E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SB220604
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB220604 vom 26.09.2023 (ZH)
Datum:26.09.2023
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Raufhandel
Zusammenfassung : Madame A______ hat gegen die Entscheidung des erstinstanzlichen Gerichts Berufung eingelegt, da ihr die Zuteilung jeglicher Unterhaltsbeiträge verweigert wurde. Sie fordert, dass ihr Ehemann monatlich 4500 CHF zahlen soll und dass dieser Betrag jährlich an die schweizerische Verbraucherpreisindex angepasst wird. Ihr Ehemann, Herr C______, hat in seiner Antwort gefordert, die Berufung von Frau A______ abzulehnen und sie mit den Verfahrenskosten zu belasten. Das Gericht hat entschieden, dass Frau A______ monatlich 200 CHF als Unterhaltsbeitrag erhalten soll, da sie nicht in der Lage ist, ihre monatlichen Ausgaben zu decken. Herr C______ wurde angewiesen, diesen Betrag zu zahlen. Die Gerichtskosten für beide Berufungen belaufen sich auf 2700 CHF und werden je zur Hälfte von beiden Parteien getragen. Die Gerichtskosten werden mit der bereits geleisteten Vorauszahlung von 500 CHF von Herrn C______ verrechnet. Frau A______ muss zusätzlich 1350 CHF an die Finanzdienste der Justizbehörde zahlen, während Herr C______ 850 CHF zahlen muss. Jede Partei trägt ihre eigenen Berufungskosten.
Schlagwörter : Verfahren; Beschuldigte; Einzel; Urteil; Beschuldigten; Verfahren; Verfahrens; Vorinstanz; Kollegialgericht; Einzelgericht; Rückweisung; Berufung; Gericht; Urteile; Beratung; Urteils; Anklage; Einzelgerichts; Einzelrichter; Person; Sinne; Staatsanwaltschaft; Verteidiger; ätte
Rechtsnorm:Art. 19 StPO ; Art. 30 BV ; Art. 30 StPO ; Art. 31 BV ; Art. 4 StPO ; Art. 409 StPO ; Art. 428 StPO ;
Referenz BGE:143 IV 408; 147 IV 329;
Kommentar:
-
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB220604-O/U/cwo

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, Oberrichterin lic. iur.

S. Fuchs und Ersatzoberrichterin lic. iur. S. Nabholz sowie der Gerichtsschreiber MLaw L. Zanetti

Beschluss vom 26. September 2023

in Sachen

  1. ,

    Privatkläger und Berufungskläger

    vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,

    sowie

    Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich,

    vertreten durch Staatsanwältin lic. iur. S. Schwarzw?lder,

    Anklägerin

    gegen

  2. ,

Beschuldigter und Berufungsbeklagter verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. Y. ,

betreffend Raufhandel

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Zürich,
9. Abteilung - Einzelgericht, vom 20. Juli 2022 (DG210216)

Erwägungen:

  1. Ausgangslage und Anklagevorwurf

    1. Im Zusammenhang mit einer Strafuntersuchung wegen versuchter Tütung einerseits (Beschuldigter A. ) sowie Raufhandels (Beschuldigte C. ,

      1. und B. ) bzw. qualifizierter Sachbeschädigung (Beschuldigter

      2. ) andererseits erhob die Staatsanwaltschaft am 20. Dezember 2021 am Bezirksgericht Zürich je einzeln Anklage (SB220600, Urk. 73; SB220601, Urk. 61; SB220602, Urk. 67; SB220603, Urk. 67; SB220604 Urk. 64).

    2. Die strafrechtlich relevanten TatVorwürfe gegen die genannten Personen stehen insofern in einem engen materiellen Konnex, als dem Beschuldigten A. zusammengefasst vorgeworfen wird, sich am 27. Juni 2020 im und um das Einkaufszentrum F. in Zürich aufgehalten und ein T-Shirt mit der Aufschrift white lives matter getragen zu haben, worauf es aufgrund des provokan-

      ten Auftritts des Beschuldigten A.

      schliesslich zu einer zunächst verbalen

      und hernach tätlichen Auseinandersetzung mit den Beschuldigten B. , C. und D. gekommen sei. Als im Rahmen dieser tätlichen Auseinan- dersetzung B. zurückgewichen sei und in Richtung Bushaltestelle F.

      ... wegzulaufen versucht habe, habe A. seiner Hosentasche ein kurz zuvor

      im Einkaufszentrum F.

      gekauftes Rüstmesser entnommen und sei an

      C. und D. vorbei schräg von hinten auf B. zu gerannt. In der

      Folge habe A.

      mit dem Messer zwei Mal in den Rücken und mindestens

      drei Mal in den linken Unter- und Oberarm von B. gestochen (SB220601, Urk. 61 S. 2 ff.).

      Die Verfahren gegen die Beschuldigten A. und E. sind wiederum verknüpft, da ihnen vorgeworfen wird, gemeinsam bzw. in Mittäterschaft am 8. Juni 2020 im G. -park eine Jungbuche beschädigt zu haben. Zudem hätten sie sodann wiederum gemeinsam am 10./11. Juni 2020 bzw. nochmals am 13. Juni 2020 eine Linde im H. -park in Zürich beschädigt. Weiter wird ihnen ein gemeinsam begangenes Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz vorgeworfen (SB220600, Urk. 73 S. 2 f.; SB220601, Urk. 61 S. 6 f.).

    3. Aufgrund der Sachverhaltskonstellation betreffend den Vorfall beim

      Einkaufszentrum F.

      ist der in seinem eigenen Verfahren wegen Raufhan-

      dels beschuldigte B. im Strafverfahren gegen A. als Opfer und Privatkläger verfahrensbeteiligt, während der in seinem eigenen Verfahren beschuldigte

      A.

      in den Verfahren wegen Raufhandels gegen B. , C.

      und

      D. als Privatkläger auftritt.

  2. Verschiedene SpruchKörper bei Mittäterschaft bzw. Teilnahme

    1. Die Staatsanwaltschaft erhob trotz eines gemeinsam gefährten Vorverfahrens wie erwähnt je getrennt Anklage gegen die genannten Personen. Dabei wurde nicht spezifiziert, ob Anklage beim Kollegialoder Einzelgericht erhoben werde (SB220600, Urk. 73; SB220601, Urk. 61; SB220602, Urk. 67; SB220603,

      Urk. 67; SB220604, Urk. 67). Für A. beantragte die Staatsanwaltschaft eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren sowie eine Busse in Höhe von Fr. 600

      (SB220601, Urk. 61). Für E.

      beantragte die Staatsanwaltschaft eine

      Freiheitsstrafe von 18 Monaten, eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen zu Fr. 30 sowie eine Busse von Fr. 300 (SB220600, Urk. 73). Für C. , D. und B. wurde je eine Strafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 50 sowie eine Busse von Fr. 200 beantragt (SB220602, Urk. 67; SB220603, Urk. 67; SB220604, Urk.

      67). Die Vorinstanz nahm hierauf die Anklage gegen A. und E. durch

      das Kollegialgericht entgegen, die Verfahren gegen B. , C.

      und

      D.

      sah es in der Kompetenz des Einzelgerichts (SB220600, Urk. 81;

      SB220601, Urk. 83 S. 3; SB220602, Urk. 83 S. 3; SB220603, Urk. 81 S. 2;

      SB220604, Urk. 81 S. 2).

    2. Fraglos ist zwar bei isolierter Betrachtung die sachliche zuständigkeit des Einzelgerichts für die Verfahren gegen die Beschuldigten C. , D. und B. gegeben, während hinsichtlich der Beschuldigten A. und E. das Kollegialgericht als sachlich zuständig zu erachten ist (vgl. Art. 19 Abs. 2 lit. b StPO und 27 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 GOG; zum Ganzen: BGE 147 IV 329 E. 2.6 ff.).

      Indessen birgt der meherer Beschuldigte betreffende Anklagesachverhalt hinsichtlich des Vorfalles beim F. , welcher die täterschaften der genannten Personen in einen thematisch unentflechtbaren Gesamtkontext setzt, bei getrennter Beurteilung unzweifelhaft die Gefahr, sich widersprechender Urteile, ist doch das vorgelagerte verbale und tätliche Vorgehen der Beschuldigten C. ,

      D.

      und B.

      (Raufhandel) massgeblich für die Beurteilung der

      Messerattacke des Beschuldigten A. (versuchte Tütung), was sich bereits

      darin exemplarisch zeigt, als der Beschuldigte A.

      eine Notwehrsituation

      aufgrund des Raufhandels geltend macht und dies darüber hinaus fraglos eine massgebliche Vorfrage zur generellen verschuldensmässigen Einordnung der Messerattacke darstellt. Diese Problematik wurde von keiner Seite in Zweifel gezogen und war insbesondere auch der Vorinstanz bewusst, was sich insbesondere im Umstand zeigte, dass die Vorinstanz für die Behandlung der hängigen Anklagen eine Vorgehensweise mit überschneidenden zuständigkeitsbereichen des Einzel- und Kollegialgerichts wählte. Hierbei wurden die Verfahren vor Vorinstanz zwar in Abweisung des Vereinigungsantrags des

      amtlichen Verteidigers des Beschuldigten A.

      (SB220601, Urk. 96) formell

      getrennt gefährt und einerseits dem Einzelgericht (Verfahren gegen die

      Beschuldigten C. , D.

      und B. ) bzw. dem Kollegialgericht

      (Verfahren gegen A. ) zugeteilt. Andererseits amtete aber der für die

      Beschuldigten C. , D.

      und B.

      zuständige Einzelrichter im

      Kollegialstrafverfahren gegen A.

      als Referent. Gemäss Protokoll wurden

      sodann die Einzelgerichtsverfahren wegen Raufhandels zusammen am 16. Juni 2022 und 24. Juni 2022 durchgefährt, das Kollegialstrafverfahren zusammen mit

      dem Kollegialstrafverfahren gegen E.

      ebenfalls am 16. Juni 2022

      (SB220600, Prot. I. S. 4 ff., SB220601, Prot. I S. 4 ff.; SB202602, Prot. I. S. 4 ff.,

      SB220603, Prot. I. S. 4 ff.; SB220604, Prot. I. S. 4 ff.). sämtliche Verfahren wurden geplant am gleichen Tag, dem 20. Juli 2022, beraten, wobei den Protokollen aber nicht zu entnehmen ist, ob zeitgleich zeitlich nacheinander (SB220601, Prot. I S. 28.; SB220602, Prot. I. S. 8.; SB202603, Prot. I. S. 8; SB220604, Prot. I. S. 25)

    3. Jede Person, deren Sache in einem gerichtlichen Verfahren beurteilt wer- den muss, hat gemäss Art. 30 Abs. 1 BV Anspruch auf ein durch Gesetz geschaffenes, zuständiges, unabhängiges und unparteiisches Gericht (s.a. Art. 4 Abs. 1 StPO). Bei mehreren Tatbeteiligten ist sodann der Grundsatz der Verfahrenseinheit zu beachten, welcher besagt, dass Straftaten insbesondere dann gemeinsam verfolgt und beurteilt werden sollen, wenn Mittäterschaft Teilnahme vorliegt (Art. 29 Abs. 1 lit. b StPO). gestützt auf Art. 30 StPO kann sodann auch in anderen Fällen der Konnexität, d.h. bei Vorliegen von anderen sachlichen Gründen, wenn keine Mittäterschaft Teilnahme vorliegt, eine Verfahrensvereinigung stattfinden. unabhängig von der beantragten Strafe erfolgt deshalb bei objektiver Konnexität, beispielsweise bei Mittätern, in der Regel eine Vereinigung in der Hand desjenigen Gerichts, welches für die schwerste Tat sachlich zuständig ist (OF-Komm. StPO-R IKLIN, 2. Aufl. 2014, Art. 19 N 3).

    4. Wie bereits erwähnt, erfolgte vorliegend trotz erkennbaren Sachzusammenhangs und trotz Antrags auf Verfahrensvereinigung durch den amtlichen Verteidiger des Beschuldigten A. keine einheitliche Behandlung sämtlicher Verfahren durch das Kollegialgericht, obwohl keine gewichtigen sachlichen Gründe für eine Auftrennung auf verschiedene SpruchKörper ersichtlich sind (s.a. Art. 30 StPO; ZH-Kommentar StPO-SCHLEGEL, 3. Aufl. 2020, Art. 29 N 1 ff.). Zunächst ist festzuhalten, dass das Einzelgericht ohne Verzug spätestens am 24. Juni 2022 (statt rund einen Monat später am 20. Juli 2022) zur Urteilsberatung hätte schreiten können, wenn ein sachlicher Zusammenhang zu verneinen gewesen wäre. Gemäss Protokoll wies der Einzelrichter im Rahmen der Hauptverhandlungen jedoch darauf hin, dass die Beratung geplantermassen erst Ende Juli 2022 stattfinden werde (SB220602, Prot. I. S. 4; SB220603 Prot. I.

      S. 4; SB220604, Prot. I S. 22), was auch der Vorsitzende des Kollegialgerichts anlässlich der Hauptverhandlung deklarierte (SB220601, Prot. I. S. 27). Dass bei vorliegender Ausgangslage die Gefahr sich widersprechender Urteile bestand, war der Vorinstanz sodann sehr wohl bewusst, ansonsten die Personalunion Referent/ Einzelrichter gar nicht erst notwendig gewesen wäre. Bereits vor diesem Hintergrund erhellt, dass eine gesonderte Beurteilung der Beschuldigten mit

      unterschiedlichen SpruchKörpern vorliegend in der Sache selbst nicht angezeigt war.

    5. Zu bemerken gilt es im übrigen, dass die Zusammensetzung des Gerichts mit der Personalunion des Einzelrichters als Referent im Kollegialfall keineswegs zufällig erfolgte, sondern vielmehr absichtlich so eingesetzt wurde. Dies widerspricht dem Grundsatz, dass die Gerichtsbesetzung grundsätzlich nach Zufall zu erfolgen hat, wenn denn nicht eine Beurteilung durch den gleichen SpruchKörper angezeigt ist.

    6. Der amtliche Verteidiger des Beschuldigten A. hat denn auch vor Vorinstanz aus den genannten Gründen die Vereinigung der Verfahren beantragt, wobei der Antrag mit Beschluss des Bezirksgerichts Zürich, 9. Abteilung, vom 17. März 2022 abgewiesen worden war (SB220601, Urk. 96). Gegen die entsprechende Verfügung erhob der amtliche Verteidiger des Beschuldigten A. so- dann Beschwerde an die III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich, welche zwar die Notwendigkeit einer Verfahrensvereinigung als nicht gegeben erachtete, aber explizit darauf hinwies, dass es zutreffend sei, dass es in Dossier 1 um einen einzigen Lebenssachverhalt gehe, wobei neben dem Beschwerdeführer auch B. , D. und C. angeklagt worden seien. Mit einer parallelen Beratung dieser Verfahren werde aber der Gefahr sich widersprechender Urteile begegnet (SB220601, Urk. 122 S. 8). Hierbei erhellt, dass auch die Beschwerdekammer erkannte, dass zumindest eine gemeinsam Beurteilung der Verfahren angesichts des konnexen Lebenssachverhaltes unabdingbar war, an- dernfalls die Gefahr sich widersprechende Urteile bestehen würde.

    7. Wenn denn aber vor diesem Hintergrund zweifelsfrei feststeht, dass sowohl das Einzelgericht, als auch das Kollegialgericht und darüber hinaus die Beschwerdekammer von der Notwendigkeit einer aufeinander abgestimmten Urteilsberatung ausgingen, hätte selbst wenn auf eine formelle Verfahrensvereinigung verzichtet werden konnte zwingend der gleiche SpruchKörper sämtliche Verfahren gemeinsam beraten müssen. In der Konstellation, wie dies vorinstanzlich geschehen ist (Einzelgericht mit Personalunion des Einzelrichters als Referent im Kollegialverfahren) war solches formell nicht möglich und das Vorgehen in jeder

      denkbaren Variante einer parallelen Urteilsfindung als unzulässig zu erachten. Dies aus folgenden Gründen:

          1. Sofern wovon aufgrund der bewusst geplanten Beratung sämtlicher Verfahren am gleichen Tag und aufgrund der erkannten Notwendigkeit aufeinan- der abgestimmter Urteile auszugehen ist eine parallele Beratung im Sinne einer gemeinsamen Beratung sämtlicher Verfahren stattfand, masste sich das Kollegialgericht eine nicht deklarierte und damit unzulässige Einflussnahme auf den Einzelrichter bzw. eine nicht formell konstituierte und Mitberatung im Einzelgerichtsverfahren (im Sinne eines Schattenkabinetts) an, womit der verfassungsmässig garantierte Anspruch auf ein zuständiges und unabhängiges Gericht gemäss Art. 30 Abs. 1 BV als grob verletzt zu erachten wäre.

          2. Sollte hingegen wenn auch nur im Sinne einer gedanklichen Sekunde zeitverschoben beraten worden sein, wäre der Einzelrichter bzw. der Referent jedenfalls entweder in den Einzelgerichtsverfahren (wenn das Kollegialurteil zuerst beraten wurde) bzw. im Kollegialverfahren (wenn die Einzelgerichtsurteile zuerst gefällt wurden) als vorbefasst und nicht mehr unabhängig zu erachten, weshalb auch die Möglichkeit dieser Vorgehensweise jedenfalls als nicht zulässig zu erachten ist. In diesem Sinne hatte sich implizit auch bereits die III. Strafkammer im Entscheid vom 31. Mai 2022 geäussert, indem sie festhielt, bei der gewöhlten Vorgehensweise der Vorinstanz werde der Gefahr einer Vorbefassung durch eine parallele Beratung begegnet (SB220601, Urk. 122 S. 8).

        1. Vor dem Hintergrund der erkannten Konnexität hätten die vorstehend dargelegten prozessualen Unwegbarkeiten mithin einzig dadurch vermieden werden können, dass sämtliche Verfahren vom gleichen SpruchKörper behandelt und die Urteile von diesem gemeinsam beraten worden wären. Mit anderen Worten hätten die Verfahren gegen die Beschuldigten C. , D. und B. jedenfalls dem gleichen Kollegialgericht, welches auch das Verfahren gegen den Beschul- digten A. führte, zugewiesen werden müssen. Dieses hätte sodann die Verfahren entweder vereinigen aber, bei getrennter Verfahrensführung, zumin- dest eine gemeinsame Urteilsberatung durchführen müssen.

        2. Entgegen der Ansicht der Vorinstanz im Beschluss vom 17. März 2022 (SB220601, Urk. 96 S. 3) verstösst hierbei eine überweisung eines einzelgerichtlichen Verfahrens an das Kollegialgericht in keiner Weise gegen den Grundsatz des verfassungsmässigen Richters gemäss Art. 31 BV, ist doch die Einführung eines Einzelgerichts gemäss Art. 19 Abs. 2 StPO für die Kantone nicht zwingend und stellt darüber hinaus das Kollegialgericht die Behörde mit gegenüber dem Einzelgericht Erhöhter Urteilslegitimation dar. Wie gezeigt ist bei subjektiver Kon- nexität (wenn ein täter Delikte begeht, bei denen verschiedene Gerichte sachlich zuständig sind), regelmässig das Gericht, welches für die schwerste Tat sachlich zuständig ist, auch zur Beurteilung der geringfügigeren Delikte befugt (OF-Komm. StPO-R IKLIN, 2. Aufl. 2014, Art. 19 N 3 und 4). Nichts anderes hat hinsichtlich objektiv konnexer Verfahren zu gelten.

  3. Rückweisung

    1. sämtlichen Parteien wurde im Berufungsverfahren Frist angesetzt, um bezüglich der Frage der VerfahrensRückweisung eine freigestellte schriftliche Ver- nehmlassung einzureichen. Sowohl die Staatanwaltschaft (SB220601, Urk. 224) als auch die Verteidiger der in separaten Verfahren beschuldigten C. und

      B.

      sprachen sich gegen eine Rückweisung aus (SB220602, Urk. 129;

      SB220603, Urk. 136). Die Verteidigung des Beschuldigten D.

      verzichtete

      auf Stellungnahme (SB220603, Urk. 160). Der Verteidiger des Beschuldigten A. erklärte sinngemäss, eine Rückweisung zu beGrössen, indessen müsse dem Grundsatz der Verfahrensbeschleunigung massgebliches Augenmerk geschenkt werden (SB220601, Urk. 228). Betreffend E. beantragten sowohl die Verteidigung als auch die Staatsanwaltschaft das Absehen von einer Rückweisung (SB220600, Urk. 130 und 132).

    2. Die Berufung ist ein reformatorisches Rechtsmittel, weshalb sich eine Rückweisung an die Vorinstanz nur dann aufdrängt, wenn das erstinstanzliche Verfahren wesentliche Mängel aufweist, die im Berufungsverfahren nicht geheilt werden können. Nur in solchen Fällen hebt das Berufungsgericht das angefochtene Urteil auf und weist die Sache zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung und zur Füllung eines neuen Urteils an das erstinstanzliche

      Gericht zurück (Art. 409 Abs. 1 StPO). Es handelt sich dabei vorab um Fälle, in denen grundlegende Verfahrensregeln verletzt wurden und die Rückweisung zur Wahrung der Parteirechte, in erster Linie zur Vermeidung eines Instanzenverlusts, unumgänglich ist. Dies ist etwa der Fall bei nicht richtiger Besetzung des Gerichts fehlender zuständigkeit, ebenso bei grundlegen Fällen einer Vorbefassung. Damit sind grundsätzlich solche Fälle von einer Rückweisung betroffen, in denen keine ordnungsgemüsse Hauptverhandlung stattfand bzw. kein ordnungsgemüsses kein vollständiges Urteil ergangen ist, der Mangel also derart schwer wiegt, dass die Wesentlichkeit in diesem selbst Gründet und er auch nicht heilbar ist. Damit einhergehend ist nicht zwingend erforderlich, dass sich der Mangel auf den Entscheid ausgewirkt hat (Urteil 6B_1010/2021 vom

      10. Januar 2022 E. 1.4.1 f. mit diversen Hinweisen; BGE 143 IV 408 E. 6.1).

    3. Die getrennte Verfahrensführung hätte vorliegend bei ordnungsgemüsser Durchführung und Urteilsfällung durch das Einzelbzw. das Kollegialgericht zu sich widersprechenden Urteilen führen können, was das Gleichbehandlungs- und damit auch das Fairnessgebot unmittelbar tangiert.

      Diesem Umstand wurde mit der Beratung sämtlicher Urteile am gleichen Tag begegnet, was grundsätzlich eine gemeinsame Beratung impliziert. Diese Konstellation führte aber wie erürtert zu einer groben Verletzung des Grundsatzes des verfassungsmässig zusammengestellten Gerichts, da das Einzelgericht durch die der Richterperson auferlegte Doppelrolle diesfalls kein unabhängiges Urteil Fällen konnte bzw. sich widersprechende Urteile nur durch eine Mitberatung des hierfür nicht konstituierten Kollegialgerichts im Einzelgerichtsverfahren überhaupt denkbar ist. Sollte dem mittels einer zeitverschobenen Beratung begegnet worden sein (was angesichts der terminlichen Abstimmung der Urteilsberatungen nicht zu vermuten ist), war jedenfalls entweder der Einzelrichter der Referent als vorbefasst zu beurteilen. Die vorgenannten Umstände sind in jeder der aufgezählten denkbaren Varianten als schwere VerfahrensMängel zu erachten, die nicht mit im Berufungsverfahren behebbaren Mängeln vergleichbar sind (etwa der Wiederholung einer fehlerhaften Beweisabnahme). führt das Bundesgericht aus,

      eine Rückweisung sei anzuordnen, falls le condamner n'a pas pu bénéficier de débats räguliers de premiüre instance, hat solches auch vorliegend zu gelten.

      Da das Einzelbzw. das Kollegialgericht demnach nicht verfassungskonform zusammengesetzt war, berührt dies sämtliche Urteile der am hiesigen Gericht noch hängigen Verfahren, welche am 22. Juli 2022 durch das fragliche Einzelbzw. Kollegialgericht gemeinsam beraten und entschieden wurden. Dies führt dazu, dass auch der Fall betreffend E. (SB220600) an einem schweren und nicht behebbaren Verfahrensmangel leidet. Zudem waren in jenem Verfahren Vorfälle zu beurteilen, welche E. und A. als Mittäter begangen haben sollen (Vorwurf der Sachbeschädigung, begangen am 8. Juni 2020 im G. -park, am 10./11. Juni 2020 bzw. am 13. Juni 2020 sowie Vergehen gegen das Betäubungsmittelgesetz). Entsprechend müssen diese beiden Verfahren aufgrund des Sachzusammenhangs zwingend auch nach der Rückweisung gemeinsam beurteilt werden können.

      Der vorinstanzliche Entscheid betreffend das Verfahren SB220601 ist daher ebenso wie die vorinstanzlichen Entscheide in den Verfahren SB220600, SB220602, SB220603 und SB220604 aufzuheben und das Verfahren im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei wird die Vorinstanz unbesehen der beantragten Sanktion sämtliche Anklagen gegen die Beschul- digten E. , A. , C. , D. und B. vor dem gleichen Kollegialgericht verhandeln und gemeinsam beraten müssen (OF-Komm. StPO- RIKLIN, 2. Aufl. 2014, Art. 19 N 4). Um jeglichen Anschein der Befangenheit zu vermeiden, ist die Vorinstanz angesichts der vorliegend speziellen Konstellation

      ? gehalten, den neuen Entscheid in neuer Besetzung ohne Mitwirkung der bisherigen Mitglieder des Einzelbzw. Kollegialgerichts zu Fällen.

  4. Kosten- und Entschädigungsfolgen

    4.1 Gemäss Art. 428 Abs. 4 StPO sind bei Rückweisungsentscheiden an die Erstinstanz nicht nur die Kosten des Rechtsmittelverfahrens auf die Staatskasse zu nehmen, sondern auch diejenigen des vorinstanzlichen Verfahrens, soweit sie

    mit den fehlerhaften, zur Aufhebung führenden Verfahrenshandlungen verbunden sind (SCHMID/JOSITSCH, StPO Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, Art. 428 N 15).

      1. Die Gerichtskosten des erst- und zweitinstanzlichen Verfahren sind daher ausgangsgemäss auf die Staatskasse zu nehmen.

      2. über die weiteren Kostenbzw. Entschädigungsfolgen wird die Vorinstanz (erneut) zu befinden haben, zumal noch nicht restlos klar scheint, inwieweit mit der erneut durchzuführenden Hauptverhandlung Allfällige Doppelspurigkeiten entstehen werden. Jedenfalls wird die Vorinstanz den Grundsatz berücksichtigen müssen, dass die unmittelbar aus den genannten VerfahrensMängeln resultierenden Kosten nicht den Beschuldigten auferlegt werden können (Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO; s.a. Urteil 6B_630/2012 vom 15. Juli 2013 E. 4.3). In diesem Lichte wird selbstredend auch eine Allfällige Entschädigung zugunsten der Beschuldigten zu prüfen sein.

      3. Dem Beschuldigten B.

    ist für die anwaltliche Verteidigung im

    Berufungsverfahren Berufungsverfahren im Lichte der bisherigen Verfahrenshandlungen sowie der eingereichten Stellungnahme zur Frage einer VerfahrensRückweisung eine Entschädigung von pauschal Fr. 1'800 (inkl. MwSt. und Barauslagen) zuzusprechen. Der Vertretung des Privatklägers A. wird im Verfahren SB220601, in welchem dieser als beschuldigte Person beteiligt ist, eine Entschädigung zugesprochen.

  5. Rechtsmittel

Das Bundesgericht hat seine bisherige Rechtsprechung hinsichtlich der Anfechtbarkeit von letztinstanzlichen kantonalen Rückweisungsentscheiden jüngst präzisiert und dabei festgehalten, dass gegen Rückweisungsbeschlüsse nach Art. 409 StPO das Rechtsmittel der Beschwerde gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nicht zur Verfügung steht, es sei denn, die beschwerdeführende Partei Rüge mit hinreichender Begründung eine Rechtsverweigerung. Letztere liege aber namentlich nur vor, wenn ein Berufungsgericht wiederholt, mithin im Sinne einer eigentlichen Praxis, systematisch Rückweisungsbeschlüsse wegen eines Ver-

fahrensmangels erlasse, welcher entgegen der gefestigten bundesgerichtlichen Praxis gar nicht als schwerwiegend bzw. heilbar zu qualifizieren sei (zum Ganzen: Urteil 6B_1010/2021 vom 10. Januar 2022 E. 2.1 ff. und E. 2.5). Damit ist ein Allfälliges Rechtsmittel gegen die Rückweisung (Dispositiv-Ziff. 1) nur unter den genannten einschränkenden Voraussetzungen im Sinne Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG zulässig.

Es wird beschlossen:

  1. Das Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 9. Abteilung, vom 20. Juli 2022, wird aufgehoben und der Prozess im Sinne der Erwägungen zur Durchführung einer neuen Hauptverhandlung und Urteilsfällung an die Vorinstanz zurückgewiesen.

  2. Das vorliegende Berufungsverfahren (SB220604-O bzw. in sep. Beschlüssen SB220600, SB220601, SB220602, SB220603) wird als dadurch erledigt abgeschrieben.

  3. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.

  4. Die Gerichtsgebühren für das erst- und zweitinstanzliche Verfahren werden auf die Gerichtskasse genommen.

  5. Dem Beschuldigten wird für die anwaltliche Verteidigung im Berufungsverfahren eine Entschädigung in Höhe von Fr. 1'800 (inkl. MwSt. und Barauslagen) zugesprochen.

  6. über die weiteren Kosten- und Entschädigungsfolgen wird die Vorinstanz zu entscheiden haben.

  7. Schriftliche Mitteilung an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich

    • die Vertretung des Privatklägers A.

    • Rechtsanwalt lic. iur. Z1. , Rechtsanwalt lic. iur. Z2.

      und

      Rechtsanwältin lic. iur. Z3. als amtliche Verteidiger der Beschuldigten E. , C. SB220602 und SB220603)

      und D.

      in den Verfahren SB220600,

      sowie nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist resp. Erledigung Allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz (unter Rücksendung der Akten).

  8. Gegen diesen Entscheid kann (unter den einschränkenden Voraussetzungen von Art. 93 des Bundesgerichtsgesetzes) bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Zürich, 26. September 2023

Der Präsident:

lic. iur. Ch. Prinz

Der Gerichtsschreiber:

MLaw L. Zanetti

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.