Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SB230094 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Strafkammer |
Datum: | 14.12.2023 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Versuchte Nötigung etc. |
Zusammenfassung : | Die Beschuldigte wurde vom Obergericht des Kantons Zürich wegen versuchter Nötigung verurteilt. Sie hatte dem Privatkläger gedroht, ihn zu töten und gewaltige Probleme zu verursachen, um ihn davon abzuhalten, an bestimmten Veranstaltungen teilzunehmen und der Familie seiner Ex-Partnerin nichts anzutun. Das Gericht entschied, dass die Beschuldigte den objektiven Tatbestand der Nötigung erfüllt hat, indem sie ernsthafte Nachteile androhte, die geeignet waren, den Willen des Opfers zu beeinflussen. Auch der subjektive Tatbestand wurde als erfüllt angesehen, da die Beschuldigte wissentlich und willentlich gehandelt hatte. Das Gericht sprach keine Strafe aus, ordnete jedoch eine ambulante Massnahme an. Die Gerichtskosten betrugen insgesamt CHF 26'779.30. |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Beschuldigten; Zeugin; Richt; Massnahme; Behandlung; Privatkläger; Ausführungen; Verteidigung; Vorinstanz; Gutachten; Berufung; Sinne; Schizophrenie; Kinder; Aussage; Pfefferspray; Diagnose; Aussagen; Urteil; Recht; Dossier; Beschimpfung |
Rechtsnorm: | Art. 12 StGB ; Art. 126 StGB ; Art. 13 StGB ; Art. 15 StGB ; Art. 177 StGB ; Art. 181 StGB ; Art. 19 StGB ; Art. 22 StGB ; Art. 363 StPO ; Art. 374 StPO ; Art. 375 StPO ; Art. 391 StPO ; Art. 419 StPO ; Art. 426 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 431 StPO ; Art. 51 StGB ; Art. 59 StGB ; Art. 63 StGB ; Art. 82 StPO ; Art. 9 BV ; |
Referenz BGE: | 129 I 49; 136 I 229; 141 IV 236; 141 IV 437; 145 IV 359; 147 IV 193; 79 IV 20; |
Kommentar: | - |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SB230094-O/U/cwo
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, Ersatzoberrichterin lic. iur.
S. Nabholz und Ersatzoberrichter lic. iur. R. Amsler sowie die Gerichtsschreiberin MLaw A. Blaser
Urteil vom 14. Dezember 2023
in Sachen
Beschuldigte und Berufungsklägerin
amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X1. ,
gegen
vertreten durch Staatsanwalt lic. iur. T. Moder,
Anklägerin und Berufungsbeklagte betreffend versuchte Nötigung etc.
Der Antrag auf Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person der Staatsanwaltschaft Zürich - Sihl vom 1. Juli 2022 (Urk. 31) sowie dessen Ergänzung vom 19. Juli 2022 (Urk. 42) sind diesem Urteil beigeheftet.
(Urk. 94 S. 74 ff.)
Es wird erkannt:
Es wird festgestellt, dass die Beschuldigte A. die folgenden Tatbestände im Zustand der nicht selbst verschuldeten Schuldunfähigkeit erfüllt hat:
versuchte Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB in Verbindung mit Art. 22 StGB
tätlichkeiten im Sinne von Art. 126 Abs. 1 StGB
Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB
Aufgrund der Schuldunfähigkeit der Beschuldigten im Zeitpunkt der Tathandlungen wird von einer Strafe abgesehen.
Es wird eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 3 StGB (ambulante Behandlung mit vorübergehender stationürer Einleitung) angeordnet.
Es wird festgestellt, dass sich die Beschuldigte bis und mit heute 294 Tage in Untersuchungs- und Sicherheitshaft befand. über die Anrechnung der Haft wird nach Abschluss der ambulanten therapeutischen Massnahme entschieden.
Die Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:
CHF 1'200.00 Gerichtsgebühr für das Haftbeschwerdeverfahren vor dem OGZ, Geschäfts-Nr. UB220031-O
CHF 1'200.00 Gerichtsgebühr für das Haftbeschwerdeverfahren vor dem OGZ, Geschäfts-Nr. UB220102-O
CHF 1'000.00 Gerichtsgebühr für das Haftbeschwerdeverfahren vor dem OGZ, Geschäfts-Nr. UB220130-O
CHF 26'779.30 Entschädigung amtliche Verteidigung RAin X2.
Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.
Die Kosten der Untersuchung und der gerichtlichen Verfahren, einschliesslich dieje- nigen der amtlichen Verteidigung, werden definitiv auf die Gerichtskasse genommen.
Die amtliche Verteidigerin lic. iur. X2. wird mit CHF 26'779.30 (inkl. MwSt.) aus der Gerichtskasse entschädigt. Von einer Nachforderung wird abgesehen.
(Mitteilungen)
10.-11. (Rechtsmittel)
Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 110 S. 1)
1. Es sei festzustellen, dass die Dispositivziffern 5. sowie 7.-10. des Urteils des Bezirksgerichts Zürich vom 29. September 2022 (Geschäfts-Nr. DG220125-L) in Rechtskraft erwachsen sind.
Die Beschuldigte sei von allen Vorwürfen freizusprechen.
Eventualiter seien die Dispositivziffern 1 und 2 des angefochtenen Urteils zu bestätigen und von der Anordnung einer Massnahme abzusehen.
Subeventualiter seien die Dispositivziffern 1 und 2 des angefochtenen Urteils zu bestätigen und eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB (ambulante Behandlung ohne stationüre Einleitung) anzuordnen.
Der Beschuldigten sei für die erstandene Haft von 294 Tagen eine angemessene Genugtuung zu entrichten.
Die Kosten des Berufungsverfahrens, inklusive derjenigen der amtlichen Vertei- digung, seien auf die Staatskasse zu nehmen.
Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 102, schriftlich)
Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.
Erwägungen:
Verfahrensgang
Am 1. Juli 2022 (Datum Eingang: 5. Juli 2022) stellte die Staatsanwaltschaft Zürich - Sihl (nachfolgend: Staatsanwaltschaft) bei der Vorinstanz Antrag auf Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person (Urk. 31). Am 19. Juli 2022 (Datum Eingang: 20. Juli 2022) reichte die Staatsanwaltschaft eine Ergänzung zum Antrag auf Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person vom 1. Juli 2022 bei der Vorinstanz ein (Urk. 42). Die Hauptverhandlung vor Vorinstanz fand am 29. September 2022 statt (Prot. I S. 8 ff.). Gleichentags erfolgte die Urteilsberatung und das Urteil wurde der Beschuldigten, ihrer amtlichen Verteidigung sowie der Staatsanwaltschaft Mändlich eröffnet und begründet sowie das schriftliche Urteilsdispositiv ausgehündigt, wodurch die Frist zur Anmeldung der Berufung für diese zu laufen begann (Prot. I S. 38 ff.). Das Urteilsdispositiv konnte dem Privatkläger nicht zugestellt werden und galt zufolge Zustellfiktion als am
10. Oktober 2022 zugestellt (Urk. 87), wodurch die Frist zur Anmeldung der Berufung für diesen zu laufen begann.
Gegen das vorstehend wiedergegebene Urteil meldete die amtliche Vertei- digung namens der Beschuldigten am 4. Oktober 2022 innert Frist Berufung an (Urk. 89). Nachdem den Parteien am 6. Februar 2023 (Staatsanwaltschaft und Beschuldigte) bzw. 14. Februar 2023 (Privatkläger) das begründete Urteil zugestellt worden war (Urk. 93/1-3), ging bei der hiesigen Berufungsinstanz mit Eingabe vom
24. Februar 2023 (Datum Eingang: 27. Februar 2023) fristgerecht die Berufungserklürung der amtlichen Verteidigung ein, wobei keine BeweisAnträge gestellt wurden (Urk. 96). Gleichentags beantragte die amtliche Verteidigung, Rechtsanwältin lic. iur. X2. , aufgrund eines seit einiger Zeit nachhaltig gesTürten und eine vernünftige und effektive Verteidigung verhindernden Vertrauensverhältnisses zwischen ihr und der Beschuldigten als solche entlassen zu werden und an ihrer Stelle Rechtsanwalt lic. iur. X1. einzusetzen (Urk. 97). Mit präsidialVerfügung vom 28. Februar 2023 wurde Rechtsanwältin lic. iur. X2. als amtliche Verteidigerin der Beschuldigten entlassen und ihr Frist angesetzt, um ihre Honorarrech- nung für das Berufungsverfahren einzureichen. Neu wurde als amtlicher Verteidiger für die Beschuldigte Rechtsanwalt lic. iur. X1. bestellt. Dem Privatkläger sowie der Staatsanwaltschaft wurde sodann Frist angesetzt, um Anschlussberufung zu erklären begründet ein Nichteintreten auf die Berufung zu beantragen (Urk. 98). Die ebengenannte präsidialVerfügung wurde vom Privatkläger nicht abgeholt (Urk. 99), gilt jedoch aufgrund von Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO als zugestellt. Rechtsanwältin lic. iur. X2. reichte fristgerecht ihre Honorarnote ins Recht und wurde dieser entsprechend aus der Gerichtskasse entschädigt (Urk. 98 i.V.m. Urk. 100-101 A). Die Staatsanwaltschaft beantragte mit Eingabe vom 7. März 2023 die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils, verzichtete auf Anschlussberufung und ersuchte um Dispensation ihres Vertreters von der Berufungsverhandlung (Urk. 102). Der Privatkläger liess sich nicht vernehmen.
Die Parteien wurden am 25. August 2023 zur Berufungsverhandlung auf den
14. Dezember 2023, 13.30 Uhr, vorgeladen, wobei der Staatsanwaltschaft das Erscheinen freigestellt und dem Privatkläger die Berufungsverhandlung lediglich angezeigt wurde (Urk. 105).
Zur heutigen Berufungsverhandlung erschien die Beschuldigte A. in Begleitung ihrer amtlichen Verteidigung, Rechtsanwalt lic. iur. X1. (Prot. II
S. 4). Es waren keine Vorfragen und keine BeweisAnträge zu entscheiden. In der Sache selbst stellten die Parteien die eingangs wiedergegebenen Anträge (Prot. II
S. 4-6; Urk. 102; Urk. 110 S. 1). Das Verfahren erweist sich heute als spruchreif.
Umfang der Berufung
Die BerufungsErklärung der Beschuldigten richtet sich gegen den vorinstanzlichen Schuldspruch wegen versuchter Nötigung, tätlichkeiten und Beschimpfung (Dispositivziffer 1), den Strafpunkt, insofern bei der Beschuldigten aufgrund von Schuldunfähigkeit im Zeitpunkt der Tatbegehung von einer Strafe abgesehen wird (Dispositivziffer 2), die Anordnung einer ambulanten Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 3 StGB (Dispositivziffer 3) und die Anrechnung der Untersuchungs- und Sicherheitshaft, insofern über die Anrechnung der Haft erst
nach Abschluss der ambulanten therapeutischen Massnahme entschieden wird (Dispositivziffer 4). Die amtliche Verteidigung beantragte einen vollumfänglichen Freispruch, unter Zusprechung einer Haftentschädigung sowie Genugtuung (Urk. 96). Bei diesen Anträgen blieb es auch im Rahmen der Berufungsbegründung, wobei eventualiter beantragt wurde, die Dispositivziffern 1 und 2 des angefochtenen Urteils zu bestätigen und von der Anordnung einer Massnahme abzusehen und subeventualiter beantragt wurde, die Dispositivziffern 1 und 2 des angefochtenen Urteils seien zu bestätigen und eine ambulante Massnahme im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB anzuordnen (Urk. 110 S. 1).
Nicht angefochten und in Rechtskraft erwachsen sind somit die Dispositivziffern 5, 7 und 8 (Kostenfestsetzung, Kostenauferlegung und Entschädigung der amtlichen Verteidigung), was vorab festzustellen ist. An dieser Stelle gilt es anzumerken, dass es im vorinstanzlichen Urteil keine Dispositivziffer 6 gibt (vgl. Urk. 94 S. 74 f.).
Formelles
Es ist darauf hinzuweisen, dass sich die urteilende Instanz nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausDrücklich widerlegen muss (vgl. BGE 136 I 229 E. 5.2; BGer. 6B_1130/2014 vom 8. Juni 2015, E. 4). Die Berufungsinstanz kann sich somit auf die für ihren Entscheid wesentlichen Punkte beschränken.
Soweit nachfolgend auf Erwägungen der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid verwiesen wird, erfolgt dies in Anwendung von Art. 82 Abs. 4 StPO (vgl. dazu etwa BGer. 6B_570/2019 vom 23. September 2019, E. 4.2, m.w.H., sowie NYDEGGER, Der Verweis auf die EntscheidBegründung der Vorinstanz gemäss Art. 82 Abs. 4 StPO, recht 2021, S. 15 ff.), auch ohne dass dies jeweils explizit Erwähnung findet.
Nachdem einzig die Beschuldigte Berufung führt, steht die überPrüfung des vorinstanzlichen Urteils sodann unter dem Vorbehalt des Verschlechterungsverbots (Art. 391 Abs. 2 StPO).
Ungenauigkeit der Dossierbezeichnung
Bezüglich der Ungenauigkeit der Dossierbezeichnung kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 4 E. I. 1.). Beim im Antrag auf Anord- nung einer Massnahme der Staatsanwaltschaft vom 1. Juli 2022 unter Dossier 2 aufgefährten Sachverhalt, handelt es sich um den Sachverhalt von Dossier 3, woraus der Beschuldigten kein Nachteil erwächst. Insbesondere weiss und wusste sie, wogegen sie sich zu verteidigen hat. Es handelt sich um einen offensichtlichen Flüchtigkeitsfehler der Staatsanwaltschaft, welcher nicht weiter von Belang ist. Nachfolgend wird daher wie schon im vorinstanzlichen Urteil die richtige Bezeichnung, Dossier 3, verwendet.
Anklageprinzip
Hinsichtlich der theoretischen Ausführungen zum Anklageprinzip kann voll- umfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 5 f. E. I. 2.2.1.-E. I. 2.2.2.).
Die amtliche Verteidigung rägte anlässlich der Berufungsverhandlung, die Vorinstanz habe in unzulässiger Weise den angeklagten Sachverhalt korrigiert und diesen als erstellt erachtet. So werde der Beschuldigten in der Anklage nicht vorgeworfen, sie habe dem Geschädigten ernsthafte Konsequenzen angedroht, wenn er sich der Zeugin B. seinen Kindern nähere. Ihr würde in der Anklageschrift lediglich vorgeworfen, sie habe ihm angedroht ihn zu killen, falls er seiner Ex-Partnerin bzw. seinen Kindern nochmals etwas antun würde. Ihr werde in der Anklage nur vorgeworfen, sie habe den Privatkläger in der zweiten Nachricht gefragt, ob er die erste Nachricht erhalten habe und habe ihm mitgeteilt, dass sie die erste Nachricht ernst meine und er mit gewaltigen Problemen rechnen müsse. Gemäss Anklageschrift habe die Beschuldigte nie damit gedroht, dass der Privatkläger ernsthafte Konsequenzen befürchten müsse, etwa für den Fall, dass er sich seiner Ex-Partnerin den Kindern annähert und dass der Privatkläger gewaltige Probleme mit ihr bekomme bzw. ohnehin schon am Hals habe, weshalb sie ihm rate, jetzt mal etwas cleverer zu werden und die Probleme nicht noch zu vergrößern. Gemäss Anklageschrift sei dem Privatkläger lediglich mitgeteilt worden, dass
sie die erste Nachricht ernst meine und er mit gewaltigen Problemen rechnen müsse (Urk. 110 S. 6). Die Anklage schweige sich sodann auch dazu aus, auf welche Nachricht sich die Beschuldigte bezogen habe (Urk. 110 S. 8). Die verkürzte Darstellung der tatsächlichen Nachricht der Beschuldigten an den Privatkläger in der Anklageschrift lasse dieser sodann eine tatsachenwidrige allgemeine Bedeutung zukommen (Urk. 110 S. 7). Eine Verletzung des Anklageprinzips wurde zwar nicht geltend gemacht. Die Rüge ist dennoch unter diesem Titel abzuhandeln.
Aus dem Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung einer Massnahme für eine schuldunfähige Person gehen die ungefähre Tatzeit, die ?-rtlichkeit, sowie der Tatablauf hervor. Die Beschuldigte weiss aufgrund des umschriebenen Sachverhalts, worum es geht bzw. was ihr im Einzelnen vorgeworfen wird. Ihr wird vorgeworfen, dem Privatkläger in ihrer Nachricht vom 26. November 2021 an dessen Ex-Partnerin gedroht zu haben, dass sie ihn killen werde, falls er an Weihnachten auftauche aber falls er seiner Ex-Partnerin bzw. seinen Kindern nochmals etwas antun würde. Weiter wird ihr vorgeworfen, den Privatkläger am 28. November 2023 via Instagram direkt kontaktiert zu haben und ihn gefragt zu haben, ob er die erste Nachricht erhalten habe und ihm mitgeteilt zu haben, dass sie die erste Nachricht wenn auch konkludent so doch klarerweise diejenige vom 26. November 2021 ernst meine und er mit gewaltigen Problemen rechnen müsse. Auch die von der Staatsanwaltschaft vorgenommene rechtliche Qualifikation des Sachverhalts als versuchte Nötigung geht ohne Weiteres aus der Angabe beim Straftatbestand und damit dem Antrag hervor (vgl. Urk. 31 S. 2). Aus dem Antrag der Staatsanwaltschaft geht mit anderen Worten klar hervor, dass der Beschuldigten vorgeworfen wird, versucht zu haben, den Privatkläger dazu zu nötigen, einerseits nicht an die Weihnachtsfeier zu kommen und andererseits seiner Ex-Partnerin bzw. seinen Kindern nicht nochmals etwas anzutun, indem sie ihm damit drohte ihn ansonsten zu killen bzw. für gewaltige Probleme zu sorgen. Den zwar in der Tat verkürzt wiedergegebenen Nachrichten der Beschuldigten kommt damit keine tatsachenwidrige allgemeine Bedeutung zu. Der Sachverhalt ist zwar eher kurz und knapp gehalten, jedoch vorliegend ausreichend. Die Beschuldigte kann und konnte sich ohne Weiteres gegen die Vorwürfe von Dossier 1 verteidigen.
Bei den Ausführungen der Vorinstanz, die Beschuldigte habe mit gewaltigen Problemen mit ihr gedroht, handelt es sich nicht um eine Erweiterung der Anklage. Die Beschuldigte machte geltend, sie habe gewaltige Probleme mit den Behörden angedroht, womit sich die Vorinstanz auseinander zu setzen hatte. Hierbei hielt sie lediglich fest, dass es der Beschuldigten nicht um gewaltige Probleme mit den Behörden, sondern mit ihr gegangen sei. Es handelt sich also um eine Auseinan- dersetzung mit den Argumenten der Beschuldigten sowie den Akten. Auf welche Nachricht sich die zweite Nachricht bezog ist sodann, wie bereits ausgefährt, ohne weiteres wenn auch implizit aus dem Antrag ersichtlich. Die diesbezügliche Klarstellung der Vorinstanz, dass es sich um jene vom 26. November 2021 handelt, stellt damit ebenfalls keine Ergänzung der Anklage dar. Die von der amtlichen Verteidigung darüber hinausgehend geltend gemachten Erweiterungen in der Sachverhaltserstellung der Vorinstanz, so dass die Beschuldigte dem Geschädigten geraten habe, jetzt mal etwas cleverer zu werden und die Probleme nicht noch zu verGrössern und die Ausführungen, sie habe dem Geschädigten ernsthafte Konsequenzen angedroht, wenn er sich der Zeugin B. seinen Kindern nähere, sind keine Erweiterungen. Diese Ausführungen der Vorinstanz zeigen lediglich ein Gesamtbild auf und entstammen der Auseinandersetzung mit den Aussagen der Beschuldigten bzw. den von ihr versandten Nachrichten. Der eingeklagte Sachverhalt wurde durch die Vorinstanz sehr wohl wortgetreu erstellt (Urk. 94 S. 31
f. E. II.2.5.). Eine Verletzung des Anklageprinzips ist nicht ersichtlich.
Strafantrag
Hinsichtlich des Vorliegens aller notwendigen StrafAnträge kann vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 6 E. I. 3.). Diese liegen mithin alle vor.
Konstituierung als Privatklägerschaft
Bezüglich der Konstituierung als Privatklägerschaft von C. sowie den Verzicht der Zeugin D. darauf kann auf die diesbezüglichen Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 7 E. I. 4.).
A. Sachverhalt
Grundlagen der BeweisWürdigung
Hinsichtlich der Grundlagen der BeweisWürdigung kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 14 f. E. II. 1.2.).
Glaubwürdigkeit der Beteiligten
Hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Beteiligten C. , B. , D. sowie der Beschuldigten A. kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 15-17 E. II. 1.3.). Bezüglich der Glaubwürdigkeit des Privatklägers C. sowie der Zeugin B. gilt es zusätzlich anzumerken, dass ihr Verhältnis zur Beschuldigten zumindest nach dem Unfall ihrer Tochter kein einfaches gewesen sein dürfte, da diese sich um das Wohl ihrer Kinder in Gegenwart des Privatklägers sorgte, was sie auch gegenüber Dritten kundtat (vgl. Urk. 1/4 F/A 6, F/A 20-22; Urk. 1/16 F/A 10-11; Urk. 1/17). Sodann kann hinsichtlich der Glaubwürdigkeit der Zeugin D. ergänzend angemerkt werden, dass diese in keiner Beziehung zur Beschuldigten steht (Urk. 3/5 F/A 8).
Anklagevorwurf gemäss Dossier 1
Beweismittel
Textnachrichten vom 26. November 2021
Bei den Akten befinden sich zwei Textnachrichten vom 26. November 2021, welche die Beschuldigte der Zeugin B. geschickt haben soll (Urk. 1/17 S. 1).
Bezüglich deren Wortlaut kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 17 f. E. II. 2.1.1.).
Textnachrichten vom 28. November 2021
Bei den Akten befinden sich zwei Textnachrichten vom 28. November 2021, welche die Beschuldigte dem Privatkläger geschickt und anschliessend öffentlich auf Instagram gepostet haben soll (Urk. 1/17 S. 2). Bezüglich deren Wortlaut kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 18 E. II. 2.1.2.).
Aussagen der Zeugin B.
Hinsichtlich der Aussagen der Zeugin B. (nachfolgend: Zeugin) kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 18 f. E. II. 2.2.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Zeugin ausführte, die Text- nachrichten gemäss Urk. 1/17 S. 1 am 26. November 2021 von der Beschuldigten erhalten zu haben (Urk. 1/16 F/A 12-13). Nachdem die Beschuldigte die Textnachrichten vom 28. November 2021 auf Instagram gepostet habe (vgl. Urk. 1/17 S. 2), und ihr eine Sprachnachricht gesandt habe, habe sie, auch aufgrund weiterer Vorkommnisse, begonnen sich Sorgen zu machen (Urk. 1/16 F/A 14) und den Privatkläger über die Drohungen informiert (Urk. 1/16 F/A 16 f.). Die Beschuldigte gehe davon aus, dass der Privatkläger die gemeinsamen Kinder von ihr (der Zeugin) und dem Privatkläger misshandle, was nicht stimme. Sie denke, dies sei der Grund für ihre Drohungen (Urk. 1/16 F/A 10).
Aussagen des Privatklägers
Hinsichtlich der Aussagen des Privatklägers kann vorab vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 19-22 E. II. 2.3.). Der Privatkläger führte zusammengefasst aus, er habe zunächst von seiner Ex-Partnerin der Zeugin von der Drohung erfahren (Urk. 1/14 F/A 11; Urk. 1/15 F/A 14). Als die Beschuldigte ihm zwei Tage später die Nachricht geschrieben habe, habe er es der Zeugin gezeigt (Urk. 1/14 F/A 11) und die Beschuldigte gleichentags blockiert, worauf diese begonnen habe, die Drohung öffentlich auf Instagram zu verbreiten (Urk. 1/14 F/A 12 i.V.m. Urk. 1/14 F/A 15). Er nehme die Drohung ernst
(Urk. 1/14 F/A 28) und habe schon Schiss bekommen (Urk. 1/15 F/A 36). Die Beschuldigte habe ihn bedroht, da seine Tochter umgefallen sei und sich verletzt gehabt habe, was die Beschuldigte gesehen habe (Urk. 1/14 F/A 23; Urk. 1/15 F/A 18).
Aussagen der Beschuldigten
Bezüglich der getätigten Aussagen der Beschuldigten kann zunächst vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94
S. 22-31 E. II. 2.4.). Die Beschuldigte führte zusammengefasst aus, der Privatkläger habe ihre Grossnichte halb umgebracht, psychisch tot, übergeben. Der Anblick habe Todesängste in ihr ausgeläst. Sie sei in Sorge um ihre Familienmitglieder und sich selbst gewesen (Urk. 1/4 F/A 5-6). Mit den Nachrichten konfrontiert, führte sie aus, Panik bekommen zu haben, als sie gelesen habe, dass der Privatkläger an Weihnachten eingeladen sei. Sie habe sich massiv in Gefahr gefühlt und Todesangst um ihre Grossnichte gehabt (Urk. 1/4 F/A 16). Sie habe dadurch ihre ganze Familie in akuter Lebensgefahr gesehen. Als Notwehrreaktion habe sie ihn von diesem Fest vertreiben und den Kontakt zu ihm verhindern wollen (Urk. 1/4 F/A 20). Sie habe ihm ausrichten wollen, dass er sich vor ihr und ihrer Familie fernhalten solle (Urk. 1/4 F/A 21). Mit dem Instagram-Post konfrontiert, bestätigte die Beschul- digte, dass es sich dabei um ihr Statement handle (Urk. 1/4 F/A 22).
In der Nachricht habe sie den Privatkläger aufgefordert, ihre Familie in Frieden zu lassen und sich fern zu halten, da es sonst Konsequenzen mit sich ziehen würde (Urk. 1/7 2. Teil S. 4). Sie habe gegenüber dem Privatkläger keine Morddrohung ausgesprochen, da er das im Gegensatz zu ihrer Nichte (der Zeugin), die gewusst habe, dass das nicht ernst gemeint sei hätte missverstehen können (Urk. 1/11 F/A 14). Killen sei im übertragenen Sinne (Urk. 1/7 2. Teil S. 10 unten) und nicht ernst gemeint gewesen (Urk. 1/7 1. Teil S. 9 unten). Die ihr zur Last gelegte äusserung sei keine Morddrohung. Damit habe sie lediglich gemeint, dass sie den Privatkläger ausser Gefecht setzen werde (Urk. 1/11 F/A 14). Sie habe ihrer Nichte geschrieben, dass es ihr Ziel sei, ihn ins Gefängnis zu bringen. Damit sei nicht gemeint gewesen, dass sie mit einem Messer dort stehen mit einer Waffe dort auftauchen würde. Die Message sei gewesen, dass er aufpassen
müsse, was er tue, da sie sich ansonsten dafür einsetzen würde, dass er gewaltige Probleme mit den Behörden bekomme, d.h. polizeiliche Anzeige bzw. Einschaltung der KESB (Prot. I S. 23). Ihre Nichte hätte dem Privatkläger ausrichten sollen, dass er diese und die Kinder in Ruhe lassen solle, weil sie ihn beobachte und dies andernfalls den Behörden melden würde (Prot. I S. 25).
Mit der Nachricht an den Privatkläger habe sie gemeint, dass er strafrechtliche, polizeiliche Konsequenzen erwarten müsse (Urk. 1/11 F/A 20). Mit gewaltige Probleme sei gemeint gewesen, dass er solche mit den Behörden bekommen würde. Sie habe ihm das mit den Behörden nicht so geschrieben. Das habe einen gewissen Interpretationsspielraum offengelassen. Sie hätte aber nie gedacht, dass er dies so interpretieren würde, sonst hätte sie die Nachrichten nicht versendet (Prot. I S. 24).
Anlässlich der Berufungsverhandlung bestätigte die Beschuldigte erneut, die Nachrichten geschrieben zu haben (Urk. 109 S. 23 f.). Mit killen habe sie aber nie umbringen gemeint. Sie habe einfach nicht gewollt, dass der Privatkläger an Weihnachten komme und dass er ihrer Nichte deren Kindern Gewalt antue. To kill könne bedeuten, jemanden umbringen. Es könne aber auch einfach bedeuten, jemanden ausser Gefecht zu setzen (Urk. 109 S. 21 f.). Mit gewaltigen Problemen sei sodann gemeint gewesen, dass er sonst Probleme mit den Behür- den bekommen werde (Urk. 109 S. 24). Nach langem überlegen erklärte sie, für sie sei klar gewesen, dass er für die Verletzung ihrer Grossnichte verantwortlich sei, weil er sie aus seiner Obhut zurück gebracht habe. Er habe das Aufsichtsrecht bzw. die Aufsichtspflicht für sie gehabt in dieser Zeit (Urk. 109 S. 22 f.). Ob die Verletzung vom Privatkläger anderen Personen stamme, könne sie nicht beurteilen (Urk. 109 S. 30). Sie sei in einem emotionalen Schockzustand gewesen vom Anblick der Verletzung ihrer Grossnichte (Urk. 109 S. 24). Sie sei nach wie vor der Auffassung, die Situation richtig eingeschätzt zu haben (Urk. 109 S. 28). Die Verletzungen, die sie gesehen haben, könnten nicht von einem Unfall stammen wie ihn der Privatkläger geschildert habe (Urk. 109 S. 30). Würde sie sich heute in der gleichen Situation wiederfinden, würde sie ihn weiterhin nicht mit diesem Verhalten
davonkommen lassen. Sie würde sich jedoch nicht mehr so ausdRücken (Urk. 109 S. 30 f.).
Würdigung
Die Beschuldigte gab in ihren Einvernahmen und den diversen Stellungnahmen mehrfach zu, die in der Anklage umschriebenen und bei den Akten liegenden Nachrichten geschrieben und an die Zeugin bzw. den Privatkläger gesandt zu haben. Dies deckt sich auch mit den Aussagen der Zeugin sowie des Privatklägers hierzu. Aus den Akten ergibt sich sodann, dass der Privatkläger Angst bekommen hat, sich jedoch nicht einschöchtern liess und den Kontakt zu seiner Familie nicht abbrach, sondern sich an die Polizei wandte.
In der ersten Nachricht an die Zeugin vom 26. November 2021 war unter anderem würtlich zu lesen: [...] und chasch ihm usrichte, wenn er a wiehnachte uftaucht kill ich ihn persönlich. [Küchenmesser-Emoji] und wenn er d chind nomal ?pis atuet dir. [...]. Aus den Nachrichten vom 28. November 2021 an den Privatkläger ging sodann würtlich hervor: hoff, d'B. het dir usgrichtet, was ich ihre gschrib han. meins würkli ernscht C. . [Totenkopf-Emoji, Küchenmesser-Emoji, Blutstropfen-Emoji] Du lasch ab sofort d'chind, d'B. , und mini ganzi familie plus aghürige in friede chunsch gwaltigi problem mit mir über bzw. die hesch scho am hals. [...]. Damit erklärte die Beschuldigte gegenüber der Zeugin unmissVerständlich, dass sie den Privatkläger darüber informieren solle, dass sie ihn killen, d.h. umbringen werde, sollte er an Weihnachten auftauchen der Zeugin und/oder deren gemeinsamen Kinder nochmals etwas antun. Das Wort killen betonte sie zusätzlich durch ein Küchenmesser-Emoji. Sie erklärte sodann in ihrer zweiten Nachricht an die Zeugin bereits unmissVerständlich das meini ernscht.. Die Beschuldigte konnte damit nicht davon ausgehen, dass die Zeugin sie bzw. das Wort killen nicht ernst nehmen würde. Diese Aussage beKräftigte sie zwei Tage später mit zwei Nachrichten an den Privatkläger persönlich, indem sie erklärte, die Nachricht an die Zeugin und damit die darin enthaltene Todesdrohung ernst gemeint zu haben und zu hoffen, dass ihm diese ausgerichtet worden sei. Damit spielt es auch keine Rolle, dass sie das Wort killen lediglich in der Nachricht an die Zeugin benutzte, wollte sie doch, dass dies dem Privatkläger
ausgerichtet wird. Aus den Aussagen der Zeugin und des Privatklägers ergibt sich sodann, dass diese den Privatkläger über die an ihn gerichtete Nachricht informierte. Auch die Nachricht an den Privatkläger betonte sie mittels zur Nachricht bzw. Drohung passender Emojis, Nämlich einem Totenkopf, einem Küchenmesser und einem Blutstropfen. Wenn die Beschuldigte davon spricht, killen sei im übertragenen Sinne gemeint gewesen, so handelt es sich dabei um eine reine Schutzbehauptung. Für eine solche Interpretation besteht keinerlei Spielraum. Sodann drohte sie ihm gewaltige Probleme mit ihr ? d.h. mit der Beschuldigten an, sollte er seine Kinder, die Zeugin sowie ihre Familie nicht in Frieden lassen. Die Beschuldigte drohte somit nicht, wie von ihr behauptet, mit dem Einschalten von Behörden wie der Polizei der KESB. Auch in der Nachricht gegenüber der Zeugin erwähnte sie keine Behörden. Sie liess diesbezüglich, entgegen ihren Ausführungen, keinen Interpretationsspielraum offen. Dafür, dass sie die Drohung ernst meinte, spricht auch die Tatsache, dass sie selbst geltend machte, Todesängste um ihre Familie, sich selbst und insbesondere die Kinder gehabt zu haben. Sie habe unbedingt verhindern wollen, dass diesen weiteres Leid zustösst und in Notwehr bzw. Notwehrhilfe gehandelt. Die Beschuldigte sah offensichtlich keinen anderen Ausweg mehr, als dem Privatkläger mit dem Tode zu drohen, um das aus ihrer Sicht drohende übel zu verhindern. Sie nutzte gar verschiedene Kanäle um sicherzustellen, dass die Nachricht ankommt. Damit ist klar, dass die Beschuldigte die Drohung absichtlich versandte, um ihr Ziel zu erreichen und den Beschuldigten ihrem Willen zu beugen. Sie wollte diesen dazu bewegen, sich von der Familie fern zu halten und dieser nichts anzutun. Genauer gesagt, wollte sie dafür sorgen, dass er an Weihnachten nicht auftaucht seiner Ex-Partnerin bzw. seinen Kindern etwas antut, was sie im übrigen anlässlich der Berufungsverhandlung auch explizit so zu Protokoll gab (Urk. 109 S. 21). Der Anklagesachverhalt bezüglich Dossier 1 ist damit erstellt.
Anklagevorwurf gemäss Dossier 3
Beweismittel
Aussagen der Zeugin D.
Hinsichtlich der Aussagen der Zeugin D. (nachfolgend: Zeugin) kann vorab vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94
S. 32-35 E. II. 3.1.). Die Zeugin führte zusammengefasst aus, sie sei mit ihrer Mutter und ihren beiden Kindern im Tram Nr. ... auf dem Weg zum E. gewesen. Als sie an der Tramhaltestelle E. mit ihrem Sohn im Türbereich gestan- den habe, habe sie die Beschuldigte in der Ecke des Viererabteils wahrgenommen. Diese habe etwas zu ihr gesagt, was sie nicht verstanden habe. Daher sei sie stehengeblieben. Die Beschuldigte habe dann vehement Abstand gesagt. Sie habe nicht begriffen, was diese damit meine und sich daher danach erkundigt. In diesem Moment sei die Beschuldigte auf sie zugegangen, habe gesagt Abstand Spray und ihr direkt ins Gesicht gespritzt. Sie habe gesagt, man müsse die Polizei rufen, worauf die Beschuldigte sie mit Fotze und weiteren Würtern, die sie nicht mehr genau wisse, beschimpft habe. Sie habe dieser danach Du dommi Moore gesagt (Urk. 3/4 F/A 6 i.V.m. Urk. 3/4 F/A 16, Urk. 3/5 F/A 14 und Urk. 3/5 F/A 21). Die Beschuldigte habe sie aus einer Entfernung von weniger als einem Meter angespräht, wobei sie den Sprähknopf ca. zwei Sekunden lang gedRückt gehalten habe. Sie habe sie zunächst ins Gesicht getroffen und danach den OberKörper (Urk. 3/4 F/A 11). Sie habe bei dem Vorfall eine Verätzung ersten Grades am Auge erlitten, wobei die Schmerzen nach etwa zehn Minuten zunächst etwas nachgelassen hätten, dann jedoch wieder sTürker geworden seien, so dass sie sich in ürztliche Behandlung begeben habe. Der Arzt habe gemeint, sie habe Glück gehabt. Ihre Kontaktlinsen und ihr sofortiges Auswaschen der Augen vor Ort hätten geholfen und Schlimmeres verhindert (Urk. 3/4 F/A 9).
Aussagen der Beschuldigten
Bezüglich der getätigten Aussagen der Beschuldigten kann zunächst voll- umfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 35- 40 E. II. 3.2.). Zusammengefasst erklärte die Beschuldigte, dass die Zeugin im
Tram stündig Blickkontakt mit ihr aufgenommen habe, obwohl diese in ein Gespräch mit ihrer Mutter verwickelt gewesen sei, was ihr seltsam erschienen und unangenehm gewesen sei. Sie habe die Gefahr da bereits gewittert (Urk. 1/10
S. 2). Die Mutter der Zeugin habe sich kurz vor der Endhaltestelle erhoben, sich von dieser verabschiedet was ein Alarmzeichen gewesen sei und sei mit dem Kinderwagen im fahrenden Tram nach vorne zum Chauffeur gegangen, wo sie sich vor die vorderste AusgangsTür zum Aussteigen bereitgestellt habe. Die Zeugin sei zunächst sitzen geblieben, habe sie im Blick behalten, beim Aussteigen zugewartet und sich etwa zeitgleich mit ihr Richtung Ausgang bewegt. Dass die Zeugin und ihre Mutter unterschiedliche Ausgänge benutzten, sei ein konkreter Hinweis auf einen drohenden Angriff gewesen. Die Zeugin sei dann mitten im Türbereich in ca. ein bis drei Meter Abstand zu ihr stehen geblieben und habe damit die Tür blockiert. Diese habe dabei nach draussen und wieder nach drinnen geschaut, was ein weiteres Anzeichen für ihre Bedrohung gewesen sei. Die Zeugin habe sodann die Fahrplantafel innerhalb des Trams studiert. Ihr sei da definitiv klar gewesen, dass diese ihr mit Absicht rechtswidrig den Weg versperre und ihre kostbare Zeit verschwende. Sie habe diese daraufhin ca. drei Mal laut und bestimmt, aber freundlich aufgefordert, Abstand zu nehmen, Platz zu machen, den Türbereich frei zu geben und sie aussteigen zu lassen (Urk. 1/10 S. 3 unten bis S. 4). Bei der allerletzten Ermahnung, habe sie ihr gesagt, dass sie mit dem Pfefferspray sprayen würde, wenn diese nicht endlich Platz machen würde. Die Zeugin habe sich sofort wild und aggressiv gestikulierend zu ihr umgedreht. Schliesslich habe die Zeugin sie angegriffen, indem sie zurück ins Tram gekommen und wütend direkt noch zwei, drei Schritte näher auf sie zugekommen sei, sodass sie Panik bekommen habe. Daher sei sie gezwungen gewesen, kurz in Richtung ihres OberKörpers zu sprähen (Urk. 1/10 S. 4 unten bis S. 5). Sie habe dieser nicht ins Gesicht gespritzt. Diese habe das Pfefferspray nur indirekt über die Kleidung abbekommen (Urk. 1/10 S. 5; Urk. 1/11 F/A 22; Urk. 1/12 S. 3 unten; Prot. I S. 28). Die Zeugin habe sie dann als dommi Moore bezeichnet (Urk. 1/10 S. 5) bzw. sei sie von dieser sehr derbe in Du-Form mit Du dumme Chue, Dumme Moore und der spinnts doch beleidigt worden (Urk. 1/11 F/A 22 i.V.m. Urk. 1/12 S. 3 unten und Prot. I S. 30). Sie wiederum habe dieser gegenüber keine Beleidigung ausgesprochen (Urk. 1/10 S. 5 unten; Urk. 1/11 F/A 22; Urk. 1/12 S. 3 unten; Prot. I S. 30).
Anlässlich der Berufungsverhandlung führte die Beschuldigte aus, die Zeugin habe die Türe blockiert. Sie habe diese mehrmals aufgefordert, Platz zu machen, worauf diese sich jedoch nicht entfernt habe sondern auf sie zugekommen sei. Nach dreimaliger Warnung mit Abstand Spray habe sie dann ganz kurz in Richtung ihres OberKörpers gesprayt. Sie habe sich damit wehren und die Zeugin abwehren wollen (Urk. 109 S. 25). Diese sei sehr angriffig rüber gekommen, was sie an ihrer Gestik, ihrem Gesichtsausdruck und der verbalen Ausdrucksweise festgemacht habe. Was sie konkret von dieser befürchtet habe, könne sie nicht sagen. Sie habe nicht abwarten wollen, dass etwas passiere. Heute trage sie kein Tränengasspray mehr mit sich. Die Zeugin habe sie beleidigt. Sie habe dann beim Weglaufen zurückgegeben und diese u.a. mit dem Wort Fotze betitelt. Sie habe sich nicht gefallen lassen wollen, was diese zu ihr gesagt habe und wie sie sich verhalten habe (Urk. 109 S. 26 f.). Sie glaube nicht, dass sie die Situation falsch eingeschätzt habe (Urk. 109 S. 28). Darauf angesprochen, ob sie sich erneut so verhalten würde, wenn sie im Tram das Gefühl habe, jemand lasse sie nicht aussteigen, erklärte sie, sie trage kein Pfefferspray mehr bei sich (Urk. 109 S. 30).
ürztlicher Notfallbefund
Bei den Akten befindet sich sodann der ürztliche Notfallbefund der Augenklinik des Universitätsspitals Zürich vom 25. Oktober 2021, aus welchem hervorgeht, dass die Zeugin ca. eineinhalb Stunden nach dem Zwischenfall mit dem Pfefferspray untersucht wurde, wobei eine Verätzung ersten Grades in ihrem linken Auge diagnostiziert wurde. Die Anamnese ergab, dass der Zeugin das Auge zu diesem Zeitpunkt nicht mehr weh tat, jedoch die umliegenden Hautpartikel (Urk. 3/6).
Würdigung
Sowohl die Zeugin als auch die Beschuldigte sagten übereinstimmend aus, dass die Beschuldigte diese im Tram Nr. 6 bei der Endhaltestelle mit Pfefferspray besprähte, nachdem die Beschuldigte zuvor Abstand und auf Nachfrage seitens
der Zeugin Abstand Spray ausgerufen hatte. Dieser Teil des Sachverhalts wird also von der Beschuldigten anerkannt und ist aufgrund der übereinstimmen- den Aussagen der Zeugin als erstellt zu betrachten.
Die Beschuldigte führte jedoch aus, der Zeugin mit dem Pfefferspray nicht ins Gesicht, sondern lediglich ganz kurz Richtung OberKörper gespritzt zu haben, wobei dieses von deren Kleidung wohl über die Luft in deren Augen gelangt sein müsse. Aus den mehrfachen, ausführlichen Schilderungen des Tatablaufs seitens der Beschuldigten wird klar, dass diese zunächst mehrere Warnzeichen seitens der Zeugin und deren Mutter auf einen drohenden Angriff wahrgenommen hat, was in ihr die Angst vor einem solchen wachsen liess, ehe sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich mittels Einsatzes des Pfeffersprays gegen diesen zu wehren. Die Beschuldigte befand sich, wie die Vorinstanz richtigerweise ausführte, aus ihrer Sicht in einer ernsthaften und akuten Bedrohungslage und war entsprechend in Panik. Sie hatte das Gefühl angegriffen zu werden. Pfeffersprays sind denn auch dazu da, Angreifer sofort ausser Gefecht zu setzen ohne diese dabei dauerhaft zu schädigen, wobei sich die Wirkung innert Sekunden auf die Augen, die Haut und die Atemwege entfaltet (https://www.b ag.admin.ch/bag/de/home/gesund-leben/umwelt-und-gesundheit/chemikalien/chemikalien-a-z/abwehrspray.html). Die Symptome verschwinden in der Regel innerhalb von 30 Minuten. Nur bei hohen Konzentrationen können die Effekte länger anhalten und selten auch bleibend sein (Factsheet Abwehrspray, Bundesamt für Gesundheit BAG, Februar 2023, S. 2, abrufbar unter https://www.bag.admin.ch/bag/de/h ome/gesund-leben/umwelt-undgesundheit/chemikalien/chemikalien-a-z/abwehrspray.html).
Aus dem ürztlichen Notfallbefund und den Ausführungen der Zeugin geht hervor, dass diese auch noch eineinhalb Stunden nach dem Einsatz des Pfeffersprays Schmerzen an den umliegenden Hautpartikeln der Augen hatte und eine Verätzung ersten Grades im linken Auge davongetragen hat, was unbestritten blieb und dafür spricht, dass das Pfefferspray eben nicht nur ganz kurz eingesetzt wurde und lediglich auf die Kleider der Zeugin gelangte, sondern zumindest unter anderem auch direkt ins Auge und damit ihr Gesicht. In Anbetracht der akuten Bedrohungslage, welche die Beschuldigte verspürte, erscheint es denn auch
nahezu lebensfremd davon auszugehen, dass sie der Zeugin nur ganz kurz an den OberKörper gespritzt haben will.
Die Verteidigung machte diverse (vermeintliche) Widerspräche in den Aussagen der Zeugin geltend, welche sich jedoch ohne Weiteres auflösen lassen. So wandte diese etwa ein, die Aussage der Zeugin, dass die Beschuldigte ihr aus einer Distanz von ca. einem Meter gegenübergestanden sei und ihren Arm beim Sprayen nicht ausgestreckt, sondern angezogen gehabt habe, womit die Distanz des Sprays zu ihrem Gesicht weniger als einen Meter betragen habe, ergebe keinen Sinn. Wenngleich die Bemerkung der amtlichen Verteidigung, ein ausgestreckter Arm mache den Abstand kürzer und nicht ein angewinkelter, zutrifft (Urk. 110 S. 14), so ist die Schilderung der Zeugin dennoch korrekt und widerspruchsfrei. Stehen sich zwei Menschen im Abstand von einem Meter gegenüber, sorgt auch ein nicht ganz ausgestreckter sondern leicht angewinkelter Arm dafür, dass der Abstand verringert wird und damit weniger als einen Meter beträgt.
Auch die Tatsache, dass die Geschädigte einerseits aussagte, der Beschuldigten nicht den Weg versperrt zu haben, denn sie habe diese gar nicht gesehen und andererseits erklärte, die Beschuldigte habe in diesem Moment schon warten müssen (vgl. Urk. D3/3/5 F/A 17 i.V.m. F/A 19), stellt entgegen der Behauptung der amtlichen Verteidigung (vgl. Urk. 110 S. 14) keinen Widerspruch dar. Die Zeugin war im Türbereich des Trams stehen geblieben, zunächst ohne die Beschul- digte wahrgenommen zu haben. Damit konnte sie ihr auch nicht aktiv den Weg versperren. In der Konsequenz hat ihr Stehenbleiben jedoch dazu gefährt, dass die Beschuldigte einen Moment warten musste. Die Zeugin nahm die Beschuldigte einfach erst später wahr.
Die Zeugin sagte sodann bei beiden Befragungen konstant aus, dass sie mit ihrer Mutter und ihren beiden Kindern im Tram gewesen sei, wobei sie mit ihrem Sohn bei einer Tür gewesen und diesen auf ein Zirkusplakat ausserhalb des Trams aufmerksam gemacht habe. Ihre Mutter hingegen habe sich mit ihrer Tochter einen Ausgang weiter weg befunden (Urk. D3/3/4 F/A 6 i.V.m. F/A 7 und D3/3/5 F/A 14). Entgegen den Ausführungen der amtlichen Verteidigung war nie von vier Kindern, sondern konstant von zwei Kindern die Rede (vgl. Urk. 110 S. 14).
Die Ausführungen der Zeugin sind lebensnahe und stimmig. Es entsteht der Eindruck, dass sie tatsächlich Erlebtes wiedergibt, zumal sie ihre Emotionen und Reaktionen auf die Pfeffersprayattacke authentisch und detailliert zum Ausdruck brachte. Die Zeugin gab sodann von Anfang an zu, die Beschuldigte als dommi Moore beschimpft zu haben. Sie sagte somit ohne Not zu ihren eigenen Lasten aus und versuchte nicht, sich selber in ein besseres Licht zu stellen. Gleichzeitig äusserte sie sich in ihren für die Beschuldigte belastenden Aussagen zurückhaltend und machte diese nicht unnötig schlecht. Sie gab sodann zu, wenn sie etwas nicht mehr wusste, und erklärte, sich nur noch an das Wort Fotze erinnern zu können. Ihre Darstellung ist daher glaubhaft und vermag zu überzeugen.
Die Beschuldigte erklärte in übereinstimmung mit den Aussagen der Zeugin von dieser nach dem Pfeffersprayeinsatz beschimpft worden zu sein. Entgegen den Ausführungen der Verteidigung führte sie bis und mit Hauptverhandlung jedoch aus, diese selbst nicht beschimpft zu haben. Erst anlässlich der Berufungsverhandlung gestand sie dies ein. In Anbetracht der Tatsache, dass die Beschul- digte wenige Augenblicke zuvor noch davon ausgegangen ist, sich in einer beträchtlichen Bedrohungslage zu befinden, weshalb sie die Zeugin mit Pfefferspray bespritzte, worauf diese Verständlicherweise wenig erfreut reagierte und die anwesenden Personen bat, die Polizei zu rufen, wäre es denn auch nicht nachvollziehbar erschienen, dass sie gegenüber der Zeugin höflich geblieben sein will. Sodann versuchte sie, die Zeugin schlechter darzustellen als nötig und betonte, dass die Beschimpfungen seitens der Zeugin sehr derbe und in Du-Form gewesen seien. Zunächst sprach sie zwar lediglich von einer Beschimpfung. In ihrer staatsanwaltschaftlichen Einvernahme vom 28. April 2022 war dann jedoch von drei Beschimpfungen die Rede. Das Geständnis bezüglich der ausgesprochenen Beschimpfung erfolgte nicht nur sehr sp?t, sondern auch erst nachdem die Vorinstanz (fälschlicherweise) davon ausgegangen war, dass die Beschimpfung der Zeugin zuerst erfolgt sei. Ihre Aussagen mit Ausnahme des Geständnisses bezüglich der Beschimpfung an sich erscheinen daher unglaubhaft und sind nicht geeignet, die glaubhafte Darstellung der Zeugin ernsthaft in Frage zu stellen. Wenngleich es suboptimal ist, dass die Videoaufzeichnung aus dem Tram nicht vorhanden ist, gereicht dies der Beschuldigten entgegen den Ausführungen der
Verteidigung (vgl. Urk. 110 S. 12 f.) nicht zum Nachteil. Dass die Aufzeichnung entlastend gewesen wäre, ist reine Spekulation und stellt keinen Grund dar, an den äusserst glaubhaften Aussagen der Zeugin zu zweifeln. Wie die amtliche Verteidigung richtig ausführte (vgl. Urk. 110 S. 12) wäre die Videoaufnahme mangels Tonaufnahme in Bezug auf die Beschimpfung ohnehin nicht von Belang gewesen. Bezüglich den Einsatz des Pfeffersprays gilt es sodann zu bemerken, dass sich die Beschuldigte selbst dann nicht in einer Bedrohungslage befunden hätte, die den Einsatz von Pfefferspray zu rechtfertigen vermocht hätte, wenn die von ihr getätigten Schilderungen zutreffen würden (siehe hierzu E. II.C.2.3. und E. II.C.3.). Eine entsprechende Videoaufzeichnung würde sie also auch diesbezüglich nicht entlasten.
Fazit
Es ist erstellt, dass die Beschuldigte die Zeugin zunächst ansprach, ihr Abstand und Abstand Spray zurief und ihr schliesslich Pfefferspray ins Gesicht sprähte, so dass diese Verätzungen ersten Grades am linken Auge davontrug. Sodann betitelte die Beschuldigte diese als Fotze und mit nicht näher bekannten weiteren derben AusdRücken.
B. Rechtliche Würdigung
Versuchte Nötigung gemäss Dossier 1
Objektiver Tatbestand
Hinsichtlich der theoretischen Ausführungen zum objektiven Tatbestand der Nötigung gemäss Art. 181 StGB kann auf die Ausführungen der Vorinstanz hierzu verwiesen werden (Urk. 94 S. 43 f. E. III. 1.2.1.). Ergänzend kann festgehalten wer- den, dass die Drohung der Verübung eines Vergehens Verbrechens gegen Leib und Leben regelmässig geeignet ist, einem Opfer seinen Willen aufzuzwingen. Die Androhung eines solchen Nachteils ist geeignet, dem Betroffenen eine Handlungsweise, ein Dulden Unterlassen aufzuzwingen, auf welche der Drohende keinen Anspruch hat (BSK StGB, DELNON/R?DY, Art. 181 N. 40). Die Erzeugung
eines psychischen Ausnahmezustandes beim Opfer wie etwa Panik AngstLöhmung ist hingegen nicht vorausgesetzt (BSK StGB, DELNON/R?DY, Art. 181 N. 26).
Die Beschuldigte drohte dem Privatkläger vorliegend ihn zu killen, d.h. sie stiess eine Todesdrohung aus, und drohte ihm zudem gewaltige Probleme (mit ihr) an. Solche Drohungen insbesondere die mit Nachdruck ausgesprochene Todes- drohung sind ohne Weiteres und entgegen den Ausführungen der amtlichen Verteidigung (vgl. Urk. 110 S. 11) geeignet auch eine besonnene Person in der Lage der betroffenen Person, sprich des Privatklägers, gefügig zu machen. Eine Androhung ernstlicher Nachteile liegt somit vor. Die Beschuldigte verlangte vom Privatkläger, dass dieser sich an Weihnachten von der Familie fern hält und der Zeugin und deren Kindern nichts antut. Sie forderte also ein Unterlassen seitens des Privatklägers. Die Todesdrohung, um den Privatkläger davon abzuhalten, an Weihnachten vorbei zu kommen, stellt eine klare Nötigungshandlung dar. Bezüglich der erfolgten Drohung, um ihn davon abzuhalten der Mutter seiner Kinder und diesen erneut etwas anzutun, gilt es sodann festzuhalten, dass nicht erstellt ist, dass eine strafbare Handlung des Privatklägers im Raum gestanden hätte, die sie hätte abwenden wollen. Es ist davon auszugehen, dass das Teil ihrer wahnhaften Vorstellungen war. Auf diese ist nicht abzustellen. Entgegen den Ausführungen der amtlichen Verteidigung, stellt die in der Nachricht enthaltene Aufforderung der Beschuldigten an den Privatkläger er solle etwas cleverer werden und die Probleme nicht noch verGrössern keinen Beweis dafür dar, dass ihrer Aussage keine Drohung inhörent sei, da es keine Probleme gegeben hätte, die noch Grösser hätten werden können, wenn dem Privatkläger nichts zu unterstellen gewesen wäre (Urk. 110 S. 7 und S. 10). Der Androhung gewaltiger Probleme kommt im Lichte des Gesamtzusammenhangs vorliegend ohne Weiteres Drohcharakter zu. Der Privatkläger hatte vorliegend jedoch tatsächlich unabhängig vom Wahrheitsgehalt der Behauptungen der Beschuldigten bereits Probleme, unterstellte die Beschul- digte ihm doch zumindest vor der Mutter seiner Kinder, diesen etwas angetan zu haben. Sodann hatte sie bereits damit gedroht, ihn zu killen. Diese Probleme hätten in Anbetracht der Drohungen der Beschuldigten durchaus noch Grösser wer- den können. Die Beschuldigte hatte sodann direkten Einfluss auf das Eintreten des ernstlichen Nachteils bzw. gab zumindest vor, diesen zu haben. Der Privatkläger
nahm die Drohungen zwar ernst, liess sich den Willen der Beschuldigten jedoch nicht aufzwingen, sondern wendete sich hilfesuchend an die Polizei. Der zur Vollendung der Tat gehörende Erfolg ist somit nicht eingetreten. Selbst wenn man
der amtlichen Verteidigung folgend (vgl. Urk. 110 S. 8 f.) davon ausginge, dass der Privatkläger nicht in Angst und Schrecken versetzt worden sei, würde dies vorliegend keinen Unterschied machen, da lediglich eine versuchte Nötigung eingeklagt wurde, weshalb sich eine vertiefte Auseinandersetzung hiermit erübrigt. Der objektive Tatbestand der Nötigung ist damit ohnehin nicht vollständig erfüllt.
Subjektiver Tatbestand
Hinsichtlich der theoretischen Ausführungen zum subjektiven Tatbestand der Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB und der Tatsache, dass die Frage des Vorsatzes von einer Allfälligen Schuldunfähigkeit zu unterscheiden ist, kann voll- umfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 45 E. III. 1.3.1. und S. 45 f. E. III. 1.3.4.).
Die Beschuldigte begründete den Versand ihrer Nachrichten mehrfach damit, dass sie mit diesen habe erreichen wollen, dass der Privatkläger nicht an der Familienweihnachtsfeier teilnimmt, er die Familie insbesondere die Zeugin und deren Kinder in Ruhe lässt und diesen nichts antut. Entgegen den Ausführungen der amtlichen Verteidigung ging es der Beschuldigten offensichtlich nicht lediglich darum, den Betroffenen in ihnen Verständlicher Sprache klarzumachen, dass der Privatkläger nicht mehr davonkomme und darauf hinzuweisen, was sie mittels Anzeigen bei der Polizei und der KESB auszulösen in der Lage sei, womit sie ihn im übertragenen Sinne killen könne (Urk. 110 S. 10). Die Beschuldigte wusste sich
gemäss ihrer eigenen Darstellung in ihrer Panik nicht anders zu helfen, als dem Privatkläger mit dem Tode und gewaltigen Problemen zu drohen, erklärte sie doch selbst, Todesangst gehabt zu haben. Sie handelte wissentlich und willentlich in Bezug auf die Androhung ernstlicher Nachteile in Form des Todes bzw. gewaltiger Probleme. Ebenso wissentlich und willentlich handelte sie in Bezug auf das abzu- nötigende Verhalten. Sie wollte, dass der Privatkläger nicht an die Weihnachtsfeier kommt und sich von der Familie fernhält. Er sollte ausserdem der Zeugin B. und deren Kindern nichts antun. Mit ihren Nachrichten bezweckte die Beschuldigte,
den freien Willen des Privatklägers zu beeinflussen bzw. zu beugen. Damit handelte sie vorsätzlich im Sinne von Art. 12 Abs. 2 StGB. Der subjektive Tatbestand der Nötigung ist mithin erfüllt.
Rechtswidrigkeit
Wie die Vorinstanz richtig ausführte, muss die Rechtswidrigkeit beim Tatbestand der Nötigung positiv begründet werden. Eine Nötigung ist unrechtmässig, wenn das Mittel der Zweck unerlaubt ist wenn das Mittel zum angestrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich sittenwidrig ist (BGE 141 IV 437 E. 3.2.1. m.w.H.).
Vorliegend sind sowohl die Androhung mit dem Tod (killen) als auch die Drohung mit gewaltigen Problemen d.h. das verwendete Mittel rechtswidrig. Die Rechtswidrigkeit ist damit positiv begründet. Die Beschuldigte bediente sich mit anderen Worten unzulässiger Mittel, woran auch das von der amtlichen Verteidigung vorgebrachte Argument, dass es der Zustimmung des Hausherrn bedurft hätte, damit der Beschuldigte ans Weihnachtsfest überhaupt hätte kommen dürfen (vgl. Urk. 110 S. 11), nichts zu ändern vermag, zumal er hierzu gemäss Aussagen der Beschuldigten eingeladen war (vgl. Urk. 1/4 F/A 16).
Versuch
Hinsichtlich der theoretischen Ausführungen zum Versuch gemäss Art. 22 Abs. 1 StGB kann vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 46 E. III. 1.4.). Ein solcher ist vorliegend ohne weiteres gegeben.
Fazit
Die Beschuldigte hat den Tatbestand der versuchten Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB erfüllt.
Einfache Körperverletzung bzw. tätlichkeiten gemäss Dossier 3
Objektiver Tatbestand
Vorliegend kann vorab vollumfänglich auf die theoretischen Ausführungen bezüglich den objektiven Tatbestand der einfachen Körperverletzung und der Abgrenzung zur tätlichkeit der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 47 f. E. III. 2.2.1.).
Wie bereits ausgefährt entfalten die Reizwirkstoffe von Abwehrsprays ihre Wirkung in den Augen, auf der Haut und im Atemtrakt innerhalb weniger Sekunden, wobei die Symptome in der Regel innerhalb von 30 Minuten wieder verschwinden. Bei hohen Konzentrationen können die Effekte jedoch länger anhalten und selten gar bleibend sein. sämtliche Wirkstoffe verursachen ein intensives Stechen in den Augen und bewirken Trnenfluss, was zu einer vorübergehenden Kampfunfähigkeit führt. Auf der Haut führen die Stoffe sodann zu Kribbeln, Brennen und Rütungen. Bei hohen Konzentrationen können unter anderem auch Augenschädigungen auftreten, die von reversiblen Wassereinlagerungen in der Hornhaut und Bindehautentzündungen bis zu bleibenden VerÄnderungen der Hornhaut wie Geschwären mit Narbenbildung, Trübung Gefässneubildung reichen. Sodann können Lidkrämpfe vorübergehender Verlust des Lidschlussreflexes auftreten. Die Folgen können je nach Wirkstoff variieren (Factsheet Abwehrspray, Bundesamt für Gesundheit BAG, Februar 2023, S. 2, abrufbar unter https://www.bag.admin.ch/ bag/de/home/gesund-leben/umwelt-und-gesunheit/chemikalien/chemikalien-az/ab wehrspray.html.). Da die Auswirkungen somit je nach Dauer des Pfeffersprayeinsatzes bzw. dessen Konzentration, Wirkstoff des Sprays und wohl auch Art des besprähten Körperteils unterschiedlich sein können, lässt sich der Einsatz von Pfefferspray nicht pauschal als einfache Körperverletzung tätlichkeit qualifizieren. Die Auswirkungen des Einzelfalles sind in jedem Fall massgebend.
Die Zeugin erlitt vorliegend eine Verätzung ersten Grades am linken Auge aufgrund des von der Beschuldigten gegen sie eingesetzten Pfeffersprays. Dass sich die Zeugin lediglich eine Verätzung ersten Grades zuzog, dürfte sicherlich dem glücklichen Umstand geschuldet sein, dass sich vor Ort ein Brunnen befand, an
welchem sich die Zeugin die Augen auswaschen konnte und ihr ihre Kontaktlinsen einen gewissen zusätzlichen Schutz boten, was der Zeugin von ürztlicher Seite offenbar so mitgeteilt wurde. Aus der bei den Akten liegenden ürztlichen Anamnese ergibt sich sodann, dass die Zeugin eineinhalb Stunden nach dem Vorfall zwar keine Schmerzen am Auge mehr hatte, ihr jedoch die umliegenden Hautpartikel immer noch weh taten, wobei die Schmerzen an den Augen zuvor offenbar so stark waren, dass sich die Zeugin deshalb in ürztliche Behandlung begab. Sodann musste diese einen Kontrolltermin wahrnehmen.
Die Zeugin erlitt mit der Verätzung ersten Grades an ihrem linken Auge und den damit einhergehenden doch immerhin so erheblichen Schmerzen, dass sie sich in ürztliche Behandlung begab, eine zwar nur vorübergehende STürung physischer Natur, welche jedoch einem krankhaften Zustand gleichkommt. Damit liegt entgegen der Ausführungen der Vorinstanz eine einfache Körperverletzung vor. Sowohl die Intensität des Schmerzes als auch die Verätzung des Auges wären je für sich gesehen zur Annahme einer einfachen Körperverletzung ausreichend. Die Intensität des Schmerzes ist vorliegend jedoch nicht von der Anklage umfasst, weshalb vorliegend einzig die Verätzung des Auges für die rechtliche Würdigung massgebend ist. Der objektive Tatbestand der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 StGB ist damit erfüllt.
Subjektiver Tatbestand
In subjektiver Hinsicht ist Vorsatz erforderlich, wobei Eventualvorsatz genügt (OFK/StGB-DONATSCH, Art. 123 N. 5 mit weiteren Hinweisen).
Die Beschuldigte erklärte mehrfach, dass sie sich von der Zeugin bedroht gefühlt habe. Sie sei von dieser angegriffen worden, sei von ihr rechtswidrig am Verlassen des Trams gehindert worden und habe daher den Pfefferspray eingesetzt. Es ist somit davon auszugehen, dass diese den Pfefferspray gezielt gegen das Gesicht und den OberKörper der Zeugin einsetzte, um den aus ihrer Sicht bestehenden Angriff der Zeugin abzuwehren. Dabei wusste sie musste zumin- dest damit rechnen, dass bei einem Pfeffersprayeinsatz gegen das Gesicht der Zeugin Sprayflüssigkeit in deren Augen geraten kann, wobei bei einem längeren
Sprähvorgang mit Folgen wie den aufgetretenen zu rechnen ist. Die Beschuldigte belegte gemäss eigenen Aussagen einen Kurs hierzu und ist daher im Umgang mit Pfefferspray geschult. Sie hat die Verletzungen somit zumindest in Kauf genommen, womit sie mindestens eventualvorsätzlich handelte. Damit handelte sie vorsätzlich im Sinne von Art. 12 Abs. 2 StGB und hat den subjektiven Tatbestand der einfachen Körperverletzung gemäss Art. 123 Ziff. 1 StGB erfüllt.
Fazit
Die Beschuldigte hat den Tatbestand der einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 StGB erfüllt. Aufgrund des Verbots der reformatio in peius hat es vorliegend jedoch beim vorinstanzlichen Schuldspruch wegen tätlichkeiten im Sinne von Art. 126 Abs. 1 StGB sein Bewenden.
Beschimpfung gemäss Dossier 3
Objektiver Tatbestand
Hinsichtlich der theoretischen Ausführungen zum Tatbestand der Beschimpfung kann vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 49 f. E. III. 3.2.1.).
Die Beschuldigte betitelte die Zeugin als Fotze und mit weiteren, nicht näher bekannten derben AusdRücken. Indem die Zeugin mit dem Ausdruck Fotze bezeichnet wurde, beleidigte die Beschuldigte diese objektiv in herabsetzender, ehrverletzender Weise. Bezüglich der nicht näher bekannten derben AusdRücke lässt sich dies hingegen nicht eruieren. Ein Freispruch hat diesbezüglich dennoch nicht zu ergehen, handelt es sich doch gemäss Schilderung der Zeugin um eine wohl eher schnelle, direkt hintereinander ausgesprochene Abfolge mehrerer derben AusdRücke gegen diese, weshalb von einer naTürlichen Handlungseinheit, welche auf einem einheitlichen Willensakt beruht, d.h. einer Tateinheit, auszugehen ist. Von der Staatsanwaltschaft wurde denn auch zu Recht keine mehrfache Beschimpfung geltend gemacht.
Den Aussagen der Zeugin ist zu entnehmen, dass diese gegenüber den anwesenden Personen nach ihrem Ausruf Hey, geids eigentlich no äusserte, man müsse die Polizei rufen, worauf die Beschuldigte sie beschimpfte und sie dieser schliesslich du dommi Moore sagte (Urk. 3/4 F/A 6). Mit anderen Worten stellte die Beschimpfung seitens der Beschuldigten keine Antwort auf diejenige der Zeugin dar. Es war genau umgekehrt. Eine Strafbefreiung nach Art. 177 Abs. 2 StGB ist somit für die Beschuldigte vorliegend ausgeschlossen. Da die Beschimpfung der Beschuldigten von der Zeugin ebenfalls mit einer Beschimpfung erwidert wurde, käme allenfalls eine fakultative Strafbefreiung nach Art. 177 Abs. 3 StGB in Betracht. Diese fällt vorliegend aufgrund der noch aufzuzeigenden Schuldunfähigkeit der Beschuldigten ohnehin ausser Betracht, da sie nicht strafbar ist. Eine solche wäre vorliegend jedoch auch sonst nicht gerechtfertigt, da die Idee hinter der Strafbefreiung nach Art. 177 Abs. 3 StGB ist, dass von Strafe abgesehen werden kann, wenn die Streitenden sich schon an Ort und Stelle Gerechtigkeit verschafft haben und der Streit zu unbedeutend ist, als dass das öffentliche Interesse nochmalige Söhne verlangen würde, was aufgrund des unmittelbaren Zusammenhangs zum Angriff mit dem Pfefferspray vorliegend nicht der Fall ist. Ein öffentliches Interesse an der Strafverfolgung der Beschuldigten ist ohne Weiteres zu bejahen. Die Beschuldigte hat damit den objektiven Tatbestand der Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB erfüllt.
Subjektiver Tatbestand
Der Tatbestand der Beschimpfung setzt vorsätzliches Handeln voraus. Der täter bzw. die täterin braucht nur zu wissen, dass das Werturteil ehrenrährig ist, nicht auch, dass es ungerechtfertigt ist (BGE 79 IV 20 E. 2).
Die Beschuldigte wusste, dass die Bezeichnung einer Person als Fotze ehrenrährig ist und sie die Zeugin dadurch in ihrer Ehre angreift und herabsetzt, was sie wollte, hatte sie doch das Gefühl von dieser zu Unrecht angegriffen worden zu sein. Die Beschuldigte hat damit den subjektiven Tatbestand der Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB erfüllt.
Fazit
Die Beschuldigte hat den Tatbestand der Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB erfüllt.
C. RechtfertigungsGründe
Vorbemerkungen
Die Beschuldigte machte bezüglich Dossier 1 mehrfach geltend, in Notwehr bzw. im Sinne einer Notwehrhilfe zugunsten ihrer Grossnichte, ihres Grossneffen bzw. letztlich ihrer ganzen Familie gehandelt zu haben (u.a. Urk. 1/4 F/A 20; Urk. 1/5 F/A 1; Urk. 1/7 S. 3 Mitte i.V.m. S. 4 oben). Bezüglich Dossier 3 machte die Beschuldigte ebenfalls geltend, in Notwehr gehandelt zu haben (Urk. 1/10 S. 4 f.).
Die amtliche Verteidigung brachte diesbezüglich vor, die Beschuldigte könne sich ohne weiteres auf Notwehr bzw. Putativnotwehr berufen. Es sei zu beachten, dass sie diesbezüglich nicht schlechter gestellt werden dürfe als Personen, denen die Schuldfühigkeit im Tatzeitpunkt nicht abgesprochen werde. Dies wäre aber das Ergebnis, würde man der Beschuldigten einen Freispruch gestützt auf Putativnotwehr allein deshalb verwehren, weil diese im Tatzeitpunkt für schuldunfähig eingestuft worden sei. Die Beschuldigte sei davon ausgegangen, dass ihre Nichte und deren Kinder bzw. sie selbst in Gefahr gewesen seien. Die Verletzungen der Kinder und das Gebaren der Geschädigten hätten ihr unabhängig davon, ob es sich um eine Fehlvorstellung über die Wirklichkeit gehandelt habe bei objektiver Betrachtung Anlass zur Notwehr respektive Putativnotwehr gegeben (Urk. 110 S. 16).
Notwehr
Hinsichtlich der theoretischen Ausführungen zur Notwehr kann voll und ganz auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 52 f. E. III. 4.2.). Bezüglich der von der Beschuldigten ebenfalls geltend gemachten Notwehrhilfe lässt sich sodann ergänzen, dass auch jeder andere berechtigt ist, den Angriff in
einer den Umständen angemessenen Weise abzuwehren, wenn jemand ohne Recht angegriffen unmittelbar mit einem Angriff bedroht wird (Art. 15 StGB).
Aufgrund der Ausführungen der Beteiligten lässt sich bezüglich Dossier 1 keineswegs erstellen, dass der Privatkläger eine Bedrohung für seine Kinder, die Zeugin, die Beschuldigte deren weitere FamilienanGehörige darstellte. So führte insbesondere auch die Beschuldigte selbst aus, sie habe nie gesehen, dass der Privatkläger seinen Kindern ein Leid angetan habe. Ihr sei nicht bekannt, ob er jemals wegen einer Gewalttat zum Nachteil seiner Kinder seiner Ex-Partnerin verurteilt worden sei. Sie wisse auch nicht, ob jemals die KESB, eine andere Amtsstelle die Polizei beim Privatkläger interveniert habe, weil er seinen Kindern Gewalt angetan habe es zu einer polizeilichen Intervention gegen diesen gekommen sei, weil er seiner Ex-Partnerin Gewalt angetan habe (Urk. 109 S. 21 f.). Sie wisse auch nicht, ob er ihrer Grossnichte die Verletzungen überhaupt zugefügt habe, sie wisse nur, dass diese Verletzung aufgewiesen habe, nachdem er die Aufsichtspflicht über sie gehabt habe (Urk. 109 S. 22 f. i.V.m. S. 30). Damit sind auch keinerlei Anhaltspunkte vorhanden, die für die von der amtlichen Verteidigung vorgebrachten These der Beschuldigten, der Privatkläger habe seinen Kindern bereits früher einmal etwas angetan, spricht (Urk. 110 S. 9), hat sie doch offenbar noch nicht einmal selbst irgendwelche Beobachtungen in diese Richtung gemacht. Selbst wenn ausschliesslich den Ausführungen der Beschuldigten bei welchen es sich gemäss Gutachten um wahnhafte Realitätsverkennungen handelt Glauben geschenkt würde, lüge mangels eines unmittelbaren Angriffs keine Notwehrsituation vor, lagen doch dessen angebliche Übergriffe schon einige Zeit zurück, d.h. die Angriffe wären bereits beendet gewesen. Eine Notwehrlage war mithin nicht gegeben, womit weder Notwehr noch Notwehrhilfe nach Art. 15 StGB hinsichtlich Dossier 1 vorliegt.
Auch hinsichtlich Dossier 3 lässt sich aufgrund der Ausführungen der Beteiligten nicht erstellen, dass die Zeugin eine Bedrohung für die Beschuldigte darstellte und diese angriff bzw. ein Angriff unmittelbar bevorstand. Selbst wenn die Ausführungen der Beschuldigten zutreffen sollten und die Zeugin diese beobachtet bzw. mehrfach angeschaut hätte, über längere Zeit im Türrahmen stehen geblieben
wäre und diese damit an einem ungehinderten Ausstieg an jener Tür über einen gewissen Zeitraum hin gehindert hätte und sich als Reaktion auf die Aufforderung der Beschuldigten, Abstand zu halten umgekehrt und zwei, drei Schritte auf sie zugemacht und wenn auch allenfalls in aggressivem Ton gefragt haben sollte, was die Beschuldigte von ihr wolle, stellt dies noch keinen Angriff dar und lässt auch nicht auf einen unmittelbar drohenden Angriff schliessen. Die Beschuldigte führte gar selbst aus, sie hätte einfach eine andere Tür benutzen können. Eine Notwehrlage war mithin auch bezüglich des Angriffs mit dem Pfefferspray nicht gegeben. Hinsichtlich der Beschimpfung gilt es sodann zu sagen, dass die Beschul- digte ihren Schilderungen folgend zu diesem Zeitpunkt den (bevorstehenden) Angriff der Zeugin bereits abgewehrt hatte, die Notwehrlage mithin beendet war und sie sich von dieser, ohne daran gehindert zu werden, entfernen und aus dem Tram aussteigen konnte (vgl. Urk. 1/10 S. 5). Damit lag auch hinsichtlich der Beschimpfung keine Notwehrlage vor. Die Beschuldigte handelte bezüglich Dossier 3 mithin nicht in Notwehr nach Art. 15 StGB.
Putativnotwehr
Wie die Vorinstanz richtig erkannte, stellt sich vorliegend grundsätzlich die Frage nach einer Putativnotwehrsituation. Wenn der täter über das Vorliegen eines (bevorstehenden) rechtswidrigen Angriffes irrt, was sich nach Art. 13 StGB beurteilt, liegt Putativnotwehr vor (BGE 147 IV 193 E. 1.1. mit Verweisen). An dieser Stelle kann auf die Ausführungen der Vorinstanz hinsichtlich der Putativnotwehr bei Schuldunfähigen verwiesen werden (Urk. 94 S. 53 f. E. III. 4.4.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die irrige Annahme einer schuldunfähigen Person, die bei einem geistig gesunden täter einen Sachverhaltsirrtum darstellen würde, unbeachtlich ist, wenn sie auf die zur Schuldunfähigkeit führende Erkrankung der Beschuldigten zurückgeht (BGE 147 IV 193 E. 1.4.6.).
Da die Beschuldigte wie nachfolgend aufzuzeigen sein wird im Tatzeitpunkt schuldunfähig war und ihre irrige Vorstellung auf die dieser Schuldunfähigkeit zugrunde liegende Erkrankung zurückgeht (Urk. 1/19/20 S. 52 oben), kann sie sich vorliegend weder bezüglich Dossier 1 noch bezüglich Dossier 3 auf eine Putativ- notwehrsituation berufen.
Fazit
Nach dem Gesagten liegt kein Rechtfertigungsgrund vor. Die Beschuldigte hat sowohl die versuchte Nötigung (Dossier 1) als auch die tätlichkeiten und die Beschimpfung (Dossier 3) rechtswidrig begangen.
D. Schuldfühigkeit
Gesetzliche Grundlage
Gemäss Art. 19 Abs. 1 StGB ist nicht strafbar, wer zur Zeit der Tat nicht fühig war, das Unrecht seiner Tat einzusehen gemäss seiner Einsicht in das Unrecht der Tat zu handeln.
Vorbringen der amtlichen Verteidigung
Die amtliche Verteidigung führte zur Diagnose aus, die Beschuldigte anerkenne die Diagnose der posttraumatischen BelastungssTürung (nachfolgend: PTBS), diese bestätigten sowohl ihre Frühere ürztin als auch der aktuelle Arzt. Der Gutachter äussere sich jedoch nicht dazu, weshalb die Diagnose der Schizophrenie entscheidend sei und behaupte einfach, die schizophrene Erkrankung führe in sämtlichen Lebensbereichen zu massiven Leistungseinbussen Beeinträchtigungen, was nachweislich falsch sei. Es sei sodann unklar, welche augenfälligen psychosozialen und rechtlichen Schwierigkeiten die Beschuldigte seit 2019 deswegen haben solle. Die Beschuldigte habe vor ihrer Inhaftierung ihr eigenes Leben als Erwerbstätige gefährt und seit ihrer Haftentlassung ihr Leben wieder neu aufgebaut. Die massiven Leistungseinbussen Beeinträchtigungen rührten von der Inhaftierung, durch welche sie alles verloren habe, was sie sich erarbeitet habe und nicht von der angeblichen Schizophrenie. Die Beurteilung der Früheren Therapeuten lasse der Gutachter Völlig ausser Acht. Die Diagnose des Gutachters verfange nur soweit eine PTBS attestiert werde. Von einer paranoiden Schizophrenie könne nicht die Rede sein (Urk. 110 S. 17 f.). Die herrschende Lehre sei sodann der Meinung, dass eine PTBS kaum je zu einer Aufhebung der Einsichtsfühigkeit und nur selten zu einer Aufhebung der Steuerungsfühigkeit führe, wobei vorliegend ohnehin kein Deliktszusammenhang zur PTBS festgestellt worden sei (Urk. 110 S. 24).
Aussagen der Beschuldigten
Anlässlich der Berufungsverhandlung äusserte sich die Beschuldigte dahingehend, dass sie an mehreren Erkrankungen leide, so an einer posttraumatischen BelastungssTürung und dem Restless-Legs-Syndrom, hiervon habe sie Schmerzen (Urk. 109 S. 2). Bezüglich der posttraumatischen BelastungssTürung könne es Flashbacks geben, wobei sie nicht sagen könne, wie oft sie diese habe. Sie nehme bereits seit ihrem 23. Altersjahr wahr, dass sie erkrankt sei. Bei der Diagnose der paranoiden Schizophrenie handle es sich hingegen um eine Fehldiagnose (Urk. 109 S. 3). Sie akzeptiere diese Diagnose nicht, weil sie Situationen selber sehr gut richtig einSchätzen könne und die Prognose zur Rückfallgefahr nicht eingetreten sei (Urk. 109 S. 29). Sie befinde sich derzeit bei Dr. F. in einer Gesprächstherapie. Dieser verschreibe ihr auch Medikamente, ein Antidepressiva, ein Medikament gegen ADHS und eines gegen das Restless-Legs-Syndrom. Sitzungen fänden alle paar Wochen statt, mehrmals wöchentlich sicher monatlich mithin nicht wie von der amtlichen Verteidigung geltend gemacht zwei bis vier Mal pro Woche (vgl. Urk. 110 S. 23) , wobei sie in der Regel bestimme, wann die Sitzungen stattfänden (Urk. 109 S. 4). Sie befinde sich bereits seit Ende letzten Jahres bei ihm in Behandlung. Seither gehe es ihr besser (Urk. 109 S. 20). Seit der Haftentlassung sei es sodann zu keinen neuen VorFällen Auseinan- dersetzungen mit Personen gekommen. Sie habe sich nicht mehr bedroht gefühlt und auch FamilienanGehörige sich selbst nicht mehr in Gefahr gewöhnt. Sie trage auch den Pfefferspray nicht mehr auf sich (Urk. 109 S. 6 f. i.V.m. S. 20).
Die Beschuldigte führte sodann aus, das Gutachten mit ihrem derzeitigen Therapeuten, Dr. F. , besprochen zu haben, wobei sie darauf angesprochen, was dieser zum Gutachten bzw. der Diagnose der paranoiden Schizophrenie sage, nur sehr ausweichend antwortete. Schliesslich erklärte sie, er sei irritiert gewesen. Dies habe an der Behandlung jedoch nichts geändert (Urk. 109 S. 15-17). Auch auf die Frage, welche Symptome dazu führen würden, dass sie krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten könne, antwortete sie mehrfach sehr ausweichend und erklärte schliesslich, sie wisse nicht, wie sie das beschreiben könne (Urk. 109 S. 18 f.).
Gutachten
Der Gutachter Prof. G. diagnostizierte bei der Beschuldigten eine paranoide Schizophrenie (Urk. 1/19/20 S. 39 oben und S. 44 Mitte bis S. 45 oben) sowie eine posttraumatische BelastungssTürung (Urk. 1/19/20 S. 39 oben und S. 47 Mitte), führte hierzu jeweils die zur Diagnosestellung zu erFällenden Kriterien auf und erläuterte, inwiefern diese von der Beschuldigten tatsächlich erfüllt werden (Urk. 1/19/20 S. 44-47). Das Vorliegen einer einfachen Aktivitäts- und AufmerksamkeitssTürung des Erwachsenenalters (ADS/ADHS) konnte angesichts der akuten psychotischen Symptomatik nicht verifiziert werden, wobei die Diagnose für die gutachterliche Fragestellung von untergeordneter Relevanz sei (Urk. 1/19/20 S. 47 unten). Sodann konnte für die Vergangenheit das Vorliegen eines schädlichen Gebrauchs von Stimulanzien (ICD-10 F 15.1) diagnostiziert werden (Urk. 1/19/20
S. 47 unten bis S. 48 oben). Bei der Begutachtung flossen entgegen der Ausführungen der amtlichen Verteidigung unter anderem diverse Berichte Früherer Therapeuten der Beschuldigten ein (Urk. 1/19/20 S. 7-9 i.V.m. S. 12 f., S. 15-17 und S. 33 f.).
Das Gutachten hält sodann fest, dass das komorbide Vorliegen einer PTBS und einer Schizophrenie häufig sei und sich die Diagnosen nicht gegenseitig ausschliessen würden (Urk. 1/19/20 S. 44 oben). Bei komplexer PTBS könnten zudem das hören von Stimmen und dissoziative Zustände auftreten. Die Beschul- digte beschreibe Erinnerungslücken für einen Teil der traumatischen Ereignisse und im Alltag, die in ihrer AusGeprägtheit einem dissoziativen Zustand zuzuordnen seien und sich mit dem psychotischen Erleben alleine nicht erklären liessen (Urk. 1/19/20 S. 47 oben). Die Symptome der PTBS und der Schizophrenie würden sich sodann teilweise überschneiden, was beispielsweise auf SchlafsTürungen und Gereiztheit zutreffe (Urk. 1/19/20 S. 45 unten).
Hinsichtlich der Schuldfühigkeit der Beschuldigten führte der Gutachter sodann aus, die vorgeworfenen Anlassdelikte ständen in einem engen Zusammenhang zur paranoiden Schizophrenie. Die Tatmotive würden der wahnhaften Realitätsverkennung, dass fremde Menschen ihr nach dem Leben trachten, indem sie sie vergiften wollen, entspringen. Die Beschuldigte empfand demnach den Einsatz
von Pfefferspray bezüglich Dossier 3 als Notwehr in einer lebensbedrohlichen Situation. Bei der Zeugin und ihrer Begleiterin sei für sie durch deren Verhalten klar gewesen, dass sie sie angreifen vergiften wollten, so wie dies schon vorher fremde Menschen im Tram versucht hätten (Urk. 1/19/20 S. 49 oben). Bezüglich Dossier 1 habe die Beschuldigte aus massiver, wahnhaft übersteigerter Angst um das Leben ihrer Grossnichte und um das Leben weiterer FamilienanGehöriger gehandelt. Die Beschuldigte habe die Verletzungen, die sie an ihrer Grossnichte gesehen habe, als so gravierend empfunden, dass sie halb ermordet gewesen sei. Es sei für sie nicht nachvollziehbar, dass die Familie von einem Unfall gesprochen habe. Sie habe Angst gehabt, dass ihre Grossnichte in Anwesenheit des Privatklägers in Lebensgefahr schwebe und habe durch die Textnachrichten verhindern wollen, dass dieser der Familie gefährlich werden könne. Aufgrund ihrer wahnhaften Verkennung der Situation seien ihre Handlungen für sie gerechtfertigte Notwehr und ein Unrechtsbewusstsein bestehe nicht. Aufgrund des psychotisch bedingten Verlusts des Realitätsbezugs sei die Einsichtsfühigkeit der Beschuldigten für die zur Last gelegten Taten gemäss Dossier 1 und 3 vollständig aufgehoben, was zu einer aufgehobenen Schuldfühigkeit führe (Urk. 1/19/20 S. 49 Mitte).
Die vorliegende akute psychotische Symptomatik bei paranoider Schizophrenie sei derart ausGeprägt, dass sie erhebliche Beeinträchtigungen in der Lebensbewältigung der Beschuldigten zur Folge habe und deren Erleben und Handeln bestimme. Für die hiesige Fragestellung und das deliktische Verhalten der Beschuldigten sei diese Diagnose zentral. Die weiteren seien hingegen als Neben- diagnosen zu werten, die für die Legalprognose von untergeordneter Bedeutung seien (Urk. 1/19/20 S. 45 Mitte).
Gewisse der von der Beschuldigten geschilderten traumatischen Ereignisse seien sodann als Wahnerinnerungen einzustufen, so z.B. die Erinnerung über Monate und unter Mitwirkung ihrer Nachbarin von fremden Männern in ihrer eige- nen Wohnung töglich aufgesucht und vergewaltigt worden zu sein, während sie ein Black-out gehabt habe und durch SchmerzzuFügung fremdgesteuert worden sei. Hingegen könnten andere Schilderungen als realitätsnah auf ihren Realitätsgehalt nicht überpröfbar eingestuft werden. Da für die Diagnosestellung der PTBS
lediglich ein reales, durch seine Intensität potentiell traumatisierendes Ereignis gefordert werde und nicht ein Nachweis Beweis eines solchen Ereignisses, sei das Kriterium derzeit erfüllt (Urk. 1/19/20 S. 46). Das Gutachten hält in diesem Zusammenhang sodann fest, es bestehe die Möglichkeit, dass eine ausreichende Behandlung der Schizophrenie dazu führe, dass sich die Beschuldigte von den durch sie geschilderten Ereignissen distanziere und daher die diagnostischen Kriterien einer PTBS nach erfolgreicher Behandlung der Psychose nicht mehr vorliegen würden, womit die entsprechende Diagnose revidiert werden Müsste (Urk. 1/19/20 S. 47 Mitte).
ürztliche Stellungnahmen
Der ürztlichen Stellungnahme vom 7. Februar 2022 von Dr. med. H. und Dr. med. I. der universiTüren psychiatrischen Dienste Bern lässt sich sodann ent- nehmen, dass diese ebenfalls eine paranoide Schizophrenie diagnostizierten (Urk. 1/19/15 S. 36). Die Beschuldigte gab zudem gegenüber den universiTüren psychiatrischen Diensten Bern selbst an, sie habe immer wieder Medikamente gegen Schizophrenie einnehmen müssen. Sie habe jedoch nur eine richtige ürztin, welche sie richtig diagnostiziert habe (Urk. 1/19/15 S. 31). Der aktuelle Therapeut der Beschuldigten, Dr. F. , führte in seiner ürztlichen Stellungnahme vom
7. Dezember 2023 sodann aus, er teile nach Einsichtnahme in das Gutachten die Einschätzung des Gutachters, dass auch der Verdacht namentlich auf eine (komplexe) posttraumatische BelastungssTürung bestehe (Urk. 111 S. 1).
Würdigung
Das Gutachten zeigt auf, welche Kriterien für die Diagnosestellung der paranoiden Schizophrenie bzw. der PTBS erfüllt sein müssen und wodurch die Beschuldigte diese jeweils erfüllt (vgl. Urk. 1/19/20 S. 44-47). Einerseits werden sodann die überschneidungen der Symptome der beiden Diagnosen aufgezeigt und andererseits führt das Gutachten auch aus, bezüglich welcher Symptome bzw. Auswirkungen auf das Leben und Verhaltensweisen der Beschuldigten die Diagnose der PTBS bzw. jene der paranoiden Schizophrenie massgebend ist. Es zeigt damit entgegen den Ausführungen der amtlichen Verteidigung schlüssig
und nachvollziehbar auf, dass die Diagnose der paranoiden Schizophrenie für die hiesige Fragestellung der Schuldfühigkeit und das deliktische Verhalten der Beschuldigten zentral ist (vgl. E. II.C.4.3.), ohne dabei die Diagnose einer PTBS in den Hintergrund zu Rücken gar grundlos in Frage zu stellen. Die Ausführungen des Gutachters zur möglichen Notwendigkeit der Revidierung der Diagnose der PTBS in einem späteren Zeitpunkt, zeugt von einer kritischen Auseinandersetzung mit den Diagnoseinstrumenten und den Aussagen der Beschuldigten, was für die Qualität des Gutachtens spricht.
Die Diagnose der paranoiden Schizophrenie bzw. einer schizoaffektiven STürung (durch das Sanatorium Kilchberg im Oktober 2019; Urk. 1/19/20 S. 41) wurde gemäss den aktenkundigen Berichten und den Aussagen der Beschuldigten bereits mehrfach anderweitig gestellt. Dies stätzt die Diagnose des Gutachters, auch wenn die Beschuldigte dies bereits in der Vergangenheit jeweils nicht akzeptierte. In seiner ürztlichen Stellungnahme stellte sodann auch der aktuelle Therapeut der Beschuldigten zumindest implizit in den Raum, dass nebst der PTBS auch weitere Diagnosen Beständen, wobei er sich nicht zur paranoiden Schizophre- nie äusserte. Damit steht seine Stellungnahme nicht im Widerspruch zum Gutachten.
Es ist denn auch keineswegs so, dass es der Beschuldigten wie es die amtliche Verteidigung andeutete allein aufgrund ihrer Inhaftierung so schlecht geht bzw. ging. Ihr wurde im Oktober 2020 mithin ein Jahr vor Tatbegehung gekön- digt, womit sie bereits weit vor ihrer Inhaftierung nicht mehr erwerbstätig war. Sie war denn auch bereits seit ungefähr März 2021 arbeitsunfähig (Urk. 1/19/20 S. 28). Sodann führte sie anlässlich der Berufungsverhandlung aus, seit dem 23. Altersjahr
mithin seit über zehn Jahren selbst wahrzunehmen, dass sie erkrankt sei (Urk. 109 S. 3). Entgegen den Ausführungen der amtlichen Verteidigung äusserte sich der Gutachter auch konkret zu den psychosozialen und rechtlichen Schwierigkeiten seit 2019 und setzte sich hierbei unter anderem mit den Beobachtungen des Sanatoriums Kilchberg im Oktober 2019 sowie dem Polizeirapport vom Oktober 2019 auseinander (Urk. 14/19/20 S. 13 i.V.m. S. 41). Im Leben der Beschuldigten kam es damit bereits weit vor ihrer Verhaftung zu psychosozialen AufFälligkeiten,
wiederholten Behandlungen sowie Schwierigkeiten verschiedener Art in der Lebensbewältigung. Der auf der Beschuldigten lastende enorme Leidensdruck war denn auch anlässlich der Berufungsverhandlung deutlich zu spüren. Sie war offensichtlich bestrebt darum, nichts Falsches zu sagen, zügerte jeweils oft und lange ehe sie Antworten gab, teilweise waren gar keine brauchbaren Aussagen von ihr abrufbar. So konnte sie u.a. auch nicht erklären, welche Symptome dazu führen würden, dass sie krankheitsbedingt arbeitsunfähig ist. Sie erklärte einfach mehr weniger pauschal, seither sei nichts mehr passiert und sie habe sich auch nie mehr bedroht gefühlt, was nicht zu überzeugen vermag (Urk. 109 S. 2 ff.). Ihr Leidensdruck wiederspiegelt sich überdies in ihrer Arbeitsunfähigkeit sowie der bevorstehenden Berentung durch die IV.
Damit vermochten weder die amtliche Verteidigung noch die Beschuldigte etwas vorzubringen, was die detaillierten und nachvollziehbaren Erwägungen des Gutachtens in Zweifel zu ziehen vermag. Hinsichtlich der Rückfallprognose, welche sich soweit aktenkundig nicht bewahrheitet hat, kann auf die nachfolgenden Erwägungen verwiesen werden (vgl. E. III.3.), da dies an der Diagnose und der damit zusammenhängenden Schuldunfähigkeit der Beschuldigten nichts zu ändern vermag.
Fazit
gestützt auf das überzeugende Gutachten ist folglich davon auszugehen, dass die Beschuldigte aufgrund einer psychischen STürung und damit in nicht selbst verschuldeter Weise zum Zeitpunkt der Taten nicht in der Lage war, das Unrecht ihrer Taten einzusehen. Mangels Einsichtsfühigkeit war die Beschuldigte somit nicht schuldfühig. Die Beschuldigte beging mithin die versuchte Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB, die tätlichkeiten im Sinne von Art. 126 Abs. 1 StGB und die Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB im Zustand der nicht selbst verschuldeten Schuldunfähigkeit. Damit ist die Beschul- digte gemäss Art. 19 Abs. 1 StGB nicht strafbar, weswegen sich Ausführungen zur Strafzumessung erübrigen.
Rechtliche Grundlagen / Anlasstat / Gutachten
Hinsichtlich der rechtlichen Grundlagen für die Anordnung einer Massnahme kann vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 59 f. E. IV. 1.). Es kann sodann auch bezüglich Vorliegen der Anlasstat bzw. Anlasstaten sowie Vorliegen einer sachVerständigen Begutachtung auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 60 E. IV. 2; Urk. 94
S. 60 E. IV. 3). Beide Voraussetzungen sind ohne weiteres erfüllt, was sodann auch von der amtlichen Verteidigung anerkannt wird (Urk. 110 S. 17), wenngleich diese geltend macht, im Lichte der seit der Erstellung des Gutachtens vergangenen Zeit und der entsprechend veränderten Verhältnisse könne das Gutachten nicht dazu dienen, eine Massnahme anzuordnen (Urk. 110 S. 24). Das Gutachten datiert vom 1. Juni 2022 was im heutigen Zeitpunkt rund eineinhalb Jahre zurückliegt und ist damit neueren Datums. Dessen Alter ist damit nicht zu beanstanden. Der amtlichen Verteidigung ist sodann zwar beizupflichten, dass sich gewisse Verhält- nisse in der Zwischenzeit verändert haben. Hierauf wird nachfolgend einzugehen sein. Wie sich zeigen wird, vermögen die veränderten Umstände an der Gültigkeit und Aussagekraft des Gutachtens nichts zu ändern.
Zu den Anlasstaten ist ergänzend zu erwähnen, dass im Rahmen der Nötigung eine Todesdrohung ausgesprochen wurde. Dies stellt einen der schwersten ernstlichen Nachteile dar, die angedroht werden können. Es gilt sodann zu beachten, dass die von der Zeugin erlittene Verletzung im Rahmen aller vorstellbaren tätlichkeiten schwer wiegt, wobei aufgrund des Verschlechterungsverbots nicht von einer einfachen Körperverletzung auszugehen ist. Es gilt dennoch zu beachten, dass die im Umgang mit Pfefferspray geschulte Beschuldigte der Zeugin solange aus Nächster Nähe ohne jeden (objektiven) Anlass Pfefferspray unter anderem direkt ins Gesicht sprayte, dass diese sich trotz sofortigen Auswaschens am Brunnen in ürztliche Behandlung begeben musste und eine Verätzung am Auge davontrug. Es ist wohl einzig der schnellen Reaktion der Zeugin und dem Umstand, dass diese Kontaktlinsen trug, zu verdanken, dass keine schwerwiegenderen
Verletzungen eingetreten sind. Es handelt sich also nicht um Völlig harmlose Anlasstaten.
An dieser Stelle sei sodann erwähnt, dass dem Grundsatz der freien BeweisWürdigung entsprechend das Gericht nicht an die Schlussfolgerungen im Gutachten gebunden ist. Es darf in Fachfragen jedoch nicht ohne triftige Gründe vom Gutachten abweichen und muss Abweichungen begründen. Das Abstellen auf nicht schlüssige Gutachten kann gegen Art. 9 BV verstossen, wenn gewichtige, zuverlüssig begründete Tatsachen Indizien die überzeugungskraft des Gutachtens ernstlich erschättern (BGE 129 I 49 E. 4).
Diagnose und Deliktszusammenhang
Gemäss Gutachten leidet die Beschuldigte an einer paranoiden Schizophrenie (ICD-10 F 20.0) mit akuter psychotischer Symptomatik (Urk. 1/19/20 S. 39 oben,
S. 45 Mitte, S. 47 Mitte, S. 51 unten). Ausserdem liegt eine posttraumatische BelastungssTürung mit dissoziativen Zuständen (ICD-10 F 43.12) vor (Urk. 1/19/20
S. 39 oben, S. 47 Mitte, S. 51 unten). Die Schizophrenie bestimmt dabei die Symptomatik und ist für die seit 2019 augenfälligen psychosozialen und auch rechtlichen Schwierigkeiten der Beschuldigten entscheidend (Urk. 1/19/20 S. 47 Mitte). Es besteht ein Zusammenhang zwischen der bestehenden schweren psychischen STürung der Beschuldigten und der durch diese begangenen Taten (Urk. 1/19/20
S. 53 oben). Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen kann für die vertiefte Auseinandersetzung mit der Diagnose und dem Deliktszusammenhang auf die obigen Ausführungen zur Schuldunfähigkeit verwiesen werden (vgl. E. II.C.).
Rückfallgefahr
Die amtliche Verteidigung machte geltend, das Gutachten attestiere der Beschuldigten eine hohe Rückfallgefahr, wobei Daten des Bundesamtes für Statistik zur Rückfallwahrscheinlichkeit für Straftäterinnen nach Verurteilung verwendet worden seien. Es sei schleierhaft, wie dies eine seriöse Rückfallprognose darstellen könne, zumal die Beschuldigte gar nicht verurteilt worden sei. Zudem sei die gutachterliche Vorhersage durch die Realität widerlegt worden (Urk. 110 S. 19 f.).
Hinsichtlich der Rückfallgefahr kann zunächst auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 61 f. E. IV. 5.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass gemäss Gutachten erneute Straftaten im Umfang der bisher zur Last gelegten Taten bereits kurz- und mittelfristig, d.h. im Verlauf von Wochen und Monaten und innerhalb eines Jahres mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sind. Bei fehlender Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft seitens der Beschuldigten ist sodann eine zunehmende Verzweiflung mit einer Eskalation zu schweren Gewaltdelikten möglich (Urk. 1/19/20 S. 52 unten). Das Gutachten äussert sich jedoch nicht dazu, welchen Schweregrad die zu erwarten- den Delikte aufweisen und mit welcher Wahrscheinlichkeit diese zu erwarten sind, was jedoch vorliegend aufgrund der rechtlich weniger erheblichen Anlasstaten von Erhöhter Relevanz ist.
Wie die amtliche Verteidigung zu recht einwendete, hat sich zumindest die vom Gutachter kurz- und mittelfristig prognostizierte Rückfallgefahr nicht bewahrheitet. Soweit aktenkundig blieb die Beschuldigte in der Zwischenzeit straffrei. Hierbei gilt es zu beachten, dass es sich bei der Rückfallgefahr lediglich um eine Prognose handelt. Deren Eintreten ist einerseits von deren Grundlagen aber auch von diversen externen Faktoren abhängig, welche per se nicht mit absoluter Sicherheit vorausgesagt werden können.
Bezüglich der Grundlagen der vorliegenden Risikoprognose gilt es anzumerken, dass der Gutachter offenlegte, dass die aktuarischen Prognoseinstrumente an Männlichen Gefangenenpopulationen validiert worden seien und daher keine Aussagekraft für die Wiederholungsgefahr bei täterinnen hätten. Daher zog er u.a. eine Statistik über die allgemeine Rückfallwahrscheinlichkeit verurteilter Straftäterinnen hinzu, wobei er anmerkte, dass vorliegend die klinische Diagnose entscheidend und die bisherige Legalbewährung weniger bedeutsam sei (Urk. 1/19/20 S. 49 unten). Dieses Vorgehen ist nicht zu beMängeln, zumal begründet wurde, warum so vorgegangen wurde und welchen Stellenwert die einzelnen Grundlagen hatten.
Der Gutachter hält sodann fest, dass eine Behandlung der Beschuldigten das Risiko erneuter Straftaten deutlich senken könne. Aufgrund der bisherigen fehlenden Behandlungsbereitschaft sei jedoch davon auszugehen, dass diese sich
nicht freiwillig in eine angemessene Behandlung begeben und keiner ausreichen- den antipsychotischen Medikation zustimmen werde, weshalb ein ambulantes Vorgehen als wenig erfolgsversprechend angesehen werde (Urk. 1/19/20 S. 50). Genau dieser Umstand, dem der Gutachter deutlichen Einfluss auf die Rückfallprognose zumisst, hat sich gegenüber der Gutachtenssituation in der Zwischenzeit zumindest teilweise geändert. Erfreulicherweise gelang es der Beschuldigten Selbständig sich in Therapie zu begeben und auf eine medikamentöse Behandlung einzulassen (Urk. 109 S. 3 f.). Auch die amtliche Verteidigung führte hierzu aus, die bald einjährige Behandlung sei ein Erfolg. Die Beschuldigte habe sich nichts mehr zuschulden kommen lassen (Urk. 110 S. 20). Die derzeitige Behandlung scheint also zumindest insofern zu fruchten, als dass es der Beschuldigten bisher gelungen ist, nicht wieder Rückfällig zu werden. Ein weiterer konstellativer Faktor dürfte sein, dass sie mittlerweile wohl auf Anraten keinen Pfefferspray mehr auf sich trägt (Urk. 109 S. 6).
Damit sind die Ausführungen des Gutachters zur Rückfallgefahr nicht zu beanstanden. Diese haben für den Fall des Fehlens einer genügenden Behandlung der Beschuldigten bzw. Massnahme weiterhin Gültigkeit.
Massnahmebedürftigkeit
Die amtliche Verteidigung machte anlässlich der Berufungsverhandlung geltend, dem Gutachten lasse sich nicht entnehmen, dass die PTBS eine Mass- nahmebedürftigkeit beGründe. Die Beschuldigte habe diesbezüglich das Notwen- dige veranlasst. Mangels schizophrener Erkrankung bedürfe es keiner Behandlung (Urk. 110 S. 20).
Hinsichtlich der Massnahmebedürftigkeit kann da, wie bereits ausgefährt, entgegen den Ausführungen der amtlichen Verteidigung eine schizophrene Erkrankung vorliegt vollumfänglich auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 62 E. IV. 6.), wobei an dieser Stelle zu betonen ist, dass das Gutachten aufgrund der schweren Beeinträchtigungen einen dringenden Behandlungsbedarf und gar eine Eigengefährdung der Beschuldigten sieht (Urk. 1/19/20
S. 48). Die Beschuldigte hat sich zwar in Therapie begeben, welche zumindest fürs
Erste zu einer Stabilisierung gefährt haben mag, so dass sie bisher nicht Rückfällig geworden ist. In Anbetracht der Schwere ihrer psychischen Beeinträchtigung ist jedoch zu erwarten, dass diese Therapie, welche von der Beschuldigten freiwillig und damit könftig nicht garantiert durchgefährt wird, und überdies die paranoide Schizophrenie bisher soweit ersichtlich nicht miteinbezieht, alleine nicht genügen wird, um der bestehenden Rückfallgefahr auf Dauer zu begegnen. Die Mass- nahmebedürftigkeit ist daher gegeben.
Massnahmefühigkeit
Bezüglich der Massnahmefühigkeit kann ebenfalls auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 62 f. E. IV. 7.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass gemäss Gutachten eine geeignete Behandlung zur Verfügung steht, wobei lediglich eine stationüre Massnahme umsetzbar sei. Eine ambulante Behandlung sei nicht geeignet, der Gefahr weiterer psychotisch motivierter Gewalthandlungen zu begegnen, da es der Beschuldigten an der Bereitschaft zu einer ausreichend hoch dosierten antipsychotischen Medikation fehle. Auch eine medikamentöse Behandlung gegen den Willen der Beschuldigten könne sodann zu einer Zustandsverbesserung führen und sei nicht von vornherein zum Scheitern verurteilt (Urk. 1/19/20 S. 53). Gemäss Gutachten könnte eine Behandlung das Risiko erneuter Straftaten sodann deutlich senken (Urk. 1/19/20
S. 50). Die Massnahmefühigkeit ist damit zu bejahen.
Massnahmewilligkeit
Die amtliche Verteidigung führte hierzu aus, bezüglich der PTBS liege eine Behandlungsbereitschaft vor. Die Beschuldigte wisse, dass ihre Erkrankung einer professionellen Unterstätzung bedürfe (Urk. 110 S. 20). Eine fehlende Mass- nahmewilligkeit sei jedoch insofern zu bejahen, als dass die Beschuldigte das jetzige Setup um keinen Preis unterbrechen wolle. Ihr Arzt rate denn auch von einer anderweitigen Anordnung ab. Sodann kritisierte die amtliche Verteidigung, der Gutachter würde ihr die Tatsache, dass diese sich beim Berner Obergericht gegen eine zwangsweise Behandlung gewehrt habe als fehlende Behandlungsbereitschaft anlasten, was unseriös sei (Urk. 110 S. 21).
Hinsichtlich der Massnahmewilligkeit kann vorab auf die Ausführungen der Vorinstanz hierzu verwiesen werden (Urk. 94 S. 63-65 E. IV. 8.). Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass zum Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens bei der Beschuldigten keine Krankheitseinsicht und auch keine Bereitschaft, sich auf eine Behandlung einzulassen, bestand (Urk. 1/19/20 S. 53), wobei diese bezüglich der Behandlungsbedürftigkeit ihrer Erkrankung gemäss Gutachten nicht urteilsfühig war (Urk. 1/19/20 S. 51). Dass der Gutachter in diesem Zusammenhang ausführte, die Beschuldigte habe in der Vergangenheit trotz ausGeprägtem Leidensdruck gegen Zwangseinweisungen -behandlungen Einsprache erhoben und dies als Zeichen ihrer fehlenden Behandlungsbereitschaft hinsichtlich der paranoiden Schizophrenie deutete, ist nicht zu beanstanden. Dies umso mehr als dass nicht geltend gemacht wird, die Beschuldigte habe sich einer Behandlung ihrer paranoiden Schizophrenie unterziehen wollen und der Gutachter hierzu auch auf ihm gegenüber geäusserte Bedenken der Beschuldigten abstellte (Urk. 1/19/20
S. 50). Anlässlich der Hauptverhandlung vor Vorinstanz gab die Beschuldigte zu Protokoll, ihr sei bewusst, dass sie eine Behandlung Medikamente benötige. Sie leide jedoch nicht an einer paranoiden Schizophrenie (Prot. I S. 17). Anlässlich der Berufungsverhandlung führte die Beschuldigte aus, immer noch der Meinung zu sein, nicht an einer paranoiden Schizophrenie, jedoch an einer PTBS zu leiden. Sie erklärte sodann, seit Ende 2022 in therapeutischer Behandlung zu sein, wobei sie auch Medikamente einnehme (Urk. 109 S. 2-4).
An die Therapiewilligkeit sind keine allzu grossen Anforderungen zu stellen, da es aufgrund der psychischen Erkrankung an der Fähigkeit zur Einsicht in die Massnahme fehlen kann und Therapiemotivation sowie Krankheitseinsicht häufig erst im Rahmen einer Therapie erarbeitet werden können (Urteil des Bundesgerichts 6B_493/2017 vom 5. Oktober 2017 E. 2.4.1. mit Verweis).
Die Beschuldigte äusserte sowohl anlässlich der Hauptverhandlung als auch
zumindest sinngemäss der Berufungsverhandlung die Einsicht, eine Behandlung Medikamente zu benötigen, negierte jedoch das Vorliegen einer paranoiden Schizophrenie. Eine vollständige Einsicht bezüglich des Vorliegens einer paranoiden Schizophrenie und komplette Behandlungsbereitschaft sind zum heutigen Zeitpunkt nicht zu erwarten. Die Beschuldigte dürfte bezüglich der Behandlungsbedürftigkeit ihrer Erkrankung mangels erfolgter Behandlung der paranoi- den Schizophrenie nach wie vor nicht urteilsfühig sein. Daher ist vorliegend die Massnahmewilligkeit trotz nur teilweiser Einsicht und Bereitschaft, sich behandeln zu lassen zu bejahen.
Verhältnismässigkeit
Vorbemerkungen
Hinsichtlich der theoretischen Ausführungen zur Verhältnismässigkeit kann auf die Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 94 S. 65 f. E. IV. 9.1.). Der Zweck einer therapeutischen Massnahme liegt in der Verbesserung der Legalprognose, weswegen die Anordnung einer Massnahme grundsätzlich nicht von einem bestimmten Schweregrad der Anlasstat abhängt. Bei weniger schwerwiegenden Anlasstaten kann die Anordnung einer Massnahme jedoch unter dem Aspekt der Verhältnismässigkeit problematisch sein, weswegen in so einem Fall die Anforderungen an die Begründung einer Massnahme steigen. Aus dem Gutachten hat diesfalls deutlich hervorzugehen bzw. hat umfassend und Sorgfältig begründet zu sein, dass und inwiefern die betroffene Person könftig so viel gefährlicher sein soll als anlässlich der Anlasstat (BSK StGB-HEER/HABERMEYER, Art. 59 N. 45 mit Verweisen). Es ist dabei auch stets zu prüfen, ob nicht effektivere weniger eingreifende Alternativen bestehen (BSK StGB-NIGGLI/WIpräCHTIGER, Art. 56 N. 35).
Vorbringen der amtlichen Verteidigung
Die amtliche Verteidigung machte geltend, bei den Anlasstaten handle es sich um Vergehen auf der unteren Skala der Deliktsschwere. Sodann seien Diagnose und Rückfallfallgefahr vom Gutachter falsch eingeschätzt worden (Urk. 110 S. 22). Seit Ende letzten Jahres sei die Beschuldigte durchschnittlich 2-4 Mal pro Woche in Behandlung und erhalte die für sie erforderlichen Medikamente. Würde nun eine stationüre Einleitung einer ambulanten Massnahme angeordnet, liefe dies dem Zweck der nachhaltigen und dauerhaften Genesung der Beschuldigten geradezu
zuwider. Gemäss Darstellung des Arztes sei hiervon unbedingt abzusehen (Urk. 110 S. 23).
ürztliche Stellungnahme von Dr. F.
Gemäss ürztlicher Stellungnahme von Dr. F.
vom 7. Dezember 2023 sei
unter BeRücksichtigung der bisher guten Compliance der Beschuldigten und möglicher Früherer, ggf. auch mehrfacher, sexueller Missbrauchserfahrungen im heutigen Zeitpunkt weder die Anordnung einer stationüren Massnahme nach Art. 59 StGB noch eine stationür eingeleitete ambulante Massnahme nach Art. 63 Abs. 3 StGB im Sinne einer weiteren nachhaltigen und dauerhaften Genesung zielführend, sondern womöglich gar kontraproduktiv, da diese eine solche Massnahme erneut als traumatisierend erleben könnte. Von der Anordnung einer solchen Massnahme sei daher im heutigen Zeitpunkt mit Nachdruck abzuraten (Urk. 111 S. 2).
Stationüre Massnahme
Gemäss Gutachten ist eine stationüre Massnahme nach Art. 59 StGB vorliegend geeignet und notwendig, um die Legalprognose der Beschuldigten zu verbessern (Urk. 1/19/20 S. 53).
Die Anordnung einer stationüren therapeutischen Massnahme würde einen beträchtlichen Eingriff in die Freiheitsrechte der Beschuldigten darstellen und könnte bis zu fänf Jahre dauern, wobei eine Verlängerung möglich wäre (vgl. Art. 59 Abs. 4 StGB). wäre die Beschuldigte vorliegend nicht schuldunfähig und daher für die von ihr begangenen Delikte zu bestrafen, wäre jedoch aufgrund der entsprechenden abstrakten Strafandrohungen im StGB und in Anbetracht der Tatsache, dass sie bisher keine Vorstrafen aufweist mutmasslich keine mehrjährige Freiheitsstrafe zu erwarten.
Angesichts der eher geringen Deliktsschwere der Anlasstaten sowie der Unklarheiten bezüglich den Wahrscheinlichkeitssowie Schweregrad der zu erwartenden Künftigen, allenfalls schwerer wiegenden Delinquenz ist die für die Verhältnismässigkeit im engeren Sinne geforderte vernünftige Relation zwischen
dem Eingriff in die Freiheitsrechte der Beschuldigten und dem mit dem Eingriff angestrebten Ziel vorliegend nicht gegeben. Daher ist von der Anordnung einer stationüren therapeutischen Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB unabhängig von einer Allfälligen Eignung und Erforderlichkeit abzusehen.
Ambulante Behandlung (mit stationürer Einleitung)
Die Anordnung einer stationüren therapeutischen Massnahme fällt vorliegend aufgrund der fehlenden Verhältnismässigkeit ausser Betracht. Das Gesetz sieht als mildere Massnahme die Möglichkeit einer ambulanten Behandlung vor (vgl. Art. 63 StGB).
Gemäss Gutachten ist eine ambulante Behandlung deshalb wenig erfolgsversprechend und zur Begegnung der Rückfallgefahr nicht geeignet, weil aufgrund der bisherigen fehlenden Behandlungsbereitschaft der Beschuldigten davon auszugehen ist, dass sie sich nicht freiwillig in eine angemessene Behandlung begeben und einer ausreichenden antipsychotischen Medikation zustimmen wird. Es ist kurz- und mittelfristig, d.h. im Verlauf der nächsten 12 Monate, nicht damit zu rechnen, dass die Beschuldigte einer angemessenen Behandlung wird zustimmen können. Weitere Gründe, weshalb eine ambulante Behandlung vorliegend nicht angezeigt ist, erwähnt das Gutachten nicht (Urk. 1/19/20 S. 50 unten bis S. 51 oben, S. 53).
Wie die Vorinstanz richtig erwog, kann es sich in der Praxis ergeben, dass an sich eine ambulante Behandlung indiziert wäre, die betroffene Person damit aber im Moment überfordert ist (BSK StGB-HEER, Art. 63 N. 77). Das Gesetz sieht für diesen Fall vor, dass die zuständige Behörde verfügen kann, dass der täter vorübergehend stationür behandelt wird, wenn dies zur Einleitung der ambulanten Behandlung geboten ist (vgl. Art. 63 Abs. 3 StGB). Dabei handelt es sich um einen zeitlich eingeschränkten Freiheitsentzug zur Vorbereitung des Massnahmeantritts. In Betracht fallen dabei u.a. Anlaufschwierigkeiten bei der Einstellung einer medikamentösen Behandlung, wie sie etwa bei Schizophrenie angezeigt sein kann (BSK StGB-HEER, Art. 63 N. 77).
Es gilt vorab zu bemerken, dass sich das Gutachten nicht zu einer möglichen stationüren Einleitung einer ambulanten Behandlung äussert und damit eine solche auch nicht per se ausschliesst. Es geht jedoch davon aus, dass eine medikamentöse Behandlung gegen den Willen der Beschuldigten zu einer Zustandsverbesserung führen kann.
Gerade in einer Konstellation wie der vorliegenden kann eine ambulante Massnahme stationür eingeleitet werden, wobei die stationüre Behandlung maximal zwei Monate dauert (Art. 63 Abs. 3 Satz 2 StGB). Damit ist zwar ein nicht unerheblicher, jedoch im Vergleich zu einer stationüren Massnahme nach Art. 59 StGB relativ kurz andauernder Eingriff in die Freiheitsrechte der Betroffenen verbunden, welcher sich in Anbetracht der Anlasstaten als verhältnismässig erweist. Mit einer stationüren Einleitung kann die Herstellung einer allgemeinen therapeutischen Ansprechbarkeit bei der Beschuldigten angestrebt werden. Zudem können der bei der Beschuldigten bisher fehlenden Bereitschaft zu einer ausreichend hoch dosierten antipsychotischen Medikation sowie der fehlenden Behandlungsbereitschaft und Krankheitseinsicht zumindest während einer gewissen Dauer in einem stationüren Rahmen begegnet werden. Dies verbunden mit der Hoffnung, allenfalls eine Behandlungsbereitschaft und/oder gar Krankheitseinsicht hinsichtlich der paranoiden Schizophrenie zu wecken. Diese Hoffnung erscheint insbesondere auch deshalb als berechtigt, da soweit aus den Akten ersichtlich die Beschul- digte bisher nie so lange am Stück medikamentös antipsychotisch eingestellt wurde und auch das Gutachten lediglich davon ausgeht, dass eine Behandlungsbereitschaft kurz- und mittelfristig wohl nicht erreicht werden könne und diesbezüglich nicht von einem langfristigen Zeithorizont spricht. Damit verbunden wäre das Ziel, der bestehenden Rückfallgefahr seitens der Beschuldigten im Rahmen einer anschliessenden ambulanten Massnahme erfolgreich entgegenwirken zu können. Mit einer stationüren Einleitung könnte den Bedenken des Gutachters hinsichtlich der Eignung und Erfolgsaussichten einer ambulanten Massnahme Rechnung getragen werden. Es ist somit nicht davon auszugehen, dass eine mit einer statio- nüren Einleitung verbundene ambulante Behandlung vorliegend per se von Anfang an aussichtslos mit anderen Worten ungeeignet ist.
Die Bedenken des derzeitigen Therapeuten der Beschuldigten lässt eine stationüre Einleitung einer ambulanten Massnahme vorliegend jedoch wenig erfolgsversprechend erscheinen. Hierzu trägt auch die diesbezügliche Weigerungshaltung der Beschuldigten bei. Zumindest bezüglich der PTBS welche ebenfalls behandlungsbedürftig ist konnte sodann in der laufenden Therapie bereits eine auf freiwilliger Basis funktionierende Medikamentencompliance erarbeitet werden und die Beschuldigte ist diesbezüglich krankheitseinsichtig. Die Beschuldigte erklärte sodann, die Zusammenarbeit mit ihrem Therapeuten sei gut. Dank des stabilisierenden Settings gelang es der Beschuldigten sodann bislang straffrei zu bleiben. In Anbetracht dieser Tatsachen insbesondere der eingetretenen Stabilisierung des Zustands der Beschuldigten erscheint eine ambulante Massnahme ohne stationüre Einleitung damit gerade noch geeignet, um der Rückfallgefahr der Beschuldigten zu begegnen.
Die Massnahme erscheint sodann auch als im engeren Sinne verhältnismässig. Gemäss Gutachten liegt ein dringendes Behandlungsbedürfnis bezüglich der paranoiden Schizophrenie der Beschuldigten vor, sodann besteht innerhalb eines Jahres gar eine hohe Rückfallwahrscheinlichkeit für die Begehung von Delikten im Rahmen der Anlasstaten. Dass es bezüglich der zu erwartenden Künftigen Delinquenz sodann zu einer gewissen Eskalation kommen dürfte, sollte die Beschuldigte ihre derzeitig freiwillig durchgefährte Therapie aufgeben und damit nicht an ihrer Behandlungsbereitschaft und Krankheitseinsicht hinsichtlich der paranoiden Schizophrenie arbeiten können, scheint sodann ohne Weiteres nachvollziehbar, da sie an ihrer Wahrnehmung der Realität früher später verzweifeln dürfte. Es besteht damit eine vernünftige Relation zur eher geringen Deliktsschwere der Anlasstaten sowie der Ungewissheit hinsichtlich des Wahrscheinlichkeits- und Schweregrads zukönftiger schwererer Delikte.
An dieser Stelle ist zuhanden des Justizvollzugs und Wiedereingliederung darauf hinzuweisen, dass sich die Beschuldigte seit längerer Zeit bei Dr. F. in der Privatklinik Meiringen in Behandlung befindet und es in Anbetracht der bisher erreichten Fortschritte sowie des vorhandenen Vertrauensverhältnisses zwischen der Beschuldigten und ihrem Therapeuten empfehlenswert scheint, zu prüfen, ob
die Behandlung bei ihm im Rahmen der ambulanten Massnahme fortgesetzt wer- den kann. Dr. F. klammert die paranoide Schizophrenie zwar soweit ersichtlich bisher aus seiner Behandlung aus, hat jedoch Kenntnis von der Diagnose und er hat sich offenbar bereits mit dem Gutachten auseinandergesetzt. Es ist in Anbetracht des offenbar bestehenden Vertrauensverhältnisses davon auszugehen, dass es ihm gelingen wird, dass sich die Beschuldigte auch aufgrund der paranoiden Schizophrenie von ihm behandeln lassen wird.
Fazit
Aus dem Gesagten erhellt, dass die Anordnung einer (mehrjährigen) stationüren Massnahme nach Art. 59 StGB in Anbetracht der Anlasstaten und der Legalprognose unverhältnismässig erscheint. Eine ambulante Massnahme mit stationürer Einleitung im Sinne von Art. 63 Abs. 3 StGB erscheint in Hinblick auf eine drohende Traumatisierung und einen damit einhergehenden Rückschritt in der Behandlung der Beschuldigten sodann weniger geeignet als eine ambulante Massnahme i.S.v. Art. 63 Abs. 1 StGB.
1. Die Beschuldigte befand sich vom 10. Dezember 2021, 10.25 Uhr, bis
29. September 2022, 17.00 Uhr, in Untersuchungsbzw. Sicherheitshaft (Urk. 1/23/2 i.V.m. Urk. 86). Sie befand sich damit insgesamt 294 Tage in Haft.
Die amtliche Verteidigung führte aus, der erstandenen Haft könne keinerlei Sanktion angerechnet werden. In Ermangelung einer stationüren Einleitung könne und dürfe einer ambulanten Massnahme sodann keine freiheitsentziehende Wirkung zukommen. Da sämtliche Tage einer zu Unrecht erfolgten Inhaftierung eine besonders schwere Verletzung der persönlichen Verhältnisse darstelle, was bei der Beschuldigten umso mehr gelte. Weil ihr angesichts ihrer Erkrankung eine besondere Haftempfindlichkeit zu attestieren sei, sei der Beschuldigten für 294 Tage erstandene Haft eine Genugtuung von Fr. 200 pro Tag zu entrichten (Urk. 110 S. 26).
Gemäss Art. 51 StGB rechnet das Gericht die Untersuchungshaft, die der täter während dieses eines anderen Verfahrens ausgestanden hat, auf die Strafe an. Die Untersuchungs- und Sicherheitshaft wird nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch an angeordnete stationüre sowie ambulante Massnahmen angerechnet (BGE 141 IV 236 E. 3.8.; BGE 145 IV 359 E. 2.8.2.). Wegen der grundsätzlichen Verschiedenheit von einer ambulanten Massnahme und dem Strafvollzug kommt jedoch in der Regel nur eine beschränkte Anrechnung der ambulanten Behandlung infrage. Das Gericht verfügt dabei über einen erheblichen Ermessensspielraum. Ein fester Umrechnungsmassstab besteht nicht. Die ambulante Massnahme ist jedoch grundsätzlich in dem Masse anrechenbar, wie eine tatsächliche Beschränkung der persönlichen Freiheit vorliegt. Von Bedeutung ist hierfür im Wesentlichen, mit welchem Zeit- und Kostenaufwand die Massnahme für den Betroffenen verbunden war (BGE 145 IV 359 E. 2.8.2. mit Hinweisen). Da im Urteilszeitpunkt weder die genaue Ausgestaltung noch die Dauer der angeordneten ambulanten Massnahme bekannt ist, ist die Frage, in welchem Umfang die Haft an die Massnahme anzurechnen ist und entsprechend auch die Frage, ob allenfalls überhaft vorliegt, welche nach Art. 431 Abs. 2 StPO zu entschädigen wäre, im Rahmen eines Selbständigen nachträglichen Verfahrens im Sinne von Art. 363 StPO nach Abschluss der ambulanten Massnahme zu beurteilen (Urteile des Bundesgerichts 6B_1318/2020 vom 19. Mai 2022 E. 2.2; 6B_375/2018 vom
12. August 2019 E. 2.9 [nicht publ. in: BGE 145 IV 359]).
4. Da vorliegend unklar ist, wie lange die ambulante Massnahme dauern und mit welchen Eingriffen in die Freiheitsrechte der Beschuldigten diese konkret verbun- den sein wird, kann eine Anrechnung der von der Beschuldigten erlittenen Untersuchungs- und Sicherheitshaft zum heutigen Zeitpunkt nicht erfolgen. über einen Allfälligen Anspruch der Beschuldigten auf Haftentschädigung und/oder Genugtu- ung aufgrund einer Allfälligen überhaft kann daher zurzeit ebenfalls nicht entschie- den werden, sondern erst im Rahmen eines entsprechenden Nachverfahrens.
Kostenfolgen
Die Kosten des Berufungsverfahrens tragen die Parteien grundsätzlich nach Massgabe ihres Obsiegens und Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Die Strafprozessordnung sieht im Grundsatz sodann die sinngemüsse Geltung der Bestimmungen zur Kostentragungspflicht für die Selbständigen Massnahmeverfahren vor (Art. 426 Abs. 5 StPO). Davon ausgenommen ist allerdings das Verfahren bei einer schuldunfähigen beschuldigten Person nach Art. 374 StPO und Art. 375 StPO. Für dieses gilt, als lex specialis zu Art. 426 StPO, einzig Art. 419 StPO (BSK StPO- DOMEISEN, Art. 419 N. 8; BSK StPO-DOMEISEN, Art. 426 N. 46; BSK StPO-BOMMER,
Art. 375 N. 24). Demgemäss können einer schuldunfähigen beschuldigten Person die Kosten einzig dann auferlegt werden, wenn dies nach den Umständen billig erscheint (Art. 419 StPO), was über den Wortlaut der Bestimmung hinaus auch für die Entschädigungspflicht gilt (BSK StPO-DOMEISEN, Art. 419 N. 9). Die Kostentragungspflicht der verurteilten Person Gründet auf der Annahme, dass diese, weil verurteilt, verschuldet Anlass zur Verfahrenseinleitung und -betreibung gegeben hat und deshalb die daraus erwachsenen Kosten tragen soll. Die Vorwerfbarkeit der Tat soll die Vorwerfbarkeit ihrer Verfolgung nach sich ziehen. Das Selbständige Massnahmeverfahren nach Art. 374 StPO und Art. 375 StPO kommt jedoch dann zum Tragen, wenn es um die Beurteilung nicht vorwerfbarer Taten geht (BSK StPO- BOMMER, Art. 375 N. 24). Es rechtfertigt sich daher, Art. 419 StPO auch im Berufungsverfahren zur Anwendung zu bringen.
Eine Kostentragung aus BilligkeitsGründen fällt aufgrund der knappen finanziellen Verhältnisse und der angesichts der schweren psychischen Erkrankung unklaren Zukunftsaussichten der Beschuldigten ausser Betracht (vgl. Prot. I S. 15; Urk. 1/19/20; Urk. 110 S. 25 f.; Urk. 109 S. 10 i.V.m. S. 12). Bei dieser Ausgangslage fällt die Gerichtsgebühr für das zweitinstanzliche Verfahren ausser Ansatz und sind die übrigen Kosten des Verfahrens, insbesondere diejenigen der vormaligen und derzeitigen amtlichen Verteidigung, definitiv auf die Gerichtskasse zu nehmen.
Entschädigungsfolgen
Es gilt festzuhalten, dass die vormalige amtliche Verteidigerin der Beschul- digten, Rechtsanwältin lic. iur. X2. , ihrer Honorarnote entsprechend bereits mit Fr. 1'046.15 aus der Gerichtskasse entschädigt wurde (Urk. 101 i.V.m. Urk. 101 A).
Der amtliche Verteidiger der Beschuldigten, Rechtsanwalt lic. iur. X1. , reichte anlässlich der Berufungsverhandlung seine Honorarnote mit der Auflistung seiner Aufwendungen und Auslagen im Berufungsverfahren ein (Urk. 108). Das geltend gemachte Honorar im Umfang von Fr. 6'463.35 steht im Einklang mit den Ansätzen der Anwaltsgebührenverordnung und erweist sich als angemessen, wobei darin Hin- und Rückfahrt zum Obergericht sowie die Verhandlungsdauer und die Nachbesprechung noch nicht enthalten sind. Die amtliche Verteidigung ist deshalb unter BeRücksichtigung des Hin- und Rückwegs, der Verhandlungsdauer sowie einer Nachbesprechung mit insgesamt Fr. 8'000 (inkl. Barauslagen und MwSt.) aus der Gerichtskasse zu entschädigen.
Es wird beschlossen:
Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Zürich - 3. Abteilung vom 29. September 2022 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:
1.-4. (...)
5. Die Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:
CHF 1'200.00 Gerichtsgebühr für das Haftbeschwerdeverfahren vor dem OGZ, Geschäfts-Nr. UB220031-O
CHF 1'200.00 Gerichtsgebühr für das Haftbeschwerdeverfahren vor dem OGZ, Geschäfts-Nr. UB220102-O
CHF 1'000.00 Gerichtsgebühr für das Haftbeschwerdeverfahren vor dem OGZ, Geschäfts-Nr. UB220130-O
CHF 26'779.30 Entschädigung amtliche Verteidigung RAin X2.
Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.
Die Kosten der Untersuchung und der gerichtlichen Verfahren, einschliesslich diejenigen der amtlichen Verteidigung, werden definitiv auf die Gerichtskasse genommen.
Die amtliche Verteidigerin lic. iur. X2.
wird mit CHF 26'779.30
(inkl. MwSt.) aus der Gerichtskasse entschädigt. Von einer Nachforderung wird abgesehen.
(Mitteilungen)
10.-11. (Rechtsmittel)
Mändliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.
Es wird erkannt:
Es wird festgestellt, dass die Beschuldigte A. folgende Tatbestände im Zustand der nicht selbst verschuldeten Schuldunfähigkeit erfüllt hat:
versuchte Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB,
tätlichkeiten im Sinne von Art. 126 Abs. 1 StGB,
Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB.
Es wird eine ambulante Behandlung der Beschuldigten im Sinne von Art. 63 Abs. 1 StGB (ambulante Behandlung psychischer STürungen) angeordnet.
Es wird davon Vormerk genommen, dass sich die Beschuldigte 294 Tage in Untersuchungs- und Sicherheitshaft befunden hat. über die Anrechnung der
Haft sowie einen Allfälligen Genugtuungsanspruch der Beschuldigten ist nach Abschluss der ambulanten therapeutischen Massnahme in einem separaten Verfahren zu entscheiden.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:
Die Kosten des Berufungsverfahrens, einschliesslich diejenigen der vormaligen und aktuellen amtlichen Verteidigung, werden definitiv auf die Gerichtskasse genommen.
Mändliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten (übergeben)
die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl (versandt)
den Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungs- und Vollzugsdienste (versandt)
sowie in vollständiger Ausfertigung an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung Allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz
den Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungs- und Vollzugsdienste
die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit Formular A
die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Bestimmung der Vernichtungs- und Löschungsdaten.
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der gemäss Art. 35 und 35a BGerR zuständigen strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer Zürich, 14. Dezember 2023
Der Präsident:
lic. iur. Ch. Prinz
Die Gerichtsschreiberin:
MLaw A. Blaser
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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