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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SF230010
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SF230010 vom 18.08.2023 (ZH)
Datum:18.08.2023
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Verlängerung der Sicherheitshaft
Schlagwörter : Antrag; Beschwerde; Antragsgegner; Massnahme; Sicherheitshaft; Flucht; Bundesgericht; Stationäre; Beschwerdeinstanz; Verteidigung; Bundesgerichts; Wiederholungs; Verfahren; Kantons; Kammer; Verlängerung; Staatsanwaltschaft; Entscheid; Urteil; Person; Stationären; Wiederholungsgefahr; Fluchtgefahr; Obergericht; Angeordnet; Winterthur; Anordnung; Massnahmen; Gutachten; Haftgr
Rechtsnorm: Art. 364a StPO ; Art. 364b StPO ; Art. 59 StGB ; Art. 61 StGB ;
Referenz BGE:-
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SF230010-O/U/cwo

Präsidialverfügung vom 18. August 2023

in Sachen

A. ,

Antragsgegner

verteidigt durch Rechtsanwalt MLaw X1. ,

amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin lic. iur. X2.

gegen

Jugendanwaltschaft Winterthur,

Antragstellerin

betreffend Verlängerung der Sicherheitshaft

Erwägungen:

    1. Die Beschwerdeinstanz beantragte mit Verfügung vom 31. Juli 2023 die Verlängerung der Sicherheitshaft bei der Verfahrensleitung der Berufungsinstanz (Urk. 42). Die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung liessen sich innert Frist vernehmen, wobei ihnen die Eingaben der Gegenseite jeweils zur freigestellten Vernehmlassung zugestellt wurden (Urk. 46, 47 und 50).

    2. Die Verfahrensleitung des Berufungsgerichts ist für den Entscheid über die Verlängerung der Sicherheitshaft zuständig (Art. 364b Abs. 2 und 4 StPO; vgl. Urteil des Bundesgerichts 1B_290/2021 vom 15. Juli 2021 E. 2.) Die Sicherheits- haft während des selbstständigen gerichtlichen Nachverfahrens nach Art. 363 ff. StPO kann gemäss Art. 364a Abs. 1 StPO Sicherheitshaft angeordnet bzw. verlängert werden, wenn ernsthaft zu erwarten ist, dass gegen die Person der Vollzug einer freiheitsentziehenden Sanktion angeordnet wird (lit. a) und die Per- son sich deren Vollzug entzieht (lit. b Ziff. 1) oder erneut ein Verbrechen oder ein schweres Vergehen begeht (lit. b Ziff. 2).

2. Das Bezirksgericht Winterthur ordnete mit Beschluss vom 19. Oktober 2022 anstelle der mit Urteil vom 18. Dezember 2019 angeordneten Massnahme für junge Erwachsene gemäss Art. 61 StGB neu eine stationäre Massnahme gemäss Art. 59 StGB an (Urk. 3). Die Beschwerdeinstanz wies eine dagegen gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom 6. Februar 2023 ab, soweit sie darauf eintrat (Urk. 22). Das Bundesgericht hob diesen Entscheid mit Urteil vom 14. Juli 2023 auf und wies die Sache an die kantonale Beschwerdeinstanz zurück (Urk. 39). Den Erwägungen des Bundesgerichts ist dabei – entgegen der Argumentation der Verteidigung (Urk. 47 S. 2; Urk. 51 S. 3) – nicht zu entnehmen, dass die Anord- nung einer stationären Massnahmen nunmehr ausgeschlossen bzw. unwahr- scheinlich sei. Vielmehr hielt das Bundesgericht im Urteil vom 14. Juli 2023 fest, das bei den Akten liegende Gutachten vom 16. Dezember 2021 die Eignung einer stationären Massnahmen zur Verbesserung der Legalprognose des Antragsgeg- ners nicht rechtsgenüglich thematisiere (Urk. 39 S. 12 E. 4.3.3). Die kantonale Beschwerdeinstanz werde daher ein ergänzendes Gutachten zu dieser Frage einholen und in der Folge neu darüber entscheiden müssen, ob eine stationäre

Massnahme zur Verbesserung der Legalprognose geeignet, erforderlich und ver- hältnismässig i.e.S sei (Urk. 39 S. 12 f. E.4.3.4.). Vor diesem Hintergrund ist die Anordnung einer freiheitsentziehenden Massnahme nach wie vor ernsthaft zu er- warten, womit die Voraussetzung gemäss Art. 364a Abs. 1 lit. a StPO zu bejahen ist.

    1. Was den Haftgrund der Widerholungsgefahr betrifft, ist auf die Ausführungen des Gutachters zu verweisen, wonach beim Antragsgegner die Gefahr für die erneute Begehung von Verbrechen oder Vergehen bestehe. So würden potentiell einschlägige Delikte wie Raub, Freiheitsberaubung, einfache Körperverletzung, Nötigung, schwerwiegende Gewaltdelikte etc. im Bereich des Möglichen liegen (act. 5/91 S. 30). Der Antragsgegner ist bereits wegen diverser schwerwiegender Delikte wie Erpressung, mehrfacher Raub, räuberische Erpressung, einfache Körperverletzung mit gefährlichem Tatmittel etc. (vgl. Urk. 43) vorbestraft. Vor diesem Hintergrund ist weiterhin von Wiederholungsgefahr auszugehen. Der Umstand, dass der Antragsgegner auf seiner Flucht nach Deutschland bis zu sei- ner Verhaftung keine weiteren Delikte beging, lässt die Wiederholungsgefahr – entgegen der Argumentation der Verteidigung (Urk. 51 S. 4) – selbstredend nicht entfallen, zumal er nach seiner Flucht am 1. November 2020 bloss 17 Tage spä- ter verhaftet wurde (vgl. Urk. 39 A.b.b. und A.b.d.). Auch dass er im Gefängnis keine Gewaltbereitschaft mehr gezeigt habe (Urk. 51 S. 4), ändert an der Sachla- ge nichts. Der Haftgrund der Wiederholungsgefahr gemäss Art. 364a Abs. 2 lit. b Ziff. 2 ist demnach erfüllt.

    2. Der Antragsgegner entwich – wie erwähnt – aus dem Massnahmezentrum B. und musste daraufhin international zur Verhaftung ausgeschrieben wer- den. Er hat damit den Tatbeweis erbracht, dass er auch eine Flucht ins Ausland als Möglichkeit sieht, sich der Massnahme zu entziehen. Dass der Antragsgegner von derartigen Fluchtgedanken definitiv Abstand genommen hätte, ist nicht er- sichtlich. Demnach ist auch der Haftgrund der Fluchtgefahr gemäss Art. 364a Abs. 2 lit. b Ziff. 1 erfüllt.

    1. Denkbare Ersatzmassnahmen wie eine Schriftensperre oder ein Electronic Monitoring sind vorliegend nicht geeignet, der Fluchtgefahr ausreichend zu begegnen. An den Schweizer Grenzen finden bekanntlich nur noch äusserst spora- disch Personenkontrollen statt und wenn, dann werden die den Grenzbeamten vorgezeigte Papiere nur in ganz seltenen Fällen mit Fahndungslisten abgeglichen. Ganz abgesehen davon ist in der kleinräumigen Schweiz eine fluchtwillige Person längstens über die Grenze, bevor sie auf den Fahndungslisten des Grenzschut- zes infolge eines Alarms der elektronischen Überwachung auftaucht. Weiter ver- mag auch ein durch Electronic-Monitoring überwachter Hausarrest die bestehen- de Fluchtgefahr nicht ausreichend zu bannen, zumal damit ein Untertauchen nicht verhindert, sondern lediglich nachträglich festgestellt werden kann.

    2. Ob in Bezug auf die Wiederholungsgefahr anstelle einer stationären Unter- bringung auch mildere Ersatzmassnahmen geeignet sind, um sie wirksam zu bannen, wird insbesondere im neu einzuholenden Gutachten abzuklären sein. Gestützt auf die derzeitige Aktenlage muss indessen auch diesbezüglich davon ausgegangen werden, dass eben keine geeigneten Massnahmen ersichtlich sind, um der vom Antragsgegner ausgehenden Gefährlichkeit angemessen zu begeg- nen.

    3. Mildere Ersatzmassnahmen, mit denen der bestehenden Wiederholungs- und Fluchtgefahr wirksam begegnet werden könnte, sind daher nicht ersichtlich.

  1. Da die Beschwerdeinstanz gemäss den bundesgerichtlichen Vorgaben ein Ergänzungsgutachten einzuholen haben wird und ein solches erfahrungsgemäss einige Zeit in Anspruch nimmt, rechtfertigt es sich, die Sicherheitshaft um 6 Mona- te zu verlängern. Angesichts des Umstandes, dass dem Antragsgegner die An- ordnung einer – zeitlich grundsätzlich nicht befristeten – stationären Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB droht, erweist sich die Verlängerung der Sicherheits- haft um 6 Monate zudem auch in zeitlicher Hinsicht als verhältnismässig.

  2. Hinzuweise ist schliesslich auf die Ausführungen der Staatsanwaltschaft See/Oberland unter dem Titel Klärung der Parteirolle womit diese eine Korrektur des Rubrums beantragt, weil sie sich in der vorliegenden Sache als unzuständig erachtet (Urk. 51). Der Entscheid darüber, wer im Beschwerdeverfahren als Partei respektive als Verfahrensbeteiligte im Rubrum geführt wird, steht der Verfahrens-

leitung der III. Strafkammer zu. Diese wird daher unter Hinweis auf die betreffen- den Ausführungen der Staatsanwaltschaft See/Oberland höflich eingeladen, den Antrag auf Korrektur des Rubrums zu prüfen.

Es wird verfügt:

(Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz)

  1. Die Sicherheitshaft wird um 6 Monate bis zum 18. Februar 2024 verlängert.

  2. Schriftliche Mitteilung an

  3. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Straf- sachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der gemäss Art. 35 und 35a BGerR zuständigen strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebe- nen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichts- gesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Zürich, 18. August 2023

Der Präsident:

lic. iur. Ch. Prinz

Der Gerichtsschreiber:

MLaw L. Zanetti

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