Zusammenfassung des Urteils SB220483: Obergericht des Kantons Zürich
Der Beschuldigte wurde freigesprochen und ist nicht schuldig. Die Kosten des Verfahrens werden auf die Gerichtskasse genommen. Die Staatsanwaltschaft unterliegt im Berufungsverfahren, weshalb der Beschuldigte nur zu vier Fünfteln die Kosten tragen muss. Die Freiheitsstrafe von 7 Monaten wird aufgeschoben, und der Beschuldigte erhält eine Probezeit von 2 Jahren. Eine Busse von Fr. 1'200.- ist zu bezahlen, andernfalls droht eine Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Tagen. Der amtliche Verteidiger wird mit Fr. 2'500.- entschädigt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SB220483 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Strafkammer |
Datum: | 07.03.2023 |
Rechtskraft: | - |
Leitsatz/Stichwort: | Qualifiziert grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Rückweisung des Schweizerischen Bundesgerichtes) |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Beschuldigten; Beruf; Berufung; Urteil; Bundesgericht; Verfahren; Staat; Notstand; Ehefrau; Geschwindigkeit; Gericht; Freiheit; Freiheitsstrafe; Verfahren; Staatsanwalt; Winterthur; Staatsanwaltschaft; Verteidigung; Bundesgerichts; Vorinstanz; Täter; Verletzung; Verkehrsregeln; Sinne; Busse; Berufungsverfahren; Gefahr; überschreitung |
Rechtsnorm: | Art. 105 StGB ;Art. 106 StGB ;Art. 135 StPO ;Art. 17 StGB ;Art. 18 StGB ;Art. 27 SVG ;Art. 34 StGB ;Art. 41 StGB ;Art. 42 StGB ;Art. 424 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 44 StGB ;Art. 45 StGB ;Art. 47 StGB ;Art. 48a StGB ;Art. 50 StGB ;Art. 51 StGB ;Art. 90 StGB ; |
Referenz BGE: | 106 IV 1; 110 IV 9; 129 IV 6; 136 IV 55; 143 IV 214; 144 IV 313; 97 IV 77; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SB220483-O/U/ad
Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Spiess, Präsident, Oberrichter lic. iur. Wenker und Oberrichterin lic. iur. Bertschi sowie Gerichtsschreiber MLaw Andres
Urteil vom 7. März 2023
in Sachen
vertreten durch Leitenden Staatsanwalt lic. iur. Michel,
Anklägerin und Berufungsklägerin
gegen
Beschuldigter und Berufungsbeklagter
amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt Dr. iur. X. ,
betreffend qualifiziert grobe Verletzung der Verkehrsregeln (Rückweisung des Schweizerischen Bundesgerichtes)
Anklage:
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland vom 10. November 2020 (Urk. 15) ist diesem Urteil beigeheftet.
Urteil der Vorinstanz:
Der Beschuldigte A. ist nicht schuldig und wird freigesprochen.
Die Entscheidgebühr fällt ausser Ansatz; die nachfolgenden Kosten werden auf die Gerichtskasse genommen:
Fr. 2'000.00 Gebühr Strafuntersuchung
Fr. 7'261.55 Kosten amtliche Verteidigung (inkl. Auslagen und MwSt.)
Berufungsanträge:
Der Vertreter der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland: (Urk. 67 S. 2)
Der Beschuldigte sei im Sinne der Anklageschrift der qualifizierten groben Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. d SVG in Verbindung mit Art. 27 SVG und Art. 4a Abs.1 lit. d VRV schuldig zu sprechen.
Der Beschuldigte sei mit einer Freiheitsstrafe von 12 Monaten und einer Busse von Fr. 2'000.– zu bestrafen.
Es sei dem Beschuldigten der bedingte Strafvollzug unter Ansetzung ei- ner Probezeit von 2 Jahren zu gewähren.
Für den Fall der schuldhaften Nichtbezahlung der Busse sei dem Beschuldigten eine Ersatzfreiheitsstrafe von 20 Tagen festzusetzen.
Die gesamten Kosten, inklusive derjenigen der amtlichen Verteidigung, seien dem Beschuldigten aufzuerlegen.
Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 70 S. 2)
Die Berufung der Staatsanwaltschaft sei vollumfänglich abzuweisen und der Beschuldigte sei freizusprechen;
Eventualiter sei der Beschuldigte wegen qualifiziert grober Verletzung der Verkehrsregeln i.S.v. Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. d SVG mit einer Busse von Fr. 1'000.– zu bestrafen;
Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens sowie des Berufungsverfahrens seien auf die Staatskasse zu nehmen, eventualiter ausgangsgemäss dem Beschuldigten aufzuerlegen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung im Umfang von Fr. 1'990.30 (inkl. 7.7% MwSt) seien auf die Staatskasse zu nehmen.
Erwägungen:
1. Mit eingangs wiedergegebenem Urteil vom 18. März 2021 (Urk. 35) sprach das Bezirksgericht Winterthur den Beschuldigten vom Vorwurf der qualifizierten groben Verletzung der Verkehrsregeln vollumfänglich frei.
Gegen dieses Urteil meldete die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland des Kantons Zürich (nachfolgend Staatsanwaltschaft Anklagebehörde) am
23. März 2021 fristgerecht Berufung an (Urk. 26). Am 29. April 2021 erging seitens der Staatsanwaltschaft fristgerecht die Berufungserklärung (Urk. 37).
Mit Präsidialverfügung im Verfahren SB210261 vor der hiesigen Kammer vom 18. Mai 2021 wurde dem Beschuldigten Frist zur Anschlussberufung angesetzt (Urk. 39), welche dieser unbenutzt verstreichen liess. Die mündliche Berufungsverhandlung im Verfahren SB210261 fand am 18. Januar 2022 statt. Gleichentags erging das Urteil der hiesigen Kammer, mittels welchem der Beschuldigte des angeklagten Delikts für nicht schuldig erklärt und freigesprochen wurde.
Gegen dieses Urteil erhob die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich Beschwerde ans Bundesgericht (Urk. 53; Verfahren 6B_322/2022).
3. Mit Urteil vom 25. August 2022 wurde die Beschwerde der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich von der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichts gutgeheissen, das Urteil des Obergerichts im Verfahren SB210261 aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückgewiesen (Urk. 59 bzw. 60).
Nach Einholung des entsprechenden Einverständnisses aller Parteien wur- de mit Präsidialverfügung vom 18. Oktober 2022 (Urk. 65) entschieden, dass das vorliegende Berufungsverfahren SB220483 schriftlich durchgeführt werde und der Staatsanwaltschaft gleichzeitig Frist zur Erstattung ihrer Berufungsanträge angesetzt. Mit Eingabe vom 4. November 2022 (Urk. 67) wurde seitens der Staatsanwaltschaft ihre Berufungsbegründung mit den eingangs erwähnten Anträgen eingereicht. Mit Präsidialverfügung vom 15. November 2022 (Urk. 68) wurde sodann das Doppel der Berufungsbegründung der Staatsanwaltschaft dem Beschuldigten zugestellt und Frist zur Erstattung der Berufungsantwort angesetzt. Mit Eingabe vom 7. Dezember 2022 (Urk. 70) liess der Beschuldigte seine Berufungsantwort mit den eingangs genannten Anträgen erstatten. Auf eine entsprechende Stellungnahme dazu wurde seitens der Staatsanwaltschaft in der Folge ausdrücklich verzichtet (Urk. 74).
Die Staatsanwaltschaft beantragt mit ihrer Berufung einen Schuldspruch wegen qualifizierter grober Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. d SVG in Verbindung mit Art. 27 SVG und Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV und eine Strafe von 12 Monaten Freiheitsstrafe bedingt sowie einer
Busse von Fr. 2'000.–, unter Kostenauflage zu Lasten des Beschuldigten (Urk. 67).
Der Beschuldigte beantragt mit seiner Berufungsantwort die Bestätigung des vorinstanzlichen Freispruchs. Eventualiter wird eine mildere Bestrafung mit einer Busse im Betrag von Fr. 1'000.– verlangt (Urk. 70).
1. Heisst das Bundesgericht eine Beschwerde gut und weist es die Angelegenheit zur neuen Beurteilung an das Berufungsgericht zurück, darf sich dieses von Bundesrechts wegen nur noch mit jenen Punkten befassen, die das Bundesgericht kassierte. Die anderen Teile des Urteils haben Bestand und sind in das neue Urteil zu übernehmen. Irrelevant ist, dass das Bundesgericht mit seinem Rückweisungsentscheid formell in der Regel das ganze angefochtene Urteil aufhebt. Entscheidend ist nicht das Dispositiv, sondern die materielle Tragweite des bundesgerichtlichen Entscheids (BGE 143 IV 214 E. 5.2.1 und Urteil des Bundesgerichts 6B_765/2015 vom 3. Februar 2016 E. 4; je mit Hinweisen). Die neue Entscheidung der kantonalen Instanz ist somit auf diejenige Thematik beschränkt, die sich aus den bundesgerichtlichen Erwägungen als Gegenstand der neuen Beurteilung ergibt. Das Verfahren wird nur insoweit neu in Gang gesetzt, als dies notwendig ist, um den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts Rechnung zu tragen. Aufgrund der Bindungswirkung bundesgerichtlicher Rückweisungsentscheide ist es dem Berufungsgericht abgesehen von allenfalls zulässigen Noven verwehrt, der Beurteilung des Rechtsstreits einen anderen als den bisherigen Sachverhalt zu unterstellen die Sache unter rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen, die im Rückweisungsentscheid ausdrücklich abgelehnt überhaupt nicht in Erwägung gezogen worden sind (Urteil BGer 6B_1283/2020 vom 20. Dezember 2022 E. 2.1 m.w.H.).
Der vorliegende bundesgerichtliche Aufhebungsentscheid bezieht sich auf den Freispruch des Beschuldigten betreffend den Vorwurf der qualifiziert groben Verletzung der Verkehrsregeln. Das Bundesgericht hielt zunächst fest, dass un-
bestritten sei, dass der Beschuldigte den Tatbestand der qualifiziert groben Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Abs. 3 und 4 lit. d SVG bewusst erfüllte, als er mit 200 km/h über die Autobahn raste. Strittig sei nur, ob er in rechtfertigendem Notstand gemäss Art. 17 StGB gehandelt habe (Urk. 60 E. 2.1). Eine massive Geschwindigkeitsüberschreitung dürfte gemäss Bundesgericht höchstens dann durch Notstand Notstandshilfe gerechtfertigt entschuldbar sein, wenn der Schutz hochwertiger Rechtsgüter wie Leib, Leben und Gesundheit von Menschen in Frage steht. Selbst in solchen Fällen sei Zurückhaltung geboten, weil bei massiven Geschwindigkeitsüberschreitungen die konkrete Gefährdung einer unbestimmten Zahl von Menschen möglich sei, die sich oft nur zufällig nicht verwirkliche (Urk. 60 E. 2.2.1 m.w.H.). Nach den verbindlichen Feststellungen der Berufungsinstanz sei der Beschuldigte davon ausgegangen, dass das Leben sei- ner mitfahrenden Ehefrau gefährdet war. Es würden sich somit die gleichen Rechtsgüter gegenüber stehen. Die Frage, ob Art. 17 StGB überhaupt zur Anwendung kommen könne, könne indes offen bleiben, weil die beiden kantonalen Instanzen ohnehin zu Unrecht auf einen rechtfertigenden Notstand geschlossen hätten. Vor dem Hintergrund, dass der Beschuldigte vorliegend mit 200 km/h fuhr, er die zulässige Höchstgeschwindigkeit also nicht nur erheblich, sondern massiv überschritt und ein Notstand bei einer erheblichen Geschwindigkeitsüberschreitung nur mit grosser Zurückhaltung anzunehmen sei, verletze die Berufungsinstanz Bundesrecht. Der Beschuldigte habe vorliegend das Leben der Ehefrau durch seine Raserfahrt gefährdet. Hinzu komme das Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer (Urk. 60 E. 2.4.4).
Überdies sei das Urteil der Berufungsinstanz auch aus einem weiteren Grund unhaltbar: Sowohl der rechtfertigende wie der entschuldbare Notstand würden voraussetzen, dass die Gefahr nicht anders abwendbar gewesen sei. Die Berufungsinstanz verkenne den Grundsatz der absoluten Subsidiarität. Der Beschuldigte sei die Alternative zur Verfügung gestanden, das Kantonsspital Winterthur in ca. 11 Minuten zu erreichen, ohne die Verkehrsregeln überhaupt zu verletzen. Zudem sei der Weg zur Notaufnahme von Spitälern in aller Regel deutlich signalisiert. Eine allfällige Gefahr für das Leben der Ehefrau sei laut dem Bundesgericht somit anders abwendbar gewesen, worin sich der vorliegende Fall auch von BGE 106 IV 1 unterscheide (Urk. 60 E. 2.4.5).
Das angefochtene Urteil verletze schliesslich gemäss Bundesgericht auch den Grundsatz der Verhältnismässigkeit. Der durch die massiv übersetzte Geschwindigkeit herausgeholte Zeitgewinn von höchstens einigen Minuten stehe in keinem Verhältnis zum dadurch geschaffenen Risiko für andere Verkehrsteilnehmer und die zusätzliche Gefahr für die Ehefrau des Beschuldigten, woran der Hinweis der Berufungsinstanz auf die guten Strassen- und Sichtverhältnisse nichts ändern würden, zumal diese durch die damals herrschende Dunkelheit relativiert würden (Urk. 60 E. 4.6).
3. Nachfolgend ist den erwähnten verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichtes Rechnung zu tragen.
Die Vorinstanz sprach den Beschuldigten in ihrem Urteil vollumfänglich frei. Sie erachtete es zusammengefasst anhand der Umstände der fraglichen Autofahrt des Beschuldigten als erstellt, dass dieser in rechtfertigendem Notstand im Sinne von Art. 17 StGB gehandelt habe, indem er seiner Ehefrau, die während der Fahrt aufgrund eines drohenden Herzanfalls in Lebensgefahr geschwebt habe, schnellstmöglichen Zugang zu ihren Herzmedikamenten zu Hause habe verschaffen wollen.
Der dem Beschuldigten in der Anklage vorgeworfene äussere Sachverhalt ist nicht umstritten, was bereits die Vorinstanz zutreffend feststellte. Auf die entsprechenden Ausführungen kann verwiesen werden (Urk. 35 S. 3 f.). Der Beschuldigte anerkennt mithin, bewusst zu schnell gefahren zu sein, woran er auch an der Berufungsverhandlung im Verfahren SB210261 festhielt (Urk. 48 S. 10). Ebenso erweist sich die von der Vorinstanz vorgenommene Subsumtion seines Verhaltens unter den Tatbestand der qualifizierten groben Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. d SVG (Urk. 22 S. 8 f.) als zutreffend (vgl. Urk. 35 S. 4 f.). Entsprechend ist festzuhalten, dass der Beschuldigte
bei der zu beurteilenden Autofahrt tatbestandsmässig im Sinne von Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. d SVG in Verbindung mit Art. 27 SVG und Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV gehandelt hat. Er macht allerdings – seit Beginn des Strafverfahrens – eine Notstandsituation geltend, im Rahmen welcher die Verkehrsregelverletzung gerechtfertigt gewesen sei. Darauf ist im Folgenden einzugehen, wobei die Frage, ob Art. 17 StGB vorliegend überhaupt zur Anwendung kommen kann, aufgrund der hierfür nicht gegebenen Voraussetzungen offen bleiben kann (vgl. auch Urk. 60 E. 2.4.4).
Wer eine mit Strafe bedrohte Tat begeht, um ein eigenes das Rechtsgut einer anderen Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr zu retten, handelt gemäss Art. 17 StGB rechtmässig, wenn er dadurch höherwertige Interessen wahrt (rechtfertigender Notstand). Begeht der Täter eine Straftat, um sich eine andere Person aus einer unmittelbaren, nicht anders abwendbaren Gefahr für Leib, Leben, Freiheit, Ehre, Vermögen andere hochwertige Güter zu retten, wird gemäss Art. 18 StGB milder bestraft, wenn ihm zuzumuten war, das gefährdete Gut preiszugeben (Abs. 1). War dem Täter dagegen nicht zuzumuten, das gefährdete Gut preiszugeben, so handelt er nicht schuldhaft (Abs. 2; entschuldbarer Notstand). Die Vorinstanz hat in ihrem Urteil die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstandes unter Verweis auf die Lehre und einschlägige Rechtsprechung (bestätigt in Urteil des Bundesgerichts 1C_67/2021 vom 5. August 2021 E. 4.3.) eingehend dargelegt. Darauf kann zu Vermeidung von unnötigen Wiederholungen verwiesen werden (Urk. 35 S. 5 f.).
Die Vorinstanz erwog unter dem Titel der Notstandsituation, dass der Beschuldigte der Überzeugung war, seine Ehefrau schwebe in unmittelbarer Lebensgefahr, weil sie einen akuten Herzinfarkt erleiden könnte, und schloss auf das Vorliegen einer Notstandsituation.
Anhand der über mehrere Befragungen sehr konstanten Aussagen des Beschuldigten, welche im Wesentlichen mit jenen seiner Frau übereinstimmen, ist glaubhaft dargetan, dass die Ehefrau des Beschuldigten während besagter Heimfahrt von B. Symptome verspürte, welche das Ehepaar auf die bekannten Herzprobleme der Frau zurückführte. Die Glaubhaftigkeit dieser Aussagen der
beiden Beteiligten wird – wie bereits die Vorinstanz ausführte (Urk. 35 S. 8) – insbesondere dadurch gestützt, dass der Ehefrau des Beschuldigten erwiesenermassen Herzmedikamente verschrieben wurden (Corvaton forte und Nitrolingual Pumpspray, vgl. Anhang zur Einvernahme Urk. 7/2), welche einerseits zur Behandlung und Anfallsprophylaxe von koronaren Herzkrankheiten (Corvaton; https://www.swissmedicinfo.ch > Corvaton; besucht am 7. März 2023; vgl. auch Urk. 23/1) sowie andererseits – im Fall des Nitrolingual-Sprays – zur Therapie von entsprechenden akuten Herzanfällen (sog. Angina pectoris-Anfälle; https://compendium.ch/product/1408792-nitrolingual-pumpspray; besucht am 7. März 2023; vgl. auch Urk. 23/2) Anwendung finden. Eine entsprechende Herzerkrankung ergibt sich sodann auch aus den an der Berufungsverhandlung im Verfahren SB210261 eingereichten medizinischen Untersuchungsprotokollen (Urk. 46/1-2). Mit der Vorinstanz ist dem Beschuldigten sodann zu glauben, dass er aufgrund der Reaktion seiner Ehefrau ernsthaft in Sorge war, dass sie ohne baldige Einnahme ihrer Medikamente einen Herzinfarkt erleiden könnte, und er deshalb das vorgeschriebene Tempolimit überschritten hatte. Was diesbezüglich allerdings etwas irritierend anmutet, ist, dass der Beschuldigte im Untersuchungsverfahren angab, sich – nachdem er geblitzt worden war – für den Rest der Fahrt an das Tempolimit gehalten zu haben, da er nicht wegen weiterer Tempoüberschreitungen im Gefängnis habe landen wollen. Dieser Umstand würde dafür sprechen, dass er die Dringlichkeit der Situation doch nicht als derart gross eingeschätzt hatte, dass er den einzigen Ausweg zur Rettung des Lebens seiner Frau in einer massiven Geschwindigkeitsüberschreitung sah. Dafür spricht in gewissem Masse auch, dass der Beschuldigte bezogen auf die gemessene Höchstgeschwindigkeit von netto 200 km/h selber angab, er habe gar nicht derart schnell fahren wollen. Er habe sich aufgrund des Zustands seiner Frau zwar schon gehalten gefühlt, schneller zu fahren, als das Tempolimit auf der Autobahn dies erlaubt hätte. Entsprechend habe er – als er zuvor einmal auf den Tacho geschaut habe
– eine Geschwindigkeit von rund 160 km/h festgestellt, was nach seinen Angaben dem entsprochen habe, was er aufgrund der Situation für angemessen und notwendig empfunden habe. Die zwischenzeitlich derart massive Geschwindigkeits- überschreitung wie zum Messzeitpunkt sei jedoch vorwiegend auf das äusserst
leistungsstarke Auto zurückzuführen gewesen, das selbst bei nur kurzer Betätigung des Gaspedals extrem stark beschleunige. Letzteres ist mit Blick auf die enorme Motorstärke des gefahrenen Sportwagens, welcher gemäss Akten über fast 600 PS verfügt (6.1 Liter Hubraum; 437 kW Leistung, Urk. 1 S. 4), durchaus glaubhaft, genauso wie die Behauptung, dass er zwar habe schneller fahren wollen, als erlaubt, aber nicht derart schnell, weshalb er, aufgeschreckt durch das Blitzen, seine Geschwindigkeit auch wieder reduziert habe. Das zurückhaltende Aussageverhalten des Beschuldigten hinsichtlich allfälliger weiterer Geschwindigkeitsüberschreitungen nach dem Blitzen dürfte damit zu erklären sein, dass er befürchtete, sich mit dem Eingeständnis weiterer Geschwindigkeitsüberschreitungen noch zusätzlich zu belasten. So antwortete er auf die Frage, was er denn getan habe, nachdem es ihn geblitzt hatte, zunächst Wir sind nach Hause gefahren, zu den Medikamenten, die sie zu Hause hatte. Auf die spezifische Nachfrage der Staatsanwältin, ob er also danach (nach dem Blitzen) mit 200 km/h nach Hause gefahren sei – welche von einem juristischen Laien durchaus als vorwurfsvoll aufgefasst werden könnte – verneinte der Beschuldigte dies auffällig vehement: Nein, nein, nein....[...] Nachher fuhr ich ganz normal, so 110 - 120 km/h. Keinen einzigen km/h zu viel. (Urk. 7/3 S. 3 F/A 11 und 12). Dass es sich dabei um eine bewusste Abschwächung handelt dürfte, legt die Betonung nahe, dass er danach teilweise nicht einmal mehr mit erlaubter Höchstgeschwindigkeit gefahren sei (110
- 120 km/h), was in Anbetracht des von ihm geltend gemachten Zustands seiner Frau als geradezu lebensfremd erscheint. Im Rahmen der Befragung an der vorinstanzlichen Hauptverhandlung sagte der Beschuldigte aus, er habe nach dem Blitzen zwar etwas gebremst, aber er habe ja seine kranke Frau neben sich gehabt und habe so schnell wie möglich nach Hause fahren müssen. Auf die Frage nach der fortan gefahrenen Geschwindigkeit gab er an, er sei so schnell wie möglich nach Hause gefahren, so dass es schnell, aber mit dem Auto auf der Strasse auch sicher gewesen sei bzw. er sich noch sicher gefühlt habe (Prot. I S. 10).
Nach dem Gesagten ist zu Gunsten des Beschuldigten davon auszugehen, dass er sich aufgrund des als akut empfundenen Zustands seiner Ehefrau gehalten sah, schneller als die zulässige Geschwindigkeit zu fahren, um schnellstmöglich nach Hause zu den rettenden Medikamenten zu gelangen. Zu seinen Gunsten ist auch davon auszugehen, dass es nur kurzzeitig zur derart massiven Geschwindigkeitsüberschreitung von 80 km/h über dem erlaubten Tempolimit kam, wobei dies insbesondere auf die Aufregung des Beschuldigten über den Zustand seiner Frau bzw. der Angst vor einem akuten Herzversagen, aufgrund dessen er nachvollziehbarerweise nicht laufend den Tacho überwachte, in Kombination mit dem für den Beschuldigten ungewohnt übermotorisierten Fahrzeug seines Soh- nes zustande kam, wobei ihm die dadurch geschaffene Gefahr gestützt auf seine eigenen Aussagen sehr wohl bewusst war. Hinsichtlich der Reisegeschwindigkeit auf seiner weiteren Fahrt ist aufgrund der Aussagen des Beschuldigten zwar davon auszugehen, dass er vor und möglicherweise auch nach dem Blitzen ebenfalls zu schnell, aber nicht derart massiv über dem Tempolimit – mithin zwischen 140 - 160 km/h – fuhr (Urk. 7/1 S. 3 F/A 25: ...ca. 160 km/h...; Urk. 7/3 S. 3 f. F/A
16 und 18: ...so 140 - 150 km/h.; F/A 21 S. 3 ...etwa 140 - 160 km/h; Urk. 48
S. 14: …so 140 150 km/h). Mangels entsprechender Messungen lässt sich dies allerdings nicht mehr mit genügender Sicherheit eruieren, was entsprechend nicht zu seinem Nachteil ausgelegt werden darf.
Wie die Vorinstanz ferner zutreffend erwog, lässt sich im Nachhinein nicht mehr objektiv überprüfen, ob tatsächlich eine Lebensgefahr für die Ehefrau des Beschuldigten bestanden hatte (Urk. 35 S. 8 f.). Die verbleibenden Zweifel sind jedoch nicht zu Lasten des Beschuldigten auszulegen. Daran vermag auch der Einwand der Staatsanwaltschaft, wonach dem Radarfoto nichts entnommen wer- den kann, das die Aussagen des Beschuldigten zum Zustand seiner Frau stützen würde (Urk. 44 S. 10), nichts zu ändern, handelt es sich beim besagten Radarfoto (Urk. 2), auf dem die beiden Insassen zu sehen sind, doch nur um eine Momentaufnahme, mithin eines Sekundenbruchteils der fraglichen Autofahrt mit entsprechend wenig Aussagekraft. Im Lichte des Gesagten, insbesondere gestützt auf die glaubhaften Aussagen sowie die erwiesenermassen bestehende Vorerkrankung der Ehefrau, erweist sich die Annahme der Vorinstanz, dass in in dubio pro reo zu Gunsten des Beschuldigten von einer Notstandssituation auszugehen ist, welche zur Abwendung eines drohenden tödlichen Herzinfarktes eine rasche me- dikamentöse Behandlung erfordert hatte, als naheliegend. Wie bereits erwähnt, kann indes die Frage, ob Art. 17 StGB vorliegend überhaupt zur Anwendung
kommen kann, aufgrund der hierfür nicht gegebenen Voraussetzungen letztlich offen bleiben (vgl. oben E. 2.).
Wie die Vorinstanz zutreffend darlegte, gilt als Voraussetzung für eine rechtfertigende Notstandshandlung zum einen, dass sich die bestehende Gefahr nicht anders als durch die Notstandshandlung abwenden lässt. Es gilt dabei der Grundsatz der absoluten Subsidiarität.
Zunächst prüfte die Vorinstanz entsprechend, ob ein milderes Mittel bzw. eine Alternative zur Raserfahrt zur Verfügung gestanden hätte, und wies darauf hin, dass es sich im vorliegenden Fall aufgrund der Route des Beschuldigten (A1 St. Gallen Richtung Winterthur) und der Stelle, an welcher die überhöhte Geschwindigkeit gemessen wurde (C. ) geradezu aufgedrängt hätte, den Notfall des Kantonspitals Winterthur anzufahren (Urk. 35 S. 9; so auch die Staatsanwaltschaft, vgl. Urk. 44 S. 7). Die Anfahrt des nächstgelegenen Spitals erscheint bereits angesichts des medizinischen Notfalls als durchaus naheliegend. Kommt hinzu, dass das Spital Winterthur nur etwas mehr als 11 Kilometer entfernt gewesen wäre, während der Beschuldigte für die Fahrt nach Hause nach D. etwa die dreifache Distanz zurücklegen musste. Mit dieser Möglichkeit wurde der Beschuldigte bereits im Vorverfahren konfrontiert, worauf er allerdings angab, sie seien deshalb nicht in ein Spital gefahren, weil seine Frau bereits früher einmal einen solchen Anfall erlitten habe, als sie in den Ferien gewesen seien. Damals habe sie auch den bereits beschriebenen Spray genommen, worauf sie sich schnell wieder beruhigt habe. Er sei sich entsprechend sicher gewesen, dass die Verabreichung des Sprays auch in diesem gleichgelagerten Fall den akuten Zustand umgehend abwenden würde (Urk. 7/2 S. 4; Urk. 7/3 S. 2; Urk. 48 S. 14). Diese Medikamente habe seine Frau exakt für solche akuten Anfälle verschrieben bekommen. Der behandelnde Arzt seiner Frau hätte ihnen gesagt, dass sie in ei- ner solchen Situation ihre Medikamente schnell einnehmen solle. Zudem kenne er sich in der Stadt Winterthur nicht aus, weshalb er Probleme gehabt hätte, das Spital überhaupt zu finden und dies entsprechend gedauert hätte (Urk. 7/3 S. 2 f.; Urk. 48 S. 12). Aus den weiteren Aussagen des Beschuldigten ergibt sich sodann, dass er die Option Spitalnotfall auch deshalb ausgeschlagen hatte, weil er aufgrund früherer Erfahrungen selbst beim Auffinden des Spital befürchtete, dass seine Frau nicht genügend rasch die notwendige Behandlung erfahren würde. Auf dem Notfall müsse man immer so lange warten, bis man behandelt werde. Zudem kenne er die Produktnamen der verschriebenen Medikamente nicht auswendig, sodass er den Ärzten auch nicht hätte sagen können, was seine Frau benötige. Es habe, als seine Frau das erste Mal krank geworden sei, etwa ein Jahr gedauert, bis die Ärzte in der Lage waren, eine Diagnose zu stellen. In Anbetracht all dieser befürchteten Komplikationen bzw. Verzögerungen wäre seine Frau laut dem Beschuldigten wohl schon gestorben, bevor man ihr im Spital hätte helfen können (Urk. 7/3 S. 2; Prot. I S. 13).
Aus einer neutralen Warte betrachtet mutet diese Auffassung des Beschul- digten übermässig dramatisierend und letztlich merkwürdig an, gab der Beschul- digte doch vor, davon auszugehen, dass ein Patient, der mit akuten Herzproblemen in den Notfall kommt, im Wartezimmer noch länger warten gelassen würde, bevor er eine Behandlung erhält. Diesem geltend gemachten Gedankengang des Beschuldigten ist entgegenzusetzen, dass als gerichtsnotorisch vorausgesetzt werden kann, dass selbst bei erhöhtem Betrieb ein Notfallpatient, der mit derart akuten Herzbeschwerden im Notfall eintrifft, im Rahmen der Notfalltriage gegen- über weniger zeitkritischen Patienten bevorzugt behandelt wird. Die Aussagen des Beschuldigten lassen deswegen einzig den Schluss zu, dass er zwar in grosser Sorge um den Gesundheitszustand seiner Ehefrau war, diesen aber gleichzeitig als nicht derart dringend erachtete, das viel nähere Spital Winterthur aufzusuchen, sondern davon ausging, dass ihrem schlechten gesundheitlichem Zustand mittels einer (raschen) Heimfahrt zu den Notfallmedikamenten genügend Rech- nung getragen würde. Auch wenn dieser Entscheid unter grossem Druck gefällt wurde, erweist sich das Verhalten des Beschuldigten gemäss den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts (Urk. 60 E. 2.4.5) als mit dem Grundsatz der absoluten Subsidiarität nicht vereinbar, zumal er alternativ das Spital Winterthur in ca. 11 Minuten hätte erreichen können, ohne die Verkehrsregeln überhaupt zu verletzen. Eine allfällige Gefahr für das Leben der Ehefrau war somit anders abwendbar, was dem Beschuldigten auch bewusst war. Die Verteidigung bringt im vorliegenden Verfahren vor, der Beschuldigte habe sich in einem Irrtum hinsichtlich der Voraussetzungen des Notstands befunden, weil er die Fahrt zum Kantonsspital Winterthur nicht als gleich taugliche Alternative erkannt habe, worüber sich das Bundesgericht nicht geäussert habe (Urk. 70 S. 3 ff.). Dieser Einwand vermag mit Verweis auf die Aussagen des Beschuldigten nicht zu überzeugen. Daraus geht unmissverständlich hervor, dass er die Fahrt zum Kantonsspital Winterthur sehr wohl als gleich taugliche Alternative erkannt hat, sich aber letztlich dagegen entschieden hat, weil er – wie aufgezeigt – davon ausging, dass ihrem schlechten gesundheitlichem Zustand mittels einer (raschen) Heimfahrt zu den Notfallmedikamenten genügend Rechnung getragen würde. Bezeichnend ist in diesem Zusammenhang auch seine Aussage, dass sie dann schon ins Spital wären, wenn es seiner Ehefrau nicht besser gegangen wäre (vgl. Urk. 7/3 S. 3), was die behauptete Alternativlosigkeit seines Handelns auch in subjektiver Hinsicht klar widerlegt und auch seine andernorts vorgegebenen Zweifel, das Spital rechtzeitig finden zu können (vgl. Urk. 7/3 S. 2; Prot. I S. 13; Urk. 48 S. 12), als nicht überzeugend erscheinen lässt. Dass an der Geschwindigkeitsüberschreitung gemäss der Verteidigung auch die Fahrt zum Kantonsspital Winterthur nichts geän- dert hätte, weil der Beschuldigte bereits vor der Autobahnausfahrt zum Spital geblitzt worden sei (Urk. 70 S. 5; Urk. 48 S. 18), vermag diese Beurteilung nicht zu beeinflussen, zumal sich der Beschuldigte trotz der bestehenden Alternative so anders bereits zuvor entschieden hatte, nicht das näher liegende Spital aufzusuchen, sondern mit übersetzter Geschwindigkeit heimzufahren.
Ferner ist darauf hinzuweisen, dass die Annahme einer rechtfertigenden Notstandshilfe zudem eine Interessenabwägung bedingt, welche vorliegend zu Ungunsten des Standpunkts des Beschuldigten ausfällt. Nur die Rettung eines höherwertigen auf Kosten eines geringerwertigen Interesses kann die Tat rechtfertigen. Neben dem Rang der betroffenen Rechtsgüter ist die Schwere des Eingriffs, d.h. die tatsächliche Verletzung des fraglichen Rechtsgutes, in das der Täter eingreift, bzw. der Grad der drohenden Gefahr von Bedeutung (TRECH- SEL/GEHT: Praxiskommentar StGB, 3. Aufl. 2017, N. 8 zu Art. 17; BGE 129 IV 6 E.
3.2; Urteil des Bundesgerichts 6B_495/2016 vom 16. Februar 2017 E. 2.2.2.). Vorliegend ist wie dargelegt davon auszugehen, dass das Leben der Ehefrau des Beschuldigten infolge eines drohenden Herzinfarktes auf dem Spiel stand. Es bestand mithin eine konkrete Gefahr für deren Leben als höchstes Individualrechtsgut. Beim Rechtsgut, in welches der Beschuldigte eingriff, handelt es sich um die Verkehrssicherheit bzw. die Sicherheit der anderen Verkehrsteilnehmer, welche bei einem Unfall mit übersetzter Geschwindigkeit – neben Sachschäden – hätten verletzt gar getötet werden können. Gemäss den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts (Urk. 60 E. 2.4.4) ist für die Annahme von Notstand selbst dann grosse Zurückhaltung geboten, wenn der unmittelbare Schutz eines Menschenlebens auf dem Spiel steht, weil bei einer Raserfahrt mit 200 km/h die konkrete Gefährdung einer unbestimmten Zahl von Menschen möglich ist, wobei es nur dem Zufall zu verdanken ist, dass sie sich nicht verwirklicht, weil Geschwin- digkeitsüberschreitungen erfahrungsgemäss eine der Hauptursachen für schwere Unfälle sind. Vorliegend gefährdete der Beschuldigte durch sein Verhalten nebst dem Leben der übrigen Verkehrsteilnehmer auch dasjenige seiner Ehefrau, das er schützen wollte. Auch die Interessenabwägung der involvierten Rechtsgüter spricht deshalb gegen die Annahme eines rechtfertigenden Notstandes.
Schliesslich scheitert die Annahme eines rechtfertigenden Notstandes des Weiteren an der erforderlichen Verhältnismässigkeit. Auch wenn nachvollziehbar erscheint, dass der Beschuldigte seine Ehefrau möglichst schnell nach Hause bringen wollte, erscheint unverständlich, dass er mit einer Geschwindigkeit von 200 km/h fuhr. Gemäss den verbindlichen Erwägungen des Bundesgerichts (Urk. 60 E. 2.4.6) stand der Zeitgewinn von höchstens einigen Minuten in keinem Verhältnis zur massiv übersetzten Geschwindigkeit seiner Fahrt, mit welcher er nicht nur ein Risiko für andere Verkehrsteilnehmer, sondern auch eine zusätzliche Gefahr für seine Ehefrau schuf. Daran vermögen auch die guten Strassen- und Sichtverhältnisse (vgl. Urk. 1 S. 2) nichts zu ändern, zumal diese durch die damals herrschende Dunkelheit relativiert wurden.
Im Ergebnis sind die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands im Sinne von Art. 17 StGB nicht erfüllt.
Mangels Vorliegens von Rechtfertigungsoder Schuldausschlussgründen machte sich der Beschuldigte demnach der qualifizierten groben Verletzung der
Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. d SVG in Verbindung mit Art. 27 SVG und Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV schuldig.
Strafrahmen
Seitens der Verteidigung wird im Rahmen ihrer Eventualantrages geltend gemacht, dass vorliegend gleich mehrere Strafmilderungsgründe – u.a. das Han- deln aus achtenswerten Beweggründen und in schwerer Bedrängnis gemäss Art. 48 lit. a Ziff. 1 und 2 StGB – vorliegen würden, wobei es sich aufdränge, den or- dentlichen Strafrahmen zu unterschreiten und auf eine andere Strafart zu erken- nen (Urk. 70 S. 9 f.).
Die tat- und täterangemessene Strafe ist grundsätzlich innerhalb des ordentlichen Strafrahmens der schwersten anzuwendenden Strafbestimmung festzusetzen. Dieser Rahmen ist vom Gesetzgeber in aller Regel sehr weit gefasst worden, um sämtlichen konkreten Umständen Rechnung zu tragen. Der ordentliche Rahmen ist nur zu verlassen, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen und die für die betreffende Tat angedrohte Strafe im konkreten Fall zu hart bzw. zu milde erscheint. Die Frage einer Unterschreitung des ordentlichen Strafrahmens kann sich stellen, wenn verschuldensbzw. strafreduzierende Faktoren zusammentreffen, die einen objektiv an sich leichten Tatvorwurf weiter relativieren, so dass eine Strafe innerhalb des ordentlichen Rahmens dem Rechtsempfinden widerspräche. Der vom Gesetzgeber vorgegebene ordentliche Rahmen ermöglicht in aller Regel, für eine einzelne Tat die angemessene Strafe festzulegen. Er versetzt den Richter namentlich in die Lage, die denkbaren Abstufungen des Verschuldens zu berücksichtigen (BGE 136 IV 55 E. 5.8).
Vorliegend ist hinsichtlich der in Frage stehenden qualifizierten groben Verletzung der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Abs. 3 StGB von einem ordentlichen Strafrahmen von einem bis vier Jahren Freiheitsstrafe auszugehen. Zu prüfen ist, ob der Beschuldigte vorliegend aus achtenswerten Beweggründen und/oder in schwerer Bedrängnis im Sinne von Art. 48 lit. a Ziff. 1 bzw. Ziff. 2 StGB gehandelt
hat und deshalb gestützt auf Art. 48a StGB eine Unterschreitung der angedrohten Mindeststrafe bzw. das Erkennen auf eine andere Strafart in Frage kommt.
Die Tat muss einer ethisch hochstehenden wenigstens ethisch zu rechtfertigenden Gesinnung entsprungen sein, damit dem Täter achtenswerte Beweggründe im Sinne des Gesetzes zugebilligt werden können. Massgebend ist die Auffassung des Richters, der die Grundsätze der Ethik zu befolgen hat und das öffentliche Gewissen vertritt. Ob der festgestellte Beweggrund achtenswert ist, beurteilt sich unabhängig von der Tat nach objektiven Gesichtspunkten (BGE 97 IV 77 E. 2.a; 101 IV 387 E. 2.b). Um eine strafminderungsrelevante schwere Bedrängnis im Sinne von Art. 48 lit. a Ziff. 2 StGB anzunehmen, verlangt die Rechtsprechung, dass sich der Täter in einer notstandsähnlichen Lage befindet und seine Bedrängnis einen besonders hohen Grad erreichen und ihn derart beeindrucken muss, dass er einen Ausweg nur in der strafbaren Handlung zu finden glaubt (BGE 110 IV 9 E.2.).
Die Prüfung aller massgebenden Umstände ergibt, dass vorliegend gestützt auf Art. 48a StGB die angedrohte Mindeststrafe zu unterschreiten ist und überdies grundsätzlich auch ein Erkennen auf Geldstrafe statt lediglich Freiheitsstrafe in Frage kommt: Der Beschuldigte ist davon ausgegangen, dass das Leben seiner mitfahrenden Ehefrau gefährdet war. Aufgrund der Reaktion seiner Frau war er ernsthaft in Sorge, dass sie ohne baldige Einnahme ihrer Medikamente einen Herzinfarkt erleiden könnte, weshalb er das vorgeschriebene Tempolimit überschritt. Massgebend ist auch, dass es nur kurzzeitig zur – für die Anwendung der ordentlichen Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe massgebenden – massiven Geschwindigkeitsüberschreitung von 80 km/h über dem erlaubten Tempolimit kam, welche insbesondere der Aufregung des Beschuldigten über den Zustand seiner Frau bzw. der Angst vor einem akuten Herzversagen in Kombination mit dem für den Beschuldigten ungewohnt übermotorisierten Fahrzeug seines Sohnes geschuldet war, auch wenn ihm die durch ihn geschaffene Gefahr sehr wohl bewusst war. Es können dem Beschuldigten vorliegend in Würdigung aller massgebenden Umstände achtenswerte Beweggründe sowie eine schwere Bedrängnis im Sinne des Gesetzes zugebilligt
werden, auch wenn die Voraussetzungen für die Annahme eines Notstandes vorliegend nicht gegeben waren.
4. Es ist folglich von einem (ausserordentlichen) Strafrahmen von 3 Tagessätzen Geldstrafe (vgl. Art. 34 Ab.1 StGB) bis 4 Jahre Freiheitsstrafe auszugehen.
Theoretische Grundlagen der Strafzumessung, Strafart und Strafvollzug
Innerhalb des Strafrahmens bemisst das Gericht die Strafe grundsätzlich nach dem Verschulden des Täters. Es berücksichtigt dabei das Vorleben und seine persönlichen Verhältnisse (Art. 47 Abs. 1 StGB). Das Verschulden wird nach der Schwere der Verletzung Gefährdung des betroffenen Rechtsguts, nach der Verwerflichkeit des Handelns, den Beweggründen und Zielen des Täters sowie danach bestimmt, wie weit der Täter nach den inneren und äusseren Umständen in der Lage war, die Gefährdung Verletzung zu vermeiden (Art. 47 Abs. 2 StGB). Für die Zumessung der Strafe ist zwischen der Tat- und der Täterkomponente zu unterscheiden. Bei der Tatkomponente ist als Ausgangspunkt die objektive Schwere des Delikts festzulegen und zu bewerten. Dabei ist anhand des Ausmasses des Erfolgs sowie aufgrund der Art und Weise des Vorgehens zu beurteilen, wie stark das strafrechtlich geschützte Rechtsgut beeinträchtigt worden ist. Ebenfalls von Bedeutung sind die kriminelle Energie sowie ein allfälliger Versuch. Hinsichtlich des subjektiven Verschuldens sind insbesondere das Motiv, die Beweggründe, die Willensrichtung sowie das Mass an Entscheidungsfreiheit des Täters zu beurteilen. Die Täterkomponente umfasst die persönlichen Verhältnisse, das Vorleben, insbesondere frühere Strafen Wohlverhalten, und das Verhalten nach der Tat und im Strafverfahren, insbesondere gezeigte Reue und Einsicht, ein abgelegtes Geständnis (HEIMGARTNER IN: OFK-STGB-DONATSCH/ HEIMGARTNER/ISENRING/WEDER, 21. A.,
Zürich 2022, Art. 47 StGB N 1 ff.). Hinsichtlich der Kriterien der Strafzumessung ist ergänzend auf die aktuelle Rechtsprechung des Bundesgerichts zum Thema (Urteile 6B_382/2021 vom 25. Juli 2022; 6B_619/2019 vom 11. März 2020 E. 3.3.;
BGE 136 IV 55, E. 5.4 ff.; 135 IV 130, E. 5.3.1; 132 IV 102, E. 8.1; je mit
Hinweisen) zu verweisen. Gemäss Art. 50 StGB hat das Gericht, sofern es sein
Urteil zu begründen hat, die für die Zumessung der Strafe erheblichen Umstände und deren Gewichtung festzuhalten. Es hat seine Überlegungen in den Grundzügen wiederzugeben, so dass die Strafzumessung nachvollziehbar ist (BGE 144 IV 313 E. 1.2 S. 319; 142 IV 365 E. 2.4.3 S. 270 f.; 136 IV 55 E. 5.5
S. 59 ff.; je mit Hinweisen).
Bei der Wahl der Sanktionsart sind als wichtigste Kriterien die Zweckmässigkeit einer bestimmten Sanktion, ihre Auswirkungen auf den Täter und sein soziales Umfeld sowie ihre präventive Effizienz zu berücksichtigen. Grundsätzlich ist der Geldstrafe der Vorrang zu gewähren. Eine Freiheitsstrafe kann ausgesprochen werden, wenn eine solche geboten scheint, um den Täter von der Begehung weiterer Verbrechen Vergehen abzuhalten wenn eine Geldstrafe voraussichtlich nicht vollzogen werden kann (Art. 41 Abs. 1 StGB; vgl. auch HEIM- GARTNER IN: OFK-STGB-DONATSCH/HEIMGARTNER/ISENRING/WEDER, a.a.O., Art. 41 StGB N 1 ff.).
Der Vollzug einer Geldstrafe bzw. einer Freiheitsstrafe von höchstens zwei Jahren wird grundsätzlich aufgeschoben (Art. 42 Abs. 1 StGB). Bei der Prüfung, ob der Verurteilte für ein dauerndes Wohlverhalten Gewähr bietet, ist eine Gesamtwürdigung aller Umstände vorzunehmen. In die Beurteilung miteinzubeziehen sind neben den Tatumständen auch das Vorleben und der Leumund sowie alle weiteren Tatsachen, die gültige Schlüsse auf den Charakter des Täters und die Aussichten seiner Bewährung zulassen (Urteil des Bundesgerichts 6B_38/2013 vom 8. Juli 2013 E. 2.2.1).
Konkrete Strafzumessung
Sanktionsart
Vorliegend kommt angesichts des – nachfolgend zu erörternden – Verschuldens und der Höhe der damit verbundenen Strafe lediglich eine Freiheitsstrafe in Betracht. Des Weiteren ist vorliegend – vor dem Hintergrund der bei tieferen Geschwindigkeitsübertretungen vorgesehenen Bussen – gestützt auf Art. 42 Abs. 4 StGB eine Verbindungsbusse auszusprechen.
Tatschwere
In objektiver Hinsicht wirkt sich deutlich zu Gunsten des Beschuldigten aus, dass er den für die Annahme einer qualifizierten groben Verkehrsregelverletzung vorgesehenen Grenzwert nur kurzzeitig überschritt. Ebenso wirkt sich merklich verschuldensmindernd aus, dass damals die massive Geschwindigkeitsüberschreitung insbesondere der Aufregung des Beschuldigten über den Zustand seiner Ehefrau bzw. der Angst vor einem akuten Herzversagen in Kombination mit dem für den Beschuldigten ungewohnt übermotorisierten Fahrzeug seines Sohnes geschuldet war. Lediglich sehr leicht ist zu seinen Gunsten zu veranschlagen, dass damals relativ gute Strassenverhältnisse herrschten und von einem geringen Verkehrsaufkommen auszugehen ist (vgl. Urk. 1 S. 2). Umgekehrt wirkt sich der Umstand, dass Dunkelheit herrschte, in gleichem Masse zu seinen Ungunsten aus. Sein Verschulden erweist sich vor dem Hintergrund des massgebenden Strafrahmens als gerade noch leicht. Hierfür erscheint eine Einsatzstrafe von 10 Monaten Freiheitsstrafe als angemessen.
Subjektiv wirkt sich merklich verschuldensmindernd aus, dass der Beschuldigte lediglich eventualvorsätzlich handelte und dass sein Motiv von achtenswerten Beweggründen geprägt war bzw. er im Zustand einer schweren Bedrängnis handelte, weil er davon ausgegangen ist, dass das Leben seiner mitfahrenden Ehefrau gefährdet war. Andererseits wirkt sich der Unstand zu seinen Ungunsten aus, dass ihm die durch ihn geschaffene Gefahr sehr wohl bewusst war. Sein Verschulden ist nach der Würdigung der subjektiven Tatschwere insgesamt als noch leicht zu qualifizieren. Die erörterten subjektiven Tatumstände vermögen eine Reduktion der Einsatzstrafe auf 8 Monate Freiheitsstrafe zu rechtfertigen.
Täterkomponente
Zum Vorleben und den persönlichen Verhältnissen des Beschuldigten ist zu bemerken, dass er 1966 in E. [Staat in Europa] geboren wurde, wo er die ersten 8 Schuljahre besuchte, bevor er mit seiner Familie nach F. [Staat in Europa] übersiedelte und zusätzlich die F. Staatsbürgerschaft annahm. 1987 kam der Beschuldigte in die Schweiz, wo er eine Anlehre als Dachdecker absolvierte und auf diesem Beruf arbeitete. Seit 18 Jahren ist er selbständig mit mehreren Mitarbeitern in diesem Bereich erwerbstätig. Er verfügt in der Schweiz über die Niederlassungsbewilligung C. Der Beschuldigte ist verheiratet und Vater dreier inzwischen erwachsener Kinder. Sein monatliches Nettoeinkommen beträgt Fr. 5'500.–. Seine Ehefrau ist nicht erwerbstätig. Der Beschuldigte ist Eigentümer eines Mehrfamilienhauses, in welchem allesamt Familienmitglieder wohnen, er aber aus diesem Grund keine Mieteinnahmen erziele. Belastet sei das Grundstück mit einer Hypothek im Betrag von Fr. 585'000.–. Weitere Schulden Vermögenswerte würden nicht bestehen (Urk. 7/2 S. 6 ff.; Urk. 7/3 S. 7; Prot. I
S. 15 ff.; Urk. 48 S. 5 ff.). Die persönlichen Verhältnisse des Beschuldigten wirken sich strafzumessungsneutral aus.
Der Beschuldigte ist nicht vorbestraft (Urk. 76) und hatte keine administrativen Massnahmen im Strassenverkehr zu vergegenwärtigen (Urk. 13/3), welcher auch automobilistisch einwandfreie Leumund sich ebenfalls strafzumessungsneutral auswirkt (vgl. Urteile des Bundesgerichts 6B_33/2015 vom 5. Mai 2015 E. 1.2; 6B_442/2014 vom 18. Juli 2014 E. 1.6).
Sein Nachtatverhalten wirkt sich aufgrund seines umgehenden Geständnisses zu Gunsten des Beschuldigten aus, allenthalben lediglich in einem geringfügigen Masse von einem Monat Freiheitsstrafe, weil die – auch frühe – Sachverhaltsanerkennung des Beschuldigten das Strafverfahren angesichts der vorliegenden erdrückenden Beweislage nicht massgeblich vereinfacht hat.
Nach Würdigung der Täterkomponente erweist sich eine Strafe von 7 Mona- ten Freiheitsstrafe als angemessen. Daran ist ihm 1 Tag (vgl. Urk. 10/2) als durch Haft erstanden anzurechnen (vgl. Art. 51 StGB). Zusätzlich ist gestützt auf die er- örterten massgebenden Umstände eine Busse im Betrag von Fr. 1'200.– auszufällen.
Vollzug
Vorliegend bestehen keine Umstände, welche dagegen sprechen könnten, dass sich der Beschuldigte nicht dauernd wohlverhalten dürfte. Dem Beschuldigten als Ersttäter ist deshalb der bedingte Vollzug der Freiheitsstrafe zu gewähren, unter gleichzeitiger Ansetzung einer zweijährigen Probezeit (Art. 42 Abs. 1 StGB in Verbindung mit Art. 44 Abs. 1 StGB). Die Busse ist – mangels gesetzlicher Grundlage für einen bedingten Vollzug (vgl. Art. 105 Abs. 1 StGB) – demgegenüber zu bezahlen. Bei schuldhafter Nichtbezahlung droht dem Beschuldigten eine Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Tagen (vgl. Art. 106 Abs. 2 StGB).
Ergebnis der Strafzumessung
Der Beschuldigte ist mit einer Freiheitsstrafe von 7 Monaten sowie einer Busse im Betrag von Fr. 1'200.– zu bestrafen. Die Freiheitsstrafe ist unter Gewährung einer Probezeit von zwei Jahren aufzuschieben, demgegenüber die Busse zu bezahlen ist.
Vorinstanzliches Verfahren
Gestützt auf Art. 428 Abs. 3 StPO hat die Rechtsmittelinstanz von Amtes wegen auch über die von der Vorinstanz getroffene Kostenregelung zu befinden, wenn sie selber ein neues Urteil fällt und nicht kassatorisch entscheidet. Gemäss Art. 426 Abs. 1 StPO trägt die beschuldigte Person die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird.
Ausgangsgemäss rechtfertigt es sich, dem Beschuldigten die Kosten des Vorverfahrens und diejenigen des vorinstanzlichen Verfahrens im Umfang der ihm auferlegten zweitinstanzlichen Kosten (s. dazu nachstehend unter E. B.1.1.-1.2.) aufzuerlegen. Für das erstinstanzliche Verfahren ist die Gerichtsgebühr in Anwendung von Art. 424 StPO i.V.m. § 2 Abs. 1 lit. b sowie § 14 Abs. 1 lit. a GebV OG auf Fr. 2'000.– festzusetzen.
Die Festsetzung der Entschädigung der amtlichen Verteidigung für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren im Betrag von Fr. 7'261.55 wurde von keiner Seite beanstandet und ist zu bestätigen. Diese Kosten sind einstweilen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Die Rückforderung vom Beschul- digten im Sinne von Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt im Umfang von vier Fünfteln vorbehalten (Art. 426 Abs. 1 StPO; Art. 135 Abs. 4 StPO).
Zweitinstanzliche Kosten- und Entschädigungsfolgen
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Ob bzw. inwieweit eine Partei im Sinne dieser Bestimmung obsiegt unterliegt, hängt davon ab, in welchem Ausmass ihre vor der zweiten Instanz gestellten Anträge gutgeheissen werden (Urteil des Bundesgerichts 6B_1344/2019 vom 11. März 2020 E. 2.2. m.w.H.). Wird der Entscheid im Rechtsmittelverfahren nur unwesentlich abge- ändert, können die Kosten nach dem Verursacherprinzip auferlegt werden (Urteil des Bundesgerichts 6B_318/2016 vom 13. Oktober 2016 E. 4.1. m.w.H.).
Der Beschuldigte unterliegt auch im Berufungsverfahren mehrheitlich, wobei er eine merklich tiefere Strafe als von der Anklagebehörde beantragt zu vergegenwärtigen hat. Bei vorliegender Ausgangslage sind dem Beschuldigten die Kosten des Rechtsmittelverfahrens (wie diejenigen des Vorverfahrens und des vorinstanzlichen Verfahrens) aufgrund dieses Umstands nicht vollumfänglich, son- dern lediglich zu vier Fünfteln aufzuerlegen und im Übrigen auf die Staatskasse zu nehmen.
2. Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren ist in Anwendung von Art. 424 Abs. 1 StPO i. V. m. §§ 16, 2 Abs. 1 lit. b, c und d sowie 14 GebV OG unter Berücksichtigung der Bedeutung und Schwierigkeit des Falles sowie des Zeitaufwands des Gerichts für dieses Verfahren auf Fr. 3'500.– festzusetzen, wobei der Beschuldigte den durch den Rückweisungsentscheid des
Bundesgerichts entstandenen Mehraufwand des Berufungsgerichts selbstredend nicht zu tragen hat.
Die im Urteil vom 18. Januar 2022 für das erste Berufungsverfahren (SB210261) festgesetzte Entschädigung des amtlichen Verteidigers Rechtsanwalt Dr. iur. X. (Fr. 3'600.–) blieb unbeanstandet und hat entsprechend Bestand. Die Rückforderung vom Beschuldigten im Umfang von vier Fünfteln bleibt vorbehalten.
Die Kosten des zweiten Berufungsverfahrens (SB220483) sind entstanden, weil das erste Urteil der erkennenden Kammer im bundesgerichtlichen Verfahren aufgehoben wurde. Die Gerichtsgebühr für das zweite Berufungsverfahren hat entsprechend ausser Ansatz zu fallen. Im Übrigen sind die Kosten auf die Gerichtskasse zu nehmen (Art. 426 Abs. 3 lit. a StPO).
Auch für das zweite Berufungsverfahren ist der amtliche Verteidiger aus der Gerichtskasse zu entschädigen (Art. 135 StPO i.V.m. Art. 426 StPO). Er machte mit Kostennote vom 7. Dezember 2022 für das obergerichtliche Verfahren einen Zeitaufwand von etwas mehr als 8 Stunden geltend (Urk. 71). Dieser Aufwand erscheint angemessen. Unter zusätzlicher Berücksichtigung des zu erwartenden Aufwands für Urteilsstudium und Nachbearbeitung bzw. -besprechung mit der Klientschaft ist Rechtsanwalt Dr. iur. X. für das zweite Berufungsverfahren mit pauschal Fr. 2'500.– (inkl. MwSt. und Auslagen) aus der Gerichtskasse zu entschädigen. Eine Rückerstattungspflicht des Beschuldigten gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO besteht diesbezüglich nicht.
Es wird erkannt:
Der Beschuldigte A.
ist schuldig der qualifizierten groben Verletzung
der Verkehrsregeln gemäss Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 lit. d SVG in Verbin- dung mit Art. 27 SVG und Art. 4a Abs. 1 lit. d VRV.
Der Beschuldigte wird bestraft mit 7 Monaten Freiheitsstrafe (wovon bis und mit heute 1 Tag durch Haft erstanden ist) und einer Busse von Fr. 1'200.–.
Der Vollzug der Freiheitsstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt. Die Busse ist zu bezahlen.
Bezahlt der Beschuldigte die Busse schuldhaft nicht, so tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 12 Tagen.
Die Gerichtsgebühr für das erstinstanzliche Verfahren wird festgesetzt auf: Fr. 2'000.– ; die weiteren Kosten betragen:
Fr. 2'000.– Gebühr Strafuntersuchung Fr. 7'261.55 amtliche Verteidigung.
Die Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens, mit Ausnahme derjenigen der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschul- digten zu vier Fünfteln auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung für die Untersuchung und das erstinstanzliche Gerichtsverfahrens werden auf die Gerichtskasse genommen. Die Rückzahlungspflicht des Beschuldigten gestützt auf Art. 135 Abs. 4 StPO im Umfang von vier Fünfteln bleibt vorbehalten.
Die Gerichtsgebühr für das erste Berufungsverfahren (SB210261) wird festgesetzt auf:
Fr. 3'500.– ; die weiteren Kosten betragen: Fr. 3'600.– amtliche Verteidigung.
Die Kosten des ersten Berufungsverfahrens (SB210261), mit Ausnahme derjenigen der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten zu vier Fünfteln auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genommen. Die Rückzahlungspflicht des Beschuldigten gestützt auf Art. 135 Abs. 4 StPO bleibt im Umfang von vier Fünfteln vorbehalten.
Die Gerichtsgebühr für das zweite Berufungsverfahren (SB220483) fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:
Fr. 2'500.– amtliche Verteidigung.
Die Kosten für das zweite Berufungsverfahren (SB220483) werden auf die Gerichtskasse genommen.
Schriftliche Mitteilung in vollständiger Ausfertigung an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz
das Migrationsamt des Kantons Zürich
die Staatsanwaltschaft Schaffhausen, Verkehrsabteilung, Bahnhofstrasse 29, Bahnhofsgebäude, 8200 Schaffhausen, betr. Administrativverfahren (gem. Art. 123 Abs. 1 lit. b VZV)
die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit Formular A.
Rechtsmittel:
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer
Zürich, 7. März 2023
Der Präsident:
Oberrichter lic. iur. Spiess
Der Gerichtsschreiber:
MLaw Andres
Zur Beachtung:
Der/die Verurteilte wird auf die Folgen der Nichtbewährung während der Probezeit aufmerksam gemacht:
Wurde der Vollzug einer Geldstrafe unter Ansetzung einer Probezeit aufgeschoben, muss sie vorerst nicht bezahlt werden. Bewährt sich der/die Verurteilte bis zum Ablauf der Probezeit, muss er/sie die Geldstrafe definitiv nicht mehr bezahlen (Art. 45 StGB); Analoges gilt für die bedingte Freiheitsstrafe.
Eine bedingte Strafe bzw. der bedingte Teil einer Strafe kann im Übrigen vollzogen werden (Art. 46 Abs. 1 bzw. Abs. 4 StGB),
wenn der/die Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen Vergehen begeht,
wenn der/die Verurteilte sich der Bewährungshilfe entzieht die Weisungen missachtet.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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