Zusammenfassung des Urteils SB220276: Obergericht des Kantons Zürich
Der Privatkläger A.________ hat gegen die Staatsanwaltschaft Innerschwyz und D.________ Berufung wegen Nötigung eingelegt. Das Bezirksgericht Schwyz sprach D.________ frei und wies die Zivilforderung ab. Die Berufung des Privatklägers wurde nicht fristgerecht erklärt, daher wird sie als durch Verzicht erledigt abgeschrieben. Die Gerichtskosten von Fr. 300.00 gehen zu Lasten des Staates. Der Richter in diesem Fall ist Dr. Urs Tschümperlin.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SB220276 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Strafkammer |
Datum: | 19.09.2022 |
Rechtskraft: | Weiterzug ans Bundesgericht, 6B_1496/2022 |
Leitsatz/Stichwort: | Nötigung etc. und Widerruf |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Berufung; Beschuldigten; Verkehr; Nötigung; Vorinstanz; Verteidigung; Verkehrs; Geldstrafe; Urteil; Berufungsverfahren; Aktion; Demonstration; Probezeit; Gericht; Blockade; Tagessätze; Tagessätzen; Polizei; Teilnehmer; Willen; Staatsanwalt; Sinne; Allgemeinheit; Staatsanwaltschaft; Minuten; Verweis |
Rechtsnorm: | Art. 181 StGB ;Art. 34 StGB ;Art. 389 StPO ;Art. 391 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 401 StPO ;Art. 404 StPO ;Art. 42 StGB ;Art. 426 StGB ;Art. 428 StGB ;Art. 45 StGB ;Art. 47 StGB ;Art. 49 StGB ;Art. 81 StPO ; |
Referenz BGE: | 108 IV 165; 108 IV 169; 119 IV 301; 129 IV 6; 134 IV 216; 137 IV 326; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SB220276-O/U/jv
Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. B. Gut, Präsident, lic. iur. S. Volken und lic. iur. C. Maira sowie der Gerichtsschreiber MLaw S. Zuber
Urteil vom 19. September 2022
in Sachen
Beschuldigte und Berufungsklägerin
verteidigt durch Rechtsanwältin MLaw X. ,
gegen
Anklägerin und Berufungsbeklagte betreffend Nötigung etc. und Widerruf
Anklage:
Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zürich - Limmat vom
25. November 2021 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 11).
Urteil der Vorinstanz:
(Urk. 35 S. 37 ff.)
Es wird erkannt:
Die Beschuldigte ist schuldig
der Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB sowie
der Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen im Sinne von Art. 239 Ziff. 1 StGB.
Die Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu Fr. 80.–.
Der Vollzug der Geldstrafe wird nicht aufgeschoben.
Die mit Strafbefehl des Ministère public de l'arrondissement Lausanne vom
18. Oktober 2019 ausgefällte bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 30.– wird nicht widerrufen. Die Probezeit wird mit Wirkung ab heute um 1 Jahr verlängert.
Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf:
Fr. 1'500.–; die weiteren Kosten betragen:
Fr. 1'100.– Gebühr für das Vorverfahren.
Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.
Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens werden der Beschuldigten auferlegt.
[Mitteilung]
[Rechtsmittel]
Berufungsanträge:
Der Verteidigung der Beschuldigten (Urk. 49):
1. In Gutheissung der Berufung sei das angefochtene Urteil der Vorinstanz vom 13. April 2022 vollumfänglich aufzuheben.
Stattdessen sei die Berufungsklägerin von Schuld und Strafe freizusprechen.
Auf den Widerruf des Strafbefehls vom 18. Oktober 2019 sei zu verzichten.
Die Kosten der Strafuntersuchung und der gerichtlichen Verfahren seien der Staatskasse aufzuerlegen.
Die Beschuldigte sei für die entstandenen Verteidigungskosten in der Höhe der eingereichten Honorarnoten zu entschädigen.
Der Staatsanwaltschaft (Urk. 41): (schriftlich)
Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.
Erwägungen:
1. Mit dem eingangs im Dispositiv wiedergegebenen Urteil der Vorinstanz vom
13. April 2022 wurde die Beschuldigte A.
anklagegemäss schuldig gesprochen und mit einer unbedingten Geldstrafe bestraft (Urk. 35 S. 37 f.). Gegen diesen Entscheid liess die Beschuldigte durch ihre erbetene Verteidigung mit Eingabe vom gleichen Tag und somit innert gesetzlicher Frist Berufung anmelden (Art. 399 Abs. 1 StPO; Urk. 30). Die Berufungserklärung der Verteidigung ging ebenfalls innert gesetzlicher Frist bei der Berufungsinstanz ein (Art. 399 Abs. 3 StPO; Urk. 37). Die Anklagebehörde hat mit Eingabe vom 3. Juni 2022 innert Frist
mitgeteilt, dass auf Anschlussberufung verzichtet wird (Urk. 41; Art. 400 Abs. 2 f. und Art. 401 StPO). Beweisergänzungsanträge wurden im Berufungsverfahren nicht gestellt (Art. 389 Abs. 3 StPO; Urk. 37). Die Verteidigung hat die Berufung in ihrer Berufungserklärung nicht beschränkt (Urk. 37; Art. 399 Abs. 4 StPO). Die Anklagebehörde beantragt die Bestätigung des angefochtenen Entscheides (Urk. 41). Demnach ist im Berufungsverfahren das vorinstanzliche Urteil voll- umfänglich angefochten (vgl. Art. 404 Abs. 1 StPO).
Am 19. September 2022 fand die Berufungsverhandlung statt, zu welcher
die Beschuldigte, ihre erbetene Verteidigerin Rechtsanwältin X.
sowie die
Beschuldigte im Parallelverfahren SB220274, B. , erschienen. Das Urteil wurde gleichentags beraten, mündlich eröffnet und im Dispositiv übergeben (zum Ganzen: Prot. II S. 4 ff.).
Gemäss ständiger Praxis hat sich das Gericht nicht mit sämtlichen, sondern lediglich mit den wesentlichen Punkten der Parteibehauptungen auseinander zu setzen (Entscheid des Bundesgerichts 6B_689/2019 vom 25. Oktober 2019
E. 1.5.2. mit Verweisen).
Am tt. Juni 2020 zwischen ca. 12.00 und ca. 15.20 Uhr blockierten – mehrheitlich – Angehörige der Gruppierung C. in einer unbewilligten Aktion die
D.
in Zürich und verhinderten, dass in dieser Zeitspanne jeglicher private
und öffentliche Verkehr passieren konnte. Sämtliche Motorfahrzeuglenker und Benützer des öffentlichen Verkehrs wurden durch diese Aktion gezwungen, entweder einen Umweg zu nehmen die Zeit der Blockade im Stau auszusitzen.
Der Beschuldigten wird in der Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zürich- Sihl vom 25. November 2021 vorgeworfen, sie habe als sog. Peace keeperin an dieser Blockade teilgenommen. Sie sei der am 12.23 Uhr ergangenen Aufforderung der Polizei, die Fahrbahn zu verlassen, nicht nachgekommen. Vielmehr habe
sie sich bis um 12:50 auf der Fahrbahn aufgehalten und dadurch den öffentlichen und den Individualverkehr behindert (Urk. 11 S. 2 f.).
Die Beschuldigte hat im gesamten Vorverfahren sowie im Hauptverfahren vor der Vorinstanz – bis auf die Aussage, sie sei als Beobachterin vor Ort gewesen (Prot. I S. 13) – konsequent die Aussage verweigert (Urk. 2; Urk. 6; Prot. I
S. 10 ff.). Im Berufungsverfahren führte sie sodann aus, sie sei nicht als Teilnehmerin, sondern als Beobachterin der Demonstration vor Ort gewesen. Damit man sie als solche erkannt habe, habe sie eine gelbe Weste getragen, die sie am Tag der Demonstration an einem Brückenpfeiler abgeholt habe (Urk. 48 S. 2 ff.)
Durch ihre Verteidigung lässt die Beschuldigte anerkennen, dass sie sich am Tattag bis ca. 12:50 Uhr auf der D. aufgehalten habe und dort von der Polizei kontrolliert und anschliessend weggewiesen worden sei; allerdings habe sie sich nicht als Demonstrationsteilnehmerin an der Aktion beteiligt. Sie sei vielmehr als sog. Peace Keeperin Beobachterin der Aktion gewesen (Urk. 26 S. 3 ff.; Urk. 49 S. 2 und S. 7).
Die Polizei hat die Aktion und deren Teilnehmer fotografiert (Urk. 3). Sodann wurde die Beschuldigte durch die Polizei anlässlich ihrer Personenkontrolle fotografiert (Urk. 4). Die Fotografien decken sich mit der ebenfalls aktenkundigen Videoaufzeichnung inklusive Zeitangaben (Urk. 22) und bilden entgegen der Behauptung der Verteidigung (Urk. 26 S. 4) nicht bloss eine Parteibehauptung, sondern ein verwertbares Beweismittel (vgl. Urk. 35 S. 7 f.). Das Bildmaterial, welches die Verteidigung eingereicht hat, ist sodann mit dem bereits vorliegenden eigentlich identisch (Urk. 24).
Erstmals erkennbar ist die Beschuldigte auf Bild 15 um 12:19 Uhr. Gestützt auf weitere Fotos in Urk. 3 ist erstellt, dass die Beschuldigte sich bis 12:50 Uhr auf der D. aufgehalten hat und zwar nicht auf dem Trottoir, sondern auf den Fahrbahnen respektive den Tramtrassees (Bilder 16, 17 und 18). Bild 19 zeigt, wie die Beschuldigte polizeilich entfernt wird. Da dieses Bild zeitlich nicht datiert ist, ist zugunsten der Beschuldigten davon auszugehen, dieses sei unmittelbar nach Aufnahme 18 von 12:50 Uhr entstanden. Allseits anerkanntermassen wurde
den Demonstranten um 12:23 Uhr respektive um 12:31 Uhr durch die Polizei mitgeteilt, die Demonstration werde noch 15 Minuten respektive noch 5 Minuten toleriert (Urk. 3; Bilder 6 und 7). Konsequenterweise kann den Demonstranten allgemein und der Beschuldigten im Besonderen ein Tatvorwurf erst nach Ablauf dieser Fristen, also ab 12:38 Uhr, gemacht werden. Ein Tatvorwurf über jenen Zeitpunkt, an welchem sich die Beschuldigte letztmals dokumentiert persönlich
auf der D.
befunden hat (12:50 Uhr), hinaus, kann ihr ebenfalls nicht
gemacht werden (vgl. die Anklageformulierung, welche eine Behinderung des öffentlichen und privaten Verkehrs bis 15.22 Uhr schildert; Urk. 11 S. 3).
Die Behauptung der Beschuldigten, sie habe nicht an der Demonstration teilgenommen, respektive, sie sei als Beobachterin zum Aufenthalt am fraglichen Ort legitimiert gewesen (Urk. 26 S. 5 f.; Urk. 48 S. 2; Urk. 49 S. 2 ff. und S. 9;), trifft nicht zu: Auf den Videos und Fotografien ist klar erkennbar, dass die Beschuldigte aktiver Teil der die Manifestation durchführenden Gruppe C. respektive deren Sympathisanten war. Wohl war sie nicht Teil der Sitzblockade. Allein die Tatsache, dass sie sich eine beschriftete Leuchtweste überzog und lediglich Notizen der Vorgänge machte, macht sie jedoch nicht zur Nicht- Teilnehmerin. Die Visionierung der Videoaufnahmen (Urk. 22) zeigt, dass die Aktivisten offensichtlich eine organisierte Rollenteilung hatten: Es gab Redner, Kameraleute, Musiker, Bannerträger, Teilnehmer der Sitzblockade, Personen, die den ineinander verkrallt Sitzenden Wasser reichten und sie betreuten und eben Solche, welche das Ganze – wie die Beschuldigte – auch schriftlich dokumentierten. Das ändert nichts daran, dass die Beschuldigte sich im massgeblichen Zeitraum und nach respektive trotz der Aufforderung der Polizei zum Verlassen der D. weiter auf deren Fahrbahnen und Tramtrassees aufhielt und dadurch sowohl persönlich wie im Zusammenwirken mit den übrigen Demonstrierenden den privaten wie den öffentlichen Verkehr lahmlegte. Die Beschuldigte ist dem Aufruf der Organisierenden gefolgt und hat sich in der ihr zugedachten Rolle als Mitdemonstrantin beteiligt. Damit hat sie entgegen ihren Bestreitungen eine aktive Rolle eingenommen. Die polizeiliche Entfernung der Beschuldigten erfolgte sodann wie auf dem Video zweifellos erkennbar und entgegen der Behauptung der Verteidigung gegen ihren Willen (Urk. 26 S. 5 f.), musste sie doch geschleppt
werden, weil sie sich offensichtlich weigerte, selbständig zu laufen. Ein weiterer Beobachter aus der Gruppe der Aktivisten rief dabei den Polizisten nicht etwa zu, sie sollen die Beschuldigte laufen lassen, sondern sie sollen sie tragen.
Die höchstrichterliche Rechtsprechung zur Frage einer Nötigung durch Strassenblockaden ist unmissverständlich (BGE 137 IV 326 E. 3.3.1. und E. 3.6. mit zahlreichen Verweisen):
Wegen Nötigung nach Art. 181 StGB wird bestraft, wer jemanden durch Gewalt, Androhung ernstlicher Nachteile durch andere Beschränkung seiner Handlungsfreiheit nötigt, etwas zu tun, zu unterlassen zu dulden. Die Tatbestandsvariante der anderen Beschränkung der Handlungsfreiheit ist restriktiv auszulegen. Dieses Zwangsmittel muss, um tatbestandsmässig zu sein, das üblicherweise geduldete Mass an Beeinflussung in ähnlicher Weise eindeutig überschreiten, wie es für die ausdrücklich genannten Nötigungsmittel der Gewalt und der Androhung ernstlicher Nachteile gilt (BGE 134 IV 216 E. 4.1 mit Hinweisen). Es muss ihnen in seiner Intensität bzw. Wirkung ähnlich sein (BGE
119 IV 301 E. 2a mit Hinweis). Als Nötigung gilt z.B. die Bildung eines Menschenteppichs und die Sabotage einer Bahnschranke, die je den Strassenverkehr behinderten die Blockade des Autobahnverkehrs während eineinhalb Stunden (Zusammenfassung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung in BGE 134 IV 216 E. 4.2 und BGE 129 IV 6 E. 2.2 f.). Unrechtmässig ist eine Nötigung, wenn das Mittel der Zweck unerlaubt ist, wenn das Mittel zum erstrebten Zweck nicht im richtigen Verhältnis steht wenn die Verknüpfung zwischen einem an sich zulässigen Mittel und einem erlaubten Zweck rechtsmissbräuchlich sittenwidrig ist (BGE 134 IV 216 E 4.1 mit Hinweisen). Geschütztes Rechtsgut von Art. 181 StGB ist die Handlungsfreiheit bzw. die Freiheit der Willensbildung und -betätigung des Einzelnen (BGE 129 IV 6 E. 2.1 mit Hinweisen). Geschützt ist auch die Freiheit, den Willen der automobilen Fortbewegung zu betätigen (BGE 134 IV 216 E. 4.4.3 mit Hinweis). Insbesondere Verkehrsblockaden werden in der Regel im Hinblick auf ein Fernziel veranstaltet. Die Blockade wird durchgeführt, um auf dieses Fernziel hinzuweisen und ihm allenfalls näher zu kommen; darin liegt das Motiv der Täter für die Aktion. Das
Fernziel und das Motiv sind im Unterschied zum Nötigungsmittel und zum Nötigungszweck keine Elemente des Tatbestands der Nötigung (BGE 134 IV 216 E. 4.4.1.).
Die Beschuldigte und die weiteren Demonstranten blockierten einerseits Privat- und öffentlichen Verkehr und verursachten andererseits durch ihr Verhalten die aus Sicherheitsgründen notwendige Sperrung der Brücke durch die Polizei. Durch den ihr nachgewiesenen persönlichen aktiven Einsatz hinderte die Beschuldigte die Teilnehmer des Privatwie des öffentlichen Verkehrs während rund 12 Minuten, sich wie beabsichtigt vorzubewegen respektive zwang sie, entweder vor Ort stehen zu bleiben sich auf Alternativ-Routen weiter zu bewegen. Dies tat sie wissentlich und willentlich. Ferner waren das Nötigungsmittel und der Nötigungszweck unrechtmässig (vgl. BGE 134 IV 216 E. 4.4.3. ff.).
Damit hat die Beschuldigte insbesondere auch mit Verweis auf die einschlägige höchstrichterliche Rechtsprechung sämtliche objektiven und subjektiven Tatbestandselemente der Nötigung erfüllt. Allerdings erreichte die Behinderung der uneingeschränkten Fortbewegungsfreiheit (wenn auch mutmasslich zahlreicher) Teilnehmer des privaten und öffentlichen Verkehrs von lediglich 12 Minuten die verlangte Intensität an die Einschränkung der Betroffenen noch relativ knapp. Etwas anderes ist der Beschuldigten nämlich nicht nachgewiesen. Wohl hat sie in Mittäterschaft mit den rund 250 weiteren Aktivisten gehandelt. Dennoch kann ihr deren Verhalten nicht über ihre eigene physische Anwesenheit und aktive Teil- nahme hinaus vorgeworfen werden, wie dies Anklagebehörde und Vorinstanz getan haben.
Gemäss bundesgerichtlicher Praxis (BGE 119 IV 301 E. 3.a) genügt allerdings bereits eine Blockierung des Verkehrs während rund 10 Minuten zur Tatbestandserfüllung (siehe auch BGE 108 IV 165 ff.), wenn die Aktion im Sinne einer Blockade gerade auf die Behinderung des Verkehrs abzielt. Dass es den betroffenen Verkehrsteilnehmern möglich gewesen wäre, unter Benützung von Querstrassen mit einem kleinen Umweg an ihr Ziel zu gelangen, ist unerheblich. Art. 181 StGB schützt die Freiheit der Willensbildung und Willensbetätigung und
ist auch dann anwendbar, wenn der Betroffene sein Ziel auf einem anderen als dem von ihm gewollten Wege hätte erreichen können (BGE 108 IV 169).
Dies führt zum Schuldspruch der Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB.
Eigentlich hätte in concreto mehrfache Nötigung angeklagt werden sollen, da die Beschuldigte in Idealkonkurrenz die individuellen Rechte einer Vielzahl von Betroffenen tangiert hat. Eine entsprechende Verurteilung verbietet sich heute allerdings aus prozessualen Gründen (Art. 391 Abs. 2 StPO).
Gleich verhält es sich bei der Beurteilung des Verhaltens der Beschuldigten betreffend die inkriminierte Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen: Das geschützte Rechtsgut besteht hier nicht in der individuellen freien Willensbildung und -betätigung von Einzelnen (Art. 181 StGB), sondern im Interesse der Allgemeinheit an der ungehinderten Verrichtung ihrer Dienstleistungen durch öffentliche Anstalten (Art. 239 Ziff. 1 StGB).
Der Zürcher Trambetrieb ist ein komplexes und entsprechend diffiziles Verkehrssystem. Beeinträchtigungen auch nur eines Tramwagens haben Auswirkungen auf weitere, darauf abgestimmte Verbindungen. Die Beschuldigte hat sich während mindestens 12 Minuten an einem absoluten Knotenpunkt und Nadelöhr der Zürcher Verkehrsbetriebe an der Blockade von nicht weniger als fünf Tramlinien in beiden Richtungen aktiv massgeblich beteiligt. Dadurch wurden nicht nur etliche Trampassagiere konkret behindert, sondern das Interesse der Allgemeinheit an einem reibungslosen Trambetrieb weit über den Raum E. -D. - F. hinaus tangiert. Wenn auf den Videos vereinzelt Sprecher der Aktivisten behaupten, der öffentliche Verkehr könne selbstverständlich passieren, ist das ebenso falsch wie scheinheilig: Die Tramtrassees waren offensichtlich besetzt und auch nur der Versuch von Tramdurchfahrten musste durch die Polizei aus Sicherheitsgründen durch eine Totalsperrung der D. unterbunden werden.
Dadurch hat die Beschuldigte im Zusammenwirken mit zahlreichen weiteren Demonstranten den Trambetrieb vorsätzlich nicht nur gestört, sondern vollständig
verhindert und sich dadurch im Sinne von Art. 239 Ziff. 1 Abs. 1 StGB schuldig gemacht.
Die Beschuldigte liess im Berufungsverfahren durch ihre Verteidigung zusammenfassend geltend machen, sie sei nur schon aufgrund des in der EMRK geschützten Rechts der Versammlungsfreiheit geschützt und freizusprechen und zwar selbst dann, wenn sie – wie die Vorinstanz angenommen habe – Demo- Teilnehmerin gewesen wäre. Erst recht sei sie aber als Demonstrationsbeobachterin freizusprechen. Zur Begründung liess die Beschuldigte ausführen, dass bisher praxisgemäss in Zürich Teilnehmende an einer unbewilligten, friedlichen Demonstration mit einer Busse zu rechnen hatten. Dass das Schuldigsprechen von Teilnehmerinnen falsch sei, habe kürzlich auch das Bezirksgericht Zürich eingesehen, indem es einen Freispruch mündlich damit begründet habe, dass nur tatsächliche Ausschreitungen andere faktische Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit zu einer Einschränkung der Versammlungsfreiheit führen dürften. Drittpersonen hätten zudem Einschränkungen ihrer Grundrechte in Kauf zu nehmen, wenn es um Demonstrationen gehe, bei denen es um die Zukunft der gesamten Menschheit gehe (Urk. 49 S. 4 ff.)
Diese Darstellung der Verteidigung ist in wesentlichen Punkten unzutreffend: Korrekt ist, dass die Beschuldigte an einer unbewilligten, politischen Kundgebung teilgenommen hat. Friedlich war die Blockade der gesamten Fahrspuren der
dahingehend, dass keine aktive physische Gewalt gegen Dritte
angewendet wurde. Allerdings wurde – wie vorstehend erwogen – eine unbestimmt hohe Zahl von unbeteiligten Verkehrsteilnehmern während längerer Zeit zu einem bestimmten Verhalten gezwungen respektive davon abgehalten, sich gemäss ihrem freien Willen fortzubewegen. Dies war zwar nicht das Fernziel der Aktivisten, jedoch deren klare Absicht. Die vorliegend zu beurteilende Aktion ist somit in keiner Weise vergleichbar mit einer unbewilligten Demonstration von Fussgängern, beispielsweise auf dem G. , welche den motorisierten und den Fussgängerverkehr nicht tangiert und keine Drittpersonen erheblich nötigt. Die Beschuldigte und ihre Mitdemonstranten hätten leicht beispielsweise in
unmittelbarer Nähe der D. , so am E.
oder den weitläufigen
Fussgängeranlagen des F.
es, auf die Klimakrise aufmerksam machen
können. Das haben sie bewusst nicht gemacht, sondern vielmehr den gesamten Verkehr an einem verkehrstechnischen Nadelöhr der Stadt Zürich über mehrere Stunden zum Erliegen gebracht. Die Beschuldigte persönlich hat sich – wie erstellt – daran aktiv beteiligt. Diese massive nicht nur Störung, sondern eigentlich Verhinderung des privaten wie öffentlichen Verkehrs mit unzähligen unbeteiligten Betroffenen war auch in keiner Weise verhältnismässig zum – durchaus berechtigten – Anliegen der Demonstranten, über die Klimaproblematik zu informieren. Die inkriminierte Aktion war mit der Vorinstanz zweifellos unrechtmässig (Urk. 35 S. 23 f.) und nicht durch die verfassungs- und konventionsrechtliche Versammlungsfreiheit geschützt (vgl. BGE 134 IV 216
5.2.; vgl. Urteil des Bundesgerichts in Pra 110 (2021) Nr. 134 vom
28. September 2021 E. 4.2. mit Verweisen). Was die Verteidigung vorliegend fordert, ist ein Freibrief für eine beliebige Einschränkung der Willensfreiheit der Allgemeinheit zugunsten einer politischen Gruppierung gestützt auf die Freiheitsrechte. Dies ist selbstverständlich zu verwerfen.
Im Gegensatz zu anderen Beschuldigten in Parallelverfahren, die an derselben inkriminierten Aktion beteiligt waren, macht die Beschuldigte keine Notstandssituation rechtfertigend geltend (Urk. 26; Urk. 49). Zu Recht: Gemäss der aktuellen bundesgerichtlichen Rechtsprechung können sich politische Gruppierungen bei der Blockierung des privaten und öffentlichen Verkehrs nicht darauf berufen (vgl. Urteile des Bundesgerichts in Pra 110 (2021) Nr. 133 vom
26. Mai 2021, Ingress sowie E. 2.3.4., E. 2.7. mit Verweisen).
1. Die Vorinstanz hat entgegen dem Antrag der Anklagebehörde eine bedingte Vorstrafe nicht widerrufen und keine Gesamtstrafe gebildet (was die Anklagebehörde auch nicht beantragte), sondern vielmehr die Probezeit der Vorstrafe verlängert (Urk. 35 S. 2 und S. 38). Dabei hat es schon aus prozessualen Grün- den sein Bewenden (Art. 391 Abs. 2 StPO).
Die Vorinstanz hat die Beschuldigte mit einer Geldstrafe von 25 Tagesssätzen bestraft. Die Verteidigung hat sich im Hauptverfahren und im Berufungsverfahren nicht zu einem allfälligen Strafmass geäussert (Urk. 26; Urk. 49).
Die Vorinstanz hat den anwendbaren Strafrahmen korrekt bemessen und die notwendigen theoretischen Ausführungen zur richterlichen Strafzumessung gemacht (Urk. 35 S. 28 ff.; Art. 47 StGB; Art. 81 Abs. 4 StPO).
Zur objektiven Tatschwere der Nötigung als schwerster Tat hat die Vorinstanz zusammengefasst erwogen, die Beschuldigte habe sich im Rahmen einer unbewilligten Demonstration an einer Blockade beteiligt, die letztlich dazu geführt habe, dass eine wichtige Verkehrsachse der Stadt Zürich während rund drei Stunden gesperrt werden musste. Dies sei eine erhebliche Zeitdauer. Dass
sie sich lediglich für eine kurze Zeit auf der D.
aufhielt, sei grundsätzlich
ohne Belang, da die Art und Weise der Blockade darauf angelegt war, den städtischen Verkehr und damit eine nicht unbeachtliche Anzahl an Menschen zu behindern (Urk. 35 S. 31). Dies ist, wie bereits vorstehend erwogen, nicht haltbar. Der Beschuldigten kann auch bei mittäterschaftlicher Tatbegehung kein Tatbeitrag vorgeworfen werden, der über ihre erstellte physische Anwesenheit am Tatort hinausgeht. Korrekt ist mit der Vorinstanz, dass die Kundgebung gewaltfrei verlief und insgesamt von einer geringen kriminellen Energie der Beschuldigten auszugehen ist (Urk. 35 S. 31).
Zur subjektiven Tatschwere lag das Motiv der Beschuldigten – mutmasslich – im Bestreben, auf die Folgen der Klimaerwärmung und der Umweltverschmutzung aufmerksam zu machen, war also nicht egoistisch.
Die Vorinstanz hat nach der Beurteilung der Tatkomponenten der Nötigung das Verschulden der Beschuldigten als leicht und eine hypothetische Einsatzstrafe von 15 Tagen als angemessen gesehen (Urk. 35 S. 32). Das Verschulden wiegt in der Tat leicht, wenn nicht sehr leicht. Da der Beschuldigten nur eine sehr kurze Deliktsdauer anzulasten ist, ist lediglich eine Einsatzstrafe von 5 Tagessätzen festzusetzen.
Mit der Vorinstanz wiegen die Tatkomponenten der Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen, etwa gleich wie diejenigen der Nötigung. Auch hier ist von einem leichten bis sehr leichten Verschulden auszugehen und eine Strafe von 5 Tagessätzen wäre angemessen. In Nachachtung des Asperationsprinzips ist die Einsatzstrafe um 3 Tage zu erhöhen (Art. 49 Abs. 1 StGB).
Zur Täterkomponente hat die Vorinstanz die persönlichen Verhältnisse der Beschuldigten angeführt (Urk. 35 S. 33 f.). An der Berufungsverhandlung ergänzte die Beschuldigte, dass sie nunmehr geschieden sei und für eine NGO arbeite. Mit ihrem Lohn von Fr. 4'800.– bezahle sie ihre Miete von Fr. 1'500.– und unterstütze ihre Familie in Peru mit Fr. 1'500.–. Der Rest verbleibe ihr zum Leben (Urk. 48). Eine gesteigerte Strafempfindlichkeit weist die Beschuldigte damit nicht auf. Zum Nachtatverhalten kann sie weder Einsicht noch Reue für sich beanspruchen. Die Beschuldigte delinquierte während einer laufenden Probezeit einer teilweise einschlägigen Vorstrafe (Urk. 36). Dies wirkt sich moderat straferhöhend aus.
Nach der Beurteilung der Täterkomponente ist die nach der Beurteilung der Tatkomponenten bemessene Einsatzstrafe von 8 Tagessätzen auf 10 Tagessätze zu erhöhen.
Mit der Vorinstanz ist eine Geldstrafe auszufällen (Urk. 35 S. 34; Art. 34 Abs. 1 StGB). Unter den gegebenen Umständen erscheint ein Tagessatz von Fr. 40.– angemessen (Art. 34 Abs. 2 StGB).
Die Vorinstanz hat der Beschuldigten die Gewährung des bedingten Strafvollzugs mit Verweis auf ihre teilweise einschlägige Vorstrafe und das Delinquieren während laufender Probezeit verweigert (Urk. 35 S. 36 f.; Art. 42 Abs. 1 StGB). Dies ist zweifellos richtig: Es bestehen relevante Bedenken, dass die Beschuldigte eingesehen hat, dass ihre Handlungsweise gesetzwidrig ist, und dass sie sich allein von einer weiteren bedingten Strafe würde von erneuter Delinquenz abhalten lassen.
Insgesamt ist die Beschuldigte mit einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 40.– zu bestrafen und diese Strafe ist zu vollziehen.
Ausgangsgemäss ist die vorinstanzliche Kostenregelung zu bestätigen (Art. 426 StGB).
Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren ist auf Fr. 3'000.– festzusetzen.
Die Beschuldigte unterliegt im Berufungsverfahren mit ihren Anträgen weitestgehend und obsiegt lediglich im Strafpunkt teilweise. Daher sind ihr die Kosten dieses Verfahrens zu 4/5 aufzuerlegen (Art. 428 StGB). Der verbleibende 1/5 ist auf die Gerichtskasse zu nehmen.
Konsequenterweise ist ihr für das Berufungsverfahren eine reduzierte Prozessentschädigung für ihre erbetene Rechtsvertretung von Fr. 1'500.– aus der Gerichtskasse zuzusprechen.
Es wird erkannt:
Die Beschuldigte A. ist schuldig
der Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB sowie
der Störung von Betrieben, die der Allgemeinheit dienen im Sinne von Art. 239 Ziff. 1 StGB.
Die Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 10 Tagessätzen zu Fr. 40.–.
Der Vollzug der Geldstrafe wird nicht aufgeschoben.
Die mit Strafbefehl des Ministère public de l'arrondissement Lausanne vom
18. Oktober 2019 ausgefällte bedingte Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu Fr. 30.– wird nicht widerrufen. Die Probezeit wird mit Wirkung ab heute um 1 Jahr verlängert.
Das erstinstanzliche Kostendispositiv (Ziffern 5. und 6.) wird bestätigt.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf Fr. 3'000.–.
Die Kosten des Berufungsverfahrens werden der Beschuldigten zu 4/5 auferlegt und zu 1/5 auf die Gerichtskasse genommen.
Der Beschuldigten wird für das Berufungsverfahren eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 1'200.– für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an
die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten (übergeben)
die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (versendet) sowie in vollständiger Ausfertigung an
die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden der Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz
die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit Formular A und Formular B
das Ministère public de l'arrondissement Lausanne betr.
PE …
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer Zürich, 19. September 2022
Der Präsident:
lic. iur. B. Gut
Der Gerichtsschreiber:
MLaw S. Zuber
Zur Beachtung:
Der/die Verurteilte wird auf die Folgen der Nichtbewährung während der Probezeit aufmerksam gemacht:
Wurde der Vollzug einer Geldstrafe unter Ansetzung einer Probezeit aufgeschoben, muss sie vorerst nicht bezahlt werden. Bewährt sich der/die Verurteilte bis zum Ablauf der Probezeit, muss er/sie die Geldstrafe definitiv nicht mehr bezahlen (Art. 45 StGB); Analoges gilt für die bedingte Freiheitsstrafe.
Eine bedingte Strafe bzw. der bedingte Teil einer Strafe kann im Übrigen vollzogen werden (Art. 46 Abs. 1 bzw. Abs. 4 StGB),
wenn der/die Verurteilte während der Probezeit ein Verbrechen Vergehen begeht,
wenn der/die Verurteilte sich der Bewährungshilfe entzieht die Weisungen missachtet.
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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