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Urteil Obergericht des Kantons Zürich (ZH)

Zusammenfassung des Urteils SB210581: Obergericht des Kantons Zürich

In dem Fall ZK2 2016 36 ging es um die Abberufung der Liegenschaftsverwaltung. Die Gesuchstellerin A.________ hat Berufung gegen die Verfügung des Einzelrichters am Bezirksgericht Höfe erhoben, die das Gesuch abwies. Die Liegenschaftsverwalterin G.________ gmbh kündigte das Verwaltungsmandat, wodurch sich der Streitgegenstand erledigte. Das Gericht entschied, die Gerichtskosten je zur Hälfte den Parteien aufzuerlegen und die Parteikosten wettzuschlagen. Die Gesuchstellerin erhält einen Teil des Kostenvorschusses zurück, während die Gesuchsgegnerin einen Betrag zahlen muss. Der Richter in diesem Fall war Kantonsgerichtsvizepräsident Dr. Reto Heizmann.

Urteilsdetails des Kantongerichts SB210581

Kanton:ZH
Fallnummer:SB210581
Instanz:Obergericht des Kantons Zürich
Abteilung:II. Strafkammer
Obergericht des Kantons Zürich Entscheid SB210581 vom 21.09.2022 (ZH)
Datum:21.09.2022
Rechtskraft:Weiterzug ans Bundesgericht, 6B_57/2023
Leitsatz/Stichwort:Vorsätzliche Tötung etc.
Schlagwörter : Beschuldigte; Beschuldigten; Staat; Anklage; Gutachten; Rippe; Verletzung; Staatsanwaltschaft; Aussage; Subdural; Verletzungen; Schütteln; Tötung; Berufung; Blutung; Ursache; Sinne; Vorinstanz; Rippen; Urteil; Dispositiv
Rechtsnorm:Art. 10 StPO ;Art. 111 StGB ;Art. 123 StGB ;Art. 125 StGB ;Art. 141 StPO ;Art. 22 StGB ;Art. 333 StPO ;Art. 428 StPO ;Art. 53 StGB ;Art. 82 StPO ;
Referenz BGE: BGE 147 IV

Kommentar:
Spühler, Basler Kommentar zur ZPO, Art. 321 ZPO ; Art. 311 ZPO, 2017

Entscheid des Kantongerichts SB210581

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Geschäfts-Nr.: SB210581-O/U/ad

Mitwirkend: Oberrichter lic. iur. Wenker, Präsident, Ersatzoberrichterin lic. iur.

Keller und Ersatzoberrichter Dr. iur. Bezgovsek sowie Gerichtsschreiber MLaw Huter

Urteil vom 21. September 2022

in Sachen

Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich,

vertreten durch Staatsanwältin lic. iur. Bienz und Assistenz-Staatsanwalt mbA lic. iur.

Anklägerin und Berufungsklägerin

sowie

  1. ,

    Privatklägerin

    unentgeltlich vertreten durch Rechtsanwalt lic. iur. X. ,

    gegen

  2. ,

Beschuldigter und Berufungsbeklagter

amtlich verteidigt durch Rechtsanwältin Dr. iur. Y1. , betreffend vorsätzliche Tötung etc.

Berufung gegen ein Urteil des Bezirksgerichtes Hinwil vom 24. Juni 2021 (DG200022)

Anklage:

Die Anklageschrift der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich vom 17. Dezember 2020 (Urk. 31) ist diesem Urteil beigeheftet.

Urteil der Vorinstanz:

  1. Der Beschuldigte wird vom Vorwurf

    • der vollendeten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB,

    • der versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB i.V.m.

      Art. 22 Abs. 1 StGB sowie

    • der mehrfachen einfachen Köperverletzung im Sinne von Art. 123 StGB

      freigesprochen.

  2. Der Beschuldigte ist schuldig der mehrfachen Veruntreuung im Sinne von Art. 138 Ziff. 1 Abs. 2 StGB.

  3. Von einer Bestrafung wird in Anwendung von Art. 53 StGB abgesehen.

  4. Die Privatklägerin wird mit ihren Zivilklagen auf den Zivilweg verwiesen.

  5. Dem Beschuldigten wird eine Entschädigung für die wirtschaftlichen Einbussen von Fr. 138'533.75 sowie eine Genugtuung für die erstandene Haft von 581 Tagen von Fr. 87'150.– aus der Gerichtskasse zugesprochen.

  6. Die Gerichtsgebühr wird festgesetzt auf:

    Fr. 6'000.00 ; die weiteren Auslagen betragen: Fr. 5'000.00 Gebühr für das Vorverfahren

    Fr. 37'503.95 Auslagen (Gutachten) Fr. 13'567.45 Obduktion

    Fr. 1'159.00 Auslagen

    Fr. 44.40 Entschädigung Zeuge

    Fr. 42'026.55

    Kosten amtliche Verteidigung bis 30.09.2020 durch RA Y2. (inkl. Barauslagen und MwSt), durch Akontozahlungen der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich bereits entrichtet

    Fr. 25'323.75 Kosten amtliche Verteidigung RAin Y1. ab

    01.10.2020 (inkl. Barauslagen und MwSt)

    Fr. 5'551.20 Kosten unentgeltlicher Rechtsvertreter der Privatklägerin (inkl. Barauslagen und MwSt)

    Verlangt keine der Parteien eine schriftliche Begründung des Urteils, ermässigt sich die Entscheidgebühr auf zwei Drittel.

  7. Die Kosten der Untersuchung und des gerichtlichen Verfahrens, der amtlichen Verteidigung des Beschuldigten sowie die Entschädigung der unentgeltlichen Rechtsvertretung der Privatklägerin werden vollumfänglich und definitiv auf die Staatskasse genommen.

Berufungsanträge:

  1. Des Vertreters der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich: (Urk. 78 S. 3; Urk. 95 S. 1)

    1. Schuldigsprechung des Beschuldigten der

      • mehrfachen vollendeten und teilweise versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB, teilweise in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB (Anklageziffer A.1 und A.2) sowie

      • der mehrfachen einfachen Körperverletzung im Sinne von

        Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 Abs. 3 StGB (Anklageziffern A.3- A.6).

    2. Bestrafung mit einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren.

    3. Kostenauflage auf den Beschuldigten.

  2. Der Verteidigung des Beschuldigten: (Urk. 97 S. 1)

    1. Es sei festzustellen, dass die Dispositivziffern 2-7 des vorinstanzlichen Urteils in Rechtskraft erwachsen sind.

    2. Die Berufung der Staatsanwaltschaft sei abzuweisen. Das vorinstanzliche Urteil sei zu bestätigen.

    3. Unter ausgangsgemässer Kosten- und Entschädigungsfolge (zzgl.

MwSt.).

Erwägungen:

  1. Prozessgeschichte

    1. Gegen das eingangs im Dispositiv wiedergegebene Urteil des Bezirksgerichtes Hinwil vom 24. Juni 2021 meldete die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich (fortan Staatsanwaltschaft) am 2. Juli 2021 Berufung an (Urk. 70). Das begründete Urteil der Vorinstanz wurde ihr am 27. Oktober 2021 zugestellt (Urk. 74), worauf sie am 2. November 2021 die Berufungserklärung einreichte (Urk. 78).

    2. Innert angesetzter Frist gemäss Art. 400 Abs. 3 lit. b StPO verzichtete die Privatklägerin explizit auf Erhebung einer Anschlussberufung (Urk. 84). Der Beschuldigte liess sich nicht vernehmen.

    3. Am 19. September 2022 wurde ein neuer Strafregisterauszug über den Beschuldigten eingeholt (Urk. 92). Zudem hatte der Beschuldigte bereits am

      3. Dezember 2021 das Datenerfassungsblatt eingereicht (Urk. 83).

    4. Zur Berufungsverhandlung sind der Beschuldigte und seine amtliche Vertei- digerin Rechtsanwältin Dr. iur. Y2. , sowie Assistenz-Staatsanwalt mbA lic iur. Kaegi zusammen mit Staatsanwältin lic. iur. Bienz erschienen (Prot. II S. 3).

  2. Umfang der Berufung

    Die Staatsanwaltschaft beschränkte ihre Berufung auf die erfolgten Freisprüche (Dispositivziffer 1) und verlangte damit zusammenhängend die Bestrafung des Beschuldigten mit einer Freiheitsstrafe von 10 Jahren unter vollumfänglicher Kostenauflage, womit auch die Dispositivziffer 7 angefochten ist (Urk. 78 S. 3; Art. 399 Abs. 4 lit. a, b und f StPO).

    Da im Falle eines Schuldspruches auch der dem Beschuldigten erstinstanzlich zugesprochene Schadenersatz für wirtschaftliche Einbussen und die zugesprochene Haftentschädigung überprüft werden müssen, muss entgegen den Vorbringen der Parteivertreter (Urk. 97 S. 2; Prot. II S. 14) zwingend auch Dispositivziffer

    5 als mitangefochten gelten. Entsprechend ist vorab festzuhalten, dass der Schuldspruch wegen mehrfacher Veruntreuung (Dispositivziffer 2), das Absehen von einer Bestrafung betreffend mehrfache Veruntreuung (Dispositivziffer 3), die Verweisung der Zivilforderungen auf den Zivilweg (Dispositivziffer 4) und die Kostenfestsetzung (Dispositivziffer 6) in Rechtskraft erwachsen sind (vgl. BSK StPO- Eugster, 2. Aufl. 2014, Art. 402 N 1 f.).

  3. Sachverhalt

    1. Dem angefochtenen Urteil kann die folgende Zusammenfassung des Anklagevorwurfs entnommen werden (Urk. 78 S. 7 ff.):

      Am 26. Juli 2019 betreute der Beschuldigte seinen damals knapp 9 Monate, bei Frühgeburtlichkeit korrigiert 5 Monate alten Sohn †C. ab ca. 12.00 Uhr alleine. Die Privatklägerin, Ehefrau des Beschuldigten und Mutter von †C. , kam am Abend um ca. 22.10 Uhr von der Arbeit nach Hause und hat aufgrund des Zustandes von †C. die Ambulanz gerufen. †C. wurde sodann mit einem Status epilepticus (persistierender epileptischer Anfall) ins Universitäts- Kinderspital Zürich gebracht. Aufgrund der spitalärztlich festgestellten Verletzun-

      gen von †C.

      wurde der hochgradige Verdacht auf ein nicht-akzidentelles

      Trauma (Schütteltrauma) bzw. eine körperliche Kindsmisshandlung festgestellt und Strafanzeige erstattet (vgl. act. D1/4/1 und act. D1/4/2). Am 2. August 2019 ist †C. im Spital verstorben (act. D1/4/3). Dem Beschuldigten wird nun Folgendes vorgeworfen, wobei er bei seinen Taten jeweils um die durch diese ausgelösten Verletzungen und deren Folgen gewusst und diese zumindest in Kauf genommen haben soll (vgl. act. 31 und act. 64 S. 4):

      • er habe †C. zwischen ca. Donnerstag, 25. Juli 2019 und ca. Freitag, 26. Juli 2019, 22.30 Uhr, in seiner Wohnung mit beiden Händen kräftig am Brustkorb gepackt und kräftig geschüttelt, ohne dabei den Kopf zu unterstützen, wobei dieser mehrere Male nach vorne und hinten geschleudert worden sei; dadurch habe †C. lebensgefährliche Kopfverletzungen, nämlich ein Schädel-Hirn-Trauma mit Unterblutungen der harten und weichen Hirnhaut (Subdural- und Subarachnoi- dalhämatom) mit akuten bis subakuten Gewebeuntergängen im Grosshirn, in den Stammganglien, im Mittelhirn und Kleinhirn, eine konsekutive Hirnschwellung, eine Einengung der Seitenventrikel in den vorderen und mittleren Abschnitten sowie eine beginnende obere und untere Einklemmung erlitten, an deren Folgen, namentlich einer sauerstoffmangelbedingten ausgeprägten Hirnschädigung und einer daraus resultierenden zentralen Atemlähmung, er am 2. August 2019 im Kin- derspital Zürich verstorben sei (vollendete vorsätzliche Tötung durch Schütteln; Anklageziffer A.1);

      • er habe †C.

        zwischen Freitag, 19. April 2019, und ca. Freitag,

        19. Juli 2019, in seiner Wohnung mit beiden Händen am Körper gepackt und ihn mittelkräftig bis kräftig geschüttelt, ohne dabei den Kopf zu unterstützen, wobei dieser mehrere Male nach vorne und hinten ge-

        schleudert worden sei; dadurch habe †C.

        lebensgefährliche

        Kopfverletzungen, nämlich ein Schädel-Hirn-Trauma mit Unterblutungen der harten und weichen Hirnhaut (Subdural- und Subarachnoidalhämatom), erlitten, wobei die damit verbundenen möglichen tödlichen Folgen (sauerstoffmangelbedingter Hirnschaden mit Eintritt einer zent-

        ralen Atemlähmung) glücklicherweise nicht eingetroffen seien (versuchte vorsätzliche Tötung durch Schütteln; Anklageziffer A.2);

      • er habe †C. zwischen ca. Dienstag, 23. Juli 2019 und ca. Freitag, 26. Juli 2019, 22.30 Uhr, in seiner Wohnung mit beiden Händen gepackt und ihn leicht bis mittelkräftig geschüttelt, ohne dabei den Kopf

        zu unterstützen, wobei der Kopf von †C.

        mehrere Male nach

        vorne und hinten gekippt worden sei; dadurch habe †C.

        eine

        Kopfverletzung, namentlich ein Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen zwischen dem Sehnerv und der Sehnervscheide beider Augen erlitten, welche für sich alleine nicht lebensgefährlich gewesen seien (einfache Körperverletzung durch Schütteln; Anklageziffer A.3);

      • er habe †C.

        zwischen Samstag, tt.mm.2018 und ca. Montag,

        8. Juli 2019, in seiner Wohnung mit beiden Händen am Oberkörper gepackt und kräftig zugedrückt, wodurch er Brüche der wirbelsäulen- nahen rechten 6. und 7. Rippe erlitten habe, welche für sich alleine nicht lebensgefährlich gewesen seien (einfache Körperverletzung durch Zudrücken; Anklageziffer A.4);

      • er habe †C.

        zwischen Samstag, tt.mm.2018 und ca. Montag,

        8. Juli 2019 in seiner Wohnung mit beiden Händen am Oberkörper gepackt und kräftig zugedrückt, wodurch er einen Bruch der wirbelsäulennahen linken 12. Rippe und eine Lungeneinblutung erlitten habe, welche für sich alleine nicht lebensgefährlich gewesen seien (einfache Körperverletzung durch Zudrücken; Anklageziffer A.5);

      • er habe ca. am Mittwoch, 24. Juli 2019 in seiner Wohnung †C. auf nicht genau eruierbare Art und Weise einen kräftigen Schlag gegen den linken [recte: rechten] Unterarm versetzt, wodurch er einen Querbruch des Schaftes des rechten Unterarms (Speiche) erlitten habe, welcher für sich alleine nicht lebensgefährlich gewesen sei (einfache Körperverletzung durch stumpfe Gewalteinwirkung; Anklageziffer A.6).

    2. Der Beschuldigte hat stets bestritten, durch sein Handeln vorsätzlich Ver-

      letzungen den Tod von †C.

      verursacht zu haben (Prot. I S. 11,

      Urk. D1/6/10 S. 14 ff.). An der Berufungsverhandlung erklärte er, im bisherigen

      Verfahren wahrheitsgemäss ausgesagt zu haben, und machte im Übrigen von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch (Prot. II S. 9 ff.).

      Die Vorinstanz kam nach ausführlicher Würdigung der Beweismittel, insbesondere der medizinischen Unterlagen und der bei den Akten liegenden Aussagen, zum Schluss, dass sich der Sachverhalt nicht rechtsgenügend erstellen lasse und sprach den Beschuldigten von den Vorwürfen der vorsätzlichen, teilweise versuchten Tötung sowie der mehrfachen (einfachen) Körperverletzung von

      †C. frei (Urk. 76 S. 33 ff.).

      Die Staatsanwaltschaft rügt in ihrer Berufung primär, die Vorinstanz habe bei der Beweiswürdigung das Ausschlussprinzip ausser Acht gelassen, wonach bei ei- ner Gesamtschau aller Indizien einzig der Beschuldigte als Täter in Frage komme. Der Kreis von möglichen Tätern sei im vorliegenden Fall auf fünf Personen begrenzt, da der Verstorbene im Tatzeitraum ausschliesslich vom Vater und seiner Mutter betreut worden sei. Sodann sei er unregelmässig von seinen Grosseltern betreut worden, jedoch stets in Anwesenheit zumindest eines der Elternteile. Die Mutter und die Grosseltern könnten als Täter ausgeschlossen werden. Die zahlreichen und mehrzeitigen Verletzungen sprächen dafür, dass als Täter nur in Frage komme, wer mit dem Verstorbenen im fraglichen Zeitraum engsten Kontakt und die Möglichkeit gehabt habe, ihn immer wieder zu malträtieren. Es sei im allerhöchsten Masse unwahrscheinlich und darum auszuschliessen, dass †C. von einer anderen Person als dem Beschuldigten getötet worden sei. Schliesslich verkenne die Vorinstanz auch, dass dieser selbst durch seine Aussagen den Tatverdacht erhärtet habe. Insgesamt ergäben sich keine vernünftige Zweifel, dass der Beschuldigte durch repetitive und mehrzeitige Gewalteinwirkung †C. getötet habe (Urk. 78 S. 2 und Urk. 95 S. 2 ff.).

    3. Aufgrund der Berufungserhebung durch die Staatsanwaltschaft ist die Beweisführung der Vorinstanz zu überprüfen, wobei nach denselben Beweisregeln vorzugehen ist, wie sie im angefochtenen Urteil ausführlich und zutreffend dargelegt wurden, weshalb darauf verwiesen werden kann (Urk. 78 S. 4 ff.; Art. 82 Abs. 4 StPO). Quintessenz der Beweisführungsregeln und Voraussetzung für ei- nen Schuldspruch ist dabei, dass der Staat dem Beschuldigten die Tat beweis-

      mässig stringent nachweisen kann, ohne dass unüberwindliche Zweifel verbleiben (Art. 10 StPO; vgl. auch Art. 8 und 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK). Insbesondere darf ein Schuldspruch nicht auf blosser Wahrscheinlichkeit beruhen.

    4. Die Anklage stützt ihre Beweisführung massgeblich auf die eingeholten Gutachten, die weiteren medizinischen Unterlagen (Urk. D1/4/1-43, Urk. 32) und die Aussagen des Beschuldigten, im Übrigen aber auch auf die Ausführungen der Kindsmutter (Urk. D1/7), der Grosseltern (Urk. D1/8-9) sowie weiterer Zeugen (Urk. D1/10-11), wobei von diesen niemand je direkte Beobachtungen zu den behaupteten Vorfällen gemacht hat.

    5. Sämtliche der erwähnten Beweismittel wurden rechtskonform erhoben und sind insofern uneingeschränkt verwertbar (Art. 141 StPO e contrario). Soweit ersichtlich bestehen sodann – abgesehen von bereits aufgrund der prozessrechtlichen Stellung abzuleitenden Eigeninteressen – keine grundsätzlichen Vorbehalte betreffend die allgemeine Glaubwürdigkeit der verschiedenen einvernommenen Personen. Ohnehin kommt diesem Kriterium gemäss gefestigter Praxis des Bun- desgerichtes keine überragende Bedeutung zu. Entscheidend ist vielmehr, ob ei- ne Aussage inhaltlich glaubhaft erscheint nicht.

    6. Die Vorinstanz hat den Inhalt der einzelnen sachlichen Beweismittel (insb. medizinische Unterlagen) wie auch die Aussagen der Einvernommenen ausführlich und zutreffend wiedergegeben (Urk. 79 S. 10 ff.), weshalb grundsätzlich darauf verwiesen werden kann (Art. 82 Abs. 4 StPO). Zwecks besserer Verständlichkeit der nachfolgenden Würdigung scheint es jedoch angebracht, den wesentlichen Inhalt insbesondere der medizinischen Befunde an dieser Stelle kurz in Erinnerung zu rufen.

      1. Vorab ist darauf hinzuweisen, dass †C. als extreme Frühgeburt am tt.mm.2018 in der 23 6/7 Schwangerschaftswoche mit 540 Gramm Geburtsgewicht zur Welt kam. In der Folge war er bis zum 18. Februar 2019 auf der Neonatologie des Unispitals Zürich hospitalisiert, wo er infolge von Atemaussetzern wie- derholt intubiert bzw. beatmet werden musste (vgl. den Austrittsbericht der Klinik für Neonatologie des Universitätsspitals Zürich vom 15. Februar 2019, Sammelbeilage Urk. D1/4/34). Kurz nach der Entlassung musste er aufgrund von Infekten, welche wiederum Intubationen nötig machten, vom 24. Februar 2019 bis zum

        3. März 2019 und vom 13. März 2019 bis zum 22. März 2019 erneut stationär hospitalisiert werden (vgl. Sammelbeilage Urk. D1/4/34, div. Spitalberichte). Nach seiner Entlassung wurde er verhältnismässig engmaschig medizinisch betreut (vgl. Urk. 32, S. 3 f. KG-Auszug Dr. med. D. und weitere Berichte) und auch regelmässig physiotherapeutisch behandelt (vgl. Urk. 32 S. 9), wobei offenbar zu keinem Zeitpunkt irgendwelche Verletzungen bemerkt wurden ein Verdacht auf Kindsmisshandlung bestanden hat.

        Das Strafverfahren wurde am 27. Juli 2019 durch Anzeige des Kinderspitals Zü-

        rich eingeleitet, nachdem †C.

        am 26. Juli 2019 wegen eines schwerwiegenden epileptischen Anfalls hospitalisiert worden war und im Schädel-CT Sub- duralhämatome beidseits mit mehrzeitigen Einblutungen sowie eine kleine subarachnoidale Blutung und im Röntgen mehrerer Rippenfrakturen nachgewiesen worden waren (Urk. D1/4/1).

      2. Das Gutachten zur körperlichen Untersuchung des Instituts für Rechtsme- dizin der Universität Zürich (IRM) vom 27. August 2019 hielt fest, dass abgesehen von einer kratzerartigen Hautabschürfung am rechten Unterbauch, die auch im Rahmen der medizinischen Versorgung entstanden sein könnte, äusserlich keine auf eine Kindsmisshandlung Vernachlässigung hinweisende Befunde vorlägen (Urk. D1/4/15).

      3. Das Gutachten des IRM vom 30. April 2020 basiert unter anderem auf dem rechtsmedizinischen Obduktionsprotokoll vom 29. April 2020 (Urk. D1/4/24; Ob- duktion vom 5. August 2019), der postmortalen Bildgebung (Ganzkörper- Computersowie Magnetresonanztomografie vom 5. August 2019; vgl. den forensisch-radiologischen Befund vom 21. November 2019, Urk. D1/4/23) und der forensischen Beurteilung der zu Lebzeiten durchgeführten Bildgebung (Schädel-CT vom 27. und 28. Juli 2019, Röntgen vom 31. Juli 2019, MR Gehirn/Hals vom 31. Juli 2019; vgl. den forensisch-radiologischen Zweitbefund vom 18. März 2020, Urk. D1/4/22) sowie der feingeweblichen Organuntersuchung (vgl. das rechtsme- dizinische Histologieprotokoll vom 29. April 2020, Urk. D1/4/25). Von wesentlicher

        Bedeutung ist sodann die neuropathologische Begutachtung (vgl. den neuropathologischen Autopsiebericht vom 30. Januar 2020 betreffend die Autopsie vom 20. August 2019, Urk. D1/4/26).

        Als Todesursache bezeichnet das Gutachten eine zentrale Atemlähmung infolge eines sauerstoffmangel-bedingten Hirnschadens (Urk. D1/4/28 S. 1).

        Im Rahmen der Befundaufnahme wurden mehrzeitige Unterblutungen der harten und weichen Hirnhaut (Subdural- und Subarachnoidalblutungen), spärlich abgrenzbare Brückenvenen, [wohl vom Todeszeitpunkt an gerechnet] wenige Tage alte Einblutungen zwischen dem Sehnerv und der Sehnervenscheide beider Augen (kein Nachweis von Netzhautblutungen), nicht mehr ganz frische (mehrere Wochen, [vom Obduktionszeitpunkt an] älter als vier Wochen alte) Brüche der wirbelsäulennahen rechten 6. und 7. Rippe, ein noch älterer Bruch der wirbelsäulennahen linken 12. Rippe sowie ältere Lungeneinblutungen und ein (vom 31. Juli 2019, Datum der Röntgenaufnahme an gerechnet) ca. eine Woche alter Querbruch des Schaftes des rechten Unterarmes festgestellt (Urk. D1/4/28 S. 17 in Verbindung mit den oben genannten Einzeluntersuchungen).

        Mit Blick auf die neuropathologische Begutachtung erwähnenswert scheint, dass diese die klinische Verdachtsdiagnose eines Schütteltraumas weder bestätigen noch zweifelsfrei ausschliessen konnte. Im Einzelnen wurde ausgeführt, dass sich bei †C. ein ausgeprägter Hirnschaden zeige. Als ursächlich sei in erster Li- nie eine bereits mehrere Tage zurückliegende Minderversorgung des Gewebes mit Sauerstoff bzw. mit sauerstoffhaltigem Blut anzusehen. Zeitlich passe hier gut die festgestellte Veränderung des Gehirns in der CT-Kontrolle am 28. Juli 2019. Als Ursache für die Minderversorgung seien zunächst vorübergehende Herzoder Atemstillstände und schwere Schockzustände mit Absinken des arteriellen Druckes zu erwähnen. Die am Abend des 26. Juli 2019 beschriebene Symptomatik mit Krampfereignissen, Schnappatmung etc. könne klinisches Korrelat einer solchen Minderversorgung darstellen. Auch könnte eine Druckerhöhung im Schädel zu einer Minderdurchblutung des Hirngewebes geführt haben, wobei als primäre Ursache dafür die subduralen Hämatome bzw. Hygrome prinzipiell gut geeignet seien (Urk. D1/4/26 S. 8). Bezüglich der Blutungsanteile (zum Teil frische, zum

        Teil ältere) würden die feingeweblichen Befunde gut zu den klinisch-radiologisch erhobenen Befunden mehrzeitiger Subduralhämatome beidseits passen. Eine akute Unterblutung der harten Hirnhaut (Subduralhämatom) entstehe am häufigsten durch eine äussere Gewalteinwirkung und überwiegend infolge einer venösen Blutung, seltener auch spontan, z.B. bei Gefässmissbildung Gerinnungsstörungen. Weitere Risikofaktoren seien u.a. Geburtsstillstand, Notfallkaiserschnitt, Frühgeburtlichkeit und männliches Geschlecht. Etwa bei der Hälfte der Neugeborenen, die spontan vaginal ungeplant mittels Kaiserschnitt geboren werden, könnten solche Blutungen nachgewiesen werden. Viele Neugeborene mit sub- duralen Blutungen seien asymptomatisch, sodass sie nicht unbedingt klinisch auffallen würden. Auch wenn solche Blutungen in einigen Fällen später nicht mehr nachweisbar seien, könnten sie über Wochen und Monate persistieren. Ob bei

        †C. chronische Subduralhämatome nachgewiesen worden wären, sei dem Gutachter nicht bekannt. Zudem würden sich bei †C. diffuse frische und ältere Subarachnoidalblutungen (Unterblutungen der weichen Hirnhaut) finden, welche Folge einer Verletzung der Brückenvenen darstellen und nicht selten bei Obduktionen beobachtet würden, ohne dass klinisch der Verdacht einer Blutung im Kopfinneren bestanden habe (S. 9 f.). Des Weiteren würden sich bei †C. am Hirnbalken eine partielle Unterbrechung der Faserverbindung in den vorderen und mittleren Abschnitten sowie eine vollständige Unterbrechung im Bereich des hinteren Balkens mit eingestreuten roten Blutkörperchen zeigen. Eine traumatische Axonschädigung sei im Balken nicht sicher abgrenzbar. Da auch weitere Folgen einer Axonschädigung fehlen würden, lasse sich eine Zerreissung des Balkens infolge eines Akzelerations-/Dezelerationstraumas, wie es das Schütteltrauma darstelle, vor dem Spitaleintritt nicht sichern. Die Befunde würden besser zu einer sehr akuten Schädigung der Faserverbindungen direkt vor dem Tod z.B. durch die akute Einklemmung des Balkens infolge des erhöhten Hirndrucks passen (S. 10). Ferner deute die Verschmälerung der Balkenformation in den mittleren Abschnitten auf eine zusätzliche vorbestehende Pathologie in diesem Bereich hin. Diese Veränderung könne auf eine vorbestehende Erweiterung der Hirnwasserkammern, z.B. bei einer Abflussoder Zirkulationsstörung des Hirnwassers,

        z.B. infolge der Subduralhämatome hindeuten. Allerdings seien andere Ursachen

        für eine Zirkulationsstörung auch eine Überproduktion von Hirnwasser für die Erweiterung der Hirnwasserkammern denkbar. Axonschäden, die es erlauben würden, einen diffusen axonalen Schaden, wie er bei einer traumatischen Hirnschädigung beschrieben ist, zu diagnostizieren, würden fehlen (S. 11).

        Zahlreiche Autoren würden die Trias aus subduralen Blutungen, Netzhautblutungen und Erkrankungen Schädigungen des Gehirns wie Scherverletzungen als pathognomonisch (für das Krankheitsbild charakteristisch/kennzeichnend) für ein schweres Schütteltrauma ansehen. Allerdings werde dies kontrovers diskutiert. Aufgrund der bisherigen klinischen Studienlage zum Schütteltrauma habe eine Meta-Analyse aus dem Jahr 2017 nur ein sehr niedriges bis niedriges Evi- denzlevel für die diagnostische Genauigkeit und die Assoziation der Trias mit dem traumatischen Schütteln aufgezeigt. Biomechanische Studien würden zeigen, dass die Kraft, die aufgewendet werden müsse, um Subduralhämatome zu induzieren, deutlich grösser sein müsse, als es beim Schütteln der Fall sei. Man gehe davon aus, dass durch Schlag und/oder Stoss mehr Kraft auf den Kopf wirke, als bei alleinigem Schütteln, und diese auch nötig seien, um Subduralhämatome zu induzieren. Die Kräfte, die zum Zerreissen der Brückenvenen führen würden, seien zudem in der Regel so hoch, dass man eine zusätzliche Schädigung der knöchernen Strukturen sowie des Weichgewebes und des Rückenmarks erwarten würde. Neuropathologisch würden sich bei †C. keine solchen Verletzungen feststellen lassen. Das Fehlen von neuropathologischen Korrelaten sei jedoch kein sicherer Beweis dafür, dass kein nicht-akzidentelles Trauma vorliege. Aller- dings sollte das eigentliche Schütteln als Ursache hinterfragt werden. Die neuropathologisch festgestellten Veränderungen seien schliesslich insgesamt hinreichend geeignet, ein zentrales Regulationsversagen und damit den Tod von

        †C. zu erklären (Urk. D1/4/26 S. 11 ff.).

        Diese Erwägungen scheinen von vordringlichster Bedeutung und fanden denn auch ungeschmälert Einlass ins rechtsmedizinische Gutachten (vgl. Urk. D1/4/28 S. 17 ff.).

        Weiter ist dem Gutachten zu entnehmen, dass die neuropathologisch und bildgeberisch festgestellten Veränderungen, nämlich ein sauerstoffbedingter Hirnschaden mit akuten bis subakuten Gewebeuntergängen im Grosshirn, in den Stammganglien, Mittelhirn und Kleinhirn, konsekutiver Hirnschwellung, Einengung der Seitenventrikel in den vorderen und mittleren Abschnitten sowie beginnender oberer und unterer Einklemmung, insgesamt hinreichend geeignet seien, eine zentrale Atemlähmung und damit den Tod von †C. zu erklären (Urk. D1/4/28 S. 16). Die festgestellten Rippenbrüche und der Querbruch des rechten Unterarmschaftes würden aus rechtsmedizinischer Sicht Folge einer stumpfen Gewalteinwirkung darstellen. Die Rippenfrakturen würden dabei eine sehr hohe Spezifität bezüglich einer körperlichen Misshandlung aufweisen. Sie würde gemäss Literatur in etwa 90 % bei Kindern unter 2 Jahren gefunden und aufgrund der Elastizität der kindlichen Rippen auch bei schweren Verkehrsunfällen und bei kardiopulmo- naler Reanimation nur selten akzidentell nachgewiesen. Bei Misshandlungen würden sie zumeist auf Kompressionskräften beruhen, die auf den Brustkorb einwirken. Gehe kein schwerer Unfall voraus, seien solche Rippenbrüche charakteristisch für eine körperliche Misshandlung. Der Bruch des Schaftes der rechten Speiche hingegen könne einerseits durch eine direkte Schlageinwirkung und an- dererseits auch akzidentell z.B. sturzoder anprallbedingt entstehen (S. 17). In Bezug auf den festgestellten Hirnschaden bzw. auf die in der neuropathologischen Begutachtung genannte Möglichkeit chronischer Subduralhämatome führte die Gutachterin aus, dass solche gemäss den vorliegenden Krankenunterlagen nicht vorliegen würden (S. 19).

        Bezüglich möglicher Tathandlungen hält die Gutachterin fest, obwohl das vollständige typische Triasbild eines Schütteltraumas nicht vorliege (insb. keine Netzhauteinblutungen und keine Scherverletzungen), würden die mehrzeitigen Blutungen im Kopfinneren in Kombination mit den nicht mehr ganz frischen Rippenbrüchen für einen nicht-akzidentellen Entstehungsmechanismus sprechen. Die Rippenbrüche und die älteren Blutungsanteile im Kopfinneren könnten dabei gleichzeitig bzw. zeitnah durch ein Schütteln entstanden sein. Ein Schütteltrauma erfordere massivstes, heftiges, gewaltsames Hin- und Herschütteln eines Säuglings, welches zu unkontrolliertem Umherrotieren des kindlichen Kopfes führe. Es seien erhebliche physikalische Kräfte erforderlich. Klinische Symptome nach ei- nem solchen Schütteln seien etwa Trinkschwäche, Schläfrigkeit, Bewusstseinstrübung, Benommenheit, reduzierter Allgemeinzustand bis Apathie, Koma, zerebrale Krampfanfälle, Atemaussetzer und Erbrechen. Aus rechtsmedizinischer Sicht könnten ein Schütteltrauma mehrere Wochen vor dem Tod bzw. mehrere daran anschliessende, nicht so heftige Schüttelvorgänge und Stürze mit Anprall des Kopfes nicht ausgeschlossen werden (Urk. D1/4/28 S. 21 f.).

        Die unterschiedlich alten, sich an unterschiedlichen Körperstellen befindlichen Knochenbrüche bei einem fünf Monate alten Säugling seien unter Berücksichtigung des eingeschränkten selbstgesteuerten Bewegungsumfanges hochverdächtig auf eine Fremdhandlung. Aufgrund der unterschiedlich alten Knochenbrüche könne von mindestens drei Gewaltvorfällen ausgegangen werden. Zum Entstehungszeitpunkt der Blutungen im Kopfinneren könne keine genaue Angabe gemacht werden (Urk. D1/4/28 S. 22 f.).

        Was den Aufprall von †C.

        auf den Parkettboden am 26. Juli 2019, die

        Schüttelvorgänge am 26. Juli 2019 sowie die Vorfälle zwischen 12. und 15. Juli 2019 betreffe, sei festzuhalten, dass die festgestellten Rippenbrüche mehrere Wochen alt und somit vor dem 26. bzw. 12. Juli 2019 entstanden seien. Da im neuropathologischen Gutachten auch frische Blutungsanteile nachgewiesen wor- den seien, könne nicht ausgeschlossen werden, dass †C. am 26. Juli 2019 und/oder Mitte Juli 2019 ohne Verursachen von neuen Knochenbrüchen geschüttelt worden sei. Über die Heftigkeit des Schüttelns könne somit keine Angabe gemacht werden. Auch ein Sturz aus 40 bis 50 cm Höhe mit Anprall des Kopfes auf den Parkettboden bzw. Sturz auf das Bett aus einer Höhe von ca. 30 bis 40 cm auf die Bettumrandung bzw. Anprall des Kopfes an der Wand würden bei einem vorbestehenden chronischen Subduralhämatom eine erneute Einblutung unterhalb der harten Hirnhaut verursachen können. Somit sei auch eine sturzbedingte Ursache des frischen Bruches der rechten Speiche am 26. Juli 2019 plausibel denkbar (Urk. D1/4/28 S. 23 f.). Was den Wickeltisch-Vorfall betreffe, sei ein Anprall des Kopfes auf eine hölzerne Kante einerseits nicht geeignet, die Rippenfrakturen zu verursachen. Aber auch die Einblutungen im Kopf seien mit diesem Entstehungsmechanismus nicht plausibel zu erklären; hierzu bedürfe es einer heftigeren Gewalteinwirkung gegen den Kopf (S. 24).

        Schliesslich wird im Gutachten festgehalten, dass aus rechtsmedizinischer Sicht nicht beurteilt werden könne, ob die Komplikationen der extremen Frühgeburtlichkeit von †C. und die Folgen davon die Bildung der Blutungen im Kopfinneren begünstigt hätten (Urk. D1/4/28 S. 24).

      4. Dem Ergänzungsgutachten des IRM vom 19. August 2020 (Urk. D1/4/35) ist im Wesentlichen zu entnehmen, dass bei einer Gesamtschau aller Verletzungen durch ihre hohe Spezifität bezüglich körperlicher Misshandlung bei einem korrigiert fünf Monate alten Säugling mit eingeschränktem selbstgesteuertem Bewegungsumfang kein begründeter Zweifel bestehe, dass nicht akzidentelle Traumata die Ursache der festgestellten Verletzungen darstellen. Auch wenn eine krankheitsbedingte Ursache bzw. Entstehungsbegünstigung der Verletzungen vorhan- den gewesen wäre, wäre dennoch eine stumpfe, wenn auch weniger starke Gewalteinwirkung notwendig gewesen, die festgestellten Brüche hervorzurufen. Gemäss der vorliegenden Unterlagen liege kein Anhaltspunkt für eine Osteopenie (verminderte Knochendichte) vor, wobei auch keine Untersuchung für eine solche Knochenveränderung ersichtlich sei. Auch bei Säuglingen mit einer Osteopenie, die eine erhöhte Frakturneigung besitzen, bedürfe es einer direkten indirekten Einwirkung von aussen, damit die Knochen brechen würden. Geringere Krafteinwirkungen als Ursache könnten zwar nicht ausgeschlossen werden. Eine unsachgemässe Durchführung einer Physiotherapie könne z.B. zu Knochenbrüchen führen. In den Unterlagen lasse sich jedoch nur eine kurz dokumentierte Physiotherapie zum Taping der Füsse/Zehen finden. Inwieweit unsanfter Umgang beim Spielen physiotherapeutischen Behandlungen die Knochenbrüche hätten verursachen können, könne nicht beurteilt werden.

      5. Im zweiten Ergänzungsgutachten des IRM vom 28. Dezember 2020 (Urk. 32) wurden die neu edierten medizinischen Unterlagen zur Krankenge-

        schichte von †C.

        zusammengefasst und festgehalten, dass diese keinen

        Einfluss auf die in den bereits verfassten Gutachten erstellten Schlussfolgerungen hätten. Auf die Tatsache, dass †C. – anders als im Ergänzungsgutachten vom 19. August 2020 angemerkt – wöchentlich eine ambulante Physiotherapie bei Frau E. im F. G. besuchte, wurde bei dieser Aussage nicht

        näher eingegangen. Allerdings war in diesem Zusammenhang bereits im ersten Ergänzungsgutachten festgehalten worden, dass die Möglichkeit der Verursachung der Knochenbrüche durch physiotherapeutische Manipulation ohne nähere Angaben zur konkreten Behandlung durch die Gutachter nicht beurteilt werden könne.

      6. Bei den Akten liegt sodann eine CD des Unispitals Zürich mit verschiede- nen Thorax-Röntgenaufnahmen von †C. , deren neueste datierend vom

        1. Dezember 2018 (Urk. D1/4/42). Dass auch im Februar 2020 im Unispital Zürich Röntgenaufnahmen des Brustkorbs bzw. der Rippen von †C. gemacht wur- den, wird zwar im vorläufigen Gutachten vom 19. November 2019 impliziert (Urk. D1/4/16 S. 4, vgl. auch Urk. D1/4/6), lässt sich aufgrund der vorliegenden Unterlagen jedoch nicht verifizieren. Derartige Bilder lagen jedenfalls den Gutachtern nicht vor (vgl. die Aufzählung der zur Verfügung stehenden Unterlagen, Urk. D1/4/28 S. 2, Urk. D1/4/35 S. 1 f. und Urk. 32 S. 1 f.).

      7. Die für die (Ergänzungs-)Gutachten beigezogenen Unterlagen sind bei den Akten weder nummeriert noch im Einzelnen akturiert und zudem teilweise mehrfach vorhanden, was es erschwert, sich einen Überblick zu verschaffen (vgl. Sammelbeilage Urk. D1/4/34). Jedenfalls fehlen – wie von der Verteidigung zu Recht moniert (Urk. 66 S. 12) – Unterlagen zur regelmässig wöchentlich durchgeführten Physiotherapie (vgl. den Bericht der Klinik für Neonatologie des Unispitals Zürich, wiedergegeben im zweiten Ergänzungsgutachten, Urk. 32 S. 8 f.) und wurden auch die Unterlagen des behandelnden Kinderarztes, Prof. Dr. med.

        H. , in dessen Praxis †C.

        am 16. Juli 2019 zuletzt – ohne Befund –

        untersucht wurde, nicht offiziell zu den Akten beigezogen (trotz Editionsverpflichtung, vgl. Urk. D1/4/38). Allerdings liegt ein entsprechend beschriftetes, jedoch nicht akturiertes Mäppchen mit einer CD unbekannter Herkunft, enthaltend Dateien die aus der von Prof. Dr. med. H. geführten Krankenakte für †C. zu stammen scheinen, zuhinterst in Urk. D1/4. Die darin aufgeführten Dokumente werden teilweise im Ergänzungsgutachten vom 28. Dezember 2020 wiedergege-

        ben (Urk. 32 S. 2). Weder die Physiotherapeutin E.

        noch der Kinderarzt

        Prof. Dr. med. H. noch die Kinderärztin Dr. med. D. , welche offenbar

        in der Praxis von Prof. Dr. med. H. in die Betreuung von †C. involviert war, wurden im Übrigen im Rahmen der Untersuchung als Zeugen befragt.

      8. Sodann wurde unter der grundsätzlichen Prämisse seiner Täterschaft über

den Beschuldigten von Prof. Dr. med. I.

am 2. März 2020 ein psychiatrisches Gutachten erstattet (Urk. D1/12/11). Darin wird zu dessen Persönlichkeit ausgeführt, dass bei ihm immer wieder abrupte Affektwechsel zu beobachten seien. Überdies habe er grundsätzlich eine stark kognitiv geprägte, theoretisch und technisch wirkende Herangehensweise an nahezu alle Phänomene des Lebens. Des Weiteren bestehe bei ihm die Tendenz, Dinge und Sichtweisen, die er subjektiv als richtig, angemessen legitim betrachte, zu tun, und er sei in diesem Sinne stark auf die Handlung und die Umsetzung von Handlungen konzentriert. Diese Auffälligkeiten würden bei Weitem nicht das Ausmass einer psychischen Störung im Sinne einer allgemein-psychiatrischen diagnostischen Klassifizierung erreichen und hätten auch keineswegs zwingend und noch nicht einmal mit einer hohen Wahrscheinlichkeit zu irgendeiner strafrechtlich relevanten Gewalttat führen müssen. Diesen Eigenschaften komme jedoch im Zusammenhang mit dem Anlassdelikt eine grosse Bedeutung zu, denn sie könnten dazu dienen, das Anlassdelikt zu erklären und die Basis für den Deliktsmechanismus auszumachen. Die drei Verhaltenstendenzen seien die Grundlage für die Unangemessenheit im Umgang mit dem besonders schutzbedürftigen Kleinkind, die schliesslich zu den bekannten gravierenden und tragischen Folgen geführt hätten. Es werde durch diese Beschreibung aber auch deutlich, dass beim Beschwerdegegner keine ge- nuine Gewaltneigung vorliege. Es sei bislang nicht einmal eine Tendenz zu einer leicht auslösbaren Impulsivität zu erkennen, die zum Beispiel in einer Überforderungssituation bei situativer Frustration zu einer aggressiven Handlungsbereitschaft führen würde. Es sei insgesamt einerseits kein stark und andererseits erst recht kein spezifisch auf gewalttätige Handlungen ausgerichtetes Risikoprofil bei ihm festzustellen. Im vorliegenden Fall hätten vielmehr bestimmte Umstände und situative Faktoren eine überproportionale Rolle für das Zustandekommen des Delikts gespielt. Zu denken sei beispielsweise an eine besondere Vulnerabilität und Schutzbedürftigkeit des verstorbenen †C. an einen erhöhten Betreuungsbedarf, der zu mehr Betreuungssituationen geführt und durch die höhere

Kontaktdichte die Wahrscheinlichkeit für fatale Fehler im Umgang erhöht habe (S. 59 ff. und 86 ff.). Der Gutachter weist weiter darauf hin, dass die beschriebe- nen Persönlichkeitseigenschaften und Verhaltenstendenzen im Kontext von Gewalttaten ungewöhnlich seien. Üblicherweise seien bei Gewaltdelikten gänzlich andere Risiko-Eigenschaften und Risiko-Profile anzutreffen; auch im Zusammenhang mit Kindesmisshandlungen handle es sich um eine ungewöhnliche Konstellation. Häufig liessen sich in diesen Fällen Problematiken identifizieren, die im engeren Sinne mit Aggressionsthemen zusammenhingen. Es gäbe keinerlei Erkenntnisse dafür, dass beim Beschuldigten eine solche eine vergleichbare Problematik vorliege, die im weitesten Sinne etwas mit einer genuin aggressiven Persönlichkeitsproblematik zu tun hätte (S. 62 f.).

Weiter führte der Gutachter aus, da der Sachverhalt unklar sei (insbesondere sei unklar, durch welche konkreten Handlungen und aufgrund welcher Motivationslage die Verletzungen von †C. verursacht worden seien, zumal sich der Beschuldigte den Tod nicht erklären könne und die Ereignisse, bei denen er eine mögliche ursächliche Wirkung vermute, grob mit Begrifflichkeiten wie alltagsnahe Missgeschicke, Unfälle bzw. unsachgemässer Umgang mit dem Kleinkind umschrieben werden könnten), sei mit Varianten gearbeitet worden. Der favorisierte Deliktsmechanismus (Hauptvariante) könne als subjektives Unfallgeschehen aufgrund eines objektiv unsachgemässen und gefährlichen Umgangs mit dem Kleinkind beschrieben werden. Der Kern bestehe in einer überproportional unangemessen kognitiv-technischen Herangehensweise, was durch die beschriebenen Risiko-Eigenschaften fokussierte Zielgerichtetheit und leicht korrigierbare, risikorelevante Sichtweise, mit einer Einschränkung der üblicherweise bestehenden potenziell leichten Korrigierbarkeit zu erklären sei. Diese These werde durch die Exploration abgestützt und damit in ihrer Plausibilität bestätigt. In dieser Perspektive wäre das massive und unangemessene Schütteln des kleinen Kindes nicht primär Folge eines aggressiven gar gewalttätigen Impulses. Es wäre dann vielmehr eine unangemessene und der Konstitution des Sohnes gegenüber unverhältnismässige Einwirkung. Sie würde auf der beschriebenen kognitivtechnischen Herangehensweise beruhen, bei der der Beschuldigte die intuitiv und emotional selbstverständlich erfassbare gefährliche Unverhältnismässigkeit seines Handels nicht bewusst als solche wahrnehmen würde. Bei einem solchen Deliktsmechanismus würde es sich nicht um eine beabsichtigte und zielgerichtete Aggression bzw. Gewalttat handeln. In subjektiver Sicht entspräche dieser Deliktsmechanismus vielmehr einem Unfall. Das Schütteltrauma wäre dann Folge eines Wahrnehmungsdefizits aufgrund einer grundsätzlichen einseitig kognitivtechnischen Ausrichtung, die sich auch auf soziale Situationen und Beziehungsgestaltungen bezieht und zu unangemessenen und Risiken unterschätzenden Handlungen führen könne. Diese Hypothese würde das Aussageverhalten des Beschuldigten erklären, ohne dass dann zwingend davon auszugehen wäre, dass er eine bestehende Problematik bewusst verschweige. Zusammenfassend lasse sich dieser eindeutig favorisierte Deliktsmechanismus dahingehend, dass die leicht korrigierbare risikorelevante Sichtweise den Beschuldigten zu gefährlichen, unsachgemässen und in der Wirkung misshandelnden Verhaltensweisen disponiere und die fokussierte Zielgerichtetheit es zusätzlich erschwere, die Unangemessenheit und die damit verbundene Gefahr selbstkritisch zu reflektieren und innezuhalten. Die Kombination beider Risiko-Eigenschaften sei die Basis der im Ergebnis tödlichen Misshandlungen, die der Beschuldigte in den entsprechen- den Situationen als solche in seiner subjektiven Perspektive nicht als das wahr- nehme, was sie seien (Urk. D1/12/11 S. 67 ff.).

Auch wenn der Deliktsmechanismus der Hauptvariante die Diskrepanz zwischen dem Tatvorwurf und dem subjektiven Erleben reduziere, vermöge er diese nicht völlig aufzulösen, es gebe drei Möglichkeiten, diese Diskrepanz zu erklären: (1) Die durch das IRM festgestellten Verletzungen seien auch durch andere Ereignisse erklärbar (2) massive misshandelnde Schüttelhandlungen seien nicht durch den Beschuldigten verursacht, sie seien auf andere Ereignisse andere Ver- ursacher zurückzuführen, (3) der Beschuldigte verschweige massive Schüttelhandlungen. Abhängig davon, wie das Gericht die Aussagen des Beschuldigten bzw. deren Glaubhaftigkeit einschätze, müssten deshalb von der Haupthypothese abweichende Beurteilungsvarianten diskutiert werden (Nebenvarianten 1-3). In der Nebenvariante 1 sei davon auszugehen, dass der Beschuldigte massive Schüttelhandlungen verschweige, wofür es eher unproblematische Erklärungen, wie bspw. Scham, die Angst vor sozialer Stigmatisierung eine nicht erträgliche Diskrepanz zum Selbstbild, gebe. All diese und ähnliche Gründe seien mit dem favorisierten Deliktmechanismus gut vereinbar, es würde sich dann lediglich um die Variante handeln, dass dieser Deliktmechanismus mit einem verschleiern- den Aussageverhalten einhergehe. Sobald man aber von substantiellen Falschaussagen des Beschuldigten aus anderen Gründen ausgehe, eröffne sich ein Spektrum von Erklärungen, die problematischer und mit dem hier favorisierten Deliktmechanismus nicht mehr in Einklang zu bringen seien. Dann sei von einem primär aggressiven, gewaltassoziierten Motivationshintergrund auszugehen (Nebenvarianten 2 und 3). Dabei könnte es sich um eine Problematik aus dem Bereich einer wutgeprägten Aggressivität/Impulsivität einer generellen Aggressionshemmung, die sich eruptiv entladen könne, handeln (Nebenvariante 2), oder

– in der Extremvariante einer primär gewaltbezogenen Problematik – könnte es sich sogar um eine beabsichtigte und gezielt umgesetzte Tötung aus unbekanntem Motiv handeln (Nebenvariante 3). Diese Nebenvarianten stellten Alternativen zur Hauptvariante dar, sobald das Gericht in seiner Sachverhaltsbewertung und vor allem seiner Glaubhaftigkeitsbeurteilung von einem bewusst verschleiernden Aussageverhalten des Beschuldigten ausgehen würde, wobei dann die Nebenvariante 1 die wahrscheinlichste und die geschilderte Extremvariante (Nebenvariante 3) mit Abstand die unwahrscheinlichste wäre (Urk. D1/12/11 S. 73 ff.).

    1. Würdigung

      1. Mit der Vorinstanz ist grundsätzlich festzuhalten, dass die medizinischen Gutachten die verwendeten Grundlagen übersichtlich auflisten und die Ausführungen nachvollziehbar und schlüssig sind und darauf ohne Weiteres abgestellt werden kann (vgl. Urk. 78 S. 33 f.). Ebenfalls zu folgen ist der Vorinstanz, wenn sie die in der Anklageschrift aufgezählten Verletzungen von †C. (Subdural- und Subarachnoidalhämatome mit akuten bis subakuten Gewebeuntergängen im Grosshirn, in den Stammganglien, im Mittelhirn und Kleinhirn, eine konsekutive Hirnschwellung, eine Einengung der Seitenventrikel in den vorderen und mittleren Abschnitten sowie eine beginnende obere und untere Einklemmung, ältere Sub- dural- und Subarachnoidalhämatome, Einblutungen zwischen Sehnerv und der Sehnervscheide beider Augen, Brüche der wirbelsäulennahen rechten 6. und 7.

        Rippe, älterer Bruch der wirbelsäulennahen linken 12. Rippe, Lungeneinblutung sowie Querbruch des Schaftes des rechten Unterarms) als beweismässig erstellt bzw. als rechtsgenügend nachgewiesen ansieht und ausführt, die festgestellten Hirnveränderungen hätten eine zentrale Atemlähmung und damit den Tod von

        †C. verursacht (ebenda S. 34).

      2. Hinsichtlich der Verletzungen von †C. kann sodann – wiederum unter Verweis auf die äusserst sorgfältigen, einleuchtenden und nachvollziehbaren Erwägungen im angefochtenen Urteil (Urk. 78 S. 34 ff.) – festgehalten werden, dass

        • die vorliegenden Gutachten betreffend den Unterarmbruch (rechte Speiche) nicht bestätigen, dass dieser durch eine körperliche Misshandlung (nichtakzidentell) entstanden sein muss, vielmehr wird ausdrücklich darauf hingewiesen, dass dessen Ursache auch ein Unfall wie Sturz Anprall sein könnte (Urk. D1/4/28 S. 17);

        • die mehrzeitigen Rippenbrüche (6./7. Rippe einerseits, 12. Rippe anderseits) aller Wahrscheinlichkeit nach nicht-akzidentell entstanden sind, wobei aller- dings nicht abschliessend geklärt wurde, ob bei †C. Anhaltspunkte für eine neonatale Osteopenie vorlagen und bei Vorliegen einer derartigen Vorbelastung bereits geringere Krafteinwirkungen ausreichen würden (wie z.B. die unsachgemässe Durchführung einer Physiotherapie), die Verletzung zu verursachen; sodann ist hinsichtlich des Entstehungszeitpunkts nur erstellt, dass die Brüche der 6. und 7. Rippe mindestens vier Wochen alt waren (mithin vor dem 8. Juli 2019 entstanden sein müssen) und der Bruch der 12. Rippe demgegenüber älter war, wobei aufgrund der Akten immerhin davon auszugehen ist, dass die Brüche nach Anfang Dezember 2018 (letzte aktenkundige Röntgenbilder vor dem Tod, Urk. D1/4/42) bzw. allenfalls nach Ende Februar 2019 (vgl. vorstehend Ziff. 3.6.3) entstanden sein müssen; diese zeitliche Einordnung lässt im Übrigen auch eine gewisse Wahrscheinlichkeit für eine akzidentelle Beibringung im Zusammenhang mit den im März 2019 mehrfach nötigen Wiederbelebungsmassnahmen offen, können solche gemäss dem Gutachten doch selten zu Rippenbrüchen führen;

        • sich betreffend die Hirnverletzungen gerade keine typische Befundkonstellation eines Schütteltraumas vorfinden liess, da weder Netzhauteinblutungen noch Scherverletzungen festgestellt wurden und auch traumatische Axonschädigungen sowie zusätzliche Schädigungen der knöchernen Strukturen sowie des Weichgewebes und des Rückenmarks fehlten; die rechtsmedizi- nischen Gutachten konnten entsprechend nicht mit Sicherheit bestätigen, dass die Hirnverletzungen ausschliesslich durch heftige, gewaltsame Schüttelvorgänge entstanden sind, vielmehr wurde festgehalten, dass ein Schütteltrauma mehrere Wochen vor dem Tod bzw. mehrere daran anschliessen- de, nicht so heftige Schüttelvorgänge und Stürze mit Anprall des Kopfes als Ursache der Hirnverletzungen (gerade bei vorbestehenden chronischen Subduralhämatomen) nicht ausgeschlossen werden könnten, was bedeutet, dass durchaus die Möglichkeit besteht, dass ein Sturz auf den Kopf aufgrund einer vorliegenden Prädisposition geeignet gewesen wäre, die Verletzungen zu verursachen; zwar schlossen die Gutachten chronische Subduralhämatome bei †C.

          aus rechtsmedizinischer Sicht aufgrund der

          vorliegenden Krankenunterlagen aus, allerdings fällt doch deutlich ins Auge,

          dass bei †C.

          gleich mehrere der im neuropathologischen Gutachten

          aufgezählten Risikofaktoren für chronische Subduralhämatome vorlagen (insb. Frühgeburtlichkeit) und nach seiner Geburt offenbar nur Ultraschalluntersuchungen durchgeführt wurden (welche keine solchen Blutungen nachgewiesen haben), die vorliegenden Blutungen nach der Spitaleinlieferung jedoch im Ultraschall (auch) nicht feststellbar waren, sondern nur mittels CT und MRT (so zutreffend die Verteidigung: Urk. 97 S. 10); folgerichtig begründete das IRM seinen Verdacht auf nicht-akzidentelle Traumata denn auch nicht aufgrund des Vorliegens sämtlicher Merkmale eines Schütteltraumas, sondern (nur) aufgrund einer Gesamtschau der Verletzungen und hielt dazu explizit fest, die mehrzeitigen Hirnblutungen in Kombination mit den Rippenbrüchen würden für einen nicht-akzidentellen Entstehungsmechanismus sprechen – eine zweifelsfreie Bestätigung für das Vorliegen mehrfacher Schütteltraumata, wie in der Anklageschrift aufgeführt, ist in dieser Formulierung nicht zu finden; ebenso wenig kann die Verursachung der

          Hirnverletzungen zeitlich zweifelsfrei festgemacht werden, vielmehr ist mit der Vorinstanz (Urk. 78 S. 37) festzuhalten, dass die vorliegenden Gutachten weder klare Nachweise betreffend die in der Anklageschrift genannten Tatzeiträume noch betreffend den Bestand und die Intensität von Schüttelvorgängen, nämlich kräftiges Schütteln zwischen 25. und 26. Juli 2019, mittelkräftiges bis kräftiges Schütteln zwischen 19. April und 19. Juli 2019 und/oder leichtes bis mittelkräftiges Schütteln zwischen 23. und 26. Juli 2019, zu liefern vermögen;

        • die Einblutungen zwischen dem Sehnerv und der Sehnervscheide beider Augen nicht zwingend traumatischer Ursache sein müssen und im Rahmen eines erhöhten Hirndrucks auftreten können;

        • den medizinischen Gutachten und Berichten schliesslich nicht zu entnehmen ist, wann und unter welchen Umständen die festgestellten älteren Lungen- einblutungen entstanden sein sollen.

      3. Hinsichtlich der Aussagen des Beschuldigten ist mit der Vorinstanz (Urk. 76

        S. 38 ff.) festzuhalten, dass vor dem Hintergrund der tragischen Vorkommnisse nachvollziehbar erscheint, dass der Beschuldigte in den verschiedenen Einver- nahmen immer neue mögliche Ursachen bzw. Vorfälle schilderte, suchte er doch offensichtlich nach einer nachvollziehbaren Erklärung für die festgestellten Verletzungen seines Sohnes. Dieses Bemühen kann deshalb – entgegen der Staatsanwaltschaft – nicht als taktisch motiviertes Vorbringen von Schutzbehauptungen gewertet werden, sondern überzeugt gerade vor dem Hintergrund des gutachterlich attestierten kognitiv-theoretisch-technischen Problemlösungsverhaltens des Beschuldigten als authentisch und folgerichtig. Insbesondere lässt sich bei diesem Hintergrund auch nicht ausschliessen, dass der Beschuldigte den Sturz von den Oberschenkeln am 26. Juli 2019 deshalb erst in der dritten Einvernahme erwähnte (vgl. Urk. D1/6/4 S. 3 f.), weil er dies bis dahin selbst nicht als Ursache für die schweren Kopfverletzungen in Betracht zog. Insgesamt erweisen sich seine Aussagen demnach als widerspruchsfrei, lebensnah und reflektiert, was sie in ihrer Gesamtheit als glaubhaft erscheinen lässt. Mithin ist – um mit der Systematik

        des psychologischen Gutachtens zu sprechen – nicht von bewussten Falschaussagen auszugehen.

        Ebenfalls zu folgen ist den Ausführungen der Vorinstanz, dass die vom Beschul- digten geschilderten Vorfälle als Ursache der Rippenbrüche ausgeschlossen wer- den können, während hinsichtlich der Hirnblutungen die Möglichkeit besteht, dass bei vorbestehendem chronischen Subduralhämatom (evtl. bedingt durch die extreme Frühgeburtlichkeit) die geschilderten Stürze von den Oberschenkeln auf den Parkettboden bzw. auf das Bett mit Anprall des Kopfes an die Wand erneute Einblutungen verursacht haben (Urk. 76 S. 40 ff.). Dies wäre geeignet, die festgestellten Verletzungen im Sinne eines (zum Anklagevorwurf) alternativen Entstehungsvorgangs zu erklären.

        Aus den Aussagen des Beschuldigten kann sodann entgegen den Vorbringen der Staatsanwaltschaft (Urk. 95 S. 4) keine Zugabe von heftigen, unkontrollierten Schüttelvorgängen entnommen werden, wie bereits die Vorinstanz ausführlich und zutreffend analysiert hat (vgl. Urk. 76 S. 42 f.).

      4. Die Privatklägerin, Ehefrau des Beschuldigten und Mutter von †C. , machte keine den Beschuldigten belastenden Aussagen und auch die befragten Grosseltern berichteten nichts Negatives betreffend seinen Umgang mit dem Baby. Insbesondere schilderten die Schwiegereltern des Beschuldigten von diesem ihnen gegenüber zugestandene (kontrollierte) Schüttelereignisse einzig im Kontext mit am 26. Juli 2019 erfolgten Wiederbelebungsmassnahmen (Urk. D1/9/1 S. 4 in Verbindung mit Urk. D1/9/2 S. 4), was hinsichtlich der Anklagevorwürfe kein Schuldeingeständnis darstellt, da die Hirnschädigungen zwangsläufig vor dem Auftreten von Atemaussetzern bzw. weiteren Symptomen verursacht worden sein müssen.

      5. Die Aussagen der Polizeibeamten J.

        und K. , die am 26. Juli

        2019 zum Wohnort der Familie ausrückten (Urk. D1/10/1-2), bzw. des Gefängnisaufsehers L. , welcher dabei war, als dem Beschuldigten am 1. August 2019 eröffnet werden musste, dass †C. sterben werde (Urk. D1/11/1), vermögen zum Tathergang nichts beizutragen. Auch daraus, dass der Beschuldigte offenbar

        nicht den Erwartungen der Polizeibeamten bzw. des untersuchenden Staatsanwaltes entsprechend emotional auf die Vorkommnisse reagierte, kann kein Täter- nachweis abgeleitet werden. Vielmehr ist festzuhalten, dass Personen individuell auf belastende Situationen reagieren und die spezifische Reaktion des Beschul- digten vor dem Hintergrund des über ihn erstellten psychologischen Gutachtens nachvollziehbar, typentsprechend und damit authentisch erscheint (vgl. hierzu auch Urk. 76 S. 48).

      6. Vor dem Hintergrund der medizinischen Erkenntnisse und der Aussagen des Beschuldigten ist betreffend die Anklagevorwürfe A.1 und A.2 (versuchte sowie vollendete Tötung durch Schütteln) zu statuieren, dass es am zweifelsfreien Nachweis relevanter (heftiger) Schüttelvorgänge fehlt und alternative Verletzungsursachen denkbar bleiben (insb. chronische Subduralhämatome infolge Frühgeburtlichkeit sowie erneute Hirnblutung bereits aufgrund minderschwerer Kopfanstösse mit Unfallcharakter).

        Der Beschuldigte selbst erklärte, †C. nie roh angefasst derart bewegt zu haben, dass sein Kopf frei rotiert hätte. Derartiges – auch nur unsanfter unangemessener Umgang mit dem Frühchen – wurde auch von niemand anderem beobachtet. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte gemäss psychologischer Beurteilung keine Gewaltproblematik aufweist. Soweit der Beschuldigte selbst von Schüttelvorgängen am Tattag sprach, setzte er dies einerseits in Relation zu Wiederbelebungsmassnahmen und andererseits schilderte er hernach im Detail gerade keine unkontrollierten Kopfrotationen, sondern ein gestütztes Hin- und Herschwenken, um den Säugling aufzuwecken bzw. zu geregelter Atmung zu bewegen. Hinzu kommt, dass †C. offenbar bereits am Mittag, als er die Betreuung übernahm, schläfrig und trinkunwillig war, worüber der Beschuldigte der Privatklägerin ohne Verzug Bericht erstattete, wodurch er gerade kein verschleierndes Verhalten an den Tag legte.

        Auch Anklagesachverhalt A.3 (Schädel-Hirn-Trauma mit Einblutungen zwischen dem Sehnerv und der Sehnervscheide beider Augen durch leichtes bis mittelkräftiges Schütteln zwischen ca. Dienstag, 23. Juli 2019, und Freitag, 26. Juli 2019,

        22.30 Uhr) ist beweismässig nicht zu erstellen. Die Einblutungen in beiden Augen

        können gemäss Gutachten anders als durch Schütteln entstanden sein. Zudem ist den medizinischen Berichten zu entnehmen, dass die Blutungen wenige Tage alt waren, weshalb auch in Betracht zu ziehen ist, dass diese (erst) nach der Einlieferung von †C. ins Spital entstanden sind. Der in der Anklageschrift ausgeführte Zeitraum (23. bis 26. Juli 2019), in welchem der Beschuldigte †C. geschüttelt haben soll, sowie Schütteln als Ursache der Einblutungen lassen sich jedenfalls aufgrund der vorliegenden Beweismittel nicht rechtsgenügend beweisen.

        Was die Anklagesachverhalte A.4 und A.5 angeht (Brüche der 6./7. sowie 12. Rippe durch kräftiges Zudrücken des Oberkörpers) bleibt völlig unklar, wann diese Verletzungen entstanden sind. Angesichts der grossen Zeitspanne (gemäss Anklageschrift zwischen Geburt und 8. Juli 2019, realistischer scheint eine Entstehung frühestens ab 3. Dezember 2019, mithin nach Erstellung der bei den Akten liegenden Thoraxröntgenbildern gemäss Urk. D1/4/42) erweist sich das von der Staatsanwaltschaft angerufene Ausschlussprinzip von vornherein als unbehelflich, da †C. in dieser Zeit nebst den Eltern auch mehrfach durch medizinisches Personal reanimiert, intubiert und stationär bzw. auch nach seiner Entlassung noch regelmässig betreut wurde (inkl. regelmässige Physiotherapie). Auch wurde weder abschliessend abgeklärt, ob eine neonatale Osteopenie vorliegt, was Auswirkungen auf die nötige Heftigkeit der Einwirkungen hätte, noch welcher Art die regelmässige Phy-siotherapiebehandlung war, zumal sogar die lebensnotwendigen Reanimationen von März 2019 – wenn auch mit untergeordneter Wahrscheinlichkeit – Ursache der Rippenbrüche sein könnten. Nachdem niemand eine grobes Zudrücken des Brustkorbs von †C. durch den Beschuldigten (oder – trotz äusserst engmaschiger medizinischer Betreuung – auch nur Verletzungsanzeichen) bemerkte, er selber solches in Abrede stellt und auch sonst nichts auf seine Täterschaft hinweist, kann ihm diesbezüglich nichts zu Lasten gelegt wer- den. Insbesondere fehlt es auch an einem nachvollziehbaren Motiv und es ist aus den Akten auch keine Überforderungssituation erkennbar, wobei bei ihm gemäss gutachterlicher Einschätzung nicht einmal eine Tendenz zu einer leicht auslösbaren Impulsivität zu erkennen ist, die in einer Überforderungssituation zu einer aggressiven Handlung führen könnte.

        Der Unterarmbruch (Anklagesachverhalt A.6) kann sodann – wie bereits oben unter Ziff. 3.7.2 festgehalten wurde – auch unfallbedingt entstanden sein. Hinzu kommt, dass der Beschuldigte den ihm vorgeworfenen kräftigen, vorsätzlichen Schlag in Abrede stellt und niemand sonst derartiges beobachtet hat. Gerade das von der Staatsanwaltschaft angerufene Ausschlussprinzip führte hier zudem zur Entlastung des Beschuldigten, hat er sich am 24. Juli 2019 doch gar nie alleine um †C. gekümmert, wie die Verteidigung zutreffend ausführt (Urk. 97 S. 25; Urk. D1/6/9 S. 6).

    2. Zusammenfassend ist somit festzuhalten, dass einerseits bereits die zweifelsfreie Rekonstruktion der Verletzungsursache schwerfällt, mithin fraglich erscheint, ob wirklich ein bzw. mehrere heftige Schüttelvorgänge zu den Verletzungen von †C. geführt haben, und dass anderseits das von der Staatsanwaltschaft angerufene Ausschlussprinzip vorliegend nicht geeignet ist, rechtserhebliche Zweifel an der Täterschaft des Beschuldigten zu beseitigen, da entgegen der Behauptung der Anklagebehörde nicht nur die Eltern (bzw. zeitweise die Grossel-

tern) †C.

regelmässig betreuten, sondern auch weitere Personen regelmässig mit †C. zu tun hatten, so bspw. die Physiotherapeutin und weiteres medizinisches Personal im Rahmen seiner stationären Notfallaufenthalte. Auch kann aus den Aussagen des Beschuldigten keine geständnisgleiche Selbstbelastung herausgelesen werden. Das Aussageverhalten des Beschuldigten wirkt vielmehr – gerade auch mit Blick auf die im Gutachten geschilderten Charakterzüge – nachvollziehbar und kohärent, zumal weder ein Motiv für die dem Beschuldigten vorgeworfenen Kindsmisshandlungen ersichtlich ist, noch aus seiner Vorgeschichte psychologischen Einschätzung auf aggressiv-gewalttätige Impulse zu schliessen wäre. Damit kann letztlich nicht zweifelsfrei eruiert werden, was im Vorfeld vom und am 26. Juli 2019 geschehen ist und zum tragischen Tod von

†C. geführt hat. Zwischenmenschlich vorwerfbar bleibt wohl, dass der Beschuldigte nicht sofort den Notarzt alarmierte, als er am Abend die ersten

Atemaussetzer (Schnappatmung) von †C.

bemerkte. Das Krampfen vom

Nachmittag wurde demgegenüber auch von der Privatklägerin, der er eine Videoaufnahme geschickt hatte, fehlinterpretiert. Dass er in dem Sinne falsch reagierte, indem er selbst aktiv wurde, †C. kühlte, beatmete etc. erweist sich bei retrospektiver Betrachtung klar als falsch, allerdings kann daraus in strafrechtlicher Hinsicht kein Tötungsvorwurf begründet werden. Insgesamt bleibt damit festzuhalten, dass der anklagegegenständliche Sachverhalt aufgrund der vorliegenden Beweismittel nicht rechtsgenügend erstellt werden kann. Nicht nur verbleiben an der möglichen Täterschaft des Beschuldigten erhebliche Zweifel, vielmehr steht schon gar nicht hinreichend fest, dass ein sogenanntes Schütteltrauma zu den Verletzungen und letztendlich zum Tod von †C. geführt hat.

  1. Rechtliche Würdigung

    Mangels erstellbarer Sachverhalte ist der Beschuldigte hinsichtlich Anklagesachverhaltskomplex A (Delikte zum Nachteil von †C. ) vom Vorwurf der vollen- deten vorsätzlichen Tötung (Art. 111 StGB), der vorsätzlich versuchten Tötung (Art. 111 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB) sowie der mehrfachen vorsätzlichen (einfachen) Körperverletzung (Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 Abs. 3 StGB) freizusprechen. Lediglich der Vollständigkeit halber ist in diesem Zusammenhang anzumerken, dass sich aufgrund der gutachterlichen Feststellungen von Prof. Dr. med. I. vorliegend selbst bei erstellbarem Sachverhalt der anklagebehauptete Vorsatz bzw. Eventualvorsatz wohl kaum nachweisen liesse, wäre aufgrund grundsätzlich glaubhafter Aussagen des Beschuldigten doch primär von der Hauptoder allenfalls von der Deliktsnebenvariante 1 auszugehen.

    Fahrlässigkeitsdelikte wurden – trotz den unter Ziff. 3.6.8 zitierten Ausführungen im Gutachten von Prof. Dr. med. I. – von der Staatsanwaltschaft bewusst nicht, auch nicht eventualiter, zur Anklage gebracht (vgl. Urk. 64 S. 10 ff.). Aller- dings stünde, nebst dem nicht erstellbaren Sachverhalt, der Verfolgung fahrlässiger Körperverletzungsdelikte der fehlende Strafantrag (Art. 125 Abs. 1 StGB) entgegen und eine fahrlässig versuchte Tötung gibt es bereits begrifflich nicht. Eine Rückweisung zur Anklageergänzung, um einen Vorwurf der fahrlässigen Tötung zu prüfen, da der Beschuldigte nicht sofort die Ambulanz alarmierte, als er am

    Abend die ersten Atemaussetzer von †C.

    bemerkte, ist schliesslich nicht

    zulässig. Selbst wenn die Erforschung der materiellen Wahrheit in einem derart schwerwiegenden Fall wie hier hoch zu gewichten ist, kann ein gänzlich anderer Lebenssachverhalt und zusätzlich eine andere rechtliche Würdigung in Anwendung von Art. 329 Abs. 1 lit. a StPO und Art. 333 Abs. 1 StPO nicht mehr mit einer Rückweisung der Anklage ins Verfahren eingebracht werden (vgl. BGE 147 IV

    167 E. 1 ff.). Im Übrigen wäre die im Rahmen der Fahrlässigkeit zu prüfende Vermeidbarkeit bei einer schnelleren Alarmierung der Ambulanz denn auch kaum beweisbar.

  2. Kosten- und Entschädigungsfolgen

    1. Die Vorinstanz nahm sämtliche Kosten vollumfänglich und definitiv auf die Staatskasse, wozu sie darauf hinwies, dass die Verfahrenskosten hinsichtlich des Vorwurfs der mehrfachen Veruntreuung keinen grossen Raum in der Untersuchung bzw. den Befragungen einnähmen und in Anbetracht des gesamten Umfanges des Verfahrens von derart untergeordneter Bedeutung seien, dass sich ei- ne besondere Ausscheidung dieser Kosten und deren anteilmässige Auferlegung an den Beschuldigten nicht rechtfertige (Urk. 76 S. 58). Dem kann uneingeschränkt gefolgt werden. Entsprechend ist die vorinstanzliche Kostenregelung (Dispositivziffer 7) zu bestätigen. Ebenfalls zu bestätigen ist die erstinstanzliche Regelung der Schadenersatz- und Genugtuungsansprüche des Beschuldigten gemäss Art. 429 Abs. 1 lit. b und c StPO (Dispositivziffer 5), nachdem diese vom Beschuldigten nicht angefochten wurde und aufgrund des zu bestätigenden Freispruchs auch gar keine Befugnis besteht, die Regelung von Amtes wegen neu zu beurteilen (BGer 6B_1299/2018 vom 28. Januar 2019, E. 2.3; Zürcher Kommentar StPO-Zimmerlin, 3. Auflage, Art. 399 N 19).

    2. Im Verlaufe des bisherigen Verfahrens gelangten der Beschuldigte bzw. die Staatsanwaltschaft mehrfach mit Beschwerden an die III. Strafkammer des Obergerichts, welche in ihren Entscheiden – mit Ausnahme der Verfahren Geschäfts-Nrn. UH200082 und UB210032 (Urk. D1/25/8 und Urk. 49) – jeweils eine Gerichtsgebühr festsetzte, die Kostenregelung jedoch dem Endentscheid vorbehielt (vgl. die Beschlüsse der III. Strafkammer in den Verfahren Geschäfts-Nrn. UB190192, UB200094, UB200188 und UB210005; Urk. D1/20/26, 46 und 61 so-

      wie Urk. 41). Auch diese Kosten sind nunmehr vollumfänglich auf die Gerichtskasse zu nehmen.

    3. Sodann ist für das Berufungsverfahren auf die Erhebung einer Gerichtsgebühr zu verzichten und sind die weiteren Kosten – namentlich die Kosten der amtlichen Verteidigung, welche ausgehend von der eingereichten Honorarnote auf Fr. 7'800.– festzusetzen sind (Urk. 98; § 23 in Verbindung mit § 17 f. AnwGebV) – auf die Gerichtskasse zu nehmen, da die Staatsanwaltschaft mit ihrer Berufung vollumfänglich unterliegt (vgl. Art. 428 Abs. 1 StPO).

Es wird beschlossen:

  1. Es wird festgestellt, dass das Urteil des Bezirksgerichtes Hinwil vom 24. Juni 2021 bezüglich Dispositivziffern 2 (Schuldspruch betreffend mehrfache Ver- untreuung), 3 (Absehen von einer Bestrafung betreffend mehrfache Veruntreuung), 4 (Verweisung der Zivilforderungen auf den Zivilweg) und 6 (Kostenfestsetzung) in Rechtskraft erwachsen ist.

  2. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung mit nachfolgendem Urteil.

Es wird erkannt:

  1. Der Beschuldigte B. wird freigesprochen vom Vorwurf

    • der vollendeten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB

    • der versuchten vorsätzlichen Tötung im Sinne von Art. 111 StGB in Verbindung mit Art. 22 Abs. 1 StGB

    • der mehrfachen einfachen Körperverletzung im Sinne von Art. 123 Ziff. 1 Abs. 1 und Ziff. 2 Abs. 3 StGB.

  2. Die Kosten der Beschwerdeverfahren vor dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer (Geschäfts-Nrn. UB190192, UB200094, UB200188 und UB210005), werden auf die Gerichtskasse genommen.

  3. Die erstinstanzliche Kosten- und Entschädigungsregelung (Dispositivziffern 5 und 7) wird bestätigt.

  4. Die zweitinstanzliche Gerichtsgebühr fällt ausser Ansatz. Die weiteren Kosten betragen:

    Fr. 7'800.– Entschädigung amtliche Verteidigung.

  5. Die Kosten des Berufungsverfahrens, einschliesslich derjenigen der amtlichen Verteidigung, werden auf die Gerichtskasse genommen.

  6. Mündliche Eröffnung und schriftliche Mitteilung im Dispositiv an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten (übergeben)

    • die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich (übergeben)

    • die Privatklägerschaft

      sowie in vollständiger Ausfertigung an

    • die amtliche Verteidigung im Doppel für sich und zuhanden des Beschuldigten

    • die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich

    • die Privatklägerschaft

      und nach unbenütztem Ablauf der Rechtsmittelfrist bzw. Erledigung allfälliger Rechtsmittel an

    • die Vorinstanz

    • die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit dem Formular Löschung des DNA-Profils und Vernichtung des ED-Materials zwecks Löschung des DNA-Profils

    • die Kantonspolizei Zürich, KDM-ZD, mit separatem Schreiben (§ 54a Abs. 1 PolG)

    • die Koordinationsstelle VOSTRA/DNA mit Formular A.

  7. Rechtsmittel:

Gegen diesen Entscheid kann bundesrechtliche Beschwerde in Strafsachen erhoben werden.

Die Beschwerde ist innert 30 Tagen, vom Empfang der vollständigen, begründeten Ausfertigung an gerechnet, bei der Strafrechtlichen Abteilung des Bundesgerichtes (1000 Lausanne 14) in der in Art. 42 des Bundesgerichtsgesetzes vorgeschriebenen Weise schriftlich einzureichen.

Die Beschwerdelegitimation und die weiteren Beschwerdevoraussetzungen richten sich nach den massgeblichen Bestimmungen des Bundesgerichtsgesetzes.

Obergericht des Kantons Zürich

II. Strafkammer

Zürich, 21. September 2022

Der Präsident:

Oberrichter lic. iur. Wenker

Der Gerichtsschreiber:

MLaw Huter

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