Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SB220511 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Strafkammer |
Datum: | 21.08.2023 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Falsche Anschuldigung |
Schlagwörter : | Schuldig; Beschuldigte; Privatkläger; Richt; Beschuldigten; Prot; Berufung; Vorinstanz; Aussage; Aussagen; Verfahren; Beizug; Sexuell; Beizugsakten; Urteil; Recht; Falsch; Staatsanwalt; Privatklägers; Gericht; Entscheid; [Prot; Beweis; Staatsanwaltschaft; Amtlich; Amtliche; Sexuellen; Recht; Falsche |
Rechtsnorm: | Art. 10 StGB ; Art. 10 StPO ; Art. 182 StPO ; Art. 29 BV ; Art. 319 StPO ; Art. 32 BV ; Art. 32 StReG ; Art. 320 StPO ; Art. 382 StPO ; Art. 383 StPO ; Art. 398 StPO ; Art. 399 StPO ; Art. 409 StPO ; Art. 426 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 433 StPO ; Art. 437 StPO ; Art. 82 StPO ; Art. 84 StPO ; Art. 91 StPO ; |
Referenz BGE: | 136 IV 170; 143 IV 408; 146 IV 297; |
Kommentar zugewiesen: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
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Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SB220511-O/U/jv
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. S. Volken, Präsident, Ersatzoberrichterin lic. iur C. Keller und Ersatzoberrichter lic. iur. K. Vogel sowie der Gerichtsschreiber MLaw J. Stegmann
in Sachen
,
Privatkläger und Berufungskläger
sowie
vertreten durch Leitenden Staatsanwalt lic. iur. M. Kehrli,
Anklägerin
gegen
,
Beschuldigte und Berufungsbeklagte
amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin lic. iur. X.
betreffend falsche Anschuldigung
Anklage:
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 23. März 2021 (Urk. 24) ist diesem Urteil beigeheftet.
Urteil der Vorinstanz:
(Urk. 48 S. 27 f.)
«Es wird erkannt:
Die Beschuldigte, B. , ist nicht schuldig und wird vollumfänglich freigespro- chen.
Die folgenden von der Kantonspolizei Zürich am 13. Mai 2019 sichergestellten Gegenstände:
CD Chatverlauf Whatsapp (Asservat Nr. A012'621'497)
werden dem Privatkläger A. nach Eintritt der Rechtskraft auf erstes Verlan- gen herausgegeben.
Das Schadenersatzbegehren des Privatklägers A. wird abgewiesen.
Das Genugtuungsbegehren des Privatklägers A. wird abgewiesen.
Die Entscheidgebühr sowie die übrigen Kosten werden auf die Gerichtskasse ge- nommen.
wird für ihre Bemühungen als amtliche
Verteidigerin der Beschuldigten mit Fr. 9'644.15 (inklusive Barauslagen und Mehr- wertsteuer) aus der Gerichtskasse entschädigt.
Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden definitiv auf die Gerichtskasse ge- nommen.
(Prot. II S. 6)
Des Privatklägers (Urk. 50 S. 1 f., Prot. II S. 8, sinngemäss):
Es sei die Sache zur nochmaligen Beurteilung an das erstinstanzliche Gericht zurückzuweisen.
Schuldspruch im Sinne der Anklageschrift wegen falscher Anschuldi- gung;
Die Beschuldigte sei zu verpflichten, dem Privatkläger als Entschädi- gung für seine Anwaltskosten Fr. 13'200.00 sowie eine Genugtuung von Fr. 500.00 zu bezahlen;
Kostenauflage nach dem Verursacherprinzip.
Der amtlichen Verteidigung der Beschuldigten (Urk. 67):
1. Das vorinstanzliche Urteil des Bezirksgerichtes Uster vom
9. November 2021 sei in sämtlichen Punkten zu bestätigen.
Die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens seien dem Privat- kläger aufzuerlegen.
Die Kosten der amtlichen Verteidigung seien dem Privatkläger aufzuerlegen, eventualiter seien diese auf die Gerichtskasse zu nehmen.
Der Staatsanwaltschaft (Urk. 58, sinngemäss, schriftlich):
Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.
Das vorliegende Strafverfahren dreht sich um eine anfänglich freundschaftliche Beziehung zwischen einer Frau und einem Mann. Im Frühling 2018 erhob die heutige Beschuldigte Strafanzeige gegen den heutigen Privatkläger wegen be- haupteter sexueller Handlungen gegen ihren Willen in der Nacht vom 7. auf den
8. April 2018. Weil sich diesbezüglich, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, die Hinweise weder für eine objektiv erfolgte Nötigung noch für ein bewusstes Han- deln gegen ihren Willen verdichten liessen, wurde das Strafverfahren im Früh- jahr 2019 eingestellt (Beizugsakten Urk. 10). In der Folge erhob der von der Strafanzeige betroffene Mann Gegenanzeige wegen falscher Anschuldigung (Urk. 1).
Vorgeschichte, Gang der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens
Die Beschuldigte erhob die eingangs erwähnte Strafanzeige gegen den Privatkläger am 29. Mai 2018 auf dem Polizeiposten am Bahnhof C. (Bei- zugsakten Urk. 1 S. 1). Darauf wurden die beiden Direktbeteiligten polizeilich be- fragt – sie am 16. Juli 2018, er delegiert am 27. Juli 2018 (Beizugsakten Urk. 4/1 und 4/3). In der Folge wurde das Strafverfahren mit Verfügung vom
24. Januar 2019 eingestellt (Beizugsakten Urk. 10; Art. 319 Abs. 1 StPO). Mitte Februar 2019 erwuchs die Einstellung in Rechtskraft (vgl. Beizugsakten Urk. 11 f.).
Am 26. Februar 2019 erstattete der Privatkläger seinerseits, beim Polizei- posten D. , Strafanzeige gegen die Beschuldigte (Urk. 1). Am 14. März 2019 wurde er dazu polizeilich befragt (Urk. 2), wozu er noch Beweisgegenstände (un- ter anderem ausgedruckte Textnachrichten) mitbrachte (Urk. 1 S. 2, Urk. 5/1). Am
16. April 2019 wurde die Beschuldigte erstmals zum Vorwurf der falschen An- schuldigung von der Polizei befragt (Urk. 3). Auf die daraufhin erfolgte Rapportierung verfügte die Staatanwaltschaft am 6. Dezember 2019, sie nehme mangels Tatbestandsmässigkeit die Untersuchung nicht anhand (Urk. 9; Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO). Die vom Privatkläger dagegen erhobene Beschwerde (Urk. 13/1) hiess die III. Strafkammer des hiesigen Obergerichts gut, und die Staatsanwalt- schaft wurde mit Beschluss vom 27. August 2020 angewiesen, die Strafuntersu- chung zu eröffnen (Urk. 13/7). In der Folge führte die Staatsanwaltschaft Einver- nahmen durch: Sie befragte am 5. Februar 2021 die Beschuldigte (Urk. 14/1) und
den Privatkläger (Urk. 15/1) sowie am 10. März 2021 E.
(den Lebenspartner der Beschuldigten als Zeugen, Urk. 15/2) und erneut die Beschuldigte (in- klusive Schlusseinvernahme, Urk. 14/2). Schliesslich erhob die Staatanwaltschaft mit Datum vom 23. März 2021 Anklage beim Einzelgericht am Bezirksgericht Us- ter (Urk. 24).
Damit ist das vorinstanzliche Urteil im Sinne von Art. 398 Abs. 2 StPO umfassend zu überprüfen.
Urteil des Bundesgerichts 6B_689/2019 vom 25. Oktober 2019 E. 1.5.2, mit Hin- weisen).
Der Zweck des Rechtsmittelverfahrens besteht nicht zuletzt darin, allfällige von der Vorinstanz begangene Fehler zu beheben. Aus Art. 408 f. StPO geht her- vor, dass solche Fehler in der Regel nicht zu einer Rückweisung führen (ZK StPO-ZIMMERLI, Art. 409 N 1). Eine Rückweisung an die erste Instanz stellt die Ausnahme dar und setzt nach Art. 409 Abs. 1 StPO kumulativ voraus, dass das
erstinstanzliche Verfahren grundlegende Mängel aufwies, welche im Berufungs- verfahren nicht geheilt werden können. Auch wenn das Berufungsgericht zum Schluss kommt, es sei kein Freispruch, sondern vielmehr ein Schuldspruch ange- zeigt, führt dies noch nicht zur Rückweisung. Gegebenenfalls kann ohne Weiteres das Berufungsgericht eine Verurteilung vornehmen. Dies hält im Übrigen auch vor der Menschenrechtskonvention stand (ZK StPO-ZIMMERLI, Art. 409 N 3). Das für die Strafprozessordnung typische zweistufige Verfahren mit dem vollkommenen Rechtsmittel der Berufung bringt es mit sich, dass sich das Berufungsgericht nicht selten mit Behauptungen und Beweisen auseinanderzusetzen hat, die der ersten Instanz nicht vorlagen bzw. vor dieser nicht beantragt wurden. Es besteht kein Anspruch darauf, dass sich bereits das erstinstanzliche Gericht mit allen sachver- haltsmässigen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinandersetzte, die beim Be- rufungsgericht zur Beurteilung anstehen und dessen Urteil einfliessen (JO- SITSCH/SCHMID, StPO Praxiskommentar, 4. Aufl., Art. 409 N 3 mit Hinweis auf BGE 143 IV 408 E. 6.3.2).
E. II/3.2), genügt es, wenn das Gericht die wesentlichen Überlegungen nennt, von denen es sich bei seinem Entscheid hat leiten lassen, auf die es diesen abstützt.
Dem kam die Vorinstanz nach, namentlich indem es festhielt, dass sich die Unge- reimtheiten betreffend den konkreten Ablauf jenes Abends, das Verhältnis der Be- teiligten und die Umstände vor der Anzeigeerstattung nicht derart zu einem Gan- zen verdichten würden, dass sich vernünftige Zweifel ausschliessen liessen, dass die Beschuldigte mit den sexuellen Handlungen und dem Geschlechtsverkehr am 7./8. April 2018 eigentlich durchaus einverstanden war und sich nicht dagegen wehrte und sich aber im Nachhinein dafür entschied, den Privatkläger im sicheren
Wissen darum dennoch der Vergewaltigung bzw. sexuellen Nötigung zu bezichti- gen (Urk. 48 E. 2.10.9 S. 24).
Eine Rückweisung an die Vorinstanz ist daher nicht angezeigt.
«Freezing», für den vorliegenden Fall angemessen beurteilen zu können. Das Be- rufungsgericht kann sich dazu aufgrund der vorhandenen Akten ein ausreichendes Bild machen (vgl. E. III/4.12 nachfolgend). Die Voraussetzungen für den Bei- zug einer sachverständigen Person nach Art. 182 StPO sind damit nicht gegeben, sodass dem Antrag nicht stattzugeben ist.
09.00 Uhr nach Hause gekommen sein kann (Urk. 50 Ziff. 1.3), ginge fehl (vgl.
auch E. III/4.9 nachfolgend). Folglich liesse der Grundrissplan keine entscheidre- levanten Aufschlüsse erwarten und muss nicht beigezogen werden.
Der Beschuldigten wird – zusammengefasst – vorgeworfen, dass sie am
29. Mai 2018 gegen den Privatkläger die bereits erwähnte Strafanzeige wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung erhob. Sie habe in den beiden darauf- folgenden Befragungen vom 30. Mai 2018 und 16. Juli 2018 ausgesagt,
dass der Privatkläger sie in der Nacht vom 8. April 2018 an seinem damaligen Wohnort in D. zu sexuellen Handlungen (Küssen, manuelle Befriedigung und Oralbefriedigung) und zum Geschlechtsverkehr genötigt habe,
dass sich der Privatkläger darüber hinweggesetzt habe.
Der Beschuldigten wird in diesem Zusammenhang vorgeworfen, dass sie diese Aussagen gemacht habe, obschon sie gewusst habe,
Es sei der Beschuldigten somit – so der Vorwurf weiter – bewusst gewesen, dass ihre Anschuldigungen hinsichtlich der erzwungenen sexuellen Handlungen gegen
ihren signalisierten Willen nicht der Wahrheit entsprochen hätten. Dass gestützt auf ihre Anzeige und ihre Aussagen ein Strafverfahren gegen den Privatkläger herbeigeführt wurde (welches später eingestellt wurde), habe die Beschuldigte bezweckt oder zumindest in Kauf genommen.
Die Beschuldigte weist die gegen sie erhobenen Vorwürfe von sich (Prot. I
S. 8, Urk. 39 S. 10 ff.), wobei sie anlässlich der heutigen Berufungsverhandlung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machte (Urk. 65 S. 1 f.).
S. S. 15 f.]; Aussage der Beschuldigten, dass sie den Privatkläger die letzten beiden Male gar nicht habe sehen wollen [Prot. II S. 16]; Löschen aller SMS- und WhatsApp-Chats durch die Beschuldigte vor dem Gang zur Polizei [Prot. II
S. 16 f. und 24]; Reaktion der Beschuldigten auf die Sprachnachricht des Privat- klägers bzw. deren Aussagen dazu [Prot. II S. 17]; Aussagen der Beschuldigten zur Frage, wo sie in der fraglichen Nacht übernachtet habe [Prot. II S. 17 bis 19]; Aussagen der Beschuldigten zum Ablauf der geschilderten Vergewaltigung [Prot. II S. 19 bis 20 sowie 22]; betreffend Freezing [Prot. II S. 21 f.]; Aussagen der Beschuldigten zum Hosenausziehen bzw. zu ihrer Bekleidung [Prot. II S. 22]; Aussagen der Beschuldigten zum Thema Viagra [Prot. II S. 22]; Aussagen der
Beschuldigten zu den Hilfeschreien [Prot. II S. 23]; in Bezug auf das Motiv der Beschuldigten sowie zu ihrem Verhalten nach dem Telefonat zwischen dem Pri- vatkläger und ihrem Partner [Prot. II S. 24 und 26]; betreffend Frauenberatungs- stelle [Prot. II S. 25 f.]; betreffend Stimmungslage in der fraglichen Nacht [Prot. II S. 26 bis 28]).
den Privatkläger bei der Polizei erhoben hatte. Die Bezichtigung bezog sich auf ein Verbrechen (Art. 189 f. StGB i.V.m. Art. 10 Abs. 1 und 2 StGB).
Bei der Polizei handelt es sich selbstverständlich um eine «Behörde» im Sinne von Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB (vgl. BSK StGB-DELNON/RÜDY, Art. 303 N 19), ist es doch gerade eine der Kernaufgaben der Polizei, einem geäusserten Verdacht auf eine Straftat nachzugehen und ein Strafverfahren einzuleiten.
Ebenso unzweifelhaft ist, dass das Strafverfahren in der Folge, nach er- folgten polizeilichen Einvernahmen, eingestellt wurde und die entsprechende Ein- stellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 24. Januar 2019 in Rechtskraft erwuchs (Beizugsakten Urk. 10 f.). Die Vorinstanz hielt zutreffend fest, dass der vormals beschuldigte Privatkläger damit gemäss Art. 320 Abs. 4 StPO – gleich ei- nem Freigesprochenen – als vom Vorwurf entlastet und folglich als nicht schuldig der Vergewaltigung bzw. sexuellen Nötigung gilt (Urk. 48 E. 2.6.1 S. 10). Es gibt vorliegend keinen Anlass, an der Nichtschuld des Privatklägers zu zweifeln. Und ohnehin ist das Gericht, jedenfalls in der vorliegenden Konstellation, an den Ein- stellungsentscheid gebunden (BGE 136 IV 170 E. 2.1; vgl. auch PK StGB- PIETH/SCHULTZE 2021, Art. 303 N 2 oder BSK StGB-DELNON/RÜDY, Art. 303 N 11,
je mit weiteren Hinweisen; kritisch dazu die Verteidigung in Urk. 39 S. 10 f.).
Wissens falsch bezichtigte. Lässt sich der Beschuldigten nachweisen, dass ihre Strafanzeige wider besseren Wissens erfolgte, hat sie folglich den Tatbestand der falschen Beschuldigung (Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) erfüllt – wenn nicht, ist sie freizusprechen.
Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass zur Erfüllung des Tatbestands das Bewusstsein, die Behauptung könnte möglicherweise falsch sein, nicht genügt. Man muss vielmehr sicher darum wissen, dass die Anschuldi- gung unwahr ist. Eventualvorsatz scheidet insofern aus (BGE 136 IV 170 E. 2.1 mit Hinweisen; Urteil BGer 6B_662/2022 vom 21. September 2022 E. 2.3.1). Es muss sich um wesentliche Punkte handeln, blosse Übertreibungen erfüllen den Tatbestand noch nicht (vgl. PK StGB-PIETH/SCHULTZE 2021, Art. 303 N 4 sowie BSK StGB-DELNON/RÜDY, Art. 303 N 18, je mit Hinweisen). Aus dem Umstand, dass das gegen eine angezeigte Person eröffnete Strafverfahren später einge- stellt wird, lässt sich nicht direkt ableiten, die Strafanzeige selbst müsse demnach wider besseres Wissen gegen eine nicht schuldige Person erhoben worden sein (BGE 136 IV 170 E. 2.2; Urteil BGer 6B_1352/2021 vom 2. Mai 2022 E. 5).
E. 2.5 S. 9) ausführte, ist vollständig und korrekt, und es ist zwecks Vermeidung von Wiederholungen darauf zu verweisen. Beizupflichten ist der Vorinstanz na- mentlich auch in Bezug darauf, dass die Bejahung eines Anfangstatverdachts durch die III. Strafkammer in ihrem Beschluss vom 27. August 2020 den Ent- scheid des Sachgerichts keineswegs zu präjudizieren vermag (vgl. Urk. 48 E. 2.6.3 S. 11).
Dass das Gericht die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren ge- wonnenen Überzeugung würdigt (Art. 10 Abs. 2 StPO), gilt auch bei der Aufklä- rung des inneren Sachverhalts. Naturgemäss birgt es einige Schwierigkeiten, nachträglich herauszufinden, was eine Person bei einem bestimmten Handeln wusste, wollte bzw. in Kauf nahm.
Wenn, wie hier, für unmittelbar rechtserhebliche Punkte keine direkten Beweise vorliegen, ist der Nachweis anhand von Indizien, das heisst mit indirekten, mittelbaren Beweisen, zu führen. Der Indizienbeweis ist dem direkten Beweis gleich- wertig, wobei die Gesamtheit der einzelnen Indizien, deren «Mosaik», zu würdi- gen ist. Massgebend ist nicht eine isolierte Betrachtung der einzelnen Beweise, welche für sich allein betrachtet nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit begründen und insofern Zweifel offenlassen, sondern deren gesamthafte Würdigung (Urteil BGer 6B_699/ 2018 vom 7. Februar 2019 E. 2.3.2 m.w.H.; ZK StPO-WOHLERS,
Art. 10 N 27; OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Aufl. 2020,
Rz. 1090).
S. 21 f.). Es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass die Beschuldigte im Zeitpunkt ihrer Einvernahme am 16. Juli 2018 rückblickend die Beziehung zum Privatkläger stark subjektiv gefärbt schilderte und dabei Aspekte unerwähnt liess, die ihr nun- mehr unangenehm waren.
ren»]; Urk. 14/1 F/A 74 [«Person, mit der ich gewisse Sachen austauschen konn- te, Sachen, die mich beschäftigten»]). Aus den Nachrichten lässt sich aber – wei- tergehend – auch schliessen, dass das Verhältnis durchaus erotisch konnotiert war, wobei dies im Herbst 2017 von beiden Seiten befeuert wurde. Wenn die Beschuldigte in ihrer Befragung vom 16. Juli 2018 betonte, dass die Initiative in Be- zug auf die Erotik stets von ihm aus gegangen sei (so etwa in Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 18), so lässt sich dies jedenfalls mit dem Chatverlauf nicht objektivie- ren. Aus diesem geht an verschiedenen Stellen hervor, dass sie ihm wiederholt Grund zur Hoffnung darauf gab, dass das Verhältnis auch regelmässig sexuell ge- lebt würde, und dass eine gegenseitige sexuelle Anziehung bestand (Urk. 6/2: 30.9.2017, 04:51:20 [Kuss in die Träume; Wunsch, jetzt noch bei ihm zu sein]; 15.10.2017, 15:29:20 [Dank für die wunderschönen, spannenden, erotischen Stunden, die sie mit ihm habe geniessen dürfen], 15:32:27 [sie habe ihn «leider» schon ein bisschen in ihr Herz geschlossen]; 25.10.2017, ab 13:25 [es sei sehr schön gewesen mit ihm auf dem Bänkchen, und sie würde gerne nochmals hin- gehen]; 28.10.2017, 12:39 [sie habe beim Rennen versucht, ihre verwirrten Ge- danken abzuschütteln; er habe sie ziemlich durcheinander gebracht; sie habe es am Vorabend auch sehr schön mit ihm gefunden; sie freue sich, ihn wiederzuse- hen]; 4.11.2017, 04:26:10 [Dank für die zärtlichen Berührungen und noch vieles mehr]; 7.11.2017, 17:17 [im Zusammenhang mit Putzarbeit beim Privatkläger das Wortspiel mit «Figgi und …»] und 20:35:34 [ihn aus dem Bett holen oder zu ihm ins Bett schlüpfen]; 8.11.2017, 13:30 ff. [Rückblick über ein Treffen; Hinweis zu Alternativen zu Viagra] und 13:59 [Risiko nicht nur auf sexueller Ebene] und 23:03 [sie liege jetzt im Bett und denke an ihn; ja, ein gemeinsames Wochenende wäre schön]; 11.11.2017, 00:34 [verzaubert mit einem Kuss; die Gefühle seien nicht einfach und nicht einfach einzuordnen, aber es sei einfach ein megaschönes Ge- fühl in seiner Nähe]). Die Beschuldigte räumt in der fraglichen Befragung ja auch ein, dass sie in der Anfangsphase mitgemacht habe, dass es nicht gegen ihren Willen geschehen sei (Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 19). Sie übt auch Selbstkritik, indem sie ausführt, dass sie einen Schlussstrich hätte ziehen sollen und dies nicht getan hat (a.a.O. F/A 16). Dennoch ist verständlich, wenn sich der Privatkläger daran stört, wie einseitig die Beschuldigte die Beziehung beschreibt.
S. 2), hatte eine Liebesbeziehung mit dem in H. wohnhaften E. (Bei- zugsakten Urk. 4/1 F/A 126), mit dem sie heute noch zusammenlebt (Prot. II S. 8;
Urk. 65 S. 2), und pflegte überdies immer mal wieder im Geheimen Kontakt zum Privatkläger. Es liegt nahe, dass sie sich in einer labilen schwierigen Situation sah (von ihr so bezeichnet in Urk. 14/2 F/A 27), ja sich in einem moralischen Dilemma befand, und dass sie deshalb die Vorgeschichte unvollständig schilderte. In der Tat scheint es so, dass das Verhältnis der Beiden vor dem 7./8. April 2018 we- sentlich enger und erotischer war, als es von ihr am 16. Juli 2018 geschildert wur- de (so bereits im Beschwerdeentscheid betreffend die Nichtannahmeverfügung, Urk. 13/7 E. 10d S. 20).
«Habe aktuell viele Gedanken die mir durch den Kopf gehen…
Sie sind jedoch nicht negativ obschon es teilweise schwere Kost ist. […] Dan- ke vielmal für alles was du mir gestern und heute gegeben hast;
Materiell, Zärtlichkeit, Zeit und Frieden.»
Darauf antwortete die Beschuldigte am 8. April 2018 um 23:09:18 Uhr (Urk. 6/2):
«[…] ..i danke au dir för de Obe…ben sehr froh hämmer eus no gse. Es het zwar weder e Baustell meh…aber wegluege nützt nüt.
Danke dir velmol för dini Unterstützig ond die schöni Zyt met Dir [Emoji: Gesicht, das einen Kuss sendet].»
manipulativ und eigensinnig (Urk. 14/1 F/A 70 und 89). Aus dem ganzen Prozess- stoff ergeben sich in der Tat Hinweise darauf, dass der Privatkläger besonders unnachgiebig, teils geradezu verbissen und rücksichtslos für seine Ansichten ein- tritt. Dies zeigt sich etwa in seiner Strafanzeige gegen die Verteidigerin und Auf- sichtsbeschwerde gegen die Staatsanwältin (vgl. Urk. 17/4 sowie Urk. 39 S. 9), sodann in der Vehemenz, mit der er seinen Missbrauchsverdacht in Bezug auf den Sohn der Beschuldigten untersucht sehen wollte (Urk. 4/1, 6/3 und 15/1 F/A 43), aber auch sein Vorgehen, den Lebenspartner der Beschuldigten via des- sen Tochter (in Urk. 15/2 F/A 18 glaubhaft beschrieben von E. ) zu kontak- tieren und über seine Liaison zur Beschuldigten samt Zustellung von Screenshots über private Chats zu informieren (Urk. 4/2; Urk. 15/1 F/A 39) und die Beschuldig- te schliesslich auch noch bei ihrem damaligen Noch-Ehemann anzuschwärzen (Urk. 15/1 F/A 49 ff.). Es ist nachvollziehbar, dass dieser Wesenszug der damals verunsicherten Beschuldigten bewusst war (von ihr detailliert beschrieben in Urk. 14/2 F/A 4, von ihm zudem eingeräumt in Prot. I S. 16) und sie effektiv dazu brachte, kurz nach dem Vorfall so zu kommunizieren, als wäre für sie alles nor- mal. Auch E. s Zeugenaussage stützt diese Version (Urk. 15/2 F/A 41 f und 46 ff.). Im Übrigen ist es gerichtsnotorisch, dass das Verhalten von Gewaltbe- troffenen aus objektiver, aussenstehender Sicht oft als irrational und schwer nachvollziehbar erscheint.
Ähnliches lässt sich sagen zum SMS-Chat vom 8. April 2018 um die Mit- tagszeit, als der Privatkläger der Beschuldigten einen Link gesendet hatte mit In- formationen bei Missbrauchsverdachten und sie sich mit der Bitte bedankte, er solle dennoch regelmässig «I. » telefonieren, habe er doch jeweils fast
«übersinnlichi Ohre» (Urk. 6/3 8.4.2018; 11:28).
spräch am Vorabend und anderntags zu differenzieren vermochte von dem von ihr subjektiv Erlebtem (einem sexuellen Übergriff).
Unbestritten und vom Untersuchungsergebnis her klar ist, dass es in der fragli- chen Nacht zu sexuellen Handlungen bis hin zum Geschlechtsverkehr kam. Un- klar ist jedoch vor allem, wie sich die Beschuldigte dabei und danach fühlte, ob sie sich missbraucht vorkam oder ihn vielmehr bewusst falsch bei der Polizei bezich- tigte.
Der Privatkläger stellt diesbezüglich die These auf, dass die Beschuldigte ihn angezeigt habe als Retourkutsche, nachdem er ihren Freund, E. , über die Affäre informiert habe. Der Privatkläger vermutet, dass sie ihrem Partner wohl gesagt habe, sie habe nie etwas mit ihm (dem Privatkläger) gehabt und auch nie etwas haben wollen, worauf der Freund möglicherweise eine Vergewaltigung in Erwägung gezogen habe und sie so auf die Idee gebracht habe, «freundtaugli- che» Aussagen zu machen (so der Privatkläger in Urk. 15/1 F/A 47).
Verfolgung erhöhte (Urk. 6/3 16.5.2018) und er überdies E. am
23. Mai 2018 telefonisch kontaktierte (Urk. 4/2). Die Strafanzeige wurde dann we- nige Tage darauf, am 29. Mai 2018 erstattet (Beizugsakten Urk. 1). Rache als Mo- tiv für eine Falschaussage wäre von daher denkbar.
E. s Zeugenaussagen (Urk. 15/2) stützen diese These indes nicht. Der Beweiswert seiner Aussagen im Strafverfahren über den Vorwurf einer falschen Anschuldigung seitens seiner Lebenspartnerin mag angesichts des Naheverhältnisses nicht allzu hoch sein, die Aussagen sind aber detailliert, in sich stimmig und wirken authentisch. Sie lassen sich jedenfalls nicht widerlegen.
Auch die Aussagen der Beschuldigten selbst zu dieser Thematik erweisen sich als valid. In sich und im Verhältnis zu E. s Aussagen stimmig und zudem differenziert beschrieb sie gegenüber der Staatsanwaltschaft, wie sie der Vorfall vom 7./8. April 2018 stark beschäftigt habe und sie sich ausserdem zur Wehr ha- be setzen wollen gegen die Druckversuche des Privatklägers und seine Andro- hung, ihr mittels Rufschädigung das Leben zur Hölle machen (Urk. 14/1 F/A 25 ff., Urk. 14/2 F/A 4; im Kern bereits so in Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 123 ff.).
Entscheidend ist letztlich aber, ob der Beschuldigten nachgewiesen wer- den kann, dass sie den Privatkläger im sicheren Wissen, die Unwahrheit zu sa- gen, bei der Polizei anzeigte.
E. 2.10.2 S. 20). Beim sogenannten «Freezing» erstarren die Opfer während des sexuellen Übergriffs; ihr Körper reagiert auf die Gefahrensituation mit einem Tot- stellreflex beziehungsweise mit Bewegungsunfähigkeit. Den Opfern ist es so ver- unmöglicht, sich verbal und/oder nonverbal zur Wehr zu setzen (detailliert be- schrieben in BBl 2022 687 S. 35). Einen solchen Schockzustand beschrieb die Beschuldigte nie (kritisch dazu auch der Privatkläger in Urk. 50 Ziff. 1.1 S. 2 ff.). Vielmehr scheint sie sich vor allem daran gestört zu haben, dass er ihre Ableh- nung nicht respektiert habe (vgl. Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 40 ff.).
Der Privatkläger machte vor Vorinstanz eine Genugtuungsforderung in der Höhe von Fr. 500.– geltend (Urk. 37 S. 1) und hält implizit daran auch im Berufungs- verfahren fest (Prot. II S. 8).
Ergeht ein Freispruch aus rechtlichen Gründen (namentlich mangels Erfüllung eines Straftatbestandes), ist die Zivilklage in der Regel abzuweisen. Zu berück- sichtigen ist indes, dass die im Rahmen der Zivilklage geltend gemachten An- sprüche aufgrund der einschlägigen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen zu be- urteilen sind, daher unabhängig davon, ob das der beschuldigten Person vorge- worfene Verhalten gleichzeitig einen Straftatbestand erfüllt (ZK StPO-LIEBER, Art. 126 N 8). Nachdem die Beschuldigte freizusprechen ist und ihr das Verhalten auch in zivilrechtlicher Hinsicht nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, mithin auch eine Beurteilung nach den einschlägigen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen keine Genugtuung begründet, ist das Genugtuungsbegehren des Privat- klägers gemäss Art. 126 Abs. 1 lit. b StPO abzuweisen.
Die von der Kantonspolizei Zürich am 14. März 2019 bloss als Beweismittel sichergestellten Gegenstände (1 Zahnbürste [Ass.-Nr. A01'621'475], 1 Pralinendose [Ass.-Nr. A012'621'486] und 1 CD mit Chatverlauf [Ass.- Nr. A012'621'497]) sind dem Privatkläger, der sie der Polizei übergab, nach Ein- tritt der Rechtskraft dieses Entscheids, auf erstes Verlangen hin herauszugeben, wobei ihm dafür eine 60-tägige Frist anzusetzen ist, andernfalls die Gegenstände der Kantonspolizei Zürich (Asservaten-Triage) zur gutscheinenden Verwendung überlassen sein sollen (so bereits korrekt die Vorinstanz in Urk. 48 E. 4 S. 25 f.). Im Übrigen war der einzig appellierende Privatkläger durch diesen Entscheid der Vorinstanz nicht beschwert.
wird vom Vorwurf der falschen Anschuldigung im
Sinne von Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB freigesprochen.
Das Genugtuungsbegehren des Privatklägers A. wird abgewiesen.
Die nachstehenden von der Kantonspolizei Zürich sichergestellten Gegen- stände:
CD Chatverlauf WhatsApp (Asservat Nr. A012'621'497)
werden dem Privatkläger A. Verlangen herausgegeben.
nach Eintritt der Rechtskraft auf erstes
Das erstinstanzliche Kostendispositiv (Ziff. 5 bis 8) wird bestätigt.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf: Fr. 3'000.– ; die weiteren Kosten betragen:
Fr. 2'600.– amtliche Verteidigung
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten (übergeben)
den Privatkläger A. (übergeben)
die Staatsanwaltschaft See/Oberland (versandt) sowie in vollständiger Ausfertigung an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft See/Oberland
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälli- ger Rechtsmittel an
die Kantonspolizei Zürich, KDM-FS-A, betr. Dispositivziffer 3
die Kantonspolizei Zürich, KDM-ZD, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PoIG).
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Straf- sachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der gemäss Art. 35 und 35a BGerR zuständigen strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebe- nen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichts- gesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer Zürich, 21. August 2023
Der Präsident:
lic. iur. S. Volken
Der Gerichtsschreiber:
MLaw J. Stegmann
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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