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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SB220511
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB220511 vom 21.08.2023 (ZH)
Datum:21.08.2023
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Falsche Anschuldigung
Schlagwörter : Schuldig; Beschuldigte; Privatkläger; Richt; Beschuldigten; Prot; Berufung; Vorinstanz; Aussage; Aussagen; Verfahren; Beizug; Sexuell; Beizugsakten; Urteil; Recht; Falsch; Staatsanwalt; Privatklägers; Gericht; Entscheid; [Prot; Beweis; Staatsanwaltschaft; Amtlich; Amtliche; Sexuellen; Recht; Falsche
Rechtsnorm: Art. 10 StGB ; Art. 10 StPO ; Art. 182 StPO ; Art. 29 BV ; Art. 319 StPO ; Art. 32 BV ; Art. 32 StReG ; Art. 320 StPO ; Art. 382 StPO ; Art. 383 StPO ; Art. 398 StPO ; Art. 399 StPO ; Art. 409 StPO ; Art. 426 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 433 StPO ; Art. 437 StPO ; Art. 82 StPO ; Art. 84 StPO ; Art. 91 StPO ;
Referenz BGE:136 IV 170; 143 IV 408; 146 IV 297;
Kommentar zugewiesen:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Weitere Kommentare:
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB220511-O/U/jv

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. S. Volken, Präsident, Ersatzoberrichterin lic. iur C. Keller und Ersatzoberrichter lic. iur. K. Vogel sowie der Gerichtsschreiber MLaw J. Stegmann

Urteil vom 21. August 2023

in Sachen

  1. ,

    Privatkläger und Berufungskläger

    sowie

    Staatsanwaltschaft See/Oberland,

    vertreten durch Leitenden Staatsanwalt lic. iur. M. Kehrli,

    Anklägerin

    gegen

  2. ,

Beschuldigte und Berufungsbeklagte

amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin lic. iur. X.

betreffend falsche Anschuldigung

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Uster, Einzelgericht, vom 9. November 2021 (GG210014)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft See/Oberland vom 23. März 2021 (Urk. 24) ist diesem Urteil beigeheftet.

Urteil der Vorinstanz:

(Urk. 48 S. 27 f.)

«Es wird erkannt:

  1. Die Beschuldigte, B. , ist nicht schuldig und wird vollumfänglich freigespro- chen.

  2. Die folgenden von der Kantonspolizei Zürich am 13. Mai 2019 sichergestellten Gegenstände:

  3. Das Schadenersatzbegehren des Privatklägers A. wird abgewiesen.

  4. Das Genugtuungsbegehren des Privatklägers A. wird abgewiesen.

  5. Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf Fr. 1'800.–.

  6. Die weiteren Kosten betragen Fr. 1'500.– (Gebühr für das Vorverfahren gemäss § 4 Abs. 1 lit. d GebV StrV).

  7. Die Entscheidgebühr sowie die übrigen Kosten werden auf die Gerichtskasse ge- nommen.

  8. Rechtsanwältin lic. iur. X.

    wird für ihre Bemühungen als amtliche

    Verteidigerin der Beschuldigten mit Fr. 9'644.15 (inklusive Barauslagen und Mehr- wertsteuer) aus der Gerichtskasse entschädigt.

    Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden definitiv auf die Gerichtskasse ge- nommen.

  9. [Mitteilungen]

  10. [Rechtsmittel]»

Berufungsanträge:

(Prot. II S. 6)

  1. Des Privatklägers (Urk. 50 S. 1 f., Prot. II S. 8, sinngemäss):

  2. Der amtlichen Verteidigung der Beschuldigten (Urk. 67):

    1. Das vorinstanzliche Urteil des Bezirksgerichtes Uster vom

    9. November 2021 sei in sämtlichen Punkten zu bestätigen.

    1. Die Kosten des obergerichtlichen Verfahrens seien dem Privat- kläger aufzuerlegen.

    2. Die Kosten der amtlichen Verteidigung seien dem Privatkläger aufzuerlegen, eventualiter seien diese auf die Gerichtskasse zu nehmen.

  3. Der Staatsanwaltschaft (Urk. 58, sinngemäss, schriftlich):

Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.

Erwägungen:

  1. Einleitung

    Das vorliegende Strafverfahren dreht sich um eine anfänglich freundschaftliche Beziehung zwischen einer Frau und einem Mann. Im Frühling 2018 erhob die heutige Beschuldigte Strafanzeige gegen den heutigen Privatkläger wegen be- haupteter sexueller Handlungen gegen ihren Willen in der Nacht vom 7. auf den

    8. April 2018. Weil sich diesbezüglich, nach Ansicht der Staatsanwaltschaft, die Hinweise weder für eine objektiv erfolgte Nötigung noch für ein bewusstes Han- deln gegen ihren Willen verdichten liessen, wurde das Strafverfahren im Früh- jahr 2019 eingestellt (Beizugsakten Urk. 10). In der Folge erhob der von der Strafanzeige betroffene Mann Gegenanzeige wegen falscher Anschuldigung (Urk. 1).

  2. Verfahrensgang und Prozessuales

  1. Vorgeschichte, Gang der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens

    1. Die Beschuldigte erhob die eingangs erwähnte Strafanzeige gegen den Privatkläger am 29. Mai 2018 auf dem Polizeiposten am Bahnhof C. (Bei- zugsakten Urk. 1 S. 1). Darauf wurden die beiden Direktbeteiligten polizeilich be- fragt – sie am 16. Juli 2018, er delegiert am 27. Juli 2018 (Beizugsakten Urk. 4/1 und 4/3). In der Folge wurde das Strafverfahren mit Verfügung vom

      24. Januar 2019 eingestellt (Beizugsakten Urk. 10; Art. 319 Abs. 1 StPO). Mitte Februar 2019 erwuchs die Einstellung in Rechtskraft (vgl. Beizugsakten Urk. 11 f.).

    2. Am 26. Februar 2019 erstattete der Privatkläger seinerseits, beim Polizei- posten D. , Strafanzeige gegen die Beschuldigte (Urk. 1). Am 14. März 2019 wurde er dazu polizeilich befragt (Urk. 2), wozu er noch Beweisgegenstände (un- ter anderem ausgedruckte Textnachrichten) mitbrachte (Urk. 1 S. 2, Urk. 5/1). Am

      16. April 2019 wurde die Beschuldigte erstmals zum Vorwurf der falschen An- schuldigung von der Polizei befragt (Urk. 3). Auf die daraufhin erfolgte Rapportierung verfügte die Staatanwaltschaft am 6. Dezember 2019, sie nehme mangels Tatbestandsmässigkeit die Untersuchung nicht anhand (Urk. 9; Art. 310 Abs. 1 lit. a StPO). Die vom Privatkläger dagegen erhobene Beschwerde (Urk. 13/1) hiess die III. Strafkammer des hiesigen Obergerichts gut, und die Staatsanwalt- schaft wurde mit Beschluss vom 27. August 2020 angewiesen, die Strafuntersu- chung zu eröffnen (Urk. 13/7). In der Folge führte die Staatsanwaltschaft Einver- nahmen durch: Sie befragte am 5. Februar 2021 die Beschuldigte (Urk. 14/1) und

      den Privatkläger (Urk. 15/1) sowie am 10. März 2021 E.

      (den Lebenspartner der Beschuldigten als Zeugen, Urk. 15/2) und erneut die Beschuldigte (in- klusive Schlusseinvernahme, Urk. 14/2). Schliesslich erhob die Staatanwaltschaft mit Datum vom 23. März 2021 Anklage beim Einzelgericht am Bezirksgericht Us- ter (Urk. 24).

    3. Die Vorinstanz befragte an ihrer Hauptverhandlung vom 9. November 2021 nicht nur die Beschuldigte (Prot. I S. 5 ff.), sondern auf seinen Antrag hin (Urk. 31, vgl. auch Urk. 34) auch den Privatkläger (Prot. I S. 12 ff.). Nach den abgeschlos- senen Parteiverhandlungen (Prot. I S. 19 ff.) beriet und fällte das Einzelgericht noch gleichentags sein Urteil und eröffnete dieses mündlich im Sinne von Art. 84 Abs. 1 StPO (Prot. I S. 26 ff.). Die Vorinstanz sprach die Beschuldigte frei und wies die Zivilansprüche des Privatklägers ab. Ihre übrigen Entscheidungen lassen sich dem eingangs zitierten Dispositiv des Urteils entnehmen (Urk. 48 S. 27 f.).

    4. Mit schriftlicher Eingabe vom 19. November 2021 (persönlich überbracht) meldete der Privatkläger rechtzeitig (Art. 399 Abs. 1 StPO) Berufung an, wobei er unter anderem klarstellte, dass er dies ohne anwaltliche Vertretung tue (Urk. 44).

      Am 1. September 2022 wurde das begründete erstinstanzliche Urteil (Urk. 46 = Urk. 48) an die Parteien versandt und ihnen am 6. September 2022 zugestellt (Urk. 47).

    5. Die Berufungserklärung des Privatklägers erfolgte am 26. September 2022 (Datum Poststempel; Urk. 50, Beilagen in Urk. 52/1–2) und damit innert der zwanzigtätigen Frist von Art. 399 Abs. 3 StPO, Art. 91 Abs. 1 und 2 StPO).

      Mit Präsidialverfügung vom 19. Oktober 2022 wurde vom Privatkläger eine Kauti- on in der Höhe von Fr. 3'000.– zur Deckung von allfälligen Prozesskosten und Entschädigungen an die Gegenpartei verlangt (Urk. 53; Art. 383 Abs. 1 StPO). Dieser Aufforderung kam der Privatkläger umgehend nach (Urk. 55), sodass mit Präsidialverfügung vom 27. Oktober 2022 (Urk. 56) je eine Kopie der Berufungs- erklärung der Beschuldigten und der Staatsanwaltschaft zugestellt wurde (Urk. 57), um gegebenenfalls Anschlussberufung zu erheben oder ein Nichteintre- ten auf die Berufung zu beantragen.

      Die Anklagebehörde teilte darauf, am 31. Oktober 2022 mit, dass sie auf An- schlussberufung und die Stellung eines Antrages verzichte (Urk. 58). Die Beschuldigte liess sich innert Frist nicht vernehmen.

      Am 24. April 2023 wurde zur Berufungsverhandlung auf den heutigen Tag vorge- laden, wobei der Staatsanwaltschaft das Erscheinen freigestellt wurde (Urk. 59– 61).

      Zur heutigen Berufungsverhandlung erschienen die Beschuldigte und ihre amtli- che Verteidigerin sowie der Privatkläger (Prot. II S. 6). Vorfragen waren keine zu entscheiden, und – abgesehen von der Einvernahme der Beschuldigten – waren auch keine Beweise abzunehmen (dazu sogleich; Prot. II S. 7 ff.).

      Das Verfahren erweist sich als spruchreif.

  2. Umfang der Berufung

    Gemäss Art. 402 in Verbindung mit Art. 437 StPO hat die Berufung im Umfang der Anfechtung aufschiebende Wirkung. Insoweit wird die Rechtskraft gehemmt.

    Der Privatkläger hat das freisprechende Urteil vollumfänglich angefochten (Urk. 50 S. 1). Er ist gültig konstituiert als Privatkläger im Zivil- und im Strafpunkt (Urk. 17/2) und verlangt einen Schuldspruch unter entsprechender Kostenauflage (Urk. 50) sowie eine Genugtuung (Prot. II S. 8 [zumindest implizit]). Dazu ist er le- gitimiert (Art. 382 Abs. 1 und 2 StPO).

    Damit ist das vorinstanzliche Urteil im Sinne von Art. 398 Abs. 2 StPO umfassend zu überprüfen.

  3. Formelles

    1. Soweit für die tatsächliche und die rechtliche Würdigung des eingeklagten Sachverhaltes auf die Erwägungen der Vorinstanz verwiesen wird, erfolgt dies in Anwendung von Art. 82 Abs. 4 StPO, ohne dass dies explizit Erwähnung findet.

    2. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO) folgt die Pflicht des Gerichts, seinen Entscheid zu begründen. Die Begründung muss kurz die wesentlichen Überlegungen nennen, von denen sich das Gericht hat leiten lassen und auf die es seinen Entscheid stützt. Es darf sich aber auf die wesentlichen Gesichtspunkte beschränken und muss sich nicht aus- drücklich mit jeder tatsächlichen Behauptung und jedem rechtlichen Einwand auseinandersetzen und diese widerlegen. Es kann sich mithin auf die für den Ent- scheid wesentlichen Punkte beschränken. Ebenso wenig lässt sich Art. 6 Ziff. 1 EMRK in der Weise auslegen, dass eine detaillierte Antwort auf jedes Argument gefordert würde (BGE 146 IV 297 E. 2.2.7; 143 III 65 E. 5.2; 141 IV 249 E. 1.3.1;

      Urteil des Bundesgerichts 6B_689/2019 vom 25. Oktober 2019 E. 1.5.2, mit Hin- weisen).

  4. Rückweisungsantrag

    1. In seinem Hauptantrag verlangt der Privatkläger eine Rückweisung ans erstinstanzliche Gericht (Urk. 50 S. 1). Er begründet dies sinngemäss damit, dass der Bezirksrichter Unrichtiges als Entscheidungsgrundlage verwendet habe und in der Würdigung mit keinem Wort darauf eingegangen sei, ob die Beschuldigte nach der angeblichen Vergewaltigung bei ihm (dem Privatkläger) übernachtet ha- be. Ausserdem finde die erste Nachricht der Beschuldigten nach der angeblichen Vergewaltigung (in welcher sie ihm «fasch ‹übersinnlichi Ohre›» attestiert habe) keinerlei Erwähnung im angefochtenen Urteil (Urk. 50 S. 2).

    2. Der Zweck des Rechtsmittelverfahrens besteht nicht zuletzt darin, allfällige von der Vorinstanz begangene Fehler zu beheben. Aus Art. 408 f. StPO geht her- vor, dass solche Fehler in der Regel nicht zu einer Rückweisung führen (ZK StPO-ZIMMERLI, Art. 409 N 1). Eine Rückweisung an die erste Instanz stellt die Ausnahme dar und setzt nach Art. 409 Abs. 1 StPO kumulativ voraus, dass das

      erstinstanzliche Verfahren grundlegende Mängel aufwies, welche im Berufungs- verfahren nicht geheilt werden können. Auch wenn das Berufungsgericht zum Schluss kommt, es sei kein Freispruch, sondern vielmehr ein Schuldspruch ange- zeigt, führt dies noch nicht zur Rückweisung. Gegebenenfalls kann ohne Weiteres das Berufungsgericht eine Verurteilung vornehmen. Dies hält im Übrigen auch vor der Menschenrechtskonvention stand (ZK StPO-ZIMMERLI, Art. 409 N 3). Das für die Strafprozessordnung typische zweistufige Verfahren mit dem vollkommenen Rechtsmittel der Berufung bringt es mit sich, dass sich das Berufungsgericht nicht selten mit Behauptungen und Beweisen auseinanderzusetzen hat, die der ersten Instanz nicht vorlagen bzw. vor dieser nicht beantragt wurden. Es besteht kein Anspruch darauf, dass sich bereits das erstinstanzliche Gericht mit allen sachver- haltsmässigen und rechtlichen Gesichtspunkten auseinandersetzte, die beim Be- rufungsgericht zur Beurteilung anstehen und dessen Urteil einfliessen (JO- SITSCH/SCHMID, StPO Praxiskommentar, 4. Aufl., Art. 409 N 3 mit Hinweis auf BGE 143 IV 408 E. 6.3.2).

    3. Der Privatkläger bringt nichts vor, das geeignet wäre darzutun, das erstin- stanzliche Verfahren sei mangelhaft gewesen. Es bestehen denn auch keine Hinweise dafür. Es war nicht zwingend, dass die Vorinstanz darauf einging, ob bzw. inwiefern es in der vorliegenden Konstellation entscheidrelevant sein könnte, ob die Beschuldigte am fraglichen Tag effektiv bei ihm übernachtete oder nicht und was sie ihm in der ersten SMS- (nicht WhatsApp-) Nachricht nach der betref- fenden Nacht schrieb. Wie bereits zum Gehörsanspruch ausgeführt (siehe oben

      E. II/3.2), genügt es, wenn das Gericht die wesentlichen Überlegungen nennt, von denen es sich bei seinem Entscheid hat leiten lassen, auf die es diesen abstützt.

      Dem kam die Vorinstanz nach, namentlich indem es festhielt, dass sich die Unge- reimtheiten betreffend den konkreten Ablauf jenes Abends, das Verhältnis der Be- teiligten und die Umstände vor der Anzeigeerstattung nicht derart zu einem Gan- zen verdichten würden, dass sich vernünftige Zweifel ausschliessen liessen, dass die Beschuldigte mit den sexuellen Handlungen und dem Geschlechtsverkehr am 7./8. April 2018 eigentlich durchaus einverstanden war und sich nicht dagegen wehrte und sich aber im Nachhinein dafür entschied, den Privatkläger im sicheren

      Wissen darum dennoch der Vergewaltigung bzw. sexuellen Nötigung zu bezichti- gen (Urk. 48 E. 2.10.9 S. 24).

      Zwar hätte man der Vollständigkeit halber auch noch auf die erwähnten Punkte näher eingehen können, zumal der Privatkläger darauf offensichtlich besonders Wert legte. Zwingend war dies jedoch nicht und das Absehen davon auch kein Verfahrensmangel – schon gar kein schwerwiegender.

      Eine Rückweisung an die Vorinstanz ist daher nicht angezeigt.

  5. Beweisanträge

    1. In seiner Berufungserklärung sowie anlässlich der Berufungsverhandlung stellte der Privatkläger die prozessualen Anträge, es solle (1.) eine sachverstän- dige Person klären, ob im konkreten Fall ein «Freezing» möglich respektive realis- tisch sei, und es solle (2.) abgeklärt werden (z.B. durch den Beizug von Grundrissplänen), ob es im damaligen Haus der Beschuldigten ein Schlafzimmer mit Dusche gibt (Urk. 50 S. 2 oben; Prot. II S. 7 und 9).

    2. In seiner Begründung zum ersten dieser Anträge nimmt der Privatkläger darauf Bezug, dass die Vorinstanz es (in Urk. 48 E. 2.10.2 S. 19 f.) als nicht aus- geschlossen bezeichnete, dass es (als Erklärung von fehlender Gegenwehr) bei der Beschuldigten in der fraglichen Situation zu einem Erstarren, einem «Free- zing» kam. Die Argumentation des Privatklägers zielt darauf, dass es nur schon aufgrund der Aussagen der Beschuldigten auszuschliessen sei, dass es bei ihr zu einem Erstarren im Sinne eines Freezing habe kommen können (Urk. 50 S. 2 ff.; Prot. II S. 21 und 28).

      Hierzu ist zunächst zu sagen, dass es sich bei der fraglichen Äusserung der Vorinstanz (zur These eines Freezing) nicht um eine den Entscheid hauptsächlich oder sehr erheblich tragende Erwägung handelt; entsprechend wird der Gedanke auch nur kurz angetippt von der Vorinstanz. Vor allem aber ist keine besondere Fachkunde etwa im Bereich der Psychologie oder Psychotraumatologie erforder- lich, um die Wahrscheinlichkeit eines schockartigen Erstarrungszustands, eines

      «Freezing», für den vorliegenden Fall angemessen beurteilen zu können. Das Be- rufungsgericht kann sich dazu aufgrund der vorhandenen Akten ein ausreichendes Bild machen (vgl. E. III/4.12 nachfolgend). Die Voraussetzungen für den Bei- zug einer sachverständigen Person nach Art. 182 StPO sind damit nicht gegeben, sodass dem Antrag nicht stattzugeben ist.

    3. Den zweiten Antrag begründet der Privatkläger sinngemäss damit, dass die mehreren Aussagen der Beschuldigten über ihr Eintreffen bei sich zu Hause am Morgen des 8. April 2018 (sie sei direkt ins Schlafzimmer gegangen bzw. sie habe als Erstes zu Hause geduscht) logisch nur dann Sinn ergäben, wenn es ein Schlafzimmer mit direkt angrenzender Dusche gebe. Dies sei daher zur Wahr- heitsfindung abzuklären (Urk. 50 S. 5 f.; Prot. II S. 17 f.).

Dem ist nicht zu folgen. Auch diesbezüglich ist eine Beweisergänzung nicht ange- zeigt. Die Aussagenwürdigung vorweg nehmend kann gesagt werden, dass es auf den ganz präzisen Ablauf beim Eintreffen der Beschuldigten bei sich zu Hau- se nicht ankommen kann (ähnlich die Vorinstanz in Urk. 48 E. 2.6.3 S. 11). Es lässt sich nicht der Schluss ziehen, dass wenn der Ablauf nicht konstant genau gleich geschildert wird, die Aussagende gleichsam als Lügnerin überführt wäre (vgl. auch E. III/4.9 nachfolgend). Es ist vielmehr nicht anders zu erwarten, als dass es im Verlaufe mehrerer Befragungen bei Nebensächlichkeiten zu Variatio- nen kommt. Zudem müssen die Aussagen jeweils in den Kontext eingebettet ge- lesen werden (was davor gefragt wurde bzw. worauf effektiv bei der Beantwortung Bezug genommen wurde etc.). Gewisse Holprigkeiten gibt es fast immer. Einmal erinnert man sich ans Duschen als Erstes, ein andermal daran, dass man dann recht schnell das Schlafzimmer aufsuchte. Das ist normal. Gleiches gilt auch in Bezug auf die vom Privatkläger behauptete Widersprüchlichkeit in den Aussagen der Beschuldigten zur Frage der Anwesenheit ihrer Familie bei ihrem Eintreffen zu Hause (Urk. 50 Ziff. 1.3; Prot. II S. 17 f.). Beim Nach-Hause-Kommen in der Nacht oder in den frühen Morgenstunden ist es eine plausible Annahme, dass sich die restlichen (schlafenden) Familienangehörigen – ohne entsprechenden Gegenbe- richt – zu Hause befinden, auch wenn man dies vorgängig nicht überprüft hat. Da- raus nun abzuleiten, dass die Beschuldigte am 8. April 2018 (erst) gegen

09.00 Uhr nach Hause gekommen sein kann (Urk. 50 Ziff. 1.3), ginge fehl (vgl.

auch E. III/4.9 nachfolgend). Folglich liesse der Grundrissplan keine entscheidre- levanten Aufschlüsse erwarten und muss nicht beigezogen werden.

III. Schuldpunkt

  1. Ausgangslage

    1. Der Beschuldigten wird – zusammengefasst – vorgeworfen, dass sie am

      29. Mai 2018 gegen den Privatkläger die bereits erwähnte Strafanzeige wegen sexueller Nötigung und Vergewaltigung erhob. Sie habe in den beiden darauf- folgenden Befragungen vom 30. Mai 2018 und 16. Juli 2018 ausgesagt,

      Es sei der Beschuldigten somit – so der Vorwurf weiter – bewusst gewesen, dass ihre Anschuldigungen hinsichtlich der erzwungenen sexuellen Handlungen gegen

      ihren signalisierten Willen nicht der Wahrheit entsprochen hätten. Dass gestützt auf ihre Anzeige und ihre Aussagen ein Strafverfahren gegen den Privatkläger herbeigeführt wurde (welches später eingestellt wurde), habe die Beschuldigte bezweckt oder zumindest in Kauf genommen.

    2. In rechtlicher Hinsicht wirft die Staatsanwaltschaft der Beschuldigten eine falsche Anschuldigung im Sinne von Art. 303 Ziff. 1 StGB vor (Urk. 24 S. 3).

    3. Die Beschuldigte weist die gegen sie erhobenen Vorwürfe von sich (Prot. I

      S. 8, Urk. 39 S. 10 ff.), wobei sie anlässlich der heutigen Berufungsverhandlung von ihrem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch machte (Urk. 65 S. 1 f.).

    4. Anlässlich der Berufungsverhandlung machte der Privatkläger zusammen- fassend geltend, dass sich aus den diversen Chat-Nachrichten sowie einer Sprachnachricht zwischen der Beschuldigten und ihm ergebe, dass – entgegen der Darstellung der Beschuldigten – zwischen ihnen bereits vor dem 8. April 2018 ein sexuelles Verhältnis bestanden habe. Dieser Umstand führe zu einer anderen Betrachtungsweise der weiteren sich stellenden Fragen (Prot. II S. 10 bis 15).

      Weiter brachte der Privatkläger vor, dass aufgrund der widersprüchlichen Aus- sagen und Verhaltensweisen der Beschuldigten sowie aufgrund mehrerer Chat- Nachrichten feststehe, dass die Beschuldigte lüge (u. a. Geltendmachung einer rein platonischen Beziehung durch die Beschuldigte [Prot. II S. 15]; Aussagen der Beschuldigten, wie häufig sie beim Privatkläger zu Hause gewesen sei [Prot. II

      S. S. 15 f.]; Aussage der Beschuldigten, dass sie den Privatkläger die letzten beiden Male gar nicht habe sehen wollen [Prot. II S. 16]; Löschen aller SMS- und WhatsApp-Chats durch die Beschuldigte vor dem Gang zur Polizei [Prot. II

      S. 16 f. und 24]; Reaktion der Beschuldigten auf die Sprachnachricht des Privat- klägers bzw. deren Aussagen dazu [Prot. II S. 17]; Aussagen der Beschuldigten zur Frage, wo sie in der fraglichen Nacht übernachtet habe [Prot. II S. 17 bis 19]; Aussagen der Beschuldigten zum Ablauf der geschilderten Vergewaltigung [Prot. II S. 19 bis 20 sowie 22]; betreffend Freezing [Prot. II S. 21 f.]; Aussagen der Beschuldigten zum Hosenausziehen bzw. zu ihrer Bekleidung [Prot. II S. 22]; Aussagen der Beschuldigten zum Thema Viagra [Prot. II S. 22]; Aussagen der

      Beschuldigten zu den Hilfeschreien [Prot. II S. 23]; in Bezug auf das Motiv der Beschuldigten sowie zu ihrem Verhalten nach dem Telefonat zwischen dem Pri- vatkläger und ihrem Partner [Prot. II S. 24 und 26]; betreffend Frauenberatungs- stelle [Prot. II S. 25 f.]; betreffend Stimmungslage in der fraglichen Nacht [Prot. II S. 26 bis 28]).

      Überdies rügte der Privatkläger die Vorinstanz mit dem Vorbringen, dass diese die Aussagen der Beschuldigten in der freien Schilderung sowie den Punktbefra- gungen zusammengesetzt habe und nur so zum Schluss gelangt sei, dass die Beschuldigte den Ablauf betreffend Handbefriedigung sowie Oralsex wider- spruchsfrei geschildert habe (Prot. II S. 28). Des Weiteren sei er – entgegen der Ansicht der Vorinstanz – der Meinung, dass es bei der Beschuldigten zu keinem Freezing gekommen sei bzw. beim von der Beschuldigten geschilderten Ablauf gar kein Freezing möglich gewesen wäre (Prot. II S. 21 f. und 28). Von der Vo- rinstanz sei überhaupt nicht thematisiert worden, ob die Beschuldigte bei ihm übernachtet habe. Auch sei unklar, ob die Vorinstanz die SMS-Nachrichten zwi- schen der Beschuldigten und ihm – nach dem von der Vorinstanz geschilderten Bruch in der Kommunikation – berücksichtigt habe. Ausserdem habe die Vo- rinstanz keine Indizienkette gebildet, sondern die einzelnen Indizien jeweils so- gleich wieder beiseite gewischt (Prot. II S. 28 f.).

    5. Die Verteidigerin machte in der Berufungsantwort zusammenfassend gel- tend, dass – unter Verweis auf ihre Ausführungen vor Vorinstanz – das vo- rinstanzliche Urteil zu bestätigen sei (Prot. II S. 29; Urk. 67).

    6. Eine falsche Anschuldigung nach Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB begeht, wer eine nicht schuldige Person wider besseres Wissen bei der Behörde eines Ver- brechens oder eines Vergehens beschuldigt, in der Absicht, eine Strafverfolgung gegen diese Person herbeizuführen.

  2. Objektive Tatbestandselemente

    1. Wie bereits vor Vorinstanz ist unbestritten und in den Akten eindeutig be- legt (Beizugsakten Urk. 1), dass die Beschuldigte die besagte Strafanzeige gegen

      den Privatkläger bei der Polizei erhoben hatte. Die Bezichtigung bezog sich auf ein Verbrechen (Art. 189 f. StGB i.V.m. Art. 10 Abs. 1 und 2 StGB).

    2. Bei der Polizei handelt es sich selbstverständlich um eine «Behörde» im Sinne von Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB (vgl. BSK StGB-DELNON/RÜDY, Art. 303 N 19), ist es doch gerade eine der Kernaufgaben der Polizei, einem geäusserten Verdacht auf eine Straftat nachzugehen und ein Strafverfahren einzuleiten.

    3. Ebenso unzweifelhaft ist, dass das Strafverfahren in der Folge, nach er- folgten polizeilichen Einvernahmen, eingestellt wurde und die entsprechende Ein- stellungsverfügung der Staatsanwaltschaft vom 24. Januar 2019 in Rechtskraft erwuchs (Beizugsakten Urk. 10 f.). Die Vorinstanz hielt zutreffend fest, dass der vormals beschuldigte Privatkläger damit gemäss Art. 320 Abs. 4 StPO – gleich ei- nem Freigesprochenen – als vom Vorwurf entlastet und folglich als nicht schuldig der Vergewaltigung bzw. sexuellen Nötigung gilt (Urk. 48 E. 2.6.1 S. 10). Es gibt vorliegend keinen Anlass, an der Nichtschuld des Privatklägers zu zweifeln. Und ohnehin ist das Gericht, jedenfalls in der vorliegenden Konstellation, an den Ein- stellungsentscheid gebunden (BGE 136 IV 170 E. 2.1; vgl. auch PK StGB- PIETH/SCHULTZE 2021, Art. 303 N 2 oder BSK StGB-DELNON/RÜDY, Art. 303 N 11,

      je mit weiteren Hinweisen; kritisch dazu die Verteidigung in Urk. 39 S. 10 f.).

  3. Absicht, eine Strafverfolgung herbeizuführen

    Wie die Beschuldigte gegenüber der befragenden Polizistin angab, hatte sie sich, nach einigem Ringen mit sich selbst, dazu entschlossen, Strafanzeige zu erheben (Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 123 und 125). Es steht damit ausser Frage, dass die Beschuldigte die Absicht hatte, eine Strafverfolgung gegen den Privatkläger zu bewirken. Für die Erfüllung des Tatbestands unerheblich bleibt, wie weit in der Folge die Strafverfolgung ging (vgl. statt vieler BSK StGB-DELNON/RÜDY, Art. 303 N 28 f.).

  4. Wider besseres Wissen

    1. Wie bereits die Vorinstanz richtig festhielt (Urk. 48 E. 2.6.3 S. 11), ist vor- liegend vor allem umstritten, ob die Beschuldigte den Privatkläger wider besseren

      Wissens falsch bezichtigte. Lässt sich der Beschuldigten nachweisen, dass ihre Strafanzeige wider besseren Wissens erfolgte, hat sie folglich den Tatbestand der falschen Beschuldigung (Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB) erfüllt – wenn nicht, ist sie freizusprechen.

      Besonders hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang, dass zur Erfüllung des Tatbestands das Bewusstsein, die Behauptung könnte möglicherweise falsch sein, nicht genügt. Man muss vielmehr sicher darum wissen, dass die Anschuldi- gung unwahr ist. Eventualvorsatz scheidet insofern aus (BGE 136 IV 170 E. 2.1 mit Hinweisen; Urteil BGer 6B_662/2022 vom 21. September 2022 E. 2.3.1). Es muss sich um wesentliche Punkte handeln, blosse Übertreibungen erfüllen den Tatbestand noch nicht (vgl. PK StGB-PIETH/SCHULTZE 2021, Art. 303 N 4 sowie BSK StGB-DELNON/RÜDY, Art. 303 N 18, je mit Hinweisen). Aus dem Umstand, dass das gegen eine angezeigte Person eröffnete Strafverfahren später einge- stellt wird, lässt sich nicht direkt ableiten, die Strafanzeige selbst müsse demnach wider besseres Wissen gegen eine nicht schuldige Person erhoben worden sein (BGE 136 IV 170 E. 2.2; Urteil BGer 6B_1352/2021 vom 2. Mai 2022 E. 5).

    2. Was die Vorinstanz zu den massgebenden Grundsätzen der Beweiswürdi- gung (Urk. 48 E. 2.4 S. 6 ff.) und zu den verfügbaren Beweismitteln (Urk. 48

      E. 2.5 S. 9) ausführte, ist vollständig und korrekt, und es ist zwecks Vermeidung von Wiederholungen darauf zu verweisen. Beizupflichten ist der Vorinstanz na- mentlich auch in Bezug darauf, dass die Bejahung eines Anfangstatverdachts durch die III. Strafkammer in ihrem Beschluss vom 27. August 2020 den Ent- scheid des Sachgerichts keineswegs zu präjudizieren vermag (vgl. Urk. 48 E. 2.6.3 S. 11).

      Dass das Gericht die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren ge- wonnenen Überzeugung würdigt (Art. 10 Abs. 2 StPO), gilt auch bei der Aufklä- rung des inneren Sachverhalts. Naturgemäss birgt es einige Schwierigkeiten, nachträglich herauszufinden, was eine Person bei einem bestimmten Handeln wusste, wollte bzw. in Kauf nahm.

      Wenn, wie hier, für unmittelbar rechtserhebliche Punkte keine direkten Beweise vorliegen, ist der Nachweis anhand von Indizien, das heisst mit indirekten, mittelbaren Beweisen, zu führen. Der Indizienbeweis ist dem direkten Beweis gleich- wertig, wobei die Gesamtheit der einzelnen Indizien, deren «Mosaik», zu würdi- gen ist. Massgebend ist nicht eine isolierte Betrachtung der einzelnen Beweise, welche für sich allein betrachtet nur eine gewisse Wahrscheinlichkeit begründen und insofern Zweifel offenlassen, sondern deren gesamthafte Würdigung (Urteil BGer 6B_699/ 2018 vom 7. Februar 2019 E. 2.3.2 m.w.H.; ZK StPO-WOHLERS,

      Art. 10 N 27; OBERHOLZER, Grundzüge des Strafprozessrechts, 4. Aufl. 2020,

      Rz. 1090).

    3. Der Privatkläger kritisiert am vorinstanzlichen Urteil, dass die «unterschied- lich beschriebenen ‹Gesamtbilder› der Beschuldigten» nicht erkannt worden seien (Urk. 50 Ziff. 1.4 S. 6 f.). Die vorstehenden Ausführungen zur Gesamtwürdigung im Indizienprozess vor Augen, ist gewissermassen nachvollziehbar, wenn der Pri- vatkläger Wert darauf legt, dass die Beschreibungen der Beschuldigten zur geleb- ten Beziehung mit in die Würdigung einbezogen werden. Der Privatkläger scheint sich davon zu versprechen, dass aus einer erwiesenermassen bewusst falschen Darstellung der Umstände ausserhalb des eigentlichen Kerngeschehens (also ausserhalb des Ablaufs in der Wohnung des Privatklägers in der Nacht vom 7./8. April 2018) geschlossen werden müsste, dass sie ihn bewusst falsch ange- schuldigt hat.

      Die Vorinstanz hat sich mit den Ungereimtheiten in den Schilderungen der Beschuldigten zur Vorgeschichte vor dem 7./8. April 2018 und zum Verhältnis der beiden Direktbeteiligten auseinandergesetzt (vgl. Urk. 48 E. 2.10.4 und 2.10.5

      S. 21 f.). Es gibt tatsächlich Hinweise darauf, dass die Beschuldigte im Zeitpunkt ihrer Einvernahme am 16. Juli 2018 rückblickend die Beziehung zum Privatkläger stark subjektiv gefärbt schilderte und dabei Aspekte unerwähnt liess, die ihr nun- mehr unangenehm waren.

      Sowohl aus dem WhatsApp- (Urk. 6/2 bzw. 5/2) als auch aus dem SMS- Chatverlauf (Urk. 6/3) geht einerseits hervor, dass die Beschuldigte zumindest ei- ne Zeitlang starke Gefühle der Sympathie und des Vertrauens gegenüber dem Privatkläger hatte, so wie sie es denn auch selber beschreibt (Beizugsakten Urk. 4/1 S. 2 oben [«guter Gesprächspartner»] und S. 4 [«kann sehr gut zuhö-

      ren»]; Urk. 14/1 F/A 74 [«Person, mit der ich gewisse Sachen austauschen konn- te, Sachen, die mich beschäftigten»]). Aus den Nachrichten lässt sich aber – wei- tergehend – auch schliessen, dass das Verhältnis durchaus erotisch konnotiert war, wobei dies im Herbst 2017 von beiden Seiten befeuert wurde. Wenn die Beschuldigte in ihrer Befragung vom 16. Juli 2018 betonte, dass die Initiative in Be- zug auf die Erotik stets von ihm aus gegangen sei (so etwa in Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 18), so lässt sich dies jedenfalls mit dem Chatverlauf nicht objektivie- ren. Aus diesem geht an verschiedenen Stellen hervor, dass sie ihm wiederholt Grund zur Hoffnung darauf gab, dass das Verhältnis auch regelmässig sexuell ge- lebt würde, und dass eine gegenseitige sexuelle Anziehung bestand (Urk. 6/2: 30.9.2017, 04:51:20 [Kuss in die Träume; Wunsch, jetzt noch bei ihm zu sein]; 15.10.2017, 15:29:20 [Dank für die wunderschönen, spannenden, erotischen Stunden, die sie mit ihm habe geniessen dürfen], 15:32:27 [sie habe ihn «leider» schon ein bisschen in ihr Herz geschlossen]; 25.10.2017, ab 13:25 [es sei sehr schön gewesen mit ihm auf dem Bänkchen, und sie würde gerne nochmals hin- gehen]; 28.10.2017, 12:39 [sie habe beim Rennen versucht, ihre verwirrten Ge- danken abzuschütteln; er habe sie ziemlich durcheinander gebracht; sie habe es am Vorabend auch sehr schön mit ihm gefunden; sie freue sich, ihn wiederzuse- hen]; 4.11.2017, 04:26:10 [Dank für die zärtlichen Berührungen und noch vieles mehr]; 7.11.2017, 17:17 [im Zusammenhang mit Putzarbeit beim Privatkläger das Wortspiel mit «Figgi und …»] und 20:35:34 [ihn aus dem Bett holen oder zu ihm ins Bett schlüpfen]; 8.11.2017, 13:30 ff. [Rückblick über ein Treffen; Hinweis zu Alternativen zu Viagra] und 13:59 [Risiko nicht nur auf sexueller Ebene] und 23:03 [sie liege jetzt im Bett und denke an ihn; ja, ein gemeinsames Wochenende wäre schön]; 11.11.2017, 00:34 [verzaubert mit einem Kuss; die Gefühle seien nicht einfach und nicht einfach einzuordnen, aber es sei einfach ein megaschönes Ge- fühl in seiner Nähe]). Die Beschuldigte räumt in der fraglichen Befragung ja auch ein, dass sie in der Anfangsphase mitgemacht habe, dass es nicht gegen ihren Willen geschehen sei (Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 19). Sie übt auch Selbstkritik, indem sie ausführt, dass sie einen Schlussstrich hätte ziehen sollen und dies nicht getan hat (a.a.O. F/A 16). Dennoch ist verständlich, wenn sich der Privatkläger daran stört, wie einseitig die Beschuldigte die Beziehung beschreibt.

      Auf Nachfrage hin räumte die Beschuldigte ein, dass es im Frühjahr 2018 noch zu weiteren Vorfällen kam, wo es zu Küssen und Streicheln gekommen sei (a.a.O. F/A 17). Wiederum deckt sich diese Angabe mit dem WhatsApp-Chat, wobei auch hier deutlich immer wieder auch von ihr Initiative ausgeht (Urk. 6/2: 2.2.2018, ab 16:35 [Kontaktnahme von ihr: Sie sei am 9.2. im Ausgang, ob er auch Lust habe, mitzukommen], 5.2.2018, ab 23:27 [Kontaktnahme von ihr: Es sei schön, dass es ihm gehe, ob er auch einen Abend mit ihr verbringen möge – sie denke, bei ihm nicht zuoberst auf der Liste zu stehen]; 10.2.2018, 04:48:46 [sie hoffe, er sei gut heimgekehrt; es sei ein wunderschöner Abend gewesen]; 13.2.2018, ab 10:50 [Kontaktnahme von ihr: Ob er Lust habe, mit ihr skaten zu gehen] und ab 18:04 [rückblickend: Sie habe ihn wirklich gern, und ja, sie hätte auch Lust, ihn zu küs- sen]; ab 20:09 [nach einem Austausch über Selbstbefriedigung schreibt sie, sie habe gedacht, er schlafe heute noch bei/mit ihr; darauf konkrete Vereinbarung ei- nes nächtlichen Treffens, zu dem es offensichtlich kam]; 14.2.2018, 15:49 [auch sie sei in Gedanken ganz nah bei ihm]; ferner 15.2.2018, 15:12:25 [Vorschlag von ihm einer Funkpause, damit er in ihren bevorstehenden Ferien nicht präsent sei, worauf ein neuerlicher Austausch, unter anderem über ihren Körper, stattfindet]; 6.3.2018, 19:18 [Vorschlag von ihr, anderntags gemeinsam ins Schwimmbad zu gehen; 17.3.2018, ab 18:28 [Vorschlag von ihr, gemeinsam in den Ausgang zu gehen, worauf es vermutlich zu einem Gespräch kommt, für das sie sich nach- träglich bedankt]; 28.3.2018, ab 13:57 [Sie glaube, mit ihm Viagra ausprobieren zu wollen]).

      Wenn die Beschuldigte nicht die «ganze Geschichte» erzählte und später keine Aussagen zu ihrem Verhältnis zum Privatkläger resp. zu weiteren und intensive- ren gemeinsamen sexuellen Erlebnissen vor dem 7./8. April 2018 mehr machen wollte (so gegenüber der Polizei am 16. April 2019 [Urk. 3], gegenüber der Staatsanwaltschaft am 5. Februar 2021 [Urk. 14/1 F/A 79 f.], gegenüber der Vo- rinstanz [Prot. I S. 9] und auch heute [Prot. II S. 8; Urk. 65 S. 1 f.]), so könnte das mit Scham zusammenhängen. Sie lebte damals noch mit ihrem damaligen Ehe- mann (F. ) und den gemeinsamen Kindern in G. (Beizugsakten Urk. 1

      S. 2), hatte eine Liebesbeziehung mit dem in H. wohnhaften E. (Bei- zugsakten Urk. 4/1 F/A 126), mit dem sie heute noch zusammenlebt (Prot. II S. 8;

      Urk. 65 S. 2), und pflegte überdies immer mal wieder im Geheimen Kontakt zum Privatkläger. Es liegt nahe, dass sie sich in einer labilen schwierigen Situation sah (von ihr so bezeichnet in Urk. 14/2 F/A 27), ja sich in einem moralischen Dilemma befand, und dass sie deshalb die Vorgeschichte unvollständig schilderte. In der Tat scheint es so, dass das Verhältnis der Beiden vor dem 7./8. April 2018 we- sentlich enger und erotischer war, als es von ihr am 16. Juli 2018 geschildert wur- de (so bereits im Beschwerdeentscheid betreffend die Nichtannahmeverfügung, Urk. 13/7 E. 10d S. 20).

      Dies allerdings muss keineswegs heissen, dass die Beschuldigte folglich die sexuellen Handlungen des Privatklägers in der Nacht vom 7./8. April 2018 inner- lich eigentlich durchaus befürwortete und auch nachträglich persönlich keinerlei Grund gehabt hätte, sich daran zu stören resp. eine Strafanzeige zu erheben.

    4. Aus dem WhatsApp-Chat geht weiter hervor, dass die Beschuldigte am frühen Abend des 7. April 2018 dem Privatkläger auf seine Äusserung von Zwei- feln/ Frustration hin eine gewisse Zurückhaltung signalisierte, indem sie ihm schrieb, sie habe seine Gefühle ihr gegenüber unterschätzt; es sei für sie beide nicht gut (Urk. 6/2 7.4.2018 ab 17:05:03). Um 20:13 Uhr desselben Abends schlug sie ein Treffen für 22:00 Uhr in … vor (Urk. 6/2), worauf er nicht sogleich zurückschrieb. Um 21:54 Uhr schrieb sie noch, dass sie verstehen könne, wenn er nach ihrer verzögerten Rückmeldung nicht geschrieben habe (Urk. 6/2).

      Ihre Worte können als Andeutung verstanden werden, dass es der Beschuldigten effektiv – wie sie geltend macht – vornehmlich um eine Klärung der Beziehung ging, als sie ein Treffen vorschlug (von ihr in Urk. 14/1 F/A 83 f. vorgebracht).

      Sodann ergibt sich aus den Aussagen der Beschuldigten an der Einvernahme vom 16. Juli 2018 (Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 5 S. 2 unten), dass der Privatkläger sie am späteren Abend des 7. April 2018 noch angerufen hatte und sie sich dann noch trafen. Dies ist unstrittig und deckt sich auch mit seiner nächsten WhatsApp- Nachricht vom 8. April 2018, 17:05:42 Uhr (Urk. 6/2), woraus sich ebenfalls ergibt, dass es am Vorabend noch zu einem Treffen kam. Er wirkt in der Nachricht auf- gewühlt:

      «Habe aktuell viele Gedanken die mir durch den Kopf gehen…

      Sie sind jedoch nicht negativ obschon es teilweise schwere Kost ist. […] Dan- ke vielmal für alles was du mir gestern und heute gegeben hast;

      Materiell, Zärtlichkeit, Zeit und Frieden.»

      Darauf antwortete die Beschuldigte am 8. April 2018 um 23:09:18 Uhr (Urk. 6/2):

      «[…] ..i danke au dir för de Obe…ben sehr froh hämmer eus no gse. Es het zwar weder e Baustell meh…aber wegluege nützt nüt.

      Danke dir velmol för dini Unterstützig ond die schöni Zyt met Dir [Emoji: Gesicht, das einen Kuss sendet].»

      Aus der Nachzeichnung des Ablaufs der Vorgeschichte und der Korrespondenz des Folgetags ergeben sich keine klaren Hinweise darauf, was in der Nacht auf den 8. April 2018 in sexueller Hinsicht effektiv passiert sein könnte. Naheliegend scheint, dass sich der Privatkläger mit den geschilderten vielen Gedanken («teil- weise schwere Kost») auf den Gesprächsinhalt der Beiden vom Vorabend bezog. Es liegt auch nahe, dass er sich auf ihr Gespräch über den Sohn der Beschuldig- ten bezog, dessen Erlebnisse mit dem Sporttrainer ihn alarmiert hatten in dem Sinne, dass er einen Missbrauchsverdacht hegte (vgl. Urk. 15/1 F/A 21 und Bei- zugsakten Urk. 4/1 F/A 6), was später noch eine Nachgeschichte haben sollte (vgl. Urk. 6/3 [SMS-Chat ab 8. April 2018], Urk. 4/1, Urk. 40/2). Auch ihre vorste- hend zitierte Antwort deutet darauf hin, dass sie seine Nachricht auf den Miss- brauchsverdacht bezogen verstanden hatte («wegluege nützt nüt»).

    5. Es mag für den Privatkläger irritierend sein, wenn er einer schweren Sexualstraftat bezichtigt wird, nachdem ihm die betreffende Person am Tag nach dem inkriminierten Vorfall noch für den Abend und die schöne gemeinsame Zeit dankt (so in Urk. 6/2, 8.4.2018, 23:09:18 Uhr; vgl. auch Urk. 15/1 F/A 33).

      Die Beschuldigte hat sich zu diesem frappanten Widerspruch gegenüber der Staatsanwaltschaft geäussert. Sie führte aus, dass sie damals nicht gewusst ha- be, ob sie ihn konfrontieren resp. wie sie damit umgehen solle; daher habe sie möglichst neutral antworten und keinen Anlass für Streit geben wollen. Sie habe nicht gewusst, wie sie mit der Situation hätte umgehen sollen; sie sei selber über- fordert gewesen (Urk. 14/1 F/A 133 f., ähnlich in Urk. 14/2 F/A 24).

      Diese Aussage mag zunächst zwar erstaunen. Es ist aber möglich, dass genau dies ihre Beweggründe waren. Die Beschuldigte beschreibt den Privatkläger als

      manipulativ und eigensinnig (Urk. 14/1 F/A 70 und 89). Aus dem ganzen Prozess- stoff ergeben sich in der Tat Hinweise darauf, dass der Privatkläger besonders unnachgiebig, teils geradezu verbissen und rücksichtslos für seine Ansichten ein- tritt. Dies zeigt sich etwa in seiner Strafanzeige gegen die Verteidigerin und Auf- sichtsbeschwerde gegen die Staatsanwältin (vgl. Urk. 17/4 sowie Urk. 39 S. 9), sodann in der Vehemenz, mit der er seinen Missbrauchsverdacht in Bezug auf den Sohn der Beschuldigten untersucht sehen wollte (Urk. 4/1, 6/3 und 15/1 F/A 43), aber auch sein Vorgehen, den Lebenspartner der Beschuldigten via des- sen Tochter (in Urk. 15/2 F/A 18 glaubhaft beschrieben von E. ) zu kontak- tieren und über seine Liaison zur Beschuldigten samt Zustellung von Screenshots über private Chats zu informieren (Urk. 4/2; Urk. 15/1 F/A 39) und die Beschuldig- te schliesslich auch noch bei ihrem damaligen Noch-Ehemann anzuschwärzen (Urk. 15/1 F/A 49 ff.). Es ist nachvollziehbar, dass dieser Wesenszug der damals verunsicherten Beschuldigten bewusst war (von ihr detailliert beschrieben in Urk. 14/2 F/A 4, von ihm zudem eingeräumt in Prot. I S. 16) und sie effektiv dazu brachte, kurz nach dem Vorfall so zu kommunizieren, als wäre für sie alles nor- mal. Auch E. s Zeugenaussage stützt diese Version (Urk. 15/2 F/A 41 f und 46 ff.). Im Übrigen ist es gerichtsnotorisch, dass das Verhalten von Gewaltbe- troffenen aus objektiver, aussenstehender Sicht oft als irrational und schwer nachvollziehbar erscheint.

    6. Ähnliches lässt sich sagen zum SMS-Chat vom 8. April 2018 um die Mit- tagszeit, als der Privatkläger der Beschuldigten einen Link gesendet hatte mit In- formationen bei Missbrauchsverdachten und sie sich mit der Bitte bedankte, er solle dennoch regelmässig «I. » telefonieren, habe er doch jeweils fast

      «übersinnlichi Ohre» (Urk. 6/3 8.4.2018; 11:28).

      Auch hier ist es nicht so, dass aus ihrer Reaktion zu schliessen wäre, sie habe somit unmöglich die sexuellen Handlungen in der Nacht zuvor als Übergriff erle- ben können. Mit den «übersinnlichen Ohren» dürfte sie seine Sensitivität ange- sprochen haben im Zusammenhang mit dem Thema von sexuellen Übergriffen (von ihm beschrieben in Urk. 15/1 F/A 44). Es ist durchaus möglich, dass die Beschuldigte effektiv auch – zusätzlich – darüber beunruhigt war nach dem Ge-

      spräch am Vorabend und anderntags zu differenzieren vermochte von dem von ihr subjektiv Erlebtem (einem sexuellen Übergriff).

    7. Darüber, was in der fraglichen Nacht vom 7. auf den 8. April 2018 in der Wohnung des Beschuldigten effektiv passierte, liegen als Beweise im Wesentli- chen bloss die Aussagen der Beschuldigten und die des Privatklägers vor. Inso- fern liegt eine klassische «Vier-Augen-Konstellation» vor. Die Vorinstanz hat die- se Aussagen in angemessener Ausführlichkeit und inhaltlich korrekt zusammen- gefasst (Urk. 48 E. 2.7–2.8 S. 11–18), darauf kann verwiesen werden.

      Unbestritten und vom Untersuchungsergebnis her klar ist, dass es in der fragli- chen Nacht zu sexuellen Handlungen bis hin zum Geschlechtsverkehr kam. Un- klar ist jedoch vor allem, wie sich die Beschuldigte dabei und danach fühlte, ob sie sich missbraucht vorkam oder ihn vielmehr bewusst falsch bei der Polizei bezich- tigte.

    8. Der Privatkläger stellt diesbezüglich die These auf, dass die Beschuldigte ihn angezeigt habe als Retourkutsche, nachdem er ihren Freund, E. , über die Affäre informiert habe. Der Privatkläger vermutet, dass sie ihrem Partner wohl gesagt habe, sie habe nie etwas mit ihm (dem Privatkläger) gehabt und auch nie etwas haben wollen, worauf der Freund möglicherweise eine Vergewaltigung in Erwägung gezogen habe und sie so auf die Idee gebracht habe, «freundtaugli- che» Aussagen zu machen (so der Privatkläger in Urk. 15/1 F/A 47).

      Die Chronologie der Ereignisse stützt diese These insofern, als der Privatkläger am 16. Mai 2018 seinen Druck wegen seines Missbrauchsverdachts und dessen

      Verfolgung erhöhte (Urk. 6/3 16.5.2018) und er überdies E. am

      23. Mai 2018 telefonisch kontaktierte (Urk. 4/2). Die Strafanzeige wurde dann we- nige Tage darauf, am 29. Mai 2018 erstattet (Beizugsakten Urk. 1). Rache als Mo- tiv für eine Falschaussage wäre von daher denkbar.

      E. s Zeugenaussagen (Urk. 15/2) stützen diese These indes nicht. Der Beweiswert seiner Aussagen im Strafverfahren über den Vorwurf einer falschen Anschuldigung seitens seiner Lebenspartnerin mag angesichts des Naheverhältnisses nicht allzu hoch sein, die Aussagen sind aber detailliert, in sich stimmig und wirken authentisch. Sie lassen sich jedenfalls nicht widerlegen.

      Auch die Aussagen der Beschuldigten selbst zu dieser Thematik erweisen sich als valid. In sich und im Verhältnis zu E. s Aussagen stimmig und zudem differenziert beschrieb sie gegenüber der Staatsanwaltschaft, wie sie der Vorfall vom 7./8. April 2018 stark beschäftigt habe und sie sich ausserdem zur Wehr ha- be setzen wollen gegen die Druckversuche des Privatklägers und seine Andro- hung, ihr mittels Rufschädigung das Leben zur Hölle machen (Urk. 14/1 F/A 25 ff., Urk. 14/2 F/A 4; im Kern bereits so in Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 123 ff.).

      Insgesamt lässt sich konstatieren, dass zwar objektiv gesehen ein Motiv (Rache) für eine falsche Anschuldigung bestanden hätte nach dem impertinenten Verhal- ten des Privatklägers; ein entsprechender Verdacht lässt sich aber nicht erhärten.

    9. Auch was die divergierenden Aussagen zur Thematik, ob die Beschuldigte effektiv beim Privatkläger übernachtet hat in der fraglichen Nacht oder nicht, be- trifft, ergeben sich keine starken Indizien für die eine oder andere Version. Unbe- stritten ist einmal, dass der Vorfall in der Nacht stattfand; die Beschuldigte hat die sexuellen Handlungen bei ihrer Anzeige am 29. Mai 2018 auf zwischen 02:30 Uhr und 03:00 Uhr situiert (Beizugsakten Urk. 1 S. 1; vgl. auch a.a.O. Urk. 4/1 F/A 31). Darauf, ob das Verlassen der Wohnung deutlich später als geschildert erfolgte, kann es letztlich nicht ankommen; man könnte sich auch verschätzt haben.

      Im Übrigen wäre es nicht geradezu undenkbar, dass ein Opfer nach einer statt- gehabten Vergewaltigung seitens eines Bekannten noch die Nacht bei diesem verbringt und erst frühmorgens das Haus verlässt. Auch darüber könnte man rückblickend aus Unverständnis und Scham über das eigene, scheinbar wider- sprüchliche Verhalten unrichtige Angaben machen. Eine Klärung dieses neben- sächlichen Elements (etwa mittels Erhebung von Telefondaten, wie es der Privat- kläger gegenüber seinem damaligen Anwalt verlangt hatte [Urk. 52/1]) hätte daher höchstens einen marginalen, letztlich keinen entscheidenden Einfluss auf das Be- weisergebnis (a.M. der Privatkläger in Urk. 50 Ziff. 1.3 S. 5 und die Verteidigung in Urk. 39 S. 5).

    10. Zwar belastete die Beschuldigte den Privatkläger gravierender sexueller Übergriffe. Bei ihren Schilderungen in ihrer ersten Befragung am 16. Juli 2018 – notabene noch ohne anwaltliche Unterstützung (vgl. auch Urk. 39 S. 3) – fällt indes auf, dass sie differenziert aussagt und den Privatkläger nicht übermässig belastet. Sie räumt namentlich ein, dass er ihre Äusserungen bzw. Gegenwehr anfänglich hat missverstehen können (Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 72 f. und 119.) bzw. dass sie sich für mitschuldig an den Vorkommnissen halte (a.a.O. F/A 6; zutreffend darauf hinweisend schon die Vorinstanz in Urk. 48 E. 2.10.2 S. 20). Bei einer bewussten falschen Anschuldigung wären solche Abschwächungen und selbstkritische Aussagen nicht zu erwarten.

    11. Die Vorinstanz weist sodann zu Recht auf den Bruch in der Kommunikation zwischen der Beschuldigten und dem Privatkläger im Nachgang zum 8. April 2018 hin (Urk. 48 E. 2.10.7). In der Tat fällt auf, dass die Beschuldigte in der Zeit un- mittelbar danach weniger oft, nunmehr per SMS (statt WhatsApp) und in einem weniger vertraulichen Ton mit dem Privatkläger kommuniziert (exemplarisch etwa die SMS-Nachricht vom 3. Mai 2018, 13:40 Uhr [sub Urk. 6/3]). Auch dies spricht als Indiz dafür, dass die Nacht vom 7./8. April 2018 belastende Spuren in der Psyche der Beschuldigten hinterlassen hatte.

    12. Entscheidend ist letztlich aber, ob der Beschuldigten nachgewiesen wer- den kann, dass sie den Privatkläger im sicheren Wissen, die Unwahrheit zu sa- gen, bei der Polizei anzeigte.

      Was dies angeht, kann es aber gut sein, dass sich die Beschuldigte effektiv vom dominanten Privatkläger in die Situation hineinmanövriert sah, so wie sie es im Nachhinein kaum glauben konnte. Es könnte auch sein, dass es sich für sie erst während oder danach als sexuelle Nötigung und Vergewaltigung anfühlte, und sich erst verzögert in ihr das Gefühl breit machte, es sei ihr Unrecht geschehen. Nicht ausgeschlossen scheint sodann, dass sie unter diesem starken Gefühl ihre Gegenwehr übertrieben schilderte, etwa weil sie dachte, sie würde so die Chance einer Verurteilung von ihm erhöhen. Letzteres wäre eine mögliche Erklärung da- für, dass der Privatkläger ebenfalls glaubhafte Aussagen zu deponieren vermoch- te (dazu zutreffend bereits die Vorinstanz in Urk. 48 E. 2.10.3 S. 20 f.).

      Nicht beigepflichtet kann der Vorinstanz, wenn sie im Zusammenhang mit der Gegenwehr die Möglichkeit eines «Freezing» als Möglichkeit sieht (Urk. 48

      E. 2.10.2 S. 20). Beim sogenannten «Freezing» erstarren die Opfer während des sexuellen Übergriffs; ihr Körper reagiert auf die Gefahrensituation mit einem Tot- stellreflex beziehungsweise mit Bewegungsunfähigkeit. Den Opfern ist es so ver- unmöglicht, sich verbal und/oder nonverbal zur Wehr zu setzen (detailliert be- schrieben in BBl 2022 687 S. 35). Einen solchen Schockzustand beschrieb die Beschuldigte nie (kritisch dazu auch der Privatkläger in Urk. 50 Ziff. 1.1 S. 2 ff.). Vielmehr scheint sie sich vor allem daran gestört zu haben, dass er ihre Ableh- nung nicht respektiert habe (vgl. Beizugsakten Urk. 4/1 F/A 40 ff.).

    13. Aus der Gesamtheit der einzelnen Indizien ergibt sich kein «Mosaik», aus dem sich der innere Sachverhalt zweifelsfrei herauslesen liesse. Mit anderen Worten lässt sich eine Bezichtigung wider besseres Wissen der Beschuldigten nicht nachweisen; es verbleiben unüberwindbare Zweifel. Entsprechend ist die Beschuldigte gemäss der in Art. 10 Abs. 3 StPO (sowie Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK) verankerten Maxime «in dubio pro reo» vom Vorwurf der fal- schen Anschuldigung freizusprechen.

  1. Genugtuungsforderung

    Der Privatkläger machte vor Vorinstanz eine Genugtuungsforderung in der Höhe von Fr. 500.– geltend (Urk. 37 S. 1) und hält implizit daran auch im Berufungs- verfahren fest (Prot. II S. 8).

    Ergeht ein Freispruch aus rechtlichen Gründen (namentlich mangels Erfüllung eines Straftatbestandes), ist die Zivilklage in der Regel abzuweisen. Zu berück- sichtigen ist indes, dass die im Rahmen der Zivilklage geltend gemachten An- sprüche aufgrund der einschlägigen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen zu be- urteilen sind, daher unabhängig davon, ob das der beschuldigten Person vorge- worfene Verhalten gleichzeitig einen Straftatbestand erfüllt (ZK StPO-LIEBER, Art. 126 N 8). Nachdem die Beschuldigte freizusprechen ist und ihr das Verhalten auch in zivilrechtlicher Hinsicht nicht zum Vorwurf gemacht werden kann, mithin auch eine Beurteilung nach den einschlägigen zivilrechtlichen Anspruchsgrundlagen keine Genugtuung begründet, ist das Genugtuungsbegehren des Privat- klägers gemäss Art. 126 Abs. 1 lit. b StPO abzuweisen.

  2. Sichergestellte Gegenstände

    Die von der Kantonspolizei Zürich am 14. März 2019 bloss als Beweismittel sichergestellten Gegenstände (1 Zahnbürste [Ass.-Nr. A01'621'475], 1 Pralinendose [Ass.-Nr. A012'621'486] und 1 CD mit Chatverlauf [Ass.- Nr. A012'621'497]) sind dem Privatkläger, der sie der Polizei übergab, nach Ein- tritt der Rechtskraft dieses Entscheids, auf erstes Verlangen hin herauszugeben, wobei ihm dafür eine 60-tägige Frist anzusetzen ist, andernfalls die Gegenstände der Kantonspolizei Zürich (Asservaten-Triage) zur gutscheinenden Verwendung überlassen sein sollen (so bereits korrekt die Vorinstanz in Urk. 48 E. 4 S. 25 f.). Im Übrigen war der einzig appellierende Privatkläger durch diesen Entscheid der Vorinstanz nicht beschwert.

  3. Kosten- und Entschädigungsfolgen

  1. Erstinstanzliche Kostenfolgen

    Fällt die Rechtsmittelinstanz selber einen neuen Entscheid, so befindet sie darin auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung (Art. 428 Abs. 3 StPO). Da es auch im Berufungsverfahren beim Freispruch bleibt und der Beschuldigten kein prozessuales Verschulden vorzuwerfen ist (Art. 426 Abs. 1 und 2 StPO), ist die erstinstanzliche Kostenfestsetzung und -auflage gemäss den Dis- positivziffern 5 bis 8 zu bestätigen.

    Die Voraussetzungen für die Zusprechung einer Entschädigung für die Aufwen- dungen des Privatklägers nach Art. 433 Abs. 1 StPO sind nicht erfüllt – er obsiegt nicht (lit. a) und der Beschuldigten werden keine Kosten auferlegt (lit. b; siehe oben). Demnach ist auch die erstinstanzliche Abweisung des entsprechenden Entschädigungsanspruchs (Dispositivziffer 3) nicht zu beanstanden.

  2. Kosten des Berufungsverfahrens / Entschädigung der amtlichen Verteidi- gung

    1. Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren ist auf Fr. 3'000.– festzu- setzen (§ 16 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 GebV OG, vgl. auch Urk. 53). Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens oder Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Der Privatkläger unterliegt mit seinen Berufungsanträgen vollumfänglich, weshalb ihm ausgangsgemäss die Kosten des Berufungsverfahrens aufzuerlegen sind.

    2. Die amtliche Verteidigerin der Beschuldigten machte für das Berufungs- verfahren einen Aufwand von Fr. 2'804.60 geltend (Urk. 64), welcher Aufwand ausgewiesen ist und angemessen erscheint. Unter Berücksichtigung der tatsäch- lichen Dauer der Berufungsverhandlung von knapp drei Stunden (Prot. II S. 6 und 32), anstelle der in der Honorarnote geschätzten viereinhalb Stunden (Urk. 64), ist die amtliche Verteidigerin für ihre Bemühungen und Auslagen mit pauschal Fr. 2'600.– (inkl. MwSt. und Barauslagen) zu entschädigen. Diese Kosten der amtlichen Verteidigung sind ausgangsgemäss ebenfalls dem Privatkläger aufzu- erlegen.

    3. Somit sind dem Privatkläger die Kosten des Berufungsverfahrens, inklusive die Kosten der amtlichen Verteidigung, aufzuerlegen. Die durch den Privatkläger geleistete Prozesskaution von Fr. 3'000.– ist zur teilweisen Deckung der ihm auf- erlegten Kosten des Berufungsverfahrens zu verwenden.

Es wird erkannt:

  1. Die Beschuldigte B.

    wird vom Vorwurf der falschen Anschuldigung im

    Sinne von Art. 303 Ziff. 1 Abs. 1 StGB freigesprochen.

  2. Das Genugtuungsbegehren des Privatklägers A. wird abgewiesen.

  3. Die nachstehenden von der Kantonspolizei Zürich sichergestellten Gegen- stände:

  4. Das erstinstanzliche Kostendispositiv (Ziff. 5 bis 8) wird bestätigt.

  5. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf: Fr. 3'000.– ; die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 2'600.– amtliche Verteidigung

  6. Die Kosten des Berufungsverfahrens, inklusive die Kosten der amtlichen Verteidigung, werden dem Privatkläger auferlegt.

    Die durch den Privatkläger geleistete Prozesskaution von Fr. 3'000.– wird zur teilweisen Deckung der ihm auferlegten Kosten des Berufungsverfah- rens verwendet.

  7. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

  8. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Straf- sachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der gemäss Art. 35 und 35a BGerR zuständigen strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebe- nen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichts- gesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 21. August 2023

Der Präsident:

lic. iur. S. Volken

Der Gerichtsschreiber:

MLaw J. Stegmann

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Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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