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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SB220005: Obergericht des Kantons Zürich

In dem vorliegenden Fall ging es um ein Verfahren betreffend unentgeltliche Rechtspflege, bei dem A.________ als Gesuchsteller und Beschwerdeführer gegen C.________ als Gesuchsgegnerin antrat. Die Einzelrichterin am Bezirksgericht Schwyz wies die Gesuche beider Parteien ab und legte die Gerichtskosten von Fr. 600.00 je zur Hälfte auf. A.________ erhob Beschwerde beim Kantonsgericht und beantragte die Gewährung der unentgeltlichen Prozessführung sowie die Bestellung seines Anwalts als unentgeltlichen Rechtsvertreter. Die Beschwerde wurde teilweise gutgeheissen, die Gerichtskosten wurden aufgehoben und A.________ wurde mit Fr. 300.00 aus der Kantonsgerichtskasse entschädigt. .

Urteilsdetails des Kantongerichts SB220005

Kanton:ZH
Fallnummer:SB220005
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB220005 vom 29.12.2022 (ZH)
Datum:29.12.2022
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Vorsätzliche einfache Verletzung der Verkehrsregeln
Schlagwörter : Beschuldigte; Beschuldigten; Urteil; Verteidigung; Berufung; Privatkläger; Vorinstanz; Verfahren; Untersuchung; Prozessentschädigung; Staat; Verfahrens; Entschädigung; Sachbeschädigung; Staatsanwaltschaft; Gerichtskasse; Kostenauflage; Vorwurf; Verhalten; Fahrrad; Verfahrens; Trottoir; Verletzung; Barauslagen; Privatklägers; Sachverhalt; Einvernahme; Person; Verkehrsregeln; Sinne
Rechtsnorm:Art. 144 StGB ;Art. 399 StPO ;Art. 402 StPO ;Art. 41 VRV ;Art. 426 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 43 SVG ;Art. 437 StPO ;Art. 90 SVG ;
Referenz BGE:137 IV 352;
Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017

Entscheid des Kantongerichts SB220005

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB220005-O/U/ad

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Spiess, Präsident, Oberrichter lic. iur. Stiefel und Oberrichterin lic. iur. Bertschi sowie Gerichtsschreiberin MLaw Boese

Urteil vom 29. Dezember 2022

in Sachen

A. ,

Beschuldigter und Berufungskläger

verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,

gegen

Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl,

Anklägerin und Berufungsbeklagte

betreffend vorsätzliche einfache Verletzung der Verkehrsregeln

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 10. Abteilung - Einzelgericht, vom 6. Oktober 2021 (GG210182)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl vom 26. Mai 2021 (Urk. 17) ist diesem Urteil beigeheftet.

Urteil der Vorinstanz:

  1. Der Beschuldigte ist schuldig der vorsätzlichen Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG i.V.m. Art. 43 Abs. 2 SVG und Art. 41 Abs. 2 VRV.

  2. Vom Vorwurf der Sachbeschädigung im Sinne von Art. 144 Abs. 1 StGB wird der Beschuldigte freigesprochen.

  3. Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Busse von CHF 60.–.

  4. Die Busse ist zu bezahlen. Bezahlt der Beschuldigte die Busse schuldhaft nicht, so tritt an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von 1 Tagen.

  5. Der Privatkläger B. wird mit seinem Schadenersatzbegehren auf den Weg des Zivilprozesses verwiesen.

  6. Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf:

    CHF 1'000.–; die weiteren Kosten betragen: CHF 1'100.– Gebühr für das Vorverfahren Allfällige weitere Auslagen bleiben vorbehalten.

  7. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens werden dem Beschuldigten zur Hälfte auferlegt. Zur Hälfte werden sie auf die Gerichtskasse genommen.

  8. Dem Beschuldigten wird eine reduzierte Prozessentschädigung von

    Fr. 3'000.– (pauschal, inklusive MwSt. und Barauslagen) für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  9. Es werden keine weiteren Entschädigungen für anwaltliche Verteidigung Privatklägervertretung zugesprochen.

Berufungsanträge:

  1. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 33 S. 1; Urk. 47 S. 1 f.)

    1. Die Dispositiv-Ziffern des vorinstanzlichen Urteils seien wie folgt abzu- ändern:

      1. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens werden zu einem Drittel dem Beschuldigten auferlegt und zu zwei Dritteln auf die Gerichtskasse genommen.

      2. Dem Beschuldigten wird eine Prozessentschädigung von

        Fr. 3'741.70 (inkl. Barauslagen und MwSt.) für anwaltliche Vertei- digung aus der Gerichtskasse zugesprochen.

    2. Unter Kosten- und Entschädigungsfolge zu Lasten des Staates.

  2. Des Vertreters der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl: (Urk. 36)

Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils.

Erwägungen:

  1. Prozessgeschichte / Prozessuales

    1. Gegen das eingangs im Dispositiv wiedergegebene, mündlich eröffnete Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 10. Abteilung - Einzelgericht, vom 6. Oktober 2021 liess der Beschuldigte mit Eingabe vom 18. Oktober 2021 rechtzeitig Berufung anmelden (Prot. I S. 34; Urk. 25; Urk. 27). Nach Erhalt der begründeten Urteilsausfertigung reichte die Verteidigung mit Eingabe vom 24. Januar 2022 innert der gesetzlichen Frist von Art. 399 Abs. 3 StPO die Berufungserklärung ein (Urk. 30/2; Urk. 31; Urk. 33).

    2. Mit Präsidialverfügung vom 25. Januar 2022 wurde die Berufungserklärung der Staatsanwaltschaft und dem Privatkläger zugestellt, unter Ansetzung einer Frist, um zu erklären, ob Anschlussberufung erhoben ein Nichteintreten auf die Berufung beantragt werde (Urk. 34). Die Staatsanwaltschaft verzichtete mit Eingabe vom 28. Januar 2022 auf Anschlussberufung und beantragte die Bestätigung des vorinstanzlichen Urteils (Urk. 36). Der Privatkläger liess innert der angesetzten Frist mitteilen, dass auf die Einreichung einer Stellungnahme verzichtet werde (Urk. 37).

    3. Am 15. Februar 2022 wurde gestützt auf Art. 406 Abs. 1 lit. d StPO die Durchführung des schriftlichen Verfahrens beschlossen und dem Beschuldigten Frist angesetzt, um schriftlich die Berufungsanträge zu stellen und zu begründen (Urk. 39). Innert mehrmals erstreckter Frist liess der Beschuldigte mit Eingabe vom 11. Mai 2022 rechtzeitig die eingangs wiedergegebenen Berufungsanträge stellen und deren Begründung einreichen (Urk. 47). Die Berufungsbegründung wurde der Staatsanwaltschaft sowie der Vorinstanz mit Präsidialverfügung vom 8. Juni 2022 zugestellt und Frist zur Einreichung der schriftlichen Berufungsantwort bzw. zur freigestellten Vernehmlassung angesetzt (Urk. 48), worauf sowohl die Staatsanwaltschaft als auch die Vorinstanz verzichteten (Urk. 50; Urk. 51). Das Verfahren erweist sich als spruchreif.

    4. Gemäss Art. 402 StPO in Verbindung mit Art. 437 StPO wird die Rechtskraft des angefochtenen Urteils im Umfang der Anfechtung gehemmt. Der Beschuldig-

    te ficht das vorinstanzliche Urteil nur teilweise an und zwar in Bezug auf die Kosten- und Entschädigungsfolgen gemäss den Dispositivziffern 7 und 8 (Kostenauflage und reduzierte Prozessentschädigung). Unangefochten blieben hingegen die Dispositivziffern 1 (Schuldspruch wegen vorsätzlicher einfacher Verletzung der Verkehrsregeln), 2 (Freispruch betreffend Sachbeschädigung), 3 und 4 (Strafe und Vollzug), 5 (Zivilforderung), 6 (Kostenfestsetzung) und 9 (keine weiteren Prozessentschädigungen). Entsprechend ist mittels Beschluss festzustellen, dass das vor-instanzliche Urteil in diesem Umfang in Rechtskraft erwachsen ist.

  2. Kosten- und Entschädigungsfolgen

  1. Urteil der Vorinstanz / Standpunkt des Beschuldigten

    1. Mit Urteil vom 6. Oktober 2021 sprach die Vorinstanz den Beschuldigten vom Vorwurf der Sachbeschädigung frei und fällte einen Schuldspruch wegen Übertretung des Strassenverkehrsgesetzes im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG in Verbindung mit Art. 43 Abs. 2 SVG und Art. 41 Abs. 2 VRV. Sie auferlegte ihm die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens zur Hälfte und sprach ihm eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 3'000.– (pauschal, inkl. Barauslagen und MwSt.) für seine anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zu (Urk. 31 S. 25). Zur Begründung der hälftigen Kostenauflage erwog die Vorinstanz, der Beschuldigte habe durch sein Verhalten, insbesondere durch den Schlag gegen die Autoscheibe des Privatklägers, zumindest leichtfertig Verdacht auf eine strafbare Handlung erweckt und damit sowie durch seine Selbstinkrimi- nierung wegen Fahrens auf dem Trottoir die Einleitung der Untersuchung verursacht, insbesondere auch bezüglich des Straftatbestands der Sachbeschädigung, von welchem er nunmehr freizusprechen sei. Deshalb und weil sich der Schuldmit dem Freispruch ungefähr die Waage halte, rechtfertige es sich, dem Beschul- digten die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens zur Hälfte aufzuerlegen (Urk. 31 S. 21). Mit analoger Begründung setzte die Vorinstanz die Prozessentschädigung des Beschuldigten auf die Hälfte des (gekürzten) Aufwands seines erbetenen Verteidigers fest (Urk. 31 S. 23 f.).

    2. Der Beschuldigte wendet sich mit seiner Berufung gegen die hälftige Kostenauflage sowie die Höhe der reduzierten Prozessentschädigung und lässt zusammengefasst vorbringen, dass er vom schwerwiegenderen Vorwurf eines Vergehens (Sachbeschädigung) freigesprochen und nur noch wegen einer Übertretung (einfache Verletzung der Verkehrsregeln) verurteilt worden sei. Folglich sei die vorinstanzliche Erwägung, wonach sich Schuld- und Freispruch ungefähr die Waage hielten, unzutreffend. Die Verteidigung führt weiter aus, dass der Sachverhalt betreffend Befahren eines Gehwegs vom Beschuldigten ab der ersten polizeilichen Einvernahme anerkannt worden sei. Diesbezüglich seien somit keine weiteren Untersuchungshandlungen nötig gewesen. Auch die rechtliche Würdigung sei abgesehen von der Frage eines Notstands unstrittig gewesen. Demgegenüber seien in Bezug auf den Vorwurf der Sachbeschädigung umfassende Beweiserhebungen wie insbesondere Zeugeneinvernahmen erfolgt und habe die Vorinstanz eine detaillierte Beweiswürdigung vornehmen müssen. Schliesslich lege die Vor-instanz nicht dar und sei auch nicht ersichtlich, inwiefern der Beschuldigte die Einleitung des vorliegenden Verfahrens im Sinne von Art. 426 Abs. 2 StPO verursacht habe. Soweit sie die Kostenauflage an ein entsprechendes Verhalten des Beschuldigten knüpfe, könne der Vorinstanz nicht gefolgt werden. Insgesamt erweise sich eine Kostenauflage zur Hälfte als rechtswidrig. Dem Beschuldigten seien die Kosten des Vorverfahrens und des gerichtlichen Verfahrens lediglich im Umfang von einem Drittel aufzuerlegen und im Übrigen auf die Gerichtskasse zu nehmen. Analog sei die dem Beschuldigten zuzusprechende Prozessentschädigung auf zwei Drittel des entstandenen Aufwands der Verteidigung, konkret auf Fr. 3'741.70 (inkl. Barauslagen und MwSt.) festzulegen (Urk. 47 S. 2 ff.).

  2. Kostenauflage der Untersuchung und des erstinstanzlichen Verfahrens

    1. Gemäss Art. 426 Abs. 1 Satz 1 StPO trägt die beschuldigte Person die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird. Die Verlegung der Kosten richtet sich nach dem Grundsatz, dass derjenige die Kosten trägt, der sie verursacht hat. Erforderlich ist ein adäquater Kausalzusammenhang zwischen dem zur Verurteilung führenden strafbaren Verhalten und den durch die Abklärung entstandenen Kosten. Wird die beschuldigte Person bei einer Mehrzahl strafbarer Handlungen teil-

      weise schuldig und teilweise freigesprochen (Teilfreispruch) bzw. wird das Verfahren nur bezüglich einzelner strafbarer Handlungen eingestellt, so sind die Verfahrenskosten anteilsmässig der beschuldigten Person, dem Staat und gegebenenfalls der Privatklägerschaft aufzuerlegen. Der beschuldigten Person dürfen jedoch dann die gesamten Kosten des Verfahrens auferlegt werden, wenn die ihr zur Last gelegten Handlungen in einem engen und direkten Zusammenhang stehen, und alle Untersuchungshandlungen hinsichtlich jedes Anklagepunktes notwendig waren. Es ist nach Sachverhalten, nicht nach Tatbeständen aufzuschlüsseln. Bei einem einheitlichen Sachverhaltskomplex ist vom Grundsatz der vollständigen Kostenauflage nur abzuweichen, wenn die Strafuntersuchung im freisprechenden Punkt zu Mehrkosten geführt hat (BGer 6B_460/2020 vom 10. März 2021, E. 10.3.1; DOMEISEN, in: Niggli/ Heer/Wiprächtiger, Basler Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 2. Auflage, Basel 2014, N 6 zu Art. 426 StPO; je mit weiteren Hinweisen).

    2. Den Tatvorwürfen gegen den Beschuldigten liegt ein einheitlicher Sachverhaltskomplex zugrunde. So trafen der Beschuldigte als Fahrradfahrer und der Privatkläger B. als Lenker eines Motorfahrzeugs gemäss Anklageschrift am

      24. Oktober 2019 beim C. -platz in Zürich aufeinander. Im Rahmen dieses Aufeinandertreffens soll der Privatkläger den Beschuldigten angehupt und ausgebremst haben, woraufhin Letzterer mit seiner Hand dem Fuss gegen die Fahrzeugtür des Privatklägers geschlagen bzw. getreten haben soll. Unmittelbar nach diesem Schlag bzw. Tritt soll der Beschuldigte das Trottoir mit seinem Fahrrad befahren haben (Urk. 17 S. 2).

    3. Auch wenn zwischen den anklagegegenständlichen Taten somit ein enger Sachzusammenhang besteht, wurden die Untersuchungshandlungen überwiegend zur Abklärung des Vorwurfs der Sachbeschädigung vorgenommen, wovon der Beschuldigte mit vorinstanzlichem Urteil schliesslich freigesprochen wurde. Darüber hinaus konzentrierten sich die polizeilichen und staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auf die Abklärung eines straffälligen Verhaltens des Privatklägers zum Nachteil des Beschuldigten (Nötigung, Drohung, Beschimpfung, Tätlichkeit; vgl. Urk. 2). Entsprechend wurden der Beschuldigte und der Privatkläger in den

      durchgeführten Einvernahmen beinahe ausschliesslich zu diesen Aspekten des Tatgeschehens befragt. Das Befahren des Trottoirs mit dem Fahrrad wurde hingegen eher beiläufig Gegenstand des Vorverfahrens, nachdem sich der Beschul- digte anlässlich der polizeilichen Einvernahme vom 24. Oktober 2019 diesbezüglich selbst belastet hatte (Urk. 4/2 F/A 5). Die Vorinstanz hielt zutreffend fest, dass der Beschuldigte bei seinem Zugeständnis blieb, obwohl er vom zuständigen Polizisten auf die Strafbarkeit dieses Verhaltens aufmerksam gemacht und in der Folge als beschuldigte Person einvernommen wurde (Urk. 4/2 F/A 6 f., 13). Auch anlässlich der Konfrontationseinvernahme vom 26. Januar 2021 und seiner Befragung an der Hauptverhandlung zeigte sich der Beschuldigte vollumfänglich geständig, mit seinem Fahrrad auf dem Trottoir gefahren zu sein (Urk. 4/3 S. 2, 5; Prot. I S. 12 f.). Folglich betrafen nur sehr wenige, an ihn gerichtete Fragen den Vorwurf der einfachen Verletzung der Verkehrsregeln.

      Der Privatkläger und die beiden Zeugen (D. und E. ) äusserten sich ebenfalls dazu, dass der Beschuldigte mit seinem Fahrrad das Trottoir befahren habe. Allerdings erfolgten auch jene Aussagen eher beiläufig bei der freien Schil- derung des erlebten bzw. beobachteten Tatgeschehens (Urk. 4/1 F/A 21, 30; Urk. 4/3 S. 6; Urk. 5/1 F/A 4; Urk. 5/3 F/A 11; Urk. 5/4 F/A 6, 14; Urk. 5/5 F/A 25). Konkrete Fragen in Bezug auf den Tatvorwurf der einfachen Verkehrsregelverletzung wurden weder von der Polizei noch von der Staatsanwaltschaft gestellt. Im Zentrum der durchgeführten Einvernahmen standen vielmehr der Schlag bzw. Tritt des Beschuldigten gegen das Fahrzeug des Privatklägers und dessen vorausgegangenes Verhalten dem Beschuldigten gegenüber. Insgesamt kann nicht davon ausgegangen werden, dass sämtliche Einvernahmen auch in Bezug auf das Befahren des Trottoirs mit dem Fahrrad notwendig gewesen wären, nachdem der Beschuldigte den Sachverhalt diesbezüglich von Anfang an und vollumfänglich anerkannte.

      Über die erwähnten Einvernahmen hinaus erfolgten keine weiteren Untersuchungshandlungen der Strafverfolgungsbehörde. Die aktenkundige Videoaufzeichnung (Urk. 4/4), welche den Beschuldigten mit seinem Fahrrad auf dem Trot-

      toir fahrend zeigt, wurde vom Zeugen D. erstellt und vom Beschuldigten als mögliches Beweismittel eingereicht.

    4. Entsprechend dem Untersuchungsaufwand im Vorverfahren legte auch die Vorinstanz bei der Erstellung des Sachverhalts ihr Augenmerk zur Hauptsache auf den Vorwurf der Sachbeschädigung, während sie zum Befahren des Trottoirs mit dem Fahrrad lediglich erwog, dass sich der Beschuldigte diesbezüglich geständig gezeigt habe und sich sein Geständnis mit dem Untersuchungsergebnis decke, weshalb dieser Teil-Sachverhalt als erstellt anzusehen sei (Urk. 31 S. 7,

      10 ff.). Bei der rechtlichen Würdigung des Tatbestands im Sinne von Art. 90 Abs. 1 SVG hatte sich die Vorinstanz zwar mit der Frage auseinanderzusetzen, ob sich der Beschuldigte in einem rechtfertigenden Notstand befand. Die entsprechenden Erwägungen im angefochtenen Urteil beschränken sich jedoch auf rund zweieinhalb Seiten. Im Übrigen war die rechtliche Würdigung des Übertretungstatbestands unbestritten, weshalb mit der Verteidigung festzuhalten ist, dass sich die Vorinstanz in der Sache mehrheitlich mit dem Vorwurf der Sachbeschädigung auseinanderzusetzen hatte.

    5. Zusammenfassend sind die entstandenen Kosten für die Untersuchungshandlungen der Strafverfolgungsbehörden und den Entscheid der Vorinstanz zum grössten Teil dem Anklagevorwurf betreffend Sachbeschädigung zuzurechnen, von welchem der Beschuldigte freigesprochen wurde. Zu berücksichtigen ist weiter, dass es aller Voraussicht nach erst gar nicht zur Einleitung eines Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft gekommen wäre, wenn lediglich das Befahren des Trottoirs mit dem Fahrrad zu untersuchen gewesen wäre. Vielmehr hätte die Übertretung des Beschuldigten im Ordnungsbussenverfahren geahndet werden können, zumal er den Tatvorwurf bereits anlässlich seiner polizeilichen Einver- nahme vom 24. Oktober 2019 anerkannte (Art. 1 Abs. 2 und Art. 15 des Ord- nungsbussengesetzes [SR 314.1] in Verbindung mit Anhang 1 zur Ordnungsbussenverordnung [SR 314.11], Ziff. 605.1). Diesfalls wäre auch die Durchführung ei- nes erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens entfallen. Vor diesem Hintergrund ist ebenso davon auszugehen, dass der überwiegende Teil der Verfahrenskosten im Zusammenhang mit dem Vorwurf der Sachbeschädigung entstanden ist.

    6. Schliesslich bestehen mit der Verteidigung keine klar nachgewiesenen Umstände, die dafür sprechen, dass der Beschuldigte die Einleitung des vorliegenden Strafverfahrens rechtswidrig und schuldhaft verursacht hat (Art. 426 Abs. 2 StPO). Der zugestandene Schlag mit der flachen Hand gegen eine Scheibe des vom Privatkläger gelenkten Fahrzeugs stellt noch kein zivilrechtlich vorwerfbares Verhalten im Sinne einer klaren Verletzung von geschriebenen ungeschriebenen Verhaltensnormen dar, die sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung ergeben. M.a.W. lässt sich aus dieser Reaktion keine Verpflichtung bzw. Verantwortung des Beschuldigten ableiten, welche eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung wegen eines fehlerhaften Verhaltens begrün- den könnte (vgl. BGer 6B_416/2020 vom 20. August 2020, E. 1.1.1 mit Hinweisen). Für eine Anwendung von Art. 426 Abs. 2 StPO besteht insofern kein Raum, und es ist der Vor-instanz nicht zu folgen, wenn sie u.a. gestützt auf diese Bestimmung die hälftige Kostenauflage begründet.

    7. In Anbetracht des Erwogenen erscheint es angemessen, dem Beschuldigten die Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens zu einem Viertel aufzuerlegen und im Übrigen auf die Gerichtskasse zu nehmen.

  3. Prozessentschädigung des Beschuldigten für die Untersuchung und das erstinstanzliche Verfahren

    1. Einleitend ist darauf hinzuweisen, dass die Verteidigung die von der Vorinstanz vorgenommenen Kürzungen des Honorars (Reduktion des Stundenansatzes auf Fr. 220.– / Kürzung des Aufwands um vier Stunden wegen des Zusammenhangs mit der Strafklage gegen den Privatkläger; vgl. Urk. 31 S. 22 ff.) nicht beanstandet. Sie wendet sich einzig gegen die Höhe, in welcher dem Beschuldigten eine Prozessentschädigung für den Aufwand seiner erbetenen Verteidigung zugesprochen wurde (Urk. 47 S. 4).

    2. Wird die beschuldigte Person ganz teilweise freigesprochen, so hat sie Anspruch auf Entschädigung ihrer Aufwendungen für die angemessene Aus- übung ihrer Verfahrensrechte (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung ist davon auszugehen, dass eine Kostenauflage nach

      Art. 426 Abs. 1 und 2 StPO in der Regel einen Anspruch auf Entschädigung ausschliesst. Die Entschädigungsfrage ist nach der Kostenfrage zu beantworten. Insoweit präjudiziert der Kostenentscheid die Entschädigungsfrage. Es gilt folglich der Grundsatz, dass bei Auferlegung der Kosten keine Entschädigung Ge- nugtuung auszurichten ist, während bei Übernahme der Kosten durch die Staatskasse die beschuldigte Person Anspruch auf Entschädigung hat. Bei nur teilweiser Kostenauflage ist dem Beschuldigten eine im entsprechenden Umfang reduzierte Entschädigung zuzusprechen (BGE 137 IV 352, E. 2.4.2; BGer 6B_84/2020 vom 22. Juni 2020, E. 2.4). Dieser Rechtsprechung folgend, ist dem Beschuldigten der geltend gemachte Aufwand seiner erbetenen Verteidigung für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren im Umfang von drei Vierteln zuzusprechen, was einer reduzierten Prozessentschädigung von gerun- det Fr. 4'210.– entspricht (Fr. 5'060.– zzgl. 3 % Barauslagen = Fr. 5'211.80, davon drei Viertel = Fr. 3'908.85, zzgl. 7.7 % MwSt. = Fr. 4'209.80). Das Verrech- nungsrecht des Staates ist jedoch vorzubehalten.

  4. Kosten und Entschädigungsfolgen des Berufungsverfahrens

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte obsiegt mit seinen Berufungsanträgen vollständig, weshalb ihm für das vorliegende Verfahren keine Kosten aufzuerlegen sind. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt damit ausser Ansatz. Rechtsanwalt lic. iur. X. macht für das Berufungsverfahren Aufwendungen und Barauslagen von insgesamt Fr. 1'996.75 geltend. Dieser Betrag setzt sich u.a. zusammen aus dem Aufwand von sechs Arbeitsstunden zu einem Ansatz von Fr. 300.– und einer Kleinspesenpauschale von 3 % (Urk. 52). Die aufgewendete Arbeitszeit ist der Schwierigkeit und Bedeutung des vorliegenden Falls sowie dem notwendigen Zeitaufwand für die Verteidigung des Beschuldigten ohne Weiteres angemessen (§ 2 Abs. 1 lit. b, d und lit. e AnwGebV [LS 215.3]). Allerdings erscheint es nicht verhältnismässig, den Stundensatz der Verteidigung im oberen Bereich der Gebühr gemäss § 3 AnwGebV festzusetzen, zumal das vorinstanzliche Urteil nur hinsichtlich der Kosten- und Entschädigungsfolgen angefochten wurde und sich die in diesem Zusammenhang stellenden Fragen vergleichsweise wenig komplex darstellten (vgl. § 18 Abs. 1 AnwGebV). Der

Zeitaufwand von Rechtsanwalt lic. iur. X.

ist vielmehr mit Fr. 220.– pro

Stunde zu vergüten, wie es bereits die Vorinstanz getan hat (vgl. Urk. 31 S. 23). Entsprechend ist dem Beschuldigten für das Berufungsverfahren eine reduzierte Prozessentschädigung von gerundet Fr. 1'464.– für anwaltliche Verteidigung zuzusprechen (6 Stunden zu Fr. 220.– = Fr. 1'320.–, zzgl. 3 % Barauslagen = Fr. 1'359.60, zzgl. 7.7 % MwSt. = Fr. 1'464.30).

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichtes Zürich, 10. Abteilung - Einzelgericht, vom 6. Oktober 2021 bezüglich der Dispositivziffern 1 (Schuldspruch wegen vorsätzlicher einfacher Verletzung der Verkehrsregeln), 2 (Freispruch betreffend Sachbeschädigung), 3 und 4 (Strafe und Vollzug), 5 (Zivilforderung), 6 (Kostenfestsetzung) und 9 (keine weiteren Prozessentschädigungen) in Rechtskraft erwachsen ist.

  2. Schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Die Kosten der Untersuchung und des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens werden dem Beschuldigten zu einem Viertel auferlegt und zu drei Vierteln auf die Gerichtskasse genommen.

  2. Dem Beschuldigten wird für das Vorverfahren und das erstinstanzliche Gerichtsverfahren eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 4'210.– für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.

    Das Verrechnungsrecht des Staates bleibt vorbehalten.

  3. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz.

  4. Dem Beschuldigten wird für das Berufungsverfahren eine reduzierte Prozessentschädigung von Fr. 1'464.– für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  5. Schriftliche Mitteilung an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl

    • den Vertreter des Privatklägers im Doppel für sich und zuhanden des Privatklägers B.

      sowie nach Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz (mit dem Ersuchen um Vornahme der notwendigen Mitteilungen an die Behörden und Ämter).

  6. Rechtsmittel:

Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer Zürich, 29. Dezember 2022

Der Präsident:

Oberrichter lic. iur. Spiess

Die Gerichtsschreiberin:

MLaw Boese

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

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