Zusammenfassung des Urteils SB220020: Obergericht des Kantons Zürich
Ein Beschuldigter wurde wegen mehrfacher vorsätzlicher Verstösse gegen das Tierschutzgesetz angeklagt und verurteilt. Er hatte seinem Hund entgegen einer Verfügung des Kantonstierarztes mehrmals ausserhalb des Hauses überlassen. Der Beschuldigte legte Berufung ein, da er die Anklagevorwürfe bestritt und eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs geltend machte. Die Beschwerdekammer entschied, dass das Urteil aufgehoben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückverwiesen wird. Die Gerichtskosten in Höhe von 2'000 CHF gehen zu Lasten des Staates.
Kanton: | ZH |
Fallnummer: | SB220020 |
Instanz: | Obergericht des Kantons Zürich |
Abteilung: | II. Strafkammer |
Datum: | 04.10.2022 |
Rechtskraft: | Weiterzug ans Bundesgericht, 6B_29/2023 |
Leitsatz/Stichwort: | Versuchte vorsätzliche Tötung |
Schlagwörter : | Beschuldigte; Privatkläger; Beschuldigten; Messer; Video; Privatklägers; Vorinstanz; Minute; Messers; Tankstelle; Recht; Auseinandersetzung; Verteidigung; Berufung; Motorrad; Fahrzeug; Messerstich; Videos; Stich; Urteil; Sekunden; Tötung; Verletzung |
Rechtsnorm: | Art. 111 StGB ;Art. 112 StGB ;Art. 113 StGB ;Art. 122 StPO ;Art. 126 StGB ;Art. 135 StPO ;Art. 138 StPO ;Art. 19 StGB ;Art. 22 StGB ;Art. 391 StPO ;Art. 399 StPO ;Art. 40 StGB ;Art. 401 StPO ;Art. 404 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 437 StPO ;Art. 51 StGB ;Art. 82 StPO ;Art. 90 SVG ; |
Referenz BGE: | 131 IV 100; 136 IV 55; 137 IV 113; 140 IV 150; 143 IV 453; |
Kommentar: | Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017 |
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer
Geschäfts-Nr.: SB220020-O/U/cs
Mitwirkend: Oberrichter Dr. Bussmann, Präsident, Ersatzoberrichterin Dr. Borla und Ersatzoberrichter PD Dr. Zogg sowie Gerichtsschreiberin lic. iur. Schwarzenbach-Oswald
Urteil vom 4. Oktober 2022
in Sachen
Anklägerin und Erstberufungsklägerin
sowie
,
Privatkläger und Drittberufungskläger
unentgeltlich vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,
gegen
,
Beschuldigter und Zweitberufungskläger
amtlich verteidigt durch Rechtsanwalt MLaw Y1. , betreffend versuchte vorsätzliche Tötung
Anklage:
Die (ergänzte) Anklageschrift der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom
10. März 2021 (Urk. 69) ist diesem Urteil beigeheftet.
Urteil der Vorinstanz:
Der Beschuldigte ist schuldig der versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB.
Der Beschuldigte wird bestraft mit 5 Jahren und 2 Monaten Freiheitsstrafe, wovon 353 Tage durch Haft erstanden sind.
Die Freiheitsstrafe wird vollzogen.
Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger Schadenersatz in der Höhe von Fr. 635.85 zuzüglich Zins von 5 % seit 24. April 2020 zu bezahlen. Die darüber hinausgehenden Anträge des Privatklägers auf Leistung von Schadenersatz werden auf den Zivilweg verwiesen.
Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 5'000.– zuzüglich Zins von 5 % seit 24. April 2020 zu bezahlen. Im Mehrbetrag wird das Genugtuungsbegehren abgewiesen.
Die folgenden, beim FOR unter der Referenz-Nr. 77765583 / K200424-065 lagernden, sichergestellten Gegenstände werden dem Beschuldigten nach Eintritt der Rechtskraft dieses Urteils auf erstes Verlangen herausgegeben nach unbenutztem Ablauf einer dreimonatigen Frist der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen:
1 Cutter (aus Fahrzeug ZH1 C. ) (Asservate-Nr. A013'725'354);
1 Klappmesser, schwarz (aus der Besteckschublade in der Küche der Wohnung des Beschuldigten) (A013'725'365);
1 Klappmesser, silberfarben (aus der Besteckschublade in der Küche der Wohnung des Beschuldigten) (A013'725'376);
1 Paar Sportschuhe Nike, weiss (aus dem Wandschrank beim Eingang in der Wohnung des Beschuldigten) (A013'725'387);
1 Poloshirt, weiss (vom Kleiderständer im Schlafzimmer der Wohnung des Beschuldigten) (A013'725'398);
1 …-hose lang, weiss (aus dem Wandschrank beim WC in der Woh- nung des Beschuldigten) (A013'725'401);
1 …-hose kurz, weiss (aus dem Wandschrank beim WC in der Woh- nung des Beschuldigten) (A013'725'412);
1 Spachtel (aus den …-hosen kurz im Wandschrank beim WC in der Wohnung des Beschuldigten) (A013'725'423);
1 Cutter (aus den …-hosen kurz im Wandschrank beim WC in der Wohnung des Beschuldigten) (A013'725'434).
Rechtsanwältin lic. iur. Y2. wird für ihre Bemühungen und Auslagen als amtliche Verteidigerin unter Berücksichtigung der Akontozahlungen vom
30. Juni 2020 bzw. 16. Februar 2021 in Höhe von je Fr. 15'000.– mit weiteren Fr. 16'505.75 (inkl. Mehrwertsteuer) aus der Gerichtskasse entschädigt.
Rechtsanwalt lic. iur. X. wird für seine Bemühungen und Auslagen als unentgeltlicher Rechtsbeistand der Privatklägerschaft mit Fr. 16'593.50 (inkl. Mehrwertsteuer) aus der Gerichtskasse entschädigt.
Die Entscheidgebühr wird festgesetzt auf:
Fr. 8'000.00; die weiteren Kosten betragen: Fr. 3'000.00 Gebühr für das Vorverfahren Fr. 17'687.85 Auslagen (Gutachten)
Fr. 270.00 Auslagen
Fr. 840.00 Auslagen Polizei
Fr. 15'000.00 Entschädigung amtliche Verteidigung (30. Juni 2020)
Fr. 15'000.00 Entschädigung amtliche Verteidigung (16. Februar 2021) Fr. 16'505.75 amtliche Verteidigung
Fr. 16'593.50 unentgeltliche Vertretung Privatklägerschaft
Allfällige weitere Kosten bleiben vorbehalten.
Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, ausser diejenigen der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Vertretung der
Privatklägerschaft, werden dem Beschuldigten auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Vertretung der Privatklägerschaft werden auf die Gerichtskasse genommen; vorbehalten bleibt eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO.
Berufungsanträge:
Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 146 S. 1 f.)
In Abänderung der Ziffer 1 des Urteils des Bezirksgerichts Horgen vom 12.04.2021 sei der Beschuldigte wegen
qualifizierter einfacher Körperverletzung nach Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB,
eventualiter wegen versuchter schwerer Körperverletzung im Sin- ne von Art. 122 i.V.m. Art. 22 StGB,
schuldig zu sprechen.
In Abänderung der Ziffer 2 und 3 des Urteils des Bezirksgerichts Horgen vom 12.04.2021 sei der Beschuldigte mit einer Freiheitsstrafe von 18 Monaten zu bestrafen, wobei neun Monate der Strafe bedingt auszusprechen sind, unter Auferlegung einer Probezeit von zwei Jahren und Anrechnung der bereits erstandenen Haft.
In Abänderung der Ziffer 5 des Urteils des Bezirksgerichts Horgen vom 12.04.2021 sei der Beschuldigte zu verpflichten, dem Privatkläger eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 2'500.– zuzüglich Zins von 5% seit
24. April 2020 zu bezahlen. Im Mehrbetrag sei das Genugtuungsbegehren abzuweisen.
In Abänderung der Ziffer 10 des Urteils des Bezirksgerichts Horgen vom 12.04.2021 seien die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, ausser diejenigen der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Vertretung der Privatklägerschaft, zu zwei Drittel auf
die Staatskasse zu nehmen und zu einem Drittel dem Beschuldigten aufzuerlegen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Vertretung der Privatklägerschaft seien auf die Gerichtskasse zu nehmen.
Für die Überhaft sei dem Beschuldigten eine angemessene Entschädigung auszurichten.
Im Übrigen sei das Urteil des Bezirksgerichts Horgen vom 12.04.2021 zu bestätigen.
Alles unter Kosten- und Entschädigungsfolgen (zzgl. 7.7% MwSt.).
Des Vertreters der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich: (Urk. 145 S. 1)
In Abänderung von Dispositiv-Ziff. 2 des Urteils der Vorinstanz sei der Beschuldigte mit einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren zu bestrafen.
Im Übrigen sei das Urteil der Vorinstanz zu bestätigen.
Des Vertreters der Privatklägerschaft: (Prot. II S. 19)
Es sei der Schuldspruch zu bestätigen, welchen die Vorinstanz gefällt hat.
Es sei festzustellen, dass die Dispositivziffer 4 des erstinstanzlichen Urteils (Schadenersatz) rechtskräftig geworden ist und Dispositivziffer 5 (Genugtuung) im Umfang von Fr. 2'500.– rechtskräftig geworden ist.
Die Anträge der Verteidigung seien im Übrigen vollumfänglich abzuweisen.
Das Ganze unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten des Staates.
Erwägungen:
1. Für den Verfahrensgang bis zur Eröffnung des eingangs im Dispositiv wie- dergegebenen Urteils des Bezirksgerichts Horgen (nachfolgend Vorinstanz) vom
12. April 2021 ist auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz zu verweisen (Urk. 132, E. I.1-13). Gegen dieses Urteil meldeten sowohl der Beschuldigte als auch die Staatsanwaltschaft und der Privatkläger rechtzeitig Berufung an (Art. 399 Abs. 1 StPO; Urk. 101, 102 und 103). Das begründete Urteil der Vorinstanz wurde dem Verteidiger des Beschuldigten, der Staatsanwaltschaft und dem Rechtsvertreter des Privatklägers je am 13. Januar 2022 zugestellt (Urk. 129/1-3). Innerhalb der gesetzlichen Frist gemäss Art. 399 Abs. 3 StPO reichten die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung ihre Berufungserklärungen ein (Urk. 133 und 136). Der Privatkläger zog seine angemeldete Berufung mit Eingabe vom 2. Februar 2022 zurück (Urk. 138). Innert der mit Verfügung vom 8. Februar 2022 (Urk. 139) angesetzten Frist gemäss Art. 400 Abs. 3 lit. b StPO wurde von keiner Partei Anschlussberufung i.S.v. Art. 401 StPO erhoben. Beweisanträge wurden nicht gestellt.
Mit Verfügung vom 28. April 2021 (Urk. 115) bewilligte die Vorinstanz dem Beschuldigten den von ihm beantragten (Urk. 104) vorzeitigen Strafvollzug. Zuvor befand er sich seit seiner Verhaftung am 24. April 2020 ununterbrochen in Untersuchungsbzw. Sicherheitshaft (vgl. Urk. 16/1, 16/9, 16/11, 16/20, 16/25, 16/29, 16/33 und 16/42 sowie Urk. 21A, 55, 85/1 und 98).
Ebenfalls mit Verfügung vom 28. April 2021 (Urk. 113) entliess die Vorinstanz die vormalige amtliche Verteidigerin des Beschuldigten, Frau Rechtsanwältin lic. iur. Y2. , antragsgemäss aus dem Mandat und bestellte dem Beschuldigten seinen bis dahin erbetenen Verteidiger, Herrn Rechtsanwalt MLaw Y1. , als amtlichen Verteidiger. Mit Verfügung vom 21. Oktober 2021
(Urk. 126) setzte die Vorinstanz die (Zusatz-)Entschädigung von Rechtsanwältin lic. iur. Y2. für die seit dem erstinstanzlichen Urteil vom 12. April 2021 angefallenen Bemühungen und Auslagen auf Fr. 390.45 (inkl. MwSt.) fest und nahm diese Kosten – vorbehältlich einer Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO – auf die Gerichtskasse.
Die Berufungsverhandlung fand am 4. Oktober 2022 statt (Prot. II, S. 4 ff.).
Gemäss Art. 402 i.V.m. Art. 437 StPO hat die Berufung im Umfang der Anfechtung aufschiebende Wirkung und wird die Rechtskraft des angefochtenen Urteils dementsprechend gehemmt. Das Berufungsgericht überprüft das erstinstanzliche Urteil somit nur in den angefochtenen Punkten (Art. 404 Abs. 1 StPO), d.h. die Berufung ist nach Massgabe der Berufungserklärungen – und gegebenenfalls auch der Anschlussberufungserklärungen (vgl. Art. 401 Abs. 1 und 2 StPO) – auf die angefochtenen Teile des vorinstanzlichen Urteils beschränkt (Art. 399 Abs. 4 StPO). Das Berufungsgericht fällt aber, auch wenn es letztlich nur die angefochtenen Punkte neu beurteilt, insgesamt ein neues Urteil, worin die neu überprüften und auch die (teil-)rechtskräftigen Punkte bezeichnet werden (BSK StPO- EUGSTER, Art. 402 N 2). Wird die Berufung auf die Anfechtung von Schuldoder Freisprüchen beschränkt, muss eine Gutheissung indessen automatisch dazu führen, dass die mit dem Schuldpunkt untrennbar verknüpften Teile des Urteils, wie namentlich die Sanktion und die Verlegung der Verfahrenskosten (vgl. auch Art. 428 Abs. 3 StPO) sowie u.U. auch noch weitere Nebenfolgen, neu überprüft werden, selbst wenn diesbezüglich keine ausdrücklichen Anträge vorliegen (vgl. BGer, 6B_1299/2018 vom 28. Januar 2019, E. 2.3; ZIMMERLIN, in: Donatsch et al, StPO Komm., 3. Aufl. 2020, Art. 399 N 19).
Die Staatsanwaltschaft hat ihre Berufung auf die Bemessung der Strafe beschränkt, wobei sie eine Freiheitsstrafe von 8 Jahren beantragt (Urk. 133).
Der amtliche Verteidiger des Beschuldigten ficht mit seiner Berufungserklärung zunächst den erstinstanzlichen Schuldspruch wegen versuchter vorsätzlicher Tötung im Sinne von Art. 111 StGB i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB an (Urk. 132, Dispositivziffer 1) und verlangt eine Verurteilung wegen qualifizierter einfacher Körperverletzung i.S.v. Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB, eventualiter wegen versuchter schwerer Körperverletzung i.S.v. Art. 122 i.V.m. Art. 22 StGB. Darüber hinaus wendet sich die Verteidigung mit ihrer Berufung auch selbständig gegen die Bemessung (Urk. 132, Dispositivziffer 2) und den Vollzug der Strafe (Urk. 132, Dispositivziffer 3); diesbezüglich beantragt sie eine Freiheitsstrafe von 18 Monaten, wobei neun Monate bedingt auszusprechen seien, unter Festsetzung einer Probezeit von zwei Jahren und unter Anrechnung der erstandenen Haft. Weiter ficht die Verteidigung das vorinstanzliche Urteil im Zivilpunkt mit Bezug auf die dem Privatkläger zugesprochene Genugtuung an (Urk. 132, Dispositivziffer 5), nicht aber hinsichtlich des Entscheids betreffend die geltend gemachte Schadenersatzforderung (Urk. 132, Dispositivziffer 4), und beantragt, es sei dem Privatkläger bloss eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 2'500.– zuzusprechen; im Mehrbetrag sei das Genugtuungsbegehren abzuweisen. Schliesslich wendet sich die Vertei- digung auch gegen die vorinstanzliche Kostenauflage (Urk. 132, Dispositivzif-
fer 10) und verlangt eine angemessene Entschädigung für die Überhaft (Urk. 136, S. 2).
Das vorinstanzliche Urteil ist folglich mit Bezug auf die Dispositivziffern 4 (Schadenersatzforderung des Privatklägers), 6 (Herausgabe sichergestellte Gegenstände) und 7-9 (Kostenfestsetzung) in Rechtskraft erwachsen, was vorab mit Beschluss festzustellen ist.
Weil im Schuldpunkt ausschliesslich der Beschuldigte Berufung erhoben hat
und weil diesbezüglich keine Anschlussberufung erhoben wurde –, darf der vorinstanzliche Entscheid in diesem Punkt nicht zum Nachteil des Beschuldigten abgeändert werden (Verbot der reformatio in peius; vorbehalten bleiben einzig Tatsachen, die dem erstinstanzlichen Gericht nicht bekannt sein konnten; Art. 391
Abs. 2 StPO). Eine Verurteilung des Beschuldigten wegen versuchten Mordes
i.S.v. Art. 112 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB, wie sie die Staatsanwaltschaft in ihrer ergänzten Anklage noch beantragt hatte (Urk. 69 S. 3 f.), fällt deshalb bereits aus prozessualen Gründen ausser Betracht. Im Übrigen besteht aber weder eine Bin- dung an die Begründung noch – soweit nicht Zivilansprüche betroffen sind – an die Anträge der Parteien (Art. 391 Abs. 1 StPO). Mit Bezug auf die Bemessung der Strafe, die sowohl vom Beschuldigten als auch von der Staatsanwaltschaft angefochten wurde, besteht deshalb keine Bindung in die eine die andere Richtung, sondern es ist – im Falle eines Schuldspruchs – die angemessene Strafe frei festzulegen.
Der Privatkläger hat seine mit Eingabe vom 20. April 2021 (Urk. 103) angemeldete (Dritt-)Berufung am 2. Februar 2022 zurückgezogen (Urk. 138), wovon Vormerk zu nehmen ist.
Vorbemerkungen
Der eingeklagte Sachverhalt ergibt sich aus der (ergänzten) Anklageschrift der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom 10. März 2021 (Urk. 69, S. 2 f.), die diesem Urteil beigeheftet ist. Darauf kann hier verwiesen werden (vgl. Art. 82 Abs. 4 StPO).
Es ist unbestritten und aufgrund des Untersuchungsergebnisses ohne Weiteres als erstellt zu betrachten, dass der Beschuldigte am 24. April 2020, ca. um 12:45 Uhr, mit einem weissen Lieferwagen (Geschäftsfahrzeug mit der Nummer ZH 1) von D. in Richtung E. fuhr und der Privatkläger mit seinem Motorrad (ZH 2) zur gleichen Zeit auf derselben Strecke unterwegs war, wobei es auf diesem Streckenabschnitt zu einer irgendwie gearteten Auseinandersetzung zwischen diesen beiden Verkehrsteilnehmern gekommen ist. Dies hat die Vorinstanz im Grundsatz zutreffend festgestellt (Urk. 132, E. II.3), worauf hier verwiesen wer- den kann (Art. 82 Abs. 4 StPO). Umstritten sind einzig Anlass, Gegenstand und Einzelheiten dieser Auseinandersetzung; darauf ist zurückzukommen (E. III.2).
Vom Beschuldigten eingestanden und aufgrund des Untersuchungsergeb- nisses ebenfalls ohne Weiteres als erstellt zu betrachten ist sodann, dass der Privatkläger in der Folge mit seinem Motorrad zur F. -Tankstelle an der
G. -strasse 3, … E. , fuhr, sein Motorrad dort an einer Tanksäule parkierte und den Tankstellenshop betrat, um etwas zu kaufen, und dass der Beschuldigte seinerseits nur wenige Sekunden nach dem Privatkläger – diesem unmittelbar folgend – auf das Tankstellengelände einbog, seinen Lieferwagen einige Meter vom Motorrad des Privatklägers entfernt parkierte, fahrerseitig aus dem Lieferwagen ausstieg, um sein Fahrzeug herumlief, beifahrerseitig die vordere Türe seines Fahrzeuges öffnete und einen Gegenstand aus dem Fahrzeug an sich nahm. Auch diesbezüglich hat die Vorinstanz den Sachverhalt im Grundsatz zutreffend festgestellt (Urk. 132, E. II.3.10, E. II.4.2-4.3.1), sodass darauf verwiesen werden kann (Art. 82 Abs. 4 StPO). Diese Vorgänge sind ohne Weiteres – aus verschiedenen Perspektiven – auf den im Recht liegenden Videoaufnahmen der Überwachungskameras der Tankstelle zu sehen (Urk. 2/5, Video 1, Minute 0:18- 1:14; Video 2, Minute 0:39-0:44; Video 3, Minute 0:17-1:14; Video 4, 0:43-2:07). Strittig ist in diesem Zusammenhang, ob der Beschuldigte dem Privatkläger, wie von der Anklage behauptet, bewusst gefolgt war, um ihn wegen der vorangegangenen Auseinandersetzung im Strassenverkehr zu bestrafen, ob er, wie von ihm behauptet, ohnehin zur genannten Tankstelle wollte, um etwas zu essen zu kaufen, und dort zufällig (erneut) auf den Privatkläger traf (dazu E. III.7). Umstritten ist zudem, ob der Beschuldigte, nachdem er beifahrerseitig die Türe seines Fahrzeugs geöffnet und sich hineingebückt hatte, ein Messer oder, wie von ihm behauptet, sein Portemonnaie behändigt hat (dazu E. III.3).
Eingestanden und namentlich aufgrund der Videoaufnahmen der Überwachungskameras (Urk. 2/5, Video 1, Minute 1:14-2:19; Video 2, Minute 2:13-2:22; Video 3, Minute 1:14-1:19) als erstellt zu betrachten ist sodann, dass der Beschuldigte, nachdem er den vorerwähnten Gegenstand aus seinem Fahrzeug an sich genommen hatte, auf das parkierte Motorrad des Privatklägers zuging, dort während rund 48 Sekunden (Urk. 2/5, Video 1, Minute 1:20-2:08) auf den Privatkläger wartete und alsdann, als dieser den Shop verlassen hatte, auf diesen zuging und mindestens einmal mit einem geöffneten Klappmesser auf den Privat-
kläger einstach. Auch hier kann auf die im Kern zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 132, E. II.4.3.2, E. II.4.5). Mit Bezug auf den äusseren Anklagesachverhalt umstritten ist diesbezüglich einzig, ob der Beschul- digte das Messer erst unmittelbar vor dem Zustechen bereits früher hervorgenommen und aufgeklappt hat (dazu E. III.3) sowie weitere Einzelheiten der tätlichen Auseinandersetzung, namentlich ob der Beschuldigte weitere Stichversuche unternommen hat bloss noch Faustschläge zu erteilen versuchte (dazu
E. III.4). Von der Verteidigung bestritten wird ferner die in der Anklage behauptete Klingenlänge des vom Beschuldigten verwendeten Messers von 8 cm (dazu
E III.6).
Ohne Weiteres erstellt ist sodann, dass der Beschuldigte in der Folge vom Privatkläger abliess, sich umdrehte, in normalem Schritttempo zu seinem Fahrzeug zurückkehrte und mit normaler Geschwindigkeit davonfuhr. Der Privatkläger seinerseits ging nach dem Messerstich auf das Fahrzeug des Beschuldigten zu und machte mit seinem Mobiltelefon eine Videoaufnahme (Urk. 2/6). Auch diese Vorgänge sind auf den Überwachungskameras gut ersichtlich (Urk. 2/5, Video 1, Minute 2:23-3:05; Video 2, Minute 2:20-2:22; Video 3, 2:31-3:05) und im Übrigen unbestritten; auch diesbezüglich kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 132, E. II.4.6).
Auch die vom Privatkläger aufgrund des Messerstichs tatsächlich erlittenen Verletzungen stellt die Verteidigung nicht grundsätzlich in Abrede. Unbestritte- nermassen erlitt dieser als Folge des Messerstichs im Bereich der linken Flanke eine nicht lebensgefährliche Stichverletzung mit einer Hautdurchtrennung von
2.5 cm Länge und einem Stichkanal von mehreren Zentimetern (vgl. auch hier die im Grundsatz zutreffenden Ausführungen der Vorinstanz; Urk. 132, E. II.4.7; vgl. zudem das Gutachten des IRM vom 27. Juli 2020; Urk. 10/17, S. 6 f.). Strittig ist einzig die genaue Tiefe der erlittenen Stichverletzung; darauf ist zurückzukommen (E. III.5).
Die Vorinstanz hat die für die Sachverhaltserstellung wesentlichen Beweismittel zutreffend aufgelistet (Urk. 132, E. II.1.2), worauf verwiesen werden kann. Nicht erwähnt hat sie – und ergänzend zu nennen sind – zum einen die
Aussagen der Auskunftsperson H. (Urk. 6/1) sowie der Zeugen I. (Urk. 6/2), J. (Urk. 6/3) und K. (Urk. 6/4) sowie zum anderen die aus den Überwachungsvideos der betreffenden F. -Tankstelle gewonnenen Standbilder gemäss dem Fotobogen der Kantonspolizei Zürich (Urk. 2/2), die Fotodokumentationen des Forensischen Instituts Zürich (Urk. 9/2 und Urk. 9/11), welche unter anderem weitere Standbilder (besserer Qualität) aus den Videosequenzen der genannten Überwachungsaufnahmen enthalten (Urk. 9/11, S. 10 ff.), sowie die von der ehemaligen amtlichen Verteidigerin eingereichten Standbilder (Urk. 91/1-28). Im Übrigen hat die Vorinstanz die Grundsätze der Beweiswürdigung korrekt dargelegt (Urk. 132, E. II.1.3-1.4), worauf ebenfalls verwiesen wer- den kann.
Vorangehende Auseinandersetzung im Strassenverkehr
Dem eigentlichen Tatgeschehen bei der F. -Tankstelle ging unbestrittenermassen eine Auseinandersetzung im Strassenverkehr zwischen dem Beschuldigten und dem Privatkläger voraus. Die Anklage beschränkt sich diesbezüglich auf die Ausführung, es sei bei einem Lichtsignal auf der Strecke zwischen D. und E. zu einer mit Gesten ausgetragenen Auseinandersetzung zwischen dem Beschuldigten und dem Privatkläger gekommen, wobei der Privatkläger den Beschuldigten anschliessend überholt habe (Urk. 69, S. 2).
Nach der Darstellung des Privatklägers sei der Beschuldigte mit seinem weissen Lieferwagen als erstes Fahrzeug in einer Kolonne bei einem Lichtsignal zwischen D. und E. trotz Grünlicht nicht losgefahren, wobei etwa fünf Autos hinter ihm gestanden seien und gehupt hätten. Der Privatkläger sei alsdann mit seinem Motorrad an der Kolonne vorbeigefahren, habe zuvorderst in das Fahrzeug des Beschuldigten hineingeschaut und festgestellt, dass dieser am Telefon gewesen sei. Daraufhin habe er (der Privatkläger) den Kopf geschüttelt und sei weitergefahren. Gegenüber dem Beschuldigten habe er keine Geste gemacht, ihm namentlich nicht den Mittelfinger gezeigt, und auch sonst nichts zu ihm gesagt. In der Folge habe der Beschuldigte ihn überholt; der Privatkläger sei dann hinter dem Beschuldigten in Richtung E. gefahren. In der Nähe der Autobahneinfahrt A1 habe er (der Privatkläger) den Beschuldigten alsdann wieder
überholt und sei zur F. -Tankstelle gefahren (Urk. 5/2, S. 3 ff.; vgl. auch Urk. 95, S. 5 ff.).
Der Beschuldigte führte demgegenüber in der Hauptverhandlung vor Vorinstanz zusammengefasst aus, es sei bereits vor dem betreffenden Lichtsignal zu einer Auseinandersetzung mit dem Privatkläger gekommen. Der Privatkläger sei mit seinem Motorrad auf seine Höhe gefahren und habe ihm durch das offene Fenster gesagt: Weisst du, dass du nicht einfach telefonieren darfst, du Idiot? Dann habe der Privatkläger ihm (dem Beschuldigten) den Mittelfinger gezeigt und sei weitergefahren. In der Folge habe der Beschuldigte den Privatkläger überholt und sei als Erster beim nächsten Lichtsignal angekommen; anschliessend seien sie noch etwa zwei drei Mal aneinander vorbeigefahren. Er (der Beschuldigte) habe den Privatkläger dabei immer wieder gefragt, was los sei, während der Privatkläger den Beschuldigten fortlaufend beleidigt habe. Dann habe er (der Beschuldigte) den Privatkläger aus den Augen verloren, bis er ihn bei der F. - Tankstelle zufällig wieder gesehen habe, als dieser vor ihm auf das Tankstellengelände eingebogen sei (Prot. I, S. 22 f., 26 ff.).
Als Beweismittel liegen hierzu einzig die Aussagen des Beschuldigten (Urk. 4/2, S. 2 f.; Urk. 4/3, S. 2; Urk. 4/4, S. 4; Urk. 16/6, S. 2; Urk. 16/40, S. 2;
Prot. I, S. 22 f., 26 ff.) sowie jene des Privatklägers (Urk. 5/1, S. 2; Urk. 5/2,
S. 3 ff., 7 f.) im Recht. Die Vorinstanz hat diese, soweit relevant, zutreffend wie- dergegeben und zusammengefasst, worauf hier verwiesen werden kann
(Urk. 132, E. II.3.2-3.4 und E. II.3.6-3.7). Nach Würdigung dieser Aussagen kam die Vorinstanz zum Schluss, es lasse sich nicht zweifelsfrei erstellen, was zwischen dem ersten Kontakt des Beschuldigten mit dem Privatkläger im Strassenverkehr bis zu deren Ankunft bei der F. -Tankstelle in E. genau geschehen sei. Es müsse aber davon ausgegangen werden, dass zwischen dem Beschuldigten und dem Privatkläger etwas vorgefallen sei, das über ein blosses Kopfschütteln und ein anschliessendes stilles Vorbeifahren des Privatklägers hinausgegangen sei, andernfalls der Beschuldigte bei der F. -Tankstelle wohl kaum rund 50 Sekunden auf den Privatkläger gewartet hätte. Mit Bezug auf das vom Beschuldigten behauptete Zeigen des Mittelfingers kam die Vorinstanz zum
Schluss, es sei im Lichte der diesbezüglichen Konstanz in den Aussagen des Beschuldigten, mit Blick auf dessen anschliessendes Verhalten bei der Tankstelle und in Nachachtung des Grundsatzes in dubio pro reo zugunsten des Beschul- digten davon auszugehen, dass der Privatkläger gegenüber dem Beschuldigten durch eine Geste seine Unzufriedenheit über dessen Verhalten im Strassenverkehr zum Ausdruck gebracht habe.
Dem kann im Grundsatz zugestimmt werden. In Ergänzung zu den vorinstanzlichen Erwägungen ist aufgrund der in diesem Punkt durchaus glaubhaften und konsistenten Aussagen des Privatklägers zudem davon auszugehen, dass der Beschuldigte – in seinem Fahrzeug telefonierend – an einem Lichtsignal zwischen D. und E. trotz grünem Licht nicht sofort losgefahren ist, dass der Privatkläger daraufhin die sich hinter dem Lieferwagen des Beschuldigten befindende Wagenkolonne überholt hat, fahrerseitig am Fahrzeug des Beschuldigten vorbeigefahren ist und sich dabei beim Beschuldigten sinngemäss darüber beschwert hat, dass dieser telefonierte und nicht losfuhr. Gegen diese Sachdarstellung hat der Beschuldigte nichts vorgebracht, was an den glaubhaften und konsistenten Aussagen des Privatklägers zweifeln lassen würde. Dass er bloss am Musikhören und deshalb abgelenkt gewesen sein soll, ist nicht glaubhaft, zumal der Beschuldigte im Rahmen seiner Befragung vor Vorinstanz letztlich eingestanden hat, dass er am Telefonieren war und dass dies der Grund für die Unzufriedenheit des Privatklägers war (Prot. I, S. 53: Ich war bloss am Telefonieren und jemand kommt und sagt 'Hey, du darfst nicht telefonieren' […]).
Ferner muss der vorinstanzliche Schluss, es sei zugunsten des Beschul- digten davon auszugehen, dass der Privatkläger gegenüber dem Beschuldigten durch eine Geste seine Unzufriedenheit […] zum Ausdruck gebracht habe, dahingehend ergänzt werden, dass in dubio pro reo anzunehmen ist, dass der Privatkläger dem Beschuldigten, wie von diesem geltend gemacht, beim Vorbeifahren den Mittelfinger gezeigt habe. Der Privatkläger hat seinerseits stets behauptet, er habe – abgesehen vom Kopfschütteln – gegenüber dem Beschuldigten überhaupt keine Geste gemacht, während der Beschuldigte konstant ausgesagt hat, der Privatkläger habe ihm den Mittelfinger gezeigt. Weder das eine noch das
andere lässt sich anhand der im Recht liegenden Aussagen der Beteiligten zweifelsfrei feststellen. Es ist deshalb zugunsten des Beschuldigten auf seine Version
das Zeigen des Mittelfingers – abzustellen. Dass diese Sachverhaltsfeststellung schlechterdings unerheblich sei, wie die Vorinstanz festhält (Urk. 132, E. II.3.6), trifft so nicht zu. Ob das Zeigen des Mittelfingers im Rahmen der Mordqualifikation entscheidend gewesen wäre, braucht hier nicht erörtert zu werden (vgl. dazu
E. II.2 und E. IV.4.2); im Rahmen der Strafzumessung kann dieser Umstand in- dessen nicht vollständig ausgeblendet werden.
Weiter hält die Vorinstanz fest, die vom Beschuldigten behaupteten verbalen Beleidigungen als Idiot durch den Privatkläger erschienen als unglaubhaft. Dem kann unter Verweis auf die entsprechenden Erwägungen der Vorinstanz oh- ne Weiteres zugestimmt werden (Urk. 132, E. II.3.7). Eine entsprechende Aussage hat der Beschuldigte erstmals an der vorinstanzlichen Hauptverhandlung gemacht (Prot. I, S. 22 f., 42), während er zuvor noch ausgesagt hatte, er habe den Inhalt des vom Privatkläger gesprochenen Wortes nicht verstehen können
(Urk. 4/2, S. 2; Urk. 4/3, S. 2; Urk. 16/40, S. 2); darauf weist die Vorinstanz zu Recht hin. Ferner widersprach sich der Beschuldigte auch an der vorinstanzlichen Hauptverhandlung, wenn er zuerst behauptete, die Fenster seines Fahrzeuges seien geöffnet gewesen und er habe eine Beleidigung als Idiot durch den Privatkläger gehört, während er später zu Protokoll gab, er habe nicht verstanden, was der Privatkläger gesagt habe, und er (der Beschuldigte) habe versucht, das Fenster zu öffnen, um zu hören, was der Privatkläger sage und welche Sprache dieser spreche (Prot. I, S. 28). Mit der Vorinstanz ist deshalb davon auszugehen, dass der Privatkläger gegenüber dem Beschuldigten keine (zumindest keine hörbaren) verbalen Beleidigungen ausgesprochen hat.
Geschehnisse bei der Tankstelle vor der tätlichen Auseinandersetzung
Es ist unbestritten, dass der Privatkläger im Anschluss an die mit Gesten ausgetragene Auseinandersetzung – d.h. das Zeigen des Mittelfingers – am Fahrzeug des Beschuldigten vorbeifuhr, woraufhin der Beschuldigte seinerseits dem Privatkläger hinterherfuhr und diesen überholte. In der Folge kam es zu min- destens einem weiteren Überholmanöver, bei dem der Privatkläger wiederum am
Beschuldigten vorbeigefahren ist (Urk. 4/3, S. 2; Prot. I, S. 23, 28 f.; Urk. 5/2,
S. 3 f.). Fest steht sodann auch, dass der Privatkläger in der Folge zur F. - Tankstelle in E. fuhr, wo er um 12:46 Uhr eintraf, und dass der Beschuldigte nur rund vier Sekunden später – keine 20 Meter hinter dem Privatkläger fahrend – ebenfalls auf das Tankstellengelände einbog, wobei sich zwischen dem Privatkläger und dem Beschuldigten kein weiteres Fahrzeug befand. Dies ist auf den im Recht liegenden Überwachungsvideos der genannten Tankstelle ohne Weiteres ersichtlich (Urk. 2/5, Video 1, Minute 0:18-0:22; Video 3, Minute 0:17-0:21). Ebenfalls unbestritten und auf den Videos gut ersichtlich ist sodann auch, dass der Privatkläger sein Motorrad unmittelbar nach seiner Ankunft neben der Tanksäule 12 parkierte, von diesem abstieg, sein Visier öffnete, seine Handschuhe auszog und in den Tankstellenshop ging (Urk. 2/5, Video 1, Minute 0:25-0:42; Video 4, Minute 0:43-0:48). Der Beschuldigte seinerseits parkierte seinen Lieferwagen rund
10 Meter in Fahrtrichtung links neben dem Privatkläger, wobei er noch einmal zurücksetzte und korrigierte, stieg fahrerseitig aus seinem Fahrzeug aus, lief hinten um dieses herum zur Beifahrertür, bückte sich über den Beifahrersitz in das Innere seines Fahrzeuges hinein, machte dort während rund 22 Sekunden etwas, wobei nicht ersichtlich ist, was er genau tat, schloss dann die Beifahrertür und lief mit einem auf den Videos nicht genau erkennbaren Gegenstand in den Händen zum parkierten Motorrad des Privatklägers (Urk. 2/5, Video 1, Minute 0:19-1:20; Video 3, Minute 0:18-1:19), wo er – sich einige Schritte auf und ab bewegend – während rund 48 Sekunden wartete, bis der Privatkläger den Tankstellenshop verliess (Urk. 2/5, Video 1, Minute 1:20-2:08). Diese Tatsachen hat die Vorinstanz zutreffend festgestellt (Urk. 132, E. II.4.2-4.3). Sie werden vom Beschuldigten nicht bestritten und sind als erstellt zu betrachten.
In diesem Zusammenhang bestreitet der Beschuldigte einzig, dass er das von ihm in der Folge eingestandenermassen verwendete Klappmesser bereits zu einem Zeitpunkt behändigt und geöffnet haben soll, als der Privatkläger den Tankstellenshop noch nicht verlassen hatte, insbesondere dass er das Klappmesser beifahrerseitig aus seinem Fahrzeug genommen haben soll, als er sich während rund 22 Sekunden über den Beifahrersitz in das Fahrzeuginnere hineingebückt hatte. Vielmehr macht der Beschuldigte geltend, er habe beifahrerseitig
nach seinem Portemonnaie gesucht, dieses letztlich auch gefunden, an sich ge- nommen und in der Folge in seine Hosentasche gesteckt. Das Messer habe er von Anfang an in seinem Hosensack gehabt und erst hervorgenommen und aufgeklappt, als der Privatkläger den Tankstellenshop verlassen hatte (Prot. I,
S. 23 f., 30 ff., 35 ff.; Urk. 4/4, S. 2, 7; Prot. II, S. 16 f.; vgl. auch die Ausführungen der Verteidigung, Urk. 93, S. 12, 23 und Urk. 146, S. 7).
Als relevante Beweismittel liegen diesbezüglich einzig die Aussagen des Beschuldigten sowie die Videos der Überwachungskameras der Tankstelle im Recht. Die Aussagen des Privatklägers sind hier nicht aufschlussreich (Urk. 5/1- 2); dasselbe gilt für die Aussagen der einvernommenen Drittpersonen (Urk. 6/1- 4).
Die Vorinstanz hält fest, der genaue Zeitpunkt des Hervorholens des vom Beschuldigten in der Folge gegen den Privatkläger verwendeten Klappmessers sei auf den Videos der Überwachungskameras nicht zweifelsfrei ersichtlich, lasse sich aber im Ausschlussverfahren ermitteln. Auf dem Video 3 sei ersichtlich, dass der Beschuldigte einen Gegenstand aus seinem Fahrzeug geholt habe, nicht je- doch, ob es sich dabei um ein Messer ein Portemonnaie gehandelt habe. Während der 48 Sekunden des Wartens auf den Privatkläger greife der Beschul- digte mehrmals mit den Händen in seine Hosentaschen bzw. in deren Nähe; das sei zum letzten Mal bei Minute 1:45 des Videos 1 der Fall. Danach greife der Beschuldigte bis zum ersten Körperkontakt mit dem Privatkläger bei Minute 2:12 des Videos 1 nicht mehr in die Nähe seiner Hosentaschen, sodass sich ein späteres Hervorholen des Messers nicht mit den Videoaufnahmen vereinbaren lasse. Insbesondere sei nicht ersichtlich, dass der Beschuldigte das Klappmesser erst nach Erkennen des Privatklägers bei Minute 2:08 des Videos 1 gar erst während der tätlichen Auseinandersetzung mit diesem hervorgenommen habe. Zugunsten des Beschuldigten sei deshalb davon auszugehen, dass er das Messer nicht bereits beim Aussteigen aus dem Fahrzeug, sondern erst beim letzten Griff zur Hosentasche behändigte, nämlich bei Minute 1:45 des Videos 1. Es sei damit erstellt, dass der Beschuldigte das Klappmesser spätestens 23 Sekunden bevor er den Privatkläger erkannt habe und spätestens 27 Sekunden vor Beginn der tätli-
chen Auseinandersetzung aus der rechten vorderen Hosentasche in die rechte Hand genommen und danach hinter seinem Rücken versteckt gehalten habe (Urk. 132, E. II.4.4.5). Als Zeitpunkt für das Öffnen bzw. Aufklappen des Messers komme entsprechend nur das bei Minute 2:10 des Videos 1 ersichtliche Zusammenführen der Hände des Beschuldigten vor seinem Oberkörper in Frage. Es sei somit erstellt, dass der Beschuldigte das bereits zuvor behändigte Klappmesser spätestens in jenem Zeitpunkt – zwei Sekunden vor Beginn der tätlichen Ausei- nandersetzung – aufgeklappt habe (Urk. 132, E. II.4.4.6).
Diesen Feststellungen kann nicht uneingeschränkt gefolgt werden. Auf dem Video 1 (Urk. 2/5) ist der Beschuldigte ab dem Zeitpunkt, als er beifahrerseitig die vordere Türe seines Fahrzeuges schloss und zum rund zehn Meter entfernten Motorrad des Privatklägers lief (Minute 1:14-1:20), durchgehend bis zum Beginn der tätlichen Auseinandersetzung (Minute 2:12) gut zu erkennen. Bei Mi- nute 1:56-2:02 des Videos 1 hält der Beschuldigte gut erkennbar einen Gegenstand in seiner linken Hand vor seinem Gesicht, der nur als Messer und nicht als Portemonnaie interpretiert werden kann. Ab jenem Zeitpunkt bis zu Minute 2:10 des Videos 1 greift der Beschuldigte mit seiner linken Hand nicht mehr in die Nähe einer seiner Hosentaschen und auch nicht mehr zu seiner rechten Hand, so- dass sich der betreffende Gegenstand – das Messer – während dieser Zeit (Minute 1:56-2:10) durchgehend in seiner linken Hand befunden haben muss. Bei Minute 2:10 führt der Beschuldigte seine beiden Hände vor seinem Oberkörper zusammen, was unzweifelhaft darauf schliessen lässt, dass er zu jenem Zeitpunkt das Messer von seiner linken in seine rechte Hand nahm, zumal er unmittelbar danach (ab Minute 2:12 des Videos 1) auf den Privatkläger einsticht und das Messer zu jenem Zeitpunkt offensichtlich in seiner rechten Hand hält (Video 1, Minute 2:12-2:18; Video 2, Minute 2:15-2:22). Wie die Vorinstanz richtig festhält, kann aufgrund dieser Videoaufnahmen ausgeschlossen werden, dass der Beschuldigte das Messer, wie er geltend macht, erst zu einem Zeitpunkt hervorgeholt haben soll, als er den Privatkläger ausserhalb des Tankstellenshops erkannt hat und auf diesen zuging (ab Minute 2:08 des Videos 1), sogar erst unmittelbar vor während der tätlichen Auseinandersetzung (Video 1, Minute 2:12- 2:20; Video 2, Minute 2:15-2:21). Damit steht unzweifelhaft fest, dass der Be-
schuldigte das Klappmesser ab Minute 1:56 bis Minute 2:10 des Videos 1 in sei- ner linken und ab dann bis zur zwei Sekunden später beginnenden tätlichen Auseinandersetzung in seiner rechten Hand hielt.
Die Videoaufnahmen des Videos 1 legen bei Minute 1:19-1:25 den Schluss nahe, dass der Beschuldigte bereits dann, d.h. bereits bei seiner Ankunft beim Motorrad des Privatklägers, einen Gegenstand in seiner linken Hand hielt, der oh- ne Weiteres als Messer interpretiert werden kann, wenngleich dies auf dem verfügbaren Bildmaterial nicht zweifelsfrei erkennbar ist. Feststeht indessen, dass der Beschuldigte ab jenem Zeitpunkt (Video 1, Minute 1:19) bis zum erwähnten Zusammenführen seiner Hände bei Minute 2:10 des Videos 1 mit seiner linken Hand nicht mehr in einer Weise zu einer seiner Hosentaschen gegriffen hat, die als Hervornehmen des Messers interpretiert werden könnte, und dass er zudem bis dahin auch seine Hände nicht mehr so zusammengeführt hat, dass ein Wechsel des Messers von der rechten in die linke Hand möglich gewesen wäre (wenn der Beschuldigte also nach Minute 1:19 des Videos 1 mit seiner rechten Hand in eine seiner Hosentaschen greift, konnte er damit nicht das Messer behändigt haben, da er dieses ab Minute 1:56 offensichtlich in seiner linken Hand hielt, bis dahin aber seine Hände nicht mehr zusammengeführt hat). Bei Minute 1:22 des Vi- deos 1 rückt der Beschuldigte seine Hosen zurecht und bei Minute 1:35-1:43 stützt er seine Hände in seine Hüfte; bei beidem ist ein Hervorholen des Messers mit der linken Hand ausgeschlossen (ein Halten des zusammengeklappten Messers in der linken Hand aber ohne Weiteres möglich). Bei Minute 1:43 des Vi- deos 1 zieht der Beschuldigte beide Schultern hoch und greift mit seiner rechten Hand an seine linke Schulter bzw. seinen linken Oberarm; ein Ergreifen des Messers mit der linken Hand zu jenem Zeitpunkt kommt vernünftigerweise nicht in Betracht. Bei Minute 1:44-1:46 und 1:54-1:56 ist die linke Hand des Beschuldigten zwar nicht durchgehend sichtbar, ein Hervorholen des Messers aus seiner Hosentasche mit der linken Hand ist aber anhand der erkennbaren Bewegungen seines linken Armes nicht denkbar. Es steht damit fest, dass der Beschuldigte das Klappmesser ab Minute 1:19 bis Minute 2:10 des Videos 1 durchgehend in seiner linken Hand und alsdann – ab Minute 2:10 – in seiner rechten Hand gehalten hat.
Wenn feststeht, dass der Beschuldigte das Messer bereits ab Minute 1:19 des Videos 1 in seiner linken Hand gehalten hat, dann musste es sich auch bei jenem Gegenstand, den er kurz zuvor (Video 1, Minute 0:52-1:14; Video 3, Minute 0:50-1:14) aus seinem Fahrzeug geholt hatte, um das Klappmesser gehandelt haben: Beim bzw. unmittelbar nach dem Schliessen der Beifahrertüre seines Fahrzeuges und beim Weggehen in Richtung des Motorrads des Privatklägers führte der Beschuldigte seine Hände zusammen, wobei er das Messer möglicherweise von seiner rechten in seine linke Hand genommen hat (Video 1, Minute 1:13-1:14; Video 3, Minute 1:14-1:15). Ein späteres Ergreifen des Messers mit der linken Hand ist indessen ausgeschlossen. Auf dem Weg von seinem Fahrzeug zum Motorrad des Privatklägers ist die linke Hand des Beschuldigten durchgehend sichtbar, wobei keine Bewegung erkennbar ist, die als Ergreifen des Messers verstanden werden könnte (Video 1, Minute 1:14-1:19; Video 3, Minute 1:15-
1:19).
Damit steht bereits anhand des verfügbaren Videomaterials unzweifelhaft fest, dass der Beschuldigte das Messer bereits beim Verlassen seines Fahrzeugs behändigt hat (Video 1, Minute 1:13; Video 3, Minute 1:13), wobei er es in jenem Zeitpunkt möglicherweise von seiner rechten in seine linke Hand genommen hat, dass er es anschliessend bis zwei Sekunden vor Beginn der tätlichen Auseinan- dersetzung (Video 1, Minute 2:10) während seines Gangs von seinem Fahrzeug zum Motorrad des Privatklägers sowie auch während seines Wartens auf den Privatkläger – also während insgesamt rund 57 Sekunden – in seiner linken Hand hielt und dass er es schliesslich – zwei Sekunden vor Beginn der tätlichen Ausei- nandersetzung – in seine rechte Hand genommen und mit dieser alsdann auf den Privatkläger eingestochen hat. Mit der Vorinstanz ist indessen in dubio pro reo davon auszugehen, dass der Beschuldigte das Klappmesser ebenfalls erst zwei Sekunden vor Beginn der tätlichen Auseinandersetzung – mit dem gleichzeitig vollzogenen Handwechsel (Video 1, Minute 2:10) – geöffnet hat. Dass dies bereits zu einem früheren Zeitpunkt erfolgt sein soll – was die Verteidigung nicht ausschliesst (Urk. 146, Rz. 26) –, ist anhand der Videobilder nicht ersichtlich und zu- dem auch nicht naheliegend, zumal der Beschuldigte mit seiner linken Hand – darin das Messer haltend – seine Hosen zurechtzog (Video 1, Minute 1:22), sich
mehrfach in die Hüfte stützte (Video 1, Minute 1:35-43 und Minute 1:50-1:55) und sich ins Gesicht fasste (Video 1, 1:56-2:02).
Folglich erweist sich die vorinstanzliche Feststellung als unrichtig, der Beschuldigte habe das Messer spätestens 27 Sekunden vor Beginn der tätlichen Auseinandersetzung aus seiner rechten vorderen Hosentasche in die rechte Hand genommen und danach hinter seinem Rücken versteckt (Urk. 132, E. II.4.4.5). Vielmehr hat der Beschuldigte das Messer bereits beim Verlassen seines Fahrzeugs behändigt und es spätestens dann in seine linke Hand genommen, in der er es bis zwei Sekunden vor der tätlichen Auseinandersetzung behielt; erst dann ergriff er es mit seiner rechten Hand. Bis zum Beginn der tätlichen Auseinandersetzung hielt der Beschuldigte das Messer zudem – entgegen der Anklage
(Urk. 69 S. 2) und der Vorinstanz (Urk. 132, E. II.4.4.5) – nie hinter seinem Rücken versteckt. Dies hat der Beschuldigte zwar so ausgesagt (Urk. 4/4 S. 4; Prot. I, S. 35 f.), widerspricht aber offensichtlich dem verfügbaren Bildmaterial (Vi- deo 1, Minute 1:13-2:12, insb. Minute 1:45-2:12), sodass hier nicht auf seine Aussage abgestellt werden kann; in diesem Punkt ist der Verteidigung zuzustimmen (vgl. Urk. 90 Rz. 14; Prot. I, S. 73).
Die Darstellung des Beschuldigten, er habe nach seiner Ankunft auf dem Tankstellengelände in seinem Fahrzeug beifahrerseitig nach seinem Portemon- naie (und nicht nach dem Messer) gesucht, dieses dann auch gefunden und behändigt, ist nach dem Gesagten bereits durch das Videomaterial widerlegt, erweist sich aber auch abgesehen davon als völlig unglaubhaft. Dass der Beschul- digte mit dem Privatkläger das Gespräch suchen und – wohl im Anschluss daran
im Tankstellenshop etwas zu essen kaufen wollte, wie er stets behauptete, ist mit den vorhandenen Videoaufnahmen schlicht nicht vereinbar. Ein Gesprächsversuch fand ganz offenkundig nicht statt; vielmehr stach der Beschuldigte sofort und unvermittelt auf den Privatkläger ein, als dieser den Tankstellenshop verlassen hatte (s. dazu auch unten, E. III.4.5.4). Entsprechend ist auch schlechterdings ausgeschlossen, dass der Beschuldigte beim Verlassen seines Fahrzeugs ernsthaft die Absicht haben konnte, im Tankstellenshop etwas zu essen zu kaufen (nachdem er den Privatkläger niedergestochen haben würde). Es kann folglich
nicht anders gewesen sein, als dass der Beschuldigte zur Umsetzung seines bereits dann gefassten Plans, den Privatkläger niederzustechen, beifahrerseitig nach dem sich dort befindenden Messer suchte (Video 3, Minute 0:50-1:14), dieses nach gut 20 Sekunden auch fand und behändigte.
Eigentliches Tatgeschehen
Die Anklage wirft dem Beschuldigten vor, er sei sogleich mit dem Messer auf den Privatkläger losgegangen, als dieser den Tankstellenshop verlassen habe, und habe ihm damit wuchtvoll einen Stich in den Oberkörper versetzt, der durch die Motorradjacke und den Nierengurt des Privatklägers hindurchgegangen sei und diesen hinten links auf Höhe Lunge/Milz getroffen habe. Zudem habe er mehrere weitere Messerstösse gegen den Kopfbzw. Halsbereich des Privatklägers ausgeführt, die indessen trefferlos geblieben seien (Urk. 69 S. 2; vgl. in diesem Sinne auch die Ausführungen der Rechtsvertretung des Privatklägers;
Urk. 95 S. 27).
Der Beschuldigte machte an der vorinstanzlichen Hauptverhandlung zusammengefasst geltend, er habe mit dem Privatkläger reden und diesen fragen wollen, was er (der Beschuldigte) denn getan habe und weshalb der Privatkläger ihn (den Beschuldigten) beleidigt habe; es sei ihm nicht einmal in den Sinn gekommen, sich mit dem Privatkläger zu prügeln (Prot. I, S. 23, 30, 32, 40, 52 ff.). Als der Privatkläger den Tankstellenshop verlassen habe, habe er gesehen, dass dieser einen Helm und einen Rucksack getragen und in der einen Hand eine Flasche, in der anderen seine Handschuhe gehalten habe. Er habe deshalb – vor allem wegen des Helms – grosse Angst vor dem Privatkläger bekommen; er kenne diesen nicht und habe auch sein Gesicht nicht gesehen. Er habe dem Privatkläger dann gesagt komm nicht näher, ihn gefragt, ob er der Typ von dem Töff sei, und ihn gebeten bitte mach so etwas nie mehr. Er habe dem Privatkläger nur Angst machen wollen und beabsichtigt, dass dieser Abstand halte. Dann sei der Privatkläger aber auf den Beschuldigten losgegangen, der Privatkläger habe ihn (den Beschuldigten) mit derjenigen Hand gepackt, in der er die Wasserflasche gehalten habe, und sie hätten sich dann gegenseitig gehalten. Aus Angst, dass der Privatkläger ihm mit seinem Helm einen Kopfstoss verpassen könnte, habe er
diesen auf der linken Seite, unten beim Becken, treffen wollen und ihn dort auch mit dem Messer getroffen (Prot. I, S. 23 f., 33, 38 ff., 52 f.). Er habe aber nur einmal mit dem Messer zugestochen, und dies nicht mit voller Wucht. Messerstösse gegen den Halsbzw. Kopfbereich habe er nicht ausgeführt. Er habe dem Privatkläger nur einen Faustschlag gegen dessen Helm geben wollen, wobei er das Messer zwar in seiner Hand gehalten, dieses aber nach oben gezeigt habe (Prot. I, S. 42, 44 f., 49 f.).
Der amtliche Verteidiger des Beschuldigten (vor Vorinstanz noch als erbetener Verteidiger) stellt sich zusammengefasst ebenfalls auf den Standpunkt, die tätliche Auseinandersetzung sei vom Privatkläger ausgegangen. Als dieser aus dem Shop gekommen sei, sei er zügig auf den Beschuldigten zugegangen, es sei zu einem lauten Wortwechsel gekommen und der Privatkläger habe seine Arme erhoben. Aufgrund des aggressiven Verhaltens des Privatklägers im Strassenverkehr und auch bei der Tankstelle habe der Beschuldigte befürchtet, dass dieser ihm mit seinem Helm einen Kopfstoss geben könnte. Um diesem potentiellen Angriff zuvorzukommen, habe der Beschuldigte dem Privatkläger mit dem Messer, das er erst kurz zuvor aus seiner Arbeitshose hervorgeholt habe, mit rechts einen seitlichen Hieb – gezielt, nicht zufällig – in die linke Flanke versetzt und dadurch eine Stichverletzung verursacht. Erst danach sei die tätliche Auseinandersetzung dynamisch geworden. Der Beschuldigte habe in der Folge mit der Faust vor dem Helm des Privatklägers vorbeigeschlagen, wobei das Messer nach oben und nicht gegen den Privatkläger gerichtet gewesen sei. Messerstösse gegen den Halsbzw. Kopfbereich habe der Beschuldigte nicht ausgeführt (vgl. Urk. 93 Rz. 33, 46, 52 ff.).
Als Beweismittel liegen die Aussagen des Beschuldigten (Urk. 4/2-4;
Urk. 16/6, S. 3; Urk. 16/18, S. 3 ff.; Urk. 16/30, S. 8 ff.; Urk. 16/40, S. 1 ff.; Prot. I,
S. 22 ff.; Prot. II, S. 14 und S. 17), jene des Privatklägers (Urk. 5/1-2) und jene unbeteiligter Drittpersonen (Urk. 6/1-4) im Recht. Ferner wurde das eigentliche Tatgeschehen – ohne Ton – von den Überwachungskameras aufgezeichnet (Urk. 2/5; relevant ist hier v.a. das Video 1, Minute 2:08-2:20, teilweise auch das Video 2, Minute 2:14-2:21, und das Video 4, Minute 2:04-2:25); von diesen Videoaufnahmen liegen zudem verschiedene Standbilder bei den Akten (Urk. 2/2, 9/11, 91/1-28).
Beginn der tätlichen Auseinandersetzung
Mit Bezug auf den Beginn der tätlichen Auseinandersetzung hält die Vorinstanz fest – primär in Würdigung des Videos 1 der im Recht liegenden Videoaufnahmen (Urk. 2/5) –, der Beschuldigte habe bei Minute 2:08 des Videos 1 erkannt, dass der Privatkläger den Tankstellenshop verlassen habe, habe auf diesen gezeigt und sei auf diesen zugegangen. Bei Minute 2:10 des Videos 1 komme der Privatkläger erstmals ins Bild und gehe seinerseits auf den Beschuldigten zu; hierbei trage er eine grosse PET-Wasserflasche in seiner rechten Hand und sein Helmvisier sei offen. Von Minute 2:10-2:12 des Videos 1 würden sich der Privatkläger und der Beschuldigte im Schritttempo aufeinander zubewegen. Bei Mi- nute 2:12 des Videos 1 greife der Beschuldigte alsdann mit seiner linken Hand an den Kragen des Privatklägers und hole mit seiner rechten Hand, in der er das Messer halte, aus. Dass der Privatkläger den Beschuldigten gepackt habe bzw. mit der Wasserflasche auf diesen losgegangen sei, wie der Beschuldigte bzw. seine Verteidigung dies geltend machten, sei anhand der Videobilder klar widerlegt.
Diese Ausführungen erweisen sich bei Betrachtung des Videos 1 der im Recht liegenden Videoaufnahmen ohne Weiteres als zutreffend, sodass darauf verwiesen werden kann. Es ist anhand der unzweideutigen Videoaufnahmen geradezu offensichtlich, dass der Privatkläger den Beschuldigten in keiner Weise angegriffen hat, sondern arglos in Richtung seines Motorrads ging, als der Beschuldigte diesen unvermittelt attackiert hat (Urk. 2/5, Video 1, Minute 2:08-2:12). Wo der Beschuldigte bzw. seine Verteidigung anhand der Videoaufnahmen einen Angriff doch immerhin ein bedrohliches Verhalten seitens des Privatklägers erblickt haben will, ist unbegreiflich. Ihre Sichtweise verschliesst sich schlicht vor der offenkundigen Tatsache, dass es der Beschuldigte war, der ohne jedes Zögern direkt auf den Privatkläger losging und unvermittelt auf diesen einstach, während der Privatkläger seinerseits bis ganz zuletzt ahnungslos auf sein Motorrad bzw. den Beschuldigten zuging und vom gewalttätigen physischen Angriff des
Beschuldigten völlig überrascht wurde. Richtig ist immerhin, dass der Privatkläger bei Minute 2:10 des Videos 1, als er ins Bild der Überwachungskamera kam, sei- nen rechten Arm mit der PET-Wasserflasche erhoben hatte, diesen aber sogleich wieder hinunternahm. Ein bedrohliches Verhalten kann darin freilich nicht ansatzweise erblickt werden.
Dass der Beschuldigte Angst vor dem Privatkläger bekommen haben will, als er diesen beim Verlassen des Tankstellenshops erblickt hatte, ist völlig unglaubhaft und stellt klarerweise eine Schutzbehauptung dar. Inwiefern das Tragen eines Helms, eines Rucksacks, von Handschuhen einer PET-Wasserflasche angsteinflössend sein sollte, ist nicht nachvollziehbar. Der Privatkläger – das ist auf dem Video 1 ohne Weiteres ersichtlich – wirkte auch sonst in keiner Weise bedrohlich. Der Beschuldigte wusste, dass dieser eine Motorradausrüstung (inkl. eines Helms) tragen würde, stellte sich trotzdem neben dessen Motorrad, um auf ihn zu warten, und konnte deshalb auch nicht überrascht sein, dass dieser einen Helm tragen und auf sein Motorrad zugehen würde. Dass der Privatkläger dem Beschuldigten mit seinem Helm einen Kopfstoss hätte geben können, wie dieser behauptet, ist abwegig. Anhand der Videoaufnahmen ebenfalls klar widerlegt ist die Behauptung des Beschuldigten, er habe den Privatkläger nur auf Distanz halten wollen; das ist mit seinem Verhalten, nämlich ohne zu zögern auf den Privatkläger loszugehen, diesen unvermittelt mit der linken Hand am Kragen zu packen und mit rechts auf diesen einzustechen, nicht vereinbar. Im Übrigen hat der Beschuldigte das Messer nachgewiesenermassen bereits zu einem früheren Zeitpunkt – nämlich beim Verlassen seines Fahrzeugs eine knappe Minute zuvor – ergriffen, was ebenfalls gegen eine von ihm angeblich subjektiv überraschend wahrgenommene Bedrohung durch den Privatkläger spricht.
In Ergänzung zu den vorinstanzlichen Feststellungen ist ferner festzuhalten, dass entgegen den Behauptungen des Beschuldigten ein Versuch seinerseits, mit dem Privatkläger zu sprechen, offensichtlich nicht stattgefunden hat und vom Beschuldigten auch nicht geplant gewesen sein konnte. Hätte er tatsächlich mit dem Privatkläger das Gespräch suchen wollen, um den vorangegangenen Vorfall im Strassenverkehr zu besprechen, so wäre er nicht sofort auf den Privatkläger los-
gegangen, als er diesen beim Verlassen des Tankstellenshops erblickt hatte, und hätte nicht ohne jedes Zögern auf diesen eingestochen. Wie der Beschuldigte bei dieser Sachlage ernsthaft geltend machen will, er habe einen Gesprächsversuch unternommen bzw. zu unternehmen beabsichtigt, ist nicht nachvollziehbar.
Dem steht nicht entgegen, dass zwischen dem Beschuldigten und dem Privatkläger vor, während bzw. nach der tätlichen Auseinandersetzung tatsächlich einige wenige Worte gewechselt wurden, was sowohl der Beschuldigte (vgl.
Prot. I, S. 24, 39; Urk. 4/4, S. 4; Urk. 4/3, S. 2 f.) als auch der Privatkläger
(Urk. 5/1, S. 2; Urk. 5/2, S. 4) und die anwesenden Drittpersonen (Urk. 6/4, S. 3 f. [K. ]; Urk. 6/2, S. 3 [I. ]; Urk. 6/3, S. 3 f. [J. ]) übereinstimmend bestätigten. Es ist demnach davon auszugehen, dass der Beschuldigte den Privatkläger gefragt hat, ob das dort parkierte Motorrad ihm gehöre, was dieser sinngemäss bejaht hat (vgl. die übereinstimmenden Aussagen des Beschuldigten [Urk. 4/3, S. 2; Urk. 4/4, S. 4; Prot. I, S. 24, 39] und des Privatklägers [Urk. 5/1, S. 2; Urk. 5/2, S. 4]). Zweck dieser Frage konnte seitens des Beschuldigten aber nur gewesen sein, die aus seiner Sicht richtige Person zu identifizieren, die ihn zuvor im Strassenverkehr durch das Zeigen des Mittelfingers beleidigt hatte, und demnach sicherzustellen, dass er nicht auf eine falsche Person einstechen, son- dern den Richtigen für die zuvor erfolgte Beleidigung abstrafen würde. Es ist deshalb naheliegend, dass dieser – sehr kurze – Wortwechsel unmittelbar vor Beginn der tätlichen Auseinandersetzung erfolgt war, wie auch der Beschuldigte geltend macht, nämlich während der rund vier Sekunden, in denen der Beschul- digte und der Privatkläger aufeinander zugegangen waren.
Sodann steht aufgrund der übereinstimmenden Aussagen des Beschuldigten sowie der Zeugin K. fest, dass der Beschuldigte dem Privatkläger min- destens einmal – allenfalls auch mehrfach – schreiend zugerufen hat, das machst du nie mehr (Urk. 6/4, S. 3 f.; vgl. auch die Aussagen der Zeugen I. [Urk. 6/2, S. 3] und J. [Urk. 6/3, S. 3 f.], die ebenfalls einen lauten Wortwechsel bzw. ein Geschrei gehört haben). Ob dies vor, während und/oder nach dem physischen Angriff erfolgte, kann offen bleiben. Einen Versuch, mit dem Privatkläger über die Auseinandersetzung im Strassenverkehr zu sprechen, stellt
dies offensichtlich nicht dar. Es entspricht vielmehr bloss einer Aufforderung an den Privatkläger, den Beschuldigten in Zukunft nicht mehr zu beleidigen, bzw. – sinngemäss – einer Mitteilung, dass die Messerattacke eine Strafe für die zuvor erfolgte Beleidigung sei.
Dass der Beschuldigte den Privatkläger vor Beginn der tätlichen Auseinan- dersetzung aufgefordert haben will, nicht näher zu kommen, und dass er diesen gefragt habe, was er (der Beschuldigte) denn falsch gemacht habe (vgl. Urk. 4/2,
S. 2; Prot. I, S. 24, 39), ist aufgrund der Videoaufnahmen und des bereits erwähnten Verhaltens des Beschuldigten nicht glaubhaft (vgl. zudem die staatsanwaltschaftliche Einvernahme des Beschuldigten vom 18. Mai 2020; Urk. 4/3, S. 3: Wir sprachen nicht gross vorher). Eine Antwort auf seine angebliche Frage, was er falsch gemacht habe, hat der Beschuldigte denn auch gar nicht erst abgewartet. Offensichtlich suchte er weder das Gespräch noch Distanz zum Privatkläger, sondern wollte diesen von Anfang an physisch attackieren.
Tatsächlich erfolgter Messerstich und weitere Messerstichversuche
Den eingeklagten wuchtvollen Messerstich des Beschuldigten in den Oberkörper des Privatklägers (Bereich linke Flanke), der gemäss der Anklage durch die Motorradjacke und den Nierengurt des Privatklägers hindurchgegangen sei und diesen hinten links auf Höhe Lunge/Milz getroffen habe (Urk. 69 S. 2), erachtet die Vorinstanz namentlich aufgrund eines entsprechenden Geständnisses des Beschuldigten (Prot. I, S. 24 f., 42, 44 ff.) als erstellt (Urk. 132, E. II.4.5.3). Dem kann ohne Weiteres zugestimmt werden, wobei ergänzend auf die im Recht liegenden Fotodokumentationen (Urk. 9/2, S. 5 f., 8 f.; Urk. 9/11, S. 8 f.) sowie das Gutachten des IRM vom 27. Juli 2020 (Urk. 10/17, insb. S. 6 ff.) verwiesen wer- den kann.
Der Beschuldigte bestreitet zwar, dass der Messerstich mit grosser Wucht erfolgt sei (Prot. I, S. 42, 44 f.). Dies ist jedoch bereits aufgrund der Videoaufnahmen sowie der Tatsache als erstellt zu betrachten, dass der Beschuldigte mit dem Messer sowohl die Motorradlederjacke als auch den Nierengurt des Privatklägers
durchtrennt hat, die dem Messerstich einen erheblichen Widerstand entgegengesetzt haben (Gutachten des IRM vom 27. Juli 2020, Urk. 10/17, S. 7).
Auch die weiteren in der Anklage erwähnten (trefferlosen) Messerstösse gegen den Hals- und Kopfbereich des Privatklägers erachtet die Vorinstanz gestützt auf die Videoaufnahmen (Urk. 2/5, insb. Video 1, Minute 2:12-2:16) und die von der amtlichen Verteidigerin ins Recht gereichten Standbilder (Urk. 91/1-28) als erstellt (Urk. 132, E. II.4.5.5). Sie hält diesbezüglich fest, der Beschuldigte habe den Privatkläger während rund vier Sekunden in einem dynamischen Handgemenge zurückgedrängt, wodurch dieser die Wasserflasche aus der rechten Hand verloren habe und nach hinten getaumelt sei. Die tatsächlich erlittene Stichverletzung habe der Beschuldigte dem Privatkläger gleich zu Beginn dieser tätlichen Auseinandersetzung zugefügt (Video 1, ungefähr bei Minute 2:12-2:13; davon geht auch die Verteidigung aus; Urk. 93, Rz. 46, 52 ff.). Die eingeklagten weiteren Messerstösse gegen den Kopf- und Halsbereich des Privatklägers seien anschliessend auf dem Video 1 gut ersichtlich. Zum einen habe der Beschuldigte etwa bei Minute 2:14 des Videos 1 (Standbilder 14 und 15; Urk. 91/14-15) weitere (trefferlose) Messerstösse gegen den Privatkläger vorgenommen. Zum anderen habe er ungefähr bei Minute 2:15-2:16 des Videos 1 (Standbilder 22-25;
Urk. 91/22-25) die von ihm eingestandene halbkreisförmige Schlagbewegung mit seiner rechten Hand gegen den Motorradhelm des Privatklägers ausgeführt, wobei er das Messer gegen oben zeigend gehalten habe. Auch diese Bewegung qualifiziere sie als (trefferloser) Messerstoss gegen den Kopf- und Halsbereich des Privatklägers, zumal der Beschuldigte das geöffnete und nach oben zeigende Messer in seiner Schlaghand gehalten und seinen Schlag zudem, wie von ihm eingestanden, gegen den Helm des Privatklägers gerichtet habe.
Diesen tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ist vorbehaltlos zuzustimmen. Ergänzend ist anzufügen, dass die tätliche Auseinandersetzung entgegen dem Dafürhalten der Verteidigung nicht erst nach dem erfolgten Messerstich dynamisch wurde (vgl. Urk. 93, Rz. 46, 52 f. und Urk. 146, Rz. 29, 72, 76, 88, 94, 99 ff.), sondern bereits von Beginn an, als der Beschuldigte auf den Privatkläger zuging und diesen am Kragen gepackt hat, hochdynamisch war. Es ist gerade
nicht so, dass der Beschuldigte dem Privatkläger gewissermassen in einem unbewegten Tatgeschehen gezielt einen Messerstich in die linke Flanke versetzt hat, den er zielsicher dort anbringen konnte, sondern er konnte offensichtlich nicht präzise steuern, wo er den Privatkläger mit dem Messer treffen würde. So- dann trifft es auch nicht zu, dass der Beschuldigte nur einen weiteren Schlag(versuch) unternommen und es sich dabei nur um einen gegen den Helm des Privatklägers gerichteten Faustschlag gehandelt habe. Einerseits ist auf dem Vi- deo 1 bei Minute 2:12-2:17 klar ersichtlich, dass der Beschuldigte mit mehreren Bewegungen versuchte, den Privatkläger mit dem Messer zu treffen, wobei seine mit der rechten Hand ausgeführten Messerstösse klar (auch) gegen den Hals- und Kopfbereich des Privatklägers gerichtet waren. Andererseits kann auch – o- der gerade – mit Bezug auf den letzten Stichversuch (die halbkreisförmige Schlagbewegung bei Minute 2:15-2:17 des Videos 1 und bei Minute 2:13-2:14 des Videos 2; vgl. Standbilder 22-25; Urk. 91/22-25) nicht ernsthaft behauptet werden, es habe sich hierbei nur um einen (versuchten) Faustschlag gegen den Helm des Privatklägers gehandelt. Der Beschuldigte hielt das geöffnete Messer bei diesem Stichversuch in seiner rechten Hand, wobei die Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger nach oben schaute, holte rechts unten aus und zog seine rechte Hand mit nach oben bzw. vorne gerichteter Klinge mit voller Wucht und grosser Geschwindigkeit halbkreisförmig nach links oben, unmittelbar vor dem Kopf des Privatklägers vorbei, der diesem Messerstich nur mit viel Glück durch sein Zurückweichen im allerletzten Moment ausweichen konnte. Weiter trifft es zwar zu, dass der Privatkläger einen Helm trug. Sein Visier war aber – entgegen der Auffassung der Verteidigung (Urk. 146, Rz. 35) – zu Beginn der tätlichen Auseinan- dersetzung geöffnet und fiel erst im Rahmen des dynamischen Handgemenges zu, wie die Vorinstanz korrekt feststellte (Urk. 132, E. II.4.5.6; vgl. Urk. 2/5, Video 1, Minute 2:10-2:17; Video 2, Minute 2:13-2:14 und Video 4, Minute 2:05-2:22). Ein Treffer mit dem Messer im Gesicht des Privatklägers – und ohnehin im ungeschützten Halsbereich – wäre in diesem hochdynamischen Handgemenge folglich ohne Weiteres möglich gewesen.
Schliesslich hält die Vorinstanz fest (Urk. 132, E. II.4.5.6), der Beschuldigte sei nach dem letzten Messerstoss (der halbkreisförmigen Schlagbewegung) wei-
ter auf den Privatkläger zugegangen (Urk. 2/5, Video 2, Minute 2:15-2:16), habe dann kurz innegehalten und mit dem linken ausgestreckten Arm auf den Privatkläger gezeigt, wobei das schwarze Klappmesser in der rechten Hand des Beschuldigten auf dem Video 2 gut sichtbar sei (Video 2, Minute 2:16), und habe dem Privatkläger dann mit drei schnellen Schritten noch einmal kurz nachgesetzt, wobei dieser weiter zurückgewichen, gegen die hintere rechte Seite eines parkierten Lieferwagens geprallt und hingefallen sei (Video 2, Minute 2:17-2:20). Auch diese Erwägungen erweisen sich aufgrund des Videomaterials offensichtlich als zutreffend, sodass darauf verwiesen werden kann.
Erlittene Stichverletzung
Es ist im Grundsatz unbestritten, dass der Privatkläger infolge des Messerstichs anklagegemäss (Urk. 69 S. 2) an der linken Flanke eine nicht lebensgefährliche Stichverletzung mit Umblutung bzw. Bluterguss im umgebenden Gewebe erlitt, wobei die Hautdurchtrennung 2.5 cm lang war und leicht schräg zur Körperlängsachse an der linken Flanke auf den Rücken übergreifend verlief, der Stichkanal nach vorne oben verlief und die Wundhöhle bis ins Unterfettgewebe reichte.
Umstritten ist diesbezüglich einzig die eingeklagte Tiefe des Stichkanals von ca. 6 cm (Urk. 69, S. 2). Während der Beschuldigte eine entsprechende Verletzung des Privatklägers grundsätzlich eingestand (Prot. I, S. 47), stellt sich die Verteidigung auf den Standpunkt, die Wundtiefe sei nur durch Abtasten mit dem Finger geschätzt worden, weshalb in dubio pro reo auf einen weniger tiefen Stichkanal geschlossen werden müsse (Urk. 93, Rz. 74; vgl. auch Urk. 90
Rz. 35 ff.). Die Vorinstanz verwirft diesen Einwand unter Verweis auf das Gutachten des IRM vom 27. Juli 2020 (Urk. 10/17, S. 6 f.) sowie den Operationsbericht des Stadtspitals Waid und Triemli vom 25. April 2020 (Anhang zu Urk. 10/17). Es bestehe kein Anlass, an den Feststellungen betreffend die Wundtiefe im IRM- Gutachten bzw. im Operationsbericht des Stadtspitals Waid und Triemli zu zweifeln. Aus dem Umstand, dass die Wundtiefe nur geschätzt und auf ca. 6 cm veranschlagt worden sei, folge nicht, dass in dubio pro reo von einem weniger tiefen Stichkanal auszugehen sei (Urk. 132, E. II.4.7.3).
Diese Erwägungen der Vorinstanz erweisen sich als zutreffend. Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass die Wundtiefe vom operierenden Arzt nicht einfach ins Blaue hinaus geschätzt, sondern durch Abtasten mit dem Finger ermittelt bzw. dadurch letztlich gemessen wurde (Urk. 10/17, Operationsbericht des Stadtspitals Waid und Triemli: Digitale Auspalpation der Wunde, welche auf ca. 6 cm Länge nach ventro-kranial bis an den Rippenbogenunterrand reicht). Dabei han- delt es sich um eine doch relativ präzise Art der Ermittlung der Wundtiefe, die es nicht rechtfertigt, in dubio pro reo einen Pauschalabzug für eine allfällige Messungenauigkeit zu veranschlagen. Es ist daher mit der Vorinstanz davon auszugehen, dass die Wundtiefe bzw. der Stichkanal anklagegemäss ca. 6 cm betrug.
Verwendetes Messer
Der Beschuldigte hat das von ihm bei der Tat verwendete Messer nach eigenen Angaben unmittelbar nach der Tat auf seiner Weiterfahrt in eine Wiese geworfen (Urk. 4/4, S. 3); es konnte nie sichergestellt werden. Die Anklage geht davon aus, dass es sich dabei um ein Arbeitsklappmesser mit einer Klingenlänge von 8 cm gehandelt habe (Urk. 69 S. 2).
Nachdem der Beschuldigte im Vorverfahren noch abgestritten hatte, ein Messer verwendet zu haben, und stattdessen den Einsatz eines …-spachtels behauptet hatte (Urk. 4/2, S. 3 f.; Urk. 4/3, S. 2; Urk. 16/6, S. 3; Urk. 16/18, S. 4 f.; Urk. 16/30, S. 8 f.), gestand er letztlich (Urk. 4/4, S. 2 f.; Urk. 16/40, S. 3; Prot. I,
S. 46; vgl. auch Urk. 16/35, S. 1 f.), ein Messer eingesetzt zu haben, und zwar ein solches in der Art wie jenes der Marke L. , das anlässlich der Hausdurchsuchung am 24. April 2020 bei ihm zu Hause in der Küchenschublade sichergestellt worden war (Asservat Nr. A013'725'365; Urk. 2/1, Foto 27; Urk. 9/1, S. 3; Urk. 9/11, S. 6; Urk. 13/3, S. 1).
Die Verteidigung macht geltend, die Klingenlänge der Tatwaffe sei nicht erstellt, zumal der Beschuldigte sich nicht genau daran habe erinnern können, ob es sich beim verwendeten Messer wirklich um ein solches gehandelt habe, das mit dem sichergestellten Arbeitsmesser der Marke L. (Asservat Nr. A013'725'365) identisch gewesen sei. Zudem weise das sichergestellte Messer
nur eine Klingenlänge von 7 cm auf (Urk. 93, Rz. 73; vgl. auch die Ausführungen der vormaligen amtlichen Verteidigerin, die davon ausging, die Klingenlänge des erwähnten sichergestellten Messers betrage in Wahrheit nur 4-5 cm; Urk. 90,
Rz. 36; Prot. I, S. 67). Auch anlässlich der Berufungsverhandlung machte die Verteidigung geltend, es stehe nicht fest, um was für ein Arbeitsmesser es sich gehandelt habe, und es sei nicht erstellt, dass die Klingenlänge des Tatmessers
8 cm betragen habe (Urk. 146, S. 16 ff.).
Die Vorinstanz erachtet die eingeklagte Klingenlänge von 8 cm als erstellt. Sie stützt sich dabei zum einen auf das Geständnis des Beschuldigten, dass es sich bei der von ihm verwendeten Tatwaffe um ein Arbeitsklappmesser in der Art des bei ihm sichergestellten Messers der Marke L. (Asservat Nr. A013'725'365) gehandelt habe, und zum anderen auf die Angaben des Forensischen Instituts Zürich, gemäss welchen dieses sichergestellte Messer eine Klingenlänge von ca. 8 cm aufweise, die sich aus ca. 5 cm gerader Schliff (vorne) und ca. 3 cm Wellenschliff (hinten) zusammensetze. Anhand der vorhandenen Bilder dieses Messers sei ersichtlich, dass auch die hinteren 3 cm Wellenschliff der Klinge als Stichwaffe eingesetzt werden könnten (Urk. 132, E. II.4.9).
Diesen Erwägungen der Vorinstanz ist zuzustimmen. Entgegen der Vertei- digung hat der Beschuldigte sehr wohl eingestanden, dass es sich beim von ihm verwendeten Messer um ein solches gehandelt hat wie jenes, das bei ihm mit der Asservat Nr. A013'725'365 in der Küchenschublade sichergestellt worden war (Urk. 4/4, S. 2 f.; Prot. I, S. 46; vgl. auch Urk. 16/35, S. 1 f.). Dabei gestand er nicht nur, dass es sich um ein ähnliches Messer gehandelt habe, sondern führte sinngemäss aus, es habe sich um ein solches gleicher Gattung gehandelt, denn er habe vor einigen Jahren bei der Firma M. in E. mehrere solche Arbeitsklappmesser dieses Typs gekauft (Urk. 4/4, S. 2; Urk. 16/35, S. 1 f., mit Verweis auf die von seiner damaligen amtlichen Verteidigerin eingereichten Kaufbelege der fünf vom Beschuldigten gekauften Messer dieser Art; Urk. 16/35, S. 4 f.). Das erscheint ohne Weiteres plausibel, sodass darauf abzustellen ist.
In Präzisierung der vorinstanzlichen Erwägungen ist einzig festzuhalten, dass die Klingenlänge des beim Beschuldigten sichergestellten (und mit der Tat-
waffe gleichartigen) Messers gemäss den Angaben des Forensischen Instituts Zürich circa 8 cm beträgt, wobei der gerade geschliffene vordere Teil der Klinge circa 5 cm und der wellenförmig geschliffene hintere Teil der Klinge circa 3 cm betrage (Urk. 9/1, S. 3; vgl. auch Urk. 9/11, S. 6). Folglich ist als erstellt zu betrachten, dass die Klingenlänge des vom Beschuldigten bei der Tat verwendeten Messers insgesamt circa 8 cm betrug. Dass auch der wellenförmig geschliffene hintere Teil der Messerklinge als Stichwaffe eingesetzt werden kann, ist anhand der Fotodokumentation (Urk. 9/11, S. 6) offensichtlich.
Diese Feststellungen erweisen sich auch bei Betrachtung der vom Privatkläger tatsächlich erlittenen Verletzungen als plausibel. Der Stichkanal betrug ca. 6 cm (oben, E. III.5), wobei die mit dem Messer ebenfalls durchdrungene Motorradlederjacke und der Nierengurt des Privatklägers dem Messerstich nicht nur ei- nen erheblichen Widerstand entgegengesetzt haben (Urk. 10/17, S. 7), sondern auch bereits aufgrund ihrer Dicke ein weiteres bzw. vollständiges Eindringen der Messerklinge in den Oberkörper des Privatklägers verhinderten.
Innere Handlungsmotivation des Beschuldigten
Die Anklage wirft dem Beschuldigten vor, er sei dem Privatkläger zur
F. -Tankstelle gefolgt, nachdem dieser ihn im Anschluss an die betreffende Auseinandersetzung im Strassenverkehr überholt hatte. Dabei sei der Beschuldigte wegen dieser Auseinandersetzung stark aufgebracht gewesen und dem Privatkläger in der Absicht gefolgt, ihn dafür zu bestrafen (Urk. 69 S. 2).
Der Beschuldigte führte in der Untersuchung und auch vor Vorinstanz stets aus, er sei dem Privatkläger nicht bewusst gefolgt, sondern habe ohnehin und unabhängig vom Privatkläger zur betreffenden F. -Tankstelle in E. fahren wollen, um sich dort etwas zu essen und zu trinken zu kaufen, denn er habe zu jenem Zeitpunkt noch gar keinen Mittag gemacht gehabt und noch nichts gegessen; bei dieser Tankstelle habe er damals oft eingekauft getankt, etwa 2-3 Mal pro Woche (Prot. I, S. 22 f., 28 f., 32, 33 f.; vgl. auch Urk. 4/2, S. 2;
Urk. 4/4, S. 4; Urk. 16/6, S. 3; Urk. 16/18, S. 3; Urk. 16/30, S. 9, 13, 14 f.;
Urk. 16/40, S. 2 f.). Nachdem er (der Beschuldigte) und der Privatkläger sich im
Anschluss an die Auseinandersetzung im Strassenverkehr gegenseitig überholt hätten, habe er den Privatkläger, der dann vor ihm gefahren sei, aus den Augen verloren und diesen erst wieder etwas vor der Tankstelle erblickt (Prot. I, S. 23, 28: Ich habe ihn erst gesehen, als er Richtung E. ging. Das war in den letzten zwei Lichtsignalen. Wir hatten einander aus den Augen verloren.).
Die Vorinstanz hält zunächst fest, es könne die Frage offen gelassen wer- den, ob der Beschuldigte dem Privatkläger bewusst gefolgt sei, um ihn zu bestrafen, wie es die Anklage behaupte, ob der Beschuldigte bei der Tankstelle zufällig (wieder) auf den Privatkläger getroffen sei, wie er es geltend mache, weil dies weder im Rahmen der rechtlichen Würdigung noch für die Strafzumessung relevant sei (Urk. 132, E. II.3.10). In ihrem Fazit betreffend den Sachverhalt führt die Vorinstanz dann aber aus, es sei zugunsten des Beschuldigten davon auszugehen, dass er dem Privatkläger nicht bewusst zur Tankstelle gefolgt sei, diesen aber spätestens vor der Tankstelleneinfahrt vor sich wahrgenommen habe
(Urk. 132, E. II.4.10). Diese beiden Erwägungen widersprechen sich. Es ist nicht dasselbe, eine bestimmte Frage offen zu lassen und diese zugunsten des Beschuldigten zu beantworten.
Entgegen der Vorinstanz trifft es nicht zu, dass die in der Anklage umschriebene Absicht des Beschuldigten, dem Privatkläger zur Tankstelle zu folgen und diesen für die vorangegangene Beleidigung im Strassenverkehr abzustrafen, schlechterdings unerheblich sein soll. Ob eine solche Absicht gegebenenfalls im Rahmen einer zu prüfenden Mordqualifikation relevant gewesen wäre, ist hier nicht zu entscheiden (vgl. dazu E. II.2 und E. IV.4.2); im Rahmen der Strafzumessung ist dieser Umstand freilich sehr wohl relevant.
Der Beschuldigte hat konstant behauptet, er habe ohnehin zur betreffen- den Tankstelle gewollt, um sich dort etwas zu essen und zu trinken zu kaufen. Dass dies vor der Auseinandersetzung mit dem Privatkläger seine Absicht gewesen war, erscheint durchaus glaubhaft. Der Beschuldigte gab an, zuvor in
N. …-arbeiten verrichtet zu haben und dann um die Mittagszeit – ohne zuvor etwas gegessen zu haben – von dort aus zurück nach E. gefahren zu sein, wo er wohnte und wo sich auch sein …-geschäft befand (Urk. 4/2, S. 2; Prot.
I, S. 22 f., 29). Dies erscheint plausibel, zumal sich die Tankstelle auf seinem Nachhauseweg befand und ein Mitarbeiter derselben bestätigte, dass der Beschuldigte damals regelmässig dort eingekauft hat (Urk. 6/1, S. 2).
Dass der Beschuldigte ursprünglich beabsichtigte, zur F. -Tankstelle in E. zu fahren, sagt indessen nichts über seine Handlungsmotivation nach der betreffenden Auseinandersetzung mit dem Privatkläger im Strassenverkehr aus. Der Beschuldigte gestand, dass er sich durch das Zeigen des Mittelfingers verletzt und moralisch erniedrigt gefühlt hat (Prot. I, S. 50). Auch angesichts der unzweideutigen Videobilder kann kein Zweifel darüber bestehen, dass der Beschuldigte, wie in der Anklage beschrieben, stark aufgebracht war. Nach eige- nen Angaben fuhr der Beschuldigte dem Privatkläger nach dem Zeigen des Mittelfingers, als der Privatkläger ihn überholt hatte, hinterher und überholte diesen sei- nerseits; nach seiner Darstellung folgten dann sogar noch mehrere weitere gegenseitige Überholmanöver, wobei er sich beim Privatkläger immer wieder erkun- digt habe, was los sei. Das zeigt, dass der Beschuldigte nach dem Zeigen des Mittelfingers nicht einfach zu seinem ursprünglichen Zielort weitergefahren, son- dern dem Privatkläger durchaus – wenigstens über eine gewisse Strecke – gefolgt ist.
Ob der Beschuldigte den dann vor ihm fahrenden Privatkläger in der Folge kurzzeitig aus den Augen verloren hat ob er stets hinter diesem hergefahren ist, lässt sich nicht erstellen; es ist deshalb in dubio pro reo auf die Darstellung des Beschuldigten abzustellen, wonach er den Privatkläger über eine gewisse Strecke nicht mehr gesehen und diesen erst ungefähr zwei Lichtsignale vor der F. -Tankstelle in E. wieder erblickt habe (Prot. I, S. 28). Es ist folglich davon auszugehen, dass der Beschuldigte zu jenem Zeitpunkt, als er den Privatkläger aus den Augen verloren hatte, nolens volens wieder zu seinem ursprünglichen Plan zurückkehrte und die Tankstelle ansteuerte, um dort einzukaufen.
Dass dies aber auch dann noch der Fall gewesen sein soll, als der Beschuldigte den Privatkläger in einiger Distanz zur Tankstelle auf der Strasse wie- der erblickt hatte, erscheint nicht glaubhaft. Es ist erstellt, dass der Beschuldigte unmittelbar hinter dem Privatkläger auf das Tankstellengelände einbog, wenige
Meter neben dessen Motorrad parkierte, aus seinem Fahrzeug ausstieg, beifahrerseitig das später verwendete Messer – und nicht sein Portemonnaie – behän- digte (oben, E. III.3.5 und III.3.6), ohne Umweg zum Motorrad des Privatklägers lief, dort während rund 48 Sekunden auf den Privatkläger wartete, wobei er das Messer durchgehend ungeöffnet in seiner linken Hand hielt, und dann direkt auf den Privatkläger zuging, als dieser den Tankstellenshop verlassen hatte, dabei das Messer öffnete und in seine rechte Hand nahm, um ohne zu zögern unvermittelt auf den Privatkläger einzustechen (oben, E. III.4.5 und III.4.6). Ein Gesprächsversuch fand nicht statt und war vom Beschuldigten ganz offensichtlich auch nicht beabsichtigt (oben, E. III.4.5.4). Im Anschluss an diese Messerattacke ging der Beschuldigte denn auch nicht in den Tankstellenshop hinein, um sich – wie angeblich beabsichtigt – etwas zu essen und zu trinken zu kaufen, sondern drehte um, ging zu seinem Fahrzeug zurück und fuhr davon. Dieses weitgehend auf Video dokumentierte Verhalten des Beschuldigten kann unmöglich anders verstanden werden, als dass dieser von Anfang an – d.h. spätestens ab jenem Zeitpunkt, als er den Privatkläger in einiger Distanz zur Tankstelle auf der Strasse wieder erblickt hatte – einzig und allein die Absicht hatte, den Privatkläger mit sei- nem Arbeitsmesser eiskalt niederzustechen, um ihn für die vorangegangene Beleidigung im Strassenverkehr – das Zeigen des Mittelfingers – zu bestrafen bzw. um sich dafür zu rächen. Dazu passt auch, dass der Beschuldigte den Privatkläger kurz vor dem Messerstich zwecks Identifikation noch fragte, ob dies sein Motorrad sei, was dieser sinngemäss bejahte, und ihm dann – vor, während und/oder nach dem Messerangriff – schreiend zurief: Das machst du nie mehr (oben, E. III.4.5.4).
Es ist somit davon auszugehen, dass der Beschuldigte spätestens zu je- nem Zeitpunkt, als er den Privatkläger in einiger Distanz zur Tankstelle wieder gesehen hatte, den Entschluss fasste, diesen mit Messerstichen für das Zeigen des Mittelfingers zu bestrafen und diesem zu diesem Zweck zu folgen.
Zusammenfassung
Zusammengefasst ist von folgendem Sachverhalt auszugehen: Der Privatkläger überholte den Beschuldigten mit seinem Motorrad an einem Lichtsignal,
nachdem der Beschuldigte – telefonierend – trotz Grünlicht nicht losgefahren war, brachte diesem gegenüber seine Verärgerung darüber zum Ausdruck und zeigte ihm den Mittelfinger, äusserte aber keine (hörbaren) verbalen Beleidigungen. Der Beschuldigte – stark aufgebracht – folgte dem Privatkläger alsdann über eine gewisse Strecke, überholte diesen mindestens einmal, verlor ihn dann aber vorübergehend aus den Augen, weshalb er sein ursprüngliches Ziel – die F. - Tankstelle in E. – wieder ansteuerte. Als der Beschuldigte den Privatkläger später in einiger Distanz zu dieser Tankstelle auf der Strasse wieder erblickte, fasste er – immer noch stark aufgebracht – den Entschluss, diesem zu folgen und ihn mit Messerstichen für das Zeigen des Mittelfingers zu bestrafen. Der Beschul- digte bog unmittelbar hinter dem Privatkläger auf das Tankstellengelände ein und parkierte sein Fahrzeug unweit vom Motorrad des Privatklägers, der mittlerweile den Tankstellenshop betreten hatte, um etwas zu kaufen. Der Beschuldigte stieg aus seinem Fahrzeug aus, behändigte beifahrerseitig ein Arbeitsklappmesser mit einer Klingenlänge von ca. 8 cm und ging ohne Umweg zum parkierten Motorrad des Privatklägers, wo er während rund 48 Sekunden auf den Privatkläger wartete. Dabei hielt er das Messer durchgehend ungeöffnet in seiner linken Hand, entgegen der Anklage jedoch nicht hinter seinem Rücken versteckt. Als der Privatkläger den Tankstellenshop verlassen hatte, ging der Beschuldigte direkt auf diesen zu, fragte ihn zwecks Identifikation, ob dies sein Motorrad sei, was dieser sinngemäss bejahte, öffnete das Klappmesser, nahm dieses in seine rechte Hand und stach unvermittelt und ohne zu zögern auf den Privatkläger ein. Hierbei traf der Beschuldigte den Privatkläger zu Beginn der rund vier Sekunden dauernden tätlichen Auseinandersetzung einmal wuchtig mit dem Messer an dessen linken Flanke, wobei die Messerklinge die Motorradlederjacke und den Nierengurt des Privatklägers durchdrang und beim Privatkläger einen ca. 6 cm tiefen Stichkanal (nach vorne oben verlaufend) verursachte. In der Folge führte der Beschuldigte mehrere weitere Messerstösse – teilweise mit grosser Wucht – gegen den Hals- und Kopfbereich des Privatklägers aus, die allerdings allesamt trefferlos blieben. Das Visier des Privatklägers war zu Beginn der tätlichen Auseinandersetzung ge- öffnet, fiel im Verlaufe derselben jedoch zu. Der Privatkläger taumelte infolge des Angriffs durch den Beschuldigten zurück und stürzte letztlich rückwärts in einen
parkierten Lieferwagen. Der Beschuldigte liess alsdann vom Privatkläger ab, drehte um und fuhr mit seinem Fahrzeug davon. Der Messerattacke des Beschul- digten war in keiner Weise ein Angriff auch nur ein bedrohliches Verhalten des Privatklägers vorangegangen, und der Beschuldigte war in keiner Form ver- ängstigt. Einen Gesprächsversuch hat der Beschuldigte nicht unternommen und dies auch nicht beabsichtigt. Vor, während und/oder nach der Messerattacke rief der Beschuldigte dem Privatkläger zu: Das machst du nie mehr.
Damit ist der äussere Anklagesachverhalt – mit Ausnahme des Umstands, dass der Beschuldigte das Messer während des Wartens auf den Privatkläger hinter seinem Rücken versteckt gehalten haben soll – erstellt. Mit Bezug auf den inneren Anklagesachverhalt ist sodann erstellt, dass der Beschuldigte stark aufgebracht war und in der Absicht handelte, den Privatkläger für die vorangegange- ne Beleidigung zu bestrafen. Auf den eingeklagten Tötungsvorsatz ist im Rahmen der nachfolgenden rechtlichen Würdigung einzugehen.
Vorbemerkungen
Die Vorinstanz würdigte das Verhalten des Beschuldigten als versuchte vorsätzliche Tötung i.S.v. Art. 111 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB. Die Verteidigung beantragt in ihrer Berufung einen Schuldspruch wegen qualifizierter einfacher Körperverletzung i.S.v. Art. 123 Ziff. 2 Abs. 1 StGB, eventualiter wegen versuchter schwerer Körperverletzung i.S.v. Art. 122 i.V.m. Art. 22 StGB (Urk. 136, S. 2;
Urk. 146, S. 1 f.). Die Staatsanwaltschaft und auch der Privatkläger beantragten vor Vorinstanz noch eine Verurteilung wegen versuchten Mordes i.S.v. Art. 112
i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB, eventualiter wegen versuchter vorsätzlicher Tötung
i.S.v. Art. 111 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB (Urk. 69, S. 3; Urk. 89, S. 1; Urk. 95,
S. 3). Weder die Staatsanwaltschaft noch der Privatkläger hat Berufung Anschlussberufung im Schuldpunkt erhoben. Eine Verurteilung wegen versuchten Mordes fällt deshalb bereits aufgrund des Verbots der reformatio in peius ausser Betracht (E. II.2).
Wer vorsätzlich einen Menschen tötet, ohne dass eine der besonderen Voraussetzungen von Art. 112 ff. StGB zutrifft, wird gemäss Art. 111 StGB mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren bestraft. Der objektive Tatbestand von Art. 111 StGB ist vorliegend nicht erfüllt, weil der für die Vollendung dieses Delikts erfor- derliche Taterfolg – der Tod des Opfers – nicht eingetreten ist. Folglich kommt von vornherein nur ein strafbarer Versuch in Frage (Art. 22 Abs. 1 StGB). Dieser setzt zum einen voraus, dass der subjektive Tatbestand des in Frage stehenden Delikts vollständig verwirklicht ist (sog. Tatentschluss), und zum anderen, dass der Beschuldigte mit der Tatausführung begonnen, d.h. seine Tatentschlossenheit manifestiert hat, ohne dass alle objektiven Tatbestandsmerkmale verwirklicht wären (sog. Ansetzen zur Tat). Das Vorliegen eines Versuchs ist nach objektivem Massstab, aber auf subjektiver Beurteilungsgrundlage festzustellen (BGE 140 IV 150, E. 3.4 m.w.Nw.).
Keine selbständige Voraussetzung ist es demgegenüber, dass die Tathandlung an sich objektiv geeignet gewesen wäre, den Taterfolg – hier die Todesfolge – herbeizuführen (etwas anderes gilt nur, soweit eine Anwendung von
Art. 22 Abs. 2 StGB in Frage kommt, was hier nicht der Fall ist). Wenn die Vorinstanz unter dem Titel objektiver Tatbestand Ausführungen zur objektiven Eig- nung der Messerstösse des Beschuldigten für eine Tötung des Privatklägers macht (Urk. 132, E. III.2.3-III.2.5), so betrifft dies kein eigenständiges Tatbestandsmerkmal, schon gar kein objektives, ist aber – wie aus den nachfolgenden Ausführungen hervorgehen wird – bei der Prüfung des (Eventual-
)Tötungsvorsatzes ein relevantes Kriterium.
Subjektiver Tatbestand (Tatentschluss)
In subjektiver Hinsicht erfordert der Tatbestand von Art. 111 StGB (i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB) Vorsatz, wobei Eventualvorsatz genügt. Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen für die Annahme eines (eventuellen) Tötungsvorsatzes korrekt abgehandelt (Urk. 132, E. III.3.2-III.3.3 und E. III.3.6), sodass darauf verwiesen werden kann (Art. 82 Abs. 4 StPO).
Die Vorinstanz geht unter Bezugnahme auf das Gutachten des IRM vom
27. Juli 2020 (Urk. 10/17) sowie die einschlägige bundesgerichtliche Rechtsprechung im Ergebnis zu Recht von einem (sehr) hohen Risiko der Tatbestandsverwirklichung, d.h. der Tötung des Privatklägers durch das Verhalten des Beschul- digten, aus (vgl. Urk. 132, E. III.2.3, III.2.4 und III.3.8). Den Ausführungen der Verteidigung, wonach eine mögliche Lebensgefahr zu verneinen sei (Urk. 146, Rz. 62 ff.), kann hingegen nicht gefolgt werden.
Das IRM-Gutachten hält zwar fest, dass von der dem Privatkläger tatsächlich zugefügten Verletzung (eine 2.5 cm lange Hautdurchtrennung an der linken Flanke, übergreifend auf den Rücken, etwa in der Mitte zwischen Rippenbogen- unterrand und Beckenkamm, mit einem ca. 6 cm tiefen Stichkanal, der nach vorne kopfwärts verlief; vgl. auch oben, E. III.5) keine konkrete Lebensgefahr ausgegangen sei, da es aufgrund der Messerstichverletzung nur zu einer Umblutung bzw. einem Bluterguss ins umgebende Gewebe, aber zu keinen Verletzungen der Bauchmuskulatur, der Bauchorgane, grösserer Blutgefässe Nervenfasern gekommen sei und sich der Privatkläger stets in kreislaufstabilem Zustand befun- den habe (Urk. 10/17, S. 6 f.). Das Gutachten geht aber auch davon aus, dass es bei einer – aufgrund des konkret ausgeführten (erfolgreichen) Messerstichs durchaus möglichen – Durchtrennung der Bauchmuskulatur auf Höhe der linken Flanke übergreifend auf den Rücken zu Verletzungen diverser lebenswichtiger in- nerer Organe in der Bauchhöhle, insbesondere der Milz, der linken Niere bzw. Nebenniere und des Darms, hätte kommen können. Bei ausreichend tiefem Stichkanal hätte es zudem zu einer Durchtrennung des Zwerchfells mit Verletzungen des linken Lungenflügels und des Herzens in der linken Brusthöhle kommen können. Wäre der Messerstich in einer weiter rückenbzw. wirbelsäulennahen Richtung ausgeführt worden, hätten gemäss dem Gutachten auch grössere Blutgefässe (Körperhauptschlagader, untere Hohlvene u.a.m.) verletzt werden kön- nen (Urk. 10/17, S. 6 f.).
Wenn das Gutachten in Beantwortung einer entsprechenden Frage hypothetische Ausführungen dazu macht, welche Verletzungen möglich bzw. naheliegend gewesen wären, wenn der Privatkläger keine Motorradlederjacke und kei-
nen Nierengurt getragen hätte (Urk. 10/17, S. 7 f.), so sind diese im vorliegenden Zusammenhang nicht entscheidend. Die Verteidigung weist zu Recht darauf hin (Urk. 93, Rz. 50), dass der Privatkläger in der konkreten Situation eine solche Motorradausrüstung getragen hat und dass dies dem Beschuldigten auch bewusst gewesen sein musste. Entsprechend können die Jacke und der Nierengurt nicht einfach weggedacht und das mögliche bzw. naheliegende Verletzungsbild nicht einfach anhand eines – hier nicht vorliegenden – Alternativszenarios beurteilt werden. Dies ändert freilich nichts daran, dass eine – potentiell tödliche – Durchtrennung der Bauchmuskulatur und auch des Zwerchfells sowie Verletzungen grösserer Blutgefässe und diverser lebenswichtiger innerer Organe (insb. der Milz, der Niere bzw. Nebenniere, des Darms, des linken Lungenflügels des Herzens) bei einer nur leicht abweichenden Einstichstelle bzw. bei einem nur leicht anderem Verlauf des Stichkanals auch in der konkreten Situation – d.h. bei Tragen der Lederjacke und des Nierengurts durch den Privatkläger – ohne Weiteres möglich gewesen wären (vgl. Urk. 10/17, S. 6 f.). Der (erfolgreiche) Messerstich erfolgte mit grosser Wucht in einer hochdynamischen Auseinandersetzung, in der der Beschuldigte dessen Lokalisation im Körper des Privatklägers nicht ansatzweise kontrollieren steuern konnte. Es war im konkreten Tatgeschehen einzig und allein dem Zufall überlassen, wo und wie der Beschuldigte den Privatkläger genau treffen würde. Es hätte gerade so gut auch zu einem Treffer mit dem Messer an einer wesentlich sensibleren Einstichstelle – auch oberoder unterhalb des Nierengurts und damit mit noch tieferem Stichkanal – kommen können, der gemäss dem Gutachten auch tödliche Verletzungen (insb. verschiedener lebenswichtiger innerer Organe grösserer Blutgefässe wie etwa der Körperhauptschlagader) hätte nach sich ziehen können. Entsprechend ging zwar nicht von der konkret erlittenen Verletzung des Privatklägers, sehr wohl aber vom konkret ausgeführten (erfolgreichen) Messerstich des Beschuldigten ein erhebliches Risiko einer Tötung des Privatklägers aus.
Hinzu kommt, dass der Beschuldigte neben diesem ersten (erfolgreichen) Messerstich auch noch mehrere weitere Messerstösse – teilweise mit grosser Wucht – gegen den Kopf- und Halsbereich des Privatklägers ausgeführt hat, die trefferlos blieben. Hierbei war das Visier des Motorradhelms des Privatklägers
zumindest zu Beginn der tätlichen Auseinandersetzung geöffnet, sodass ein Treffer im ungeschützten Gesichtsbereich durchaus möglich gewesen wäre. Ferner boten der Helm und die Motorradlederjacke keinen ausreichenden Schutz des Halsbereichs des Privatklägers, sodass auch ein Stich in den Hals durchaus möglich gewesen wäre. Entgegen der Auffassung der Verteidigung (Urk. 146, Rz. 35) bedeckte der Helm nicht den gesamten Halsbereich. Besonders hervorzuheben ist hier der letzte Stichversuch des Beschuldigten (s. oben, E. III.4.6; vgl. Urk. 2/5, Video 1, Minute 2:15-2:17; Urk. 91/22-25), bei dem er den Privatkläger mit einer halbkreisförmigen Schlagbewegung mit der rechten Hand – von rechts unten nach links oben schlagend – im Bereich des Gesichts bzw. des Halses zu treffen versuchte. Der Beschuldigte stach mit grosser Wucht unmittelbar am Kopf des zurücktaumelnden Privatklägers vorbei, wobei das geöffnete Messer mit der ca.
8 cm langen Klinge zwischen Daumen und Zeigefinger hervorschaute. Hätte der Beschuldigte den Privatkläger auch nur mit einem dieser weiteren Messerstösse im Gesicht am Hals – oberhalb des Nierengurts im Brust-, Bauchoder Rückenbereich – getroffen, so hätte eine damit einhergehende Verletzung mit sehr grosser Wahrscheinlichkeit zum Tode des Privatklägers geführt.
Wo der Beschuldigte den Privatkläger treffen würde, konnte er nicht steuern. Er stach mit einem Messer mit einer Klingenlänge von ca. 8 cm in einer hochdynamischen Auseinandersetzung völlig unkontrolliert und mit mehreren teilweise sehr wuchtigen Messerstössen auf den Privatkläger ein, wobei er diesen offensichtlich im Bereich des Kopfs, des Halses und auch des Ober- und Unterleibs zu treffen versuchte. Es ist letztlich nur Glück und Zufall geschuldet, dass der Privatkläger nicht schwerer getroffen wurde. Eine tödliche Stichverletzung wäre angesichts des konkreten Tatgeschehens ohne Weiteres möglich – und aus der Sicht ex ante auch durchaus sehr wahrscheinlich – gewesen. Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, geht auch das Bundesgericht in konstanter Rechtsprechung davon aus, dass bei unkontrollierten Messerstichen in den Bereich des Bauches, des Oberbzw. Unterleibs des Gesichts bzw. Halses des Opfers in einer dynamischen Auseinandersetzung in aller Regel mit schweren Verletzungen gerechnet werden muss, wobei das Risiko einer tödlichen Verletzung generell als hoch einzustufen ist. Das gilt selbst bei Stichverletzungen mit einer eher kurzen
Messerklinge (BGer, 6B_475/2012 vom 27. November 2012, E. 4.2, mit Verweis auf BGer, 6B_239/2009 vom 13. Juli 2009, E. 2.4 [Stich in den Brustbereich mit einem Taschenmesser der Marke Victorinox, Klingenlänge 4.1 cm]; BGer, 6B_808/2013 vom 19. Mai 2014, E. 2.3 [Stich oberhalb des linken Beckenkamms, nach oben und zur Körpermitte hin verlaufend, mit einer Klingenlänge von 8 cm]; vgl. auch BGer, 6B_935/2017 vom 9. Februar 2018, E. 1.3; 6B_234/2016 vom
5. August 2016, E. 3.3; 6B_432/2010 vom 1. Oktober 2010, E. 4). Dass der Beschuldigte den Privatkläger nur mit einem Messerstich tatsächlich getroffen und ihm dabei keine lebensgefährliche Verletzungen zugefügt hat, ist nicht entschei- dend. Massgebend ist vielmehr, dass er den Privatkläger mit dem ersten Messerstich und auch mit den nachfolgenden Messerstichversuchen einem sehr grossen Todesrisiko ausgesetzt hat (BGer, 6B_935/2017 vom 9. Februar 2018, E. 1.3).
Es gehört zum Allgemeinwissen und bedarf keiner besonderen Intelligenz, um zu erkennen, dass Stichverletzungen im Gesicht, am Hals und am Oberkörper eines Menschen mit einer 8 cm langen Messerklinge tödlich enden können (BGer, 6B_935/2017 vom 9. Februar 2018, E. 1.3; 6B_475/2012 vom 27. November
2012, E. 4.2; 6B_829/2010 vom 28. Februar 2011, E. 3.2). Es steht deshalb ausser Frage, dass der Beschuldigte die Möglichkeit erkannt haben muss, dass sein Handeln – das mehrfache unkontrollierte wuchtige Zustechen auf den Privatkläger mit einem Messer mit einer Klingenlänge von ca. 8 cm gegen dessen Kopf, Hals und Oberkörper – den Tod des Privatklägers hätte zur Folge haben können. Das stellte er vor Vorinstanz denn auch gar nicht ernsthaft in Frage (vgl. Prot. I, S. 46).
Von diesem Wissen um die Möglichkeit der Todesfolge durfte die Vorinstanz bei der vorliegenden Sachlage bereits aufgrund der beschriebenen Grösse des Risikos der Tatbestandsverwirklichung (Todesgefahr) und der Schwere der Sorgfaltspflichtverletzung auf eine Inkaufnahme der Tötung des Privatklägers durch den Beschuldigten schliessen. Wer in einer hochdynamischen Auseinan- dersetzung mit einem Messer mit einer Klingenlänge von 8 cm völlig unkontrolliert und mit grosser Wucht mehrfach in den Bereich des Oberbzw. Unterleibs, des Halses und des Gesichts eines Menschen sticht, verletzt seine Sorgfaltspflichten in besonders schwerer Weise. Er schafft – auch wenn das Opfer, wie hier, eine
Motorradausrüstung trägt – ein sehr hohes Todesrisiko und kann nicht darauf vertrauen, dieses Risiko möge sich nicht verwirklichen. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte vorliegend die Verwirklichung dieses Risikos in keiner Weise kalkulieren konnte, über keinerlei Dosierungsmöglichkeiten verfügte und der Privatkläger überdies völlig überrumpelt wurde und ohne jede Abwehrchance war; auch darauf weist die Vorinstanz zutreffend hin (Urk. 132, E. III.3.9 und E. III.3.3 mit Verweis auf die einschlägige bundesgerichtliche Rspr.).
Weiter sprechen vorliegend auch der Beweggrund des Beschuldigten und die Art der Tatausführung klar für eine Inkaufnahme der Todesfolge. Der Beschuldigte folgte dem Privatkläger auf das Tankstellengelände, um diesen mit Messerstichen für die vorangegangene Beleidigung im Strassenverkehr zu bestrafen. Er wartete rund 48 Sekunden ausserhalb des Tankstellenshops auf den Privatkläger, um dann unvermittelt und ohne zu zögern eiskalt auf diesen einzustechen. Dabei war es ihm offenkundig egal, welche Konsequenzen die Messerattacke für den Privatkläger haben würde. Die Videobilder belegen eindrücklich, wie entschlossen und rücksichtslos der Beschuldigte vorging und wie er den Privatkläger am helllichten Tag mit einer brachialen Messerattacke niederstreckte. Vor diesem Hintergrund kann nur darauf geschlossen werden, dass der Beschuldigte den Tod des Privatklägers in Kauf genommen hat.
Die Vorinstanz hat damit im Ergebnis den eventuellen Tötungsvorsatz des Beschuldigten zu Recht bejaht. Die zahlreichen Einwendungen der Verteidigung gehen allesamt ins Leere (vgl. Urk. 93, Rz. 49 ff. und Urk. 146, Rz. 92 ff.). Diesbezüglich kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen wer- den (Urk. 132, E. III.3.10), wobei ergänzend nur Folgendes anzufügen ist:
Soweit die Verteidigung vorträgt, der Beschuldigte habe kein Motiv gehabt, den Privatkläger zu töten (Urk. 93, Rz. 64 und Urk. 146, Rz. 103), und er hätte hierzu mehr als eine Möglichkeit gehabt, wenn er dies tatsächlich gewollt hätte, namentlich als der Privatkläger nach der (ersten) Attacke hilflos auf dem Boden gelegen sei (Urk. 93, Rz. 61 und Urk. 146, Rz. 41), so führt dies nur zu einer Ver- neinung eines direkten Tötungsvorsatzes (ersten Grades), nicht aber zu einer Verneinung des Eventualvorsatzes. Ein direkter Tötungsvorsatz lässt sich bei der
vorliegenden Sachlage in der Tat nicht nachweisen; davon ist auch die Vorinstanz zutreffend ausgegangen. Keines der von der Verteidigung vorgebrachten Argumente spricht indessen gegen eine Inkaufnahme der Tötung des Privatklägers durch den Beschuldigten.
Wenn die Verteidigung geltend macht, es habe zu keinem Zeitpunkt eine Lebensgefahr bestanden, sondern der Beschuldigte habe dem Privatkläger letztlich nur eine einfache Körperverletzung zugefügt (Urk. 93, Rz. 50, 59 f.), so verkennt sie damit, dass das im Rahmen der Beurteilung des Eventualvorsatzes relevante Todesrisiko nicht nur von den dem Opfer tatsächlich zugefügten Verletzungen selbst ausgehen kann, sondern auch von möglichen anderen Verletzungen, die aufgrund der konkreten Tathandlung im allgemein bekannten Rahmen des Kausalverlaufs liegen, hier namentlich von anderen möglichen Treffern mit dem Messer. Gerade bei einem dynamischen und weitgehend unkontrollierbaren Tatgeschehen wie dem hier zu beurteilenden muss ein breites Spektrum möglicher Kausalverläufe als naheliegend bzw. wahrscheinlich betrachtet werden.
Ansetzen zur Tat
In objektiver Hinsicht setzt der strafbare Versuch gemäss Art. 22 Abs. 1 StGB voraus, dass der Täter mit der Ausführung des Verbrechens Vergehens begonnen hat. Diese Schwelle ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichts dann überschritten, wenn der Täter jene Handlung ausführt, die seinem Tatentschluss gemäss auf dem Weg zur Tatbestandsverwirklichung den letzten entscheidenden Schritt darstellt, von dem es in der Regel kein Zurück mehr gibt (sog. point of no return), es sei denn wegen äusserer Umstände, die ei- ne Weiterverfolgung der Absicht erschweren verunmöglichen (vgl. statt vieler
z.B. BGE 131 IV 100, E. 7.2.1; sog. Schwellentheorie).
Diese Schwelle hat der Beschuldigte vorliegend – entgegen der Auffassung der Verteidigung (Urk. 146, Rz. 106 ff.) – ohne Weiteres überschritten, wovon auch die Vorinstanz zutreffend ausging (Urk. 132, E. III.4). Er hat auf dem Weg zur Tatbestandsverwirklichung, d.h. zur Tötung des Privatklägers, gemäss seinem bedingten Tatentschluss sämtliche notwendigen Schritte ausgeführt, in-
dem er mit dem von ihm behändigten Messer unkontrolliert mit grosser Wucht auf den Privatkläger eingestochen und zudem mehrere weitere wuchtige Messerstösse gegen diesen vorgenommen hat, die jedoch trefferlos blieben. Der Taterfolg (Todesfolge) ist ohne das Zutun des Beschuldigten ausgeblieben, namentlich weil er den Privatkläger – was einzig und allein Glück und Zufall zu verdanken ist – mit dem ersten Messerstich an einer nicht ganz so sensiblen Stelle erwischt hat und weil er diesen zudem mit den weiteren Messerstössen verfehlt hat bzw. dieser nach dem ersten Stich erfolgreich zurückgewichen ist.
Fazit
Nach dem Gesagten liegt in objektiver und subjektiver Hinsicht ein vollen- deter (tauglicher) Tötungsversuch i.S.v. Art. 111 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB vor. Damit treten der Tatbestand der versuchten schweren Körperverletzung i.S.v. Art. 122 Abs. 1 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB und auch jener der vollendeten (qualifizierten) einfachen Körperverletzung i.S.v. Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 Abs. 2 StGB, welche die Verteidigung angewendet haben will, zurück (unechte Konkurrenz; vgl. BGE 137 IV 113, E. 1). Bei dieser Sachlage kann offen bleiben, ob und unter welchen Voraussetzungen es im Rahmen einer dynamischen Messerste-
cherei überhaupt möglich ist, jemanden (eventual-)vorsätzlich lebensgefährlich zu verletzen, ohne gleichzeitig auch dessen Tod billigend in Kauf zu nehmen (vgl. auch BGer, 6B_475/2012 vom 27. November 2012, E. 4.2; 6B_808/2013 vom
19. Mai 2014, E. 2.3).
Ob das Verhalten des Beschuldigten überdies als versuchter Mord i.S.v. Art. 112 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB zu qualifizieren wäre, ist mangels einer Berufung bzw. Anschlussberufung der Staatsanwaltschaft des Privatklägers im Schuldpunkt nicht zu prüfen (Verbot der reformatio in peius; vgl. E. II.2). Eine Qualifikation als versuchter Totschlag i.S.v. Art. 113 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB wird von keiner Partei geltend gemacht und fällt auch abgesehen davon offensichtlich ausser Betracht.
Rechtfertigungs- und Schuldausschlussgründe wurden nicht geltend gemacht und sind auch nicht ersichtlich. Diesbezüglich kann auf die zutreffenden
Ausführungen der Vorinstanz verwiesen werden (Urk. 132, E. III.6; vgl. zudem oben, E. III.4.5).
Der Beschuldigte ist den vorstehenden Erwägungen folgend – und in Bestätigung von Dispositivziff. 1 des vorinstanzlichen Urteils – der versuchten vorsätzlichen Tötung i.S.v. Art. 111 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB schuldig zu sprechen.
Die Vorinstanz bestrafte den Beschuldigten mit einer Freiheitsstrafe von
5 Jahren und 2 Monaten, unter Anrechnung der erstandenen Haft (Urk. 132, Dispositivziff. 2). Die Staatsanwaltschaft beantragte vor Vorinstanz für den Fall eines Schuldspruchs wegen versuchter vorsätzlicher Tötung i.S.v. Art. 111 i.V.m. Art. 22 Abs. 1 StGB eine Bestrafung des Beschuldigten mit einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren (Urk. 69, S. 4; Urk. 89, S. 1); denselben Antrag stellt sie mit ihrer Berufung (Urk. 133, S. 2; Urk. 145, S. 1). Der Beschuldigte liess weder vor Vorinstanz noch im Berufungsverfahren einen Eventualantrag zur Strafhöhe für den Fall einer Ver- urteilung wegen versuchter vorsätzlicher Tötung stellen (Urk. 90, S. 2, 21 ff.;
Urk. 93, S. 1, 25 ff.; Urk. 136, S. 2; Urk. 146, S. 1 f.); er ficht das vorinstanzliche Urteil indessen auch mit Bezug auf die Bemessung der Strafe selbständig an. Weil auch die Staatsanwaltschaft Berufung erhoben hat, gilt in diesem Punkt kein Verschlechterungsverbot (Art. 391 Abs. 2 StPO); ebenso wenig besteht eine Bin- dung an die Begründung die Anträge der Parteien (Art. 391 Abs. 1 lit. a und b StPO), sodass das Berufungsgericht bei der Strafzumessung auch über die von der Staatsanwaltschaft geforderte Strafe hinausgehen kann.
Die Vorinstanz hat die allgemeinen Grundsätze und Kriterien der Strafzumessung zutreffend dargelegt, sodass zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen darauf verwiesen werden kann (Urk. 132, E. IV.2). Ebenfalls ging die Vorinstanz korrekt von einem ordentlichen Strafrahmen für eine (versuchte) vorsätzliche Tötung von fünf bis 20 Jahren Freiheitsstrafe aus (Art. 111 StGB und Art. 40 Abs. 2 StGB; Urk. 132, E. IV.3.1). Strafschärfungsgründe sind nicht gegeben. Als Strafmilderungsgrund, der ein Verlassen des Strafrahmens nach unten grundsätzlich
ermöglichen würde, kommt einzig der Versuch in Betracht (Art. 22 Abs. 1 StGB). Ein Unterschreiten des ordentlichen Strafrahmens ist indessen auch bei Vorliegen eines Strafmilderungsgrundes nur dann zulässig, wenn aussergewöhnliche Umstände vorliegen, die die für die betreffende Tat angedrohte (Mindest-)Strafe im konkreten Fall als zu hart erscheinen lassen, was insbesondere dann der Fall sein kann, wenn gleichzeitig mehrere verschuldensbzw. strafreduzierende Faktoren zusammentreffen, die ein bereits objektiv leichtes Tatverschulden noch weiter relativieren (BGE 136 IV 55, E. 5.8). Wie sich aus den nachfolgenden Ausführungen ergibt, ist das vorliegend nicht der Fall. Eine tat- und täterangemessene Strafe kann ohne Weiteres innerhalb des ordentlichen Strafrahmens festgesetzt werden. Der Umstand, dass es bei einer versuchten Tatbegehung geblieben ist, ist folglich nur strafmindernd innerhalb des ordentlichen Strafrahmens zu berücksichtigen. Davon ging die Vorinstanz zutreffend aus (Urk. 132, E. IV.3).
Ist, wie hier, die Strafe für ein versuchtes Delikt zuzumessen, so ist in ei- nem ersten Schritt die schuldangemessene Strafe für das hypothetisch vollendete Delikt zu bemessen, d.h. die objektive und subjektive Tatschwere auf Grundlage der Hypothese einer Deliktsvollendung – hier also unter der Annahme, dass der Privatkläger gestorben ist – zu beurteilen. Die so ermittelte hypothetische Strafe ist in der Folge unter Berücksichtigung des fakultativen Strafmilderungsgrunds von Art. 22 Abs. 1 StGB angemessen zu reduzieren (BGer, 6B_466/2013 vom 25. Juli 2013, E. 2.3.1; 6B_865/2009 vom 25. März 2010, E. 1.6.1). Auch davon
ging die Vorinstanz zutreffend aus (Urk. 132, E. IV.4.1).
Bei der objektiven Tatschwere ist zu berücksichtigen, dass Art. 111 StGB das Leben eines Menschen schützt, mithin das höchste aller Rechtsgüter. Der mit der Tötung als solcher verbundene Unrechtsgehalt kann jedoch, anders als etwa bei einer Körperverletzung, nicht abgestuft werden, sodass aus der Rechtsgutverletzung allein nichts für die Strafzumessung abgeleitet werden kann (BGer, 6B_1038/2017 vom 31. Juli 2018, E. 2.6.1; OGer ZH, SB190588 vom 8. Septem-
ber 2020, E. IV.4.1). Die objektive Tatschwere bestimmt sich damit zunächst anhand des äusseren Tathergangs und der Tatumstände, inklusive der unmittelbaren Vorbereitungshandlungen sowie des unmittelbaren Nachtatverhaltens. Eine
Bewertung des objektiven Tatverschuldens rein anhand der äusseren, aus jeglichem Kontext gelösten Geschehnisse – gleichsam aus der Sicht eines unwissen- den Beobachters – wäre indessen mit der tatbeständlichen Struktur der Tötungs- delikte nicht vereinbar. Bei Totschlag (Art. 113 StGB) und bei Mord (Art. 112 StGB) kennzeichnen gerade auch subjektive Elemente (eine entschuldbare heftige Gemütsbewegung eine grosse seelische Belastung bzw. eine besondere Skrupellosigkeit) den privilegierten bzw. den qualifizierten Tatbestand. Subjektive Merkmale wie Motive, Beweggründe und Absichten des Täters sind deshalb implizit auch beim hier einschlägigen Grundtatbestand des Art. 111 StGB massgeblich, wenn es um die Festlegung des objektiven Schweregrades geht. Dieser bestimmt sich mit anderen Worten anhand aller Tatkomponenten, welche einem gesetzlichen Tatbestandsmerkmal – namentlich mit Blick auf eine mögliche Privilegierung (Art. 113 StGB) Qualifikation (Art. 112 StGB) – zuzuordnen sind. Solche bereits für die rechtliche Würdigung relevanten subjektiven Merkmale sind nach der Konzeption der Tötungstatbestände deshalb von Beginn weg – trotz ihrer an sich subjektiven Qualität also ausnahmsweise bereits unter dem Titel der objektiven Tatschwere – zu berücksichtigen (BGer, 6B_1038/2017 vom 31. Juli 2018, E. 2.6.1; OGer ZH, SB190588 vom 8. September 2020, E. IV.4.1).
Darin liegt im Übrigen kein Verstoss gegen das Doppelverwertungsverbot. Umstände, welche bei einem Schuldspruch wegen Totschlags (Art. 113 StGB) Mordes (Art. 112 StGB) für die privilegierte bzw. qualifizierte Tatbestandsvariante und den damit einhergehenden veränderten Strafrahmen begründend gewesen sind, dürfen zwar nicht zusätzlich verschuldensbzw. straferhöhend oder
-mindernd veranschlagt werden. Innerhalb des durch den qualifizierten privilegierten Tatbestand gesetzten Strafrahmens spiegelt sich das konkrete Ausmass der betreffenden Faktoren aber in der – quantifizierenden – Strafzumessung wider (BGer, 6B_1038/2017 vom 31. Juli 2018, E. 2.6.1). Solche Faktoren, die für gegen eine Privilegierung bzw. Qualifikation sprechen, können sodann umso mehr berücksichtigt werden, wenn, wie hier, ein Schuldspruch wegen des Grundtatbestands (Art. 111 StGB) erfolgt. Da die entsprechenden Umstände in einem solchen Fall letztlich nicht bereits zu einer Veränderung des Strafrahmens geführt
haben, sind sie in der Strafzumessung ohne Beschränkung – nicht nur mit Blick auf ihr Ausmass –zu berücksichtigen.
Mit Bezug auf die objektive Tatschwere ist der Vorinstanz zuzustimmen, dass der Beschuldigte auf besonders verwerfliche Art und Weise vorgegangen ist und mit einer erheblichen Intensität und Brutalität agierte (Urk. 132, E. IV.4.2.2). Nachdem er seinen Lieferwagen unweit vom Motorrad des Privatklägers entfernt parkiert hatte, ging er ruhig im Schritttempo um sein Fahrzeug herum, um beifahrerseitig das sich dort befindliche Tatmesser zu behändigen, und lief dann ruhig und zielgerichtet zum parkierten Motorrad des Privatklägers, wo er rund 48 Sekunden – das Klappmesser ungeöffnet und versteckt in seiner linken Hand haltend – auf diesen wartete. Als der Privatkläger den Tankstellenshop verlassen hatte und in den Blick des Beschuldigten geraten war, ging dieser sofort und ohne jedes Zögern auf den Privatkläger zu, öffnete das Messer, nahm es in seine rechte Hand und stach nur rund vier Sekunden später völlig unvermittelt und eiskalt auf den Privatkläger ein. Hierbei drängte der Beschuldigte den Privatkläger während weiterer rund vier Sekunden zurück, verpasste ihm einen wuchtigen Messerstich in die linke Flanke, wobei die ca. 8 cm lange Klinge die Motorradlederjacke und den Nierengurt des Privatklägers durchdrang und beim Privatkläger einen ca. 6 cm tiefen Stichkanal (nach vorne oben verlaufend) verursachte, und führte als- dann mehrere weitere wuchtige Messerstösse gegen den teilweise ungeschützten Hals- und Kopfbereich des Privatklägers aus. Im Rahmen der Verschuldensbewertung für das hypothetisch vollendete Delikt ist hier davon auszugehen, dass der Beschuldigte den Privatkläger mit dem ersten (erfolgreichen) Messerstich bzw. mit den weiteren Messerstössen tödlich verletzt hat.
Der arglose Privatkläger wurde vom unvermittelten Angriff des Beschuldigten völlig überrumpelt und war ohne jede Abwehrchance. Der Messerattacke des Beschuldigten ging weder ein bedrohliches Verhalten noch ein irgendwie gearteter Angriff des Privatklägers voraus. Der Beschuldigte suchte mit dem Privatkläger nicht das Gespräch, sondern vergewisserte sich einzig, dass es sich bei seinem Opfer um die richtige Person handelte, indem er dieses fragte, ob das Motorrad ihm gehöre. Äusserlich betrachtet – auf den verfügbaren Videobildern – wirkt das
Vorgehen des Beschuldigten gut überlegt, zielgerichtet und absolut gefühlskalt. Mit der Vorinstanz (Urk. 132, E. IV.4.2.2) ist dem Beschuldigten hier einzig zugutezuhalten, dass er nicht mehr Gewalt angewendet und dem Privatkläger nicht mehr Schmerzen zugefügt hat, als für eine Tötung letztlich zwingend notwendig war, und dass er von sich aus vom Privatkläger abgelassen hat, als dieser rückwärts in einen parkierten Lieferwagen gestürzt war. Anzumerken ist freilich, dass der Privatkläger zu jenem Zeitpunkt nicht komplett wehrlos vor dem Beschuldigten lag und dass der Beschuldigte nicht ohne Weiteres – insbesondere nicht ohne weitere Ausweichoder Fluchtversuche des Privatklägers – weiter auf diesen hätte einstechen können. Vielmehr kam der Privatkläger, der auf das weitere Vorrücken des Beschuldigten energisch zurückgewichen war, rund zwei Meter vom Beschuldigten entfernt zu Fall, stand sofort wieder auf und versuchte zu jenem Zeitpunkt offensichtlich, sich zu verteidigen bzw. zu fliehen (vgl. Urk. 2/5, Video 2, Mi- nute 2:15-2:22). Ganz so einfach, wie zu Beginn des Kampfes, hätte der Beschul- digte weitere Messerstiche nicht mehr anbringen können.
Mit Bezug auf den Grad der Tatplanung und die vom Beschuldigten ausgehende kriminelle Energie ist mit der Vorinstanz anzunehmen, dass der Beschul- digte die Tat zwar nicht von langer Hand geplant, situativ aber doch ein gewisses Planungsniveau offenbart hat. Die Tat wirkt nicht kopflos, unüberlegt impulsiv, sondern in sich geordnet, schlüssig, zielgerichtet und überlegt (Urk. 132,
E. IV.4.2.3, mit Verweis auf das psychiatrische Gutachten von Dr. med. O. , Urk. 11/16, S. 38 ff., 44). Der Beschuldigte hatte situativ, aufgrund einer Ausei- nandersetzung mit dem Privatkläger im Strassenverkehr, entschieden, diesem mit dem Auto zu folgen, verlor ihn zwischenzeitlich zwar kurz aus den Augen, traf dann aber in einiger Distanz zur Tankstelle wieder auf ihn und entschloss sich spätestens dann, den Privatkläger mit Messerstichen für das Zeigen des Mittelfingers zu bestrafen. Angesichts dieser Umstände kann nicht davon gesprochen werden, der Beschuldigte habe spontan, unüberlegt aus dem Affekt gehan- delt. Nach dem Zeigen des Mittelfingers, das letztlich Anlass für das Handeln des Beschuldigten war, hatte dieser genügend Zeit, seinem Ärger Luft zu verschaffen und sich seine Reaktion zu überlegen. Bereits auf der Fahrt zur Tankstelle, nach- dem der Beschuldigte wieder auf den Privatkläger getroffen war und sich dazu
entschieden hatte, diesen abzustrafen, hatte er einige Zeit, seinen Tatentschluss zu überdenken bzw. sich seinen Plan zurechtzulegen. Vom Zeitpunkt, als der Beschuldigte beim Einbiegen auf das Tankstellengelände von den Kameras erfasst wurde, bis zum Beginn des Zustechens vergingen sodann weitere rund 1 Minute und 50 Sekunden (Urk. 2/5, Video 1, Minute 0:22-2:12). Während dieser Zeit wirkte der Beschuldigte insgesamt relativ ruhig und unaufgeregt. Nach seiner Ankunft ging er zielstrebig zur Beifahrertür und suchte dort während rund 22 Sekunden das Tatmesser, das er in der Folge während rund 57 Sekunden ungeöffnet und versteckt in seiner linken Hand hielt, ehe er es öffnete, in seine rechte Hand nahm und sofort zustach. Dies zeugt von einem durchaus planmässigen und überlegten Vorgehen, das nicht einem affektgetriebenen Verhalten zugeschrieben werden kann.
Weiter ist festzuhalten, dass der Beschuldigte nicht davor zurückschreckte, am helllichten Tag an einem gut frequentierten und zudem offensichtlich kamera- überwachten Ort eiskalt auf sein Opfer einzustechen, was von einer zusätzlichen kriminellen Energie und einer eindrücklichen Kaltblütigkeit zeugt. Dazu passt auch, dass der Beschuldigte sich nach seiner Tat nicht um den verletzten Privatkläger gekümmert hat, sondern verrichteter Dinge ruhig und unbeeindruckt zu seinem Fahrzeug zurücklief und ohne Eile davonfuhr. Wie die Vorinstanz zutreffend festhält, kommt auch darin die Gleichgültigkeit des Beschuldigten gegenüber dem körperlichen Wohlergehen und dem Leben des Privatklägers zum Ausdruck.
Mit Bezug auf den Beweggrund wurde bereits ausgeführt, dass es dem Beschuldigten bei seinem Handeln einzig und alleine darum ging, sich beim Privatkläger – einer ihm völlig unbekannten Person – für das Zeigen des Mittelfingers zu rächen und diesen für die subjektiv empfundene Kränkung mit Messerstichen zu bestrafen (oben, E. III.7). Hierbei nahm der Beschuldigte die Tötung des Privatklägers in Kauf und gewichtete sein subjektives Bedürfnis nach Rache und Bestrafung in ethisch krass verwerflicher Weise höher als das Leben des Privatklägers. Eine solche Haltung entspringt nicht nur blankem Egoismus, sondern offenbart auch eine ausserordentlich krasse Geringschätzung fremden menschlichen Lebens bei der Durchsetzung eigener Absichten. Zwar ist davon auszuge-
hen, dass der Privatkläger den Beschuldigten zuvor insofern provoziert hatte, als er diesen wegen eines Fehlverhaltens im Strassenverkehr (Telefonieren am Steuer und Nicht-Losfahren an der Ampel) gemassregelt und ihm den Mittelfinger gezeigt hatte. Dabei handelt es sich indessen um eine völlig untergeordnete Bagatelle, wie sie im Strassenverkehr tagtäglich vorkommt. Dass sich der Beschul- digte über diese Beleidigung geärgert hat und sich subjektiv – augenscheinlich krass übersteigert – gekränkt fühlte (vgl. Prot. I, S. 50), mag zutreffen, ändert in- dessen nichts daran, dass er letztlich wegen eines absolut nichtigen Anlasses den Tod eines Menschen in Kauf genommen hat. Sein Verhalten steht in keinem Verhältnis zur Provokation des Privatklägers und wird auch unter Berücksichtigung der subjektiv empfundenen Kränkung des Beschuldigten nicht ansatzweise verständlich nachvollziehbar.
Der Beweggrund des Beschuldigten ist daher als besonders verwerflich zu bezeichnen, was die Tat insgesamt jedenfalls in die Nähe einer Mordqualifikation bringt. Ob die Voraussetzung der besonderen Skrupellosigkeit von Art. 112 StGB vorliegend erfüllt wäre, ist hier nicht zu prüfen (vgl. oben, E. II.2). Im Rahmen der Bemessung der Strafe für die vom Beschuldigten begangene (versuchte) vorsätzliche Tötung sind solche Umstände, die für eine Mordqualifikation sprechen wür- den, aber durchaus zu berücksichtigen. Dies verstösst weder gegen das Doppelverwertungsverbot (s. oben, E. V.4) noch gegen das Verschlechterungsverbot, zumal die Staatsanwaltschaft die Bemessung der Strafe als solche angefochten hat.
Mit Blick auf das subjektive Tatverschulden sind hier nur noch die weiteren subjektiven Gesichtspunkte zu beachten, die nicht bereits unter dem Titel der objektiven Tatschwere berücksichtigt wurden. Dazu zählt zunächst das Mass der Entscheidungsfreiheit und die Frage der Schuldfähigkeit. Die Sachverständige
Dr. med. O. geht in ihrem psychiatrischen Gutachten vom 21. Oktober 2020 von einer uneingeschränkten Einsichts- und Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten im Tatzeitpunkt aus und verneint demgemäss eine verminderte Schuldfähigkeit i.S.v. Art. 19 Abs. 2 StGB (Urk. 11/16, S. 44). Sie hält fest, dass beim Beschuldigten keine psychische Störung Abhängigkeit von Suchtstoffen habe
festgestellt werden können. Immerhin wird im Gutachten festgehalten, dass der Beschuldigte gewisse Persönlichkeitsmerkmale auffälliger Art aufweise, im Sinne von Defiziten in der emotionalen Wahrnehmung und im Erleben von Schuldbewusstsein, einer Neigung zur Beschuldigung anderer, einer raschen Kränkbarkeit und Provozierbarkeit, einer niedrigen Schwelle für aggressives und gewalttätiges Verhalten etc., die jedoch nicht das Ausmass einer Persönlichkeitsstörung erreichen überhaupt einem krankheitswertigen Zustand entsprechen würden, sondern sich vielmehr im Spektrum normalpsychologischer Abweichungen befän- den (Urk. 11/16, S. 35 ff.). Aufgrund des durchgängig vorhandenen Realitätsbezugs und der intakten Realitätswahrnehmung sei von einer vollständig erhaltenen Einsichtsfähigkeit auszugehen, was sich u.a. darin zeige, dass der Beschuldigte das Messer bis kurz vor dem Zustechen versteckt gehalten und den Tatort anschliessend zügig verlassen habe (Urk. 11/16, S. 37 f.). Relevante steuerungsfähigkeitsvermindernde Elemente seien nicht ersichtlich. Der Beschuldigte sei kog- nitiv, emotional und motorisch nicht relevant beeinträchtigt gewesen, sondern habe gemäss seiner Intention gehandelt, zwar mit geringem Planungsniveau, aber doch mit erhaltener Handlungskontrolle (Urk. 11/16, S. 38 ff., 44). Diese gutachterlichen Einschätzungen sind nachvollziehbar, schlüssig und überzeugend, weshalb keine Veranlassung besteht, von diesen abzuweichen. Eine geringe Re- duktion des subjektiven Verschuldens ergibt sich lediglich wegen der obgenannten Persönlichkeitsmerkmale auffälliger Art.
Zu berücksichtigen ist ferner das Ausmass des Vorsatzes. Vorliegend han- delte der Beschuldigte nur eventual- und nicht direktvorsätzlich (s. oben, E. IV.2), was verschuldensmindernd ins Gewicht fällt (vgl. BGE 136 IV 55, E. 5.6). Mit der Vorinstanz ist indessen relativierend anzufügen, dass der Beschuldigte zwar nicht den Tod des Privatklägers direktvorsätzlich anstrebte, sehr wohl aber eine – auch schwere – Verletzung desselben durch die Messerstösse. Insgesamt ist für die bloss eventualvorsätzliche Tatbegehung deshalb nur eine geringe Reduktion des Tatverschuldens zu veranschlagen, das insgesamt – objektiv und subjektiv – als mittleres Tatverschulden bezeichnet werden muss. Für das hypothetisch vollen- dete Delikt erschiene deshalb eine Freiheitsstrafe von 10 Jahren verschuldensangemessen.
7. In einem weiteren Schritt ist die für das vollendete Delikt verschuldensangemessene Strafe aufgrund des Umstands zu reduzieren, dass es bei einer versuchten vorsätzlichen Tötung geblieben ist (Art. 22 Abs. 1 StGB; vgl. dazu MATHYS, Leitfaden Strafzumessung, 2. Aufl. 2019, N 119 ff.). Hierbei ist zu beachten, dass ein vollendeter (tauglicher) Versuch vorliegt, der Beschuldigte also alles unternommen hat, was nach seinem Tatentschluss zur Herbeiführung der Todesfolge nötig gewesen wäre. Dass der Privatkläger überlebt hat, ist in keiner Weise auf das Zutun des Beschuldigten zurückzuführen, sondern ausschliesslich Glück und Zufall geschuldet. Wie die Vorinstanz richtig erwägt, hätte der erste Messerstich im Rahmen der dynamischen Auseinandersetzung geradeso gut auch an ei- ner anderen Körperstelle – insbesondere auch oberoder unterhalb des Nierengurts – und mit einem anderen Einstichwinkel erfolgen können, sodass bereits dieser hätte tödlich sein können (Urk. 132, E. IV.4.5.3). Zudem hätte der Beschul- digte den Privatkläger auch mit den weiteren Messerstössen im Gesicht am Hals tödlich treffen können. Welche Verletzungsfolgen seine Messerattacke haben würde, konnte er schlicht in keiner Form kontrollieren kalkulieren. Bereits aus diesem Grund muss sich eine Strafreduktion für den Versuch in einem engen Rahmen bewegen.
Nicht zugestimmt werden kann der Vorinstanz, wenn sie ausführt, die To- desfolge sei zwar nicht geradezu unwahrscheinlich gewesen, das konkrete Vorgehen des Beschuldigten hätte aber wohl in vielen Fällen mit identischem Ablauf 'bloss' mit mittleren bis schweren Verletzungen ohne Todesfolge geendet
(Urk. 132, E. IV.4.5.3). Es wurde bereits ausgeführt, dass die Todesgefahr sehr gross war und der tatbestandsmässige Erfolg entsprechend sehr nahe lag (oben,
E. IV.2). Auch dies spricht gegen eine grössere Strafreduktion.
Zutreffend ist demgegenüber die Erwägung der Vorinstanz, dem Beschul- digten sei auch hier zugutezuhalten, dass er letztlich von sich aus vom Privatkläger abgelassen habe, als dieser am Boden gelegen sei (Urk. 132, E. IV.4.5.3). Hinzuzufügen ist aber, dass ein weiteres Zustechen, wie bereits ausgeführt, nicht ganz ohne Fluchtmöglichkeit Gegenwehr des Privatklägers möglich gewesen wäre. Richtig ist sodann die Erwägung der Vorinstanz, dass die tatsächlichen Folgen der Tat für den Privatkläger letztlich doch eher leicht ausfielen (Urk. 132,
E. IV.4.5.3). Dies spricht zwar für eine etwas grössere Strafminderung, insgesamt erscheint die von der Vorinstanz zugebilligte Strafreduktion von 40% aber doch klar als überhöht. Aufgrund des Umstands, dass es ausschliesslich Glück und Zufall zu verdanken ist, dass der Privatkläger nicht gestorben ist, und wegen der vom Beschuldigten geschaffenen sehr grossen Todesgefahr rechtfertigt sich bloss ein relativ geringer Strafabzug von 2 Jahren (einem Fünftel), sodass die verschul- densangemessene Strafe auf 8 Jahre festzusetzen ist.
Hinsichtlich der Täterkomponenten ist zunächst auf die zutreffenden vorinstanzlichen Erwägungen zu den persönlichen Verhältnissen, dem Vorleben und den Vorstrafen des Beschuldigten zu verweisen (Urk. 132, E. IV.4.6.1). Anlässlich der Berufungsverhandlung führte der Beschuldigte ergänzend aus, er sei mit sechs Geschwistern im P. [Staat in Europa] aufgewachsen. Ein Teil der Geschwister wohne in der Schweiz, ein anderer Teil im P. . Ein Bruder sei im Jahr 2020 verstorben. Im P. sei er acht Jahre in die Schule gegangen und habe vier Jahre lang eine Ausbildung als Maler gemacht. 1987 sei er in die Schweiz gekommen und 1995 habe er geheiratet. 2004 sei er in der Schweiz eingebürgert worden. Er habe zwei Kinder, die beide arbeiten. Die Ehe sei inzwischen geschieden. Seit er im Gefängnis sei, habe er keinen Kontakt mehr mit sei- ner Freundin, nur noch mit der Familie. Ab 2004 habe er ein eigenes …-geschäft gehabt, welches er wegen seines Gefängnisaufenthaltes habe auflösen müssen. Er habe kein Vermögen mehr, aber ca. Fr. 30'000.– bis Fr. 40'000.– Schulden (Prot. II, S. 8 ff.). Zu Recht erkannte die Vorinstanz, dass die persönlichen Verhältnisse als strafzumessungsneutral zu werten sind. Allerdings wirken sich die zwei Vorstrafen (vgl. Urk. 142) des Beschuldigten straferhöhend aus. Der Beschuldigte wurde einerseits mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft des Bezirks March vom 2. Februar 2015 wegen Nichteinhaltens des Abstands und Überschreitens der zulässigen Höchstgeschwindigkeit auf der Autobahn der groben Verkehrsregelverletzung i.S.v. Art. 90 Abs. 2 SVG und der einfachen Verkehrsregelverletzung i.S.v. Art. 90 Abs. 1 SVG schuldig gesprochen. Andererseits wurde er mit Strafbefehl der Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis vom 20. September 2017 der mehrfachen Drohung gegen den Ehegatten während der Ehe i.S.v.
Art. 180 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 lit. a StGB, des Vergehens gegen das Waffengesetz
i.S.v. Art. 33 Abs. 1 WG und der Tätlichkeiten i.S.v. Art. 126 Abs. 1 StGB schuldig gesprochen, nachdem er seiner damaligen Ehefrau mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen, diese sowie deren Freund u.a. mit dem Tod bedroht und in sei- nem Geschäftsfahrzeug ohne Berechtigung eine Schlagrute aufbewahrt hatte. Diese Vorstrafen sind sowohl in ihrer Qualität als auch in ihrer Intensität nicht mit der hier zu beurteilenden Tat vergleichbar. Es rechtfertigt sich deshalb, diese nur leicht straferhöhend zu berücksichtigen.
Die Vorinstanz hält weiter fest, der Beschuldigte habe anlässlich der Schlusseinvernahme vom 13. November 2020 eingestanden, ein schwarzes Arbeits-Klappmesser der Marke L. eingesetzt zu haben. Dieses Geständnis sei zu einem späten Zeitpunkt erfolgt, nachdem der Beschuldigte zunächst auch noch nach Vorhalt des IRM-Gutachtens vom 27. Juli 2020, das einen …-spachtel als Tatwaffe ausgeschlossen hatte, sowie nach Vorhalt der eindeutigen Videobil- der noch bei seiner ursprünglichen Version geblieben sei, einen …-spachtel verwendet zu haben. Obschon der Beschuldigte damit die Strafuntersuchung zwar nur marginal vereinfacht habe, sei das Geständnis doch immerhin leicht strafmin- dernd zu berücksichtigen (Urk. 132, E. IV.4.6.2.2). Dem kann nicht gefolgt wer- den. Ein Geständnis ist nur dann strafmindernd zu berücksichtigen, wenn es Aus- druck von Einsicht und Reue ist und die Strafverfolgung dadurch erleichtert wird, nicht dagegen, wenn es erst spät im Strafverfahren und nur aufgrund einer erdrückenden Beweislage erfolgt und die Strafuntersuchung dadurch nicht nicht erheblich vereinfacht wird (MATHYS, a.a.O., N 363 m.Nw.). Vorliegend hat der Beschuldigte die Verwendung eines Messers erst spät und nur aufgrund einer erdrückenden Beweislage eingestanden (Urk. 4/4, S. 2 f.; Urk. 16/40, S. 3; vgl. demgegenüber noch Urk. 4/2, S. 3 f.; Urk. 4/3, S. 2; Urk. 16/6, S. 3; Urk. 16/18, S. 4 f.; Urk. 16/30, S. 8 f.), als aufgrund des Untersuchungsergebnisses – insbesondere der eindeutigen Videobilder und des erwähnten IRM-Gutachtens – bereits unzweideutig feststand, dass er ein Messer und keinen …-spachtel verwendet hatte. Die Strafuntersuchung wurde dadurch nicht erleichtert. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte zwar die Verwendung eines Messers und die Verursachung der eingeklagten Verletzungen zugegeben hat, in subjektiver Hinsicht jedoch bis zuletzt
darauf beharrte, er habe mit dem Privatkläger das Gespräch suchen wollen, was offensichtlich falsch ist. Ebenfalls abgestritten hat er, im Fahrzeug das Messer behändigt zu haben, und behauptete in offenkundig abwegiger Weise, der Privatkläger habe ihn angegriffen und er habe Angst vor diesem gehabt. Abgestritten hat der Beschuldigte zudem auch die weiteren (erfolglosen) Messerstösse gegen den Kopf- und Halsbereich des Privatklägers sowie seinen (eventuellen) Tötungsvorsatz. Von einem umfassenden Geständnis kann daher ohnehin nicht die Rede sein. Der Beschuldigte hat vielmehr nur gerade (bzw. nicht einmal) das zugegeben, was aufgrund eindeutiger objektiver Beweismittel ohnehin bereits als feststehend betrachtet werden musste. Angesichts dieser Umstände verbietet es sich, das (Teil-)Geständnis des Beschuldigten auch nur leicht strafmindernd zu berücksichtigen.
Mit Bezug auf die Kooperation des Beschuldigten mit den Strafbehörden in der Strafuntersuchung führt die Vorinstanz zutreffend aus, der Beschuldigte habe zwar kurz nach seiner Tat die Polizei angerufen und sich in diesem Sinne gestellt, was freilich dadurch relativiert werde, dass der Beschuldigte einerseits bei seiner Tat durch die Überwachungskameras und beim Verlassen des Tatorts durch den Privatkläger gefilmt worden sei und andererseits Anzeige gegen den Privatkläger erstattet habe, sodass sein Verhalten letztlich als taktisch und egoistisch erscheine und nicht strafmindernd berücksichtigt werden könne (Urk. 132,
E. IV.4.6.2.1). Durch dieses Verhalten hat der Beschuldigte die Strafuntersuchung nicht wesentlich erleichtert. Hinzu kommt, dass er beim Verlassen des Tatorts das Tatmesser beseitigt hatte, sodass dieses nicht mehr aufgefunden werden konnte. Von einer die Strafuntersuchung erleichternden Kooperation des Beschuldigten kann deshalb nicht gesprochen werden; eine Strafreduktion ist dafür nicht zu veranschlagen.
Ebenfalls nicht strafmindernd zu berücksichtigen ist das Wohlverhalten des Beschuldigten während der Haft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug (vgl. Urk. 17/7; vgl. zudem MATHYS, a.a.O., N 392 m.Nw.).
Demgegenüber hat die Vorinstanz dem Beschuldigten zu Recht eine gewisse (beschränkte) Reue attestiert (Urk. 132, E. IV.4.6.2.3). Sie führt zutreffend
aus, der Beschuldigte habe bei mehreren Gelegenheiten sein Bedauern ausge- drückt, sich entschuldigt (vgl. Urk. 4/4, S. 5 f.; Urk. 16/30, S. 5 ff.; Prot. I, S. 16, 39, 42 f., 49 ff., 77; Prot. II, S. 14, 17, 21 f.), dem Privatkläger einen Entschuldigungsbrief geschrieben (Urk. 17/5) und ihm zumindest im Grundsatz ein Angebot für eine Wiedergutmachung (Geldleistung) unterbreitet (vgl. Prot. I, S. 49). Zutreffend hält die Vorinstanz indessen auch fest, dass diese im Grundsatz durchaus vorhandene und teilweise auch aufrichtig erscheinende Reue durch eine fehlende Einsicht des Beschuldigten in das von ihm begangene Unrecht sowie sein exter- nalisierendes und bagatellisierendes Verhalten relativiert werde (Urk. 132,
E. IV.4.6.2.3). Der Beschuldigte betrachtete stets vorwiegend den Privatkläger als Veranlasser der Messerattacke, namentlich aufgrund des Zeigens des Mittelfingers im Strassenverkehr und auch wegen eines angeblich bedrohlich wirkenden Verhaltens des Privatklägers bei der Tankstelle, und gab diesem letztlich eine nicht unerhebliche Mitschuld für die Tat (vgl. Urk. 4/2, S. 3; Urk. 4/3, S. 2 f.;
Urk. 4/4, S. 4 ff.; Urk. 16/6, S. 2 f.; Urk. 16/18, S. 3 ff.; Prot. I., S. 39 f.; 42 ff.). Hinzu kommt, dass die Reue des Beschuldigten wenigstens teilweise auch als Aus- druck von Selbstmitleid und Bedauern über seine eigene Situation erscheint (vgl. etwa Urk. 16/40, S. 1 f.; Prot. I, S. 16, 42, 77). Insgesamt ist die vom Beschuldigten gezeigte Reue deshalb nur leicht strafmindernd zu berücksichtigen.
Weitere strafmindernde -erhöhende Umstände liegen nicht vor. Die gezeigte Reue des Beschuldigten führt im Rahmen der Strafzumessung zu einer leichten Reduktion der verschuldensangemessenen Strafe, wobei sie sich mit der leichten Erhöhung durch die zwei Vorstrafen in etwa die Waage hält. Der Beschuldigte ist deshalb unter Berücksichtigung aller Tat- und Täterkomponenten mit einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren zu bestrafen. Die von der Vorinstanz ausgefällte Freiheitsstrafe von 5 Jahren und 2 Monaten erscheint nach dem Gesagten als unangemessen tief.
Einer Anrechnung der bereits erstandenen Untersuchungsbzw. Sicherheitshaft (Art. 51 StGB) sowie der Dauer des vorzeitigen Strafvollzugs von insgesamt 894 Tagen bis und mit heute (24. April 2020 bis 4. Oktober 2022) steht nichts entgegen.
Bei der Dauer der hier ausgesprochenen Freiheitsstrafe fällt ein bedingter teilbedingter Vollzug ausser Betracht (Art. 42 f. StGB). Demnach ist die Freiheitsstrafe unbedingt auszusprechen.
Die Vorinstanz hat dem Privatkläger Schadenersatz in der Höhe von
Fr. 635.85, zzgl. Zins von 5% seit 24. April 2020, zugesprochen, sein Schadenersatzbegehren im darüber hinausgehenden Umfang dagegen auf den Zivilweg verwiesen (Urk. 132, Dispositivziffer 4). Hiergegen wurde keine Berufung erhoben, sodass das vorinstanzliche Urteil in diesem Punkt in Rechtskraft erwachsen und hier nicht zu beurteilen ist (E. II.1).
Sodann hat die Vorinstanz dem Privatkläger eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 5'000.–, zzgl. Zins von 5% seit 24. April 2020, zugesprochen, sein Genugtuungsbegehren im Mehrumfang jedoch abgewiesen (Urk. 132, Dispositivziffer 5). Hiergegen hat der Beschuldigte Berufung erhoben, wobei er eine Genugtuungsschuld in der Höhe von Fr. 2'500.–, zzgl. Zins von 5% seit 24. April 2020, anerkennt (Urk. 136, S. 2 und Urk. 146, S. 1 und S. 36). Der Privatkläger hat seine Berufung zurückgezogen und beantragt in diesem Punkt, dass festzustellen sei, dass Dispositivziffer 5 (Genugtuung) im Umfang von Fr. 2'500.– rechtskräftig geworden sei (Prot. II, S. 19). Mit Bezug auf die Genugtuungsforderung ist die Berufungsinstanz in ihrem Entscheid zum einen nach unten an das Zugeständnis des Beschuldigten gebunden (Art. 391 Abs. 1 lit. b StPO); zum anderen begrenzen der vorinstanzliche Entscheid (mangels einer Anfechtung durch den Privatkläger; vgl. Art. 391 Abs. 2 StPO) und der Antrag des Privatklägers im Berufungsverfahren (Art. 391 Abs. 1 lit. b StPO) die von der Berufungsinstanz festsetzbare Genugtuungssumme nach oben.
Die Vorinstanz hat die Anträge und Standpunkte der Parteien sowie die relevanten rechtlichen Grundlagen und die Bemessungskriterien hinsichtlich des vom Privatkläger geltend gemachten Genugtuungsanspruchs korrekt dargestellt
(Urk. 132, E. V.1 und E. V.3.1-3.2), sodass zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen darauf verwiesen werden kann.
Nach zu teilender Auffassung der Vorinstanz (Urk. 132, E. V.3.3) hat der Beschuldigte widerrechtlich und schuldhaft in die körperliche und psychische Integrität des Privatklägers eingegriffen und ihm – kausal – eine immaterielle Unbill zugefügt, sodass – bei hinreichender Schwere – grundsätzlich eine Genugtuung geschuldet ist. Weiter weist die Vorinstanz zutreffend darauf hin, dass die dem Privatkläger vom Beschuldigten zugefügte Messerstichverletzung an der linken Flanke ca. 6 cm tief war, dass der Privatkläger unter Vollnarkose chirurgisch operiert werden musste, dass der (erfolgreiche) Messerstich des Beschuldigten beim Privatkläger letztlich eine 2.5 cm lange Narbe hinterliess, die beim Privatkläger während einiger Monate ein Taubheitsgefühl verursachte und aller Voraussicht nach auch deutlich sichtbar bleiben wird, und dass bereits diese Umstände für sich genommen eine hinreichend schwere Verletzung der körperlichen Integrität des Privatklägers darstellen, die eine Genugtuung rechtfertigen (Urk. 132,
E. V.3.4). Daran ändert nichts, dass von der erlittenen Verletzung als solchen kei- ne konkrete Lebensgefahr für den Privatkläger ausging (sehr wohl aber vom Messerangriff des Beschuldigten insgesamt; vgl. E. IV.2.2), dass der operative Eingriff letztlich komplikationslos verlief, der Spitalaufenthalt nur zwei Tage dauerte, die Wunde nach einigen Wochen schön verheilt war und der Privatkläger letztlich nur während 24 Tagen (vom 24. April 2020 bis und mit dem 17. Mai 2020) arbeitsunfähig war.
Hinzu kommt sodann, auch darauf weist die Vorinstanz zutreffend hin
(Urk. 132, E. V.3.5), dass der Privatkläger aufgrund des Messerangriffs durch den Beschuldigten erhebliche psychische Beeinträchtigungen erlitten hat. Mit der Vorinstanz ist diesbezüglich auf den Verlaufsbericht von lic. phil. Q. abzustellen, der sich als nachvollziehbar und schlüssig erweist (Urk. 95A/4). Danach zeige der Privatkläger Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (ICD-10: F43.1); insbesondere leide er unter Angst- und Ohnmachtsgefühlen, Konzentrationssowie Schlafstörungen. Anlässlich der Berufungsverhandlung führte der Vertreter des Privatklägers aus, dass dieser nach wie vor traumatisiert sei (Prot. II,
S. 20 f.). Die Vorinstanz attestierte dem Privatkläger angesichts dieser Umstände zur Recht einen nicht unerheblichen Leidensdruck, der durch die Tat des Beschuldigten verursacht wurde. Ebenfalls zu Recht stellte die Vorinstanz demgegenüber nicht auf die psychischen Auswirkungen ab, die der Privatkläger im Zusammenhang mit angeblichen – bedrohlich wirkenden – Besuchen von Leuten aus dem Umfeld des Beschuldigten geltend machte (Urk. 132, E. V.3.5). Zum ei- nen sind diese Besuche bereits als solche unbelegt. Zum anderen ist durch nichts belegt, dass solche Besuche durch den Beschuldigten verursacht wurden, und es fehlt überdies ohnehin an einem Konnex zwischen diesen behaupteten (neuen und selbständigen) Persönlichkeitsverletzungen und der hier zu beurteilenden Tat des Beschuldigten (vgl. aber Art. 122 Abs. 1 StPO).
Angesichts der erlittenen körperlichen Verletzungen und der psychischen Beeinträchtigungen des Privatklägers erscheint die von der Vorinstanz zugesprochene Genugtuung in der Höhe von Fr. 5'000.– als angemessen. Hinzu kommt – unbestritten – ein Genugtuungszins von 5% seit dem schädigenden Ereignis. Das Urteil der Vorinstanz ist in diesem Punkt folglich zu bestätigen; das umfasst auch die (nicht angefochtene) Abweisung des Genugtuungsbegehrens des Privatklägers im Mehrbetrag.
Der vorinstanzliche Entscheid über die Entschädigung der amtlichen Verteidigung (Urk. 132, Dispositivziffer 7), die Entschädigung der unentgeltlichen Vertretung des Privatklägers (Urk. 132, Dispositivziffer 8) sowie die Festsetzung der Kosten für das Untersuchungs- und das erstinstanzliche Verfahren (Urk. 132, Dispositivziffer 9) wurde nicht angefochten. Hier ebenfalls nicht zu beurteilen ist die Festsetzung und Verlegung der (Zusatz-)Entschädigung von Rechtsanwältin lic. iur. Y2. für ihre seit dem erstinstanzlichen Urteil angefallenen Bemühungen und Auslagen durch die Vorinstanz (Verfügung vom 21. Oktober 2021;
Urk. 126).
Bei diesem Verfahrensausgang ist die vorinstanzliche Verlegung der erstinstanzlichen Verfahrenskosten zu bestätigen (Urk. 132, Dispositivziffer 10;
Art. 426 Abs. 1 und Art. 428 Abs. 3 StPO). Die von der erweiterten Anklage abweichende rechtliche Würdigung ist diesbezüglich ohne Bedeutung.
Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens. Als unterliegend gilt auch die Partei, auf deren Rechtsmittel nicht eingetreten wird die das Rechtsmittel zurückzieht
(Art. 428 Abs. 1 StPO). Ob und inwieweit eine Partei im Sinne dieser Bestimmung obsiegt bzw. unterliegt, hängt davon ab, in welchem Ausmass ihre vor der zweiten Instanz gestellten Anträge gutgeheissen werden (BGer, 6B_1025/2014 vom
9. Februar 2015, E. 2.4.1). Vorliegend unterliegt der Beschuldigte mit seinen Berufungsanträgen vollumfänglich, während die Staatsanwaltschaft mit ihren Anträgen obsiegt. Der Privatkläger unterliegt zwar insoweit, als er seine Berufung zurückgezogen hat (vgl. Art. 428 Abs. 1 StPO). Weil der Rückzug indessen innert der Frist für die Berufungserklärung erfolgte, sind ihm bereits deshalb keine Kosten aufzuerlegen (vgl. OGer ZH, ZR 110/2011, Nr. 37). Die zweitinstanzlichen Verfahrenskosten sind folglich, mit Ausnahme derjenigen der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Vertretung der Privatklägerschaft, vollständig dem Beschuldigten aufzuerlegen. Die Kosten der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Vertretung des Privatklägers sind auf die Gerichtskasse zu nehmen, unter Vorbehalt der Rückzahlungspflicht des Beschuldigten gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO (i.V.m. Art. 138 Abs. 1 StPO).
Die Gerichtsgebühr für das Berufungsverfahren ist in Anwendung von § 16 Abs. 1 i.V.m. § 14 Abs. 1 lit. b sowie § 2 Abs. 1 lit. b-d GebV OG auf Fr. 4'000.– zu veranschlagen.
Sodann ist die Entschädigung des amtlichen Verteidigers für das Berufungsverfahren festzusetzen. Gemäss § 18 Abs. 1 AnwGebV wird die Gebühr im Berufungsverfahren grundsätzlich nach den für die Vorinstanz geltenden Regeln bemessen. Dabei ist es nach der aktuellen bundesgerichtlichen Rechtsprechung zulässig, für das Anwaltshonorar Pauschalen vorzusehen (BGE 143 IV 453
E. 2.5.1). Vorliegend beantragt der amtliche Verteidiger eine Entschädigung im
Betrag von Fr. 20'392.85 (Urk. 143). Darin enthalten sind 7 Stunden für die Teil- nahme an der Berufungsverhandlung, welche schliesslich 4 Stunden dauerte (vgl. Prot. II, S. 4 und S. 25). Zudem wurde eine Kostenpauschale von 4 % und damit ein Betrag von Fr. 725.25 geltend gemacht (Urk. 143), welcher so nicht berücksichtigt werden kann, da gemäss Leitfaden für amtliche Mandate der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich (Seite 50) nur notwendige, effektive (nicht pauschale) Barauslagen vergütet werden, nicht hingegen Kleinspesenpauschalen. Der geltend gemachte Aufwand erscheint unter Berücksichtigung des vorliegen- den Falls insgesamt überhöht. Eine pauschale Entschädigung für das Berufungsverfahren (inkl. Barauslagen und Mehrwertsteuer) in der Höhe von Fr. 15'000.– erscheint vorliegend als angemessen.
Die Kosten der unentgeltlichen Vertretung des Privatklägers sind auf Fr. 3'930.– (inkl. MWST) festzusetzen (vgl. Urk. 147).
Der von der Verteidigung im Berufungsverfahren (erstmals) gestellte Antrag auf Entschädigung des Beschuldigten für eine erlittene Überhaft (Urk. 136,
S. 2), d.h. auf eine Genugtuung i.S.v. Art. 429 Abs. 1 lit. c StPO, erübrigt sich bei diesem Verfahrensausgang.
Es wird beschlossen:
Vom Rückzug der Berufung des Privatklägers wird Vormerk genommen.
Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Horgen, III. Abteilung, vom 12. April 2021 bezüglich der Dispositivziffern 4 (Schadenersatzforderung des Privatklägers), 6 (Herausgabe sichergestellte Gegenstände) und 7-9 (Kostenfestsetzung) in Rechtskraft erwachsen ist.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.
Rechtsmittel:
Gegen Ziffer 1 dieses Entscheids kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Es wird erkannt:
Der Beschuldigte B. ist schuldig der versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB.
Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren, wovon bis und mit heute 894 Tage durch Untersuchungs- und Sicherheitshaft sowie vorzeitigen Strafvollzug erstanden sind.
Die Freiheitsstrafe wird vollzogen.
Der Beschuldigte wird verpflichtet, dem Privatkläger eine Genugtuung in der Höhe von Fr. 5'000.– zuzüglich 5% Zins seit dem 24. April 2020 zu bezahlen. Im Mehrbetrag wird das Genugtuungsbegehren abgewiesen.
Die erstinstanzliche Kostenauflage (Dispositivziffer 10) wird bestätigt.
Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf: Fr. 4'000.– ; die weiteren Kosten betragen:
Fr. 15'000.– amtliche Verteidigung
Fr. 3'930.– unentgeltliche Vertretung Privatklägerschaft
Die Kosten des Berufungsverfahrens, mit Ausnahme derjenigen der amtlichen Verteidigung und der unentgeltlichen Vertretung der Privatklägerschaft, werden dem Beschuldigten auferlegt. Die Kosten der amtlichen Verteidigung sowie der unentgeltlichen Vertretung der
Privatklägerschaft werden auf die Gerichtskasse genommen. Die Rückzahlungspflicht bleibt gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO vorbehalten.
Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)
die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich (übergeben)
den unentgeltlichen Vertreter des Privatklägers im Doppel für sich und zuhanden des Privatklägers (übergeben)
den Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungs- und Vollzugsdienste
die Justizvollzugsanstalt Pöschwies durch den zuführenden Polizeibeamten
sowie in vollständiger Ausfertigung an
die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten
die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich
den unentgeltlichen Vertreter des Privatklägers im Doppel für sich und zuhanden des Privatklägers
und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an
die Vorinstanz
den Justizvollzug des Kantons Zürich, Abteilung Bewährungs- und Vollzugsdienste
die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Bestimmung der Vernichtungs- und Löschungsdaten
die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit Formular A.
Rechtsmittel:
Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.
Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung
des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.
Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.
Obergericht des Kantons Zürich
II. Strafkammer Zürich, 4. Oktober 2022
Der Präsident:
Oberrichter Dr. Bussmann
Die Gerichtsschreiberin:
lic. iur. Schwarzenbach-Oswald
Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.
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