Zusammenfassung des Urteils SB220232: Obergericht des Kantons Zürich
Die Beschwerde von A.________ gegen den Untersuchungsbefehl zur Feststellung der Fahrunfähigkeit wurde abgewiesen. Die Staatsanwaltschaft ordnete eine Blut- und Urinentnahme an, nachdem bei einer Verkehrskontrolle Cannabisgeruch im Fahrzeug von A.________ festgestellt wurde. A.________ erhob Beschwerde gegen den Befehl und behauptete, die Blutentnahme sei vor der Anordnung erfolgt. Das Gericht wies die Beschwerde ab, da die Blutentnahme nach der Anordnung durch die Staatsanwaltschaft erfolgte. A.________ argumentierte zudem, dass er unter Druck gesetzt wurde, der Zustimmung zur Blutentnahme zuzustimmen. Das Gericht wies auch diese Argumentation zurück. Die Kosten des Verfahrens in Höhe von CHF 1‘200.00 wurden A.________ auferlegt.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SB220232 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | I. Strafkammer |
Datum: | 17.11.2022 |
Rechtskraft: | Weiterzug ans Bundesgericht, 6B_375/2023 |
Leitsatz/Stichwort: | Versuchte Nötigung etc. |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Privatklägerin; Beschuldigten; Berufung; Richt; Beschimpfung; Kinder; Recht; Verteidigung; Vorinstanz; Urteil; Nötigung; Recte; Sinne; Recte:; Staatsanwalt; Staatsanwaltschaft; Verfahren; Anklage; Verfahren; Genugtuung; Entschädigung; Bezirksgericht; Drohung; Urteils; Vorwurf; Vorwürfe; Berufungsverfahren; Leiche |
Rechtsnorm: | Art. 135 StPO ;Art. 138 StPO ;Art. 153 StPO ;Art. 177 StGB ;Art. 180 StGB ;Art. 181 StGB ;Art. 189 StGB ;Art. 190 StGB ;Art. 22 StGB ;Art. 335 StPO ;Art. 391 StPO ;Art. 400 StPO ;Art. 401 StPO ;Art. 424 StPO ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 431 StPO ;Art. 436 StPO ;Art. 442 StPO ;Art. 82 StPO ;Art. 84 StPO ; |
Referenz BGE: | 117 IV 270; 141 IV 249; 83 IV 151; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SB220232-O/U/jv
Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, und lic. iur. R. Faga, Ersatzoberrichter lic. iur. R. Amsler sowie die Gerichtsschreiberin MLaw A. Donatsch
Urteil vom 17. November 2022
in Sachen
vertreten durch Staatsanwalt lic. iur. G. Krayenbühl, Anklägerin und I. Berufungsklägerin (Rückzug)
sowie
,
Privatklägerin und II. Berufungsklägerin (Nichteintreten)
gegen
,
Beschuldigter und III. Berufungskläger
verteidigt durch Rechtsanwältin M.A. HSG X. , betreffend versuchte Nötigung etc.
Anklage:
Der Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat vom 31. Mai 2021 (Urk. 29) ist diesem Urteil beigeheftet.
Beschluss und Urteil der Vorinstanz:
(Urk. 29 S. 75 ff.)
Es wird beschlossen:
Das Verfahren wird hinsichtlich des Vorwurfs der sexuellen Nötigung (Tatzeitraum zwischen ca. 12. Oktober 2006 und 22. Oktober 2006; Anklageziffer II/a) definitiv eingestellt.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung sowie Rechtsmittel mit nachfolgen- dem Erkenntnis.
Der Beschuldigte B.
ist schuldig
der versuchten Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB sowie
der mehrfachen Beschimpfung gemäss Art. 177 Abs. 1 StGB.
Von den folgenden Vorwürfen wird der Beschuldigte freigesprochen:
der mehrfachen Vergewaltigung im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB,
der sexuellen Nötigung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB,
der Drohung im Sinne von Art. 180 Abs. 1 StGB sowie
der Beschimpfung gemäss Art. 177 Abs. 1 StGB (Vorfall vom 9. August 2020).
Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 60.– (entsprechend Fr. 6'000.–), wovon 2 Tagessätze als durch Haft geleistet gelten.
Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt.
Der Antrag auf Abnahme einer DNA-Probe und Erstellung eines DNA-Profils im Sinne von Art. 5 DNA-Profil-Gesetz wird abgewiesen.
Der Beschuldigte wird verpflichtet, der Privatklägerin A. eine Genugtuung von Fr. 300.– zuzüglich 5% Zins ab 3. August 2020 zu bezahlen. Im Mehrbetrag wird das Genugtuungsbegehren abgewiesen.
Der Antrag des Beschuldigten auf Genugtuung wird abgewiesen.
Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf:
Fr. 3'600.00; die weiteren Kosten betragen: Fr. 3'000.00 Gebühr Vorverfahren
Fr. 13'339.35 Entschädigung amtliche Verteidigung (inkl. MwSt. und Barauslagen)
Fr. 17'429.25 Entschädigung unentgeltliche Rechtsvertretung der Privatklägerin (inkl. MwSt. und Barauslagen)
Fr. 37'368.60 Total
Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.
Wird auf eine Begründung dieses Entscheids verzichtet, ermässigt sich die Entscheidgebühr auf 2/3.
Die Kosten gemäss Dispositiv-Ziffer 8 werden im Umfang von 9/10 auf die Gerichtskasse genommen und im Umfang von 1/10 dem Beschuldigten auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Rechtsvertretung der Privatklägerin werden indessen einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. Eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO sowie Art. 138 Abs. 1 StPO in Verbindung mit Art. 426 Abs. 4 StPO im Umfang von 1/10 bleibt vorbehalten.
Dem Beschuldigten wird eine reduzierte Entschädigung für die erbetene Verteidigung von Fr. 2'237.95 zugesprochen und mit den Kosten gemäss Dispositiv-Ziffern 8 und 9 verrechnet.
(Mitteilungen)
(Rechtsmittel)
Berufungsanträge:
(Prot. II S. 12 f.)
Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 98 S. 1 f.)
Die Dispositivziffer 1 des Urteils des Bezirksgerichts Winterthur vom
Dezember 2021 (DG210030-K) sei aufzuheben und der Berufungskläger vom Vorwurf der versuchten Nötigung und der mehrfachen Beschimpfung freizusprechen.
Eventualtier sei er wegen mehrfacher Beschimpfung i.S.v. Art. 177 Abs. 1 StGB schuldig zu sprechen.
Die Dispositivziffer 2 und 3 (recte: 3 und 4) des Urteils des Bezirksgerichts Winterthur vom 1. Dezember 2021 (DG210030-K) seien aufzuheben.
Eventualiter sei der Berufungskläger wegen mehrfacher Beschimpfung mit einer bedingten Geldstrafe in der Höhe von 5 Tagessätzen zu Fr. 60.– unter Ansetzung einer Probezeit von 2 Jahren zu bestrafen.
Die Dispositivziffer 5 (recte: 6) des Urteils des Bezirksgerichts Winterthur vom 1. Dezember 2021 (DG210030-K) sei aufzuheben
Die Dispositivziffer 6 (recte 7) des Urteils des Bezirksgerichts Winterthur vom 1. Dezember 2021 (DG210030-K) sei aufzuheben und dem Beschuldigten sei eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 400.– zzgl. 5% Zins seit
September 2020 auszurichten.
5. Alles unter ausgangsgemässen Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl.
MwSt).
Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 75; schriftlich)
Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils
Erwägungen:
1. Am 18. August 2020 liess die Privatklägerin A.
durch ihre Rechtsvertreterin bei der Kantonspolizei Zürich schriftlich Strafanzeige gegen den Beschuldigten B. wegen Entziehung Unmündiger, Beschimpfung, Nötigung etc. einreichen. Darin wurde u.a. ausgeführt, der Beschuldigte habe die drei gemeinsamen Kinder nicht wie vereinbart am 9. August 2020 zurück an den Wohnort der Privatklägerin gebracht, sondern mitgeteilt, dass er sie bei sich behalten werde und die Kinder Angst hätten, zurück zur Privatklägerin zu gehen. Da der Beschuldigte deswegen offenbar bei der Polizei eine Gefährdungsmeldung deponiert habe, wolle niemand die Kinder zur Privatklägerin zurückbringen, weshalb diese nun ein zivilrechtliches Verfahren beim Bezirksgericht Zürich eingeleitet habe und am 17. August 2020 mit den jüngeren beiden Kindern ins Frauenhaus geflüchtet sei. Die älteste Tochter sei nach wie vor in der Obhut des Beschuldigten und es werde beantragt, sie polizeilich ebenfalls zur Privatklägerin ins Frauenhaus zu verbringen. Die Privatklägerin stehe für eine Befragung zur Verfügung. Die Beschimpfungen und die Nötigung, dem Beschuldigten zu gehorchen, wenn sie die Kinder jemals wieder sehen wolle könne die Privatklägerin direkt am besten ausführen (Urk. 1/3). Am 3. September 2020 wurde die Privatklägerin zu ihrer Strafanzeige polizeilich befragt (Urk. 3/1). Am
4. September 2020 wurde der Beschuldigte gestützt auf einen von der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat ausgestellten Vorführungsbefehl an seinem Wohnort verhaftet und der Staatsanwaltschaft zugeführt (Urk. 12/1-2; Urk. 2/2). Am 5. September 2020 wurde der Beschuldigte, unter Anordnung von Ersatzmassnahmen, wieder aus der Haft entlassen (Urk. 12/5 ff.).
Im Rahmen der staatsanwaltschaftlichen Untersuchung erhob die Privatklägerin weitere Vorwürfe gegen den Beschuldigten, namentlich bezichtigte sie ihn u.a. mehrfacher, bereits länger zurückliegender sexueller Übergriffe (Urk. 3/2). Nach
Abschluss der Untersuchung stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren gegen den Beschuldigten bezüglich des Vorwurfs des Entziehens von Minderjährigen mit Verfügung vom 29. April 2021 ein (Urk. 19). Im Übrigen erhob sie gegen den Beschuldigten zunächst Anklage an das Bezirksgericht Zürich (Urk. 21), zog diese in der Folge jedoch mangels örtlicher Zuständigkeit des angerufenen Bezirksgerichts wieder zurück (Urk. 24-26; Urk. 28). Am 31. Mai 2021 erhob die Staatsanwaltschaft schliesslich Anklage gegen den Beschuldigten an das örtlich zuständige Bezirksgericht Winterthur (nachfolgend: Vorinstanz; Urk. 29). Dieses führte am 1. Dezember 2021 die Hauptverhandlung durch (Prot. I S. 9 ff.), anlässlich welcher die Privatklägerin erneut als Auskunftsperson einvernommen wurde (Prot. I S. 37 ff.). Gleichentags fällte die Vorinstanz das eingangs wiedergegebene Urteil, welches sie den Parteien am 2. Dezember 2021 mündlich sowie schriftlich in unbegründeter Ausfertigung eröffnete (Prot. I S. 79 ff.; Urk. 52).
2. Am 3. Dezember 2021 meldeten die Staatsanwaltschaft (Urk. 53), am
7. Dezember 2021 die Privatklägerin (Urk. 56) sowie am 13. Dezember 2021 der Beschuldigte (Urk. 58) jeweils fristgerecht Berufung gegen das vorinstanzliche Urteil an. Nach Zustellung des begründeten Urteils (Urk. 60 = Urk. 64) am
14. April 2022 (Urk. 61/1) reichte der Beschuldigte dem Obergericht am
22. April 2022 (Poststempel) fristgerecht die Berufungserklärung ein (Urk. 67). Demgegenüber zog die Staatsanwaltschaft die von ihr angemeldete Berufung am
26. April 2022 zurück (Urk. 69). Die Privatklägerin reichte keine Berufungserklärung ein. Mit Beschluss vom 16. Mai 2022 wurde infolgedessen auf die Berufung der Privatklägerin nicht eingetreten und vom Rückzug der Berufung der Staatsanwaltschaft Vormerk genommen (Urk. 71).
3. Mit Präsidialverfügung vom 25. Mai 2022 wurden der Privatklägerin und der Staatsanwaltschaft in Anwendung von Art. 400 Abs. 2 und 3 StPO sowie Art. 401 StPO eine Kopie der Berufungserklärung des Beschuldigten zugestellt und Frist angesetzt, um Anschlussberufung zu erheben ein Nichteintreten auf die Berufung zu beantragen. Zugleich wurde dem Beschuldigten Frist angesetzt, um aktuelle Unterlagen zu seinen finanziellen Verhältnissen einzureichen. Der Privatklägerin wurde Frist angesetzt, um sich über die Ausübung ihrer
Opferschutzrechte gemäss Art. 335 Abs. 4 StPO sowie Art. 153 Abs. 1 StPO zu erklären (Urk. 73). Die Staatsanwaltschaft verzichtete mit Eingabe vom
21. Juni 2022 auf Anschlussberufung und beantragte die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils (Urk. 75). Weder der Beschuldigte noch die Privatklägerin liessen sich zur Verfügung vom 25. Mai 2022 vernehmen.
Am 2. September 2022 wurden die Parteien zur heutigen Berufungsverhandlung vorgeladen, wobei der Staatsanwaltschaft und der Privatklägerin das Erscheinen freigestellt wurde (Urk. 78).
Mit Verfügung vom 5. Oktober 2022 wurde dem Beschuldigten und der Privatklägerin Frist angesetzt, um zu einem allfälligen Widerruf der amtlichen Verteidigung bzw. der unentgeltlichen Rechtsverbeiständung Stellung zu nehmen (Urk. 82). Nachdem beide Rechtsvertreter sich der Auffassung des Gerichts angeschlossen hatten (Urk. 84 und 87), wurden der amtliche Verteidiger sowie die unentgeltliche Vertreterin der Privatklägerin mit Verfügung vom 19. Oktober 2022 entlassen und ihnen Frist angesetzt, um mitzuteilen, ob sie künftig als erbetene Rechtsvertreter der Parteien auftreten (Urk. 89). Hierauf legte die Vertreterin der Privatklägerin ihr Mandat mit Eingabe vom 27. Oktober 2022 nieder (Urk. 91).
Zur heutigen Berufungsverhandlung erschien der Beschuldigte B. in
Begleitung seiner erbetenen Verteidigerin Rechtsanwältin M.A. HSG X. . Es war weder über Vorfragen noch über Beweisanträge zu entscheiden. Das Urteil erging im Anschluss an die Berufungsverhandlung (Prot. II S. 14 ff.).
Umfang der Berufung
Die Berufungserklärung des Beschuldigten richtet sich gegen seine Ver- urteilung wegen versuchter Nötigung und mehrfacher Beschimpfung (Disp.- Ziff. 1), die Strafzumessung (Disp.-Ziff. 2 und 3 [recte: 3 und 4]), die Zivilforderung der Privatklägerin (Disp.-Ziff. 5 [recte: 6]), die Abweisung seines Genugtuungsbegehrens (Disp.-Ziff. 6 [recte: 7]) sowie (sinngemäss) das Kosten- und Entschädigungsdispositiv (Disp.-Ziff. 8 und 9 [recte: 9 und 10]). Er verlangt einen
vollumfänglichen Freispruch, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten der Staatskasse (Urk. 67 S. 1).
Nicht angefochten und somit in Rechtskraft erwachsen sind der Vorab- Beschluss der Vorinstanz betreffend definitive Verfahrenseinstellung hinsichtlich des Vorwurfs der sexuellen Nötigung, die Freisprüche von den Vorwürfen der mehrfachen Vergewaltigung, der sexuellen Nötigung, der Drohung und der Beschimpfung (Disp.-Ziff. 2), die Abweisung des Antrags auf Abnahme einer DNA- Probe (Disp.-Ziff. 4 [recte: 5]) sowie die Kostenfestsetzung (Disp.-Ziff. 7 [recte: 8]) des vorinstanzlichen Urteils, was vorab mittels Beschlusses festzustellen ist.
Nachdem der Beschuldigte als einziger Berufung führt, steht die Überprüfung des angefochtenen Urteils im Übrigen unter dem Vorbehalt des Verschlechterungsverbots (Art. 391 Abs. 2 StPO).
Formelles
Soweit nachfolgend auf Erwägungen der Vorinstanz im angefochtenen Entscheid verwiesen wird, erfolgt dies in Anwendung von Art. 82 Abs. 4 StPO (vgl. dazu BGer. 6B_570/2019 vom 23. September 2019, E. 4.2, m.w.H.), auch ohne dass dies jeweils explizit Erwähnung findet.
Im Übrigen ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich die urteilende Instanz nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen und je- des einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen muss (BGE 141 IV 249,
E. 1.3.1, mit Hinweisen). Die Berufungsinstanz kann sich somit in der Begründung auf die für ihren Entscheid wesentlichen Punkte beschränken.
1. Gegenstand des Berufungsverfahrens sind einzig noch die Anklagevorwürfe hinsichtlich der Vorfälle vom 29. Juni 2020, vom 1. August 2020 sowie vom
3. August 2020 (Anklageziffern IV. und V.; Urk. 29 S. 4 f.), deretwegen der Beschuldigte von der Vorinstanz der versuchten Nötigung sowie der mehrfachen
Beschimpfung schuldig gesprochen wurde (vgl. insbesondere Urk. 64 S. 45-56 sowie S. 59-61).
Der Beschuldigte wandte im Berufungsverfahren gegen seine Verurteilung ein, er habe die Privatklägerin weder bedroht noch sie als Nutte/Schlampe beschimpft. Dass er die Privatklägerin als Fettsack und fettes Stück Scheisse tituliert habe, dazu stehe er. Er sei aber auch beschimpft worden (Urk. 97 S. 5 ff.).
Die Vorinstanz machte vorab zutreffende Ausführungen zu den allgemeinen Grundsätzen der Sachverhaltserstellung (Urk. 64 S. 9 Mitte bis S. 11 oben), auf welche verwiesen werden kann. Ferner wies die Vorinstanz zu Recht auf die turbulente Beziehungsgeschichte des Beschuldigten und der Privatklägerin hin (Urk. 64 S. 7 f.), worauf ebenfalls verwiesen werden kann. Die Parteien sind seit ca. 20 Jahren in einer on/off-Beziehung sowie durch drei gemeinsame Kinder miteinander verbunden, wobei es immer wieder zu heftigen Streitigkeiten gekommen ist, die auch bereits zu diversen straf- und zivilrechtlichen Verfahren geführt haben. Auch das vorliegende Strafverfahren gegen den Beschuldigten hatte seinen Ursprung in einem eskalierten Konflikt der Parteien über die gemeinsamen Kinder, wobei die Privatklägerin erst zu einer Anzeige gegen den Beschuldigten schritt, nachdem dieser zusammen mit den Kindern eine Strafanzeige gegen die Privatklägerin wegen Tätlichkeiten erstattet hatte, welche zur Folge hatte, dass die Kinder nach den Sommerferien 2020 vorerst beim Vater bleiben durften (vgl. vorstehend E. I./1. sowie Urk. 10/4). Die nach der Strafanzeige des Beschuldigten und der Kinder an den Wohnort der Privatklägerin ausgerückten Polizeibeamten stellten zudem Anhaltspunkte dafür fest, dass sich die Wohnung der Privatklägerin offenbar in einem verwahrlosten Zustand befand, wobei die Privatklägerin den Polizeibeamten den Zutritt zur Wohnung schliesslich verweigerte (vgl. Urk. 10/4 S. 7). Das Verfahren gegen den Beschuldigten betreffend Entziehung von Unmündigen wurde denn auch bereits von der Staatsanwaltschaft im Wesentlichen mit der Begründung eingestellt, dass der Beschuldigte im Interesse der Kinder gehandelt habe, als er sie nach den Sommerferien bei sich behielt (Urk. 19). In der Folge lehnte es die mit dem Fall befasste KESB aufgrund der Vorkommnisse offenbar vorerst ab, die Kinder vom
Beschuldigten zur eigentlich obhutsberechtigten Privatklägerin zurückzuführen, worauf die Privatklägerin schliesslich – ohne ersichtlichen aktuellen Anlass, jedoch angeblich auf Anraten der Kinderärztin – ins Frauenhaus floh und die Kinder eigenmächtig von ihrer Mutter aus der Schule abholen und zu sich bringen liess. Unmittelbar anschliessend liess die Privatklägerin dann die vorliegende Strafanzeige gegen den Beschuldigten einreichen, dies offensichtlich deshalb, um damit ihr eigenmächtiges Vorgehen (Flucht ins Frauenhaus mit den Kindern) zu legitimieren (vgl. zum Ganzen: Urk. 1/3; Urk. 3/1 S. 3 f.). Dies schliesst zwar noch nicht zum Vornherein aus, dass die von der Privatklägerin gegen den Beschuldigten erhobenen Vorwürfe zutreffen und sie diese aus anderen Gründen nicht bereits früher zur Anzeige gebracht hat. Jedoch ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Privatklägerin zur Erreichung des von ihr verfolgten Ziels (Wiedererlangung der Obhut über die Kinder) hier geneigt gewesen sein könnte, allenfalls auch (stark) übertriebene Vorwürfe gegen den Beschuldigten zu erheben, zumal sie der Ansicht war, dieser habe versucht, ihr die Kinder wegzunehmen. Vor diesem Hintergrund erscheint die allgemeine Glaubwürdigkeit der Privatklägerin im Ergebnis als (stark) eingeschränkt, zu welchem Schluss denn auch bereits die Vorinstanz zu Recht gelangt ist. Zutreffend führte die Vorinstanz weiter aus, dass auch die allgemeine Glaubwürdigkeit des Beschuldigten eingeschränkt ist. Richtig ist schliesslich der Hinweis der Vorinstanz, dass in erster Linie die Glaubhaftigkeit der konkreten Aussagen für die Beweiswürdigung massgebend ist (vgl. Urk. 64 S. 11).
Hinsichtlich des Vorwurfs der versuchten Nötigung vom 29. Juni 2020 (Anklageziffer IV.) hat die Vorinstanz den Anklagevorwurf sowie die relevante Beweislage zutreffend wiedergegeben (Urk. 64 S. 46-51). Auf diese Ausführungen kann vorab verwiesen werden. Unstrittig ist, dass es am
29. Juni 2020 zwischen dem Beschuldigten und der Privatklägerin zu einem telefonischen Streitgespräch bezüglich der Kostenübernahme für die Zahnspange der Tochter C. kam. Strittig ist insbesondere, ob der Beschuldigte dabei zur Privatklägerin sagte, dass er sie umbringen werde, wenn sie ihn jemals wieder nach Geld frage, bzw. dass er nur über die Leichen seiner Kinder mehr Geld bezahle als jetzt schon [gemeint: als die im Scheidungsurteil festgelegten
Kinderunterhaltsbeiträge]. Nachdem der Beschuldigte diese Vorwürfe von sich weist, liegen als Beweismittel hierfür einzig die Aussagen der Privatklägerin vor. Der Vorinstanz kann zwar zugestimmt werden, dass die Aussagen des Beschuldigten zum Vorfall beschönigend und nur bedingt glaubhaft wirken (Urk. 64 S. 52 f.). Dies alleine trägt indessen nichts zur Erstellung des Anklagesachverhalts bei.
Entgegen der Vorinstanz erscheinen auch die Aussagen der Privatklägerin – wie auch die Verteidigung ausführt (Urk. 98 S. 6 ff.) – nicht über alle Zweifel erhaben. Die in der Anklageschrift aufgeführten Drohungen des Beschuldigten gab die Privatklägerin so lediglich in ihrer ersten polizeilichen Einvernahme zu Protokoll (Urk. 3/1 S. 5 oben). Demgegenüber sagte die Privatklägerin in der staatsanwaltschaftlichen Einvernahme zum Vorfall vom 29. Juni 2020 aus: (…) als ich die erste Rechnung [gemeint: bezüglich der Zahnspange der Tochter] erhalten habe, habe ich ihm das per SMS geschickt. Ich dachte wir hätten es wieder gut, er rief mich dann an und war sehr hässig, dass ich jetzt wieder mehr Geld wollte. (…) Bei dem Telefonat Ende Juni hat er in den Hörer geschrien, du Hure, du Nutte, er werde keinen Rappen mehr zahlen, nur über seien [recte wohl: seine] Leiche. Er sagte mir auch auf Albanisch 'Nur über die Leiche meiner Kinder'. (…) Er darf mir nicht jedes Mal anschreien und beleidigen, wenn wir Unstimmigkeiten haben. Ich habe meiner Mutter angerufen… Es fällt auf, dass die Privatklägerin hier von sich aus mit keinem Wort erwähnte, dass der Beschuldigte anlässlich des Telefonats zu ihr gesagt habe, dass er sie umbringen werde, wenn sie ihn jemals wieder nach Geld frage. Erst auf konkrete Nachfrage der Staatsanwältin nach einer solchen Drohung gab die Privatklägerin zu Protokoll: Ja, das hat er immer gesagt. Auch bei diesem Telefonat. (Urk. 3/2 S. 8). Auf weitere Nachfrage führte die Privatklägerin sodann – im Widerspruch zu ihrer vorhergehenden Aussage – aus, der Beschuldigte habe über die Leiche meiner Kinder auf Deutsch gesagt (Urk. 3/2 S. 22). Auf erneute Nachfrage der Verteidigung erklärte die Privatklägerin schliesslich, zuerst hatte er mich gedroht, wenn noch einmal so etwas kommt, er bringe mich um. Oder auf Albanisch, ich ficke deine Mutter. Er sagte nur über meine Leiche bezahle ich einen Rappen mehr für die Kinder und nur über die Leiche der Kinder. Das sagte er auf Albanisch und auf Deutsch.
(Urk. 3/2 S. 23). Dass die Privatklägerin diese angeblich schwere Drohung des Beschuldigten, welche sie in Angst versetzt haben soll, nicht von Anfang an und von sich aus in ihrer Schilderung erwähnte, sondern erst auf (mehrfache) Nachfrage, erstaunt doch sehr und spricht eher gegen die Glaubhaftigkeit ihrer Anschuldigung. Zudem fällt auf, dass die Privatklägerin offenbar ihre Aussagen anpasste, indem sie zunächst behauptete, die Äusserung über die Leiche meiner Kinder sei auf Albanisch erfolgt, später aber (nur) auf Deutsch und schliesslich auf Albanisch und Deutsch.
Anlässlich ihrer erneuten Einvernahme an der vorinstanzlichen Hauptverhandlung führte die Privatklägerin sodann zum Vorfall aus: Dann rief er mich sehr 'hässig' an und schrie mich an und sagte, dass er schon genug bezahle und nur über die Leichen der Kinder mehr zahlen werde. (Prot. I S. 49 f.). Auch hier erwähnte die Privatklägerin nicht, dass der Beschuldigte ihr gedroht habe, sie umzubringen, wenn sie ihn jemals wieder nach Geld frage. Auf die Nachfragen der Verfahrensleitung, in welcher Sprache der Beschuldigte ihr mit über die Leichen der Kinder gedroht habe, antwortete die Privatklägerin ausweichend, unsicher und widersprüchlich. So erklärte sie, der Beschuldigte und sie hätten früher immer auf Albanisch und Deutsch geredet. (…) Die ganz schlimmen Bedrohungen hat er meistens auf Albanisch gesagt. (…) Das mit 'über die Leichen der Kinder', weiss ich, dass er das wiederholt hat und auch auf Deutsch gesagt hat. (…) Ich weiss nicht mehr, in welcher Reihenfolge das war. (…) Er hat es sicher auch auf Deutsch gesagt. (…) das hat er so oft gesagt. Das hat er immer wieder gesagt, in beiden Sprachen. (…) Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich den genauen Wortlaut auf Albanisch nicht mehr weiss. (Prot. I S. 50 f.). Nicht zuletzt vor dem Hintergrund, dass die Privatklägerin selber als Albanisch-Dolmetscherin tätig ist, erstaunt doch sehr, dass sie den albanischen Wortlaut der vom Beschuldigten angeblich so oft ausgestossenen und sie in Angst versetzenden Drohung nicht mehr wiederzugeben vermag. Dies nährt zudem auch den Einwand des Beschuldigten, wonach die Privatklägerin den von ihm verwendeten albanischen Wortlaut allenfalls sinnwidrig ins Deutsche übersetzt hat. Verneint die Privatklägerin (wenig glaubhaft) sich an den albanischen Wortlaut zu erinnern, so
lässt sich nämlich auch die Bedeutung des (angeblich) Gesagten nicht objektiv überprüfen.
Die Aussagen der Privatklägerin zu den angeblichen Drohungen des Beschuldigten vom 29. Juni 2020 erscheinen insgesamt als unzuverlässig und es kann nicht darauf abgestellt werden. Der Anklagesachverhalt lässt sich somit nicht erstellen. Der Beschuldigte ist daher vom Vorwurf der versuchten Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB freizusprechen.
5. Hinsichtlich der mehrfachen Beschimpfungen der Privatklägerin durch den Beschuldigten am 29. Juni 2020, 1. August 2020 sowie 3. August 2020 kann voll- umfänglich auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 64 S. 45, 54 und 56). Es ist ohne Weiteres erstellt, dass der Beschuldigte die Privatklägerin als Nutte, Hure, fettes Stück Scheisse und Fettsack titulierte, was der Beschuldigte teilweise auch einräumte und schriftlich dokumentiert ist. Wenn der Beschuldigte geltend macht, die Begriffe Nutte und Hure beim Telefonat vom 29. Juni 2020 nicht verwendet zu haben, gleichzeitig sich aber nicht mehr erinnern könne, mit welchen Worten er die Privatklägerin beschimpft habe, und selbst ausführt, die aufgeführten Begriffe Nutte/Hure und Fettsack/fettes Stück Scheisse seien (zumindest früher) in ihrer Beziehung an der Tagesordnung gewesen und würden in dieselbe Kategorie fallen (Urk. 97
S. 8 ff.), erscheint dies widersprüchlich und vermag nicht zu überzeugen. Die Aussagen der Privatklägerin diesbezüglich sind hingegen konstant und werden indirekt durch eine dokumentierte E-Mail-Nachricht gestützt. Darin bezichtigt die Privatklägerin den Beschuldigten, sie als Hure und Schlampe beschimpft zu haben (Urk. 4/4 S. 2). Diese E-Mail hat die Privatklägerin zwar erst im Nachgang des Streits dem Beschuldigten geschrieben und es kann – wie die Verteidigung vorbringt (Urk. 98 S. 13) – nicht ausgeschlossen werden, dass sie dies aus prozesstaktischen Gründen gemacht haben könnte. Unter den gesamten Umständen und unter Berücksichtigung der Reaktion des Beschuldigten auf diese Nachricht, erscheint dies indessen nicht wahrscheinlich. Wie die Verteidigung vorbringt, hat der Beschuldigte entgegnet, die Privatklägerin solle mit ihren Unterstellungen aufhören (Urk. 4/4 S. 2; Urk. 98 S. 13). Indessen wird aus seiner
Reaktion – entgegen der Verteidigung (Urk. 98 S. 13) – nicht ersichtlich, dass er konkret die Vorwürfe der Beschimpfung zurückweist bzw. diese Wörter richtig stellt. Vielmehr scheint sich seine Reaktion auf die Vorwürfe die Kinderbelange betreffend zu beziehen (vgl. Urk. 4/4 S. 2). Entsprechend können auch die Beschimpfungen als Nutte/Hure mit der Vorinstanz erstellt werden. Wie die Vorinstanz richtig ausführte, handelt es sich bei den vom Beschuldigten verwendeten Begriffen um sogenannte Formalinjurien, die den Tatbestand der Beschimpfung per se erfüllen (Urk. 64 S. 59 f.), wovon im Übrigen auch die Verteidigung ausging (Urk. 50 S. 16). Der Beschuldigte ist somit der mehrfachen Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB schuldig zu sprechen.
Ob hier allenfalls eine Provokation bzw. Retorsion im Sinne von Art. 177 Abs. 2 bzw. 3 StGB vorliegt, entscheidet sich – entgegen der Verteidigung (Urk. 50
S. 16 f.; Urk. 98 S. 14 f.) – nicht im Rahmen der rechtlichen Würdigung (der Strafbarkeit an sich), sondern ist anlässlich der Strafzumessung zu prüfen, handelt es sich dabei doch nicht um Rechtfertigungsgründe, sondern um blosse (fakultative) Strafbefreiungsgründe (so auch zu Recht bereits die Vorinstanz in Urk. 64 S. 61).
Die Vorinstanz ging – zumindest bezüglich der Vorfälle vom 1. und 3. August 2020 – davon aus, dass die Privatklägerin die Beschimpfungen des Beschuldigten durch eigene ungebührliche Äusserungen im Sinne von Art. 177 Abs. 2 StGB provoziert hatte (Urk. 64 S. 61). Von einer möglichen Strafbefreiung des Beschuldigten aufgrund dieser Provokationen sah die Vorinstanz jedoch ab und berücksichtigte diese lediglich strafmindernd (Urk. 64 S. 65).
Die Verteidigung führte im Berufungsverfahren hierzu aus, sie beantrage für den Fall einer Verurteilung wegen Beschimpfung eine Geldstrafe von 5 Tagessätzen (Urk. 98 S. 15).
Hat der Beschimpfte durch sein ungebührliches Verhalten zu der Beschimpfung unmittelbar Anlass gegeben (sog. Provokation), so kann der Richter den Täter von der Strafe befreien (Art. 177 Abs. 2 StGB). Ist die Beschimpfung unmittelbar mit einer Beschimpfung Tätlichkeit erwidert worden (sog. Retorsion), so kann der Richter einen beide Täter von Strafe befreien (Art. 177 Abs. 3 StGB).
Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist Voraussetzung für die Strafbefreiung, dass die Beschimpfung durch ein verwerfliches Verhalten des Beschimpften hervorgerufen wurde und dass sie unmittelbar auf die Provokation erfolgt ist. Bei dem zur Beschimpfung Anlass gebenden Verhalten kann es sich sowohl um eine eigentliche, gezielte Provokation im Wortsinne, aber auch um irgendein anderes vorwerfbares Verhalten des Beschimpften handeln. Nicht erforderlich ist, dass sich das Anstoss erregende Verhalten gegen den Täter selbst gerichtet gar bereits die Schwelle einer Beschimpfung erreicht hat. Ein solches Verhalten wurde von der Rechtsprechung etwa bejaht in Fällen von störendem Parkieren, Anschwärzung einer früheren Geliebten (vermeintlichem) Jagen in einem Jagdschutzgebiet. Latente Spannungen genügen hingegen nicht (vgl. zur Kasuistik: StGB-Praxiskommentar, 4. Aufl., Zürich / St. Gallen 2021, N 7 zu Art. 177 StGB, sowie Basler Kommentar, Strafrecht II, 4. Aufl., Basel 2019, N 23 zu Art. 177 StGB). Dass die Reaktion des Täters auf das ihn empörende Verhalten unmittelbar erfolgt sein muss, ist zeitlich zu verstehen, und zwar in dem Sinne, dass der Täter in der durch das ungebührliche Verhalten erregten Gemütsbewegung handelt, ohne dass er Zeit zu ruhiger Überlegung hatte, was insbesondere im Schriftverkehr in der Regel nicht der Fall ist (vgl. zum Ganzen: BGE 83 IV 151; BGE 117 IV 270, E. 2c); BGer. 6B_229/2016 vom 8. Juni 2016, E. 2.1.4, je m.w.H.). Dass das Bundesgericht die gesetzlich vorgesehene Möglichkeit zur Strafbefreiung somit im Ergebnis auf Affekttaten beschränkt, wird in der Lehre als zu restriktiv kritisiert, mit dem Hinweis, dass das Gesetz in diesem Bagatellbereich auch Selbstjustiz zulasse (vgl. Basler Kommentar, a.a.O., N 19 zu Art. 177 StGB sowie StGB- Praxiskommentar, a.a.O., N 7 zu Art. 177 StGB).
Wie auch bereits der von den Parteien eingereichte, umfangreiche E-Mail- Verkehr dokumentiert, pflegen diese seit langem einen ausgesprochen rüden, wenn nicht geradezu primitiven Umgangston, der weitgehend von
Respektlosigkeit und gegenseitigen Beleidigungen bis hin zu (nicht verfahrensgegenständlichen) Drohungen – nota bene auch von Seiten der Privatklägerin (vgl. etwa Prot. I S. 55) – geprägt ist (vgl. Urk. 4, 6 und 7). Zu Recht stellte die Vorinstanz denn auch fest, dass den Beschimpfungen des Beschuldigten am 1. und 3. August 2020 beleidigende Äusserungen der Privatklägerin vorausgegangen waren, welche zumindest die Schwelle von Provokationen im Sinne von Art. 177 Abs. 2 StGB ohne Weiteres überschritten haben (vgl. Urk. 64 S. 61 und 65). Darauf kann verwiesen werden. Zu ergänzen ist, dass die Privatklägerin auch am 29. Juni 2020 den Streit und die Beschimpfungen des Beschuldigten provozierte, indem sie diesen mit den Worten
zur Zahlung aufforderte: da C.
deine Fresse hat, glaube ich, solltest du
dich an der Hälfte der Kosten beteiligen. Ohne ersichtlichen Anlass gab die Privatklägerin dem Beschuldigten damit zu verstehen, dass er eine Fresse habe, womit die Privatklägerin überdies eine erhebliche Geldforderung (ca. Fr. 5'000) verband, was umgehend zu einer erbosten Reaktion des Beschuldigten und der Beschimpfung der Privatklägerin führte. Nicht überzeugend sind diesbezüglich die Aussagen der Privatklägerin, wonach sie es mit dem Beschuldigten gerade lustig gehabt habe, als sie das geschrieben habe, zumal sie dies später auch wieder bestritt (vgl. Urk. 3/2 S. 22 oben; Prot. I S. 48 f.). Entgegen der Vorinstanz verlangt das Gesetz überdies auch keine verhältnismässige Reaktion des Beschuldigten in dem Sinne, dass eine verbale Provokation nur mit einer gleichwertigen Beschimpfung beantwortet werden dürfte. Dies ergibt sich auch daraus, dass die Provokation gemäss Art. 177 Abs. 2 StGB lediglich einen Strafbefreiungsgrund, nicht aber einen Rechtfertigungsgrund darstellt. Es erschiene angesichts der dokumentierten Kommunikationsweise zwischen den Parteien denn auch unbillig, den Beschuldigten für einzelne, von der Privatklägerin provozierte Beschimpfungen zu bestrafen, die Privatklägerin hingegen nicht.
Zusammenfassend sind vorliegend die Voraussetzungen von Art. 177 Abs. 2 StGB gegeben, so dass von einer Bestrafung des Beschuldigten abzusehen ist.
Ausgangsgemäss sowie unter Hinweis auf die vorstehenden Erwägungen zur Strafzumessung (Ziff. IV) besteht für die Zusprechung einer Genugtuung an die Privatklägerin kein Anlass, weshalb ihr Genugtuungsbegehren abzuweisen ist.
Nachdem es bei einer Verurteilung des Beschuldigten wegen mehrfacher Beschimpfung bleibt, der zusätzliche Freispruch vom Vorwurf der versuchten Nötigung vernachlässigbar ist und lediglich ermessensweise von einer Bestrafung des Beschuldigten abgesehen wird, rechtfertigt es sich, dem Beschuldigten die Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Verfahrens zu 1/10 aufzuerlegen und im Übrigen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Mithin ist das erstinstanzliche Kosten- und Entschädigungsdispositiv (Ziff. 8 und 9 [recte: 9 und 10]) im Ergebnis zu bestätigen (Art. 426 Abs. 1 StPO; Urk. 64 S. 73 f.).
Der Beschuldigte wurde unter dem Verdacht der Drohung und Nötigung polizeilich festgenommen und verbrachte in der Folge rund zwei Tage in Haft (Urk. 12/1-2; Urk. 12/5). Von diesen Vorwürfen wurde der Beschuldigte nun freigesprochen. Die verbleibende Verurteilung wegen mehrfacher Beschimpfung kann die erfolgte Verhaftung des Beschuldigten nicht rechtfertigen. Somit ist dem Beschuldigten gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO und Art. 431 Abs. 2 StPO antragsgemäss (vgl. Urk. 50 S. 17 f.; Urk. 98 S. 15) eine Genugtuung von Fr. 400.–, zuzüglich 5 % Zins seit 5. September 2020, für unrechtmässig erlittene Haft zuzusprechen.
Die Verfahrenskosten sind auf Fr. 2'500.– zu veranschlagen (Art. 424 Abs. 1 StPO in Verbindung mit § 16 Abs. 1 und § 14 der Gebührenverordnung des Obergerichts). Die Kosten des Berufungsverfahrens werden nach Obsiegen und Unterliegen der Parteien verteilt (Art. 428 Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte obsiegt mit seiner Berufung weitgehend und erreicht einen Freispruch vom Vorwurf der versuchten Nötigung, das Absehen von einer Bestrafung hinsichtlich der mehrfachen Beschimpfungen sowie die Abweisung der
Genugtuungsforderung der Privatklägerin. Er unterliegt jedoch mit seinem Hauptantrag auf Freispruch. Die Kosten des Berufungsverfahrens sind ihm deshalb zu einem Fünftel aufzuerlegen und im Übrigen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Im selben Umfang ist die Rückforderung der Kosten der vormaligen amtlichen Verteidigung von Fr. 1'775.95 (Urk. 95) sowie der vormaligen unentgeltlichen Rechtsvertretung der Privatklägerin von Fr. 1'658.60 (Urk. 86) im Berufungsverfahren vorzubehalten.
Schliesslich ist dem Beschuldigten ausgangsgemäss eine reduzierte Prozessentschädigung für die Kosten seiner erbetenen anwaltlichen Verteidigung im Berufungsverfahren zuzusprechen. Die Verteidigung macht einen Aufwand von rund 15 Stunden und insgesamt Fr. 4'900.25 geltend (Urk. 99). Dabei ist nachvollziehbar, dass die Verteidigung im Plädoyer Vorbemerkungen bzw. Ausführungen zu rechtskräftigen Freisprüchen machte, zumal der Beschuldigte dies gewünscht haben dürfte. Indes erscheint dieser Aufwand nicht angemessen, weshalb er nicht zu entschädigen ist. Für das gesamte Berufungsverfahren erscheint somit (nach Abzug und unter Berücksichtigung der tatsächlichen Dauer der Berufungsverhandlung) ein Aufwand von pauschal Fr. 4'250.– angemessen. Da der Beschuldigte mit seiner Berufung teilweise unterliegt, ist ihm eine reduzierten Parteientschädigung von pauschalisiert Fr. 3'400.– (inkl. MwSt.) zuzusprechen (Art. 436 Abs. 2 StPO). Das Verrechnungsrecht des Staates bleibt vorbehalten (Art. 442 Abs. 4 StPO).
Es wird beschlossen:
Es wird festgestellt, dass der Beschluss des Bezirksgerichts Winterthur vom
Dezember 2021 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:
1. Das Verfahren wird hinsichtlich des Vorwurfs der sexuellen Nötigung (Tatzeitraum zwischen ca. 12. Oktober 2006 und 22. Oktober 2006; Anklageziffer II/a) definitiv eingestellt.
2. (Mitteilung / Rechtsmittel)
Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Winterthur vom
Dezember 2021 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:
Es wird erkannt:
1. (…)
Von den folgenden Vorwürfen wird der Beschuldigte freigesprochen:
der mehrfachen Vergewaltigung im Sinne von Art. 190 Abs. 1 StGB,
der sexuellen Nötigung im Sinne von Art. 189 Abs. 1 StGB,
der Drohung im Sinne von Art. 180 Abs. 1 StGB sowie
der Beschimpfung gemäss Art. 177 Abs. 1 StGB (Vorfall vom 9. August 2020).
[recte: 3] (…)
[recte: 4] (…)
[recte: 5] Der Antrag auf Abnahme einer DNA-Probe und Erstellung eines DNA-Profils im Sinne von Art. 5 DNA-Profil-Gesetz wird abgewiesen.
[recte: 6] (…)
[recte: 7] (…)
[recte: 8] Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf: Fr. 3'600.00; die weiteren Kosten betragen: Fr. 3'000.00 Gebühr Vorverfahren
Fr. 13'339.35 Entschädigung amtliche Verteidigung (inkl. MwSt. und Barauslagen)
Fr. 17'429.25 Entschädigung unentgeltliche Rechtsvertretung der Privatklägerin (inkl. MwSt. und Barauslagen)
Fr. 37'368.60 Total
Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.
Wird auf eine Begründung dieses Entscheids verzichtet, ermässigt sich die Entscheidgebühr auf 2/3.
[recte: 9] (…)
9. [recte: 10] (…)
[recte: 11] (Mitteilungen)
[recte: 12] (Rechtsmittel)
3. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.
Es wird erkannt:
Der Beschuldigte B. wird ferner freigesprochen vom Vorwurf der versuchten Nötigung im Sinne von Art. 181 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB.
Der Beschuldigte ist schuldig der mehrfachen Beschimpfung im Sinne von Art. 177 Abs. 1 StGB.
Von einer Bestrafung des Beschuldigten wird abgesehen.
Das Genugtuungsbegehren der Privatklägerin A. wird abgewiesen.
Das erstinstanzliche Kosten- und Entschädigungsdispositiv (Ziff. 8 und 9 [recte: 9 und 10]) wird bestätigt.
Dem Beschuldigten werden Fr. 400.–, zuzüglich 5 % Zins seit 5. September 2020, als Genugtuung für unrechtmässig erlittene Haft aus der Gerichtskasse zugesprochen.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf:
Fr. 2'500.– ; die weiteren Kosten betragen: Fr. 1'775.95 vormalige amtliche Verteidigung
Fr. 1'658.60 vormalige unentgeltliche Vertretung Privatklägerin
Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme der Kosten der vormaligen amtlichen Verteidigung und der vormaligen unentgeltlichen Vertretung der Privatklägerschaft, werden dem Beschuldigten zu 1/5 auferlegt und im Übrigen auf die Gerichtskasse genommen.
Die Kosten der vormaligen amtlichen Verteidigung und der vormaligen unentgeltlichen Vertretung der Privatklägerschaft werden einstweilen auf die Gerichtskasse genommen. Die Rückzahlungspflicht des Beschuldigten im Umfang von 1/5 bleibt gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO bzw. Art. 138 Abs. 1 StPO vorbehalten.
Dem Beschuldigten wird für das Berufungsverfahren eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 3'400.– für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.
Das Verrechnungsrecht des Staates bleibt vorbehalten.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an
die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)
die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat (versandt)
die Privatklägerin A. (versandt)
(Eine begründete Urteilsausfertigung – und nur hinsichtlich ihrer eigenen Anträge (Art. 84 Abs. 4 StPO) – wird den Privatklägern nur zugestellt, sofern sie dies innert 10 Tagen nach Erhalt des Dispositivs verlangen.)
sowie in vollständiger Ausfertigung an
die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat
die Privatklägerin A. (sofern verlangt)
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz
die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zur Entfernung der Daten gemäss Art. 12 Abs. 1 lit. d VOSTRA-Verordnung
die Kantonspolizei Zürich, KDM-ZD, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG).
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
I. Strafkammer Zürich, 17. November 2022
Der Präsident:
lic. iur. Ch. Prinz
Die Gerichtsschreiberin:
MLaw A. Donatsch
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