E-MailWeiterleiten
LinkedInLinkedIn

Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Kopfdaten
Kanton:ZH
Fallnummer:SB210633
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:I. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB210633 vom 09.06.2022 (ZH)
Datum:09.06.2022
Rechtskraft:-
Leitsatz/Stichwort:Mehrfache Pornografie
Zusammenfassung : In dem Fall BEK 2018 172 ging es um einen Beschuldigten, der wegen häuslicher Gewalt und Drohungen gegenüber seiner Frau und Tochter in Untersuchungshaft genommen wurde. Die Staatsanwaltschaft stellte einen Haftantrag, der vom Zwangsmassnahmengericht vorläufig bis zum 18. Januar 2019 bewilligt wurde. Der Beschuldigte erhob Beschwerde gegen diese Entscheidung, da die Haftgründe der Wiederholungs-, Ausführungs- und Kollusionsgefahr nicht ausreichend belegt waren. Die Beschwerdekammer hob die Untersuchungshaft auf und wies das Zwangsmassnahmengericht an, die Kollusionsgefahr neu zu bewerten. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von Fr. 1'200.00 gehen zu Lasten des Staates.
Schlagwörter : Beschuldigte; Beschuldigten; Staat; Urteil; Verteidigung; Berufung; Recht; Landes; Landesverweisung; Schweiz; Härte; Härtefall; Europa; Interesse; Gericht; Verlobte; Beziehung; Sinne; Verlobten; Vorinstanz; Kinder; Interessen; Berufungsverhandlung; Aufenthalt; Integration
Rechtsnorm:Art. 11 BV ; Art. 13 BV ; Art. 135 StPO ; Art. 391 StPO ; Art. 399 StPO ; Art. 402 StPO ; Art. 428 StPO ; Art. 58a AIG ; Art. 66 StGB ; Art. 66a StGB ; Art. 66d StGB ; Art. 8 EMRK ;
Referenz BGE:135 I 143; 141 III 328; 141 IV 249; 144 I 266; 144 II 1; 144 IV 168; 145 IV 404; 146 IV 105;
Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017
Entscheid

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB210633-O/U/cwo

Mitwirkend: die Oberrichter lic. iur. Ch. Prinz, Präsident, lic. iur. R. Faga und Ersatzoberrichter lic. iur. P. Castrovilli sowie der Gerichtsschreiber lic. iur. M. Keller

Urteil vom 9. Juni 2022

in Sachen

A. ,

Beschuldigter und Berufungskläger

verteidigt durch Rechtsanwalt lic. iur. X2. ,

gegen

Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis,

vertreten durch Leitende Staatsanwältin lic. iur. C. Wiederkehr,

Anklägerin und Berufungsbeklagte betreffend mehrfache Pornografie

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichts Dietikon, Einzelgericht, vom 11. August 2021 (GG210030)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis vom 1. Juli 2021 ist diesem Urteil beigeheftet (Urk. 14).

Urteil der Vorinstanz:

(Urk. 30 S. 20 ff.)

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte ist schuldig der mehrfachen Pornografie im Sinne von Art. 197 Abs. 4 Sätze 1 und 2 StGB.

  2. Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 90.–. Von der Ausfällung einer Busse wird abgesehen.

  3. Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt.

  4. Der Beschuldigte wird im Sinne von Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB für 5 Jahre des Landes verwiesen.

  5. Von der Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem wird abgesehen.

  6. Von der Anordnung eines Tätigkeitsverbotes wird im Sinne von Art. 67 Abs. 4 bis StGB abgesehen.

  7. Die folgenden Asservate, lagernd bei der Kantonspolizei Zürich, Asservate-Triage, werden eingezogen und der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen:

    • DVD A): Asservat-Nr. 1;

    • DVD B): Asservat-Nr. 2.

  8. Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf:

    Fr. 1'500.00; die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 2'100.00 Gebühr für das Vorverfahren.

  9. Rechtsanwältin lic. iur. X1. wird für ihre Aufwendungen als amtliche Verteidigerin des Beschuldigten aus der Gerichtskasse mit Fr. 6'205.85 (inkl. Barauslagen und MwSt.) entschädigt.

  10. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, ausgenommen diejenigen der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten auferlegt.

  11. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genommen; vorbehalten bleibt eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO.

  12. (Mitteilungen.)

  13. (Rechtsmittel.)

Berufungsanträge:

(Prot. II S. 5)

  1. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 68 S. 1, teilweise sinngemäss)

    1. Das Urteil des Bezirksgerichts Dietikon vom 11. August 2021 sei bezüglich Ziff. 4 (Landesverweisung) aufzuheben.

    2. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen.

    3. Unter entsprechenden Kosten- und Entschädigungsfolgen, inklusive Anpassung der Kostenverlegung der Vorinstanz.

  2. Der Staatsanwaltschaft: (Urk. 37 sinngemäss)

    Bestätigung des vorinstanzlichen Entscheids.

    Erwägungen:

    1. Verfahrensgang und Umfang der Berufung

  1. Verfahrensgang

    1. Mit Urteil vom 11. August 2021 sprach die Vorinstanz den Beschuldigten anklagegemäss der mehrfachen Pornografie schuldig und verwies ihn für 5 Jahre des Landes, da er über den Facebook-Messenger ein Video an Dritte versandte, auf welchem zwei offensichtlich minderjährige Knaben zu sehen sind, welche ei- nen Esel jeweils mit ihrem Penis penetrieren (Urk. 14; Urk. 30 S. 20 ff.). Das vo-

      rinstanzliche Urteil wurde gleichentags mündlich eröffnet (Prot. I S. 17 ff.). Innert Frist meldete die vormalige amtliche Verteidigung Berufung gegen dieses Urteil an (Urk. 23).

    2. Nach Zustellung des begründeten Entscheids liess der Beschuldigte am

      23. Dezember 2021 fristgerecht die Berufungserklärung einreichen (Urk. 32). Nachdem den Parteien Frist angesetzt worden war, um Anschlussberufung zu erheben und zur Durchführung eines schriftlichen Berufungsverfahrens Stellung zu nehmen, verzichtete die Staatsanwaltschaft mit Eingabe vom 6. Januar 2022 auf Anschlussberufung und erklärte, nicht gegen die schriftliche Durchführung des Verfahrens zu opponieren (Urk. 35-37). Mit Eingabe vom 21. Januar 2022 liess der Beschuldigte demgegenüber explizit die Durchführung einer mündlichen Berufungsverhandlung beantragen (Urk. 39).

    3. Am 2. Februar 2022 wurden die Parteien zur Berufungsverhandlung auf den 7. April 2022 vorgeladen (Urk. 41). Im Hinblick auf die anberaumte Verhandlung wurden seitens des Gerichts sodann die den Beschuldigten betreffenden Akten des Migrationsamtes beigezogen, was der vormaligen Verteidigung entsprechend zur Kenntnis gebracht wurde (Urk. 43 f.).

    4. Am 5. April 2022, mithin zwei Tage vor Durchführung der angesetzten Berufungsverhandlung, zeigte Rechtsanwalt lic. iur. X2. mittels Vollmacht sei- ne Mandatierung als erbetener Verteidiger des Beschuldigten an und ersuchte um Abnahme der Ladungen sowie Neuansetzung der Berufungsverhandlung (Urk. 47 f. = Urk. 50 und Urk. 52). Die Verfahrensleitung wies das entsprechende Verschiebungsgesuch gleichentags ab (Urk. 49). Am 7. April 2022 teilte die damalige amtliche Verteidigung dem hiesigen Gericht mit, krankheitshalber nicht an der gleichentags stattfindenden Berufungsverhandlung teilnehmen zu können und keine Einwendungen gegen ihre Entlassung aus dem amtlichen Mandat zu haben (Urk. 54). Die entsprechenden Arztzeugnisse wurden seitens der amtlichen Verteidigung sogleich nachgereicht (Urk. 60/1-2).

    5. In der Folge wurden die Ladungen für die Berufungsverhandlung abge- nommen und die amtliche Verteidigung unter Ausrichtung einer entsprechenden

      Entschädigung der bisherigen Aufwendungen aus dem Mandat entlassen (Urk. 55; Urk. 56). Am 2. Mai 2022 erging sodann die Vorladung zur heutigen Verhandlung, zu welche der Beschuldigte in Begleitung seines erbetenen Verteidigers erschienen ist (Urk. 64; Prot. II S. 5). Es wurden weder Vorfragen aufgeworfen noch Beweisanträge gestellt. Das Verfahren erweist sich als spruchreif.

  2. Umfang der Berufung und formeller Hinweis

    1. Die Berufung des Beschuldigten richtet sich gegen die angeordnete Lan- desverweisung (Dispositiv-Ziff. 4). Aufgrund des engen sachlichen Zusammenhangs hat damit auch der vorinstanzliche Entscheid betreffend Ausschreibung im Schengener Informationssystem als angefochten zu gelten (Dispositiv-Ziff. 5).

    2. Soweit die erbetene Verteidigung erstmals anlässlich der Berufungsverhandlung geltend machte, es werde auch die vorinstanzliche Kostenverlegung gemäss Dispositiv-Ziff. 10 und 11 angefochten, erweist sich dies als verspätet (Prot. II S. 6; Urk. 68 S. 1). Bei bloss teilweiser Anfechtung eines erstinstanzlichen Entscheids ist bereits in der Berufungserklärung verbindlich anzugeben, welche Abänderungen des Urteils verlangt werden und auf welche Teile sich die Berufung beschränkt (Art. 399 Abs. 3 und 4 StPO). In der Berufungserklärung des Beschuldigten wurde die Kostenauflage jedoch gerade nicht beanstandet (Urk. 32). Da nicht angefochtene Punkte in Teilrechtskraft erwachsen (vgl. Art. 402 StPO), ist eine nachträgliche Ausweitung des Rechtsmittels nicht mehr möglich (Zürcher Kommentar StPO-Z IMMERLIN, 3. Auflage 2020, Art. 399 N 14).

    3. Nicht angefochten und somit in Rechtskraft erwachsen sind daher die Dispositiv-Ziff. 1-3 und 6-11, was vorab mittels Beschluss festzustellen ist (Urk. 32; Urk. 68 S. 1; Prot. II S. 6). Nachdem der Beschuldigte als einzige Partei Berufung führt, steht die Überprüfung des angefochtenen Urteils unter dem Vorbehalt des Verschlechterungsverbots (Art. 391 Abs. 2 StPO).

    4. Es ist an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass sich die urteilende Instanz nicht mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzen respektive jedes einzelne Vorbringen widerlegen muss. Die Berufungsinstanz kann sich auf die für

ihren Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (vgl. BGE 141 IV 249 E. 1.3.1 S. 253; Urteil 1B_242/2020 vom 2. September 2020 E. 2.2.).

II. Landesverweisung

  1. Ausgangslage und rechtliche Grundlagen

    1. Die Vorinstanz sprach entgegen dem Antrag der Staatsanwaltschaft eine Landesverweisung für die Dauer von 5 Jahren aus, da die Landesverweisung keinen besonderen Härtefall für den Beschuldigten zu begründen vermöge. Der Beschuldigte könne auch vom B. [Staat in Europa] Kontakt zu seiner Verlobten halten und Besuche empfangen. Der volljährige Sohn des Beschuldigten sei finanziell unabhängig und seine 24-jährige Tochter könne auch mit einem Verdienst ausserhalb der Schweiz unterstützt werden. Für den Beschuldigten – so die Vorinstanz weiter – bestehe die Möglichkeit, sich erfolgreich im B. [Staat in Europa] im EU-Raum zu integrieren (Urk. 30 S. 11 ff.).

    2. Die Verteidigung wendet dagegen im Wesentlichen ein, es liege ein Härtefall im Sinne von Art. 66a Abs. 2 StGB vor und die angeordnete Landesverweisung erweise sich im Lichte der Anlasstat als völlig unverhältnismässig. Der Beschuldigte lebe seit über 20 Jahren in der Schweiz, habe hier immer gearbeitet und sei sehr gut integriert. Die einzige Verbindung in den B. [Staat in Europa] stelle die Mutter des Beschuldigten dar, welche noch dort wohne. Der Beschuldigte sei verlobt und wolle in der Schweiz heiraten, sei sozialer Vater für den Sohn seiner Verlobten und habe sich hier eine Existenzgrundlage erschaffen (Urk. 68 S. 4 ff.; s.a. Urk. 32 N 7 ff.).

    3. Das Gericht verweist den Ausländer, der – wie der Beschuldigte – wegen Pornografie im Sinne von Art. 197 Abs. 4 zweiter Satz StGB verurteilt wird, unabhängig von der Höhe der Strafe für 5-15 Jahre aus der Schweiz (Art. 66a Abs. 1 lit. h StGB). Die obligatorische Landesverweisung wegen einer Katalogtat im Sin- ne von Art. 66a Abs. 1 StGB greift grundsätzlich unabhängig von der konkreten Tatschwere (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1). Sie muss zudem unabhängig davon angeordnet werden, ob die Strafe bedingt, unbedingt teilbedingt ausgespro-

      chen wird (BGE 146 IV 105 E. 3.4.1; Urteil 6B_560/2020 vom 17. August 2020 E.

      1.1.1).

    4. Gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB kann das Gericht ausnahmsweise von einer Landesverweisung absehen, wenn diese für den Ausländer einen schweren persönlichen Härtefall bewirken würde und die öffentlichen Interessen an der Landesverweisung gegenüber den privaten Interessen des Ausländers am Verbleib in der Schweiz nicht überwiegen. Dabei ist der besonderen Situation von Ausländern Rechnung zu tragen, die in der Schweiz geboren aufgewachsen sind.

      Die Vorinstanz hat die rechtlichen Grundlagen im Zusammenhang mit der Prüfung der sogenannten Härtefallklausel ausführlich und zutreffend dargelegt. Darauf kann verwiesen werden (Urk. 30 S. 12 f.). Rekapitulierend und zusammenfassend ist an dieser Stelle festzuhalten, dass die Härtefallklausel restriktiv anzuwenden ist. Zur kriteriengeleiteten Prüfung eines Härtefalls lässt sich der Kriterienkatalog der Bestimmung über den schwerwiegenden persönlichen Härtefall gemäss Art. 31 Abs. 1 der Verordnung vom 24. Oktober 2007 über Zulassung, Aufenthalt und Erwerbstätigkeit (VZAE; SR 142.201) heranziehen. Es sind aber auch strafrechtliche Elemente in die Interessenabwägung miteinzubeziehen. Das Gericht hat dabei die öffentlichen und privaten Interessen gegeneinander abzuwägen. Von einem schweren persönlichen Härtefall ist in der Regel bei einem Eingriff von ei- ner gewissen Tragweite in den Anspruch des Ausländers auf das in Art. 13 BV und Art. 8 EMRK verankerte Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens auszugehen. Art. 66a StGB ist EMRK-konform auszulegen. Die Interessenabwägung im Rahmen der Härtefallklausel hat sich daher an der Verhältnismässigkeitsprüfung nach Art. 8 Ziff. 2 EMRK zu orientieren (vgl. zum Ganzen: Urteil 6B_1258/2020 vom 12. November 2021 E. 4.2.).

  2. Härtefallprüfung

    1. Soziale Integration

      1. Der Beschuldigte wurde im B. [Staat in Europa] geboren, wo er seine Kindheit und Jugend verbrachte, die Schule besuchte sowie eine KV-Lehre absolvierte. Er ist … Staatsangehöriger [des Staates C. _] und reiste etwa im Jahr 2001 mit rund 25 Jahren in die Schweiz ein (Urk. 32 N 7; Urk. 68 S. 4; Urk. 6 F/A 32 ff.; Urk. 7 F/A 24 ff.). Damit ist er weder in der Schweiz geboren noch aufgewachsen, weshalb grundsätzlich keine Umstände vorliegen, die gemäss Art. 66a Abs. 2 StGB von vornherein besonders ins Gewicht fallen würden. Der Beschul- digte verfügt über eine Aufenthaltsbewilligung B (Urk. 44 S. 321). Sein Vater ist verstorben, seine Mutter lebt nach wie vor im B. [Staat in Europa]. Der Beschuldigte hat zwei erwachsene Kinder aus früheren Ehen, ist aber wieder verlobt (Urk. 67 S. 2 f.).

      2. Der Beschuldigte liess in der Berufungserklärung unter Verweis auf die Lehrmeinung von Z URBRÜGG/HRUSCHKA vorbringen, ihm stehe insbesondere aufgrund seiner langdauernden Anwesenheit von rund 21 Jahren gemäss Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz zu, welches einer Landesverweisung entgegenstehe (Urk. 32 N 4 ff. m.H.a. BSK StGB I- ZUR- BRÜGG/HRUSCHKA, 4. Aufl. 2019, Art. 66a N 49 ff.). Ein bestehendes Aufenthaltsrecht in der Schweiz darf jedoch auch gemäss dem angeführten UNO-Pakt II eingeschränkt werden, wenn dies gesetzlich vorgesehen und zum Schutz der natio- nalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Volksgesundheit, der öffentlichen Sittlichkeit der Rechte und Freiheiten anderer notwendig ist (Art. 12 Abs. 3 UNO-Pakt II). Unbesehen der Frage, ob die Schweiz für den Beschuldigten überhaupt das eigene Land gemäss Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II darstellt, was überhaupt erst einen Aufenthaltsanspruch begründen würde (vgl. dazu BSK StGB I- ZURBRÜGG/HRUSCHKA, 4. Aufl. 2019, Art. 66a N 54), erweisen sich die Voraussetzungen zur Einschränkung eines Aufenthaltsrechts gemäss UNO-Pakt II ähnlich inhaltsgleich mit anderen Menschenrechtsverträgen wie der EMRK. Der angeführte Art. 12 Abs. 4 UNO-Pakt II verschafft praxisgemäss denn auch keine über die Garantien von Art. 8 EMRK bzw. Art. 13 Abs. 1 BV hinausgehenden Ansprüche (vgl. Urteil 2C_447/2017 vom 10. September 2018 E. 4.3). Ein gesondertes Aufenthaltsrecht des Beschuldigten lässt sich aus dem angerufenen Uno-Pakt II somit nicht ableiten.

      3. Das Bundesgericht hat bereits mehrfach festgehalten, dass eine lange Anwesenheitsdauer allein nicht automatisch zur Annahme eines Härtefalls führen darf und bei der strafrechtlichen Härtefallprüfung auch nicht schematisch ab einer gewissen Aufenthaltsdauer eine Verwurzelung in der Schweiz angenommen werden kann. Die im Rahmen der Landesverweisung vorzunehmende Härtefallprüfung ist daher in jedem Fall anhand der gängigen Integrationskriterien vorzu- nehmen, wobei die lange Anwesenheitsdauer des Beschuldigten von rund 21 Jahren entsprechend zu berücksichtigen ist (s.a. BGE 146 IV 105).

      4. Der Beschuldigte leitet seine soziale Integrationsleistung vornehmlich aus dem Verhältnis zu seinem hier lebenden Bruder, dem erwachsenen Sohn aus ei- ner früheren Ehe sowie zu seiner Verlobten und deren Kindern ab (Urk. 32 N 16 ff.; Urk. 68 S. 4 und S. 8). Darauf ist nachfolgend noch genauer einzugehen (vgl. E. II.2.3.). Darüber hinaus vermag der Beschuldigte jedoch keine Anhaltspunkte darzulegen, welche auf besonders intensive, über eine normale Integration hinausgehende private Beziehung gesellschaftlicher Natur hindeuten würden (vgl. Urk. 68 passim), wie dies als härtefallbegründende Tatsachen erforderlich wäre (BGE 144 II 1 E. 6.1 S. 13). Er macht zwar geltend, viele Freunde in der Schweiz zu haben (Urk. 7 F/A 27). Von einem nachhaltigen ausserfamiliären Beziehungsnetz in der Schweiz kann aber nicht gesprochen werden. Der Beschuldigte kann sich in deutscher Sprache im Alltag verständigen, beherrscht sei- ne Muttersprache … [des Staates C. _] aber besser (vgl. Prot. I S. 12 und S. 16; Urk. 68 S. 7). Im Jahr 2014 wurde dem Beschuldigten die Niederlassungsbewilligung C mangels Nachweis von genügenden Sprachkenntnissen verweigert (Urk. 8/3 S. 99). Sämtliche Einvernahmen im vorliegenden Strafverfahren mussten sodann unter Beizug eines Dolmetschers durchgeführt werden (Urk. 6; Urk. 7; Prot. I S. 5; Prot. II S. 6). Dies spricht gegen das Vorliegen einer überdurchschnittlichen sozialen Integration.

      5. Während der Bruder des Beschuldigten in der Schweiz wohnt, lebt die Mutter des Beschuldigten im B. [Staat in Europa] und seine volljährige Tochter in C. [Staat in Europa] (Urk. 6 F/A 30; Prot. I S. 10; Urk. 67 S. 2 und S. 4). Gemäss eigenen Aussagen in der Untersuchung habe der Beschuldigte ebenfalls Freunde und Verwandte im B. [Staat in Europa] (Urk. 7 F/A 31). Dies ver- neinte er nunmehr anlässlich der Berufungsverhandlung (Urk. 67 S. 2). Dass der Beschuldigte nebst seiner aufgebauten Existenz in der Schweiz keine nennenswerten Bindungen mehr zu seinem Heimatland hat, wie dies die Verteidigung geltend macht (Urk. 32 N 9; Urk. 68 S. 9), trifft vor diesem Hintergrund nur beschränkt zu. Der Beschuldigte verbrachte seine Kindheit im B. [Staat in Europa] und ist mit der Sprache und den dortigen Gepflogenheiten nach wie vor vertraut. Anlässlich der heutigen Befragung hielt er immerhin fest, letztmals im Dezember 2021 sowie April 2022 im B. [Staat in Europa] gewesen zu sein und wegen seiner Mutter regelmässig dorthin zu reisen (vgl. Urk. 67 S. 2).

    2. Berufliche Integration und Situation im Herkunftsland

      1. Der Beschuldigte geht seit dem Jahr 2004 einer geregelten Erwerbstätigkeit nach. Längere Phasen der Arbeitslosigkeit Sozialhilfeabhängigkeit sind nicht bekannt (vgl. Urk. 8/3; Urk. 44; Urk. 68 S. 7). Derzeit ist der Beschuldigte als selbstständiger Gipser tätig und beschäftigt seinen volljährigen Sohn als Angestellten (Urk. 7 F/A 51; Urk. 67 S. 7). Im Lichte von Art. 58a Abs. 1 lit. d AIG, wo- nach als Integrationskriterium insbesondere die tatsächliche Teilnahme am Wirtschaftsleben bzw. der Erwerb zu beachten ist (vgl. S PESCHA; in: OF-Komm. Migrationsrecht, 5. Aufl. 2019, Art. 58a AIG N 7), hat der Beschuldigte in dieser Hinsicht daher als tadellos integriert zu gelten. Entgegen den Ausführungen der Verteidigung sind im Betreibungsregisterauszug vom 19. April 2021 verschiedene Betreibungen aufgeführt (Prot. II S. 9). Grösstenteils sind die Forderungen jedoch getilgt (Urk. 44 S. 238 ff.). Insbesondere für die aus einem Kredit herrührenden, nicht unerheblichen Schulden in Höhe von heute rund Fr. 18'000.–, welche der Beschuldigte für einen Kollegen aufgenommen habe, werden monatlich Abzahlungen geleistet (vgl. Urk. 7 F/A 60; Urk. S. 312 ff.; Urk. 67 S. 9). Dadurch wird die wirtschaftliche Integration des Beschuldigten nicht spürbar tangiert. Das kantonale

        Migrationsamt hat dem Beschuldigte die Aufenthaltsbewilligung in Kenntnis dieser Umstände denn auch jüngst verlängert (Urk. 44 S. 321).

      2. Im B. [Staat in Europa] besuchte der Beschuldigte die Schulen und absolvierte eine Ausbildung. Weshalb dort inskünftig eine Erwerbstätigkeit generell nicht wieder möglich sein sollte, ist nicht ersichtlich (vgl. Urk. 68 S. 9). Selbst wenn die Wirtschaftslage im B. [Staat in Europa] wohl schwieriger ist als in der Schweiz, vermag dies allein praxisgemäss eine strafrechtliche Landesverweisung nicht zu hindern (Urteil 6B_1314/2019 vom 9. März 2020 E. 2.3.11; vgl. Urk. 32 N 8).

      3. Der Beschuldigte lässt sinngemäss vorbringen, er gehöre zu einer … Min- derheit [des Staates C. ], welche im B. [Staat in Europa] diskriminiert werde. Insbesondere stehe die …-stämmige Mehrheit [des Staates D. _] der

        … Minderheit [des Staates C. ] dort feindlich gegenüber (Urk. 32 N 8; Urk. 68 S. 9). Zwar ist die aktuelle Lage im Herkunftsland zu berücksichtigen. Ein Vollzugshindernis im Sinne von Art. 66d StGB ist damit aber weder dargetan noch ersichtlich. Insbesondere erweist es sich grundsätzlich als unbehelflich, im Rahmen der vorzunehmenden Einzelfallprüfung lediglich die generelle Lage im Heimatland zu erörtern, ohne individuell konkret gefährdende Umstände namhaft zu machen substantiieren zu können (s.a. Urteil 6B_1024/2019 vom 29. Januar 2020

        E. 1.3.6). Die vormalige amtliche Verteidigung räumte vor Vorinstanz selber ein, dass die … Minderheit [des Staates C. ] im B. [Staat in Europa] nicht verfolgt werde (Prot. I S. 15). Der Beschuldigte musste den B. [Staat in Europa] denn auch nicht verlassen, weil er konkret an Leib und Leben gefährdet gewesen wäre. Lediglich am Rande sei erwähnt, dass der in diesem Zusammenhang angeführte Report der EU-Kommission zwar Vorfälle von (Vieh-)Diebstählen zum Nachteil der … Minderheit [des Staates C. ] im B. [Staat in Europa] aufführt, grundsätzlich aber auch konstatiert: B. [Staat in Europa] has well established mechanisms at the central and local level to protect minorities and their rights (B. [Staat in Europa] Report 2020, European Commission,

        S. 37, online abrufbar unter: https://ec.europa.eu/neighbourhoodenlargement/system/files/2020-10/B.

        [Staat in Europa]_report_2020.pdf).

        Aus diesem Umstand kann der Beschuldigte nichts zu seinen Gunsten ableiten.

    3. Familiäre Verhältnisse

      1. Die Verteidigung rügt sinngemäss eine Verletzung von Art. 8 EMRK und führt ins Feld, das gesamte (familiäre) Umfeld des Beschuldigten befinde sich in der Schweiz. So lebe der Beschuldigte hier mit seinem erwachsenen Sohn zusammen, habe sich frisch verlobt und wolle heiraten. Der Beschuldigte sei sozialer Vater für den 7-jährigen Sohn seiner Verlobten, nehme Betreuungsaufgaben wahr und leiste auch finanzielle Unterstützung. Es komme ihm daher eine wichtige Vaterrolle zu (Urk. 32 N 9; Urk. 68 S. 4 ff.).

      2. Zum durch Art. 8 EMRK geschützten Familienkreis gehört in erster Linie die Kernfamilie, das heisst die Gemeinschaft der Ehegatten mit ihren minderjährigen Kindern. Das Verhältnis zu volljährigen Kindern fällt nur dann unter das geschützte Familienleben, wenn ein über die üblichen familiären Beziehungen bzw. emotionalen Bindungen hinausgehendes, besonderes Abhängigkeitsverhältnis besteht; namentlich infolge von Betreuungsoder Pflegebedürfnissen bei körperlichen o- der geistigen Behinderungen und schwerwiegenden Krankheiten (Urteil 6B_186/2020 vom 6. Mai 2020 E. 2.3.2 m.H.). Ein solches Abhängigkeitsverhält- nis ist nicht ersichtlich und wird auch nicht dargelegt. Die Beziehungen zu seinen erwachsenen Kindern fallen daher nicht in den Schutzbereich von Art. 13 Abs. 1 BV bzw. Art. 8 EMRK. Hieran ändert nichts, dass der leibliche Sohn im gleichen Haushalt lebt wie der Beschuldigte Letzterer seine volljährige Tochter (freiwillig) finanziell unterstützt (Urk. 68 S. 4; Urteil 2C_367/2021 vom 30. September 2021 E. 5.2.4).

      3. Die Beziehung von Konkubinatspaaren Verlobten fällt ausnahmsweise unter den Schutz von Art. 8 Ziff. 1 EMRK, sofern eine genügend nahe, echte und tatsächlich gelebte Beziehung besteht. Entscheidend ist die Qualität des Familienlebens und nicht dessen rechtliche Begründung (BGE 135 I 143 E. 3.1; BGE 144 I 266 E. 2.4 f.). Hierfür muss die partnerschaftliche Beziehung eheähnlich gelebt werden es müssen konkrete Hinweise auf eine unmittelbar bevorstehende

        Hochzeit hindeuten (s.a. Urteil 2C_208/2015 vom 24. Juni 2015 E. 1.2 m.H.). Die Beziehung der Konkubinatspartner muss bezüglich Art und Stabilität in ihrer Substanz einer Ehe gleichkommen. Dabei ist der Natur und Länge ihrer Beziehung sowie ihrem Interesse und ihrer Bindung aneinander, etwa durch Kinder o- der andere Umstände wie die Übernahme von wechselseitiger Verantwortung, Rechnung zu tragen (Urteil 2C_9/2020 vom 29. Juni 2020 E. 5.3.3).

      4. Vorliegend ist fraglich, ob sich die Beziehung des Beschuldigten zu seiner Verlobten in ihrer Natur und Stabilität mit einer ehelichen Gemeinschaft vergleichen lässt. Einerseits wird vorgebracht, die Heirat mit E. sei allein aufgrund ihres pendenten Scheidungsverfahrens noch nicht möglich (Urk. 32 N 16; Urk. 68

        S. 4), weshalb die Eheschliessung einzig aus rechtlichen Gründen verunmöglicht würde. Andererseits lebt der Beschuldigte mit seiner Verlobten nicht in einem gemeinsamen Haushalt und führt mit ihr im heutigen Zeitpunkt erst seit rund drei Jahren eine Beziehung (Urk. 34/5; Urk. 67 S. 3 ff.). Dies würde für sich genommen noch kein eheähnliches Konkubinat begründen (Urteil 2C_1194/2012 vom

        31. Mai 2013 E. 4.4). Der Beschuldigte erklärte anlässlich der heutigen Verhandlung jedoch überzeugend, eine gemeinsame Wohnsitznahme sei bis anhin nur aus beruflichen Gründen nicht erfolgt (Urk. 67 S. 8). Weiter unterstützen sich der Beschuldigte und seine Verlobte gegenseitig finanziell respektive mit der Über- nahme von Hausarbeit, und der Beschuldigte scheint bedeutende Betreuungsaufgaben gegenüber dem 7-jährigen Sohn seiner Verlobten wahrzunehmen. So kümmert er sich nach der Schule sowie an Wochenenden um diesen (Urk. 34/5; Urk. 67 S 3 ff.). Daraus manifestiert sich durchaus die Übernahme wechselseitiger Verantwortung, weshalb trotz der verhältnismässig noch eher kurzen Dauer der Beziehung von einer relativ gefestigten und verbindlichen Partnerschaft auszugehen ist. Unter den gegebenen Umständen kann daher knapp von einer anspruchsbegründenden ehe- ähnlichen Gemeinschaft ausgegangen werden.

      5. Die Verteidigung rügt sinngemäss eine Verletzung des Kindswohls, da der minderjährige Sohn der Verlobten des Beschuldigten im Falle einer Landesverweisung eine wichtige Bezugsperson verlieren würde, und es der Verlobten nicht

        zuzumuten sei, mit ihren Kindern die Schweiz zu verlassen (Urk. 32 N 17; Prot. II

        S. 8). Das Kindeswohl geniesst gemäss Art. 11 BV Verfassungsrang und gilt als oberste Maxime des Kindesrechts in einem umfassenden Sinne (BGE 141 III 328

        E. 5.4). Dass eine Wegweisung von Bezugspersonen das Kindswohl generell tangieren kann, steht ausser Frage. Der Beschuldigte ist jedoch grundsätzlich nicht berechtigt, Rechte für den Sohn seiner Partnerin in eigenem Namen geltend zu machen, zumal zu diesem kein Vaterschaftsverhältnis besteht (Urteil 6B_300/2020 vom 21. August 2020 E. 3.3.1). Im Übrigen wäre ohnehin zu relativieren, dass härtefallbegründende Tatsachen bei Dritten nur zu berücksichtigen sind, wenn sie sich auf den Beschuldigten auswirken. Dafür sind keine Anhaltspunkte ersichtlich. Dass der Beschuldigte intensive Kontakte zum Sohn seiner Verlobten pflegt und diesen betreut, ist ihm fraglos zu Gute zu halten. Der familiäre Schutzbereich von Art. 8 EMRK ist aber primär aufgrund des eheähnlich gelebten Konkubinats selber tangiert.

      6. Auch bei Annahme eines Eingriffs in das Familienleben des Beschuldigten gewährleistet Art. 8 EMRK grundsätzlich jedoch kein Recht auf Wahl des für das Familienleben am geeignetsten erscheinenden Orts. Der Verlobten des Beschul- digten würde es auch unter dem Gesichtswinkel des Schutzes des Anspruches auf Familienleben freistehen, mit den Kindern in der Schweiz zu bleiben und den Kontakt zum Beschuldigten durch Kommunikationsmittel Besuche aufrecht zu erhalten (zum Ganzen: Urteil 6B_1107/2019 vom 27. Januar 2020 E. 2.6.3). Die Wegweisung des Beschuldigten wäre daher zwar fraglos mit einer gewisse Härte für seine Verlobte und deren Sohn verbunden. Eine generelle Unzumutbarkeit, dem Beschuldigten ins Ausland zu folgen, ist vor dem dargelegten Hintergrund aber nicht ersichtlich, zumal die zu prüfende Landesverweisung vorliegend ausschliesslich für das Hoheitsgebiet der Schweiz Geltung erlangt, steht die Ausschreibung im SIS aufgrund des Verschlechterungsgebots doch grundsätzlich nicht mehr zur Diskussion (s.a. Urteil 6B_509/2019 vom 29. August 2019 E. 3.3).

    4. Delinquenz und Resozialisierung

      1. Pornografie im Sinne von Art. 197 Abs. 4 Satz 2 StGB ist eine Katalogtat. Nach Ansicht des Gesetzgebers stellen Katalogtaten gemäss Art. 66a StGB

        vornehmlich schwere Widerhandlungen gegen bestimmte Rechtsgüter und damit grundsätzlich eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar

        (s.a. Botschaft S. 5997 f.). Dennoch handelt es sich beim Weiterleiten des streitgegenständlichen Videos in Übereinstimmung mit der Verteidigung nicht um eine verschuldensmässig schwere Straftat, bewegt sich das konkrete Tatverschulden des Beschuldigten doch noch im untersten Bereich (Prot. II S. 7). Als zentrales Rechtsgut des Verbots von Kinderpornografie erscheint die ungestörte sexuelle Entwicklung von Kindern und Jugendlichen. Die Bestimmung dient auch dem Schutz der Erwachsenen. Daher besteht grundsätzlich dennoch ein gewisses öffentliches Interesse, die Gesellschaft vor der Weiterverbreitung solcher Erzeug- nisse zu schützen.

      2. Entgegen der Ansicht der vormaligen amtlichen Verteidigung ist bei der Härtefallprüfung unerheblich, dass die Vorinstanz bezüglich dem Tatbestand der mehrfachen Pornografie von einem vermeidbaren Rechtsirrtum ausging (Urk. 32 N 23 f.; Urk. 30 S. 4 f.). Art. 66a Abs. 3 StGB enthält eine abschliessende Aufzählung der Strafmilderungsgründe, bei deren Vorliegen von einer Landesverweisung abgesehen werden kann (BGE 144 IV 168 E. 1.4.2). Der Strafmilderungsgrund des vermeidbaren Rechtsirrtums ist darin nicht enthalten. Jedoch ist die Art und Schwere der Anlasstat im Rahmen der Härtefallprüfung zu berücksichtigen.

      3. Wenn die Vorinstanz in diesem Zusammenhang apodiktisch festhält, die Verbreitung kinderpornografischen Materials sei als besonders schwerwiegend anzusehen und analog zur Rechtsprechung des EGMR bezüglich Drogenhandels als eine Geissel der Menschheit anzusehen, weshalb in solchen Fällen regelmässig das öffentliche Interesse an einer Fernhaltung überwiege, kann ihr nicht gefolgt werden (Urk. 30 S. 16). Der Beschuldigte hat das Video, welches ihm durch eine Drittperson zugesandt wurde, einem begrenzten Personenkreis von drei Empfängern zugänglich gemacht. Er hat die Bilder, welche zwei Jungen beim Sex mit einem Esel zeigen, weder selber erstellt noch aktiv danach gesucht aus sexuellen Motiven konsumiert (s.a. Urk. 30 S. 7 f.). Darauf hat auch die Verteidigung zu Recht hingewiesen (Urk. 68 S. 2). Im Rahmen des Absehens von einem Tätigkeitsverbot ging der Vorderrichter aufgrund des Fehlens von entspre-

        chenden sexuellen Neigungen und der günstigen Legalprognose diesbezüglich gar von einem besonders leichten Fall aus (Urk. 30 S. 18 f.). Ohne die fraglichen Handlungen des Beschuldigten bagatellisieren zu wollen, darf bei dieser Ausgangslage zumindest die Frage aufgeworfen werden, inwiefern in der Konstellation wie der vorliegenden noch von einem schweren Sexualdelikt gemäss Wortlaut von Art. 121 Abs. 3 lit. a BV gesprochen werden kann (vgl. BGE 145 IV 404

        E. 1.5 betr. Ausklammerung des Ladendiebstahls vom Straftatenkatalog gemäss Art. 66 Abs. 1 StGB; bezüglich Pornografie offengelassen in ZR 120/2021 S. 274 [Obergericht Zürich, Urteil SB210174 vom 14. September 2021]). Immerhin wer- den unter diesem Titel ansonsten die Tatbestände der sexuellen Handlungen mit Kindern sowie der sexuellen Nötigung, Vergewaltigung, Schändung und Förderung der Prostitution als Katalogtaten gehandelt. Nach dem Gesagten kann schlechterdings nicht angenommen werden, es handle sich vorliegend um eine schwere Straftat, die zwangsläufig eine ernstliche Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung darstellen würde.

      4. Neben dieser Anlasstat weist der Beschuldigte keine Einträge im Strafregister auf. Der Beschuldigte ist aus strafrechtlicher Sicht vollständig sozialisiert und es sind keine Anzeichen dafür auszumachen, dass er erneut straffällig werden würde (so auch die Verteidigung: Urk. 68 S. 7). Auch diese Gegebenheiten sind bei der Härtefallprüfung zu Gunsten des Beschuldigten zu berücksichtigen.

    5. Fazit

      Ein intaktes Familienleben gemäss Art. 8 Ziff. 1 EMRK lässt sich – wenn auch zurückhaltend – annehmen, weshalb die Beziehung zur künftigen Ehefrau und deren Sohn fraglos durch eine Wegweisung beeinträchtigt würde. Art. 66a StGB ist EMRK-konform auszulegen. Die Konvention verlangt, dass die individuellen Interessen an der Erteilung bzw. am Erhalt des Anwesenheitsrechts und die öffentlichen Interessen an dessen Verweigerung gegeneinander abgewogen wer- den (Urteil 6B_1107/2019 vom 27. Januar 2020 E. 2.6.2). Besteht aufgrund des Anlassdelikts kein ersichtliches Interesse an einer Fernhaltung, muss dies in Nachachtung der Eingriffsrechtfertigung gemäss Art. 8 Ziff. 2 EMRK auch im Rahmen der Härtefallprüfung berücksichtigt werden. Aufgrund der dem Beschul-

      digten konkret zur Last gelegten Straftat sowie des geringen Tatverschuldens liegt eine Anlasstat mit Bagatellcharakter vor. Die Anlasstat bzw. Delinquenz des Beschuldigten ist daher selbst bei restriktiver Anwendung des Art. 66a Abs. 2 StGB im Rahmen des richterlichen Ermessens zu beachten und darf nicht zu überhöhten Anforderungen für die Annahme eines Härtefalls führen. Letztere Prüfung hat daher gewissermassen auch vor dem Hintergrund des fraglichen strafbaren Verhaltens zu erfolgen. Vorliegend gereichen deshalb die Integrationsleistungen des Beschuldigten sowie der Eingriff in den Schutzbereich von Art. 8 EMRK, welcher mit einer Wegweisung verbunden wäre, daher insgesamt knapp für die aus- nahmsweise Annahme eines schweren persönlichen Härtefalls.

    6. Interessenabwägung

      1. Bei Bejahung eines schweren persönlichen Härtefalls entscheidet sich die Sachfrage in einer Interessenabwägung nach Massgabe der öffentlichen Interessen an der Landesverweisung. Gemäss gesetzlicher Systematik ist die obligatorische Landesverweisung anzuordnen, wenn die Katalogtaten einen Schweregrad erreichen, bei welchem die Landesverweisung zur Wahrung der inneren Sicherheit als notwendig erscheint. Diese Beurteilung lässt sich strafrechtlich nur in der Weise vornehmen, dass massgebend auf die verschuldensmässige Natur und Schwere der Tatbegehung, die sich darin manifestierende Gefährlichkeit des Täters für die öffentliche Sicherheit und auf die Legalprognose abgestellt wird (Urteil 6B_1258/2020 vom 12. November 2021 E. 4.2.2 m.H.).

      2. Bezüglich der Frage des öffentlichen Interesses kann zunächst auf das zuvor unter E. II.2.4. Gesagte verwiesen werden. Die Verteidigung erachtet eine Wegweisung unter den genannten Umständen zu Recht als unverhältnismässig (Prot. II S. 9). Es liegt weder eine Rückfallgefahr noch eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vor, und der Beschuldigte zeigte sich geständig sowie reuig. Das deliktpräventive Interesse erweist sich daher als denkbar gering. Unter diesen Umständen ist kein gewichtiges öffentliches Interesse an einer Wegweisung des Beschuldigten auszumachen. Da das aufgezeigte persönliche Interesse des Beschuldigten überwiegt, ist in Anwendung von Art. 66a Abs. 2 StGB ausnahmsweise von einer Landesverweisung abzusehen.

III. Kosten- und Entschädigungsfolgen

  1. Erstinstanzliches Verfahren

    Wie bereits erwähnt, wurde die vorinstanzliche Kostenverlegung nicht rechtzeitig angefochten und ist daher in Rechtskraft erwachsen.

  2. Berufungsverfahren

    1. Die Kosten im Rechtsmittelverfahren tragen die Parteien nach Massgabe ihres Obsiegens Unterliegens (Art. 428 Abs. 1 StPO). Der Beschuldigte obsiegt mit seinen Anträgen vollumfänglich. Die verspätete Anfechtung der vorinstanzlichen Kostenauflage vermag daran nichts zu ändern. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr hat daher ausgangsgemäss ausser Ansatz zu fallen.

    2. Die vormalige amtliche Verteidigung wurde für ihre Aufwendungen im Berufungsverfahren bereits entschädigt (Urk. 56). Im Übrigen hat der Beschuldigte ausgangsgemäss Anspruch auf eine angemessene Entschädigung der Kosten seiner erbetenen Verteidigung (Art. 429 Abs. 1 lit. a StPO). Der Beschuldigte lässt diesbezüglich Aufwendungen über Fr. 4'415.70 (inkl. MwSt. und zutreffend geschätztem Aufwand für die Berufungsverhandlung sowie Nachbearbeitung) geltend machen. Der Aufwand ist ausgewiesen und erscheint angemessen (Urk. 69). Es rechtfertigt sich daher, dem Beschuldigten eine Prozessentschädigung in genanntem Umfange aus der Gerichtskasse zuzusprechen.

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichts Dietikon, Einzelgericht, vom 11. August 2021 wie folgt in Rechtskraft erwachsen ist:

    Es wird erkannt:

    1. Der Beschuldigte ist schuldig der mehrfachen Pornografie im Sinne von Art. 197 Abs. 4 Sätze 1 und 2 StGB.

    2. Der Beschuldigte wird bestraft mit einer Geldstrafe von 120 Tagessätzen zu Fr. 90.–.

      Von der Ausfällung einer Busse wird abgesehen.

    3. Der Vollzug der Geldstrafe wird aufgeschoben und die Probezeit auf 2 Jahre festgesetzt.

      4.-5. (…)

      1. Von der Anordnung eines Tätigkeitsverbotes wird im Sinne von Art. 67 Abs. 4 bis StGB abgesehen.

      2. Die folgenden Asservate, lagernd bei der Kantonspolizei Zürich, Asservate-Triage, werden eingezogen und der Lagerbehörde zur Vernichtung überlassen:

        • DVD A): Asservat-Nr. 1

        • DVD B): Asservat-Nr. 2.

      3. Die Entscheidgebühr wird angesetzt auf:

        Fr. 1'500.00; die weiteren Kosten betragen:

        Fr. 2'100.00 Gebühr für das Vorverfahren.

      4. Rechtsanwältin lic. iur. X1.

        wird für ihre Aufwendungen als amtliche

        Verteidigerin des Beschuldigten aus der Gerichtskasse mit Fr. 6'205.85 (inkl. Barauslagen und MwSt.) entschädigt.

      5. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, ausgenommen diejenigen der amtlichen Verteidigung, werden dem Beschuldigten auferlegt.

      6. Die Kosten der amtlichen Verteidigung werden auf die Gerichtskasse genommen; vorbehalten bleibt eine Nachforderung gemäss Art. 135 Abs. 4 StPO.

      7. (Mitteilungen.)

      8. (Rechtsmittel.)

  2. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Von der Anordnung einer Landesverweisung im Sinne von Art. 66a StGB wird abgesehen.

  2. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 5'951.50 vormalige amtliche Verteidigung (bereits entschädigt).

  3. Die Kosten der amtlichen Verteidigung für das Berufungsverfahren werden definitiv auf die Staatskasse genommen.

  4. Dem Beschuldigten wird eine Prozessentschädigung von Fr. 4'415.70 (inkl. MwSt.) für anwaltliche Verteidigung aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  5. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)

    • die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis (versandt)

    • das Migrationsamt des Kantons Zürich (versandt) sowie in vollständiger Ausfertigung an

    • die Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft Limmattal / Albis

    • das Bundesamt für Polizei, Bundeskriminalpolizei, 3003 Bern (zur Kenntnisnahme)

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • das Migrationsamt des Kantons Zürich

    • die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit Formular A.

  6. Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, von der Zustellung der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

I. Strafkammer Zürich, 9. Juni 2022

Der Präsident:

lic. iur. Ch. Prinz

Der Gerichtsschreiber:

lic. iur. M. Keller

Bitte beachten Sie, dass keinen Anspruch auf Aktualität/Richtigkeit/Formatierung und/oder Vollständigkeit besteht und somit jegliche Gewährleistung entfällt. Die Original-Entscheide können Sie unter dem jeweiligen Gericht bestellen oder entnehmen.

Hier geht es zurück zur Suchmaschine.