmalen der betroffenen Person (Flüchtlingseigenschaft, i.S. besonderer Nachteile aufgrund von Rasse, Religion, Nationalität, Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe wegen ihrer politischen Anschauungen, vgl. Art. 3 Abs. 1 AslyG) und damit von der Anerken- nung als Flüchtling unabhängig ist und absolut gilt. Die Rede ist vom menschenrechtlichen Non-Refoulement-Verbot gemäss Art. 3 EMRK (Verbots der Ausweisung in einen Staat, wo Folter andere grausame und unmenschliche Behandlung droht; deckungsgleich mit Art. 25 Abs. 3 BV). Der Gesuchsteller beruft sich entsprechend auch darauf. In diesem Zusammenhang zutreffend ist der Hinweis der Verteidigung, dass nach jüngst mehrfach bestätigter und entsprechend noch junger, aber mittlerweile gefestigter bundesgerichtlicher Praxis solche Vollzugshindernisse vom Sachrichter bereits bei der Anordnung der strafrechtlichen
Landesverweisung im Rahmen der Verhältnismässigkeitsprüfung zu berücksichtigen sind und – sofern sie stabil sind und die rechtliche Durführbarkeit der Lan- desverweisung definitiv bestimmbar ist, ihnen mithin dauerhafter Charakter zukommt – von der Anordnung einer Landesverweisung abzusehen ist (BGE 147 IV
453 E. 1.4.5; Urteile des Bundesgerichts 6B_1368/2020 vom 30. Mai 2022
E. 4.3.1 mit zahlreichen Verweisen auf die bisherige Rechtsprechung; 6B_45/2020 vom 14. März 2022 E. 3.3.3). In solchen Fällen – so das Bundesgericht – dürfe der Sachrichter die Prüfung solcher Umstände, auch wenn das Gesetz in Art. 66d StGB eine eigene Bestimmung für die Beachtung solcher Hinder- nisse unter dem Titel Aufschub des Vollzugs der obligatorischen Landesverweisung vorsieht, nicht einfach den Vollzugsbehörden überlassen (BGE 147 IV 453 E. 1.4.5).
Der Umstand dass das Obergericht diese Prüfung nicht vorgenommen hat, vermag allerdings ebenfalls keine Überprüfung des rechtskräftigen Urteils vom
13. Februar 2020 unter dem angerufenen Revisionsgrund der neue Tatsachen gemäss Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO zu begründen. Zum einen handelt es sich bei der Frage, welche Aspekte und völkerrechtlichen Gebote und Bestimmungen in die Interessenabwägung bei der Prüfung der strafrechtlichen Landesverweisung durch den Sachrichter miteinzubeziehen sind bzw. in welchem Zeitpunkt – mithin ob bereits bei der Anordnung durch den Sachrichter erst beim Vollzug der Landesverweisung durch die Vollzugsbehörde – solche zu berücksichtigen sind, um eine Rechtsfrage. Soweit das Obergericht also die – wie dargelegt dem Gericht auf tatsächlicher Ebene bereits bekannten und im Urteil ausdrücklich erwähnten – vom Gesuchsteller bereits damals vorgebrachten Gründe (Verfolgung bzw. Tod und unmenschliche Behandlung in seinem Heimatland infolge seiner Konvertierung zum Christentum) zwar zur Kenntnis nahm, gestützt auf Art. 66d StGB jedoch als für in diesem Verfahrensstadium noch unbeachtlich erachtete, entsprach dies einer rechtlichen Würdigung, die eine Auslegung der gesetzlichen Bestimmungen über die Landesverweisung (insbesondere Art. 66a und Art. 66d StPO) beinhaltete. Angesichts dessen vermöchte selbst der Umstand, dass dies in Missachtung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung erfolgt sein sollte, dem Gesuchsteller heute nicht mehr zu helfen, können doch weder die Rechtsauslegung von Gesetzesbestimmungen noch die rechtliche Würdigung bereits bekannter Tatsachen Gegenstand einer Revision bilden, und zwar selbst dann nicht, wenn sie sich als unzutreffend erweisen sollten. Selbst Rechtsirrtümer in rechtskräftig gewordenen Entscheiden sind irreparabel (HEER, BSK StPO, N 51 zu Art. 410 StPO).
Auch kann ein Revisionsgesuch nicht mit der Behauptung von Tatsachen, von denen das Gericht Kenntnis hatte, sie aber deshalb nicht berücksichtigte, weil es sie für rechtlich unerheblich hielt, begründet werden (vgl. so bereits das Bun- desgericht in BGE 80 IV 40 S. 42 zu Art. 397 StGB; H EER, BSK StPO, N 37 zu Art. 410 StPO; ferner auch DONATSCH/SCHMID, Kommentar zur Strafprozessord- nung des Kantons Zürich, 5. Lieferung 2007, N 13 zu § 449 StPO/ZH). Mit Blick auf die Neuheit der Tatsache ist irrelevant, wenn nach Ansicht des Revisionsgesuchstellers aus bekannten Tatsachen nicht die gewünschten Folgerungen gezogen wurden. Eine falsche Würdigung des Sachverhalts hinsichtlich solcher Tatsachen Beweise können im Revisionsverfahren nicht beanstandet werden. Gleiches gilt, wenn das Gericht eine solche Tatsache zwar in seine Überlegungen einbezog, deren Tragweite aber falsch gewürdigt hat. Solche Mängel können ausschliesslich mit den ordentlichen Rechtsmitteln bzw. mit Beschwerde an das Bundesgericht gerügt werden (vgl. dazu ausführlich HEER, BSK StPO, N 34 ff. zu Art. 410 StPO, insbesondere N 37 f. mit zahlreichen Verweisen auf Lehre und Rechtsprechung; ferner BGE 122 IV 66).
Wenn sich der Gesuchsteller mithin auf den Standpunkt stellt, das Obergericht habe die Tatsachen seiner Konvertierung zum Christentum und die daraus zu befürchtenden schwerwiegenden Folgen in seinem Heimatland in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht nicht zutreffend gewürdigt, deren Tragweite verkannt und letztlich daraus nicht die – seiner Ansicht nach – richtigen Schlüsse gezogen bzw. durch die falsche Anwendung von Art. 66d StPO Bundesrecht verletzt, steht ihm nach dem Gesagten das Revisionsverfahren nicht offen. Dafür hätte ihm die Beschwerde ans Bundesgericht zur Verfügung gestanden.
Entsprechend ist das Revisionsgesuch abzuweisen.
Lediglich der Vollständigkeit halber ist anzufügen, dass wenngleich damit die vom Obergericht im Urteil vom 13. Februar 2020 ausgesprochene rechtskräftige Landesverweisung Bestand hat, dies nicht automatisch dazu führt, dass der Beschuldigte nun gleich – allenfalls gar in Verletzung zwingenden Völkerrechts – ohne Prüfung seiner Vorbringen nach Afghanistan zurückgeführt würde. Eine solche Prüfung ist gestützt auf den bereits mehrfach erwähnten Art. 66d StGB nach wie vor möglich und dem Gesuchsteller stünde gegen eine allfällige auf Vollzug der Rückführung lautende Vollstreckungsverfügung nach Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs der Rechtsmittelweg bis vor Bundesgericht offen (BGE 147 IV 453; vgl. so bereits in Urk. 14/1 S. 7, Urteil des Bundesverwaltungsgerichts D-2156/2022 vom 10. Juni 2022 betreffend den Gesuchsteller, E. 4.2). Nachdem die vom Gesuchsteller bereits im Strafverfahren geltend gemachten Vollzugshin- dernisse gerade keiner abschliessenden Prüfung unterzogen wurden, wird er diese im Vollstreckungsverfahren erneut vorbringen können, wobei er überdies zusätzlich auch Tatsachen geltend machen kann, die nach dem Entscheid vom 13. Februar 2020 eingetreten sind, wie etwa die auch in seiner Revisionsschrift erwähnten (aber unter Art. 410 Abs. 1 lit. a StPO ebenfalls nicht zulässige) Macht- übernahme der Taliban im August 2021. Wie sich überdies aus den vom Gesuchsteller selber eingereichten Akten ergibt, hat das Migrationsamt des Kantons Zürich als Vollzugsbehörde der Landesverweisung am 9. Juni 2022 ohnehin bereits festgestellt, dass zurzeit nicht ausgeschlossen werden könne, dass dem Gesuchsteller bei einer Rückführung nach Afghanistan eine unmenschliche bzw. erniedrigende Strafe Behandlung im Sinne von Art. 3 EMRK drohe, weshalb gestützt auf Art. 66d Abs. 1 lit. b StGB vom Wegweisungsvollzug abgesehen werde, wobei eine Überprüfung dieses Entscheids für den Fall, dass sich die Sach- und Rechtslage ändern sollte, vorbehalten werde (Urk. 14/5 S. 2).
Schliesslich ist festzuhalten, dass am vorliegenden Ergebnis auch nichts ändert, dass dem Gesuchsteller im von ihm im September 2021 angestrebten er- neuten Asylverfahren vom SEM unter Verweis auf die rechtskräftige Landesverweisung die vorläufige Aufnahme verweigert wurde (Urk. 2/3 S. 6), was auch vor Bundesverwaltungsgericht standhielt (Urk. 14/1 S. 3 ff.). Die damit entstandene Situation, in welcher der Gesuchsteller zwar aufgrund des Aufschubes der Lan-
desverweisung nicht in sein Heimatland zurückgeführt werden kann, hier aber trotz Anerkennung als Flüchtling über keinen gültigen Aufenthaltstitel verfügt, ist Ausfluss der Gesetzeslage (Art. 83 Abs. 9 AIG i.V.m. Art. 66a und Art. 66d StGB) und entsprechend hinzunehmen. Sie betrifft im Übrigen nicht nur den Gesuchsteller, sondern trifft auf jeden zu, dessen Landesverweisung in Anwendung von Art. 66d StGB aufgeschoben wird. Dieser vom Gesetzgeber vorgesehene Zustand rechtfertigt jedenfalls keine Aufweichung des Prinzips, dass rechtskräftige Urteile grundsätzlich Bestand haben und die Revision als ausserordentliches Rechtsmittel nur in engem Rahmen unter strengen – hier wie dargelegt nicht gegebenen – Voraussetzungen zulässig ist.
Gemäss Art. 428 Abs. 1 StPO tragen die Parteien die Kosten des Rechtsmittelverfahrens nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens. Die Kosten für das vorliegende Verfahren sind somit ausgangsgemäss dem Gesuchsteller aufzuerlegen.
Die amtliche Verteidigung ist durch die Gerichtskasse zu entschädigen (Art. 135 StPO i.V.m. Art. 426 StPO). Mit Kostennote vom 24. Oktober 2022 wur- de für das Revisionsverfahren einen Zeitaufwand von 16.23 Stunden geltend gemacht (Urk. 20). Dieser Aufwand erscheint zwar als eher hoch, aber noch ange-
messen. Rechtsanwalt MLaw X.
ist entsprechend mit Fr. 5'277.40 (inkl.
MwSt. und Auslagen) aus der Gerichtskasse zu entschädigen. Die Rückzahlungspflicht des Gesuchstellers gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt vorbehalten.
Es wird erkannt:
Das Revisionsgesuch vom 10. Mai 2022 wird abgewiesen.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf: Fr. 800.– ; die weiteren Kosten betragen:
Fr. 5'277.40 amtliche Verteidigung.
Die Kosten des Revisionsverfahrens, mit Ausnahme derjenigen der amtlichen Verteidigung, werden dem Gesuchsteller auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genommen. Die Rückzahlungspflicht des Gesuchstellers bleibt gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO vorbehalten.
Schriftliche Mitteilung an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Gesuchstellers
die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland
das Migrationsamt des Kantons Zürich
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die I. Strafkammer (in SB190484; unter Rücksendung der Akten)
das Migrationsamt des Kantons Zürich
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer Zürich, 17. November 2022
Der Präsident:
Oberrichter lic. iur. Stiefel
Der Gerichtsschreiber:
MLaw Andres
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